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waren sie mit Kriegserzählungen konfrontiert, mit denen sie nichts anfangen konnten. „Alle reden<br />

ständig darüber, aber ich weiß überhaupt nicht, was das ist, Krieg!“, sagte Bekim aus Vurshti. Von<br />

Seiten der Minderheit wiederum wurde ihnen oft diese fehlende Erfahrung als Defizit vorgeworfen.<br />

Zudem wurden kosovarische Gleichaltrige von Abgeschobenen als aggressiv und „kriegsgeschädigt“<br />

(Mohamed 01.05.2006) empfunden. „Man muss bei denen immer aufpassen, was man sagt,<br />

weil sie ganz plötzlich aggressiv werden können.“ (Visar 02.05.2006).<br />

Während den Mädchen ihre Andersartigkeit zum Vorwurf gemacht wurde, war in der Befragung<br />

auffällig, dass Jungs daraus auch einen Vorteil ziehen konnten. Aufgrund ihres ‚Deutsch-Seins’<br />

wurde ihnen auch Anerkennung von Gleichaltrigen entgegengebracht. Dies rührt daher, dass<br />

Deutschland als eines der beliebtesten Emigrationsziele gilt. Oft galten sie als ‚Exemplare’ der<br />

‚modernen Welt’, denen es nachzueifern galt. In vier Fällen wurde überraschenderweise erwähnt,<br />

dass ihnen eine gute Erziehung bescheinigt wurde: Sie wären höflicher und benutzten eine weniger<br />

vulgäre Sprache. Dies könnte ihnen unter Umständen behilflich sein, sich insbesondere der älteren<br />

Generation gegenüber in Strukturen einzufinden, die ihnen bei der Arbeitssuche förderlich sein<br />

könnten. Eventuell würden sie aufgrund ihres „angenehmen“ Verhaltens anderen Konkurrenten auf<br />

dem Arbeitsmarkt vorgezogen werden.<br />

Aufgrund ihrer deutlich besseren Lebensbedingungen in Deutschland erscheinen ihnen aber bestimmte<br />

Arbeitsbedingungen und vor allem die Bezahlung im Kosovo als unzureichend oder auch<br />

‚unwürdig’. „Ich arbeite doch nicht über zehn Stunden für fünf Euro!“, sagte Visar aus Pec/Peja.<br />

Dies könnte wiederum – trotz einer ihnen zugeschriebenen ‚besseren Erziehung/Ausbildung’ – den<br />

Zugang zur Arbeit beschränken. Denn von Seiten der eigenen Gruppe wird ihnen diesbezüglich der<br />

Vorwurf gemacht, sie seien ‚Snobs’ und arrogant, da sie sich „zu gut“ für ‚ihre’ Arbeiten seien.<br />

Man kann annehmen, dass eine solche Einstellung vor allem bei denjenigen vorherrscht, die in<br />

Deutschland einen guten Lebensstandard hatten und dort integriert waren. Allerdings ist eine solche<br />

Einstellung gegenüber bestimmten Arbeiten im Kosovo nur dann aufrechtzuerhalten, solange<br />

das Überleben auf eine andere Art gesichert werden kann und Deutschland weiter als Bezugssystem<br />

gilt.<br />

6. Deutschlandorientierung<br />

Die ungünstigen sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Kosovo, in die sie gegen<br />

ihren Willen hineingerieten, die Abwertung ihres human-kulturellen Kapitals aus Deutschland, das<br />

Bewusstwerden der Andersartigkeit und das Zurücknehmen der individuellen Bedürfnisse sind die<br />

Gründe dafür, dass alle interviewten Jugendlichen äußerst unzufrieden mit ihrem Leben im Kosovo<br />

waren. Dies führte zu einer stark ausgeprägten Deutschlandorientierung. Eine solche Orientierung<br />

kann als Schutzmechanismus zur Wahrung ihres eigenen Selbstwertgefühls und als grundsätzliche<br />

Lebensperspektive verstanden werden. Während der Interviews zeigte sich, dass die meisten Befragten<br />

ihre ‚verlorene Heimat’ Deutschland stark idealisierten. Mohamed aus Vurshti/Vucitrn<br />

meinte: „In Deutschland war der Himmel, im Kosovo ist die Hölle“. Da der Assimilationsgrad der<br />

Jugendlichen in Deutschland in der vorliegenden Untersuchung hoch war und Deutschland aufgrund<br />

des niedrigen Einreisealters als Bezugsobjekt übernommen wurde, wird ihre ‚Heimat’ auch<br />

weiter Deutschland bleiben. 35<br />

Die Kontakte nach Deutschland hatten neben einer emotionalen auch finanzielle Bedeutung. Alle<br />

Interviewten erhielten finanzielle Unterstützung von Verwandten und Bekannten aus Deutschland.<br />

Allerdings war der Betrag eher bescheiden, und belief sich oftmals auf 50 bis 100 Euro, die alle<br />

zwei bis drei Monate gesandt wurden. Aber für die überwiegende Mehrzahl bedeutete diese Unterstützung<br />

die einzige Geldquelle im Kosovo. Die Pflege und Aufrechterhaltung dieser Beziehungen<br />

– und damit auch die Deutschlandorientierung – entsprang der ökonomischen Rationalität.<br />

35 Wenn es in den Haushalten Fernsehgeräte gab, liefen grundsätzlich nur deutsche Programme. Oftmals waren die<br />

Interviewten über Entwicklungen in Deutschland besser informiert als über aktuelle Ereignisse im Kosovo. Obwohl<br />

Deutschkenntnisse im Kosovo überflüssig wurden, war es allen Befragten enorm wichtig, die Sprache nicht zu verlernen.<br />

Letztlich bedeutet die Sprache auch eine wichtige Ressource für eine Rückkehr.<br />

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