Salman Rushdie Luka und das Lebensfeuer - Neue Zürcher Zeitung
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Sachbuch<br />
Deutschland Die Publizistin Cora Stephan rechnet mit B<strong>und</strong>eskanzlerin Angela Merkel ab.<br />
Eine Kritik aus bürgerlicher Sicht<br />
Eine Wählerin wendet sich ab<br />
Cora Stephan: Angela Merkel. Ein Irrtum.<br />
Knaus, München 2011. 224 Seiten,<br />
Fr. 26.90.<br />
Von Ina Boesch<br />
Beim Fall Guttenberg hat Angela Merkel<br />
erneut Führungsschwäche bewiesen:<br />
Trotz des massiven Protests der Wissenschafter<br />
hat sie dem Verteidigungsminister<br />
ihr Vertrauen ausgesprochen.<br />
Diese Aktualität konnte Cora Stephan<br />
nicht mehr in ihre polemische Streitschrift<br />
aufnehmen – es wird sie gewurmt<br />
haben. Der Fall illustriert bestens den<br />
Regierungsstil der einst unscheinbaren<br />
Naturwissenschafterin, die sich zur<br />
deutschen «Mutti» mauserte <strong>und</strong> nun<br />
anspruchslos vor sich hinregiere. Und<br />
Probleme sitze sie hartnäckiger aus als<br />
ihr Ziehvater Helmut Kohl.<br />
Cora Stephan ist, wie so viele, abgr<strong>und</strong>tief<br />
enttäuscht von der Kanzlerin,<br />
die in Zeiten der Krise kein Projekt<br />
habe, <strong>das</strong> die Deutschen beflügeln<br />
könne. Stephan hat Merkel gewählt, weil<br />
sie «anders» war: unbefangen, unbelastet,<br />
ungeübt, unprätentiös, uneitel, unabhängig.<br />
Es war <strong>das</strong> kleine Präfix «un»,<br />
welches die damalige Kanzlerkandidatin<br />
Angela Merkel von ihren Konkurrenten<br />
positiv unterschied <strong>und</strong> sie für viele<br />
CDU-ferne Wählerinnen wählbar machte.<br />
So auch für die Publizistin Cora Stephan,<br />
welche die Frau aus dem Osten<br />
erfrischend fand.<br />
Für die Frankfurterin, die einst zur radikalen<br />
«Pflasterstrand»-Redaktion gehörte,<br />
repräsentierte die DDR-Pflanze<br />
Michael Hüther: Die disziplinierte Freiheit.<br />
Eine neue Balance von Markt <strong>und</strong> Staat.<br />
Murmann, Hamburg, 2011. 200 Seiten,<br />
Fr. 30.50.<br />
Von Sebastian Bräuer<br />
Die Finanzkrise hat bei vielen Volkswirten<br />
Selbstzweifel ausgelöst. Nicht nur,<br />
weil die Verwerfungen der Jahre 2008<br />
<strong>und</strong> 2009 von kaum einem Experten<br />
vorhergesehen worden waren. Sondern<br />
noch mehr, weil der Beinahekollaps des<br />
amerikanischen Bankensystems die vorher<br />
mehrheitsfähige Lehre von den<br />
Selbstheilungskräften der Finanzmärkte<br />
eindrucksvoll widerlegt hatte. Raguram<br />
Rajan, ehemaliger Chefökonom des Internationalen<br />
Währungsfonds, hat die<br />
Stimmungslage innerhalb seiner Zunft<br />
vor kurzem in ein vernichtendes Urteil<br />
gebündelt: «Ich würde behaupten, <strong>das</strong>s<br />
22 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3. April 2011<br />
Meisterin im<br />
Aussitzen statt<br />
Reformmotor: Angela<br />
Merkel kommt in Cora<br />
Stephans Streitschrift<br />
schlecht weg.<br />
drei Faktoren unser kollektives Versagen<br />
im Wesentlichen erklären: Spezialisierung,<br />
die Schwierigkeit, Vorhersagen<br />
zu treffen, <strong>und</strong> die Losgelöstheit eines<br />
Grossteils der Ökonomen von der realen<br />
Welt.»<br />
Bei Michael Hüther, seit 2004 Direktor<br />
des Instituts der deutschen Wirtschaft<br />
in Köln, ist von derartiger Selbstreflexion<br />
nichts zu spüren. Er belegt mit<br />
seinem aktuellen Werk, <strong>das</strong>s es weiterhin<br />
prominente Ökonomen gibt, die unbeeindruckt<br />
im Vorkrisendenken verharren.<br />
Statt sich an Erklärungen für die<br />
schwerste Rezession seit den 30er Jahren<br />
zu versuchen, bezeichnet er diese<br />
mal verschleiernd als «spontane Unordnung»,<br />
mal verniedlichend als «Wachstumspause».<br />
Sie nicht kommen gesehen<br />
zu haben, sei «kein Gr<strong>und</strong> zu Scham <strong>und</strong><br />
Schande». Derart reingewaschen, erteilt<br />
er der Politik erwartbare Ratschläge.<br />
Hüther ist gegen eine Finanzmarktsteu-<br />
