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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 45 · F reitag, 22. Februar 2019 3· ·<br />
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Seite 3<br />
Auf dem<br />
Sprung<br />
Blick auf Odessa während eines Manövers<br />
DPA<br />
Das Holz fühlt sich fest und glatt<br />
an, obwohl es keine Akazie ist<br />
wie in Berlin, sondern Kiefer.<br />
„Kiefer ist billiger“, sagt Alexei Jeremiza.<br />
„Und wir schweißen keine sechs,<br />
sondern acht Millimeter dicke Eisenbeschläge.<br />
Weil ein Spielplatz in Odessa mehr<br />
Rabauken aushalten muss als in Deutschland.“<br />
Alexei Jeremiza schwärmt von Berlin,<br />
wo seine Kinder zweieinhalb Jahre zur<br />
Schule gingen, in Wilmersdorf. „Da hab ich<br />
die ersten hölzernen Kinderspielplätzegesehen.“<br />
Er plaudert inHochgeschwindigkeit,<br />
die Kommas setzt er mit einem Lächeln. Der<br />
Mann ist eine Frohnatur.<br />
Vorfünf Jahren war Alexei Jeremiza, 39,<br />
noch Vizegouverneur der ukrainischen<br />
Schwarzmeerregion Odessa, zuständig für<br />
das Bauwesen. Aber die Maidan-Revolte brodelte<br />
schon, am 22. Februar 2014 stürzten<br />
prowestliche Aufständische in der Hauptstadt<br />
Kiew den Präsidenten Viktor Janukowitsch<br />
und sein Regime. Auch Jeremiza<br />
wurde abgesetzt.<br />
Damals war er Mitglied von Janukowitschs<br />
russlandfreundlicher Partei der Regionen,<br />
jetzt sitzt er als Abgeordneter für deren<br />
ebenfalls russlandfreundliche Nachfolgepartei<br />
Oppositionsblock im Stadtrat von<br />
Odessa. Er sagt, er habe während der vier<br />
Monate währenden Maidan-Rebellion angesichts<br />
von Janukowitschs kriminell-korruptem<br />
Regime im Stillen mit den Einheimischen<br />
sympathisiert. „Aber das Ergebnis,der<br />
Assoziierungsvertrag mit der EU, hat unsere<br />
Industrie ruiniert. Und die Korruption ist<br />
nicht verschwunden.“<br />
17 Sorten Craft-Beer<br />
Russland oder Europa?<br />
Korruption und Kriminalität? Oder Ehrlichkeit und Optimismus?<br />
Wiesieht sie aus, die Zukunft der Ukraine?<br />
Eine Reise nach Odessa fünf Jahre nach der Maidan-Revolution<br />
DieRebellion, die friedlich begann, wurde angesichts<br />
immer neuer Übergriffe der Sicherheitskräfte<br />
erst gewalttätig, dann blutig. Die<br />
Auseinandersetzungen in Kiew eskalierten<br />
zwischen dem 18. und dem 20. Februar 2014,<br />
es gab Schießereien, mehr als 100 Menschen<br />
kamen zu Tode, zum Großteil Rebellen. Und<br />
Moskau antwortete auf den prowestlichen<br />
Regimewechsel mit der Annexion der Krim,<br />
zettelte im Frühjahr in der Ostukraine Aufstände<br />
an. Auch in Odessa brachen am 2. Mai<br />
2014 Straßenkämpfe aus.Das Gewerkschaftshaus,<br />
indem sich Anhänger Russlands verschanzt<br />
hatten, geriet in Brand, 48 Menschen<br />
kamen um. „Die Staatsmacht brauchte diese<br />
Opfer“, meint Jeremiza, „um dem Anti-Maidan<br />
ein Ende zu machen.“<br />
Der blutige Trennstrich von damals hängt<br />
noch immer über der Einmillionen-Stadt. Zugleich<br />
haben es Anhänger wie Gegner des<br />
Maidans weiter mit altbekannten Phänomenen<br />
zu tun: Korruption und Kriminalität.<br />
Odessa ist sehr alt und sehr jung. Ein<br />
Großteil der Architektur stammt aus dem 19.<br />
Jahrhundert, die Jugendstilfassaden bröckeln<br />
oben. Unten aber drängen sich Frühstückscafés.<br />
Der Asphalt vieler Nebenstraßen<br />
ist bucklig. Aufihm eilen beturnschuhte<br />
junge Leute mit unternehmungslustigen Gesichtern<br />
Richtung Stadtzentrum. Maidan-<br />
Aktivisten und Politologen verabreden sich<br />
zum Interview in Kneipen mit 17 verschiedenen<br />
Sorten Craft-Beer.Odessa gilt als lebenslustig,<br />
besitzt nach der Annexion der Krim<br />
nicht nur den letzten großen Schwarzmeerhafen<br />
der Ukraine,sondernauch ihrelängsten<br />
Urlaubsstrände. Und in der Fußgängerzone<br />
auf der Deribasiwska flanieren türkisch<br />
