29.05.2015 Aufrufe

Cruiser im Juni 2015

Wer steckt eigentlich hinter «Network»? Zudem: Gay ist Okay und: Was macht eigentlich Marky Mark?

Wer steckt eigentlich hinter «Network»? Zudem: Gay ist Okay und: Was macht eigentlich Marky Mark?

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

cruiser<br />

CHF 7.50 7.50<br />

<strong>Juni</strong> <strong>2015</strong><br />

Network<br />

Die schwulen<br />

Businessmänner<br />

Wie einflussreich sind<br />

sie wirklich?<br />

Exklusiv<br />

Das grosse Interview<br />

mit Mark Wahlberg<br />

Gay ist okay<br />

Woher kommt eigentlich<br />

der Begriff «schwul»?<br />

Europride<br />

Lohnt sich ein Besuch an<br />

der EuroPride in Riga?


Inhalt<br />

CHECKPOINT AN<br />

Editorial<br />

<strong>Juni</strong> <strong>2015</strong><br />

DER ZURICH PRIDE<br />

Liebe Leser<br />

An den <strong>Cruiser</strong>-Redaktionssitzungen ist es manchmal lustig. Man<br />

sitzt so da (in unserem Büro in Örlikon mit ZERO Glamourfaktor) und<br />

debattiert. Dies meist auf basisdemokratischem Niveau – denn nur so<br />

funktioniert ein solch idealistisches Projekt wie der <strong>Cruiser</strong>. Irgendwann<br />

wedelt dann Dani Diriwächter mit dem Seitenplan und wir<br />

wissen, was wir zu tun haben. Und alle scheinen ihre Aufgabe gerne zu<br />

machen. Das begeistert.<br />

Ich glaube, wir hatten noch nie einen so ausgewogenen Themenmix<br />

und selten so tolle Artikel wie in der aktuellen Ausgabe – neu haben<br />

wir auch Bruno Bötschi an Bord. Kaum jemand sonst kann so gut<br />

kolum nisieren wie er. Und weil be<strong>im</strong> <strong>Cruiser</strong> nur Top-Journis arbeiten,<br />

passt er absolut gut in unser Team. Und damit kommen wir zum Inhalt<br />

der aktuel len Ausgabe.<br />

04 Thema | Network<br />

Was steckt hinter dem Mythos?<br />

08 Aktuell | Promis<br />

09 Kolumne | Bötschi klatscht<br />

10 Thema | EuroPride Riga<br />

Homophobie als Chance?<br />

14 Serie | Mannsbild – Berufsbild<br />

Der Farben- und Lackkaufmann<br />

18 Thema | Chemsex<br />

Von Zaubertränken, Chemsex<br />

und Drugchecking<br />

Eigentlich wollten wir – wie üblich – für unsere Titelgeschichte bei<br />

den Bildagenturen Fotos einkaufen, doch dann stellten wir fest, dass<br />

unsere «Network»-Protagonisten umwerfend attraktiv sind. Erfolgreich,<br />

gutaussehend und … real! – Für manche ist «Network» vielleicht irgendwie<br />

suspekt, man sprach an besagter Redaktionssitzung sogar von einer<br />

«Gay Mafia». Wer die schwulen Businessmänner wirklich sind und was<br />

sie an ihren Treffen so machen (nein, es sind keine konspirativen<br />

Versammlungen!) zeigen und schreiben wir hübsch bebildert.<br />

Ich muss sagen, ich bin schon ein bisschen stolz auf die <strong>Cruiser</strong>-<br />

Mitarbeiter. Denn nur mit ihnen schaffen wir es, Monat für Monat solch<br />

lesenswerte Artikel zu publizieren.<br />

Herzlich, Haymo Empl<br />

Chefredaktor<br />

20 News | National<br />

22 News | International<br />

24 Serie | Homosexualität in Geschichte<br />

und Literatur Davids unerschrockener<br />

Freund Jonathan<br />

29 Thema | Gedanken zur Pride<br />

Von Janis McDavid<br />

30 Kolumne | Pia Spatz<br />

Beratung, HIV-/Syphilistest<br />

Drugchecking by saferparty.ch<br />

Informationen <strong>im</strong>mer online<br />

Unser Programm an der Zurich Pride<br />

Informationen <strong>im</strong>mer online<br />

Unser Programm an der Zurich Pride<br />

Dr. Gay beantwortet online Fragen zu Sex,<br />

Samstag, 13. <strong>Juni</strong> 14–17h: Konradstrasse 1, Zürich<br />

Homosexualität, Dr. Gay beantwortet Coming online Out, Fragen zu Sex,<br />

Drugchecking Samstag, 13. <strong>Juni</strong> by saferparty.ch<br />

14–17h: Konradstrasse 1, Zürich<br />

schwuler Homosexualität, Gesundheit, Coming Liebe Out, und Beziehung.<br />

Drugchecking by saferparty.ch<br />

schwuler Gesundheit, Liebe und Beziehung.<br />

Freitag, 19. <strong>Juni</strong> ab 16h: Checkpoint-Zelt Kasernenareal<br />

HIV Freitag, Syphilis-Tests 19. <strong>Juni</strong> ab und 16h: Beratung Checkpoint-Zelt Kasernenareal<br />

HIV / Syphilis-Tests und Beratung<br />

Samstag, 20. <strong>Juni</strong> ab 13h: Checkpoint-Zelt Kasernenareal<br />

Beratung, Samstag, 20. HIV <strong>Juni</strong> Syphilis-Tests ab 13h: Checkpoint-Zelt sowie Drugchecking Kasernenareal<br />

Beratung, HIV / Syphilis-Tests sowie Drugchecking<br />

MY<br />

Gesundheitszentrum für die Community<br />

Gesundheitszentrum für die Community<br />

.ch<br />

.ch<br />

Foto Umschlag: fotolia<br />

<strong>Cruiser</strong> print<br />

Impressum<br />

Herausgeber & Verleger: Haymo Empl, empl.media<br />

Infos an die Redaktion: redaktion@cruisermagazin.ch<br />

Chefredaktor Haymo Empl<br />

stv. Chefredaktor Daniel Diriwächter<br />

Art Director Astrid Affolter, Access – bridge to work, Bereich Grafik<br />

Redaktion Print Martin Ender, Andreas Faessler, Bastian Baumann, Alain Sorel,<br />

Thomas Borgmann, Marianne Weissberg, Bruno Bötschi, Michi Rüegg,<br />

Pia Spatz, Vinicio Albani, Moel Maphy, Agron Idrizi<br />

Layout<br />

Access – bridge to work, Bereich Grafik<br />

Lektorat Ursula Thüler<br />

Anzeigen Said Ramini, Telefon 043 300 68 28, anzeigen@cruisermagazin.ch<br />

Auflage 12 000 Exemplare, 10 Ausgaben jährlich<br />

Redaktion und Verlagsadresse:<br />

empl.media, Haymo Empl, Welchogasse 6, Postfach 5539, 8050 Zürich<br />

Telefon 043 300 68 28, Telefax 043 300 68 21, info@cruisermagazin.ch<br />

<strong>Cruiser</strong> online<br />

Herausgeber & Verleger: Haymo Empl, empl.media<br />

Infos an die Online-Redaktion: online@cruisermagazin.ch<br />

Chefredaktor Online: Daniel Diriwächter<br />

31 Ratgeber Aids-Hilfe | Dr. Gay<br />

32 Kultur | Schweiz<br />

34 Serie | Persönlichkeiten<br />

Mark Wahlberg<br />

36 Kolumne | Michi Rüegg<br />

38 Thema | Definition Begriff schwul<br />

«Schwul» – was heisst das?<br />

41 Kolumne | Weissbergs warme Weissheiten<br />

Bitte strengen Sie mich nicht an!<br />

42 Interview | Andreas Lehner<br />

Das war «Break The Chains» <strong>2015</strong><br />

<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 3


Thema | Network – Hinter den Kulissen<br />

«Network» – was steckt<br />

hinter dem Mythos?<br />

Text: Daniel Diriwächter und Haymo Empl<br />

Wer sind sie, diese Herren, die nicht nur in der Gay-Szene durch politisches<br />

