Logbuch2011 02 - bei der Reservistenkameradschaft Marine Berlin
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SICHERHEITSPOLITIK<br />
SICHERHEITSPOLITIK<br />
Wassertränke) die dritte Grundlage<br />
des Islam.<br />
Als letzter in einer Reihe von<br />
Propheten (Abraham, Moses<br />
und Jesus Christus) sah Mohammed<br />
sich gleichsam als „Siegel“,<br />
das einerseits das Zeitalter <strong>der</strong><br />
Ignoranz („Gahiliyya“) beendete<br />
und an<strong>der</strong>erseits als letzte Offenbarung<br />
jede Weiterentwicklung<br />
(wie sie für die europäische<br />
Geistesgeschichte kennzeichnend<br />
ist) ein für allemal ausschloss.<br />
So kam es, dass <strong>der</strong><br />
fromme Muslim das „Goldene<br />
Zeitalter“ („die beste aller Zeiten“)<br />
zu Beginn <strong>der</strong> Epoche des<br />
Propheten sieht, während es <strong>der</strong><br />
Europäer fortschrittsgläubig in<br />
die Zukunft projiziert. Während<br />
<strong>der</strong> Islam <strong>bei</strong> Mohammed stehen<br />
geblieben ist, haben wir den Humanismus,<br />
die Renaissance, die<br />
Reformation, die Aufklärung bis<br />
hin zur Mo<strong>der</strong>ne durchlaufen.<br />
Diese unterschiedliche Orientierung<br />
ließ zwischen <strong>der</strong> rückwärtsgewandten<br />
Prophetie des<br />
Islam mit seiner großen religiösen<br />
und kulturellen Tradition<br />
und <strong>der</strong> Zukunftsutopie <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne<br />
allmählich einen immer<br />
tieferen Graben entstehen.<br />
Nach dem traditionellen Selbstverständnis<br />
<strong>der</strong> Muslime sieht<br />
sich <strong>der</strong> Islam nicht nur als<br />
Schlusspunkt <strong>der</strong> Prophetengeschichte,<br />
die kritisches Denken<br />
ausschließt, son<strong>der</strong>n auch<br />
als eine umfassende Lebensordnung,<br />
die alle Bereiche des<br />
Lebens nach religiös orientierten<br />
Grundsätzen regelt. Religion,<br />
Kultur, Recht, Politik, Staat gelten<br />
als eine ursprüngliche untrennbare<br />
Einheit („Din wa<br />
Daula“. Für Muslime hat Religion<br />
einen viel höheren Stellenwert<br />
als im säkularisierten Westen.<br />
Von <strong>der</strong> Religion gibt es<br />
keine Emanzipation. Ein solcher<br />
Gedanke ist eine Schöpfung Europas.<br />
„Den“ Islam gibt es ebensowenig<br />
wie „das“ Christentum.<br />
Die Spaltung <strong>der</strong> Umma, <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />
<strong>der</strong> Gläubigen, in<br />
Sunna (90%) und Schia (etwa<br />
10%) spielt in diesem Zusammenhang<br />
keine Rolle, da <strong>bei</strong>de<br />
Hauptrichtungen des Islam auf<br />
Nachfolgestreitigkeiten zurückgehen.<br />
Geschichtlich gesehen, hat sich<br />
<strong>der</strong> Islam nach Mohammed in<br />
kurzer Zeit in einem <strong>bei</strong>spiellosen<br />
Siegeszug ausgebreitet. Mit<br />
dem Aufstieg Europas und Amerikas<br />
im Zeitalter des Kolonialismus<br />
und Imperialismus stürzte<br />
ihn <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>gang des Osmanischen<br />
Reiches beginnend mit<br />
Napoleons Landung in Ägypten<br />
1798 in eine tiefe Krise.<br />
Im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t sind im islamischen<br />
Kerngebiet, im Nahen<br />
und Mittleren Osten, zwei qualitativ<br />
verschiedene Entwicklungsphasen<br />
zu unterscheiden:<br />
Nationalismus und Islamismus.<br />
Vertreter <strong>der</strong> nationalistischen<br />
Orientierung sind Kemal<br />
Attatürk, Nasser. Assad, Saddam<br />
Hussein und - als „Zuspätgekommener<br />
<strong>der</strong> Geschichte“ -<br />
Arafat. Während es den Nationalisten<br />
darum ging, sich vom<br />
Kolonialismus zu befreien,<br />
gleichzeitig aber dem Westen<br />
nachzueifern, wollen die<br />
Islamisten diesen bekämpfen<br />
und ihm ein Alternativmodell<br />
entgegen setzen. In <strong>der</strong> arabischen<br />
Welt wurde die Nie<strong>der</strong>lage<br />
von 1967, als Nassers Ägypten<br />
den 6-Tagekrieg gegen Israel<br />
Schmählich verlor, zur „Wasserscheide“,<br />
wie <strong>der</strong> ehemalige<br />
Nahost-Korrespondent <strong>der</strong> NZZ<br />
Arnold Hottinger es formulier-<br />
te. Die Nie<strong>der</strong>lage Saddam<br />
Husseins im Zweiten Golfkrieg<br />
1990/91 und Irak-Krieg 2003<br />
bedeutete eine weitere Schwächung<br />
<strong>der</strong> nationalistischen<br />
Richtung.<br />
Aus Enttäuschung über die Rezeption<br />
westlicher Werte kam es<br />
zur Rückbesinnung auf die<br />
Quellen. Der ursprüngliche Islam<br />
erfuhr eine<br />
Neubelebung.Zugleich fanden<br />
die Verfechter des Islamismus<br />
die sich auf den Islam beriefen,<br />
parallel zur Erstarkung <strong>der</strong> arabischen<br />
Welt nach <strong>der</strong> Ölkrise<br />
1973 immer mehr Gehör. Damit<br />
kam eine universalistische Tendenz<br />
zum Zuge. Anknüpfungspunkt<br />
ist nicht mehr die einzelne<br />
Nation, son<strong>der</strong>n eine<br />
grundsätzlich weltweite Geltung<br />
beanspruchende Religion.<br />
Diese soll wie in <strong>der</strong> islamischen<br />
Orthodoxie <strong>der</strong> Frühzeit<br />
wie<strong>der</strong> mit Kultur, Staat, Recht<br />
und Politik zu einer Einheit verschmolzen<br />
werden - und das<br />
nicht nur in <strong>der</strong> religiösen Lehre,<br />
son<strong>der</strong>n auch in <strong>der</strong> politischen<br />
Praxis. Eine Trennung<br />
zwischen „Weltlichem“ und<br />
„Geistlichem“, zwischen Staat<br />
und Moschee, soll es nicht länger<br />
geben.<br />
Geistige Wegbereiter des<br />
Ausschließlichkeitsanspruchs<br />
des islamistischen Modells (eine<br />
Koexistenz zwischen mehreren<br />
„Wahrheiten“ wird ausgeschlossen)<br />
waren vor allem zwei Ägypter:<br />
Hassan al-Banna, <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Muslimbru<strong>der</strong>schaft<br />
1928, und <strong>der</strong> 1966 von Nasser<br />
öffentlich gehenkte Chefideologe<br />
<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong>schaft Sayyed<br />
Qutb. Während Banna überwiegend<br />
auf Evolution - wenn auch<br />
nicht allein – setzte, lieferte<br />
Sayyid Qutb mit seinen radika-<br />
22 LOGBUCH 2/2011