Aufrufe
vor 5 Jahren

medizin&technik 06.2018

  • Text
  • Unternehmen
  • Medizintechnik
  • Halle
  • Anforderungen
  • Patienten
  • Hersteller
  • Produkte
  • Entwicklung
  • Messe
  • Beispielsweise

TITELTHEMA Bild:

TITELTHEMA Bild: Ottobock schungsstadium entwachsen. „Der Markt bewegt sich sehr schnell, die Investmentgemeinde glaubt daran“, sagt Mela Ikanovic, Vice President Sales & Market Access Europe bei Rewalk. Alle vier Produkte mit FDA-Zulassung richten sich an Patienten mit kompletter oder inkompletter Querschnittlähmung. Die Exoskelette nehmen über Sensoren minimale Bewegungsimpulse auf. Sie interpretieren diese über eine Steuereinheit und leisten mit Hilfe von Motoren an den Gelenken die nötige Kraftunterstützung, die zum Ausführen der Bewegungsidee des Patienten erforderlich ist. Dadurch können querschnittgelähmte Patienten ihr autonomes Gehvermögen trainieren und verbessern. „Das Nervensystem merkt, es passiert etwas“, erklärt Dr. Markus Wirz, Professor für Physiotherapieforschung sowie Leiter Forschung und Entwicklung am Institut für Physiotherapie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. „Das ist letztlich notwendig, damit beim Patienten wieder ein Muskelaufbau und Koordination stattfindet.“ Ohne Gehhilfen wie Krücken geht es nicht Bei den Exoskeletten von Rewalk, Parker Hannifin, Ekso Bionics und Cyberdyne handelt es sich durchgängig um so genannte starre Exoskelette, da ihre Gelenke wie Robotergelenke starr sind. „Rigide Materialien, die Körpersegmente bestmöglich stützen, sind Voraussetzung bei Patienten mit Querschnittlähmungen“, sagt Wirz. „Außerdem haben sie gemeinsam, dass sie bei einer Anwendung im persönlichen Umfeld dieser Patienten nicht ohne zusätzliche Hilfsmittel funktionieren. Das heißt, Querschnittgelähmte können auch mit einem Exoskelett nicht selbständig laufen, sondern benötigen Gehhilfen wie Unterarmstützkrücken oder eine zweite Person, die hinter ihnen läuft, damit sie nicht umfallen.“ Alternativ dazu gibt es Exoskelette, die stationär in Rehabilitationseinrichtungen genutzt werden. Der Schweizer Hersteller Hocoma gehört mit Exoskeletten wie dem Lokomat für die robotische Gangtherapie auf dem Laufband oder dem Armeo für die Therapie der Arme zu den Pionieren in diesem Bereich. Auch HAL von Cyberdyne wird in der Reha eingesetzt. „Die Weiterentwicklung vieler verschiedener Komponenten hat in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass robotische Exoskelette heute marktreif sind, einen echten Nutzen haben und im Ottobock nennt die neue Generation seiner C-Brace Lähmungsorthese nicht Exoskelett. Doch beinhaltet sie durchaus Technologien von Exoskeletten: So kontrolliert die Beinorthese durch eine neue Sensortechnologie die Gehbewegungen in Echtzeit. Der integrierte Mikroprozessor regelt die Stand- und die Schwungphase des Beins – und damit den gesamten Gangzyklus. Damit verhilft die Orthese zu einem annähernd natür lichen Gangbild Prof. Dr. Markus Wirz vom Institut für Physiotherapie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW wartet bei starren Exoskeletten noch „auf den großen Wurf“, der beispielsweise das dynamische Gehen ermöglicht Bild: ZHAW Alltag genutzt werden können“, sagt Dr. Peter Heiligensetzer, Gründer und CTO von German Bionic. Der Augsburger Exoskelett-Hersteller konzentriert sich derzeit auf Exoskelette für die Industrie, schließt aber laut Heiligensetzer nicht aus, künftig auch im Medizintechnikbereich tätig werde zu wollen. „Zu den mechanischen Komponenten gehören immer kleiner werdende Elektromotoren, welche in der Regel aus der traditionellen Robotik stammen, und die Batterietechnik, die ebenfalls immer leistungsfähiger und leichter wird – ebenfalls getrieben durch die Robotik“, so Heiligensetzer. Der Leichtbau ist für ihn ein zentrales Element für die Akzeptanz der tragbaren Roboter durch den Nutzer; neben Motoren und Stromversorgung werde der Einsatz von Faserverbundwerkstoffen für die Trägerstruktur hier immer wichtiger. Software elementar für die Regelungstechnik Daneben sei die Software wesentlich, um die menschliche Intelligenz überhaupt mit maschineller Kraft kombinieren zu können: Zum einen ist dies die Basis-Software für die Regelungstechnik auf Mikrocontrollern, die dafür sorgt, dass die Daten von Sensoren, die zum Beispiel Druck und Bewegungen messen, ohne Verzögerungen in Echtzeit an eine Kontrolleinheit übermittelt werden. „Zum anderen ermöglicht es Software auf einer höheren Ebene, Daten der Exoske- 60 medizin&technik 06/2018

