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Salman Rushdie Luka und das Lebensfeuer - Neue Zürcher Zeitung

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Sachbuch<br />

Menschenrechte Das Leben des chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo<br />

Kampf für die Demokratie in China<br />

Bei Ling: Der Freiheit geopfert. Die<br />

Biografie des Friedensnobelpreisträgers<br />

Liu Xiaobo. Riva, München 2010.<br />

364 Seiten, Fr. 30.50.<br />

Von Harro von Senger<br />

Über Konfuzius, der vergebens jahrelang<br />

im Reich der Mitte umherreiste, um<br />

von einem Herrscher in Dienst genommen<br />

zu werden, spöttelte man: «Er<br />

weiss, <strong>das</strong>s es nicht geht, <strong>und</strong> trotzdem<br />

tut er es.» Daran denkt man unwillkürlich<br />

angesichts des Lebens des Doktors<br />

der Literaturwissenschaften Liu Xiaobo,<br />

ungeschminkt <strong>und</strong> glaubwürdig geschildert<br />

von seinem Fre<strong>und</strong> Bei Ling. Zwar<br />

hat Liu Xiaobo Konfuzius in den 1980er<br />

Jahren in Bausch <strong>und</strong> Bogen verdammt.<br />

Aber wie dieser tritt Liu Xiaobo seit vielen<br />

Jahren unbeirrt für seine Ideale ein.<br />

Es sind dies Freiheit, Demokratie <strong>und</strong><br />

Menschenrechte – im westlich-liberalen<br />

Sinne. Da er sich deswegen immer wieder<br />

mit der Kommunistischen Partei<br />

Chinas anlegte, nannte ihn seine zweite<br />

Frau Liu Xia «Dummkopf», ja liebevollscherzhaft<br />

gar «schwachsinnig».<br />

Als Elfjähriger erlebte Liu Xiaobo<br />

1966 den Ausbruch der «Kulturrevolution».<br />

Zwar distanzierte er sich später<br />

voller Scham <strong>und</strong> Reue von seinen damals<br />

verübten Grausamkeiten. Doch<br />

blieben die «Kulturrevolution» <strong>und</strong> der<br />

damals propagierte Mao-Ausspruch<br />

«Rebellion ist gerechtfertigt» nicht<br />

ohne Einfluss auf ihn, gerade bei seiner<br />

Entwicklung zum Andersdenkenden.<br />

1984 heiratete er <strong>das</strong> erste Mal, aber<br />

Treue war keine seiner Tugenden, nicht<br />

einmal im Frühjahr 1989 auf dem Platz<br />

des Himmlischen Friedens. Dort organi-<br />

Daniel Domscheit-Berg: Inside WikiLeaks.<br />

Meine Zeit bei der gefährlichsten<br />

Website der Welt. Econ, Berlin 2011.<br />

303 Seiten, Fr. 29.90.<br />

Von Michael Furger<br />

«Interessiert an einem Job?». Die Frage<br />

veränderte <strong>das</strong> Leben von Daniel Domscheit-Berg.<br />

Sie kam von Wikileaks-<br />

Gründer Julian Assange in einem Internet-Chat.<br />

Der deutsche Informatiker,<br />

auf der Suche nach Abenteuer, sagte Ja.<br />

Heute ist er den Job wieder los. Dazwischen<br />

liegen drei Jahre im Auge<br />

eines Hurrikans. Domscheit-Berg wurde<br />

neben Assange zum zweiten wichtigen<br />

Mann von Wikileaks <strong>und</strong> war etwa mitverantwortlich<br />

für die aufsehenerregenden<br />

Enthüllungen aus dem Irak- <strong>und</strong><br />

dem Afghanistankrieg. Mit «Inside Wikileaks»<br />

enthüllt er nun die Enthüller.<br />

18 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3. April 2011<br />

sierte er einen Hungerstreik, aber in der<br />

Nacht des 4. Juni half er, den friedlichen<br />

Abzug der Studenten vom Platz zu organisieren.<br />

Dies wurde ihm offiziell als<br />

Verdienst angerechnet.<br />

Scharf geht Liu Xiaobo mit den Anführern<br />

der Studentenbewegung von<br />

1989 <strong>und</strong> mit chinesischen Intellektuellen<br />

ins Gericht. «Die studentischen Führer,<br />

die sich als Kämpfer für Demokratie<br />

<strong>und</strong> als Helden fühlen, <strong>und</strong> die chinesischen<br />

