Logbuch2011 02 - bei der Reservistenkameradschaft Marine Berlin
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SICHERHEITSPOLITIK<br />
SICHERHEITSPOLITIK<br />
gab kaum eine fest gefügte staatliche<br />
Ordnung. Die Senussi waren<br />
als Bewegung <strong>der</strong> religiösen<br />
Erneuerung vom 16. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
aus Marokko in die Cyrenaika<br />
gekommen und stellten im 20.<br />
Jh. den einzigen König Libyens.<br />
Ab 1912 italienische Kolonie.<br />
Nach Weltkrieg I britisches<br />
Mandat. Seit 1969 Oberst<br />
Gaddafi. Libyen ist reich an Öl<br />
(mehr als 3% <strong>der</strong> weltweiten Reserven)<br />
und Erdgas. Gaddafi verfügt<br />
über einen effizienten<br />
Unterdrückungsapparat, eine<br />
mo<strong>der</strong>n ausgerüstete Armee und<br />
gut bezahlte Söldner aus Afrika.<br />
Wenn es gleichwohl zu einer<br />
Massenbewegung gegen<br />
Gaddafi kam, so war es <strong>der</strong><br />
Dominoeffekt des Rufs nach<br />
Freiheit nach 42 Jahren Unterdrückung.<br />
„Wir wollen leben“<br />
lautet ein Slogan <strong>der</strong> anarchischen<br />
Aufstandsbewegung, die<br />
sich von <strong>der</strong> Cyrenaika im Osten<br />
des Landes, bis nach Tripolis im<br />
Westen (wo etwa 80% <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
leben) ausdehnte.<br />
Im Gegensatz zu seinen Amtsbrü<strong>der</strong>n<br />
Ben Ali und Mubarak<br />
wich Gaddafi nicht dem Druck,<br />
son<strong>der</strong>n führte Krieg gegen sein<br />
eigenes Volk. Immer wenn es<br />
eng für ihn wurde; griff er zum<br />
Terror. Die Liste ist lang: OPEC-<br />
Konferenz in Wien; Lockerbie,<br />
bis „La Belle“ in <strong>Berlin</strong>, usw.<br />
Am 1. März kam <strong>der</strong> Gegenschlag<br />
Gaddafis, <strong>der</strong> die Aufständischen<br />
mit brutaler Gewalt<br />
bis nach Bengasi zurückdrängte.<br />
Seither wogt das Kampfgeschehen<br />
hin und her.<br />
In letzter Minute beschloss <strong>der</strong><br />
SR-VN am 17. März auf den<br />
Hilferuf <strong>der</strong> Aufständischen mit<br />
10 Stimmen und 5 Enthaltungen<br />
die Errichtung einer Flugverbotszone<br />
über Libyen, nachdem<br />
von arabischer und afrikanischer<br />
Seite <strong>der</strong> Weg für ein militärisches<br />
Eingreifen freigemacht<br />
worden war. Die recht weitgehende<br />
Res. 1973 nach Kap. VII<br />
<strong>der</strong> SVN, die nach Art. 25 für<br />
alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> VN verbindlich<br />
ist, ermächtigt die Mitgliedstaaten<br />
entwe<strong>der</strong> alleinhandelnd<br />
o<strong>der</strong> über regionale Organisationen<br />
alle „notwendigen Maßnahmen<br />
zum Schutz <strong>der</strong> Zivilbevölkerung<br />
zu treffen. Nach<br />
<strong>der</strong> Irak-Resolution 678 vom<br />
29.11.1990 schließt diese Formel<br />
den Einsatz von Waffengewalt<br />
ein, nicht jedoch eine<br />
Bodenoffensive. Das unausgesprochen<br />
langfristige Ziel dürfte<br />
ein „Regime Change“ sein.<br />
Das Prinzip <strong>der</strong> Nichteinmischung<br />
greift nicht, da die Staatengemeinschaft<br />
nach Völkerrecht<br />
eine Schutzverantwortung<br />
(„Responsibility to<br />
protect“) hat, wenn ein Staat<br />
zum Schutz seiner Bevölkerung<br />
vor massiven Menschenverletzungen<br />
nicht willens o<strong>der</strong><br />
fähig ist.<br />
Während die „Koalition <strong>der</strong> Willigen“<br />
vor allem auf Betreiben<br />
Frankreichs und Großbritanniens<br />
und nach anfänglichem<br />
Zögern auch die USA unverzüglich<br />
an die Durchführung <strong>der</strong><br />
SR-Res. gingen, wurde BM<br />
Westerwelle wegen <strong>der</strong> deutschen<br />
Stimmenthaltung im SR<br />
(zusammen mit Russland und<br />
China) von Teilen <strong>der</strong> Koalition,<br />
aber auch <strong>der</strong> Opposition heftig<br />
kritisiert. Er habe Deutschland<br />
international isoliert. Der Vorsitzende<br />
des Auswärtigen Ausschusses<br />
des Bundestages<br />
Polenz sprach von einer operativen<br />
Lücke <strong>der</strong> deutschen Position<br />
(dh. zwischen Ermutigung<br />
<strong>der</strong> Aufständischen und Abseits-<br />
stehen). Mit an<strong>der</strong>en Worten:<br />
Man wäre Gaddafi gern los,<br />
lehnt aber die Mittel ab, die<br />
dazu nötig wären. Man spricht<br />
viel über „diplomatische Lösungen“.<br />
Aber ohne Macht ist die<br />
Diplomatie ein zahnloser Tiger.<br />
Klüger wäre es gewesen,<br />
Gaddafi die Waffen gar nicht erst<br />
zu verkaufen, die jetzt wie<strong>der</strong><br />
zerstört werden müssen. Im Übrigen<br />
schloss Gaddafi am 5.4.<br />
seinen Machtverzicht, die zentrale<br />
For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Regimegegner,<br />
kategorisch aus.<br />
Deutschland und Europa brauchen<br />
eine neue Südpolitik.<br />
Das Kompensationsangebot <strong>der</strong><br />
Bundesregierung, sich stattdessen<br />
in Afghanistan mit AWACS<br />
zu engagieren, hinterließ <strong>bei</strong><br />
unseren Alliierten einen schalen<br />
Beigeschmack.<br />
Das deutsche Abseitsstehen<br />
könnte weitreichende Folgen<br />
haben, wie schon seinerzeit im<br />
Irakkrieg 2003 (damals standen<br />
wir immerhin mit Frankreich<br />
zusammen). Mit dieser Absage<br />
ist <strong>der</strong> Vertrauensverlust groß.<br />
Unsere Position in <strong>der</strong> EU ist<br />
geschwächt, und in <strong>der</strong> NATO<br />
hat unsere Bündnisfähigkeit gelitten.<br />
In entscheidenden Fragen<br />
haben wir bisher mit unseren<br />
Verbündeten eine gemeinsame<br />
Haltung eingenommen.<br />
Unsere Ambitionen, ständiges<br />
Mitglied des SR-VN zu werden,<br />
die ohnehin wenig Aussicht auf<br />
Erfolg hatten, können wir wenigstens<br />
vorläufig ad acta legen.<br />
Mehr Verantwortung übernehmen<br />
zu wollen, bedingt die Bereitschaft<br />
zu mehr Pflichten. Das<br />
böse Wort vom „deutschen<br />
Son<strong>der</strong>weg“ macht wie<strong>der</strong> die<br />
Runde.<br />
Mein Rat wäre gewesen: Mit<br />
„Ja“ <strong>der</strong> Res. zuzustimmen,<br />
20 LOGBUCH 2/2011