Engagement und edle Anlässe von sich zu reden geben? Um den Verein<br />

für schwule Führungskräfte ranken sich einige Legenden – die Realität ist<br />

jedoch eine andere.<br />

In einer Zeit, in welcher das sogenannte<br />

«Vereinssterben» grassiert, beweist<br />

sich «Network», 1995 eigens für<br />

schwule Führungskräfte gegründet,<br />

ebenso standhaft wie beliebt. Denn<br />

nicht nur die Teppichetage hat Zutritt<br />

zum Verein, sondern auch Freischaffende,<br />

Künstler, Priester oder Studenten<br />

sind eingeladen bei «Network» beizutreten.<br />

Trotzdem hält sich hartnäckig<br />

das Gerücht, dass tatsächlich nur Männer<br />

mit dickem Geldbeutel die Aufnahmeprozedur<br />

bestehen. «Network» macht<br />

mit seinem Auftreten in der Gay-Szene<br />

gewiss auch keinen Hehl daraus, dass<br />

eine gewisse Exklusivität erwünscht<br />

ist. Dies verschafft «Network» aber<br />

nicht nur Interessenten, sondern auch<br />

den einen oder anderen Feind.<br />

So ranken sich einige Legenden um<br />

den Verein, besonders, wenn von edlen<br />

Anlässen die Rede ist, etwa den<br />

sogenannten «Club-Dinners», wo die<br />

Herren speisen und so beachtliche<br />

ANZEIGE<br />

Persönlichkeiten wie Alice Schwarzer<br />

oder Guido Westerwelle auftreten, um<br />

die Unterhaltung zu bestreiten. Doch<br />

«Network» ist weit mehr als nur die<br />

Versammlung der Elite. Das Gesellige,<br />

sprich die häufigen Apéros, Führungen,<br />

Vorträge oder Reisen, die durchgeführt<br />

werden, bietet natürlich eine<br />

«Apéros und exklusive<br />

Dinner sind nur Beiwerk<br />

für wichtige Anliegen<br />

des Vereins.»<br />

unwiderstehliche Faszination, oft aber<br />

agiert der Verein <strong>im</strong> Stillen und macht<br />

kein grosses Aufhebens um seine Aktivitäten.<br />

Es lohnt sich daher, etwas genauer<br />

hinzuschauen, denn Apéros und<br />

exklusive Dinner sind nur Beiwerk für<br />

wichtige Anliegen des Vereins.<br />

Meilensteine<br />

Die klare Kernkompetenz von «Network»<br />

und seinen Mitgliedern liegt <strong>im</strong><br />

Bereich Arbeitsplatz. Man wolle – zusammen<br />

mit seinen Partnerorganisationen<br />

– eine Vorbildfunktion für junge<br />

Männer einnehmen, wie es auf der<br />

Webseite heisst. Gerade am Arbeitsplatz<br />

soll ein selbstbest<strong>im</strong>mter, offener<br />

Umgang mit der sexuellen Orientierung<br />

und Identität gepflegt werden.<br />

Dies fördere schliesslich die Karriere,<br />

so die Aussage von «Network». Die seit<br />

20 Jahren aufgebauten Allianzen sollen<br />

dies garantieren. Nicht zuletzt<br />

wurde ein Leitfaden für Personalabteilungen<br />

entwickelt, der Hinweise und<br />

Richtlinien für den korrekten Umgang<br />

mit Lesben und Schwulen am Arbeitsplatz<br />

enthält.<br />

«Network» nennt solche Erfolge<br />

«Meilensteine», und damit kommt das<br />

zweite Steckenpferd des Vereins, die<br />

Politik, ins Spiel. Etwa die massgebli-<br />

«Ich bin bei Network,<br />

weil unterschiedlichste<br />

Talente mit gemeinsamen<br />

Interessen für<br />

eine gute Sache einstehen.»<br />

Claude Guelbert<br />

FotoS: ZVG<br />

che Mitarbeit bei der Kampagne zum<br />

Referendum über das Partnerschaftsgesetz.<br />

Die heutigen Schwerpunkte liegen<br />

verstärkt in der internationalen<br />

Menschenrechtspolitik und in der Auseinandersetzung<br />

mit Organisationen<br />

<strong>im</strong> Inland, die aus traditionellen, religiösen<br />

oder ideologischen Gründen homophobe<br />

Grundhaltungen vertreten.<br />

«Network» setzt sich aber auch mit<br />

weiteren Themen der schwul-lesbischen<br />

Welt auseinander, beispielsweise<br />

der Kultur. Alle zwei Jahre wird der mit<br />

15 000 Franken dotierte Network-<br />

Kulturpreis verliehen. Dieser würdigt<br />

herausragende Leistungen in Bezug auf<br />

Publikmachung schwuler Anliegen, direktes<br />

Wirken in der Gay-Szene oder<br />

für künstlerisches Schaffen.<br />

Hervorzuheben ist der hauseigene<br />

Solidaritätsfonds, der aus Spenden<br />

und Legaten finanziert wird. Unterstützt<br />

werden soziale und karitative<br />

Tätigkeiten, aber auch unterstützungsbedürftige<br />

Personen – die Mitgliedschaft<br />

ist dafür nicht zwingend. Zudem<br />

bietet «Network» seinen Mit gliedern<br />

ein umfassendes Angebot, z. B.<br />

Rückhalt bei Fragen rund um die Stellung<br />

schwuler Männer in Beruf und<br />

Gesellschaft.<br />

Das Aufnahmeverfahren<br />

Es gibt also eine ganze Reihe an Aktivitäten,<br />

die einem Aussenstehenden<br />

nicht <strong>im</strong>mer bewusst sind. Dabei agiert<br />

«Network» mittlerweile in der ganzen<br />

Schweiz. Die aktuelle Mitgliederzahl<br />

beläuft sich auf 450 Personen, welche<br />

sich auf Regionalgruppen in Basel,<br />

Bern, Genf, in der Innerschweiz, in<br />

Lausanne, in der Ostschweiz, in Zürich<br />

und <strong>im</strong> Tessin verteilen.<br />

Wenn es überhaupt einen Kritikpunkt<br />

geben sollte, wäre vielleicht das<br />

Aufnahmeverfahren zu nennen. Dieses<br />

Prozedere trennt die Spreu vom<br />

Weizen. Anders als in den meisten<br />

Vereinen wird die Mitgliedschaft genau<br />

kontrolliert und ist nicht sofort<br />

erhältlich. Interessierte Männer sollen<br />

in erster Linie in ihrer Arbeitswelt<br />

eine «führende» Rolle inne haben und<br />

Bereitschaft zeigen, sich in das Netzwerk<br />

des Vereins einzuleben.<br />

Es klingt ambitioniert, aber auch<br />

ein wenig ironisch, wenn ein Interessierter<br />

sich zunächst über seinen Status<br />

definieren lassen muss, bevor er<br />

«unverbindlich an einigen Apéros teilnehmen»<br />

kann, so die Aussage auf der<br />

Webseite. Ist diese Hürde genommen,<br />

kommt man in die Aufnahmephase,<br />

«Ich bin bei Network, weil<br />

es wichtig ist, sich politisch,<br />

gesellschaftlich und sozial<br />

zu engagieren.»<br />

Dennis Morlock<br />

die drei bis sechs Monate dauert. Freilich<br />

bleibt man dabei nicht sich selbst<br />

überlassen, sondern wird begleitet von<br />

zwei «Göttis», die dem potentiellen<br />

Mitglied mit Rat und Tat sowie Argusaugen<br />

zur Seite stehen. War auch diese<br />

Phase erfolgreich, so stellt die Regionalleitung<br />

dem nationalen Vorstand<br />

einen Antrag – dieser entscheidet abschliessend<br />

über die Aufnahme.<br />

Ein Mitglied bezahlt schliesslich<br />

einen Jahresbeitrag von 650 Franken<br />

pro Jahr, nicht mit eingerechnet die<br />

zusätzlichen Aktivitäten, wie die bereits<br />

erwähnten Club-Dinners, welche<br />

noch ein zusätzliches Budget erfordern,<br />

über das nicht alle verfügen. Am<br />

Ende steht «Network» aber für einen<br />

Verein mit klaren Prinzipien und Visionen.<br />

Die eingangs erwähnten Legenden<br />

gehören wohl zu den <strong>im</strong>mer amüsanten<br />

Geschichten, welche die Herren<br />

an ihren vielen Anlässen zu vielsagendem<br />

Schmunzeln anregen.<br />

Alle Informationen zum Verein unter<br />

www.network.ch.<br />

4 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 5


Thema | Network – Hinter den Kulissen<br />

«Ich bin bei Network<br />

dabei, weil Network<br />

nicht nur Geselligkeit<br />

in den Vordergrund<br />

stellt, sondern sich auch<br />

aktiv für die LGBTI-<br />

Rechte einsetzt.»<br />

PUBLIREPORTAGE<br />

Wir kaufen uns<br />

ein Haus<br />

Dominik Bachmann<br />

«Ich bin bei Network, weil<br />

es mir wichtig ist, dass<br />

‹schwul› und ‹für die Gesellschaft<br />

von Bedeutung<br />

sein› zusammen passen.<br />

Besonders weil das heutzutage<br />

noch nicht auf jeder<br />

Etage in der Geschäftswelt<br />

angekommen ist.»<br />

Hans Siegwart<br />

Text: Dr. iur. Stefan Heitmann* und<br />

Cordula E. Niklaus, Fürsprecherin LL.M.<br />

Der Haus- oder Wohnungskauf<br />

birgt für<br />

schwule Paare spezielle<br />

Herausforderungen.<br />

Falsche Planung und<br />

mangelnde Beratung<br />

können unschöne<br />

Konsequenzen nach<br />

sich ziehen. Wohl<br />

denen, die sich informieren.<br />

Valentin Rüst, Head of Mortgages bei MoneyPark und Stefan Heitmann,<br />

MoneyPark-CEO kennen sich aus in der Welt der Hypotheken.<br />

Interview | Network-Präsident Luzius R. Sprüngli<br />

«Network orientiert sich ganz besonders an den<br />

Bedürfnissen von Führungskräften.»<br />

<strong>Cruiser</strong>: Luzius Sprüngli, für wen ist nun<br />

eigentlich «Network» gedacht?<br />

Luzius Sprüngli: Für Führungskräfte,<br />

Kader, Unternehmer, Künstler, Politiker<br />

und Priester.<br />

Was genau macht Network?<br />

Network enragiert sich vor allem in der<br />

Politik, in der Situation von Schwulen<br />

Führungskräften am Arbeitsplatz und<br />

in der Kultur. Wir zählen momentan<br />

450 Mitglieder.<br />

Wie finanziert sich Network?<br />

Die Mitgliederbeiträge ermöglichen<br />

den Verein.<br />

Network-Präsident Luzius R. Sprüngli<br />

Warum braucht es einen Verein wie<br />

Network?<br />

Weil Network zusätzlich zu den anderen<br />

LGBT Organisationen Dinge in Politik,<br />

Wirtschaft und Gesellschaft bewegen<br />

kann und sich ganz besonders<br />

an den Bedürfnissen von Führungskräften<br />

orientiert. Nur schon durch die<br />

Existenz von Network wird gezeigt,<br />

dass es so etwas wie schwule Führungskräfte<br />

gibt und so wird einer<br />

breiteren Bevölkerung gezeigt, wie<br />

sehr wir Schwule Teil der Gesellschaft<br />

als Ganzes sind.<br />

FotoS: ZVG<br />

Sich mit dem Lebenspartner ein Haus<br />

oder eine Wohnung zu kaufen, ist für<br />

viele ein grosser Lebenstraum. Besonders<br />

für homosexuelle Paare gibt es<br />

dabei aber einiges zu beachten und zu<br />

regeln. Gut zu wissen ist es vorab, dass<br />

es keinen direkten Einfluss auf die<br />

Möglichkeiten des gemeinsamen Immobilienkaufs<br />

hat, ob Gays nun in einer<br />

eingetragenen Partnerschaft leben<br />

oder nicht: Häuser oder Wohnungen<br />

können Sie unabhängig davon entweder<br />

als so genanntes Mit- oder Gesamteigentum<br />

erwerben.<br />

Miteigentum ist dann möglich,<br />

wenn die Liegenschaft «aussonderbare<br />

Teile» hat. Das ist z. B. dann der Fall,<br />

wenn Sie sich ein Mehrfamilienhaus<br />

kaufen. In diesem Fall können beide<br />

Partner wie Alleineigentümer über<br />

ihren Anteil verfügen. Häufiger erwerben<br />

schwule Paare ihr Eigenhe<strong>im</strong><br />

aber als Gesamteigentum.<br />

Gesamteigentum kann <strong>im</strong>mer dann<br />

entstehen, wenn die Käufer durch Gesetz<br />

oder Vertrag zu einer Gemeinschaft<br />

verbunden sind. Hier besteht<br />

jedoch ein wesentlicher Unterschied<br />

zu Hetero-Paaren: Bei eingetragenen<br />

Partnerschaften gilt grundsätzlich die<br />

so genannte Gütertrennung, d. h. jeder<br />

behält seine Vermögenswerte. Im Rahmen<br />

eines Vermögensvertrags kann<br />

dieses Prinzip jedoch abgeändert werden.<br />

Das funktioniert mittels Partnergesellschaft.<br />

Eine solche kann auch<br />

stillschweigend entstehen, z. B. indem<br />

Sie den Kaufvertrag mit Ihrem Partner<br />

unterschreiben. Aufgrund der dadurch<br />

entstehenden Rechtsunsicherheit rate<br />

ich davon aber ab.<br />

Eine schriftliche Abmachung, in<br />

der die Folgen einer Auflösung der<br />

Partnerschaft und das Vorgehen bei<br />

Unst<strong>im</strong>migkeit zwischen den Partnern<br />

geregelt sind, kann Unsicherheiten<br />

vermeiden. Aufgrund der Schutzrechte<br />

in eingetragenen Partnerschaften<br />

ist es indes nicht möglich, sämtliche<br />

Verfügungsrechte durch eine Generalvollmacht<br />

auf einen Partner zu beschränken.<br />

Die oben erwähnten Schutzrechte<br />

sind auch bei allen gewichtigen Entscheidungen<br />

zur Bewirtschaftung einer<br />

Liegenschaft zu respektieren. Eine<br />

ausdrückliche Zust<strong>im</strong>mung beider<br />

Partner ist beispielsweise bei grösseren<br />

Renovationsarbeiten, be<strong>im</strong> Verkauf<br />

sowie bei der Aufnahme, Verlängerung<br />

oder Erhöhung der Hypothek<br />

notwendig. Die Kosten der Bewirtschaftung<br />

der Immobilie müssen zudem<br />

gemeinsam getragen werden. Das<br />

gilt für eingetragene sowie auch für<br />

nicht eingetragene Partnerschaften.<br />

Dennoch empfehle ich eine ausdrückliche<br />

Regelung der Kostentragung insbesondere<br />

dann, wenn sie nicht zu<br />

gleichen Teilen erfolgen soll. So vermeiden<br />

Sie Konflikte von Anfang an.<br />

Die Hypothekarberater bei Money-<br />

Park sind Spezialisten in allen Finanzierungsfragen<br />

rund um die Immobilie<br />

und kennen sich mit den Schwierigkeiten<br />

be<strong>im</strong> gemeinsamen Haus- oder<br />

Wohnungskauf bestens aus. Money-<br />

Park bietet individuelle Beratung in<br />

persönlicher Atmosphäre in einer der<br />

mittlerweile sieben Filialen des Unternehmens<br />

(Zürich, Basel, Bern, Baar,<br />

Baden, Luzern und Wil). Dank über 70<br />

Finanzierungspartnern – d. h. Banken<br />

und Versicherungen, die Hypotheken<br />

anbieten – finden wir zusammen mit<br />

Ihnen die bestmöglichen Konditionen<br />

für die Finanzierung.<br />

*CEO MoneyPark<br />

www.moneypark.ch<br />

6 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />

<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 7


Aktuell | Promis<br />

Die neue Leichtigkeit<br />

des Seins<br />

Text: Daniel Diriwächter<br />

«Er steht klar auf Frauen, hat aber – weil er<br />

sexuell sehr aktiv und exper<strong>im</strong>entierfreudig sei –<br />

auch schon Erfahrungen mit Männern<br />

gesammelt.»<br />

{ <br />

Dominik Kaiser, Senderchef von 3+, über die sexuellen<br />

}<br />

Präferenzen von Bachelorette-Kandidat Emanuel Brunner <strong>im</strong> «Blick».<br />

Bruce Jenner<br />

War es Kalkül oder ein Befreiungsschlag?<br />

Bruce Jenner, Mitglied der<br />

Fernsehfamilie Kardashian, gestand<br />

jüngst vor laufender Kamera, dass er<br />

bzw. sie eine Frau sei. Im Grunde war<br />

das nichts Neues, galt Bruce doch als<br />

einziger in dieser öffentlichkeitsgeilen<br />

Familie als jene Person, die eine gewisse<br />

Leistung erbracht hatte. Wenn eine<br />

solch maskuline Person vor den Augen<br />

der Öffentlichkeit langsam weibliche<br />

Züge ann<strong>im</strong>mt, ja geradezu provoziert,<br />

so ist das mehr als ein Gag. Bruce Jenner,<br />

dies gilt es zu wissen, erreichte<br />

einst Weltrekorde <strong>im</strong> Zehnkampf <strong>im</strong><br />

Jahre 1974. Allerdings verlief die danach<br />

angestrebte Filmkarriere <strong>im</strong> Sand.<br />

Heute kennt man Bruce als liebenden<br />

Vater, der zu seiner Weiblichkeit steht.<br />

Sie weiss, sie ist eine Transfrau und<br />

erntete dafür in den Staaten Beifall von<br />

allen Seiten. Auch die Familie steht<br />

hinter ihr. Sicher, die Metamorphose<br />

kann eine gewinnbringende Komponente<br />

in der sich tot laufenden Reality-Show<br />

Man kennt Bruce als liebenden Vater,<br />

der zu seiner Weiblichkeit steht.<br />

darstellen. Bruce, die ihren Namen vorerst<br />

behält, dürfte aber bald noch mehr<br />

von sich reden machen: Bei einem vermutlich<br />

von ihr selbst verursachten Autounfall<br />

in Malibu starb eine Frau –<br />

Bruce Jenner wurde daraufhin angeklagt.<br />

Miley Cyrus<br />

Die einstige Hannah Montana erweist<br />

sich seit geraumer Zeit als Enfant Terrible<br />

der amerikanischen Pop-Szene.<br />

Aus dem süssen Fratz wurde eine Sexbombe<br />

– mit durchaus emanzipatorischen<br />

Zügen. Doch wo ein Justin Bieber<br />

wegen seines sinnlos schlechten Benehmens<br />

angeh<strong>im</strong>melt wird, fällt Miley<br />

Cyrus schnell in die Kategorie «Schlampe»<br />

- wohl deswegen, weil sie eine junge<br />

Frau ist, die tut war ihr gefällt. Ihr<br />

selbst, so hat es den Eindruck, mögen<br />

die negativen St<strong>im</strong>men nichts anhaben.<br />

Sie streckt nach wie vor die Zunge raus,<br />

zeigt ihre Brüste und scheut sich nicht,<br />

auch mal einen Joint auf der Bühne zu<br />

rauchen. Nun überraschte der vermeintlich<br />

gefallene Kinderstar mit einem<br />

ambitionierten Projekt: Miley Cyrus<br />

gründete die Stiftung «Happy Hippie<br />

Founda tion». Diese n<strong>im</strong>mt sich obdachloser<br />

LGBT-Jugendlichen an, die wegen<br />

ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer<br />

Geschlechtsidentität von den Eltern verstossen<br />

wurden. Die Sängerin weiss, dass<br />

in den Staaten 40 Prozent der bis zu 1,6<br />

Millionen jungen Obdachlosen in den<br />

USA schwul, lesbisch, bi- oder transsexuell<br />

seien - und zitiert damit eine Studie<br />

aus dem Jahr 2006. Bei soviel Courage<br />

lassen wir uns gerne provozieren.<br />

Måns Zelmerlöw<br />

Ein schwedischer Sonnyboy folgt auf die<br />

österreichische Drag-Queen Conchita<br />

Wurst: Måns Zelmerlöw gewann den<br />

Euro vision Song Contest <strong>2015</strong>. Sein<br />

Song «Heroes» und besonders seine<br />

Darbietung vermochten die heuchlerischen<br />

Russen auszuschalten. Ein fahler<br />

Nachgeschmack bleibt: Måns Zelmerlöw<br />

bezeichnete <strong>im</strong> Vorfeld des Musikwettbewerbs<br />

Homosexualität als «abnormal».<br />

FotoS: 3+ (1), YouTube (1), RCA Records (1), Thomas Hanses (EBU) (1)<br />

Gottogottogottogott!<br />

Text: Bruno Bötschi<br />

Kolumne | Bötschi klatscht<br />

Es gab kaum eine Provinz-Diva, die sich seinem Urteil <strong>im</strong> «Tagblatt der<br />

