atw 2018-12
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<strong>atw</strong> Vol. 63 (<strong>2018</strong>) | Issue 11/<strong>12</strong> ı November/December<br />
Der Rückbau kerntechnischer Anlagen:<br />
Eine interdisziplinäre Aufgabe<br />
für Nachwuchskräfte<br />
David Anton, Manuel Reichardt, Thomas Hassel und Harald Budelmann<br />
1 Einleitung Nur wenige Monate nach der Havarie des japanischen Kernkraftwerks Fukushima Daiichi im<br />
März 2011 wurde von der deutschen Bundesregierung der schrittweise Ausstieg aus der kommerziellen Nutzung der<br />
Kernenergie bis spätestens Ende 2022 beschlossen. Anfang des Jahres <strong>2018</strong> befanden sich nach [3] in Deutschland<br />
noch sieben Kernreaktoren im Leistungsbetrieb. Entsprechend [4] wurde bei drei Leistungsreaktoren der Betrieb<br />
eingestellt, während sich 23 Leistungs- bzw. Prototypreaktoren bereits in Stilllegung befinden. Mit dem Inkrafttreten<br />
des „Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung” im Juni 2017 wurde der „Fonds<br />
zur Finan zierung der kerntechnischen Entsorgung“ errichtet. Durch die Bildung des Fonds durch die Betreiber und den<br />
damit verbundenen Übergang der Verantwortlichkeit für die Reststoffe an den Bund ist der Weg für den von den<br />
Betreibern verantworteten Rückbau koordiniert gestaltet.<br />
Beim Rückbau von Kernkraft werken<br />
müssen vielfältige Rand bedingungen<br />
und Anforderungen beachtet werden,<br />
die neben den rechtlichen insbesondere<br />
auch komplexe verfah -<br />
rens- und strahlenschutztechnische<br />
Aspekte berühren. Wesentlich ist in<br />
diesem Zusammenhang auch die Aufgabe<br />
des fachgerechten Umgangs<br />
mit den beim Rückbau anfallenden<br />
Materialien. Mit Schacht Konrad befindet<br />
sich bereits ein planfestgestelltes<br />
Endlager für Abfälle mit vernachlässigbarer<br />
Wärmeentwicklung<br />
in der Errichtung. Jedoch sind Ort<br />
und Zeitpunkt für die Inbetriebnahme<br />
eines Endlagers für hoch radioaktive,<br />
Wärme entwickelnde Abfälle in<br />
Deutschland bis heute noch relativ<br />
ungewiss.<br />
Sowohl für den Rückbau der zahlreichen<br />
Kernkraftwerke als auch<br />
für den fachgerechten Umgang mit<br />
den dabei anfallenden radioaktiven<br />
Abfällen wird Fachpersonal der unterschiedlichsten<br />
Disziplinen benötigt.<br />
Die große Komplexität der Gesamtaufgabe<br />
erfordert darüber hinaus eine<br />
interdisziplinäre Herangehensweise<br />
an die jeweiligen Einzelaspekte.<br />
Im folgenden Artikel wird daher<br />
am Beispiel des Rückbaus von Kernkraftwerken<br />
schlaglichtartig anhand<br />
der vielfältigen Herausforderungen<br />
auf die große Bedeutung des Kompetenzerhalts<br />
hingewiesen. Für die<br />
erfolgreiche Durchführung der zahlreich<br />
anstehenden Rückbauprojekte<br />
ist dies dringend erforderlich – die<br />
Notwendigkeit fachspezifischer Ausbildungswege,<br />
Forschungsarbeiten<br />
und der Weitergabe von Erfahrungen<br />
an junge Nachwuchskräfte bleibt auch<br />
deutlich über das Jahr 2022 hinaus<br />
bestehen. Zudem kann die Kompetenz<br />
im Bereich des Rückbaus auch<br />
zukünftig im internationalen Maßstab<br />
genutzt werden.<br />
Die folgenden Ausführungen<br />
geben die wesentlichen Inhalte einer<br />
Bachelorarbeit mit dem Titel Der<br />
Rückbau von Leichtwasserreaktoren<br />
unter verfahrens- und strahlenschutztechnischen<br />
