Salman Rushdie Luka und das Lebensfeuer - Neue Zürcher Zeitung
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Sachbuch<br />
Erinnerungen Der Biochemiker Gottfried Schatz erzählt aus seinem aufregenden Forscherleben<br />
Auch Wissenschafter sind Menschen<br />
Gottfried Schatz: Feuersucher. Die Jagd<br />
nach dem Geheimnis der Lebensenergie.<br />
NZZ Libro, Zürich 2011. 221 S., Fr. 34.-.<br />
Von Patrick Imhasly<br />
Die Arbeit eines Naturwissenschafters<br />
ist eine elende Plackerei. Wer es zum<br />
Beispiel als Biochemiker zu Ruhm <strong>und</strong><br />
Ehre bringen will, muss sich manchmal<br />
die Nächte im Labor um die Ohren<br />
schlagen. Unzählige Male wiederholt er<br />
seine Experimente, nur um Monate später<br />
festzustellen, <strong>das</strong>s sein Ansatz<br />
schlicht <strong>und</strong> einfach falsch war.<br />
So erging es in jungen Jahren auch<br />
Gottfried Schatz. Der gebürtige Österreicher<br />
war bis zu seiner Emeritierung<br />
im Jahr 2000 Professor am Biozentrum<br />
Basel, danach stand er vier Jahre lang<br />
dem Schweizerischen Wissenschafts-<br />
<strong>und</strong> Technologierat vor, der den Bun-<br />
Das amerikanische Buch Lomax hat der Welt die Kultur der Folklore gebracht<br />
Folklore-Forscher, Musiker <strong>und</strong> Konzertveranstalter:<br />
Diese Liste der<br />
Metiers, in denen sich Alan Lomax<br />
(1915–2002) gut 70 Jahre lang r<strong>und</strong> um<br />
den Erdball betätigt hat, ist noch sehr<br />
unvollständig. Der Texaner hat Musiker<br />
in andalusischen Bergdörfern, den<br />
Hebriden oder in den Gefängnis-<br />
Farmen des amerikanischen Südens<br />
aufgenommen <strong>und</strong> neben Büchern <strong>und</strong><br />
akademischen Artikeln zahllose Radiosendungen<br />
sowie umfangreiche Serien<br />
für Plattenfirmen wie Decca geschaffen.<br />
Alan Lomax hat seine kaum mehr<br />
überschaubaren Projekte <strong>und</strong> Reisen<br />
stets akribisch dokumentiert.<br />
Doch eben dies mag bislang Biografen<br />
abgeschreckt haben. So ist es nun<br />
John Szwed zu danken, <strong>das</strong>s er sich für<br />
Alan Lomax. The Man Who Recorded the<br />
World (Viking 2010, 438 Seiten) nach<br />
eigenen Angaben durch 5000 St<strong>und</strong>en<br />
Musik, 130 Kilometer Film <strong>und</strong> 200<br />
Bände mit Aufzeichnungen <strong>und</strong><br />
Dokumenten gearbeitet hat. Der Musikwissenschafter<br />
ist durch exzellente<br />
Biografien über die Jazz-Grössen Miles<br />
Davis <strong>und</strong> Sun Ra bekannt geworden.<br />
Die umfangreichen Materialien fand<br />
Szwed im Nachlass von Lomax an der<br />
Columbia University in New York.<br />
Ansporn <strong>und</strong> Hilfe zugleich war für den<br />
Biografen die Tatsache, <strong>das</strong>s er an der<br />
Universität lehrt <strong>und</strong> Lomax dort in<br />
den 1960er Jahren kennenlernen<br />
konnte. Eigensinnig, dabei mitunter<br />
von Zweifeln geprägt <strong>und</strong> doch selbstbewusst<br />
bis zur Arroganz, hat der<br />
Folklorist zeitlebens eine akademische<br />
oder kommerzielle Karriere verschmäht.<br />
Gleichzeitig machte ihn sein<br />
26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3. April 2011<br />
desrat in Sachen Wissenschaftspolitik<br />
berät. Gottfried Schatz hat eine glänzende<br />
internationale Karriere als Forscher<br />
hinter sich. Und wie kein anderer in der<br />
Schweizer Forschungslandschaft hat er<br />
sich dafür stark gemacht, <strong>das</strong>s die Universitäten<br />
ihre steilen Hierarchien abschaffen,<br />
jungen Talenten Raum geben<br />
<strong>und</strong> ohne schlechtes Gewissen nur die<br />
Besten unter den Besten fördern.<br />
Jetzt legt Gottfried Schatz mit «Feuersucher»<br />
einen Rückblick auf sein vielfältiges<br />
Forscherleben vor. Das Buch ist<br />
nicht bloss eine Biografie, sondern ein<br />
spannender Streifzug durch mehr als ein<br />
halbes Jahrh<strong>und</strong>ert Zeitgeschehen, Wissenschaftsgeschichte<br />
<strong>und</strong> durch <strong>das</strong><br />
Wesen wissenschaftlichen Denkens<br />
schlechthin. Schonungslos schildert der<br />
Wissenschafter etwa, wie er als junger<br />
