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4 THEMA<br />
LGBT<br />
VON DANI DIRIWÄCHTER<br />
zer Texters Andreas Marti. Ähnliche<br />
Stimmen sind immer öfter aus der<br />
Community zu hören: «LGBT, was<br />
ist das schon?» Ein wachsendes und<br />
undurchsichtiges Konstrukt. Denn<br />
früher, da konnte man noch einfach<br />
schwul sein. Und Lesben waren Lesben.<br />
Punkt. Diese Stimmen bedenken<br />
aber nicht, dass in diesem «Früher»<br />
die Konsequenz eines Mauerblümchendaseins<br />
gesteckt hätte. Die direkte<br />
Einfahrt ins Ghetto.<br />
An diesem «Früher» lohnt es sich<br />
nicht zu kleben. Wir leben in einer<br />
modernen Zeit und es gilt in ebensolchen<br />
Ländern die Meinungsfreiheit.<br />
Und wir reden heute über die<br />
LGBT-Community. Eine Abkürzung,<br />
die, wie viele andere auch, aus dem<br />
Englischen stammt: Lesbian, Gay,<br />
Bisexual und Transgender. Seit Anfang<br />
der 1990er sind die vier Buchstaben<br />
auf dem Vormarsch und bieten<br />
einen schützenden Deckmantel<br />
für die sogenannten «Minderheiten».<br />
Aber es blieb nicht einfach bei vier<br />
Buchstaben. «Wir benutzen heute<br />
den Begriff LGBTI, so wie es die Bundesverwaltung<br />
auch macht», betont<br />
Bastian Baumann, der Geschäftsführer<br />
des Schweizer Dachverbands der<br />
Schwulen, «Pink Cross».<br />
<strong>CRU</strong>ISER OKTOBER 2015<br />
Plus ein «I» also, das für Inter*/<br />
intersexuelle Menschen steht. Baumann<br />
hält aber auch fest, dass politisch<br />
derzeit für Pink Cross die ersten<br />
vier Buchstaben im Vordergrund<br />
stehen. Es gehe im Prinzip «nur»<br />
um den Überbegriff, denn die unterschiedlichen<br />
Interessen innerhalb<br />
des LGBTI-Universums seien einfach<br />
zu unterschiedlich. Und Bastian Baumann<br />
konkretisiert weiter: «Bei Pink<br />
Cross stehen das ‚G’ und das ‚B’, also<br />
Schwule und Bisexuelle, im strategischen<br />
Fokus.» Und selbst darunter<br />
befände sich eine Vielfalt an Meinungen<br />
oder Lebensauffassungen, was<br />
die Arbeit der Organisation oft nicht<br />
ganz einfach mache.<br />
Eine extreme Breite zeigt sich unter<br />
dem «G». Angeführt von Pink Cross,<br />
will man das Maximum an Rechten<br />
(und Pflichten) für die Gleichberechtigung<br />
verlangen. «Wir wollen die bestmöglichen<br />
Ziele erreichen, Schritt für<br />
Schritt», so Baumann. Dass konservative<br />
Kritiker Pink Cross eine Salamitaktik<br />
vorwerfen, kann er sogar unterstützen,<br />
denn schliesslich sei das<br />
Usus im politischen System. Viel eher<br />
ist der Geschäftsleiter erstaunt, wenn<br />
ein Mitglied, wie kürzlich geschehen,<br />
seinen Austritt aus Pink Cross bekannt<br />
gibt, weil die Organisation die<br />
Adoption auch für gleichgeschlechtliche<br />
Paare favorisiert.<br />
Angesicht der Fortschritte, die<br />
schwule Männer erreicht haben, wird<br />
nun ersichtlich, dass der Regenbogen<br />
eben nicht nur sieben Farben hat, sondern<br />
selbst eine Jumbo-Farbstiftbox<br />
mit der Vielfalt der schwulen Welt –<br />
im Fachjargon: Diversität – nicht mithalten<br />
kann. Längst gibt es nicht nur<br />
die «Normalen», die Tunten oder die<br />