Stadt Zürich» entziehen konnte. Auf der anderen Seite: So manche Mutter,<br />

die sein Foti in der Zeitung sah, wünschte sich den Bötschi als Schwiegersohn.<br />

Ende 2011 verabschiedete er sich jedoch als Kolumnist. Und jetzt<br />

die gute Nachricht: Bötschi is back.<br />

«Welcher Pinsel hat<br />

den neuen Besitzer<br />

Marcel ‹Bossi› Bosshard<br />

geritten, als er entschied,<br />

aus seiner Beiz einen<br />

Bunker zu machen?»<br />

Ich bin eine Kolumnen-Schlampe.<br />

Jahrelang erschien meine Klatschkolumne<br />

<strong>im</strong> «Tagblatt der Stadt Zürich».<br />

Heute, mehr als vier Jahre nachdem<br />

meine letzte Kolumne erschienen ist,<br />

werde ich deswegen auf der Strasse<br />

<strong>im</strong>mer noch angesprochen. Momoll.<br />

Letztes Jahr feierte die Kolumne ein<br />

kurzes, wenig erfolgreiches Comeback<br />

<strong>im</strong> Heftli «Attika». Und jetzt bin ich<br />

also <strong>im</strong> «<strong>Cruiser</strong>» gelandet. Der Chefredaktor,<br />

Herr Empl, sagte, er wolle<br />

mich. Unbedingt. Und weil ich auch<br />

nicht mehr der Jüngste bin, sagte ich<br />

(nach einigem Gezicke und harten<br />

Lohnverhandlungen) schlussendlich<br />

zu. Wer weiss, ob je wieder einmal so<br />

heftig um mich geworben wird? Dabei<br />

wollte ich aufs Alter freundlich, nett<br />

und langweilig werden. Und reich, wenigstens<br />

ein bisschen.<br />

Das Grauen hat einen neuen Namen<br />

in Zürich: Restaurant Kaufleuten.<br />

Welcher Pinsel hat den neuen Besitzer<br />

Marcel «Bossi» Bosshard geritten, als<br />

er entschied, aus seiner Beiz einen<br />

Bunker zu machen? Vor bald 20 Jahren<br />

hat Pia Schmid <strong>im</strong> «Kaufleuten»<br />

einen Trend konzipiert: Die Architektin<br />

verwandelte die trüb-dunkle Halle<br />

in ein luftig-helles Prachtslokal, vermittelte<br />

<strong>im</strong> Millionen-Zürich einen<br />

Hauch von Weltstadt. Und jetzt kommt<br />

Bunker-Bossi, macht über Nacht alles<br />

kaputt und lässt die Wände dunkelgrau<br />

streichen. Donnerwetter nochmals!<br />

Ich bin nicht der einzige, der das<br />

neue Design grauenhaft findet und<br />

motzt. Erfahren habe ich, dass die drei<br />

fetten Kristallleuchter an der Decke<br />

demnächst ausgewechselt werden sollen.<br />

Ob die Maler nochmals vorbei kommen,<br />

entzieht sich meiner Kenntnis.<br />

Erwähnt sei noch: Der Service <strong>im</strong> «neuen»<br />

Kaufleuten ist erfrischend freundlich<br />

und das Essen schmeckte mir.<br />

Vom Essen zum, äh, zur Hunger –<br />

Hunger Sophie, der allseits gelobten<br />

Berner Musikerin. Die Gute hat mich<br />

verärgert. Vor fünf Jahren. Ich bin<br />

nachtragend, ein bisschen. Ich wollte<br />

ein Interview mit Frau Hunger führen.<br />

Sie zickte, ich blieb hart und mailte<br />

fleissig weiter. Immerhin, ich hatte<br />

nach jeder Antwort von Hungers<br />

Manager etwas zu lachen: Christian<br />

Fighera unterschreibt mit dem Kürzel<br />

«Fig». Schliesslich und endlich klappte<br />

es doch mit dem Interview. Frau Hunger<br />

verriet mir schriftlich, dass sie als<br />

Kind Undercoveragent einer gehe<strong>im</strong>en<br />

Regierungseinheit werden wollte. Später<br />

entdeckte sie Charlie Chaplin und<br />

wollte wie er werden. Wollte werden<br />

wie, das denke ich oft, wenn ich die<br />

Hunger reden höre. Ich finde, die will<br />

was sein, was sie nicht ist. Die Diplomatentochter,<br />

die bürgerlich Emilie<br />

Jeanne-Sophie Welti heisst, ist klug,<br />

gebildet, weltgewandt und fühlt sich<br />

trotzdem an wie Plastik, wenn sie<br />

redet, parliert, sich wichtig macht.<br />

Sophie, lass los! Schrei! Endlich! Laut!<br />

Aber richtig!<br />

Speiübel, aber richtig, wurde mir<br />

be<strong>im</strong> Blutbad, welches der Churer Bischof<br />

Vitus Huonder <strong>im</strong> Kanton Uri angerichtet<br />

hat. Huonder zwang Pfarrer<br />

Wendelin Bucheli aus Bürglen ein<br />

Communiqué zu unterschreiben, in<br />

dem geschrieben steht, der Priester bedauere,<br />

dass «durch die Segnung eines<br />

gleichgeschlechtlichen Paars viele<br />

Menschen verletzt wurden». Wusste<br />

gar nicht, dass bei Segnungen in der<br />

katholischen Kirche Waffen eingesetzt<br />

werden. Gottogottogottogott! – Haben<br />

die Urner nicht seinerzeit dem Teufel<br />

ein Schnippchen geschlagen? Und die<br />

sind doch auch sonst ein einig-mutiges<br />

Völkchen? Aber warum haben sie<br />

dem Huonder jetzt nicht mitgeteilt:<br />

Klappe halten! Oder noch besser: Sie<br />

hätten dem Bischof einfach ein paar<br />

Bibelsprüche um die Ohren hauen sollen<br />

– zum Beispiel diesen: «Wer unter<br />

euch ohne Sünde ist, der werfe den<br />

ersten Stein auf sie.»<br />

www.brunoboetschi.ch<br />

8 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />

<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 9


Thema | EuroPride Riga<br />

Homophobie<br />

als Chance?<br />

Text: Bastian Baumann<br />

Am 20. <strong>Juni</strong> <strong>2015</strong> findet in Riga die nächste EuroPride statt. Das Land ist<br />

konservativ, den Organisatoren des grossen LGBT-Events werden unzählige<br />

Steine in den Weg gelegt. Wie plant man ein Event, dem nur 1% der<br />

Bevölkerung positiv gegenübersteht?<br />

Wie klug ist es, eine Europride in einem stockkonservativen Land wie Lettland<br />