Gesichtspunkten wieder,<br />
die im Rahmen des Forschungsprojektes<br />
ENTRIA – Entsorgungsoptionen<br />
für radioaktive Reststoffe: Interdisziplinäre<br />
Analysen und Entwicklung von<br />
Bewertungsgrundlagen an der TU<br />
Braunschweig in Kooperation mit der<br />
LU Hannover angefertigt wurde.<br />
2 Herausforderungen und<br />
Randbedingungen<br />
Die Entwicklung eines Rückbaukonzeptes<br />
für eine kerntechnische Anlage<br />
nimmt idealerweise schon mit der<br />
Inbetriebnahme ihren Anfang. Bis<br />
zur Durchführung der einzelnen<br />
Rückbaumaßnahmen durchläuft das<br />
Rückbaukonzept mehrere Iterationsschritte,<br />
in denen der Detailgrad zunehmend<br />
erhöht wird.<br />
Die Ausarbeitung des Konzeptes<br />
für eine Rückbaumaßnahme wird<br />
wesentlich durch die vorliegenden<br />
Randbedingungen beeinflusst, wie<br />
z. B. durch die gewählte Rückbaustrategie,<br />
den Reaktortyp, die räumliche<br />
Struktur, die vorhandene Infrastruktur,<br />
die radiologische Situation<br />
oder weitere strahlenschutztechnische<br />
Aspekte in der kerntechnischen<br />
Anlage. Weitere Randbedingungen<br />
lassen sich [24] entnehmen.<br />
Die einzelnen Randbedingungen<br />
sind nicht isoliert voneinander zu<br />
betrachten, sondern stehen in vielfachen<br />
Wechselwirkungen und sind<br />
dabei häufig individuell vom jeweiligen<br />
Stilllegungsprojekt abhängig.<br />
Die Erstellung eines universell<br />
anwend baren Rückbaukonzeptes ist<br />
daher nicht möglich und muss vielmehr<br />
unter Berücksichtigung der<br />
vorlie genden Gegebenheiten für jede<br />
kerntechnische Anlage individuell<br />
erstellt bzw. angepasst werden.<br />
2.1 Stilllegungsziel und<br />
Rückbaustrategie<br />
Der Rückbau einer kerntechnischen<br />
Anlage ist abgeschlossen, sobald diese<br />
aus dem Geltungsbereich des Atomgesetzes<br />
(AtG) entlassen ist. Eine<br />
Möglichkeit besteht im kompletten<br />
Rückbau der kerntechnischen Anlage<br />
bis hin zur Wiederherstellung der<br />
sprichwörtlichen „Grünen Wiese“.<br />
Alternativ können Gebäudestrukturen<br />
auf dem Gelände verbleiben,<br />
freigegeben und einer anderen<br />
Nutzung zugeführt werden.<br />
Zur Erreichung des Stilllegungsziels<br />
standen in Deutschland bisher<br />
grundsätzlich zwei unterschiedliche<br />
Rückbaustrategien zur Verfügung:<br />
der direkte Rückbau und der sichere<br />
Einschluss mit anschließendem<br />
Rückbau. Mit Inkrafttreten des o. g.<br />
Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung<br />
in der kerntechnischen<br />
Entsorgung wurde das AtG u. a. dahingehend<br />
geändert, dass der sichere<br />
Einschluss als Option für noch stillzulegende<br />
bzw. rückzubauende Anlagen<br />
ausgeschlossen ist. Für die Zukunft<br />
entfällt damit zumindest in Deutschland<br />
die Abwägung zwischen dem<br />
direkten Rückbau und dem sicheren<br />
Einschluss des jeweiligen Kraftwerks.<br />
Für einzelne Komponenten der Anlage<br />
sind aus strahlenschutztechnischen<br />
Gründen jedoch Ausnahmen<br />
möglich. Die betreffenden Komponenten<br />
werden ausgebaut und erst im<br />
Anschluss an eine Abklinglagerung<br />
zerlegt. Dieses Vorgehen bietet sich<br />
DECOMMISSIONING AND WASTE MANAGEMENT 601<br />
Decommissioning and Waste Management<br />
Decommissioning of Nuclear Facilities: An Interdisciplinary Task for Junior Staff ı David Anton, Manuel Reichardt, Thomas Hassel and Harald Budelmann