Ledertypen. Heute darf man schwul<br />
sein – und auch Chef von Apple. Man<br />
darf schwul sein – und auch in der SVP<br />
agieren. Klischees wurden verworfen<br />
oder bilden nun Teil der schwulen<br />
Realität, die Baumann trotz aller Anstrengungen,<br />
die es braucht, um diese<br />
auf einen Nenner zu bringen, definitiv<br />
als erfreulich bezeichnet.<br />
Dass besagtes «L» hier erst an zweiter<br />
Stelle aufgeführt wird, dürfte in<br />
lesbischen Kreisen sauer aufstossen<br />
– wo es doch den Begriff «LGBT»<br />
anführt. Oder ist diese Meinung nur<br />
eines der Vorurteile, mit denen lesbische<br />
Frauen konfrontiert werden? «In<br />
der Tat gibt es noch viele Vorurteile<br />
gegenüber uns lesbischen Frauen,<br />
ganz oben das der Kampflesbe», sagt<br />
Barbara Lanthemann, Geschäftsführerin<br />
der Lesbenorganisation LOS.<br />
Nicht zuletzt kommt dieses Vorurteil<br />
auch von schwulen Männern. Nichtsdestotrotz<br />
ist LOS die engste Verbündete<br />
von Pink Cross. Für die «Ehe für<br />
alle» oder die Adoption setzt auch sie<br />
sich ein – logisch.<br />
«Viele lesbische Frauen sind aber<br />
auch Feministinnen», so Lanthemann.<br />
Die Gleichberechtigung der<br />
Frau steht noch immer nicht dort, wo<br />
sie sein sollte. Und auch Lanthemann<br />
weiss, dass die Vielfalt an Frauenthemen<br />
– und an Frauen selber – es für<br />
LOS nicht einfach macht, im Sinne<br />
aller zu agieren. Aber auch sie begrüsst<br />
die Diversität. Wobei Lanthemann<br />
im Begriff «LGBT» das «B» als<br />
etwas «schwierig» bezeichnet, da<br />
LGBT: EINE COMMUNITY, DIE<br />
SICH AUSSCHLIESSLICH ÜBER DIE<br />
SEXUALITÄT DEFINIERT?<br />
sich die LOS für alle Frauen einsetzt<br />
welche sich zu Frauen hingezogen<br />
fühlen. «Bisexuelle Frauen waren bei<br />
LOS bisher kein eigenständiges Thema»,<br />
erklärt sie – und wundert sich<br />
zugleich. Wenn das Bedürfnis und die<br />
Ressourcen bestehen, seien die Türen<br />
weit offen, um sich auch speziell diesem<br />
Thema zu widmen.<br />
Bisexualität – die fast unbekannte<br />
Grösse im «LGBT»-Bereich. Bisexuelle<br />
Menschen in der Schweiz verfügen<br />
über keinen eigenen Dachverband<br />
wie LOS oder Pink Cross. Anlaufstellen<br />
wie bi-net.ch sind im Netz zwar<br />
zu finden, ansonsten bieten alle<br />
HA-Gruppen (HAZ, HAB und HABS)<br />
6<br />
ein Workshop abgehalten, um schwul<br />
und trans* gemeinsam zu präsentieren.<br />
UND DIE ZUKUNFT<br />
Wie eingangs erwähnt, wird das «I»<br />
der Inter*/intersexuellen Menschen<br />
bereits grossgeschrieben – und es gebührt<br />
ihm Beachtung. Die HAZ hingegen<br />
benutzt «LGBTQ» – weil das<br />
«Q» (queer) für viele, die entweder ihr<br />
Begehren oder ihr Geschlecht nicht<br />
in Schubladen packen möchten, eine<br />
Selbstbeschreibung ist. Weitere Bezeichnungen<br />
und Buchstaben machen<br />
die Runde, so etwa das «P», das für<br />
änderung für Schlagzeilen sorgte (siehe<br />
Cruiser Juli/August). Sie erlebte bi sind, sondern den Menschen an<br />
Pansexuelle steht (Personen, die nicht<br />
einen gewissen Neid unter den Transmenschen,<br />
etwa in Hinsicht darauf, berechtigte Frage ist, wie viele Grup-<br />
sich sexuell anziehend finden). Eine<br />
