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<strong>Höxter</strong>-<strong>Kurier</strong> Nr. <strong>507</strong> 20. Oktober 2018 Seite 3<br />
Großbrand im Februar 2000.<br />
Die alte Ottberger Kartonfabrik<br />
Nach 400 Jahren geschlossen<br />
Im Sommer 2009 stellte die<br />
Kartonfabrik Johann Schmidt in<br />
Ottbergen ihre Produktion ein.<br />
Heute ist die verlassene Fabrik im<br />
Herzen von Ottbergen, die eine<br />
400-jährige Geschichte aufweist,<br />
ein „Lost Place“ geworden,<br />
die Nummer 11 unserer<br />
Serie. Im Jahre 1609<br />
entstand in Ottbergen<br />
die „Papiermühle“ am<br />
Fuße des Stootes. Die<br />
hier entspringenden<br />
Quellen machte man<br />
sich bereits um das<br />
Jahr 1000 nutzbar.<br />
Das durch einen Damm<br />
angestaute Wasser trieb ein<br />
oberschlächtiges Wasserrad<br />
an, das Getreide für die zum<br />
Kloster Corvey gehörenden landwirtschaftlichen<br />
Betriebe mahlte.<br />
Der Vorgänger der „Papiermühle“<br />
an dieser Stelle war eine Kornmühle.<br />
Nach der Erfindung des<br />
Buchdrucks stieg der Verbrauch<br />
an Papier in großem Maße an. Mit<br />
dem Verkauf von handgeschöpftem<br />
Büttenpapier erhoffte man sich einen<br />
neuen Wirtschaftszweig finanziell<br />
nutzbar zu machen. Deshalb wurde<br />
im Jahre 1609 die alte Kornmühle<br />
in eine Papiermühle umgewandelt.<br />
Betrieben worden ist sie von den<br />
Brüdern Franz und Dietrich von<br />
Kanne aus Bruchhausen. Johann<br />
Adam Schmidt pachtete im Jahre<br />
1805 die Papiermühle und gründete<br />
die Firma Johann Schmidt. Sein<br />
Schwiegersohn Otto Meier löste<br />
1880 die Erbpacht ab und erwarb<br />
die Mühle als Eigentum. 1921 wurde<br />
die alte Mühle abgebrochen und an<br />
gleicher Stelle entstand das noch<br />
heute existierende Fabrikgebäude.<br />
Mit der neuen Fabrik erfolgte 1921<br />
ein großer Einschnitt: Das Unternehmen<br />
stellte unter der Geschäftsleitung<br />
von Karl Meier auf Kartonproduktion<br />
um. Zwischen 1960 und<br />
1975 erreichte die Kartonfabrik ihre<br />
Blütezeit, in der die größten Gewinne<br />
erzielt werden konnten. Hergestellt<br />
wurden Kartons für Buchrücken und<br />
Ordner sowie für die Faltschachtel-<br />
Produktion. Vor allem der Export<br />
war für die Kartonfabrik von großer<br />
Bedeutung. 20.000 Tonnen Karton,<br />
hauptsächlich für den Lebens<strong>mit</strong>telbereich,<br />
stellte die Kartonfabrik<br />
Johann Schmidt in etwa jährlich her.<br />
Am 7. Februar des Jahres 2000<br />
brannte die Fabrik: Gegen 03.00<br />
Uhr morgens wurde die Feuerwehr<br />
alarmiert. Mehr als 160 Papierballen<br />
standen in der vorderen Halle<br />
der Fabrik in Flammen. Als die<br />
Feuerwehr eintraf, schlugen die<br />
Flammen bereits aus den Fenstern<br />
der Lagerhalle. 70 Feuerwehrleute<br />
aus Ottbergen, Bruchhausen, Godelheim<br />
und <strong>Höxter</strong> waren im Einsatz,<br />
um der Flammen Herr zu werden,<br />
was nach etwa zwei Stunden auch<br />
gelang. Brandursache war damals<br />
ein technischer Defekt an einer<br />
Deckenlampe, die direkt über den<br />
Papierballen hing. Der Sachschaden<br />
betrug umgerechnet 100.000 Euro.<br />
Nach der Jahrtausendwende ging<br />
es für das Unternehmen bergab. Im<br />
Jahr 2006 geriet die Kartonfabrik<br />
nach einigen schwierigen Jahren in<br />
unruhiges Fahrwasser. Vor allem die<br />
hohen Energiekosten machten dem<br />
Unternehmen zu schaffen, so dass<br />
schließlich eine Insolvenz unvermeidbar<br />
war. Rettung nahte Anfang<br />
2007 aus der Finanzmetropole<br />
Frankfurt am Main. Die<br />
Hendriksen Aktiengesellschaft,<br />
die<br />
sich auf<br />
„Fortführungslösungen<br />
für<br />
Unternehmen<br />
in<br />
Schwierigkeiten“<br />
spezialisiert hat,<br />
stellte das notwendige Geld<br />
zur Verfügung, um den Betrieb aufrecht<br />
zu erhalten. Gemeinsames Ziel<br />
war es damals, dass die Kartonfabrik<br />
