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Dom-Magazin - Der Dom

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20<br />

Germanicus<br />

kommt ins Stolpern<br />

Eine franziskanische Geschichte<br />

Germanicus ging voraus, Franziskus folgte ihm. Sie waren<br />

auf dem Weg nach Foligno. Die Straße war hart und steinig,<br />

es war Nachmittag, und die Sonne trieb ihnen den<br />

Schweiß auf die Stirn. „Wenn wir singen“, meinte Franz,<br />

„und wenn wir dabei unsere Beine im Rhythmus bewegen,<br />

dann geht es leichter.“<br />

Schon stimmte er ein provencalisches Lied an, ein Lied<br />

vom Sommer, von bunten Farben, reifen Früchten und von<br />

der Liebe.<br />

Germanicus tat sich schwer mit dem Rhythmus und<br />

kam immer wieder ins Stolpern. Schließlich polterte er los:<br />

„Franziskus, entweder wir singen oder wir gehen. Beides<br />

geht nicht.“<br />

„Ich finde, es macht alles ein wenig leichter“, entgegnete<br />

Franz. „Wenn ich singe, vergesse ich die wunden Füße,<br />

und wenn ich gehe, lehren mich die Beine den Rhythmus.<br />

Ich lasse meine Gedanken los, dann geht es gut.“<br />

„Es geht eben nicht gut“, wehrte sich Germanicus. „Es ist<br />

wie im richtigen Leben: Du musst dich entscheiden! Entweder<br />

singen oder gehen, entweder wach sein oder schlafen,<br />

entweder richtig oder falsch.“<br />

„Entweder oder …“, seufzt Franziskus. „Weißt du, wie<br />

viel Unglück dieses Wort bringen kann? Wir lachen über<br />

Foto: Rainer Hennecke<br />

Andersdenkende, wir wiesen die Aussätzigen aus der Stadt,<br />

wir führen Kriege gegen andere Kulturen … Warum? Weil<br />

es in unseren Köpfen dieses „Entweder oder“ gibt. Schau<br />

doch, Gott schuf den Tag und die Nacht, das Festland und<br />

das Wasser, die Sonne und den Schatten, den Mann und<br />

die Frau. Ich finde dieses kleine Wort ,und‘ so schön. Und<br />

darum mag ich gehen und singen zugleich.“<br />

(Entdeckt in der Franziskanerkirche Paderborn. Aus „Franziskaner“, <strong>Magazin</strong> für franziskanische<br />

Lebensart. Text: Helmut Schlegel OFM; Illustration: Michael Blasek OFM)<br />

Gebet des älter werdenden Menschen<br />

O Herr, bewahre mich vor der<br />

Einbildung, bei jeder Gelegenheit<br />

und zu jedem Thema etwas sagen zu<br />

müssen.<br />

Erlöse mich von der großen<br />

Leidenschaft, die Angelegenheiten<br />

anderer ordnen zu wollen.<br />

Lehre mich nachdenklich, aber nicht<br />

grüblerisch, hilfreich, aber nicht<br />

diktatorisch zu sein.<br />

Bewahre mich vor der Aufzählung<br />

endloser Einzelheiten und verleihe mir<br />

Schwingen, zur Pointe zu gelangen.<br />

Lehre mich zu schweigen über meine<br />

Krankheiten und Beschwerden.<br />

Sie nehmen zu, und die Lust sie zu<br />

beschreiben, wächst von Jahr zu Jahr.<br />

Ich wage nicht, die Gabe zu erflehen,<br />

mir die Krankheitsbilder anderer mit<br />

Freuden anzuhören, aber lehre mich,<br />

sie geduldig zu ertragen.<br />

Lehre mich die wunderbare Weisheit,<br />

dass ich mich irren kann.<br />

Erhalte mich so liebenswert wie<br />

möglich.<br />

Lehre mich, an anderen Menschen<br />

unerwartete Talente zu entdecken und<br />

verleihe mir, o Herr, die schöne Gabe,<br />

sie auch zu erwähnen.<br />

Teresa von Avila (1515-1582)

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