Student in der Nachkriegszeit seine österreichische<br />
Heimat als «ein verstocktes<br />
geistiges Abseits ohne politische<br />
Der Folklore-Forscher<br />
Alan Lomax (zweiter<br />
von rechts) mit dem<br />
Sänger Pete Seeger<br />
(ganz rechts) bei<br />
einer Probe.<br />
Autor John Szwed<br />
(unten).<br />
Engagement für Gewerkschaften <strong>und</strong><br />
linke Zwecke – häufig an der Seite von<br />
Fre<strong>und</strong>en wie Woody Guthrie <strong>und</strong> Pete<br />
Seeger – für Arbeitgeber zu einem Risiko.<br />
Im fortgeschrittenen Alter fand Lomax<br />
jedoch an der Columbia University<br />
eine karg bezahlte Anstellung, die seine<br />
permanente Geldnot lindern konnte.<br />
Szwed nähert sich seinem komplexen<br />
Protagonisten in klassischer Manier,<br />
umklammert seine chronologische<br />
Lebensbeschreibung jedoch mit persönlichen<br />
Erinnerungen an Lomax. Damit<br />
wird dieser Enthusiast, dessen<br />
Bohemien-Habitus so gar nicht zu seiner<br />
Energie <strong>und</strong> Disziplin als Forscher<br />
passen will, auch als Person greifbar.<br />
Szwed macht deutlich, wie stark Lomax<br />
zunächst im Schatten seines Vaters<br />
John stand, der ihn schon als Teenager<br />
auf musikalische Forschungsreisen<br />
zwischen Texas <strong>und</strong> Florida mitgenommen<br />
hat. Die Unsicherheit über den<br />
JOHN COHEN / GETTY IMAGES<br />
Reife, Ehrlichkeit <strong>und</strong> Weltoffenheit»<br />
erlebte. Weitergekommen ist er erst<br />
durch mehrere Forschungsaufenthalte<br />
in den USA, wo gerade an den renommiertesten<br />
Instituten stets eine «lockere<br />
<strong>und</strong> internationale Arbeitsatmosphäre»<br />
herrschte.<br />
Als Krimi im Wissenschaftsmilieu beschreibt<br />
Schatz die Entstehung seines<br />
eigenen Spezialgebiets: die Erforschung<br />
der Mitochondrien, der Kraftwerke unserer<br />
Zellen. Diese Geschichte ist geprägt<br />
von brillanten Forschern mit verrückten<br />
Ideen, aber auch von Neid,<br />
Missgunst <strong>und</strong> kruden Fälschungen. Bisweilen<br />
mutet die Erzählweise von<br />
Schatz etwas barock an. Trotzdem: Mit<br />
«Feuersucher» ist ihm ein Wurf gelungen.<br />
Immer klar <strong>und</strong> anschaulich, oft<br />
witzig <strong>und</strong> erfrischend selbstironisch,<br />
erklärt er uns, wie Forschung funktioniert<br />
<strong>und</strong> Wissenschafter ticken – die<br />
halt auch nur Menschen sind. ●<br />
eigenen Daseinszweck erklärt für den<br />
Bio grafen die Selbstzweifel <strong>und</strong> die<br />
mangelnde Zuverlässigkeit des<br />
Familienmannes Alan Lomax. Aber<br />
diese Schwächen verblassen vor der<br />
Selbstlosigkeit, mit der er «Entdeckungen»<br />
wie den Bluessänger Leadbelly<br />
gefördert hat. Dem Forscher ging es<br />
allem Anschein nach in erster Linie um<br />
die Sache, die er selbst im Sinne einer<br />
vergleichenden Musikwissenschaft als<br />
Suche nach den Verbindungen zwischen<br />
«Song <strong>und</strong> Seele» begriff.<br />
Lomax suchte Musik als «cantometrischen<br />
Code» zu entschlüsseln, in dem<br />
Menschen festhalten <strong>und</strong> übermitteln,<br />
wie sie sich selbst wahrnehmen <strong>und</strong><br />
miteinander <strong>und</strong> der Welt um sie<br />
herum umgehen.<br />
Lomax konnte dieses ehrgeizige Projekt<br />
nicht abschliessen. Aber dies mindert<br />
seine Bedeutung nicht. Obwohl die<br />
«New York Times» in ihrer ansonsten<br />
positiven Kritik eine fehlende Wirkungsgeschichte<br />
von Lomax vermisst,<br />
arbeitet Szwed heraus, wie stark der<br />
Folklorist nicht nur Musiker von<br />
Muddy Waters bis zu Bob Dylan, den<br />
Beatles oder den Rolling Stones<br />
berührt hat. Er hat auch weltweit mit<br />
Politikern, Künstlern <strong>und</strong> Intellektuellen<br />
zusammengewirkt, um hier nur<br />
Eleanor Roosevelt <strong>und</strong> Alberto Moravia<br />
zu nennen. So war Lomax nicht nur<br />
«der beste Zuhörer», den viele Musiker<br />
je hatten. Szwed zeigt, <strong>das</strong>s sein Einfluss<br />
eigentlich kaum auszuloten ist:<br />
Lomax hat der Welt die in Folklore<br />
enthaltene Kultur verfügbar gemacht,<br />
als die Unterhaltungsindustrie diese<br />
aufzulösen begann. ●<br />
Von Andreas Mink