nicht nur das große Jubiläumsjahr<br />
in 2009 erreicht, sondern sich auch<br />
darüber hinaus am Markt profilieren<br />
kann. Am 30. Januar 2009 wurde<br />
der Kartonfabrik jedoch der Strom<br />
abgestellt. Die Maschinen standen<br />
erneut still und der große Schornstein<br />
rauchte nicht mehr. Zwei Tage<br />
später konnte die Produktion wieder<br />
aufgenommen werden. Obwohl man<br />
laut der Hendriksen AG schwarze<br />
Zahlen schrieb, waren erhebliche<br />
Stromkosten aufgelaufen, die<br />
nicht beglichen worden sind. Der<br />
amtierende Geschäftsführer wurde<br />
daraufhin abberufen.<br />
Im Monat darauf hieß es in der<br />
heimischen Presse, es seien Investitionen<br />
in Höhe von 6,5 Millionen<br />
Euro geplant. Diese seien laut dem<br />
Unternehmen notwendig gewesen,<br />
weil die Fabrik über einen völlig<br />
veralteten Querschneider verfügte,<br />
der die Produktion ausbremste. Für<br />
eine moderne Anlage war jedoch<br />
kein Platz am bisherigen Standort.<br />
Viele Varianten der Produktionsfortführung<br />
sind daraufhin öffentlich<br />
diskutiert worden, die jedoch nicht<br />
realisiert wurden. Am 31. März 2009<br />
heißt es in der Presse aber schon<br />
wieder: „Mittlerweile hinterlässt<br />
die Wirtschaftskrise auch beim Ottberger<br />
Kartonproduzenten Spuren.<br />
Das Unternehmen hat Kurzarbeit<br />
angemeldet.“ Am 27. Mai 2009 wird<br />
bekannt, dass das Unternehmen die<br />
Gehälter der Mitarbeiter verzögert<br />
zahlt. Aufträge lagen vor, die Produktion<br />
lief, wenn auch <strong>mit</strong> gedrosselter<br />
Kraft, hieß es in der Presse im<br />
Frühjahr 2009. Im Juni 2009 zog das<br />
Unternehmen die Notbremse. Wegen<br />
mangelnder Liquidität für Rohstoffe<br />
und Energie wurde eine vorläufige<br />
Insolvenz angemeldet. Die Produktion<br />
ruhte zunächst und wurde nach<br />
kurzer Pause wieder aufgenommen.<br />
In den folgenden Monaten überschlugen<br />
sich die Meldungen.<br />
Während die etwa 60 Angestellten<br />
Anfang August noch um ihre Arbeitsplätze<br />
bangten, galt der Kampf<br />
darum jedoch schon als verloren. Der<br />
Insolvenzverwalter teilte den rund<br />
60 Beschäftigten während einer Betriebsversammlung<br />
die Schließung<br />
des Traditionsunternehmens <strong>mit</strong>.<br />
55 Beschäftigte verloren sofort ihre<br />
Arbeit, fünf Mitarbeiter arbeiteten<br />
zunächst weiter, um das Ende der<br />
Kartonfabrik abzuwickeln. Kurze<br />
Zeit später erloschen die Lichter in<br />
der Kartonfabrik.<br />
Am 5. Juli 2013 kam die <strong>mit</strong>tlerweile<br />
geschlossene Fabrik erneut in<br />
die Schlagzeilen. Auch der Einsatz<br />
der Feuerwehr war wieder gefragt.<br />
Eine Walze aus Gussmetall wurde<br />
gesprengt, um die Einzelteile als<br />
Schrott abzutransportieren. Für<br />
die Sprengung musste kurzfristig<br />
auch die Bundesstraße 64 und die<br />
Bahnlinie oberhalb der Kartonfabrik<br />
vollständig gesperrt werden. Häuser<br />
in der un<strong>mit</strong>telbaren Nähe zur<br />
Kartonfabrik sind ebenfalls vorher<br />
evakuiert worden. „Während der<br />
Die alte Fabrikhalle ist von der B64 gut zu sehen.<br />
Fotos: Thomas Kube<br />
Sprengung gab es einen unglaublichen<br />
„Rumms“. Scheiben flogen<br />
heraus und das Gebäude dehnte sich<br />
ganz kurz aus wie ein Luftballon“,<br />
berichtete Feuerwehr-Einsatzleiter<br />
Martin Weskamp, der die Sprengung<br />
<strong>mit</strong> seinen Kameraden von der anderen<br />
Straßenseite beobachtet hatte.<br />
Die Feuerwehr musste allerdings<br />
nicht mehr tätig werden. Es bestand<br />
Gefahr, dass die zum Schutz aufgeschichteten<br />
Papier- und Strohballen<br />
durch die Explosion das Brennen<br />
anfangen. Seither ist es ruhig geworden<br />
um das alte Fabrikgebäude, das<br />
mehr und mehr verfällt. TKu<br />
Nach der Explosion wurden die Scheiben heraus gedrückt<br />
Diese Walze wurde im Juli 2013 gesprengt.<br />
Die alte Fabrik wuchert mehr und mehr zu.