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SPECTRUM #3/2017

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„An der Miséricorde wurde vieles verbessert“<br />

DOSSIER<br />

Was Mobilität für Personen mit einer Behinderung bedeutet, weiss Adriano Previtali aus eigener Erfahrung.<br />

Spectrum hat den Professor für Bundesstaats- und Sozialversicherungsrecht und Präsident<br />

der Behindertenorganisation Pro Infirmis zum Interview getroffen. LORENZ TOBLER<br />

Herr Previtali, in welcher Situation<br />

wurde Ihnen zum ersten Mal bewusst,<br />

dass es für Sie als Rollstuhlfahrer<br />

schwieriger ist, einen Ort zu erreichen<br />

als für andere?<br />

Ich erinnere mich nicht an eine bestimmte<br />

Situation. Es ist eher eine tägliche<br />

Feststellung. Sobald man ein wenig von<br />

einem vertrauten Weg abgeht, läuft man<br />

Gefahr, sich vor Hürden wiederzufinden,<br />

die manchmal unüberwindbar sind.<br />

Die Möglichkeiten, mobil zu sein, haben<br />

sich für Behinderte in den letzten<br />

Jahren stetig verbessert. Was sind<br />

die grössten Fortschritte, wo besteht<br />

nach wie vor Handlungsbedarf?<br />

Wie steht es um die Rollstuhltauglichkeit<br />

der Gebäude an der Universität<br />

Freiburg?<br />

arbeiten kann der Bundesrat 2018 zum<br />

ersten Mal ein umfassendes Konzept in<br />

diesem Bereich umsetzen.<br />

© Photo : W.C.Colares<br />

© Foto: zvg<br />

Es wurden tatsächlich viele Fortschritte<br />

gemacht. Dennoch trifft man noch immer<br />

auf erstaunliche Fälle. Das Landesmuseum<br />

in Zürich beispielsweise, 2016<br />

komplett renoviert, hatte trotz Investitionen<br />

von über 100 Millionen Franken<br />

durch den Bund keinen rollstuhlgängigen<br />

Eingangsbereich. Um solche Fehler in Zukunft<br />

zu vermeiden, müssen sowohl die<br />

Ausbildung der Architekten als auch die<br />

Kontrolle durch die Zuständigen verbessert<br />

werden.<br />

Gemäss Behindertengleichstellungsgesetz<br />

(BehiG) müssen sämtliche öffentliche<br />

Verkehrsmittel behindertengerecht<br />

umgerüstet werden. Nun<br />

planen Privatbahnen wenig frequentierte<br />

Bahnhöfe zu schliessen, statt<br />

teure Umbauten vorzunehmen. Muss<br />

wirklich ausnahmslos jede Station zugänglich<br />

sein?<br />

Wenn es einen Bahnhof gibt, sollte dieser<br />

für Behinderte und ältere Personen zugänglich<br />

sein. Das BehiG von 2004 sieht für die<br />

Umsetzung eine Frist von zwanzig Jahren<br />

vor. Diese dauert also noch bis 2024. Anstatt<br />

damit zu „drohen“, Bahnhöfe zu schliessen,<br />

sollten die Unternehmen ihre soziale Verantwortung<br />

wahrnehmen und gemeinsam<br />

mit den Behinderten- und Seniorenorganisationen<br />

praktikable Lösungen suchen.<br />

Es kommt auf das Gebäude darauf an:<br />

Pérolles etwa ist perfekt angepasst.<br />

Miséricorde jedoch ist das Paradebeispiel<br />

dafür, wie man ein öffentlich zugängliches<br />

Gebäude nicht bauen sollte. Es ist<br />

ein Festspiel der Treppen und unnützen<br />

Stufen! Als es gebaut wurde, war dies<br />

normal: Im Grunde hatten Behinderte<br />

keinen Platz an der Universität. Diese katastrophale<br />

Situation wurde teilweise mit<br />

Massnahmen wie den Bau von Aufzügen<br />

und Rampen korrigiert. Sie ist noch nicht<br />

befriedigend, aber der Wille, die Situation<br />

weiter zu verbessern, ist da.<br />

Wie setzen Sie Ihre Anliegen im Invalidenbereich<br />

in der Politik um?<br />

Die primäre Aufgabe von Pro Infirmis ist<br />

es, die soziale Beratung für Behinderte<br />

und ihre Familien sicherzustellen. Diese<br />

Arbeit ist essentiell, damit diese besonders<br />

verletzliche gesellschaftliche Gruppe<br />

ihre Rechte ausüben kann. In der Politik<br />

haben wir Vertreter in den eidgenössischen<br />

und kantonalen Parlamenten und<br />

treffen regelmässig Politiker. Mit anderen<br />

Organisationen, den Kantonen und auch<br />

der Wirtschaft, haben wir zum Beispiel<br />

am von Bundesrat Alain Berset lancierten<br />

Projekt einer nationalen Behindertenpolitik<br />

in Bezug auf Ausbildung und Arbeit<br />

teilgenommen. Auf der Basis dieser Vor-<br />

Viele Personen reagieren unfreiwillig<br />

unbeholfen auf Personen mit Handicap.<br />

Mit welchen Tipps kann dieser<br />

Umgang entkrampft werden?<br />

Man sollte die Personen unabhängig von<br />

ihrem Defizit betrachten. Das können<br />

noch nicht alle. Für viele ist es wohl beruhigend,<br />

diesbezüglich klare Kategorien<br />

im Kopf zu haben. Während Jahren habe<br />

ich versucht, diesen Personen den ersten<br />

Schritt abzunehmen, oft mit Humor. Dabei<br />

kreiert man aber eine künstliche Situation,<br />

um ein Problem zu überwinden,<br />

das eigentlich gar nicht existieren sollte.<br />

Heute bleibe ich offen, erwarte aber<br />

auch, dass sich das Gegenüber bemüht.<br />

Zusammen können wir eine inklusive<br />

Gesellschaft schaffen, aber dafür müssen<br />

Vorurteile überwunden werden – es ist<br />

zu bequem, den ersten Schritt immer von<br />

der Person mit Handicap zu erwarten.<br />

Du willst noch mehr<br />

erfahren? Hier geht<br />

es zum vollständigen,<br />

ungekürzten Interview<br />

mit Adriano Previtali.<br />

3/<strong>2017</strong><br />

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