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Zu<br />

Beginn der Weltwirtschaftskrise<br />

wollte die DVP – die Partei der<br />

Industrie <strong>und</strong> des Großbürgertums – eine<br />

der wichtigsten sozialpolitischen Errungenschaften<br />

der Weimarer Republik, die<br />

Arbeitslosenversicherung, als „Systemfehler”<br />

beseitigen, den „sozialpolitischen<br />

Pfahl aus dem Fleische des kapitalistischen<br />

Wirtschaftssystems herausreißen”<br />

(1929). In Medienkampagnen wurde der<br />

„Mißbrauch” dieser Institution angeprangert:<br />

Hotelangestellte in großen Kurorten,<br />

die nicht nur versicherungspflichtiges<br />

Gehalt, sondern enorme Trinkgelder im<br />

Sommer kassieren würden, um im Winter<br />

ganz bequem Arbeitslosengeld zu kassieren;<br />

Bauern, die ihre Söhne als Landarbeiter<br />

einstellten <strong>und</strong> sie hernach entlassen<br />

würden, damit sie Arbeitslosenunterstützung<br />

kassieren könnten.<br />

Ähnlichkeiten zu heute sind kein Zufall.<br />

Der „Umbau des Sozialstaats” BRD<br />

beginnt fast identisch.<br />

EINE GROSS ANGELEGTE MISSBRAUCHSKAM-<br />

PAGNE DER BUNDESREGIERUNG SOLL ANPRAN-<br />

GERN, NICHT NUR, WO GESPART WERDEN MUSS,<br />

SONDERN VOR ALLEM, WER AN DER WIRTSCHAFT-<br />

LICHEN KRISE DIE SCHULD TRÄGT. EBEN DIE<br />

ZAHLREICHEN „SOZIALSCHMAROTZER” DIESER<br />

GESELLSCHAFT, DIE MIT ALLER SELBSTVER-<br />

STÄNDLICHKEIT DIE SOZIALEN EINRICHTUNGEN<br />

DIESES STAATES BENUTZEN.<br />

Daß dies keine Geschenke, sondern<br />

Ergebnisse eines aus Arbeit finanzierten<br />

sozialen Sicherungssystems sind, wird<br />

geflissentlich übergangen.<br />

BUNDESKANZLER KOHLS REDE VOM SOZIALSTAAT<br />

BRD ALS „KOLLEKTIVER FREIZEITPARK” IM<br />

Ähnlichkeiten <strong>und</strong> Unterschiede sozialer Entwicklungen 1929 <strong>und</strong> 1993/94<br />

JAHR 1993 ÄHNELT NICHT ZUFÄLLIG REICHS-<br />

KANZLER VON PAPENS ANGRIFF GEGEN DEN<br />

WEIMARER STAAT ALS „WOHLFAHRTSANSTALT”<br />

IM JUNI 1932.<br />

„Bonn ist nicht Weimar” – diese allseits<br />

beliebte Floskel wird um so mehr zur<br />

Selbstberuhigung bemüht, als es nötig<br />

wäre, Ähnlichkeiten <strong>und</strong> Identitäten zu<br />

suchen, um eine neue faschistische Entwicklung<br />

zu verhindern. Doch das Gegenteil<br />

geschieht. Indem eine Binsenwahrheit<br />

strapaziert wird (Bonn ist tatsächlich nicht<br />

Weimar), erübrigt sich die Suche nach<br />

Gemeinsamkeiten, die den Faschismus<br />

haben entstehen lassen. Eine Krise der<br />

Wirtschaft, die den Zweck ihres Wirtschaftens,<br />

die Anhäufung von Kapital zur weiteren<br />

Vermehrung nicht mehr ausreichend<br />

realisieren kann, <strong>und</strong> eine gesellschaftliche<br />

Krise, die als Politik-, Partei- <strong>und</strong> Parlamentsverdrossenheit<br />

