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RZ-CRU-mediadaten-2016

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4 THEMA<br />

LGBT<br />

VON DANI DIRIWÄCHTER<br />

zer Texters Andreas Marti. Ähnliche<br />

Stimmen sind immer öfter aus der<br />

Community zu hören: «LGBT, was<br />

ist das schon?» Ein wachsendes und<br />

undurchsichtiges Konstrukt. Denn<br />

früher, da konnte man noch einfach<br />

schwul sein. Und Lesben waren Lesben.<br />

Punkt. Diese Stimmen bedenken<br />

aber nicht, dass in diesem «Früher»<br />

die Konsequenz eines Mauerblümchendaseins<br />

gesteckt hätte. Die direkte<br />

Einfahrt ins Ghetto.<br />

An diesem «Früher» lohnt es sich<br />

nicht zu kleben. Wir leben in einer<br />

modernen Zeit und es gilt in ebensolchen<br />

Ländern die Meinungsfreiheit.<br />

Und wir reden heute über die<br />

LGBT-Community. Eine Abkürzung,<br />

die, wie viele andere auch, aus dem<br />

Englischen stammt: Lesbian, Gay,<br />

Bisexual und Transgender. Seit Anfang<br />

der 1990er sind die vier Buchstaben<br />

auf dem Vormarsch und bieten<br />

einen schützenden Deckmantel<br />

für die sogenannten «Minderheiten».<br />

Aber es blieb nicht einfach bei vier<br />

Buchstaben. «Wir benutzen heute<br />

den Begriff LGBTI, so wie es die Bundesverwaltung<br />

auch macht», betont<br />

Bastian Baumann, der Geschäftsführer<br />

des Schweizer Dachverbands der<br />

Schwulen, «Pink Cross».<br />

<strong>CRU</strong>ISER OKTOBER 2015<br />

Plus ein «I» also, das für Inter*/<br />

intersexuelle Menschen steht. Baumann<br />

hält aber auch fest, dass politisch<br />

derzeit für Pink Cross die ersten<br />

vier Buchstaben im Vordergrund<br />

stehen. Es gehe im Prinzip «nur»<br />

um den Überbegriff, denn die unterschiedlichen<br />

Interessen innerhalb<br />

des LGBTI-Universums seien einfach<br />

zu unterschiedlich. Und Bastian Baumann<br />

konkretisiert weiter: «Bei Pink<br />

Cross stehen das ‚G’ und das ‚B’, also<br />

Schwule und Bisexuelle, im strategischen<br />

Fokus.» Und selbst darunter<br />

befände sich eine Vielfalt an Meinungen<br />

oder Lebensauffassungen, was<br />

die Arbeit der Organisation oft nicht<br />

ganz einfach mache.<br />

Eine extreme Breite zeigt sich unter<br />

dem «G». Angeführt von Pink Cross,<br />

will man das Maximum an Rechten<br />

(und Pflichten) für die Gleichberechtigung<br />

verlangen. «Wir wollen die bestmöglichen<br />

Ziele erreichen, Schritt für<br />

Schritt», so Baumann. Dass konservative<br />

Kritiker Pink Cross eine Salamitaktik<br />

vorwerfen, kann er sogar unterstützen,<br />

denn schliesslich sei das<br />

Usus im politischen System. Viel eher<br />

ist der Geschäftsleiter erstaunt, wenn<br />

ein Mitglied, wie kürzlich geschehen,<br />

seinen Austritt aus Pink Cross bekannt<br />

gibt, weil die Organisation die<br />

Adoption auch für gleichgeschlechtliche<br />

Paare favorisiert.<br />

Angesicht der Fortschritte, die<br />

schwule Männer erreicht haben, wird<br />

nun ersichtlich, dass der Regenbogen<br />

eben nicht nur sieben Farben hat, sondern<br />

selbst eine Jumbo-Farbstiftbox<br />

mit der Vielfalt der schwulen Welt –<br />

im Fachjargon: Diversität – nicht mithalten<br />

kann. Längst gibt es nicht nur<br />

die «Normalen», die Tunten oder die<br />

Ledertypen. Heute darf man schwul<br />

sein – und auch Chef von Apple. Man<br />

