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Lebensmut und fehlendes Selbstbewusstsein festgestellt werden. Zweimal kam die Äußerung, dass<br />
sie im Kosovo „keine Lust auf Leben“ (Gyke 03.05.2006 und Visar 02.05.2006) hätten.<br />
Abschiebung bedeutet im vorliegenden Fall eine Abschiebung in die Armut und in eine bedrohte<br />
und diskriminierte Minderheit. Im Unterschied zur freiwilligen Migration, die meist mit der Hoffnung<br />
und der Motivation unternommen wird, insbesondere den Kindern bessere Zukunftschancen<br />
zu ermöglichen, bedeutet Abschiebung hier gerade im Gegenteil einen Verlust an Zukunftschancen.<br />
Ein damit zusammenhängender Umstand und Unterschied zur freiwilligen Migration war, dass<br />
die Mehrzahl der Eltern der befragten Jugendlichen den sozialen Abstieg aufgrund der Abschiebung<br />
nicht verkrafteten und ihnen die Kraft fehlte, den Schwierigkeiten im Kosovo zu begegnen.<br />
Resigniert und ratlos, oft an Depressionen oder anderen Krankheiten leidend, halten die Eltern für<br />
ihre Kinder keine Lebensplanung mehr bereit und bieten ihnen damit keine Unterstützung beim<br />
Einleben in das Kosovo. Da freiwillige Migration meist in reiche und ‚moderne’ OECD-Länder<br />
erfolgt, in denen die Gleichberechtigung der Geschlechter – zumindest vergleichsweise – weiter<br />
fortgeschritten ist, stellt schließlich die Abschiebung in eine eher traditionelle patriarchialische<br />
Gesellschaft besonders für die weiblichen Jugendlichen einen Freiheitsverlust dar.<br />
Angesichts dieser Umstände ist anzunehmen, dass die ‚Heimatorientierung’ im Fall einer Abschiebung<br />
wesentlich stärker ausgeprägt ist als bei einer freiwilligen Migration und das Einleben in das<br />
Kosovo erschwert.<br />
8. Fazit<br />
Aus der Feldforschung über abgeschobene Jugendliche aus Deutschland im Kosovo ergibt sich das<br />
folgende Bild:<br />
Abschiebung in das Kosovo bedeutet einen massiven sozialen Abstieg in eine verarmte Nachkriegsgesellschaft<br />
sowie eine Inkorporation in eine diskriminierte und bedrohte Minderheit. Von<br />
Albanern werden abgeschobene Jugendliche den Roma zugeordnet, von Seiten der Roma-<br />
Gemeinschaften begegnet ihnen ein Anpassungsdruck, dem sie sich aufgrund ihrer Bedürftigkeit<br />
nach Schutz und Solidaritätsleistungen beugen müssen. Mit der Inkorporation in die Minderheitsgesellschaft<br />
werden ihnen – wie auch den Minderheitenangehörigen – Differenzen aufgrund ihrer<br />
in Deutschland erfolgten Sozialisierung bewusst. Wegen ihrer ‚anderen Art’ werden ihnen Vorurteile<br />
entgegengebracht und auch sie selbst fühlen sich fremd, orientieren sich weiter an Deutschland<br />
und warten auf eine Möglichkeit zur Rückkehr.<br />
Mittels des Kapitalienansatzes von Nee und Sander konnten Erkenntnisse über die spezifischen<br />
Probleme einer Abschiebung und konkrete Prozesse und Defizite beim Integrationsprozess herausgestellt<br />
werden:<br />
a) Es konnte gezeigt werden, dass die Abschiebung für die Mehrzahl der Befragten ein Verlust an<br />
finanziellem Kapital (Lebensstandard in Deutschland), sozialem Kapital (Netzwerke in Deutschland)<br />
und human-kulturellem Kapital (Abwertung von speziellem Wissen und Fähigkeiten, insbesondere<br />
von Schuljahren, aber auch von bestimmten Normen und Werten aus Deutschland) bedeutete.<br />
b) Die Abwertung von human-kulturellem Kapital im Kosovo führte insbesondere zum Ausstieg<br />
aus dem Schulleben und zu einer starken Deutschlandorientierung. Vor allem bei abgeschobenen<br />
weiblichen Jugendlichen bedeutete die Abwertung der Normen aus Deutschland erhebliche Freiheitseinschränkungen,<br />
woraus sich unterschiedliche Integrationsgeschichten von Mädchen und<br />
Jungen ergaben.<br />
c) Weil die Akkumulation von finanziellem Kapital für die untersuchte Gruppe im Kosovo besonders<br />
erschwert war, rückte die Bedeutung von sozialem Kapital in den Vordergrund. Soziales Kapital<br />
der Minderheitsgesellschaft bietet aber nur geringen Zugang zu Ressourcen. Dennoch ist soziales<br />
Kapital im Kosovo überlebenswichtig, wenn es um gegenseitige Unterstützung, aber auch um<br />
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