daherkommt.<br />

Auch das nicht unähnlich zu aktuellen Entwicklungen.<br />

Sodann der erste Schritt zur<br />

Krisenlösung: ran an die Arbeitskosten,<br />

ran an den Lohn in allen seinen Abteilungen,<br />

vom Arbeits- bis zum Soziallohn.<br />

„SKPWG“ HEISST DIE BONNER NOTVERORD-<br />

NUNG – „SPAR-, KONSOLIDIERUNGS- UND<br />

WACHSTUMSPROGRAMM-GESETZ” VOM OKTO-<br />

BER 93. „NOTVERORDNUNG ZUR SICHERUNG VON<br />

WIRTSCHAFT UND FINANZEN“ NANNTE BRÜNING<br />

SEINE SPAR- UND DEFLATIONSPOLITIK ZWISCHEN<br />

1930 UND 1932, DIE NEBEN EINEM RASCHEN<br />

VERFALL DER KAUFKRAFT ZU EINER EBENSO<br />

RASCHEN VERSCHÄRFUNG DER KRISE FÜR ARBEI-<br />

TENDE UND ARBEITSLOSE FÜHRTE.<br />

Nach Brünings vierter Notverordnung gab<br />

es 1932 offiziell 6,128 Millionen<br />

(geschätzt 10 Millionen) Arbeitslose in<br />

Deutschland. Dem Kabi<strong>net</strong>t Brüning folgten<br />

in noch kürzeren Abständen zwei weitere<br />

Präsidialkabi<strong>net</strong>te von Papens (sechs<br />

Monate) <strong>und</strong> Schleichers (zwei Monate),<br />

die nur noch nach Artikel 48 der Weimarer<br />

Verfassung unter Ausschaltung des Parlaments<br />

regierten, ehe am 30. Januar 1933<br />

die verfassungsmäßige Übertragung der<br />

Macht an Adolf Hitler den Faschismus etablierte.<br />

Kaum war das SKWP-Gesetz eingebracht,<br />

kündigten Kohl, Waigel, Schäuble weitere<br />

Einsparungen an. Die zweite demokratische<br />

Notverordnung, der die dritte, vierte<br />

usw. folgt?<br />

An dieser Stelle muß von einigen Unterschieden<br />

gesprochen werden. Der erste<br />

wichtige: die Wirtschaftskrise. Die Weimarer<br />

folgte einer Weltwirtschaftskrise, die<br />

nicht nur Absatzstockungen <strong>und</strong> konjunkturelle<br />

Rückgänge brachte, sondern eine<br />

tiefgreifende Akkumulationskrise war. Der<br />

übliche Krisenbehebungs-Mechanismus<br />

war durch Kapitalmangel infolge der Bankenkrise<br />

(Abzug ausländischen Kapitals<br />

aus Deutschland) <strong>und</strong> der Lasten aus den<br />

Reparationen des Versailler Vertrages<br />

nicht anwendbar. Die deutschen Kapitalbesitzer<br />

verlangten vom Staat daher einen<br />

quasi Totalschnitt in die soziale Sicherung<br />

<strong>und</strong> das kollektive Arbeits- <strong>und</strong> Tarifrecht.<br />

