90 <strong>Zukunft</strong>sideen für <strong>Grün</strong>e Städte / <strong>Grün</strong>buchund <strong>Stadt</strong>raum – trotz o<strong>der</strong> gerade weil ‚smart city‘ alsSchlagwort <strong>der</strong>zeit en vogue ist. Nicht mit dem Autoo<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schnellbahn, son<strong>der</strong>n zu Fuß und mit demFahrrad werden sich die Menschen <strong>in</strong> <strong>Zukunft</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><strong>Stadt</strong> bewegen. Das mag heute noch Wunschdenkense<strong>in</strong>, doch könnte das Konzept <strong>der</strong> sogenannten SharedSpaces dieser Hypothese Vorschub leisten. Verkürztist dies <strong>der</strong> sich selbst erklärende Raum. In ihm weißje<strong>der</strong>, ob Fußgänger, Auto- o<strong>der</strong> Radfahrer, wie er sichverhalten muss, um an<strong>der</strong>en nicht zu schaden o<strong>der</strong> sichnicht selbst zu gefährden. Drei Paradigmen liegen dabeizugrunde: Da ist zum e<strong>in</strong>en die Umgebung, die durchihre bauliche und landschaftliche Gestaltung erkennenlässt, dass man sich unter Menschen bef<strong>in</strong>det; da ist<strong>der</strong> psychologische Aspekt, wonach weniger RegelnUnsicherheit erzeugen, was wie<strong>der</strong>um mehr Eigenverantwortungverlangt, die zu mehr Sicherheit führt; undda ist schließlich die Partizipation <strong>der</strong> Planer, Politikerund Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger bei <strong>der</strong> Entstehungsolcher Projekte. Zum<strong>in</strong>dest ist es e<strong>in</strong>e so legitime wieerstrebenswerte Vision, Straßen und Straßenräumewie<strong>der</strong> stärker zu Lebensräumen selbstbestimmterMenschen werden zu lassen. Zum an<strong>der</strong>en die Bewegungdes Urban Garden<strong>in</strong>g – eben weil sie zu e<strong>in</strong>erneuen Lesart von <strong>Stadt</strong> auffor<strong>der</strong>t. Die <strong>in</strong> den letztenJahren <strong>in</strong> vielen großen Städten entstandenen Geme<strong>in</strong>schaftsgärten,Kiezgärten, Interkulturellen Gärten undNachbarschaftsgärten zielen mit dem <strong>Grün</strong> als Mediumzugleich auch direkt auf die <strong>Stadt</strong> als Lebensraum undsenden visuelle Vorstellungen von Urbanität, die dasAuge zunächst irritieren. Der Gemüseanbau <strong>in</strong> ausgedientenBäckerkisten und umgebauten Europalettenh<strong>in</strong>terfragt – mehr o<strong>der</strong> weniger subtil – unser Bild von<strong>der</strong> Res publica.Zwei aktuelle Tendenzen werden künftig e<strong>in</strong>eRolle spielen: das neue Zusammendenken vonMobilität und <strong>Stadt</strong>raum und die Bewegungdes Urban Garden<strong>in</strong>g.Zu den wesentlichen Adressaten gehören dabei diePlaner, aber auch die <strong>Stadt</strong>verwaltung, die man bei<strong>der</strong> Gestaltung des öffentlichen Raums darauf aufmerksammachen will, dass die <strong>Stadt</strong> ke<strong>in</strong> Conta<strong>in</strong>erfür noch mehr Autobahnen und Shopp<strong>in</strong>g-Malls ist,son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Lebensraum für alle, <strong>in</strong> dem auch überdie Grundlagen <strong>der</strong> Existenz debattiert werden sollte.Die politischen Formen <strong>der</strong> „Generation Garten“zeichnen sich weniger durch For<strong>der</strong>ungskataloge alsdurch Performanz, durch punktuelle und symbolischeInterventionen aus.E<strong>in</strong> pragmatischer VorschlagBraucht es dafür utopische Konzepte? Reicht nichtwomöglich e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Faustregel, die nach demLandschaftsgeographen Gerhard Hard dar<strong>in</strong> besteht,„die öffentlichen Freiräume so zu organisieren, dasssie für die <strong>Stadt</strong>bewohner und an<strong>der</strong>e <strong>Stadt</strong>nutzerbenutzbar, zum<strong>in</strong>dest begehbar s<strong>in</strong>d. Das sozial undökologisch s<strong>in</strong>nlose Kle<strong>in</strong>grün <strong>der</strong> amtlichen Gartenkunstsollte aus den öffentlichen Freiräumen verschw<strong>in</strong>den;Bäume und Baumpflege, das genügt –und zwar <strong>Stadt</strong>bäume mit hochgestellten Kronen undWer e<strong>in</strong>e Antwort sucht auf die Frage, wie die<strong>Grün</strong>e <strong>Stadt</strong> 2030 aussehen soll, <strong>der</strong> ist gut beraten,sich <strong>der</strong> Vergangenheit zu vergewissern.auf wassergebundenen Decken aus e<strong>in</strong>fachem, meistlokal verfügbarem Material. Das ergibt durchlässige,verdichtungsresistente, begehbare und zugleichvegetationsfähige Substrate, auf denen sich spontanesKle<strong>in</strong>grün je nach <strong>der</strong> Freiraumnutzung von selberherstellt und nicht selten durch die Nutzung stabilisiertwerden könnte. Wo dann ohne Gärtner nichtswächst, wächst auch mit Gärtner nichts“.Mit Rückblick nach vornWer e<strong>in</strong>e Antwort sucht auf die Frage, wie die <strong>Grün</strong>e<strong>Stadt</strong> 2030 aussehen soll, <strong>der</strong> ist zudem gut beraten,sich <strong>der</strong> Vergangenheit zu vergewissern – und etwabei <strong>Für</strong>st Pückler nachzuschlagen. Denn was <strong>der</strong>renommierte Gestalter im Jahr 1834, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frühzeiturbaner Bauspekulation, über die Bedeutung des<strong>Grün</strong>raums sagte, das gilt <strong>in</strong> erweitertem S<strong>in</strong>n auchheute: „Gestattet uns, auch das Schöne hier <strong>in</strong> Anschlagzu br<strong>in</strong>gen; denn ich sehe nicht e<strong>in</strong>, weshalbman das Schöne vom Nützlichen ausschließen sollte.Was ist denn eigentlich nützlich? Bloß was uns ernährt,erwärmt, gegen die Witterung beschützt? Undweshalb denn heißen solche D<strong>in</strong>ge nützlich? Dochnur, weil sie das Wohlse<strong>in</strong> des Menschengeschlechtsleidlich beför<strong>der</strong>n? Das Schöne aber beför<strong>der</strong>t es<strong>in</strong> noch höherem und größerem Maße; also ist dasSchöne eigentlich unter den nützlichen D<strong>in</strong>gen dasNützlichste.“ Zu Pücklers Zeiten hat man sich solcherE<strong>in</strong>sicht nicht verschlossen.Doch neben <strong>der</strong> Anmutungsqualität – zumeist <strong>in</strong>Landschaftsparks, öffentlichen Plätzen und <strong>Stadt</strong>gärtenwahrgenommen und verbildlicht – verb<strong>in</strong>det man
<strong>Grün</strong>buch / <strong>Zukunft</strong>sideen für <strong>Grün</strong>e Städte 91mit dem Begriff des ‚Urbanen <strong>Grün</strong>s‘ auch den Aspekt<strong>der</strong> Selbstversorgung. Anfang des 19. Jahrhun<strong>der</strong>tskonnte die sprunghaft angestiegene <strong>Stadt</strong>bevölkerungfür wenig Geld e<strong>in</strong>en von Landesherr, Kirche, Fabrikbesitzero<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>verwaltung angelegten ‚Armengarten‘pachten und hier Obst und Gemüse anbauen. Umdie Jahrhun<strong>der</strong>tmitte entstand die Schrebergartenbewegungauf Eigen<strong>in</strong>itiative von Bürger<strong>in</strong>nen undBürgern, die sich <strong>in</strong> schnell wachsenden Industriemetropolenwie Berl<strong>in</strong> mit überfüllten Mietskasernenund dunklen, engen H<strong>in</strong>terhöfen nach e<strong>in</strong> bisschen<strong>Grün</strong> sehnten. Der Name geht auf den LeipzigerOrthopäden Daniel Gottlob Moritz Schreber zurück,<strong>der</strong> dafür warb, Spielwiesen für kranke K<strong>in</strong><strong>der</strong> vonFabrikarbeitern anzulegen. Drumherum wurden nachund nach Gemüse- und Blumenbeete angelegt, späterdann auch Lauben gebaut. Nach Kriegsende 1945 wurdendie Kle<strong>in</strong>gärten als vorübergehende Bleibe für dievielen Wohnungslosen und als Anbaufläche für Obstund Gemüse überlebenswichtig. Seit e<strong>in</strong>igen Jahrenspielt das Guerilla Garden<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e immer größere Rolle:Initiativen verwandeln trostlose Plätze, Parkdeckso<strong>der</strong> Brachflächen zu Nutzgärten und setzen damitauch e<strong>in</strong> Zeichen gegen die zunehmende Kommerzialisierungdes öffentlichen Raums.Es ist, nicht bloß mit Blick auf das Jahr 2030, e<strong>in</strong>eentscheidende Frage, <strong>in</strong>wieweit solche Ansätze undTendenzen für das Geme<strong>in</strong>wesen ‚<strong>Stadt</strong>‘ fruchtbargemacht werden können. Denn e<strong>in</strong> Protest im S<strong>in</strong>nevon „So nicht!“ und e<strong>in</strong> Planungsalltag im S<strong>in</strong>ne von„Weiter so“ f<strong>in</strong>den bislang nicht recht zusammen.Um unsere Lebensverhältnisse – auch und geradeim urbanen Raum – zu verän<strong>der</strong>n, ist womöglich <strong>der</strong>Begriff <strong>der</strong> Allmende hilfreich. Im Mittelalter stand<strong>in</strong> vielen Geme<strong>in</strong>den die Dorfwiese, die Allmende,den Bauern des Dorfes zur freien Nutzung offen. Derunbeschränkte Zutritt führte allerd<strong>in</strong>gs dazu, dass dieBauern mehr Vieh auf die Weide trieben, als es mitdem Ziel e<strong>in</strong>er dauerhaften Nutzung <strong>der</strong> Wiese verträglichgewesen wäre. Unter <strong>der</strong> Bezeichnung „Tragik<strong>der</strong> Allmende“ ist diese Übernutzung <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>dewiesefester Bestandteil <strong>der</strong> ökonomischen Lehregeworden. E<strong>in</strong> zeitgemäßer Lösungsansatz müsstealso lauten: Die Nutzer müssen <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>enForm dazu gebracht werden, die Auswirkungenauf an<strong>der</strong>e bei ihrer Entscheidung zur Nutzung <strong>der</strong>Allmende e<strong>in</strong>zubeziehen. In diesem S<strong>in</strong>ne kann man‚<strong>Grün</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>‘ durchaus als common ground e<strong>in</strong>erkünftigen urbanen Entwicklung verstehen – undentsprechend beför<strong>der</strong>n.