wer den grösseren Nachteil hat. «Jeder<br />
Weg, egal wie gross die Hürden Dieser kurze Einblick in die Bepen<br />
«LGBT» noch aufnehmen kann.<br />
und die Tücken auch sind, hat seine grifflichkeit vermag selbstverständlich<br />
nicht die unzähligen Facetten<br />
Vorteile», so Meier. Tatsächlich bemerkte<br />
sie aber auch immer wieder der Sexualität zu beschreiben. Aber<br />
einen Graben zwischen denen, die der Dampfer ist in See gestochen und<br />
alle medizinischen geschlechtsangleichenden<br />
Massnahmen ausschöpfen ein Spiegelbild der Gesellschaft. Ein<br />
nimmt Kurs auf. Am Ende ist «LGBT»<br />
und denen, die nicht alle Operationen Sammelsurium an Farbe, an Liebe,<br />
machen, die möglich sind.<br />
an Kraft, aber auch an Demut, an<br />
Hannes Rudolph von der HAZ, Streitigkeiten oder an Missgunst. Die<br />
selbst ein schwuler Transmann, bemerkt<br />
dazu, dass viele Transmenleicht<br />
dürfte das der Grund sein, wes-<br />
Vielfalt kommt zum Vorschein – viel-<br />
EIN EFFEKTIVES<br />
schen auch die Geschlechterordnung halb konservative Kräfte vor Angst erzittern.<br />
Denn was die Menschlichkeit<br />
«MITEINANDER»<br />
und die Rollenbilder oder das Zweigeschlechtersystem<br />
generell hinterfra-<br />
lebendig macht, lässt sich schwer re-<br />
einen Bi-Treff an. Hannes Rudolph,<br />
fünf Jahren hat sich in der Schweiz<br />
EXISTIERT IN DER<br />
Geschäftsführer der HAZ, sieht eines<br />
das Bild der Transmenschen bereits<br />
LGBT-GEMEINSCHAFT<br />
gen. Immerhin, schwule Männer stehen<br />
seiner Erfahrung nach schwulen laden stecken. Aber das ist eine ganz<br />
gieren und schon gar nicht in Schub-<br />
der Probleme der Bisexuellen darin,<br />
geändert. Beispielsweise wird heute<br />
nicht mehr der Begriff «transse-<br />
Transmännern mit viel Neugierde ge-<br />
andere Geschichte.<br />
NUR SELTEN.<br />
dass sie «so gut wie unsichtbar» seien.<br />
Als Beispiele nennt er etwa die<br />
xuell» verwendet, sondern trans*.<br />
genüber. Nicht umsonst wurde an der Alle Adressen der Fachstellen auf<br />
bisexuelle Frau, die Hand in Hand<br />
TGNS steht für alle Menschen ein, die<br />
dritten Schweizer Transtagung extra www. cruisermagazin.ch<br />
mit einem Mann geht und als hetero<br />
sich mit dem Geschlecht, das ihnen<br />
angesehen wird. Ebenso gilt der bi-<br />
bei Geburt zugewiesen wurde, nicht<br />
sexuelle Mann, der einen Mann küsst,<br />
oder nicht ausschliesslich identifizieren<br />
können. Aber anders als Les-<br />
ANZEIGE<br />
als schwul.<br />
«Die Bisexualität wird nur durch<br />
ben, Schwule und Bisexuelle stehen<br />
ein Coming-out sichtbar. Und selbst<br />
Transmenschen noch relativ am Anfang<br />
ihrer – auch politischen – Eman-<br />
dann steht sie im Verdacht, etwas<br />
anderes zu sein», so Rudolph. Vorurteile<br />
wie «Bi-Menschen können nicht<br />
und immer wieder zu erklären, das<br />
zipation. Anderen Menschen immer<br />
monogam sein» oder müde Sprüche fertigung bedürfe wie jede andere sexuelle<br />
Orientierung, erklärt Rudolph. hat, gleicht oftmals einer Sisyphusar-<br />
trans* nichts mit Sexualität zu tun<br />
wie «man habe sich noch nicht entschieden»,<br />