Bild: Accelopment Noch in der Entwicklung befinden sich weiche Exoskelette für die unteren Extremitäten wie das Xosoft, das am ZHAW entwickelt wird. Sie sind nicht für Patienten mit Rückenmarkverletzungen geeignet, sondern für Personen mit Bewegungseinschränkungen wie zum Beispiel Schlag - anfall-Patienten sowie für ältere Personen. Sie sollen deren Mobilität verbessern, indem sie Beinkraft und Stabilität unterstützen lett-Sensoren in die Cloud zu transferieren und sie dort auszuwerten und zu analysieren – um etwa eine vorbeugende Wartung von Komponenten zu ermöglichen“, sagt der Geschäftsführer von German Bionic. „Im medizinischen Umfeld wäre es technisch auch möglich, diese Daten mit weiteren Vitalparametern des Patienten wie dem Pulsschlag zusammenzuführen.“ „Künstliche Intelligenz könnte künftig dazu beitragen, das Gehverhalten eines Patienten zu tracken und im Sinne von Predictive Maintanance sich abzeichnende Komplikationen frühzeitig zu erkennen“, bestätigt auch Professor Wirz von der ZHAW. „Wenn ein Patient mit einem Exoskelett zum Beispiel Diabetes hat, könnte man anhand von Sensoren seinen Glukosespiegel überwachen – und damit eventuell seinen Sturz verhindern, der mit einem Exoskelett schwerwiegende Folgen haben kann.“ Künstliche Intelligenz kam auch in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekt Recupera Reha zum Einsatz, bei dem bis Ende 2017 der Prototyp eines Ganzkörper-Exoskeletts für Schlaganfallpatienten unter der Leitung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) entwickelt wurde. Die mechatronischen Ansätze kombinierten die Forscher aus Bremen mit einem neuen System zur Online-Auswertung von Elektroenzephalografie- und Elektromyografie-Signalen (EEG-/EMG- Signalen), wodurch eine Einschätzung des Zustands des Patienten sowie eine mehrstufige Unterstützung der Regelung möglich ist. Doch dies sind aktuell nicht die einzigen Forschungsschwerpunkte für Exoskelette. „Weltweit ist dies ein heißes Forschungsgebiet, für das es viele Fördergelder gibt. Ich schätze, dass es weltweit zwischen 100 und 150 Forschungsgruppen im Bereich Beinexoskelette gibt. Viele davon befassen sich mit medizinischen Anwendungen“, sagt Roland Auberger, der bei Ottobock im Bereich Global Research tätig ist. Er war an der Entwicklung der computergesteuerten Beinorthese C-Brace beteiligt, deren zweite Generation im Mai dieses Jahres auf den Markt gekommen ist. „Bei C-Brace handelt es sich im Grunde um ein Exoskelett. Wir nennen es allerdings nicht so, weil unsere Kunden, die Orthopädietechniker, mit diesem Begriff oft wenig anfangen können. Teilweise werden auch falsche Vorstellungen damit verknüpft“, so Auberger. „Mit C-Brace tasten wir uns langsam an das Thema medizinische Exoskelette für die Unterstützung im Alltag heran.“ Ottobock sammelt Erfahrung im industriellen Umfeld Dabei sammelt der Medizintechnikhersteller mit Hauptsitz in Duderstadt derzeit auch Erfahrungen mit Exoskeletten im industriellen Umfeld: Am 1. Oktober ist ein passives Exoskelett – heißt: ohne Einsatz von Antrieben und nur dort unterstützend, wo Kraft gebraucht wird – mit dem Namen Paexo in Serienfertigung gegangen. Es soll Menschen in der Produktion, in der Logistik oder auch im Handwerk bei Überkopf- und Überschulterarbeiten entlasten. „Industrielle Exoskelette profitieren vom Know-how aus dem medizinischen Bereich. Das industrielle Anwendungsfeld gibt neue Perspektiven für viele Herausforderungen, die bis heute in der Anwendung von Exoskeletten bestehen. Es ist daher zu erwarten, dass sich daraus auch Synergien für medizinische Exoskelette ergeben werden“, sagt Jonas Bornmann, der als Forschungsingenieur bei Ottobock an der Entwicklung von Paexo beteiligt war. „Die Gesamtkomplexität von Paexo ist aber nicht mit der von Exoskeletten etwa für Patienten mit Querschnittslähmung vergleichbar.“ Ottobock ist in diesen Markt für industriell genutzte Exoskelette eingetreten, weil er deutlich größer ist als der für medizinische. Doch es gibt noch weitere Unterschiede: „Im industriellen Bereich hat man es mit anatomisch gesunden Menschen zu tun, für die ein Standard-Exoskelett adaptiv an die jeweilige Geometrie angepasst werden muss“, erklärt Bornmann. Es handelt sich hier um Standard-Systeme, die mit Gurten und Bändern an die Größe des Menschen angepasst werden. „Exoskelette für den Alltagsgebrauch, die Patienten viele Stunden tragen, sollten sozusagen wie angegossen sitzen. Daher können es im Grunde immer nur Individualfertigungen in Losgröße 1 sein“, ergänzt Auberger. „Wir befassen uns schon lange mit diesem Thema und sehen das Thema Ergonomie als ganz zentral an. So müssen bei Menschen mit Lähmungen meist sehr viele individuelle Herausforderungen berücksichtigt werden – zum Beispiel Gelenkinstabilitäten und Achsabweichungen im gesamten Skelett.“ Auberger beobachtet, dass „Exoskelette heute im medizinischen Bereich im Grunde Systeme sind, die den Menschen mit allen Gelenken nachbauen. Dadurch 06/2018 medizin&tec hn i k 61

Medizin und Technik