Die Mittel „zur Belebung der Wirtschaft”<br />

(wie die späteren Notverordnungen<br />

hießen) mußten daher nahezu ausschließlich<br />

von den Arbeitenden <strong>und</strong> Arbeitslosen<br />

im Lande geholt werden. Innerhalb von<br />

eineinhalb Jahren hatte der ADGB (Allgemeiner<br />

Deutscher Gewerkschaftsb<strong>und</strong>)<br />

Ende 1931<br />

errech<strong>net</strong>, waren die<br />

Löhne um durchschnittlich<br />

28%<br />

gesunken, um mehr<br />

als das Doppelte der<br />

gleichfalls versproche-<br />

nen Preissenkungen. Die binnenwirtschaftliche<br />

Krise war damit dramatisch<br />

verschärft worden. Der Außenhandel<br />

krankte an den Folgen der Weltwirtschaftskrise<br />

des Weltmarktes, der zum<br />

großen Teil zusammengebrochen war,<br />

zumal das Deutsche Reich nach dem verlorenen<br />

Ersten Weltkrieg nicht in den<br />

Rang einer ökonomischen Großmacht<br />

aufgestiegen war. Den erreichte es erst<br />

durch das gänzlich auf Aufrüstung <strong>und</strong><br />

territoriale sowie kriegerische Expansion<br />

ausgerichtete nationalsozialistische Programm.<br />

Und Anfang l994? Der Unterschied ist<br />

augenfällig. Die B<strong>und</strong>esrepublik ist nach<br />

wie vor die zweitgrößte Exportnation, hinter<br />

den USA, umgerech<strong>net</strong> auf die Bevölkerungszahl<br />

sogar die Nummer Eins. Die<br />

jetzige Wirtschaftskrise in der Welt ist eine<br />

konjunkturelle Absatzkrise, die nicht überall<br />

gleich tief greift. Aus den USA <strong>und</strong><br />

Großbritannien wird bereits konjunktureller<br />

Aufschwung gemeldet. Die deutsche<br />

Krise ist eine doppelte: zum einen eine verzögerte<br />

konjunkturelle in Folge der deutschen<br />

Vereinigung, zum zweiten eine aus<br />

der veränderten Lage in der Welt (nach<br />

dem Zusammenbruch des „realen Sozialismus“)<br />

durch verschärfte Konkurrenz<br />

zwischen den großen imperialistischen<br />

Zentren (Japan/Asien, USA/Nafta,<br />

Deutschland/Europa), um die Spitzentechnologien<br />

<strong>und</strong> die Märkte der Zukunft.<br />

ANDERS ALS 1929 TOBT DER KAMPF UM WELT-<br />

MARKTANTEILE AUS DEUTSCHER SICHT NICHT AUS<br />

DER POSITION DES WIRTSCHAFTLICHEN NACH-<br />

ZÜGLERS, SONDERN AUS DER KONKURRENZ UM<br />

SPITZENPLÄTZE.<br />

So der heutige Stand, niemand ist jedoch<br />

derzeit in der Lage, einigermaßen seriös<br />

<strong>und</strong> f<strong>und</strong>iert Prognosen über die weitere<br />

Entwicklung zu erstellen. So ist eine Verschärfung<br />

der Krise ebensowenig auszuschließen<br />

wie eine noch tiefergehendere<br />

Strukturkrise, die sich zu einer einschnei-<br />

denden Akkumulationskrise ausweiten<br />

könnte. Träte dieser Fall ein, würde mit<br />

Sicherheit der heute bereits deutlich<br />

erkennbare Prozeß der Faschisierung<br />

enorm verschärft werden: autoritäres,<br />

Kapitalinteressen vertretendes Regieren<br />

einerseits <strong>und</strong> die Wahlpropaganda andererseits,<br />

die Minderheiten die Schuld für<br />

die Krise zuweist, wie sie beispielhaft in<br />

der Asyldebatte deutlich geworden ist.<br />

Zwar ist die Krisenlage eine andere als in<br />

Weimarer Zeiten, doch gibt es dennoch<br />

strukturelle Ähnlichkeiten. In der heutigen<br />

Krise wird der vornehm als „Umbau des<br />

Sozialstaats” umschriebene Abbau von<br />