zermürben. «Viele lesbische<br />
Frauen, und sicher auch einige<br />
unter den Transmenschen gibt, wird<br />
beit. Dass es Heteros, Homos und Bi’s<br />
schwule Männer, können nicht nachvollziehen,<br />
wie diese Art von Sexu-<br />
mächtig auf. Und das muss es, denn «Aber auch bei uns Transmen-<br />
Das grosse «T» im Begriff holt derzeit oft nicht verstanden.<br />
alität gelebt werden kann», meint anders als um die Sexualität wie bei schen gibt es viele verschiedene Meinungen»,<br />
weiss Claudia Sabine Meier,<br />
Barbara Lanthemann von LOS. Dabei «LGB», geht es im «T» um die Identität.<br />
Seit der Gründung von Transgen-<br />
die mit zwei Präzendenzfällen in Be-<br />
sei Bisexualität eine sexuelle Orientierung,<br />
die genauso wenig der Rechtder<br />
Network Switzerland (TGNS) vor zug auf Namens- und Personenstands-<br />
<strong>CRU</strong>ISER OKTOBER 2015 <strong>CRU</strong>ISER OKTOBER 2015<br />
THEMA 7<br />
LGBT<br />
GESCHICHTE<br />
Geschichte<br />
Cruiser erscheint seit über 25 Jahren und ist bis heute die Zeitung der Schweizer Gay-Community.<br />
Geschichte verpflichtet: keine andere Zeitung kann eine derart starke Leserbindung aufweisen.<br />
Als einzige Gay–Publikation ist Cruiser WEMF beglaubigt und kann eine gestreute<br />
Auflage von 12 000 Exemplaren nachweisen. Die Leserzahl der handlichen Tabloid-<br />
Zeitung wird auf 35 000 Leser geschätzt. Diese Reichweite wird durch das starke Online-Angebot<br />
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Cruiser bietet Journalismus auf hohem Niveau und Artikel, die aufwühlen, ansprechen und<br />
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unbequem und kritisch sein wollen; Journalisten, die hinterfragen und die Beliebtheit nicht als<br />
Massstab nehmen.<br />
OKTOBER 2015 CHF 7.50<br />
LGBT: EINHEIT ODER DIVERSITÄT?<br />
WIE DIE COMMUNITY ZU SICH SELBST STEHT<br />
LGBT: EINHEIT<br />
ODER DIVERSITÄT?<br />
LGBT? Oder LGBTI? Oder vielleicht LGBTQ? Was der Oberbegriff<br />
für eine Gemeinschaft sein soll, ist in Tat und Wahrheit der Oberbegriff<br />
eines politischen Schlachtschiffes, das immer schneller in See sticht.<br />
Dies mit einer Vielfalt an Anliegen und Meinungen.<br />
rüher, da war vieles gut. Heute<br />
ist alles besser.<br />
FManchmal wäre ich froh, es wäre<br />
wieder gut», so ein Zitat des Schwei-<br />
Ständerat<br />
SEIT ANFANG DER<br />
1990ER SIND DIE VIER<br />
BUCHSTABEN AUF<br />
DEM VORMARSCH UND<br />
BIETEN EINEN SCHÜTZEN-<br />
DEN DECKMANTEL<br />
FÜR DIE SOGENANNTEN<br />
«MINDERHEITEN».<br />
Vogt<br />
Hans-Ueli<br />
Der brillante Kopf für Zürich.<br />
DAS G<br />
FOTOS: FOTOLIA (1)<br />
DAS L<br />
MONOGAMIE<br />
Kopieren Gays das Heteromodell?<br />
DAS B<br />
FITNESS<br />
Wer wo wie trainiert<br />
NEUE SERIE<br />
Cruiser auf Reisen<br />
«DIE BISEXUALITÄT<br />
WIRD NUR DURCH EIN<br />
COMING-OUT SICHTBAR.<br />
UND SELBST DANN STEHT<br />
SIE IM VERDACHT, ETWAS<br />
ANDERES ZU SEIN.»<br />
DAS T<br />
FOTOS: FOTOLI<br />
AM ENDE IST «LGBT»<br />
EIN SPIEGELBILD DER<br />
GESELLSCHAFT.<br />
EIN SAMMELSURIUM AN<br />
FARBE, AN LIEBE,<br />
AN KRAFT, ABER AUCH AN<br />
DEMUT, AN STREITIG-<br />
KEITEN ODER AN MISS-<br />
GUNST.<br />
EIN I