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Salman Rushdie Luka und das Lebensfeuer - Neue Zürcher Zeitung

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Belletristik<br />

Roman Wiederum unterhält <strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong> die Leserschaft mit einer modernen Geschichte, in der<br />

Einfallsreichtum die Mächte des Bösen besiegt<br />

Die Magie schwindet aus<br />

dem Universum<br />

<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong>: <strong>Luka</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong><br />

<strong>Lebensfeuer</strong>. Aus dem Englischen von<br />

Bernhard Robben. Rowohlt,<br />

Reinbek 2011. 268 Seiten, Fr. 30.50.<br />

Von David Signer<br />

Am 14. Februar 1989 verurteilte Ayatollah<br />

Khomeini den indisch-britischen<br />

Schriftsteller <strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong> wegen<br />

seiner «gotteslästerlichen» Schilderungen<br />

im Roman «Die satanischen Verse»<br />

zum Tod. <strong>Rushdie</strong> musste untertauchen,<br />

lebte isoliert an ständig wechselnden<br />

Orten <strong>und</strong> unter permanenter Bewachung.<br />

In dieser Zeit schrieb er für seinen<br />

Sohn Zafar <strong>das</strong> Märchen «Harun<br />

<strong>und</strong> <strong>das</strong> Meer der Geschichten». Es handelt<br />

von einem Mann, dem die Fähigkeit<br />

zum Erzählen abhandenkommt, weil<br />

man ihm den «Geschichtenhahn» abgedreht<br />

hat, <strong>und</strong> der schliesslich von seinem<br />

Sohn gerettet wird.<br />

Inzwischen, berichtet <strong>Rushdie</strong>, las<br />

sein zweiter Sohn Milan dieses Buch<br />

<strong>und</strong> wollte auch eins. Also schrieb er<br />

«<strong>Luka</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Lebensfeuer</strong>» für ihn.<br />

Dieses neueste Werk des inzwischen<br />

64-jährigen Autors ist eine Art Fortsetzung,<br />

kann aber auch unabhängig von<br />

«Harun» gelesen werden. <strong>Luka</strong> ist darin<br />

der jüngere Bruder von Harun. Als der<br />

Zirkus «Grosse Feuerreifen» in die Stadt<br />

kommt, verflucht <strong>Luka</strong> dessen Direktor<br />

Captain Aag wegen seiner Grausamkeit.<br />

Tatsächlich bricht noch in derselben<br />

Nacht ein Brand aus, <strong>und</strong> die Tiere erheben<br />

sich gegen ihren Peiniger. Zwei von<br />

ihnen, «H<strong>und</strong> der Bär» <strong>und</strong> «Bär der<br />

H<strong>und</strong>», nehmen Zuflucht bei <strong>Luka</strong>.<br />

Doch dann fällt sein Vater, Raschid Khalifa,<br />

der legendäre Geschichtenerzähler,<br />

plötzlich in einen rätselhaften Schlaf.<br />

Seine Familie ist verzweifelt. Und dann<br />

taucht auch noch Nobodaddy, ein halb<br />

durchsichtiger Doppelgänger des Vaters,<br />

auf.<br />

Rettung dank Naivität<br />

Es stellt sich heraus, <strong>das</strong>s ihn der rachsüchtige<br />

Captain Aag geschickt hat, um<br />

<strong>Luka</strong>s Vater seine Identität zu stehlen. Je<br />

schwächer der wird, umso lebensvoller<br />

wird Nobodaddy. Es gibt nur eine einzige<br />

Möglichkeit, diesen fatalen Prozess<br />

zu stoppen: <strong>Luka</strong> muss ins Reich der<br />

Magie reisen, dort <strong>das</strong> <strong>Lebensfeuer</strong> entwenden<br />

<strong>und</strong> es seinem Vater raschmöglichst<br />

verabreichen.<br />

Der Hauptteil des Buches handelt von<br />

dieser modernen Gralssuche, die den<br />

Jungen durch eine unheimliche <strong>und</strong><br />

abenteuerliche Gegenwelt führt, erzählt<br />

in einer Mischung aus Fantasy, Trickfilm,<br />

Epos <strong>und</strong> Videogame. Das Buch<br />

6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3. April 2011<br />

<strong>Salman</strong> <strong>Rushdie</strong> hat<br />

ein weiteres, leichtfüssiges<br />

Märchen<br />

geschrieben – auch<br />

für Erwachsene.<br />

erlaubt mehrere Lesarten: Jugendliche<br />

mögen es als actionreichen, spannenden,<br />

verrückten Trip verschlingen; ältere<br />

Leser verstehen es vielleicht als Allegorie<br />

des Problems, wie man sich dem<br />

Schw<strong>und</strong> der Imagination, der Kreativität<br />

<strong>und</strong> der Spontaneität widersetzen,<br />

wie man <strong>das</strong> eigene <strong>Lebensfeuer</strong> retten<br />

kann. Oder, politischer ausgedrückt:<br />

wie man angesichts von Autoritäten,<br />

Manipulation <strong>und</strong> Repression die Freiheit<br />

aufrechterhält, sei es individuell, sei<br />

es kollektiv. Oder, <strong>und</strong> hier verschwimmen<br />

die Lesarten: wie man sich trotz<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> (vorgeblichem) Wissen<br />

einen unverstellten kindlichen oder<br />

jugendlichen Blick auf die Welt bewahren<br />

kann. Denn wie so oft in Märchen<br />

<strong>und</strong> Mythen rettet auch in «<strong>Luka</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>das</strong> <strong>Lebensfeuer</strong>» der Junge seinen<br />