durchzuführen?<br />

Das Land ist klein. Doch es hat eine<br />

schwere Geschichte. Von unzähligen<br />

anderen Nationen wurde es kontrolliert<br />

oder beeinflusst: Schweden, Polen,<br />

Deutschland, Russland. Am 4. Mai 1990<br />

erklärte Lettland seine Unabhängigkeit,<br />

nach leidvoller Geschichte. Diese<br />

Erklärung, der die sogenannte «Singende<br />

Revolution» vorausgegangen<br />

war, wurde seitens der Sowjetunion<br />

am 21. August 1991 gemeinsam mit<br />

der Unabhängigkeit Litauens und<br />

Estlands anerkannt.<br />

Anfangs galt Lettland politisch und<br />

wirtschaftlich als instabil. Dem Land<br />

stellte sich die Aufgabe, die nationale<br />

Identität mit der Identität der ethnischen<br />

Letten und derjenigen der nicht<br />

lettischen Ethnien in Lettland in Einklang<br />

zu bringen, was durch eine umstrittene<br />

Minderheitenpolitik versucht<br />

wurde. Zugleich mussten das politische<br />

und das wirtschaftliche System<br />

des Kommunismus in westliche Demokratie<br />

und Marktwirtschaft transformiert<br />

werden. Am 20. September 2003<br />

st<strong>im</strong>mten in einem Referendum 67%<br />

der Letten für den Beitritt ihres Landes<br />

zur EU, der am 1. Mai 2004 erfolgen<br />

sollte. Nach EU fühlt sich dieses Land<br />

aber nicht an. Und doch wird die Euro-<br />

Pride in wenigen Tagen dort stattfinden.<br />

Dieses wichtige und paneuropäische<br />

LGBT-Event wird dieses Jahr<br />

erstmals in einem Land der ehemaligen<br />

Sowjetunion durchgeführt, das<br />

gleichzeitig eine gemeinsame Grenze<br />

mit Russland hat. Ein Pulverfass –<br />

aber ein spannendes!<br />

Viele Gegner<br />

Über 63% der Lettinnen und Letten<br />

sagen, sie würden die Pride nicht unterstützen.<br />

Lediglich eine vernichtend<br />

kleine Zahl von 1% der Umfrageteilnehmer<br />

geben an, sie befürworteten<br />

die anstehende Pride voll und ganz.<br />

Gelder werden kaum gesprochen, Politiker<br />

äussern sich negativ. Der Vize-<br />

Stadtpräsident von Riga, Andris<br />

Ameriks, meinte Mitte Mai: «Euro-<br />

Pride fördert kein Verständnis innerhalb<br />

der Gesellschaft. Die Verfassung<br />

verbietet keine solchen Events, deshalb<br />

hat die Stadtverwaltung auch<br />

keine Möglichkeit, das Event nicht zu<br />

bewilligen.» Danke, Verfassung! Und<br />

der lettische Parlamentssekretär des<br />

Justizministeriums, Janis Iesalnieks,<br />

besch<strong>im</strong>pfte die LGBT-Gemeinschaft<br />

bisher öffentlich unter anderem als<br />

«faggot mafia» (Schwuchtel-Mafia)<br />

und Strukturen wie «NoHomo@LV»<br />

bekämpfen die Pride offen, unverfroren<br />

und mit grosser Unterstützung aus<br />

der Bevölkerung.<br />

An den letzten Prides wurden die<br />

Teilnehmer mit Eiern und Fäkalien beworfen.<br />

Einer kleinen Zahl von Teilnehmenden<br />

stand eine grosse Anzahl<br />

Protestierender gegenüber. Auch in<br />

diesem Jahr rechnet die EuroPride mit<br />

Gegendemonstranten, die Polizei wird<br />

Fotos: mangostock (1), ZVG (1)<br />

die Teilnehmer/innen aber genügend<br />

schützen (müssen), schliesslich hält<br />

das Land die aktuelle EU-Ratspräsidentschaft<br />

und kann sich keinen Menschenrechtsskandal<br />

leisten. So oder so<br />

scheint es so kurz vor der Pride grosse<br />

Nervosität zu geben, verbunden mit<br />

einer gespenstischen Ruhe. Die Standpunkte<br />

scheinen sich zu polarisieren.<br />

Bei Angriffen auf die EuroPride werden<br />

die St<strong>im</strong>men lauter, die sich für<br />

den Event einsetzen. Anderseits werden<br />

die Angriffe aber auch <strong>im</strong>mer lauter<br />

und spitzer. Die Frage bleibt: Wie<br />

werden die Letten selber die Pride erleben?<br />

Was werden sie mitnehmen?<br />

Wird man am Ende vielleicht doch<br />

stolz sein auf die vielen Gäste <strong>im</strong><br />

Land? Auf die vielen Konsumenten?<br />

Auf die über 50 Events während der<br />

Pride-Woche? Wird man überrascht<br />

sein über die vielen «normalen» Leute<br />

<strong>im</strong> Umzug? Dragqueens sind <strong>im</strong> Umzug<br />

explizit erlaubt, jedoch bitten die<br />

Organisatoren die Besucher, auf nackte<br />

Oberkörper oder Fetischkostüme zu<br />

verzichten. Was werden die Leute am<br />

Strassenrand also von den LGBT lernen?<br />

Werden sie am Ende vielleicht sogar<br />

enttäuscht sein, nicht das gesehen<br />

zu haben, was sie erwarten haben?<br />

Warum in Lettland?<br />

Immer wieder hört man St<strong>im</strong>men, dass<br />

Lettland so oder so nicht bereit sei für<br />

die Pride. «Veränderung erreicht man<br />

nicht, wenn man sich der Mehrheit anpasst»,<br />

meint dazu Kaspars Zalitis,<br />

Co-Präsident der EuroPride in Riga. Er<br />

kämpft täglich gegen mächtige Windmühlen,<br />

Gruppierungen, die gegen homosexuelle<br />

Menschen arbeiten. «LGBT-<br />

Menschen werden die Stadt Riga besuchen,<br />

einkaufen, übernachten, chic<br />

essen gehen und die Oper besuchen,<br />

das ist doch viel attraktiver und besser<br />

als die englischen Touristen, die kürzlich<br />

das Staatsdenkmal betrunken<br />

angepinkelt haben». Ganz generell ist<br />

Zalitis ein Macher, der es versteht,<br />

Menschen und Organisationen für die<br />

EuroPride zu gewinnen und Wege zu<br />

finden, wie LGBT in einem homo- und<br />

transphoben Umfeld doch irgendwo<br />

Platz finden.<br />

Auf die Bevölkerung kann Euro-<br />

Pride wohl nicht zählen. Die Firmen<br />

fürchten sich vor einem Reputationsschaden<br />

und der Mann von der Strasse<br />

sieht in Schwulen <strong>im</strong>mer noch den<br />

Verfall der Moral. Homosexuelle werden<br />

als Pädosexuelle dargestellt, als<br />

nackte und kopulierende Tiere. Ein<br />

«An den letzten Prides<br />

wurden die Teilnehmer<br />

mit Eiern und Fäkalien<br />

beworfen.»<br />

Bild, das von russischer Propaganda<br />

und dem Fehlen von Vorbildern herrührt.<br />

Kaum ein VIP hat sich in Lettland<br />

geoutet und wenn, dann lebt er/<br />

sie <strong>im</strong> Ausland. Die Unterstützung der<br />

Organistoren und das Anstossen eines<br />

Veränderungsprozesses zu einer verbesserten<br />

Lebensqualiät der LGBT in<br />

Lettland wäre also eine politische Aufgabe.<br />

Hier versagt aber das gesamte<br />

politische Establishment. Keine Partei<br />

unterstützt die Bemühungen und<br />

Anliegen von LGBT-Menschen. Die<br />

Sae<strong>im</strong>a, das lettische Parlament, bleibt<br />

Wird es in Riga zu Protesten kommen?<br />

• Diskret verpackt mit neutralem Absender • Neuartige Produktpräsentation • Versand aus der Schweiz<br />

10 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />

• Exklusives Sort<strong>im</strong>ent von Gays für Gays • Keine lästigen Zollformalitäten<br />

<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 11<br />

• Versandkostenfrei ab 100 CHF<br />

ANZEIGE<br />

15%<br />

RABATT<br />

CODE<br />

„<strong>Cruiser</strong>“<br />

DEIN NEUER<br />

GAY-<br />

in der Schweiz!<br />

also still. Nicht still war dagegen für<br />

kurze Zeit der lettische Aussenminister<br />

Edgars Rinkēvičs, der sich in einem<br />

Anflug von Stolz und Mut als schwul<br />

geoutet hat. Die Nachricht war eine<br />

Sensation <strong>im</strong> baltischen Land, Medien<br />

weltweit berichteten über den kurzen<br />

Twitter-Tweet («I proudly announce<br />

I'am gay ... Good luck all of you ...»),<br />

etliche LGBT-Organisationen zollten<br />

Rinkēvičs Respekt und gratulierten<br />

dem Minister. Verhalten hat sich stets<br />

die lettische LGBT-Organisation Mozika<br />

geäussert, denn sie wusste, was kommen<br />

würde: Rinkēvičs Umfragewerte<br />

sackten in den Keller.<br />

Schwierige Geldbeschaffung<br />

Die Folgen der Untätigkeit von Politik<br />

und Firmen sind dramatisch. Der Euro-<br />

Pride geht das Geld aus. Ausgaben für<br />

die Konferenz, die Parade oder die Bühne<br />

können bis jetzt nicht vollständig<br />

gedeckt werden. Die Organisatoren sind<br />

auf internationale Unterstützung und<br />

.CH


Thema | EuroPride Riga<br />

Über 10 000 Euro konnten der Euro-<br />

Pride dank der Sammelaktion von Pink<br />

Cross überreicht werden.<br />

Geldgeber angewiesen. Für einen Teil<br />

der Kosten springen nun Botschaften<br />

ein, zum Beispiel aus Deutschland,<br />

USA oder den Niederlanden. Den<br />

grossen Rest versuchen die lettischen<br />

Männern und Frauen jetzt mit internationalen<br />

Spenden zu finanzieren.<br />

Doch die Suche nach Geld ist schwierig.<br />

Die Frage, warum genau es mit der<br />

Solidarität klemmt, macht ratlos. Vielleicht<br />

klingt Lettland einfach zu wenig<br />

ANZEIGE<br />

Besuchen Sie uns auf www.zkb.ch/nachfolge<br />

Wir unterstützen Sie bei der Regelung Ihrer persönlichen Vermögensnachfolge,<br />

damit Sie den finanziellen Herausforderungen in jeder Lebensphase<br />

gewachsen sind. Fragen Sie nach unserer Erbschaftsberatung.<br />

sexy für die LGBT in Zürich, Berlin<br />

oder London? Oder die Probleme <strong>im</strong><br />

EU-Land werden einfach masslos unterschätzt.<br />

So oder so versuchen mehrere<br />

Partner der EuroPride, darunter<br />

auch «Pink Cross», auf die Problematik<br />

der mangelnden finanziellen Unterstützung<br />

aufmerksam zu machen.<br />

Die baltische Airline als<br />

Vorreiterin<br />

Es gibt auch Leuchttürme <strong>im</strong> unruhigen<br />

Pride-Wasser. Auf die Frage, warum<br />

ausgerechnet sein Unternehmen<br />

die EuroPride ohne zu Zögern unterstützt,<br />

sagt Janis Vanags, Vize-Präsident<br />

der Unternehmenskommunikation<br />

von Air Baltic, kurz und bündig: «Weil<br />

ich keinen Grund sehe, EuroPride nicht<br />

zu unterstützen». Der Entscheid der<br />

grössten baltischen Airline, dieses Jahr<br />

das LGBT-Event kommunikativ zu unterstützen,<br />

ist vor allem dem jungen<br />

und innovativen Vanags zu verdanken.<br />

Mit seinem Entscheid provozierte<br />

Vanags auch eine Anfrage seines Chefs,<br />

was genau denn die Airline nun unterstütze,<br />

als dem CEO klar wurde, für<br />

welches Event die Airline einsteht.<br />

«Natürlich gab es intern Diskussionen<br />

darüber, ob unser Engagement sinnvoll<br />

sei, aber wir sind ein internationales<br />

Unternehmen mit offenen Werten und<br />

dazu stehen wir voll und ganz.» Mittlerweile<br />

ist die Airline stolzer Partner<br />

und wird auf den Flügen zur EuroPride<br />

auch in den offiziellen Ansagen <strong>im</strong><br />

Flugzeug auf den Event aufmerksam<br />

machen.<br />

Künstler und Designer als<br />

Supporter<br />

Am Ende können sich die LGBT in Lettland<br />

auch auf kreative Köpfe und<br />

Vordenker verlassen. So designt Elina<br />

Dobele einen EuroPride-Schuh. «Ich<br />

wollte ein Leben lang Architektin werden,<br />

habe studiert und dann irgendeinmal<br />

bemerkt, dass ein Schuh auch<br />

ein architektonisches Bauwerk ist; mit<br />

seiner Form, seiner Statik und seinem<br />

Design». Elina besitzt einen schmucken<br />

Für Ihre Nachkommen:<br />

Erhalten Sie die Früchte Ihrer<br />

Arbeit mit einer sicheren<br />

Nachfolge-Regelung.<br />

Fotos: zvg<br />

Über 63 Prozent der Lettinnen und Letten sagen, sie werden die Pride nicht<br />

unterstützen.<br />

Schuhladen, in dem jeder Schuh noch<br />

in der hauseigenen Werkstadt hergestellt<br />

wird. Gleiches tun die Designerin<br />

und der Designer von «I'M Your Shirt»,<br />

ebenfalls eine lettische Manufaktur,<br />

«Es ist jetzt an der Zeit,<br />

sich zu engagieren.»<br />

die <strong>im</strong>portierte Stoffe aus England zu<br />

sehr individuellen Hemden näht und<br />

in die Welt verschickt. Indra Miklava,<br />

Designerin bei «I'M Your Shirt» verbindet<br />

einen ganz persönlichen Grund<br />

mit ihrem Engagement für die Pride:<br />

«Auch wir Frauen haben Jahrzehnte<br />

lang für unsere Rechte gekämpft. Ich<br />

habe viele LGBT-Freunde und es ist<br />

mir ein persönliches Anliegen und für<br />

mich selbstverständlich, mich auch<br />

für die Anliegen von homosexuellen<br />

Menschen einzusetzen». Sie tut dies<br />

zusammen mit Kaspars Komarovs,<br />

dem Geschäftspartner von Indra. Beide<br />

haben für ihre Hemden einen kleinen<br />

gestickten EuroPride-Button entworfen,<br />

den die Kunden optional<br />

applizieren können. Auch die Besitzerin<br />

von Aristīds, einer Hipster-Bar mit<br />

einem Eingang ohne Name oder Logo,<br />

sieht den gesellschaftlichen Wandeln<br />

nur langsam kommen. «Wir sind eine<br />

Gruppe von Menschen, die Neues<br />

schaffen wollen. Darum haben wir diese<br />

Bar gebaut, und darum freuen wir<br />

uns auch unhe<strong>im</strong>lich, Gay-Events bei<br />

uns zu haben.»<br />

Endspurt<br />

Im Mozaika-Büro, einem etwas kahlem<br />

Büro <strong>im</strong> Untergeschoss eines noblen<br />

Bürohauses, stecken Kaspars und sein<br />

Team <strong>im</strong>mer wieder die Köpfe zusammen<br />

und beraten sich, wie die nächste<br />

Hürde zu überspringen sei. Und <strong>im</strong>mer,<br />

wenn eine Mail mit einer neuen Spende<br />

aufploppt, hellen sich die Gesichter auf<br />

und Freude steigt auf. Die Schweizer<br />

LGBT-Organisationen konnten vor wenigen<br />

Wochen den Machern der EuroPride<br />

einen Scheck über 10 000 Euro<br />

überreichen und leisten damit einen<br />

wichtigen Beitrag zum Veränderungprozess<br />

in Lettland.<br />

Veränderung durch uns<br />

EuroPride wird also wieder zu dem,<br />

wofür der Anlass eigentlich steht: ein<br />

verbindendes Element, ein Event, der<br />

die Unterstützung aller LGBT erfordert.<br />

Schon an der Europride 2009 in<br />

Zürich traten einige Sprecherinnen<br />

und Sprecher auf, die Westeuropa aufforderten,<br />

auch die Anlässe <strong>im</strong> Osten<br />

zu besuchen, und mit der Präsenzmarkierung<br />

zu zeigen, wie wichtig es ist,<br />

sich auch dort für die Rechte der LGBT<br />

einzusetzen. Es ist jetzt an der Zeit,<br />

sich zu engagieren. Und gemeinsam –<br />

ganz nach dem Motto der EuroPride in<br />

Riga – selber Teil einer Bewegung zu<br />

sein und die Geschichte ins Positive<br />

umzuschreiben.<br />

Riga Infos<br />

Spenden: http://ej.uz/ep15donate<br />

Informationen: www.europride<strong>2015</strong>.eu<br />

Gay-Organisation: Mozaika<br />

(www.mozaika.lv)<br />

Anreise: Ab Zürich mit AirBaltic oder<br />

Swiss EuroPride Partner Reisebüro für<br />

Schweiz, Deutschland und Österreich:<br />

Pink Cloud (www.pinkcloud.ch)<br />

Bar & Party: Die einzige richtige Gay-<br />

Bar in Riga. Täglich geöffnet, am<br />

Wochenende sehr gut besucht:<br />

Golden Bar (www.mygoldenclub.com)<br />

Einmal <strong>im</strong> Monat mit einer Gayfriendly-<br />

Party: Aristīds www.facebook.com/<br />

aristidsbar<br />

Schöne Atmosphäre und Konzerte:<br />

Kanepes kultūras centrs (während<br />

Euro Pride auch das offizielle Pride<br />

House) (www.kanepes.lv)<br />

Essen: Gayfriendly-Cafe mit gutem und<br />

günstigem Essen, Geburtsstätte von<br />

Mozika Osiris (www.cafeosiris.lv)<br />

Spezielle Shopping-Ideen: In der<br />

schönen Altstadt von Riga. Bei «I’M<br />

your shirt» (www.<strong>im</strong>yourshirt.com)<br />

oder der Schuhdesignerin Elina Dobele<br />

(www.elinadobele.com)<br />

Riga ist durchaus einen Besuch wert.<br />

<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 13


Serie | Mannsbild – Berufsbild<br />

«Ja, ich mache<br />

die Welt bunt ...»<br />

Text: Andreas Faessler<br />

In seinem Reich gehts um weit mehr als schöne Raumausstattungen und<br />

st<strong>im</strong>mige Farbkonzepte: Ohne ein breites handwerkliches Wissen und vor<br />

