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4. Mit dieser Kritik meine ich die große<br />

Politik, auch etliche relevanten Medien,<br />

nicht aber zahlreiche Initiativen der<br />

Zivilgesellschaft, auch nicht engagierte<br />

Wissenschaftler. Es gibt viele Umfragen,<br />

soziologische Untersuchungen und<br />

fundierte Meinungen, die <strong>als</strong> Politik-Beratung<br />

eingestuft werden könnten und<br />

ernst zu nehmen sind. Aber sie fallen<br />

bislang zumeist auf unfruchtbaren Boden<br />

– ein gefährlicher Leichtsinn.<br />

Damit bin ich bei meiner zweiten These:<br />

Rechtsextremismus wird vorwiegend<br />

<strong>als</strong> Thema der Innenpolitik oder der Justiz<br />

behandelt. Das ist kurzsichtig. Kurzsichtig,<br />

weil es auf Repression, statt auf<br />

Prävention setzt. Kurzsichtig, weil es<br />

alle Fragen ausblendet, die rechtsextreme<br />

Einstellungen und Taten begünstigen.<br />

Und kurzsichtig, weil es die Gesellschaft<br />

und die Individuen aus der<br />

Verantwortung entlässt.<br />

Der oft gepriesene „starke Staat“ ist<br />

keine Antwort auf den latenten Rechtsextremismus,<br />

Rassismus und Antisemitismus.<br />

Auch, weil der so genannte<br />

starke Staat immer weniger <strong>als</strong> demokratischer,<br />

sozialer und gerechter Staat<br />

wahrgenommen wird. <strong>Die</strong> Menschen<br />

spüren das. Demokratieverdruss grassiert.<br />

Genau das aber ist ein Einfallstor<br />

für rechtsextreme Kameraden mit ihren<br />

nationalistischen Parolen.<br />

5. Wir erleben diesen Einfall derzeit besonders<br />

in den neuen Bundesländern.<br />

Das liegt an den Hinterlassenschaften<br />

der DDR, lautet die bevorzugte Erklärung.<br />

Ja, das auch. Aber auch das ist<br />

eine oberflächliche Erklärung. Und die<br />

Antworten, die folgen, sind es ebenso.<br />

Etwa: Der Osten habe ein Toleranz-Defizit.<br />

Oder: Es mangele den neuen Bundesländern<br />

an einer couragierten Zivilgesellschaft.<br />

Mein Befund ist viel<br />

schlimmer.<br />

Zunehmend schwindet in den neuen<br />

Bundesländern die Zivilgesellschaft<br />

überhaupt, insbesondere in ländlichen<br />

Regionen. Sie veröden, es gibt keine Arbeit<br />

und mithin für viele auch keine Zukunft.<br />

Wer kann, der flieht in den Westen.<br />

Zurück bleiben Alte und minder<br />

Qualifizierte. Meine Beschreibung ist<br />

holzschnittartig. Aber sie beschreibt ein<br />

reales Problem, das weder durch die<br />

Polizei, noch durch die Justiz gelöst werden<br />

kann.<br />

Viele Menschen fühlen sich entwürdigt,<br />

zunehmend auch in westlichen Regionen.<br />

Sie fühlen sich machtlos gegenüber<br />

den Verhältnissen. Sie wollen sich<br />

erheben. Und sie erheben sich gegen<br />

andere, indem sie diese erniedrigen.<br />

Das ist keine Rechtfertigung. Aber das<br />

ist eine offene Andockstelle, die zum<br />

Beispiel von der NPD oder von rechtsextremistischen<br />

Kameradschaften offensiv<br />

genutzt wird.<br />

6. Nun komme ich noch mal auf den<br />

aktuellen Vorfall in Mügeln zurück. Er ist<br />

nämlich durchaus typisch und das auf<br />

zwei Ebenen. Ich beginne mit der lokalen<br />

Ebene. Der Bürgermeister wiegelte<br />

sofort ab. Rechtsextremismus gebe es<br />

in Mügeln nicht, schon gar keinen organisierten,<br />

auch keine Ausländerfeindlichkeit.<br />

Zur Erinnerung: 50 Teilnehmer<br />

eines Volksfestes hatten plötzlich acht<br />

Inder gejagt.<br />

Ich kannte Mügeln bis dahin nicht. Also<br />

machte ich mich kundig. Nach einer<br />

halben Stunde wusste ich: Vor wenigen<br />

Jahren gab es in Mügeln einen Jugendclub,<br />

den Rechtsextreme für sich<br />

<strong>als</strong> „national-befreite Zone“ reklamiert<br />

hatten. <strong>Die</strong> NPD wurde zuletzt von fast<br />

zehn Prozent aller Wähler gewählt. Und<br />

im Ort ist noch immer ein Versandhandel<br />

registriert, der unter anderem CD‘s<br />

mit fremdenfeindlicher Hass-Musik vertreibt.<br />

Ein Bürgermeister, der das nicht wahrhaben<br />

will, ist wirklich auf dem rechten<br />

Auge blind. Aber das Problem liegt wiederum<br />

tiefer. Offensichtlich gibt es wirklich<br />

keine organisierte rechtsextreme<br />