sprechende Männergrüppchen, der Sextourismus<br />
hat rund ums Jahr Saison.<br />
Das Gerichtsverfahren, das das Blutbad<br />
vom2.Mai 2014 aufklären soll, kommt nicht<br />
voran. Vordem Gewerkschaftshaus versammeln<br />
sich jeden Sonntag etwa 40 Leute, um<br />
Vergeltung zu fordern. Die meisten haben<br />
graue Haare und tragen ärmliche Kleider.<br />
Eine greise Frau liest ein Puschkin-Gedicht<br />
vor, hier sehnt man sich nach Russland und<br />
der untergegangenen Sowjetunion.<br />
Den Alten in Odessa geht es schlecht unter<br />
dem neuen ukrainischen Kapitalismus.<br />
Jeremizas Eltern, der Vater ein früherer Trolleybusfahrer,<br />
die Mutter eine Straßenarbeiterin,<br />
bekommen zusammen umgerechnet<br />
104 Euro Rente im Monat. Aber allein Gas,<br />
Stromund Wasser kosten sie über 110 Euro.<br />
Poroschenko und sein Westkurs sind in<br />
der Region nicht mehrheitsfähig. Nach Umfragen<br />
aus dem vergangenen Jahr sind nur 15<br />
Prozent ihrer Bewohner für einen Beitritt zur<br />
Nato, dreimal weniger als in der übrigen<br />
Ukraine. Und als auf dem Bahnhof, im<br />
Nachtzug nach Kiew, jemand englisch<br />
spricht, murrt ein beleibter Herr in Lederjacke<br />
mit Pelzkragen laut: „Was, haben wir einen<br />
Ami-Scheißer im Abteil?“<br />
Die Lager von 2014 haben sich noch immer<br />
nicht aufgelöst. „Damals“, sagt Alexander<br />
Sibirzew, Oppositionsjournalist, Historiker<br />
und Karate-Trainer,„waren in Odessa 80<br />
Prozent für Russland, 20 Prozent für den Euromaidan.“<br />
Aber diese 20 Prozent seien bedeutend<br />
jünger und passionierter gewesen.<br />
Auch der Politologe Witali Ustimenko,25,<br />
ein Schlaks mit dunklem Haar, steht auf der<br />
prowestlichen Seite der Barrikaden. Er ge-<br />
POLEN<br />
VonStefan Scholl, Odessa<br />
UKRAINE<br />
MOLDAWIEN<br />
RUMÄNIEN<br />
tun. Beide finden die politischen Ansichten<br />
des anderen eher entsetzlich. „Das wichtigste<br />
Ergebnis des Maidans ist die ukrainische<br />
Zivilgesellschaft, die es nie zulassen<br />
wird, dass unser europäischer Vektor wieder<br />
russisch oder sowjetisch wird“, erklärt Ustimenko.„Die<br />
Ukraine kann nur als Korridor,<br />
als Brücke zwischen Europa und Russland,<br />
überleben“, verkündet dagegen Jeremiza.<br />
„Sie muss in beide Richtungen schauen.“<br />
Einer Meinung sind die beiden, wenn es<br />
um das Thema Korruption geht. Ustimenko<br />
schlägt sich seit Jahren mit einem Ex-Staatsanwalt<br />
herum, dessen Familie ein Vier-<br />
Sterne-Hotel auf den Sandstrand am Meer<br />
gebaut hat, keine 50 Meter vonder Wasserlinie<br />
entfernt. Der Staatsanwalt wurde deshalb<br />
entlassen, gerade ist seine Verleumdungsklage<br />
gegen Ustimenko gescheitert.<br />
Dutzende solcher Immobilien entstehen widerrechtlich<br />
in der Hundert-Meter-Schutzzone<br />
am Meeresufer. „Die Steilküste ist lehmig“,<br />
erklärtJeremiza dazu, „und die Gefahr,<br />
dass die Gebäude zusammen mit ihr ins<br />
Meer rutschen, ist groß.“ Seit den Sechzigerjahren<br />
habe niemand mehr Geld in die Befestigung<br />
der Küste gesteckt.<br />
Er und Ustimenko erzählen ähnliche Geschichten<br />
aus dem Bauwesen. Von Strandprojekten,<br />
die als Bootsstation genehmigt<br />
und als Delfinarium gebaut wurden. Von<br />
Haushaltsmitteln für die Renovierung historischer<br />
Baudenkmäler, die nur in Immobilien<br />
gesteckt werden, welche Beamten, Parlamentariernoder<br />
ihren Spezis gehören.<br />
Odessa gilt als Hochburg der ukrainischen<br />
Korruption. Seit Jahren schreiben die<br />
<strong>Zeitung</strong>en über die kriminellen Kontakte des<br />
Bürgermeisters Gennadi Truchanow, seit<br />
Monaten läuft ein Korruptionsverfahren gegen<br />
ihn, aber auch dieser Gerichtsprozess<br />
kommt nicht voran. Eine juristische<br />
Schwebe, die nach Einschätzung örtlicher<br />
Politologen vor allem Präsident Petro Poroschenko<br />
