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Fotos: Beigestellt<br />
Französischer<br />
Hausverstand<br />
Die Designer Ronan und Erwan Bouroullec kämpfen gegen den „Fake“ und die<br />
„Hässlichkeit“. Mit sanften Mitteln wie Poesie. Und auch mit der Vorhangschnur.<br />
Jahrelang tüfteln. Und am Ende sieht’s aus wie purer<br />
Hausverstand: „Ready Made Curtain“ soll ihn endlich<br />
einfacher machen, den komplizierten Prozess, bis das<br />
große Stück Stoff über dem Fenster hängt. Die französischen<br />
Designer Ronan und Erwan Bouroullec haben ein<br />
Vorhangset für den dänischen Hersteller Kvadrat ersonnen.<br />
Und jetzt liegt ein System auf dem Tisch, dem man<br />
die Schwierigkeit der Einfachheit gar nicht so recht ansehen will.<br />
Zwischen zwei Holzboxen spannt sich eine Schnur, simple Kunststoffhaken<br />
tragen den Stoff. Die Bouroullec-Brüder mögen es,<br />
wenn im Designprozess etwas fast wie von selbst passiert. Vor<br />
allem wenn dabei ein wenig Poesie abfällt für die Dinge, an denen<br />
man jahrelang tüftelt. Und auch ein wenig Harmonie für die<br />
Räume, in denen Menschen leben. Romantiker hat man die Designer<br />
schon genannt. Und Designer des Jahres heißen sie seit der<br />
Möbelmesse IMM Cologne im Jänner auch. Das<br />
Magazin„Architektur & Wohnen“ hat sie in seine<br />
Ehrengalerie heuer eingereiht. Gleich nach Patricia<br />
Urquiola. Im Gespräch mit dem „Schaufenster“<br />
erzählt Erwan Bouroullec, der jüngere Bruder, welche<br />
Instinkte und Fertigkeiten die Menschen verloren<br />
haben. Und wie Designer ihnen wieder etwas<br />
zurückgeben könnten. Auch wenn es nur der Hausverstand<br />
ist.<br />
Im Kölner Museum für Angewandte Kunst läuft<br />
gerade die Ausstellung „Isn’t it romantic?“. Auch<br />
Ihr Holzvogel „L’oiseau“ und ihr Stuhl „Vegetal“, beide für Vitra,<br />
sind dort zu sehen. Inwieweit sollten Designer Poeten sein?<br />
Es ist immer schwierig, die richtigen Worte zu finden, um es zu<br />
benennen: Poesie? Oder einfach Balance? Oder etwa Harmonie?<br />
Was wir wissen, ist: Diese Welt kann ganz schön hässlich sein. Und<br />
wir suchen etwas in den Dingen, das der Komplexität unseres<br />
Wesens entspricht. Mit anderen Worten: Ja, wir brauchen Kultur.<br />
Diese „Kultur“ scheint aber vielen Dingen auf dem Massenmarkt<br />
abhandengekommen zu sein.<br />
Wir formen das gewöhnliche Leben. Und ja, es ist natürlich wichtig,<br />
Interview: Norbert Philipp<br />
„Design muss<br />
die Welt auch<br />
mit einer<br />
Portion Realität<br />
versorgen.“<br />
dass die Dinge funktional sind. Und gut gemacht. Doch wir befinden<br />
uns auch in einer Ära, in der viele, viele Dinge, die uns umgeben,<br />
einfach „Fake“ sind. Sie geben nur vor, etwas zu sein. Sehen Sie, vor<br />
30 Jahren standen die Menschen in viel engerem Kontakt mit der<br />
Realität. Mein Vater hat noch Hasen gejagt für das Abendessen am<br />
Sonntag. Und er hatte ein Gefühl dafür, wann der richtige Zeitpunkt<br />
ist, Kartoffeln zu pflanzen, wusste, wie man Feuer macht, und solche<br />
Dinge. Aber heute haben wir diese Fertigkeiten schon total vergessen.<br />
Bald schon könnte die Zeit kommen, in der die Realität eine<br />
Spur zu virtuell wird. Doch das Design muss die Welt auch mit einer<br />
Portion Realität versorgen. Diese Realität muss fair und gut gemacht<br />
sein. Und darüber hinaus müssen wir eine Kultur der Verwendung<br />
der Dinge hervorrufen. Wenn man etwa einen Stuhl für ein Verwaltungsgebäude<br />
macht und dem Stuhl der kulturelle Aspekt fehlt,<br />
dann wird niemand den Stuhl respektieren und auch nicht das<br />
Gebäude. So etwas führt zu einer Vielzahl an Situationen,<br />
wie wir sie kennen – zu verschmutzten Räumen,<br />
in denen wir uns nicht wohl fühlen, zu Vandalismus.<br />
Es gibt also einen Teil eines Stuhls, eine<br />
Qualität, die nicht zum puren, technischen Bereich<br />
gehört. Sondern zu seiner Qualität als kulturelles Zeichen.<br />
Und dieses Zeichen könnten wir eventuell<br />
Schönheit nennen. Oder eben Poesie.<br />
Sehen Sie es als Auftrag an die Designer, der Welt die<br />
Schönheit zurückzugeben?<br />
In der Filmdokumentation „Helvetica“ gibt es ein<br />
Interview mit einem Graphic Designer in N.Y. Der ist<br />
70 Jahre alt und wird gefragt: „Warum tun Sie, was Sie tun?“ Und er<br />
sagt: „Weil die Welt hässlich ist. Ich kämpfe gegen die Hässlichkeit.“<br />
Dem stimme ich zu. Man muss gegen die Hässlichkeit kämpfen.<br />
Kann man in ein industriell gefertigtes Produkt diese kulturellen<br />
Werte überhaupt implementieren?<br />
Es ist ein freier Designmarkt. Man geht freiwillig in den Designshop,<br />
kauft freiwillig. Ich glaube, wir implementieren in die Dinge<br />
unseren Sinn für Kultur und Schönheit. Aber wir tun das nicht<br />
unbedingt mit Vorsatz. Nicht alle Dinge, die wir als Designer tun,<br />
laufen zielgerichtet und planmäßig ab. Am Ende des Designprozes-<br />
Schaufenster 21<br />
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