darf schwul sein – und auch in der SVP<br />

agieren. Klischees wurden verworfen<br />

oder bilden nun Teil der schwulen<br />

Realität, die Baumann trotz aller Anstrengungen,<br />

die es braucht, um diese<br />

auf einen Nenner zu bringen, definitiv<br />

als erfreulich bezeichnet.<br />

Dass besagtes «L» hier erst an zweiter<br />

Stelle aufgeführt wird, dürfte in<br />

lesbischen Kreisen sauer aufstossen<br />

– wo es doch den Begriff «LGBT»<br />

anführt. Oder ist diese Meinung nur<br />

eines der Vorurteile, mit denen lesbische<br />

Frauen konfrontiert werden? «In<br />

der Tat gibt es noch viele Vorurteile<br />

gegenüber uns lesbischen Frauen,<br />

ganz oben das der Kampflesbe», sagt<br />

Barbara Lanthemann, Geschäftsführerin<br />

der Lesbenorganisation LOS.<br />

Nicht zuletzt kommt dieses Vorurteil<br />

auch von schwulen Männern. Nichtsdestotrotz<br />

ist LOS die engste Verbündete<br />

von Pink Cross. Für die «Ehe für<br />

alle» oder die Adoption setzt auch sie<br />

sich ein – logisch.<br />

«Viele lesbische Frauen sind aber<br />

auch Feministinnen», so Lanthemann.<br />

Die Gleichberechtigung der<br />

Frau steht noch immer nicht dort, wo<br />

sie sein sollte. Und auch Lanthemann<br />

weiss, dass die Vielfalt an Frauenthemen<br />

– und an Frauen selber – es für<br />

LOS nicht einfach macht, im Sinne<br />

aller zu agieren. Aber auch sie begrüsst<br />

die Diversität. Wobei Lanthemann<br />

im Begriff «LGBT» das «B» als<br />

etwas «schwierig» bezeichnet, da<br />

LGBT: EINE COMMUNITY, DIE<br />

SICH AUSSCHLIESSLICH ÜBER DIE<br />

SEXUALITÄT DEFINIERT?<br />

sich die LOS für alle Frauen einsetzt<br />

welche sich zu Frauen hingezogen<br />

fühlen. «Bisexuelle Frauen waren bei<br />

LOS bisher kein eigenständiges Thema»,<br />

erklärt sie – und wundert sich<br />

zugleich. Wenn das Bedürfnis und die<br />

Ressourcen bestehen, seien die Türen<br />

weit offen, um sich auch speziell diesem<br />

Thema zu widmen.<br />

Bisexualität – die fast unbekannte<br />

Grösse im «LGBT»-Bereich. Bisexuelle<br />

Menschen in der Schweiz verfügen<br />

über keinen eigenen Dachverband<br />

wie LOS oder Pink Cross. Anlaufstellen<br />

wie bi-net.ch sind im Netz zwar<br />

zu finden, ansonsten bieten alle<br />

HA-Gruppen (HAZ, HAB und HABS)<br />

6<br />

ein Workshop abgehalten, um schwul<br />

und trans* gemeinsam zu präsentieren.<br />

UND DIE ZUKUNFT<br />

Wie eingangs erwähnt, wird das «I»<br />

der Inter*/intersexuellen Menschen<br />

bereits grossgeschrieben – und es gebührt<br />

ihm Beachtung. Die HAZ hingegen<br />

benutzt «LGBTQ» – weil das<br />

«Q» (queer) für viele, die entweder ihr<br />

Begehren oder ihr Geschlecht nicht<br />

in Schubladen packen möchten, eine<br />

Selbstbeschreibung ist. Weitere Bezeichnungen<br />

und Buchstaben machen<br />

die Runde, so etwa das «P», das für<br />

änderung für Schlagzeilen sorgte (siehe<br />

Cruiser Juli/August). Sie erlebte bi sind, sondern den Menschen an<br />

Pansexuelle steht (Personen, die nicht<br />

einen gewissen Neid unter den Transmenschen,<br />

etwa in Hinsicht darauf, berechtigte Frage ist, wie viele Grup-<br />

sich sexuell anziehend finden). Eine<br />

wer den grösseren Nachteil hat. «Jeder<br />

Weg, egal wie gross die Hürden Dieser kurze Einblick in die Bepen<br />

«LGBT» noch aufnehmen kann.<br />

und die Tücken auch sind, hat seine grifflichkeit vermag selbstverständlich<br />