allem technische Fachkenntnisse könnte Michael Wössner seinen Beruf<br />

nicht ausüben.<br />

Michael in Action. Ein gestandener Mann mit Flair fürs Schöne.<br />

Gemäss gängiger Klischees ist ein Beruf<br />

in der Wohnungs- und Hauseinrichtungsbranche<br />

alles andere als «unschwul».<br />

Chic soll es aussehen, farblich<br />

und in der Wahl der Materialien soll<br />

alles aufeinander abgest<strong>im</strong>mt sein. Ein<br />

in jeder Hinsicht durchdachtes Wohnkonzept<br />

ist ja nicht selten dem ausgeprägten<br />

Sinn für Ästhetik und Design<br />

homosexueller Männer zu verdanken,<br />

die in dieser Berufsgattung ihre Erfüllung<br />

suchen und finden.<br />

tier am Stadtrand von Pforzhe<strong>im</strong> erblickt.<br />

Der Rest hier spricht eine ganz<br />

andere Sprache: Im lichtdurchfluteten<br />

Lokal füllen Behälter mit Klebstoffen,<br />

Lösungsmitteln, Verdünnern die Regale.<br />

Es stapeln sich Säcke mit Spachtelmassen<br />

und Rohmaterial für Verputz<br />

aller Arten. Hier eine reiche Palette an<br />

He<strong>im</strong>werksmaschinen und Spezialgeräten,<br />

dort an der Wand Muster für Lacke<br />

und Lasuren, Parkette, Laminate, Teppiche.<br />

Gegenüber Werkzeuge, Arbeits-<br />

Fotos: Andreas FAEssler<br />

Michael, versiert <strong>im</strong> Umgang mit<br />

Maschinen.<br />

Im Geschäft von Michael Wössner<br />

dreht sich vieles ebenfalls um He<strong>im</strong>ausstattung.<br />

Links in der Ecke liegen<br />

farblich und nach Machart kategorisierte<br />

Produktmuster und Kataloge.<br />

Davon ein Riesenwälzer mit Designs<br />

von Harald Glööckler. «Das fliegt aber<br />

demnächst aus dem Sort<strong>im</strong>ent», sagt<br />

Geschäftsführer Wössner mit einem<br />

Augenzwinkern. Es ist derzeit auch<br />

das einzige «Schwul-Assoziierte», das<br />

man <strong>im</strong> Laden in einem Gewerbequarschutzutensilien,<br />

alle möglichen Sorten<br />

von Bürsten und Pinseln sowie<br />

Farbrollen. Und alles dominierend:<br />

E<strong>im</strong>er- und büchsenweise Farben und<br />

Lack aller erdenklicher Arten und<br />

Nuancen. Und doch ist das Reich des<br />

33-Jährigen kein Baumarkt, sondern<br />

ein Fachgeschäft, das sich hauptsächlich<br />

auf den Bereich Farben, Tapeten,<br />

Bodenbeläge und Werkzeuge spezialisiert.<br />

Michael Wössner leitet die<br />

hiesige Niederlassung eines in Baden-<br />

Württemberg und Bayern tätigen<br />

Grosshandelsunternehmens.<br />

Der gebürtige Heilbronner war von<br />

Anfang an in der Farb- und Lackbranche<br />

tätig, hat seine Lehre bei einer<br />

Einzelhandelsfirma absolviert. Nach<br />

dem Abschluss als Kaufmann <strong>im</strong><br />

Gross- und Aussenhandel bildete er<br />

sich weiter zum Handelsfachwirt und<br />

schliesslich zum Betriebswirt. Seit<br />

2006 ist er in der süddeutschen Firma<br />

tätig und hat sich als Fachmann auf<br />

seinem Gebiet schon längst etabliert.<br />

«Hübsche farbige Sachen»<br />

Mit «schwulen» Vorurteilen aber wird<br />

der athletische Bartträger mit sonorer<br />

St<strong>im</strong>me und tiefblauen Augen trotzdem<br />

<strong>im</strong>mer mal wieder konfrontiert.<br />

«Hübsche farbige Sachen» verkaufe er<br />

gemäss einiger, sagt er und lacht. «Ja,<br />

ich mache halt die Welt bunt. Einige<br />

nennen mich scherzhaft ‹Trulla de<br />

Couleur›.» Darüber sieht er amüsiert<br />

hinweg. Was für ein enormes Fachwissen<br />

nämlich über Technik, Chemie und<br />

Physik hinter all dem steckt, davon<br />

hat kaum einer eine Ahnung. «Natürlich<br />

brauche ich ein Auge für Ästhetik<br />

und vor allem für Farben und Farbkombinationen,<br />

um die Kunden beraten<br />

zu können», erklärt Wössner. «Aber<br />

viel wichtiger ist das Wissen, wie und<br />

ob etwas überhaupt umgesetzt werden<br />

kann.» Hierbei gilt es unter anderem<br />

Vorschriften zu beachten, für die es<br />

etwa umfangreiche baurechtliche<br />

Kennt nisse braucht. «Kann die nötige<br />

Wärmedämmung ausgeführt werden?»,<br />

führt er Beispiele an. Oder: "Ist der<br />

Kalkputz mit dem passenden Material<br />

überzogen, damit die erforderliche<br />

Karbonisierung nicht verhindert wird?<br />

Wird die Energiesparverordnung des<br />

Bundes eingehalten? Und so weiter ... »<br />

Auch mit dem Denkmalschutz arbeitet<br />

er <strong>im</strong>mer wieder zusammen, beispielsweise<br />

dann, wenn ein Kulturdenkmal<br />

restauriert wird. Und dabei ist es essentiell,<br />

dass die richtigen Materialien<br />

zur Anwendung kommen, um nicht<br />

etwa der historischen Bausubstanz zu<br />

schaden.<br />

«Was für ein enormes<br />

Fachwissen über Technik,<br />

Chemie und Physik<br />

hinter all dem steckt,<br />

davon hat kaum einer<br />

eine Ahnung.»<br />

Stets auf dem aktuellen<br />

Wissensstand<br />

Das Wissen des Schwaben wird auch<br />

für öffentliche Bauten herangezogen,<br />

beispielsweise für Tunnel- oder Brückenbeschichtungen.<br />

«Es ist eine Branche,<br />

die einer ständigen Entwicklung<br />

unterliegt», sagt Wössner. Neue Erkenntnisse<br />

und Produkte erfordern es,<br />

dass auch er selbst wissenstechnisch<br />

stets auf dem aktuellen Stand ist. Interne<br />

Weiterbildungen gehören fix zu<br />

seinem Berufsleben. Dass der in einer<br />

Beziehung lebende Wahlpforzhe<strong>im</strong>er<br />

seine Fachkenntnisse und Fertigkeiten<br />

auch sich selbst zunutze gemacht und<br />

seine Wohnung entsprechend gestaltet<br />

hat, ist so gut wie selbstredend. Privat<br />

gibt er sich genauso natürlich und bodenständig<br />

wie <strong>im</strong> Job, pflegt seinen<br />

Freundeskreis, treibt regelmässig Sport,<br />

ist gerne in der Natur oder mit dem<br />

Motorrad unterwegs.<br />

Anpacken<br />

Der Arbeitsplatz Michael Wössners ist<br />

nicht nur der Verkaufsladen mit eigenem<br />

Lager. Regelmässig fährt er zu<br />

den Baustellen, etwa um die Machbarkeit<br />

abzuklären, anhand der Situation<br />

vor Ort einzuschätzen, wovon es wie<br />

viel braucht. Und anpacken muss er<br />

ebenfalls können, das zuweilen schwere<br />

Material bewegt sich schliesslich<br />

nicht von selbst.<br />

Als Niederlassungsleiter und Vorgesetzter<br />

von vier Mitarbeitern erledigt<br />

Michael auch die ganze Administration<br />

– frühmorgens steht er <strong>im</strong> Laden<br />

und bereitet alles vor, punkt 7 Uhr öffnet<br />

sich die Tür. «Das Administrative<br />

macht etwa 50 Prozent meiner Arbeit<br />

aus.» Die Beratung sei jedoch sein bevorzugtes<br />

Gebiet, sagt er. Dabei schätzt<br />

er den Umgang mit den Menschen und<br />

ihren Wünschen. «Jeder sucht etwas<br />

anderes, eine ganz individuelle Lösung.<br />

Dabei gestaltet sich auch die<br />

Beratung in jedem Fall ganz anders,<br />

weil ja jedes Gebäude respektive jede<br />

Situation unterschiedliche Voraussetzungen<br />

mit sich bringt.»<br />

Doch jetzt verabschiedet sich<br />

Michael Wössner von all dem für den<br />

Moment, hängt den Farbe<strong>im</strong>er an die<br />

Wand und übergibt die Leitung des<br />

Geschäfts seinem Stellvertreter. Drei<br />

Wochen wird er mit dem Auto durch<br />

den Südwesten der USA fahren. «Seit<br />

langem überfällige Urlaubszeit», stellt<br />

er fest. «Das habe ich mir verdient.»<br />

<strong>Cruiser</strong> zeigt Männer <strong>im</strong> Berufsalltag.<br />

Dass Sexualität nichts mit der Berufswahl<br />

zu tun haben muss, beweisen unsere gestandenen<br />

Männer. Bisher portraitiert:<br />

Schiffbauingenieur, Maschinenbauer, Seelsorger.<br />

Hast du einen spannenden Beruf?<br />

Mail uns: redaktion@cruisermagazin.ch<br />

14 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 15


www.cruisermagazin.ch<br />

Tagesaktuelle News. Jederzeit. Überall.<br />

PUBLIREPORTAGE<br />

Gleichstellung ohne<br />

Grenzen – Was muss getan<br />

werden?<br />

Das Motto der diesjährigen Zurich Pride klingt genial: Gleichstellung ohne<br />

Grenzen! Wer könnte das nicht unterschreiben? Doch während hier in<br />

der Schweiz Gleichstellung auf höchstem Niveau diskutiert wird, ist<br />

Homo sexualität in über 80 Ländern <strong>im</strong>mer noch verboten, und in Dutzenden<br />

von Ländern haben LGBTI wenig bis keine Rechte und landen wegen<br />

ihrer Lebensweise <strong>im</strong> Gefängnis oder müssen um ihr Leben bangen.<br />

Foto: Fotolia-Piotr Marcinski-Internet<br />

Foto: iStock-Huskystudio<br />

Niemand soll sich mehr<br />

verstecken müssen.<br />

Besonders zu spüren bekommt diese<br />

Stigmatisierung und Isolierung die<br />

MSM- und Transgender-Bevölkerung<br />

in den betroffenen Ländern. Neben<br />

den rechtlichen Konsequenzen haben<br />

diese gesellschaftlichen Ausgrenzungen<br />

auch negative Auswirkungen auf<br />

die Gesundheit: Hohe HIV-Infektionsraten,<br />

psychische Erkrankungen und<br />

ein schlechter Zugang zur Gesundheitsversorgung<br />

bei MSM und Transgender<br />

sind offensichtliche Folgen.<br />

Bereits seit 1992 setzt sich das globale<br />

Programm «Positive Action» für die<br />

Verbesserung der Lage in diesen Bereichen<br />

ein. Seit 2009 wird das Programm<br />

von ViiV Healthcare, einem<br />

auf HIV-Therapien spezialisierten Unternehmen,<br />

geführt.<br />

Internationale Studien haben ergeben,<br />

dass das HIV-Infektionsrisiko in diesen<br />

Gruppen fast 50 Mal höher ist als<br />

in der heterosexuellen Bevölkerung. 1<br />

Weltweit gesehen hat gemäss einer<br />

Weltbankstudie nur etwa jeder zehnte<br />

MSM oder Transmensch Zugang zu<br />

den rud<strong>im</strong>entärsten präventiven Mass -<br />

nahmen. 2 Auch in der medizinischen<br />

Versorgung von Menschen mit HIV<br />

gibt es Lücken, die dringend beseitigt<br />

werden müssen.<br />

Kürzlich wurde nun die neue Initiative<br />

«Positive Action MSM and Transgender<br />

Programme» gestartet, die diese<br />

Missstände bekämpfen will. Das<br />

globale Programm unterstützt in den<br />

kommenden zwei Jahren mit fast<br />

3 Millionen Franken verschiedenste<br />

Ansätze für den Support von MSM<br />

und Transgender-Organisationen weltweit.<br />

Ein Fachbeirat, bestehend aus<br />

Schlüsselpersonen der globalen MSM-,<br />

«Die gesellschaftlichen<br />

Ausgrenzungen<br />

haben auch negative<br />

Aus wirkungen auf die<br />

Gesundheit.»<br />

Trans gender und HIV-Community, beurteilt<br />

die eingereichten Projekte auf<br />

den Bedarf und die Übereinst<strong>im</strong>mung<br />

mit den Zielsetzungen des Programms.<br />

Weltweit konnten dank dem «Positive<br />

Action Programm» seit 1992 Hunderte<br />

von Projekten in diversen Ländern<br />

umgesetzt werden. Die Verbesserung<br />

der Lebensumstände und ein adäquater<br />

Zugang zu gesundheitlicher<br />

Behandlung von MSM und Transmenschen<br />

sind wichtige Zielsetzungen, die<br />

nach Einschätzung der Programmverantwortlichen<br />

einen Schlüsselfaktor<br />

darstellen, um <strong>im</strong> internationalen<br />

Kampf gegen die HIV-Epidemie wesentliche<br />

Fortschritte zu machen.<br />

1 Baral SD, et al. Worldwide bureden of HIV in<br />

transgender women: a systematic review and<br />

meta-analysis. Lancet Infect Dis. 2013:13:214-22<br />

2 The World Bank Report, The Global HIV Epidemics<br />

among Men Who Have Sex with Men 2011<br />

Mehr dazu an der<br />

Zurich Pride<br />

In der Schweiz ist die Gleichstellung an<br />

vielen Orten erreicht. Aber auch hier<br />

gibt es noch diverse Themen, die PINK<br />

CROSS, der Schweizer Dachverband der<br />

Schwulen, <strong>im</strong> Auge hat. Ein gesetzlicher<br />

Diskr<strong>im</strong>inierungsschutz, die erleichterte<br />

Einbürgerung, die Adoption und der Zugang<br />

zu den Methoden der medizinisch<br />

unterstützten Fortpflanzung für eingetragene<br />

Paare, gleiche Rechte bei der<br />

Religionsausübung sowie be<strong>im</strong> Sport<br />

sind die grossen Themen auf der Gleichstellungsagenda<br />

von PINK CROSS. Weitere<br />

Informationen zum Thema sowie zu<br />

den Aktivitäten von Positive Action gibt<br />

es am Stand von PINK CROSS und ViiV<br />

Healthcare an der Zurich Pride.<br />

16 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />

<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 17


Thema | Chemsex<br />

Von Zaubertränken,<br />

Chemsex und<br />

Drugchecking<br />

Text: Martin Ender<br />

Gerade an der Pride werden verschiedene psychoaktive Substanzen konsumiert.<br />