nicht «die provinzielle Wessi-Kultur der<br />
Alt-68er», sondern sie hielt den Wert<br />
der Freiheit hoch <strong>und</strong> versprach, «Reformmotor»<br />
zu sein. Eine solche Liebe,<br />
die vor allem auf der Abgrenzung zu<br />
schlechteren Alternativen beruht, muss<br />
zu einer enttäuschten Liebe werden. Mit<br />
dieser zwangsläufigen Entwicklung hat<br />
Cora Stephan erstaunlicherweise nicht<br />
gerechnet. Das Ausmass der Wut, <strong>das</strong><br />
einem bei der Lektüre des polemischen<br />
Essays entgegenschlägt, legt diesen<br />
Schluss nahe. Zu gross war offensichtlich<br />
die Hoffnung auf einen neuen Regierungsstil<br />
<strong>und</strong> notwendige Reformen<br />
gewesen, so<strong>das</strong>s die Essayistin heute die<br />
notwendige Distanz vermissen lässt.<br />
Naiv kann man Cora Stephan, die seit<br />
Jahren kluge Essays <strong>und</strong> unter dem<br />
Pseudonym Anne Chaplet bitterböse<br />
Krimis schreibt, beileibe nicht nennen.<br />
Sie schreibt vielmehr als Vertreterin<br />
jener Menschen, «die ihre Interpretation<br />
der Wirklichkeit für entschieden<br />
tauglicher halten als die der politischen<br />
Klasse». Sie hält der Kanzlerin vor, ein<br />
Gespür für jene Mitte vermissen zu lassen.<br />
Auch ein Gespür für sie als Steuerzahlerin:<br />
«Sie plündert die Kassen, auch<br />
die zukünftiger Generationen, <strong>und</strong><br />
nimmt die Steuerbürger in Geiselhaft.»<br />
An der verpassten Steuerreform<br />
macht Stephan unter anderem den «Irrtum»<br />
Merkel fest, der sich aus fünf grossen<br />
Irrtümern zusammensetze. So kreidet<br />
sie der Kanzlerkandidatin an,<br />
während des Wahlkampfes 2005 unter<br />
der Attacke von Gerhard Schröder von<br />
ihrem designierten Finanzminister<br />
Kirchhoff, der die sozialste <strong>und</strong> radikalste<br />
Steuerreform vorgeschlagen habe, abgerückt<br />
zu sein (Irrtum 1). Weiter macht<br />
sie ihr den Vorwurf, die Rentengarantie<br />
beschlossen zu haben (2); dem Minderwertigkeitskomplex<br />
Deutschlands gegenüber<br />
nach wie vor befangen zu sein<br />
(3); die Debatte über die Vertreibung<br />
der Deutschen <strong>und</strong> die Versöhnung mit<br />
den Nachbarn wenig sachgerecht zu<br />
lösen (4) sowie <strong>das</strong> ehrgeizige Ziel zu<br />
verfolgen, die Erderwärmung auf höchstens<br />
zwei Grad zu begrenzen (5).<br />
Letzteres findet Stephan «übertrieben<br />
ehrgeizig», nähmen doch die begründeten<br />
Zweifel am menschengemachten<br />
Klimawandel zu. Den Gr<strong>und</strong><br />
für die Zweifel erwähnt sie nicht, wie sie<br />
auch sonst selten Belege anführt. Ihre<br />
Wut auf Merkel, ihre Frustration über<br />
die gegenwärtige Misere sind ihr für den<br />
R<strong>und</strong>umschlag Gr<strong>und</strong> genug. Für mich<br />
als Leserin ist <strong>das</strong> zu wenig. ●<br />
Ökonomie Ordnungspolitische Programmschrift aus dem Institut der deutschen Wirtschaft<br />
Wenig gelernt aus der Finanzkrise<br />
MICHAEL SOHN / AP<br />
er (sie treffe die Falschen), für Studiengebühren<br />
(um die Bildungsausgaben erhöhen<br />
zu können) <strong>und</strong> gegen einen<br />
branchenübergreifenden Mindestlohn<br />
(er bedrohe Arbeitsplätze).<br />
Teilweise sind die im Vorbeigehen<br />
formulierten Gedanken harter Tobak.<br />
Etwa der indirekt vorgetragene Vorwurf,<br />
Demonstranten gegen Infrastrukturprojekte<br />
gefährdeten die Funktionsfähigkeit<br />
moderner Gesellschaften. Erwähnenswert<br />
ist der Vorschlag zur Lösung der<br />
Eurokrise, alle Länder der Europäischen<br />
Währungsunion sollten eine Schuldenbremse<br />
nach deutschem <strong>und</strong> Schweizer<br />
Vorbild einführen. Relevant ist zudem<br />
die Thematisierung des Fachkräftemangels,<br />
der ein Umdenken in der Zuwanderungspolitik<br />
nötig mache. Doch unterm<br />
Strich tut Hüther genau <strong>das</strong>, was er<br />
Nichtökonomen vorwirft, die sich gegen<br />
Reformen stemmen: Er hält an Altem<br />
<strong>und</strong> scheinbar Bewährtem fest. ●