Lohn- <strong>und</strong> Sozialleistungen in einem Ausmaß<br />

betrieben, wie ihn die B<strong>und</strong>esrepublik<br />

noch nicht erlebt hat. Nach dem Sieg der<br />

Marktwirtschaft 1989/90 auf Weltebene,<br />

soll in Zukunft auch die Sozialpolitik den<br />

Kriterien des Marktes angepaßt werden.<br />

Neben dem technologischen Wettlauf auf<br />

der internationalen Bühne beherrscht der<br />

Kampf um die Höhe (besser: Tiefe) des<br />

Lohns den Binnenmarkt. Um dies durchzusetzen,<br />

wird die nationale Einheit<br />

beschworen, die jeden heutigen sozialen<br />

Widerstand hilflos erscheinen läßt: der<br />

„Standort Deutschland”<br />

muß Weltspitze<br />

sein, dem<br />

hat sich alles<br />

andere unterzuordnen.Entsprechend<br />

schwach<br />

ist der<br />

Protest gegen soziale Einschnitte. Nicht<br />

nur strategisch aufgr<strong>und</strong> der Widerstandsbedingungen,<br />

sondern auch in den<br />

Formulierungen der Gegner des Sozialabbaus,<br />

allen voran der Gewerkschaften,<br />

weil sie keiner anderen Logik folgen.<br />

DA ES KEINE GESELLSCHAFTLICHE UND ÖKONOMI-<br />

SCHE ALTERNATIVE ZUM MARKTWIRTSCHAFTLI-<br />

CHEN RAUBZUG DES LEISTUNGSSTÄRKEREN GIBT,<br />

ORIENTIERT SICH AUCH DER SOZIALE WIDERSTAND<br />

AN DER STANDORTPOLITIK.<br />

Und das heißt: wir auf Kosten der anderen,<br />

zunächst im internationalen Rahmen <strong>und</strong><br />

sodann auch national. Was dem „Standort<br />

Deutschland” nicht nützt, schadet ihm. So<br />

beginnt der innere Raubzug bei denen, die<br />

den Standortkriterien nicht entsprechen.<br />

Kein W<strong>und</strong>er, daß es zuerst die Nichtdeutschen<br />

getroffen hat, dann die Arbeitslosen<br />

<strong>und</strong> Sozialhilfebezieher – <strong>und</strong> dann?<br />

Die heutigen Krisenbewältigungsmaßnahmen,<br />

Sparpolitik <strong>und</strong> Kürzungen, folgen<br />

nahezu identisch dem Weimarer Muster.<br />

Um investives Kapital freizusetzen, wurden<br />

damals von Notverordnung zu Notverordnung<br />

in mehreren Schritten die<br />

Arbeitslosenhilfe gekürzt, immer größere<br />

Gruppen waren betroffen, die „Fürsorge”<br />

wurde reduziert, die Zumutbarkeitsanordnungen<br />

verschärft, die Krankenversicherung<br />

verschlechtert, Verbrauchs- <strong>und</strong> Einkommenssteuern<br />

erhöht <strong>und</strong> Unternehmenssteuern<br />

gesenkt.<br />

Der Unterschied zu heute besteht im<br />

Niveau der Leistungen, nicht aber in der<br />

Tendenz, den Standort Deutschland <strong>und</strong><br />

deutsche Subventionen in der Welt zu<br />

Lasten der sozial Schwächsten zu ermöglichen.<br />

Beispiel Arbeitslosenunterstützung:<br />

gilt in der B<strong>und</strong>esrepublik die Dauer<br />

des Arbeitslosengeldbezugs mindestens<br />

ein Jahr (altersmäßig nach oben verlängert),<br />

danach Arbeitslosenhilfe praktisch<br />

auf „Lebenszeit”, zusätzlich abgesichert<br />

durch die Sozialhilfe, die vom gr<strong>und</strong>legenden<br />

Lebensbedarf ausgeht (als „Existenz-<br />

minimum” formuliert), gab es in Weimar<br />

nur 26 Wochen Arbeitslosengeld, danach<br />

setzte die sogenannte „Krisenfürsorge”<br />

für weitere 26 Wochen ein, so daß der<br />

Arbeitslose nach einem Jahr auf die magere<br />

„Fürsorge” angewiesen war. Bereits<br />

Mitte 1932 waren mehr als die Hälfte der<br />

damals 5,7 Millionen Arbeitslosen aus den<br />