Vater am Ende gerade dank einer gewissen<br />

Unschuld <strong>und</strong> Naivität. Und dank<br />

einer Magie, die <strong>Rushdie</strong> einem «erwachsenen»<br />

Pragmatismus gegenüberstellt,<br />

der immer weniger Spielraum<br />

übrig lässt.<br />

PAUL STUART / CAMERA PRESS / KEYSTONE<br />

«Die Magie schwindet aus dem Universum»,<br />

erklärt die mächtige Zauberin<br />

Soraya <strong>Luka</strong>, während sie auf dem fliegenden<br />

Teppich über zerfallende Pyramiden<br />

sausen. «Eines Tages aber werdet<br />

ihr wach, <strong>und</strong> wir sind fort; dann sollt<br />

ihr spüren, wie es sich in einer Welt lebt,<br />

wo Magie nicht einmal mehr in den Gedanken<br />

existiert.»<br />

Tödlich gekränkte Ratten<br />

Es finden sich herrliche Persiflagen <strong>und</strong><br />

Minisatiren in dem Buch, beispielsweise<br />

<strong>das</strong> Kapitel über die Ratten des «Ich-<br />

Respektorats». Dauernd sind sie gekränkt,<br />

<strong>und</strong> sogar wenn sich ausnahmsweise<br />

mal eine Nichtratte beleidigt<br />

fühlt, empfinden sie <strong>das</strong> als Respektlosigkeit.<br />

«Unverschämtheit», kreischt die<br />

Grenzratte einmal <strong>Luka</strong> <strong>und</strong> seine beiden<br />

Begleiter H<strong>und</strong> <strong>und</strong> Bär an. «Ihr behauptet,<br />

beleidigt zu sein? Ich finde, <strong>das</strong><br />

ist eine tödliche Kränkung, Und wer<br />

eine Ratte tödlich kränkt, der hat alle<br />

Ratten schwer gekränkt.»<br />

Jeder kann sich selber ausmalen,<br />

wofür die respektversessenen Ratten<br />

stehen. Es gibt viele Möglichkeiten. Klar<br />

ist, <strong>das</strong>s die Sympathie des Autors eher<br />

bei ihren Gegenspielern, den Ottern <strong>und</strong><br />

ihrer Anführerin Soraya, liegt. Die Ottern<br />

sind Anhänger des Exzesses <strong>und</strong><br />

der Übertreibung in allen Formen, <strong>und</strong><br />

dazu gehört, <strong>das</strong>s sie nichts lieber tun,<br />

als andere <strong>und</strong> auch sich selber – re spektlos<br />

– durch den Kakao zu ziehen. Sie<br />

besiegen die Respekto-Ratten schliesslich<br />

durch einen Juckpulver-Luftangriff.<br />

Köstlich ist auch die Odyssee durch<br />

<strong>das</strong> Pantheon der abgehalfterten Götter.<br />

Was gibt es für einen Allmächtigen wie<br />

Zeus, Jupiter, Ra oder Wotan Schlimmeres,<br />

als ins Abseits gestellt zu werden,<br />

weil niemand mehr an ihn glaubt? Die<br />

Pointe des Buches liegt darin, <strong>das</strong>s <strong>Luka</strong><br />

schliesslich all die mythischen <strong>und</strong> religiösen<br />

Helden für sich gewinnen kann,<br />

indem er sie davon überzeugt, <strong>das</strong>s sie<br />

vom menschlichen Einfallsreichtum<br />

<strong>und</strong> also vom Überleben von Künstlern<br />

wie Raschid abhängen.<br />

Es gibt in <strong>Rushdie</strong>s neuem Werk viel<br />

Kapriolen <strong>und</strong> Sprachakrobatik. Manchen<br />

Lesern mag es gar zu leichtfüssig<br />

daherkommen. Zahlreiche Seiten sind<br />

wie Zuckerwatte: Sie sind süss, aber<br />

lösen sich nach kurzer Zeit in Nichts<br />

auf. Was man <strong>Rushdie</strong> jedoch zugute<br />

halten muss: Trotz dem Märchengenre<br />

gleitet er nie in Kitsch oder ins Pittoreske<br />

ab. Dafür ist er zu sehr Anarchist.<br />

Und wenn er kürzlich verlauten liess, er<br />

habe schon lange nicht mehr so viel<br />

Spass gehabt wie bei diesem Werk, so<br />

glaubt man ihm gerne. Es ergeht einem<br />

als Leser nämlich ebenso. ●

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