atw 2018-10
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
<strong>atw</strong> Vol. 63 (<strong>2018</strong>) | Issue <strong>10</strong> ı October<br />
520<br />
SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW<br />
Umlagebescheide und Standortsuche:<br />
Kleiner Zuständigkeitswechsel – große Wirkung?<br />
Marc Ruttloff<br />
Manchmal kommen die Dinge recht unscheinbar daher. Das lässt sich gewiss nicht insgesamt über das Stand ort auswahlgesetz<br />
– StandAG sagen. Dies zeigt eindrucksvoll sein § 1, in dem der Zweck des Gesetzes auf nicht weniger als sechs<br />
Absätzen umschrieben wird. Eine wesentliche Quintessenz ergibt sich aus § 1 Abs. 2 Satz 1 StandAG, der die Zweck bestimmung<br />
zusammenfassend wie folgt zusammenfasst: „Mit dem Standortauswahlverfahren soll in einem partizipativen, wissenschaftsbasierten,<br />
transparenten, selbsthinterfragenden und lernenden Verfahren für die im Inland verursachten hochradioaktiven<br />
Abfälle ein Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für eine Anlage zur Endlagerung nach § 9a Absatz 3 Satz 1 des Atomgesetzes<br />
in der Bundesrepublik Deutschland ermittelt werden.“<br />
Das 2013 erlassene StandAG wurde vor Einleitung des Standortauswahlverfahrens<br />
schließlich der „Kommission Lage rung<br />
hoch radioaktiver Abfallstoffe“ (Endlagerkommission) beim<br />
Deutschen Bundestag zwecks Erörterung und Klärung von<br />
Grundsatzfragen für die Entsorgung insbesondere hochradioaktiver<br />
Abfälle, von allem auch zu Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen<br />
und Abwägungskri terien für die Standortauswahl<br />
sowie zu den Anforderungen an das Verfahren des Auswahlprozesses<br />
und die Prüfung von Alternativen, eingesetzt.<br />
Die Kom mission beschloss nach knapp zweijähriger Arbeit ihren<br />
Abschlussbericht zum Stand ort aus wahl verfahren am 27. Juni<br />
2016. Der Kommissionsbericht enthält ins besondere Empfehlungen<br />
zu einem umfassenden Beteiligungsverfahren, zum Ablauf<br />
des Standortaus wahl ver fahrens sowie zu einem erweiterten<br />
Rechtsschutz im Auswahlverfahren. Diese Empfehlungen<br />
mündeten sodann in einen kompletten Neuerlass des StandAG<br />
durch das „Gesetz zur Fortentwicklung des Gesetzes zur Suche<br />
und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde<br />
radio aktive Abfälle und anderer Gesetze“ vom 5. Mai<br />
2017 – BGBl. I <strong>10</strong>74. Die Amtliche Gesetzes begründung umfasst<br />
allein 80 Seiten (BT-Drs. 18/11398).<br />
Die §§ 30 ff. regeln das Verfahren zur Ermittlung des Umlagebetrages<br />
sowie zur Einziehung der Umlage und zu den durch<br />
die Umlagepflichtigen zu leistenden Voraus zahlungen Diese<br />
Vorschriften sind im Wesentlichen unverändert geblieben, nur<br />
ihre Paragrafenzahlen haben sich durch gewisse Einfügungen<br />
nach hinten verschoben. Umlagepflichtig sind nicht nur Betreiber<br />
von Kernkraftwerken sowie Anlagen zur Be- und Verarbeitung<br />
von Kernbrennstoffen (§ 7 AtomG), sondern auch Inhaber<br />
von Genehmigungen zur Aufbewahrung (§ 6 AtomG) sowie zur<br />
Be- und Verarbeitung von Kernbrennstoffen außerhalb genehmigungsbedürftiger<br />
Anlagen (§ 9 AtomG), ferner – als Auffangtatbestand<br />
– jeder, der eine Genehmigung zum Umgang mit radioaktiven<br />
Stoffen gemäß § 7 StrlSchVO innehat. Neben<br />
redaktionellen Folgeänderungen (Er setzung des Begriffs<br />
„Öffent lichkeitsbeteiligung“ durch „Beteiligungsverfahren“,<br />
etc.) liegt die einzige wesentliche Neuerung darin, dass nunmehr<br />
das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und<br />
nukleare Sicherheit (BMU) für die Festsetzung und Einziehung<br />
der durch das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit<br />
sowie den Vorhaben träger, derzeit die Bundesgesellschaft<br />
für Endlagerung (BGE), ermittelten Umlagebeträge zuständig<br />
ist. Doch welche Erwägungen stecken hinter dieser Zuständigkeitsverlagerung<br />
und Hochzonung auf das Bundesministerium?<br />