Ihr Gebrauch geht bis in die Steinzeit zurück. Über all die Jahre haben<br />

Drogenverbote nie gefruchtet. Ein besserer Ansatz ist zu wissen, was man<br />

reinschmeisst. An der Pride erhält man am Stand des «Checkpoint» Auskunft<br />

über Drogen und kann sie auch auf ihren Inhalt hin testen lassen.<br />

Die Idee von einem Zaubertrank, der<br />

den Heissbegehrten dazu bringt, sich<br />

in einen zu verlieben, ist vermutlich<br />

so alt wie die Menschheit. Heute haben<br />

wir uns von dieser magischen Vorstellung<br />

verabschiedet und an die Stelle<br />

«Es existieren Hinweise<br />

darauf, dass die<br />

Wirkung des Fliegenpilzes<br />

in Sibirien bereits<br />

mehr als 3000 Jahre<br />

v. u. Z. bekannt war.»<br />

Für die, die's nicht lassen können. Drogentest an der Pride. Szene aus dem Film<br />

«Death becomes Her» – Goldie Hawn und Bruce Willis mit einem Zaubertrank.<br />

des Liebestrankes sind «Wundermittel»<br />

getreten, die sexuelle Lust und Potenz<br />

entfachen sollen – bei sich selbst wie<br />

be<strong>im</strong> Partner. Die Angebotspalette erstreckt<br />

sich vom enthemmenden Alkohohl<br />

bis hin zu chemischen Substanzen,<br />

die noch nie dagewesene sexuelle<br />

Höhenflüge versprechen. Die Suche<br />

nach Aphrodisiaka war und ist recht<br />

fantasievoll, die Wirkung nicht <strong>im</strong>mer<br />

fantastisch. «Kein Aphrodisiakum hat<br />

(…) dauerhaft die Hoffnungen erfüllt»,<br />

heisst es hierzu nüchtern <strong>im</strong> Schülerduden<br />

Sexualität. Kein Wunder, entwickelt<br />

sich die «Forschung» dauernd<br />

weiter und wirft neue Produkte auf<br />

den Markt.<br />

Der Gebrauch psychoaktiver Substanzen<br />

lässt sich bereits für die Jungsteinzeit<br />

nachweisen. Schon 6000<br />

Jahre vor unserer Zeitrechnung. wurde<br />

<strong>im</strong> westlichen Zentralasien Weinbau<br />

betrieben, und spätestens 3000 v.<br />

u. Z. wurde <strong>im</strong> alten Ägypten und in<br />

Mesopotamien Bier gebraut. Von den<br />

Assyrern wurde Cannabis bereits in<br />

vorchristlicher Zeit als Räucherwerk<br />

verwendet und die berauschende Wirkung<br />

wird auch in den indischen<br />

Veden erwähnt. Im 4. Jahrtausend<br />

v. u. Z. begann in Vorderasien die Kultivierung<br />

des Schlafmohns, von wo<br />

aus er sich <strong>im</strong> Mittelmeerraum sowie<br />

in Asien bis hin nach China verbreitete.<br />

Es existieren Hinweise darauf, dass<br />

die Wirkung des Fliegenpilzes in Sibirien<br />

bereits mehr als 3000 Jahre v. u.<br />

Z. bekannt war. Um 300 v. u. Z. beschrieb<br />

Theophrastos von Eresos die<br />

psychoaktiven Eigenschaften des<br />

Stechapfels; ungefähr für dieselbe Zeit<br />

Foto: Universal Pictures<br />

ist der Tabakgebrauch auf dem amerikanischen<br />

Kontinent belegt.<br />

Drogen gehören also seit jeher zu<br />

unserem Leben. Der früh entdeckte<br />

Alkohol ist <strong>im</strong>mer noch die Droge<br />

Nummer eins und verursacht gesundheitliche<br />

Schäden bis hin zum Organversagen<br />

mit Todesfolge. Aber er ist<br />

legal und gesellschaftsfähig. Immerhin<br />

ist man hier – dank Kontrollen –<br />

vor schädlichern Inhaltsstoffen ziemlich<br />

sicher. Ausnahmen gibts auch<br />

hier, wie die Be<strong>im</strong>ischung von Glykol<br />

(Frostschutzmittel) be<strong>im</strong> Wein Mitte<br />

der 1980er Jahre zeigte.<br />

Bei illegalen Drogen fehlt generell<br />

die Gewissheit, dass auch wirklich<br />

«drinsteckt, was draufsteht», oder eben<br />

versprochen wird. Drogenkonsum,<br />

insbesondere Chemsex, ist somit oft<br />

eine Gratwanderung zwischen Höhenflug<br />

und Absturz – allenfalls mit Todesfolge.<br />

Die Neugier der Konsumenten<br />

auf die Wirkung der Substanzen<br />

ist vielfach stärker ist als die Angst<br />

vor «Nebenwirkungen» oder der Abhängigkeit.<br />

Probieren geht über Studieren<br />

ist eine Devise, die be<strong>im</strong> Reinschmeissen<br />

unbekannter Substanzen<br />

fehl am Platz ist. Bei diesem Thema ist<br />

das Wissen darum, was man gerade<br />

einn<strong>im</strong>mt und wie die Wirkungsweise<br />

auf Körper und Psyche ist, einfach lebenswichtig.<br />

Entsprechende Auskünfte<br />

kann man das ganze Jahr hindurch<br />

be<strong>im</strong> DIZ (Drogeninformationszentrum)<br />

einholen und demnächst während<br />

der Pride am Stand des Checkpoint<br />

Zürich.<br />

Das Drogeninformationszentrum<br />

(DIZ) ist die erste Fachstelle in der<br />

Schweiz, die neben Drogeninformation<br />

und -beratung auch ein Drug<br />

Checking anbietet. Im DIZ wird über<br />

Wirkung und Gefahren psychoaktiver<br />

Substanzen informiert sowie über die<br />

Risiken des eigenen Konsumverhaltens<br />

aufgeklärt. Das Drug Checking<br />

ermöglicht eine genaue Aufklärung<br />

über Dosierung und Inhaltsstoffe der<br />

abgegebenen Substanzen sowie über<br />

die Auswirkungen, welche diese Inhaltsstoffe<br />

auf den Konsumenten haben<br />

könnten. Die Nutzung des DIZ ist<br />

anonym und kostenlos; eine Anmeldung<br />

ist nicht erforderlich.<br />

Die Fachleute solcher Beratungsstellen<br />

aktualisieren ihr Wissen ihrerseits<br />

anhand von Studien. Speziell<br />

zum Thema Chemsex wurde kürzlich<br />

eine Untersuchung durchgeführt. Ziel<br />

dieser Untersuchung war ein Vergleich<br />

möglichst vieler deutscher und europäischer<br />

Städte hinsichtlich des Konsums<br />

von Chemsex-Drogen bei MSM.<br />

Generell werden unter Chems Drogen<br />

verstanden, die verschiedene Formen<br />

von Sex intensiver oder durch Abbau<br />

von Barrieren überhaupt möglich<br />

werden lassen. (z. B. in dem sie eine<br />

langandauernde Erektion, eine hohe<br />

Entspannung der (Anal)muskulatur<br />

ermöglichen oder die Kommunikation<br />

erleichtern). Mit «Chems» können unterschiedliche<br />

Substanzen gemeint<br />

sein: Poppers, Ecstasy, Kokain, GHB,<br />

Ketamin oder Chrystal Meth und vieles<br />

mehr.<br />

«Die Nutzung des<br />

Drogeninformationszentrums<br />

ist anonym<br />

und kostenlos; eine<br />

Anmeldung ist nicht<br />

erforderlich.»<br />

Ausgehend von den Gruppeninterviews<br />

definierte die Forschergruppe<br />

Chemsex als Sex zwischen Männern<br />

unter dem Einfluss von Substanzen,<br />

die unmittelbar vor oder während der<br />

Sex-Session konsumiert werden. Hierbei<br />

handelte es sich insbesondere um<br />

Mephedron, GHB/GBL, und Crystal<br />

Meth. Aber auch Ketamin und Kokain<br />

wurden in solchen Kontexten häufig<br />

konsumiert.<br />

Einige der Ergebnisse sind durchaus<br />

auch interessant für unsere Leser. So<br />

war der Konsum der genannten Substanzen<br />

besonders ausgeprägt in Manchester<br />

und London, gefolgt von<br />

Amsterdam, Barcelona und Zürich. Es<br />

folgen Dublin, Madrid und Valencia,<br />

dann Paris und Berlin.<br />

Der Anstieg der Kurven für den<br />

Konsum mindestens einer der vier zusammengefassten<br />

Substanzen ist in<br />

allen betrachteten Städten nahezu linear,<br />

was für einen hohen Anteil an<br />

Personen mit eher sporadischem Gebrauch<br />

spricht. Die vergleichsweise<br />

niedrigen Prozentwerte für MSM, die<br />

Chemsex-Drogen in den letzten sieben<br />

Tagen konsumiert haben, sprechen<br />

wiederum für einen eher kleinen Anteil<br />

an Personen mit regelmässigem<br />

Gebrauch. Zum Vergleich: Chemsexdrogen<br />

werden nicht so häufig konsumiert,<br />

wie z. B. Tabak. Weiter zeigt<br />

sich, dass MSM mit bekannter HIV-<br />

Diagnose und MSM mit vielen Sexualpartnern<br />

zwar häufiger Chemsex-<br />

Drogen konsumieren, aber dass die<br />

Unterschiede zwischen den Städten<br />

bzw. zwischen den Länderkontrollgruppen<br />

unabhängig von Partnerzahl<br />

und HIV-Diagnose sind.<br />

Der Besuch von Darkrooms, schwulen<br />

Sex-Clubs oder öffentlichen<br />

schwulen Sex-Partys war in den der<br />

Befragung vorangehenden vier Wochen<br />

besonders ausgeprägt in Amsterdam<br />

(28%), Berlin und Zürich (25%).<br />

Etwa jeder zweite schwule Mann in<br />

Amsterdam, Manchester und London,<br />

der an einer privaten Sexparty teilgenommen<br />

hat, berichtet über den Konsum<br />

von Chemsex-Drogen; ebenso jeder<br />

dritte schwule Mann in Barcelona<br />

und Zürich. Die Ergebnisse legen nahe,<br />

dass in den lokalen schwulen Szenen<br />

europäischer Metropolen durchaus unter<br />

schiedliche Kulturen <strong>im</strong> Gebrauch<br />

von Chemsex-Drogen vorherrschen.<br />

Checkpoint an der Pride<br />

Samstag, 13. <strong>Juni</strong>, 13–17 Uhr,<br />

Konradstrasse 1, 8005 Zürich.<br />

Das Drogeninformationszentrum DIZ<br />

öffnet speziell für die Zurich-Pride-<br />

Besucher, die sich auf die Partywoche<br />

vorbereiten und wissen wollen, was sie<br />

einnehmen. Drogen mitbringen und<br />

testen lassen.<br />

Freitag, 19. <strong>Juni</strong> ab 16 Uhr, Checkpoint-Zelt,<br />

Kasernenareal. Beratung,<br />

HIV-/Syphilis-Tests und Atraktionen.<br />

Samstag, 20. <strong>Juni</strong>, 13 Uhr,<br />

Helvetiaplatz. Checkpoint-Wagen am<br />

Zurich Pride Umzug: Alle für die<br />

schwule Gesundheit! Von Coming-out<br />

bis Alterspflege.<br />

Samstag, 20. <strong>Juni</strong>, 13–23 Uhr Checkpoint-Zelt,<br />

Kasernenareal. Beratung,<br />

HIV-/Syphilis-Tests, Drugchecking und<br />

Attraktionen. Mobiles Drugchecking<br />

by saferparty.ch – Drogen, mitbringen<br />

und testen lassen.<br />

18 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />

<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 19


News | National<br />

Nationale News<br />

Text: Daniel Diriwächter<br />

«Er bedauert auch die Unannehmlichkeiten, die er dem Bischof von Chur<br />

bereitet hat und in dessen Auftrag er in Bürglen tätig ist.»<br />

{ }<br />

Der Churer Generalvikar Martin Grichting über die Versöhnung mit Pfarrer Bucheli<br />