Leistungen der Versicherung rausgefallen<br />

<strong>und</strong> mußten von der „Fürsorge” leben, die<br />

wiederum die kommunalen Haushalte<br />

enorm belastete.<br />

Die B<strong>und</strong>esrepublik hatte im Herbst 1993<br />

geplant, auch die Zahlungen für Arbeitslosenhilfe<br />

zu begrenzen – nach Weimarer<br />

Vorbild.<br />

ENDE 1993 WURDE DER SOZIALABBAU ERST IM<br />

LETZTEN AUGENBLICK DURCH DEN WIDERSTAND<br />

DER KOMMUNEN GEBREMST: DIE BUNDESREGIE-<br />

RUNG PLANTE, DIE ARBEITSLOSENHILFE NACH<br />

ZWEI JAHREN AUSLAUFEN ZU LASSEN, SO DASS<br />

DER HEUTIGE ARBEITSLOSE NACH ZUMEIST DREI<br />

JAHREN AUF DIE SOZIALHILFE ZURÜCKGEWORFEN<br />

WORDEN WÄRE.<br />

Angesichts der aktuellen Entwicklung<br />

dürfte klar sein, daß aufgeschoben<br />

nicht aufgehoben bedeutet. Der<br />

nächste Sparhaushalt ist in Vorbereitung.<br />

Die Tendenz ist dabei nicht<br />

neu. Bereits in den ersten beiden<br />

Jahren der „Wenderegierung”<br />

Kohl wurden Arbeitslosengeld<br />

<strong>und</strong> -hilfe gekürzt. Die jüngsten<br />

Kürzungen, vor allem der<br />

Hilfe, werden die Zahl der<br />

Sozialhilfebezieher vervielfachen.<br />

ÄHNLICH DIE ENTWICKLUNG<br />

DER SOZIALHILFE SEIT 1982: DIE KÜRZUNGS-<br />

DYNAMIK HAT EINEN STAND ERREICHT, DER DEN<br />

GRUNDGEDANKEN DER SICHERUNG DES LEBENS-<br />

BEDARFS DE FACTO AUFGEGEBEN HAT.<br />

Sozialhilfe orientiert sich immer mehr an<br />

der ausgabenpolitischen Seite, um finanzpolitische<br />

oder gar lohnpolitische Krisen<br />

zu meistern.<br />

Der erste große Anlauf gegen bisherige<br />

Sozialstandards ist „erfolgreich” gemeistert.<br />

Die Vielzahl der in die Diskussion<br />

gebrachten Vorschläge, (von der 7-Tage-<br />

Woche, dem 10- St<strong>und</strong>en-Tag, über Streichung<br />

von Urlaubsgeld bis hin zu Karenztagen),<br />

folgt der Methode „steter Tropfen<br />

höhlt den Stein”. Der nächste große Einschnitt<br />

dürfte ein knappes Jahr auf sich<br />

warten lassen. 1994 ist bekanntlich „Superwahljahr”,<br />

da verbietet sich aus Rücksichtnahme<br />

auf die Wählerstimmen so<br />

mancher Schnitt, der bereits vorbereitet ist.<br />

IM KERN GEHT ES BEI ALLEN MAßNAHMEN UM<br />

DEN LOHN, UM DIE UMVERTEILUNG<br />

GESELLSCHAFTLICHEN REICHTUMS.<br />

Macht man sich die Logik der Standortsicherung<br />

zu eigen, dann stimmen die<br />

Rechnungen, die besagen, daß diese am<br />

ehesten über das Senken der Arbeitskosten<br />

zu erreichen ist. Ein Blick auf die verschärfte<br />

weltwirtschaftliche Konkurrenz<br />

wirkt dabei überzeugend. Daß die „soziale<br />

Frage” seit einem guten Jahr so massiv in<br />

der öffentlichen Diskussion aufgeworfen<br />

wird (Sozialabbau ist „das Wort des Jahres”<br />

1993), soll diese Einsicht verallgemeinern.<br />

Denn: so sehr nach 1989 in diesem<br />

Land wieder nationale Reden<br />

geschwungen werden, die Internationalisierung<br />

von Produktion <strong>und</strong> Märkten führt<br />

auch zu einer Internationalisierung der<br />

Arbeitsmärkte. Damit sind „nationale<br />

Tarifautonomie” <strong>und</strong> die national definierten<br />

Standards von Sozialstaatlichkeit out.<br />

DER ANGRIFF AUF SOZIALHILFE, ARBEITSLOSEN-<br />

GELD UND -HILFE SOLL DAS GESAMTE LOHNGEFÜ-<br />

Nummer 62 · 28.1.1994 · Seite 6<br />

GE NACH UNTEN VERSCHIEBEN, MIT EINER TEN-<br />