nutzt. Er erwartet vomBürgermeister<br />
tatkräftige Hilfe bei den Präsidentschaftswahlen<br />
Ende März.Wieder ansonsten in seiner<br />
Stadt wirtschaftet, ist weniger wichtig.<br />
Undaucheine Etage weiter unten in der politischen<br />
Hierarchie vonOdessa gilt es als ei-<br />
WEISS-<br />
RUSSLAND<br />
Kiew<br />
Dnjepr<br />
Odessa<br />
Krim*<br />
Schwarzes Meer<br />
*defacto abgespalten und<br />
von Russland angegliedert<br />
150 km<br />
RUSSLAND<br />
Donezk<br />
BLZ/ISABELLA GALANTY<br />
Alexei Jeremiza vor einem Spielplatz in Odessa,<br />
den er nach <strong>Berliner</strong> Vorbild gebaut hat S. SCHOLL<br />
hörte zu den Gründern der „Selbstverteidigung“,<br />
gut 200 Odessiten, die sich im Frühjahr<br />
2014 mit Helmen, Schildernund Schlagstöcken<br />
bewaffneten, um ihre patriotischen<br />
Kundgebungen zu schützen. Die kriegerische<br />
Romantik von damals ist vorbei, geschäftstüchtige<br />
Ex-Kameraden haben die<br />
„Selbstverteidigung“ zu einer Wachschutz-<br />
Firmaumfunktioniert.<br />
Witali Ustimenko ist jetzt als Korruptionsbekämpfer<br />
in Odessa aktiv, hat dabei immer<br />
wieder mit dem Abgeordneten Jeremiza zu<br />
serne Regel, dass man der Obrigkeit keinen<br />
Ärger macht. Wersich nicht daran hält, bekommt<br />
selbst Probleme.<br />
Der streitbare Abgeordnete Alexei Jeremiza<br />
wurde im Oktober 2016 in seinem Auto<br />
voreiner roten Ampel vonUnbekannten mit<br />
Pfefferspray und Fußtritten angegriffen. Ein<br />
Einschüchterungsversuch, sagt er. Von den<br />
Täternfehlt jede Spur.„DerGrund war wohl<br />
meine Tätigkeit als Abgeordneter, die den<br />
städtischen Behörden kaum gefallen hat.“<br />
Witali Ustimenko wiederum wird imInternet<br />
als „schwuler Bandera-Jude“ angefeindet.<br />
Und gerade hat die Polizei die beiden<br />
Personenschützer abgezogen, die ihn<br />
begleiteten, nachdem ihn im vergangenen<br />
Juni zwei Totschläger mit angespitzten<br />
Schraubenziehern attackiert hatten. DieTäter<br />
wurden inzwischen gefasst, ihre Hintermänner<br />
bleiben im Dunkeln. „Wir leben wie<br />
US-Gewerkschaftler Anfang des 20. Jahrhunderts“,<br />
sagt ein Mitstreiter von Ustimenko,<br />
der Seemann Igor Kalmykow. „Ein Menschenleben<br />
zählt nichts.“ Kalmykow und<br />
seine Freunde versuchen, Witali Ustimenko<br />
so wenig wie möglich alleinzulassen.<br />
Spielplätzewie in Wilmersdorf<br />
Alexei Jeremiza steht in seiner neuen Schreinerei,<br />
die er in den Wirtschaftsgebäuden der<br />
ehemaligen Synagoge an der Welika Arnautska<br />
eingerichtet hat, mit sechs Mitarbeiternund<br />
mit Sägebänken aus Österreich.<br />
Fünf Holzspielplätze nach <strong>Berliner</strong> Vorbild<br />
haben sie schon gebaut. Jeremiza erzählt,<br />
inzwischen gebe es 40 Aufträge für<br />
weitere Kinderspielplätze, von Kommunalfirmen,<br />
Wohnungsgenossenschaften, aber<br />
auch anderen Abgeordneten. In Odessa verfüge<br />
jeder Stadtparlamentarier über einen<br />
Sozialetat von umgerechnet 49 000 Euro.<br />
Underschlage den Kollegen vor, seinedeutschen<br />
Kinderspielplätzezukaufen.<br />
Beipostsowjetischen Politikerngelten gut<br />
sichtbare Investitionen, ob neue Parkbänke<br />
oder reparierte Krankenhausdächer, als die<br />
besten Argumente für die Wiederwahl. Ein<br />
schöner Holzspielplatz ist kaum zu toppen.<br />
Ist das auch eine Art Vorteilsnahme? Sicher,<br />
gesteht Jeremiza, er sei selbst der Lobbyist<br />
seiner Geschäftsidee.Aber er zahle niemandem<br />
Schmiergeld für einen überteuerten<br />
Auftrag. „Inklusive Montage kosten<br />
meine Holzgeräte nicht mehr als chinesische<br />
Plastikspielplätze.“Erlächelt wieder.„Ichbin<br />
ehrlich und fühle mich wohl dabei.“<br />
Auch Odessa macht kleine Schritte in<br />
Richtung Europa, zumindest in Richtung<br />
Wilmersdorf.<br />
Stefan Scholl mag den Optimismus<br />
der Odessiten. So ernst die Lageauch<br />
ist: In Odessa wird viel gelacht.