Das offizielle Logo der Pride Valais <strong>2015</strong><br />

Die malerische Berner-Landschaft diente<br />

jüngst als Kulisse für eine Filmproduktion<br />

aus Hongkong. Obwohl mitfinanziert<br />

von der Zürcher Firma The Badger<br />

Society, stammt das Drehbuch aus der<br />

Feder des verstorbenen Chinesen Julian<br />

Lee, als Regisseur wurde dessen Freund<br />

Kit Hung verpflichtet. Der Film mit dem<br />

Titel «Stoma» basiert auf einer wahren<br />

Geschichte: Ein schwuler Krebskranker<br />

aus Hongkong lässt sich in der Schweiz<br />

operieren, da er eine Beziehung mit<br />

einem Schweizer pflegt. Kraft tankt er<br />

aber in der Ruhe des Emmentals.<br />

Zürich<br />

Gleichstellung<br />

ohne Grenzen<br />

Die Pride <strong>2015</strong> will den Zürcher<br />

Schwung nutzen und setzt auf<br />

ein spannendes Programm.<br />

«Jetzt erst recht!» lautete das Motto<br />

der Pride 2014. Mit diesem Motto wies<br />

die Zurich Pride darauf hin, dass in Sachen<br />

Gleichstellung noch viel zu tun ist.<br />

Mit dem diesjährigen Motto «Gleichstellung<br />

ohne Grenzen» wird der Faden<br />

weitergesponnen. Als nationales Vorbild<br />

in Bezug auf LGBT-Rechte dient den<br />

Organisatoren die he<strong>im</strong>ische L<strong>im</strong>matstadt,<br />

die laut deren Ansicht die internationale<br />

Hauptstadt in diesem Bereich<br />

wurde. Das mag laut jüngsten Erkenntnissen<br />

ein wenig Wunschdenken sein,<br />

Schönmalerei ist es keineswegs.<br />

Das offizielle Pride-Logo <strong>2015</strong><br />

Schliesslich kann Zürich viele Meilensteine<br />

vorweisen: So war der Kanton<br />

selbst einer der ersten mit dem Partnerschaftsgesetz,<br />

mit einer Fachstelle für<br />

Gleichstellung, einer lesbischen Stadtpräsidentin<br />

sowie der Kampagne für homosexuelle<br />

Pfegeeltern. Nicht zuletzt<br />

hat der Film «Der Kreis» die Entwicklung<br />

der Zwinglistadt eindrücklich dargelegt.<br />

Die Zurich Pride erinnert aber<br />

auch daran, dass es neben den hiesigen<br />

Erfolgen noch <strong>im</strong>mer über 80 Länder<br />

gibt, in denen Homosexualität verboten<br />

ist. Weswegen positive LGBT-Entwicklungen<br />

auch global gemessen werden<br />

müssen. Das Pride-Programm bietet<br />

diverse Events, welche sich für das diesjährige<br />

Motto starkmachen. Sei es die<br />

Podiumsdiskussion <strong>im</strong> Volkshaus zum<br />

Thema «Equality without Borders»<br />

(15. <strong>Juni</strong>) oder die offizielle Pride Party<br />

«Wonderword Antarctica» <strong>im</strong> Club Xtra<br />

(20. <strong>Juni</strong>). Nicht zu vergessen das Herzstück<br />

der Pride: Der Umzug am 20. <strong>Juni</strong><br />

sowie das Festival auf dem Kasernenareal<br />

und dem Zeughausplatz.<br />

Zurich Pride <strong>2015</strong><br />

Woche 14. - 21. <strong>Juni</strong><br />

Festival 19. und 20. <strong>Juni</strong><br />

Demonstration 20. <strong>Juni</strong><br />

Alle Daten unter www.zhpf.ch<br />

Stigmatisierung<br />

und Selbst-<br />

Stigmatisierung<br />

Gleichstellung ohne Grenzen –<br />

auch unter Schwulen?<br />

Die Reihe «Checkpoint <strong>im</strong> Gespräch»<br />

widmet sich <strong>im</strong> <strong>Juni</strong> dem Pride-Thema<br />

«Gleichstellung ohne Grenzen» – allerdings<br />

innerhalb der Szene. Die Stigmatisierung<br />

in den eigenen Reihen wird am<br />

Beispiel HIV beschrieben: In der Zürcher<br />

Schwulenszene ist schätzungsweise jeder<br />

sechste Mann HIV-positiv, doch nur<br />

knapp die Hälfte der Männer, die bei<br />

Testaktionen <strong>im</strong> Jahr 2014 einen Fragebogen<br />

beantworteten, gaben an, in ihrem<br />

Bekanntenkreis keinen einzigen Mann<br />

mit HIV zu kennen. Das weist darauf<br />

hin, dass HIV ein Tabu ist, das wohl mit<br />

Stigmatisierung, der Angst vor einer<br />

eventuellen Stigmatisierung und sicher<br />

mit Selbst-Stigmatisierung zu tun hat.<br />

Am 18. <strong>Juni</strong> informiert und diskutiert<br />

Heinz Marty, Fachpsychologe SBAP in<br />

klinischer Psychologie, Psychotherapie<br />

und Notfallpsychologie, über Gründe<br />

und individuelle Möglichkeiten <strong>im</strong> Umgang<br />

mit Stigmatisierung. Wie <strong>im</strong>mer<br />

ab 18 Uhr <strong>im</strong> Zürcher Restaurant Bubbles.<br />

Schwule Finanzen<br />

Finanzfragen von homosexuellen<br />

Paaren und Singles gewinnen<br />

an Bedeutung.<br />

Für homosexuelle Paare und Singles<br />

stellen sich bisweilen andere Finanzfragen<br />

als für die heterosexuelle Bevölkerung.<br />

Der Zivilstand der eingetragenen<br />

Partnerschaft hat grossen Einfluss auf<br />

die Finanzen der homosexuellen Partner.<br />

Zudem leben viele Lesben und<br />

Schwule <strong>im</strong> Konkubinat, was spezielle<br />

Regelungen erforderlich macht. Das<br />

Vermögens-Zentrum, kurz VZ, n<strong>im</strong>mt<br />

sich dieser Fragen an und führt am 11.<br />

und 16. <strong>Juni</strong> Informationsveranstaltungen<br />

mit dem Thema «Finanzfragen von<br />

homosexuellen Paaren und Singles»<br />

durch. Die Veranstaltungen finden in<br />

der «Wirtschaft Neumarkt» in Zürich<br />

statt.<br />

Alle Informationen unter<br />

www.vermoegenszentrum.ch<br />

Fotos: zvg<br />

Sitten<br />

Das Wallis feiert<br />

den Pride-Monat<br />

Zum zweiten Mal wird in Sitten<br />

für die Gleichberechtigung demonstriert.<br />

Bereits am 13. <strong>Juni</strong> wird <strong>im</strong> Hauptort des<br />

Kanton Wallis das Westschweizer Pendant<br />

zur Pride stattfinden: Die Pride<br />

Valais setzt ganz auf das Motto «Ich<br />

muss dir etwas sagen. Ich liebe… das<br />

Wallis» – passend zum kantonalen 200.<br />

Jubiläumsjahr. Dass eine dortige Demonstration<br />

für LGBT-Rechte <strong>im</strong>mer noch<br />

zwingend ist, zeigen die Anfeindungen <strong>im</strong><br />

Vorfeld. Erzkatholiken und Ewig-Gestrige<br />

durften wie 2001, als die erste Demo<br />

stattfand, medienwirksam ihre konservativen<br />

Sorgen verkünden. Davon liessen<br />

sich die mutigen Organisatoren nicht<br />

beirren und setzen auf ein vielfältiges<br />

Programm. Erwartet werden rund 4000<br />

Teilnehmer aus der ganzen Schweiz.<br />

Alle Informationen unter<br />

www.pride<strong>2015</strong>.ch<br />

Basel<br />

Ein Schiff wird<br />

kommen<br />

Am 6. <strong>Juni</strong> liegt das Gay-Basel<br />

Schiff <strong>im</strong> Rheinhafen vor Anker.<br />

Die beliebte Basler-Party beginnt um 19<br />

Uhr mit einem Apéro an der mobilen<br />

Zischbar auf dem Freideck, u.a. mit Aktivitäten<br />

der Aids-Hilfe beider Basel<br />

und mit musikalischer Unterhaltung von<br />

DJ Mary. Wer danach gerne ein marit<strong>im</strong>es<br />

Dinner geniessen möchte, kann dies<br />

<strong>im</strong> Bordrestaurant Treibgut tun. Um 22<br />

Uhr öffnen sich die Türen zu den zwei<br />

Dance-Floors auf dem Mitteldeck sowie<br />

dem Clubdeck. Mit dem Erlös aus der<br />

Veranstaltung wird die Präsenz der lesbischschwulen<br />

Kultur in Basel und der<br />

Region durch digitale Vernetzung und<br />

Inserate gefördert und kommt dem<br />

HIV / Aids-Präventions-Fonds der Aidshilfe<br />

beider Basel zu Gute.<br />

Alle Informationen unter www.gaybasel.ch<br />

Flyermotiv für das Gayschiff <strong>2015</strong><br />

Bern<br />

Schwulendrama <strong>im</strong><br />

Emmental<br />

Der chinesische Regisseur<br />

Kit Hung drehte einen Film <strong>im</strong><br />

Berner Mittelland.<br />

Schweiz<br />

Schweiz auf Platz 31<br />

Helvetia fällt <strong>im</strong> internationalen<br />

Ranking der LGBT-Rechte zurück.<br />

Wie «Pink Cross» mitteilte, erfüllt die<br />

Schweiz nur gerade 28 Prozent der Kriterien<br />

zur vollständigen Gleichstellung.<br />

Damit fällt sie <strong>im</strong> internationalen<br />

Ranking der ILGA Europe von Platz 26<br />

auf Platz 31. Die Schwachpunkte der<br />

Schweiz liegen am Fehlen eines allgemeinen<br />

Anti-Diskr<strong>im</strong>inierungsgesetzes.<br />

Darüber hinaus gibt es grosse Rechtslücken<br />

<strong>im</strong> Bereich Familien (z. B. Adoption),<br />

Hate Cr<strong>im</strong>e/Hate Speech-Gesetzgebung,<br />

Asylrecht und Intersexualität.<br />

Und besonders wenig Punkte kann die<br />

Schweiz be<strong>im</strong> Thema Geschlechtsidentität<br />

machen.<br />

Schwules Blut<br />

unerwünscht<br />

Swissmedic will am Blutspendeverbot<br />

für Schwule festhalten.<br />

Im Mai sprachen sich «Pink Cross», die<br />

BDP und der Blutspendedienst SRK<br />

Schweiz deutlich gegen das Blutspendeverbot<br />

für homosexuelle Männer aus.<br />

Die BDP reichte sogar einen Vorstoss <strong>im</strong><br />

Parlament ein. Swissmedic, das Schweizerische<br />

Heilmittelinstitut, will allerdings<br />

weiterhin am Verbot festhalten.<br />

Begründet wird dies damit, dass die<br />

HIV-Rate bei schwulen Männern <strong>im</strong> Vergleich<br />

zu heterosexuellen Menschen signifikant<br />

höher sei. Dem widerspricht<br />

Bastian Baumann, Geschäftsleiter von<br />

«Pink Cross», in der Presse: «Das Beispiel<br />

anderer Länder zeigt, dass die antiquierte<br />

Haltung von Swissmedic längst überholt<br />

ist.»<br />

20 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />

<strong>Cruiser</strong> Mai | <strong>2015</strong> 21


News | International<br />

Internationale News<br />

Text: Daniel Diriwächter<br />

«Es klingt vielleicht seltsam, aber schwule Männer verstehen<br />

es häufig besser, auch die weiblichen Anteile für sich zu akzeptieren<br />

und in ihre Gesamtpersönlichkeit zu integrieren.»<br />

{ }<br />

Journalist David Berger in der Huffington Post (7 Dinge, die ein schwuler Chef besser macht)<br />

Das österreichisches Magazin Vangardist wurde mit HIV-positivem Blut gedruckt.<br />

A propos «Blaue Seiten»: Das Internetportal<br />

PlanetRomeo, einst des Schwulen<br />

liebste Datingseite, veröffentlichte <strong>im</strong><br />

Mai die Resultate einer hauseigenen<br />

Umfrage mit dem Titel «Gay Happiness<br />

Index (GHI)», die auch in Zusammenarbeit<br />

mit der Universität Mainz durchgeführt<br />

wurde. 115 000 Männer aus 127<br />

Ländern machen darin Angaben über<br />

ihre Lebenssituation. Die Verantwortlichen<br />

der Studie berechneten die Umfrageergebnisse<br />

auf die gesamte Weltbevölkerung<br />

und präsentierten ein<br />

schockierende Ergebnis. Dieses besagt,<br />

dass demnach vier Millionen homosexuelle<br />

Männer 2014 Opfer von ernsthafter<br />

physischer Gewalt wurden; dass 13 Millionen<br />

von ihren Familien ausgeschlossen<br />

wurden; dass 41 Millionen ihr He<strong>im</strong>atland<br />

verlassen wollten und dass 66<br />

Millionen gegenüber ihren Eltern nicht<br />

geoutet sind.<br />

Gery Keszler bei seiner bewegenden<br />

Rede.<br />

Wien<br />

Geständnis am<br />

Life Ball<br />

Der 23. Life Ball war nicht nur<br />

ein riesiger Event, sondern auch<br />

ein Abend der Ehrlichkeit.<br />

Bereits zum 23. Mal ging Mitte Mai der<br />

Life Ball in Wien über die Bühne. Einst<br />

als kleiner HIV/Aids-Charity-Event geboren,<br />

entwickelte sich der Anlass zum<br />

globalen Mega-Ereignis, das be<strong>im</strong><br />

durchschnittlichen Zuschauer oft die<br />

Prävention vergessen lässt. Auch heuer<br />

setzte man sowohl auf viel nackte<br />

Haut,als auch auf eine Armada an<br />

(Welt-)Stars, die wahlweise sich oder<br />

den guten Zweck ins rechte Licht rückten.<br />

Als offizielles «Poster-Girl» amtete<br />

Conchita Wurst in der Rolle der Adele<br />

Bloch Bauer, stilgerecht als Kl<strong>im</strong>t-Kopie.<br />

Homosexuelle Ampelmännchen vermochten<br />

weiter konservative Kräfte zu<br />

schockieren. Was nach dem Ball besonders<br />

in Erinnerung bleibt, ist die bewegende<br />

Rede von Organisator Gery Keszler.<br />

Er gestand dem Publikum, dass er seit<br />

20 Jahren das HI-Virus in sich trägt.<br />

Warum er gerade an diesem Abend seine<br />

Erkrankung öffentlich gemacht hat,<br />

lag laut seinen Worten am unerwarteten<br />

Tod eines Freundes, der jahrelang<br />

für den Life Ball gearbeitet hat. Gery<br />

Keszler widmete ihm den Event.<br />

Blut statt<br />

Druckerfarbe<br />

Das österreichische Gay-Magazin<br />

Vangardist wollte ein Zeichen<br />

setzen.<br />

Das Magazin Vangardist wird üblicherweise<br />

nur online veröffentlicht. Im Monat<br />

des Life Balls wollte die Redaktion<br />

aber ein Zeichen setzen und den Kampf<br />

gegen HIV fortführen. Zu diesem Zweck<br />

wurde die aktuelle Ausgabe in einer l<strong>im</strong>itierten<br />

Auflage von 3000 Stück gedruckt.<br />

Speziell ist, dass die Druckfarbe<br />

mit dem Blut von HIV-infizierten Personen<br />

versetzt wurde. Vangardist konnte<br />

auf drei Spender zählen - eine Frau und<br />

Mutter, einen homosexuellen und einen<br />

heterosexuellen Mann. Dass die Aktion<br />

gar nicht so Fehl am Platz war, machten<br />

ängstliche St<strong>im</strong>men in Online-Foren<br />

deutlich. Es musste tatsächlich betont<br />

werden, dass bei der Lektüre kein<br />

HIV-Risiko bestehe.<br />

Iran<br />

Schwule Frisuren<br />

verboten<br />

Best<strong>im</strong>mte Haarschnitte sind<br />

<strong>im</strong> Iran ab sofort verboten.<br />

Mohammend Govahi, der iranische Chef<br />

des Herrencoiffeurverbandes, entschied<br />

<strong>im</strong> Mai per neuem Regelwerk, dass best<strong>im</strong>mte<br />