Szene, die das Pogrom von Mügeln vorbereitet<br />

hat. <strong>Die</strong> nationale Volksseele<br />

hatte sich unorganisiert Luft gemacht.<br />

Das ist viel schlimmer. Und der örtliche<br />

Bürgermeister findet noch immer, er<br />

und sein Mügeln würden diffamiert.<br />

7. Nun zur zweiten Ebene, die Bundespolitik.<br />

Sie reagierte nicht besser,<br />

sondern nach erprobtem Muster.<br />

Erst schwappte die Empörung hoch.<br />

Dann folgten wechselseitig parteipolitische<br />

Schuldzuweisungen. Wie zu erwarten<br />

wurde debattiert, ob das Thema<br />

Rechtsextremismus besser beim Familienministerium<br />

oder beim Innenressort<br />

aufgehoben sei. Und dann folgte der<br />

Seitwärtsschritt: Nun müsse die NPD<br />

endlich verboten werden.<br />

<strong>Die</strong> Bundesebene reagierte <strong>als</strong>o keinen<br />

Deut besser, <strong>als</strong> die Politik vor Ort. Auch<br />

die Medien agierten wie gewohnt. Sie<br />

wallten auf und nach einer Woche war<br />

alles wieder weg, raus aus den Schlagzeilen<br />

und raus aus dem Sinn. Damit bin<br />

ich bei meiner dritten These: Rechtsextremismus,<br />

Rassismus und Antisemitismus<br />

werden noch immer vorwiegend<br />

<strong>als</strong> Vorfall behandelt, nicht aber <strong>als</strong> permanente<br />

Herausforderung.<br />

Wieder nehme ich alle Initiativen, Bündnisse<br />

und Organisationen aus dieser Kri-<br />

tik heraus, die sich alltäglich rechtsextremistischen<br />

Strategien und Praktiken<br />

widersetzen und für Toleranz und Demokratie<br />

werben. Nur: Sie stehen leider<br />

nicht hoch im Kurs. Mit dem jüngsten<br />

Bundes-Programm wurden sie ausgebootet.<br />

Der Kampf gegen Rechts wurde<br />

verstaatlicht und in die Hände von Bürgermeistern<br />

wie in Mügeln gelegt.<br />

8. Mügeln habe ich <strong>als</strong> aktuelles Beispiel<br />

angesprochen und damit zugleich<br />

indirekt ein Klischee bedient, das Ost-<br />

Klischee. Denn wenn hierzulande allgemein<br />

über Rechtsextremismus die<br />

Rede ist, dann wird es vorwiegend <strong>als</strong><br />

Rand-, Jugend- oder Ostproblem behandelt.<br />

Das ist f<strong>als</strong>ch. Wir haben es mit einem<br />

bundesweiten Problem zu tun, das<br />

inmitten der Gesellschaft zu Hause ist,<br />

in Ost wie West, stets abrufbar und das<br />

alltäglich.<br />

Vor Jahren gab es den Versuch, in<br />

Deutschland endlich eine doppelte<br />

Staatsbürgerschaft einzuführen. <strong>Die</strong><br />

Grünen wollten es, die SPD schien geneigt<br />

und meine Partei hielt das ohnehin<br />

für überfällig. Dann ging die Union<br />

auf die Straße, im Westen. Sie sammelte<br />

Unterschriften und sehr viele kamen<br />

und fragten. „Kann man hier endlich gegen<br />

Ausländer unterschreiben?“ Solche<br />

Motive und Vorbehalte sind bundesweit<br />

verbrieft.<br />

Ein ähnliches Beispiel: Bundeskanzler<br />

Schröder wollte Computer-Spezialisten<br />

aus Indien anwerben. <strong>Die</strong> CDU konterte<br />

mit dem rassistischen Slogan: „Kinder<br />

statt Inder!“. Nun wurden in Mügeln Inder<br />

gejagt. Es gibt keinen direkten Zusammenhang.<br />

Aber dieselben Politiker,<br />

die sich nach so genannten Vorfällen<br />

wundern, dass es brennt, legen häufig<br />

selbst die Lunte an einen latent aktivierbaren<br />

Rassismus.<br />

9. Meine erste These war: <strong>Die</strong> Gefahren,<br />

die von Rechtsextremismus und<br />

Rassismus ausgehen, werden noch immer<br />

unterschätzt. Das ist gefährlich.<br />

Meine zweite These hieß: Rechtsextremismus<br />

wird vorwiegend <strong>als</strong> Thema der<br />

Innenpolitik oder der Justiz behandelt.<br />

Das ist kurzsichtig. Meine dritte These<br />

lautet: Rechtsextremismus wird in aller<br />

Regel <strong>als</strong> Störfall behandelt. Das widerspricht<br />

aber den alltäglichen Tatsachen.<br />

Es gibt übrigens noch einen weiteren<br />

Debatten-Pfad. Der meint: Rechtsextremismus<br />

und Rassismus gibt es in allen<br />

großen EU-Ländern, in Österreich ebenso<br />

wie in Frankreich, Italien oder Spanien.<br />

Eine stabile Demokratie müsse das<br />

bis zu einem bestimmten Grad verkraf-<br />

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