nicht die unzähligen Facetten<br />

Vorteile», so Meier. Tatsächlich bemerkte<br />

sie aber auch immer wieder der Sexualität zu beschreiben. Aber<br />

einen Graben zwischen denen, die der Dampfer ist in See gestochen und<br />

alle medizinischen geschlechtsangleichenden<br />

Massnahmen ausschöpfen ein Spiegelbild der Gesellschaft. Ein<br />

nimmt Kurs auf. Am Ende ist «LGBT»<br />

und denen, die nicht alle Operationen Sammelsurium an Farbe, an Liebe,<br />

machen, die möglich sind.<br />

an Kraft, aber auch an Demut, an<br />

Hannes Rudolph von der HAZ, Streitigkeiten oder an Missgunst. Die<br />

selbst ein schwuler Transmann, bemerkt<br />

dazu, dass viele Transmenleicht<br />

dürfte das der Grund sein, wes-<br />

Vielfalt kommt zum Vorschein – viel-<br />

EIN EFFEKTIVES<br />

schen auch die Geschlechterordnung halb konservative Kräfte vor Angst erzittern.<br />

Denn was die Menschlichkeit<br />

«MITEINANDER»<br />

und die Rollenbilder oder das Zweigeschlechtersystem<br />

generell hinterfra-<br />

lebendig macht, lässt sich schwer re-<br />

einen Bi-Treff an. Hannes Rudolph,<br />

fünf Jahren hat sich in der Schweiz<br />

EXISTIERT IN DER<br />

Geschäftsführer der HAZ, sieht eines<br />

das Bild der Transmenschen bereits<br />

LGBT-GEMEINSCHAFT<br />

gen. Immerhin, schwule Männer stehen<br />

seiner Erfahrung nach schwulen laden stecken. Aber das ist eine ganz<br />

gieren und schon gar nicht in Schub-<br />

der Probleme der Bisexuellen darin,<br />

geändert. Beispielsweise wird heute<br />

nicht mehr der Begriff «transse-<br />

Transmännern mit viel Neugierde ge-<br />

andere Geschichte.<br />

NUR SELTEN.<br />

dass sie «so gut wie unsichtbar» seien.<br />

Als Beispiele nennt er etwa die<br />

xuell» verwendet, sondern trans*.<br />

genüber. Nicht umsonst wurde an der Alle Adressen der Fachstellen auf<br />

bisexuelle Frau, die Hand in Hand<br />

TGNS steht für alle Menschen ein, die<br />

dritten Schweizer Transtagung extra www. cruisermagazin.ch<br />

mit einem Mann geht und als hetero<br />

sich mit dem Geschlecht, das ihnen<br />

angesehen wird. Ebenso gilt der bi-<br />

bei Geburt zugewiesen wurde, nicht<br />

sexuelle Mann, der einen Mann küsst,<br />

oder nicht ausschliesslich identifizieren<br />

können. Aber anders als Les-<br />

ANZEIGE<br />

als schwul.<br />

«Die Bisexualität wird nur durch<br />

ben, Schwule und Bisexuelle stehen<br />

ein Coming-out sichtbar. Und selbst<br />

Transmenschen noch relativ am Anfang<br />

ihrer – auch politischen – Eman-<br />

dann steht sie im Verdacht, etwas<br />

anderes zu sein», so Rudolph. Vorurteile<br />

wie «Bi-Menschen können nicht<br />

und immer wieder zu erklären, das<br />

zipation. Anderen Menschen immer<br />

monogam sein» oder müde Sprüche fertigung bedürfe wie jede andere sexuelle<br />

Orientierung, erklärt Rudolph. hat, gleicht oftmals einer Sisyphusar-<br />

trans* nichts mit Sexualität zu tun<br />

wie «man habe sich noch nicht entschieden»,<br />

zermürben. «Viele lesbische<br />

Frauen, und sicher auch einige<br />

unter den Transmenschen gibt, wird<br />

beit. Dass es Heteros, Homos und Bi’s<br />

schwule Männer, können nicht nachvollziehen,<br />

wie diese Art von Sexu-<br />

mächtig auf. Und das muss es, denn «Aber auch bei uns Transmen-<br />

Das grosse «T» im Begriff holt derzeit oft nicht verstanden.<br />

alität gelebt werden kann», meint anders als um die Sexualität wie bei schen gibt es viele verschiedene Meinungen»,<br />

weiss Claudia Sabine Meier,<br />

Barbara Lanthemann von LOS. Dabei «LGB», geht es im «T» um die Identität.<br />

Seit der Gründung von Transgen-<br />

die mit zwei Präzendenzfällen in Be-<br />

sei Bisexualität eine sexuelle Orientierung,<br />

die genauso wenig der Rechtder<br />

Network Switzerland (TGNS) vor zug auf Namens- und Personenstands-<br />

<strong>CRU</strong>ISER OKTOBER 2015 <strong>CRU</strong>ISER OKTOBER 2015<br />