Die ansonsten so redselige Amtliche Gesetzesbegründung<br />
fällt hier bemerkenswert und uninformativ aus: „Gegenüber<br />
dem bisherigen Standortauswahlgesetz wird nunmehr das<br />
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit<br />
die Kosten erheben“ (BT-Drs. 18/11398, S. 73).<br />
Und auch der Bericht der Endlagerkommission enthält hierzu<br />
nichts Erhellendes.<br />
Die Rolle des BMU in diesem Zusammenhang ist sehr zurückgenommen.<br />
Ausgangspunkt ist die gemäß § 30 StandAG<br />
zu erstellende Jahresrechnung. Diese bildet die Grundlage für<br />
die Berechnung der von den einzelnen Umlagepflichtigen zu<br />
Spotlight on Nuclear Law<br />
Apportionment Decisions and Site Search: Small Change of Jurisdiction – Big Effect? ı Marc Ruttloff<br />
leistenden Beträge. Hierzu stellen der Vorhabenträger sowie<br />
das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit<br />
jeweils gesondert im Rahmen einer Einnahmen-Ausgaben-<br />
Rechnung fest, welche gemäß § 28 Abs. 2 StandAG umlagefähigen<br />
Kosten ihnen im Zusammenhang mit der Standortsuche<br />
im Rechnungsjahr entstanden sind. Für die Umlagepflichtigen<br />
wird somit transparent, für welche Ausgaben sie konkret<br />
herangezogen werden. Die Abschlussprüfung durch einen<br />
Wirtschaftsprüfer bzw. eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
sowie der Genehmigungsvorbehalt zugunsten des BMU sollen<br />
die ordnungsgemäße Aufstellung gewährleisten. Der Vorhabenträger<br />
sowie das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit<br />
ermitteln also jeweils die entsprechenden<br />
Umlagebeträge und übermitteln diese an das BMU.<br />
Das BMU setzt die durch das Bundesamt für kerntechnische<br />
Entsorgungssicherheit sowie den Vorhabenträger<br />
ermittelten Umlagebeträge fest, es besteht kein Ermessenspielraum<br />
(„hat … festzusetzen“). Die Kontrollbefugnis dürfte<br />
sich hierbei auf offensichtliche Fehler bei der Zuordnung zu<br />
den einzelnen Umlagepflichtigen beschränken. Eine weitergehende<br />
Prüfung dürfte dem BMU auch kaum möglich sein,<br />
da der technische Sachverstand vollständig bei dem Vorhabenträger<br />
und beim Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit<br />
gebündelt ist. Das BMU dürfte faktisch daher<br />
in dieser Hinsicht bei dem Erlass der Bescheide nicht viel mehr<br />
als ein „Schreib-Büro“ sein können.<br />
Dieser Übergang der Festsetzungsbefugnis vom Bundesamt<br />
für kerntechnische Entsorgungssicherheit auf das BMU<br />
als eine oberste Bundesbehörde hat jedoch eine wichtige verwaltungsprozessuale<br />
Konsequenz, über die in der Gesetzesbegründung<br />
kein Wort verloren wird: Vor Anfechtung der<br />
Festsetzungsbescheide ist nunmehr kein Widerspruchsverfahren<br />
mehr erforderlich – und damit auch nicht mehr statthaft,<br />
vgl. § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO. Und vor den Verwaltungsgerichten<br />
findet nur eine Überprüfung der Recht mäßigkeit<br />
der Umlagebescheide statt. Im Widerspruchs verfahren kann<br />
hingegen grundsätzlich auch die Zweck mäßigkeit kontrolliert<br />
werden. Kurzum: Ohne Widerspruchsverfahren auch keine<br />
Zweckmäßigkeitskontrolle.<br />
Erinnern wir uns an dieser Stelle nochmals an die oben<br />
zitierte Umschreibung der Zweckbestimmung des Gesetzes,<br />
wo von „einem partizipativen, wissenschaftsbasierten, transparenten,<br />
selbsthinterfragenden und lernenden Verfahren“<br />
die Rede ist. Müssen diese Grundsätze konsequenterweise<br />
nicht auch auf die Ermittlung der Kosten und deren Um lage<br />
auf diejenigen, die diese Kosten im Ergebnis zu tragen haben,<br />
Anwendung finden? Auch dazu äußert sich die Amtliche<br />
Gesetzesbegründung nicht. Manchmal sagt Schweigen mehr<br />
als <strong>10</strong>00 Worte.<br />
Author<br />
Dr. Marc Ruttloff, Rechtsanwalt<br />
Gleiss Lutz<br />
Lautenschlagerstr. 21<br />
70173 Stuttgart, Deutschland<br />
Friedrichstraße 71<br />
<strong>10</strong>117 Berlin, Deutschland