Intellektuellen im Widerstand<br />

kennen Demokratie nur aus Lehrbü-<br />

Demonstration für Liu Xiaobo im Juni 2009 in Hongkong.<br />

Internet Wikileaks-Mitgründer Domscheit-Berg rechnet mit Julian Assange ab<br />

Im Auge des Hurrikans<br />

Es ist die Geschichte einer kleinen<br />

Gruppe von Anarchisten, die mit erstaunlich<br />

simplen Mitteln <strong>und</strong> wenig<br />

Skrupel zu Werk gingen. Über die meiste<br />

Zeit betrieben Assange <strong>und</strong> Domscheit-Berg<br />

die Webseite zu zweit, unterstützt<br />

nur von ein bis zwei Technikern.<br />

Ihnen gegenüber standen Juristenteams<br />

von Banken oder die Task Force<br />

der amerikanischen Regierung. Um zu<br />

verhüllen, wie klein <strong>und</strong> verletzlich Wikileaks<br />

war, täuschte die Gruppe vor, sie<br />

habe H<strong>und</strong>erte von Mitarbeitern <strong>und</strong> Juristen<br />

im Rücken. «Hätte die gegnerische<br />

Seite gewusst, <strong>das</strong>s wir nur zwei<br />

extrem grossmäulige junge Männer mit<br />

einer einzigen Uralt-Maschine waren,<br />

hätte sie eine Chance gehabt, den Aufstieg<br />

von Wikileaks zu stoppen.»<br />

Das Buch ist süffig geschrieben – zum<br />

Teil etwas geschwätzig – <strong>und</strong> folgt dem<br />

Credo von Wikileaks. Es enthält vertrauliches<br />

Material; interne Chatproto-<br />

KING CHEUNG / AP<br />

chern. Sie haben keine Ahnung von<br />

deren Umsetzung in die Wirklichkeit.»<br />

Selbstkritisch scheinen diese Äusserungen<br />

nicht gemeint zu sein.<br />

Weder Liu Xiaobo noch Bei Ling<br />

scheinen über juristische Kenntnisse zu<br />

verfügen. Davon zeugen Formulierungen<br />

wie: «Nur weil man etwas gesagt<br />

hat, wird man verurteilt. Das entspricht<br />

nicht dem Gesetz über Menschenrechte,<br />

<strong>das</strong> in die chinesische Verfassung aufgenommen<br />

wurde.» Leider erfährt man<br />

nichts über den offenbar unveröffentlichten<br />

chinesischen Urtext <strong>und</strong> über<br />

die Übersetzer. Immer wieder überraschen<br />

Aussagen wie jene über die an der<br />

tschechoslowakischen Charta 77 orientierte<br />

Charta 08, die zusammen mit anderen<br />

Veröffentlichungen Liu Xiaobo elf<br />

Jahre Gefängnis einbrachte: «Zum Zeitpunkt<br />

des Erscheinens der ‹Charta 08›<br />

war die gesellschaftliche Entwicklung in<br />

China viel weiter vorangeschritten als<br />

damals in der Tschechoslowakei. Es<br />

herrschte zwar Unzufriedenheit, von<br />

einer gesellschaftlichen Krise konnte jedoch<br />

keine Rede sein. (…) Es gab in der<br />

Masse der Bevölkerung keine Motivation<br />

zu einem Systemwechsel. Es ging den<br />

Leuten schliesslich einigermassen gut.»<br />

An mehreren zum Teil widersprüchlichen<br />

Wiederholungen spürt man die<br />

Hast, mit der <strong>das</strong> Buch über den im<br />

Dezember 2010 mit dem Friedensnobelpreis<br />

ausgezeichneten chinesischen Dissidenten<br />

auf den Markt geworfen wurde.<br />

Insgesamt ist Bei Ling aber ein wissensmehrendes<br />

Werk über einen im Westen<br />

gefeierten, in der Volksrepublik China<br />

aber offiziell verfemten Zeitgenossen<br />

gelungen. ●<br />

Harro von Senger ist Professor für<br />

Sinologie an der Universität Freiburg i. Br.<br />

kolle, die dokumentieren, wie die Gruppe<br />

arbeitete <strong>und</strong> wie die Berühmtheit<br />

sie schliesslich zerstörte. Die Beziehung<br />

zwischen Assange <strong>und</strong> Domscheit-Berg<br />

ist der rote Faden. Anfangs war es die<br />

enge Fre<strong>und</strong>schaft von zwei, die in finsteren<br />

Wohnungen Tag <strong>und</strong> Nacht wie<br />

berauscht vor dem Computer sassen,<br />

um den Mächtigen <strong>das</strong> Fürchten zu lehren.<br />

Die in einem Mietauto durch Europa<br />

fuhren, um an geheimen Orten Server<br />

zu installieren. Am Ende blieb nur noch<br />

Hass. Julian Assange wird von Daniel<br />

Domscheit-Berg als zwar genialer Denker,<br />

aber auch als machtversessener<br />

Egomane beschrieben, chaotisch <strong>und</strong><br />

unfähig mit der öffentlichen Aufmerksamkeit<br />

umzugehen.<br />

Im September 2010 verliessen Domscheit-Berg<br />

<strong>und</strong> weitere Mitglieder Wikileaks<br />

im Streit. Das Buch ist, obwohl<br />

der Autor <strong>das</strong> bestreitet, auch eine Abrechnung<br />

mit Assange. ●

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