THEMA 7<br />

LGBT<br />

GESCHICHTE<br />

Geschichte<br />

Cruiser erscheint seit über 25 Jahren und ist bis heute die Zeitung der Schweizer Gay-Community.<br />

Geschichte verpflichtet: keine andere Zeitung kann eine derart starke Leserbindung aufweisen.<br />

Als einzige Gay–Publikation ist Cruiser WEMF beglaubigt und kann eine gestreute<br />

Auflage von 12 000 Exemplaren nachweisen. Die Leserzahl der handlichen Tabloid-<br />

Zeitung wird auf 35 000 Leser geschätzt. Diese Reichweite wird durch das starke Online-Angebot<br />

auf www.cruisermagazin.ch mit tagesaktuellen Meldungen und Geschichten noch ergänzt.<br />

Unabhängig und meinungsbildend bietet Cruiser journalistisch recherchierte und sorgfältig<br />

aufbereitete Artikel, ergänzt durch Kolumnen von etablierten Autorinnen und Autoren. Cruiser<br />

erscheint 9 Mal pro Jahr, im Sommer und Winter jeweils als Doppelnummer.<br />

Cruiser bietet Journalismus auf hohem Niveau und Artikel, die aufwühlen, ansprechen und<br />

zum Nachdenken anregen. Deshalb schreiben für Cruiser unabhängige Top-Journalisten, die<br />

unbequem und kritisch sein wollen; Journalisten, die hinterfragen und die Beliebtheit nicht als<br />

Massstab nehmen.<br />

OKTOBER 2015 CHF 7.50<br />

LGBT: EINHEIT ODER DIVERSITÄT?<br />

WIE DIE COMMUNITY ZU SICH SELBST STEHT<br />

LGBT: EINHEIT<br />

ODER DIVERSITÄT?<br />

LGBT? Oder LGBTI? Oder vielleicht LGBTQ? Was der Oberbegriff<br />

für eine Gemeinschaft sein soll, ist in Tat und Wahrheit der Oberbegriff<br />

eines politischen Schlachtschiffes, das immer schneller in See sticht.<br />

Dies mit einer Vielfalt an Anliegen und Meinungen.<br />

rüher, da war vieles gut. Heute<br />

ist alles besser.<br />

FManchmal wäre ich froh, es wäre<br />

wieder gut», so ein Zitat des Schwei-<br />

Ständerat<br />

SEIT ANFANG DER<br />

1990ER SIND DIE VIER<br />

BUCHSTABEN AUF<br />

DEM VORMARSCH UND<br />

BIETEN EINEN SCHÜTZEN-<br />

DEN DECKMANTEL<br />

FÜR DIE SOGENANNTEN<br />

«MINDERHEITEN».<br />

Vogt<br />

Hans-Ueli<br />

Der brillante Kopf für Zürich.<br />

DAS G<br />

FOTOS: FOTOLIA (1)<br />

DAS L<br />

MONOGAMIE<br />

Kopieren Gays das Heteromodell?<br />

DAS B<br />

FITNESS<br />

Wer wo wie trainiert<br />

NEUE SERIE<br />

Cruiser auf Reisen<br />

«DIE BISEXUALITÄT<br />

WIRD NUR DURCH EIN<br />

COMING-OUT SICHTBAR.<br />

UND SELBST DANN STEHT<br />

SIE IM VERDACHT, ETWAS<br />

ANDERES ZU SEIN.»<br />

DAS T<br />

FOTOS: FOTOLI<br />

AM ENDE IST «LGBT»<br />

EIN SPIEGELBILD DER<br />

GESELLSCHAFT.<br />

EIN SAMMELSURIUM AN<br />

FARBE, AN LIEBE,<br />

AN KRAFT, ABER AUCH AN<br />

DEMUT, AN STREITIG-<br />

KEITEN ODER AN MISS-<br />

GUNST.<br />

EIN I

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