DENZ DER ANPASSUNG AN VERGLEICHBARE STAN-<br />

DARDS DER KONKURRENTEN.<br />

„Die Wahrung des Lohnabstandgebots in<br />

der Sozialhilfe”, wie es im Papier der B<strong>und</strong>esregierung<br />

zur „Sicherung des Standorts<br />

Deutschland“ vom September 1993<br />

heißt, meint genau diese Abwärtsorientierung.<br />

Der bisherige Soziallohn ist nicht<br />

nur eine Belastung der öffentlichen Haushalte,<br />

sondern hindert auch das Absenken<br />

des Lohns auf Preise, die bislang als ausreichendes<br />

Sozialeinkommen all jener galten,<br />

die keine Arbeit haben. Die Summen,<br />

die dabei eingespart werden <strong>und</strong> die deutschen<br />

Produkte konkurrenzfähiger machen<br />

sollen, liegen bei weitem über den<br />

zweistelligen Milliarden-Beträgen, die<br />

beim Soziallohn derzeit gespart werden.<br />

Die aktuellen wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen<br />

Operationen verfolgen denn auch das Ziel:<br />

Senkung der Lohnkosten, größere Flexibilität<br />

beim Einsatz von Arbeit <strong>und</strong> die Umschichtung<br />

von konsumptiven zu produktiven<br />

Ausgaben mit dem Ziel, am Standort<br />

Deutschland kostengünstiger<br />

zu produzieren.<br />

Von Weimar nach Bonn<br />

DER NÄCHSTE GROSSE ANGRIFF GILT DEM<br />

TARIFRECHT.<br />

Auch hier ist auf veränderter Entwicklungsstufe<br />

dieses Rechts die Parallelität zu<br />

Weimar verblüffend. „Die Macht des Tarifkartells<br />

zu verringern”, schreibt die „FAZ“,<br />

böten sich „erste Reformschritte” an: „Die<br />

Abschaffung der Allgemeinverbindlichkeit”<br />

der Tarifverträge. Genau diese erfolgte<br />

auch durch Staatseingriff 1930.<br />

Konsequent geht es weiter: „Die zwingende<br />

Einführung von Öffnungsklauseln in<br />

den Tarifverträgen <strong>und</strong> die Einrichtung<br />

von Tarifgruppen für Arbeitslose.“ Letzteres<br />

ist bereits Teil des Forderungskataloges<br />

von B<strong>und</strong>eswirtschaftsminister Rexrodt<br />

(FDP) an die Tarifpartner. Geschehe<br />

dies nicht, so die <strong>CDU</strong>/CSU-B<strong>und</strong>estagsfraktion,<br />

erweise sich die „Tarifpolitik als<br />

Jobkiller”. Gesetzlich ist die B<strong>und</strong>esregierung<br />

bereits weiter. Mit dem neuen Paragraphen<br />

449h des Arbeitsförderungsgesetzes,<br />

kann künftig eine untertarifliche<br />

Mischfinanzierung aus Arbeitslosengeld<br />

<strong>und</strong> Arbeitgeberzuschuß in Umwelt-,<br />

sozialen <strong>und</strong> Jugendprojekten erfolgen.<br />

ÄHNLICHES VERFOLGT ARBEITSMINISTER BLÜM<br />

(<strong>CDU</strong>) MIT SEINER NATIONALISTISCH VOR-<br />

GETRAGENEN IDEE, STATT AUSLÄNDISCHER,<br />

MEIST ÖSTLICHER „TOURISMUS”-ARBEITER ALS<br />

ERNTEHELFER, KÜNFTIG DEUTSCHE SOZIAL-<br />

HILFEBEZIEHER ZU VERPFLICHTEN, DIE AUF DEN<br />

NIEDRIGLOHN EINEN „AUFSTOCKUNGSBETRAG”<br />

ERHALTEN KÖNNTEN.<br />

Die Tariföffnungsklauseln sind zwar noch<br />

nicht zwingend, aber zunehmend Realität.<br />

Zunächst gaben die Gewerkschaften in<br />

Ostdeutschland dem Druck der dortigen<br />

Betriebsräte nach, Sondertarife zu vereinbaren.<br />

Dann befürwortete die IG-Metall<br />

„Sonderregelungen” für das Ruhrgebiet,<br />

weil, „wer zum Arbeitsamt muß, auch<br />

Bezahlung unter Tarif” akzeptieren werde.<br />

☛ Fortsetzung auf folgender Seite

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