Frisuren nicht mehr zulässig seien,<br />

ja sogar Satans Werk darstellen würden.<br />

Darin soll auch stehen, dass<br />

best<strong>im</strong>mte Schnitte, wie Homosexuelle<br />

sie tragen, verpönt sind. Eine genaue Definition<br />

dessen blieb er seinen Landsleuten<br />

jedoch schuldig, wie das iranische<br />

Nachrichtenmagazin ISNA berichtete.<br />

Weiter seien Tattoos, der Besuch von Solarien<br />

und das Zupfen der Augenbrauen<br />

ebenfalls nicht mehr erlaubt.<br />

Schweden<br />

«Hier lang, wenn<br />

ihr schwul seid»<br />

Sollten russische U-Boote<br />

in schwedischen Gewässern<br />

tauchen, werden sie warm<br />

empfangen.<br />

FotoS: Live Ball (1), Vangardist (1), ZVG (1)<br />

Die Schwedische Gesellschaft für Frieden<br />

und Schlichtung (SFSF) hat ein besonderes<br />

«Unterwasserverteidigungssystem»<br />

gegen russische U-Boote installiert,<br />

dies, weil in jüngster Zeit<br />

russisch-nautisches Treiben in schwedischen<br />

Gewässern gesichtet wurde.<br />

Also liess SFSF einen «Singenden Matrosen»,<br />

sprich einen Kasten vor dem<br />

Stockholmer Schärengarten ins Wasser,<br />

der per Morse-Code ständig die<br />

Nachricht «Hier lang, wenn ihr schwul<br />

seid» sendet. Auch eine Anspielung auf<br />

das russische Gesetz, das «Homo-<br />

Propaganda» verbietet.Auf dem besagten<br />

Kasten selbst ist in Neonfarben ein<br />

Matrose abgebildet mit der Aufschrift<br />

«Willkommen in Schweden – Gay seit<br />

1944». In diesem Jahr wurden in Schweden<br />

homosexuelle Handlungen legalisiert.<br />

Premierminister Xavier Bettel ist unter<br />

der Haube.<br />

Luxemburg<br />

Hochzeit für schwulen<br />

Premierminister<br />

Xavier Bettel gab seinem Partner<br />

Gauthier Destenay das Ja-Wort.<br />

Im Mai ging der erste Premierminister<br />

der Welt den Bund der Ehe mit einem<br />

Mann ein: Xavier Bettel, seit 2013 Chef<br />

der Liberalen in Luxemburg, gab seinem<br />

Freund nach fünfjähriger eingetragener<br />

Partnerschaft in einer privaten Zeremonie<br />

das Ja-Wort. Im Anschluss feiert das<br />

Paar mit rund 500 Gästen. Gleichgeschlechtliche<br />

Ehen können in Luxemburg<br />

seit Januar <strong>2015</strong> geschlossen werden.<br />

Weltweit<br />

Homophobe Gewalt<br />

in Zahlen<br />

Eine Studie unter 115 000<br />

schwulen Männern präsentiert<br />

Schockierendes.<br />

USA<br />

Kein Safer Sex:<br />

60 Jahre Haft<br />

Ein 23-jähriger HIV-positiver<br />

Student wurde bis ins Rentenalter<br />

weggesperrt.<br />

Weil er einen Mann wissentlich mit HIV<br />

infiziert haben soll, wurde <strong>im</strong> US-Bundesstaat<br />

Missouri ist ein 23-jähriger<br />

Student zu 60 Jahren Haft verurteilt.<br />

Der Verurteilte beteuerte, dass er seinen<br />

Sexpartner informiert habe, selbst aber<br />

nicht viel über HIV wusste. Die Geschworenen<br />

Jury der Stadt St. Charles<br />

wollten dies nicht glauben und sorgten<br />

nun für ein Urteil, dass Aids-Aktivisten<br />

weltweit empört.<br />

Freiburg<br />

Schwuler Koch<br />

sorgte für<br />

Hungerstreik<br />

70 Häftlinge verweigerten<br />

die Nahrungsaufnahme –<br />

Grund: Homophobie.<br />

Medienberichten zufolge traten <strong>im</strong> Mai<br />

rund 70 Insassen der Justizvollzugsanstalt<br />

Freiburg in den Hungerstreik, weil<br />

in der Gefängnisküche ein angeblich<br />

schwuler Koch am Werk war. Bei den<br />

Häftlingen soll es sich um Russlanddeutsche<br />

handeln. Andere Medien<br />

schrieben hingegen von mangelnder<br />

Hygiene in der Küche als Grund für den<br />

Streik.<br />

22 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 23


Serie | Homosexualität in Geschichte<br />

und Literatur<br />

Davids unerschrockener<br />

Freund<br />

Michelangelos David –<br />

die Originalstatue.<br />

Text: Alain Sorel<br />

Ein Männerkörper präsentiert sich ganz unverhüllt. Michelangelos «David»,<br />

die Statue in Florenz, ist seit Jahrhunderten zum Steinwurf gegen Goliath<br />

bereit. Der gelang dem David aus Fleisch und Blut einst blitzschnell. Legendär<br />

ist auch seine Freundschaft zu Jonathan.<br />

Da steht er, nackt, wie Gott oder – in<br />

dem Fall – eher, wie der Künstler ihn<br />

erschuf. Der Kopf mit dem gekrausten<br />

Haar ist nach links geneigt, die linke<br />

Hand umschliesst einen Gegenstand,<br />

der über die Schulter gelegt ist. Der<br />

rechte Arm hängt nach unten, lässig,<br />

dürfte man meinen, doch der Eindruck<br />

täuscht: Die Finger sind nicht ausgestreckt,<br />

sondern halten etwas fest,<br />

verstecken etwas. Ausgeprägt ist die<br />

Halsmuskulatur des jungen Mannes<br />

über seinem kräftig gebauten Brustkasten.<br />

Der Bursche ist topfit.<br />

«David gegen Goliath»<br />

widerspricht dem<br />

fürchterlichen «Recht<br />

des Stärkeren».<br />

Wir reden von der berühmten Kolossalstatue<br />

in Florenz, die den David<br />

darstellt, den David aus dem Alten<br />

Testament, den David, der mit der<br />

Steinschleuder wie nebenbei den Riesen<br />

Goliath besiegte. Die Geschichte<br />

von David ist der Beweis dafür, dass<br />

nicht schiere Stärke und physische<br />

Masse jemanden von vorneherein unüberwindbar<br />

machen und einen anderen<br />

zwangsläufig auf verlorenem Posten<br />

stehen lassen, sondern dass<br />

Wendigkeit, Gewandtheit und Wachsamkeit<br />

ihre Chancen haben können.<br />

Der Kampf «David gegen Goliath» ist<br />

zu einem geflügelten Wort geworden.<br />

Es widerspricht dem fürchterlichen<br />

«Recht des Stärkeren», das leider schon<br />

allzu oft unermessliches Leid über<br />

Länder und Völker gebracht hat.<br />

David ist die <strong>im</strong>merwährende Hoffnung<br />

jener, die <strong>im</strong> Falle von Gefahr<br />

über sich hinauswachsen und Kräfte<br />

freisetzen, die sie sich selber nicht zugetraut<br />

hätten.<br />

Heisses Herz<br />

Geschaffen wurde der David von<br />

Michelangelo Buonarroti (1475 bis<br />

1564), einem Genie – Bildhauer, Maler,<br />

Architekt und Dichter in einem. In den<br />

drei Jahren, in denen der Meister dieses<br />

Wunderwerk aus dem Carrara-<br />

Marmor schlug, war der Stein unter<br />

seiner Hand zum Leben erwacht. Überliefert<br />

ist vom ihm der Satz: «Nur die<br />

Hand, die ganz dem Geist gehorcht,<br />

erreicht das Bild <strong>im</strong> Steine.»<br />

Den Geist hatte Michelangelo, aber<br />

es brauchte auch ein heisses Herz –<br />

emotionale Glut, um solch eine Figur<br />

wie den David aus dem Stein zu<br />

meisseln, einen Menschen aus einem<br />

Material zu formen. Angefacht wurde<br />

diese Glut von Michelangelos Liebe<br />

zum männlichen Körper. Er faszinierte<br />

ihn, er wollte ihn spüren. Hautnah.<br />

Die Ansicht hat sich durchgesetzt,<br />

dass Michelangelo schwul war. Von<br />

einem in Gedichten verherrlichten Geliebten,<br />

Tommaso dei Cavalieri, ist die<br />

Rede. Die muskulösen, gut konditionierten<br />

Männer auf Michelangelos<br />

Fresken in der Sixtinischen Kapelle in<br />

Rom sollen eine auffallende Ähnlichkeit<br />

mit Strichern haben, die zu Lebzeiten<br />

des Künstlers an einschlägigen<br />

Orten Roms verkehrten … Wie dem<br />

auch sei: Persönlichkeit und Leistung<br />

Michelangelos sind nicht <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit seinen geschlechtlichen<br />

Vorlieben zu beurteilen.<br />

Das Original des David steht nicht<br />

mehr an seinem ursprünglichen<br />

Standort auf der Piazza della Signoria<br />

be<strong>im</strong> Palazzo Vecchio in Florenz, weil<br />

der Zahn der Zeit gefährlich am Monument<br />

nagte. Es hat eine geschützte<br />

Stätte in der Accademia gefunden.<br />

Dort, wo es sich vorher befand, wurde<br />

eine Kopie hingestellt, die ihrerseits<br />

ein Publikumsmagnet geworden ist.<br />

Michelangelos Eigenschöpfung ist<br />

über fünf Meter gross und etwa sechs<br />

Tonnen schwer. David wurde wie einst<br />

Goliath ein Riese, die angereisten Florenz-Touristen<br />

sind Zwerge gegen ihn.<br />

So verschieben sich Perspektiven.<br />

«Die Touristen sind<br />

Zwerge gegen den<br />

David.»<br />

Foto: Julie Workman<br />

Bei Michelangelos David ruht die<br />

Schleuder über der Schulter, der Stein<br />

in der rechten Hand ist wurfbereit. Er<br />

wird Goliath von den Füssen hauen.<br />

Im Unterschied zu vielen Darstellungen<br />

dieser biblischen Szene, auf denen<br />

der unerschrockene Bursche mit dem<br />

abgeschlagenen Kopf des Riesen zu sehen<br />

ist, steht dieser David in Florenz<br />

noch vor seiner Bewährungsprobe. Die<br />

Spannung, die dadurch in Davids Körper<br />

liegt, teilt sich dem Betrachter mit,<br />

was nur möglich ist dank der Nacktheit<br />

des jungen Kriegers. Davids Augen<br />

suchen den Gegner. Seine Gestik<br />

sendet eine einzige Botschaft aus: «Ich<br />

bin bereit.» Er darf seinem Körper und<br />

der Kraft, die darin liegt, vertrauen.<br />

Im Triumph<br />

Zeitenwechsel, Szenenwechsel. Zwei<br />

Heere stehen sich kampfbereit gegenüber:<br />

Israeliten gegen Philister. In jenem<br />

11. Jahrhundert vor Christus bedrängen<br />

die Philister <strong>im</strong>mer wieder die<br />

Israeliten und sind für diese eine recht<br />

bedeutende Gefahr. Die Sache steht auf<br />

der Kippe, zum Nachteil der Israeliten.<br />

Einer aus dem Heer der Philister mit<br />

Namen Goliath, über drei Meter lang,<br />

fordert den Stärksten der Israeliten<br />

zum Zweikampf heraus, doch keiner<br />

ist dazu bereit. Schliesslich ist es ein<br />

unbekannter Gefolgsmann von Israels<br />

König Saul, David, der sich Goliath gegenüberstellt.<br />

Der Stein von Davids<br />

Schleuder, seiner einzigen Waffe,<br />

dringt in Goliaths Stirn ein, das Un-<br />

getüm stürzt zu Boden und David<br />

schlägt ihm den Kopf ab. Im Triumph<br />

kehrt er zu Saul zurück.<br />

Gut möglich, dass einer die Vorgänge<br />

beobachtete und ein Auge auf den<br />

Sieger warf: Jonathan, der älteste<br />

Sohn Sauls, der Kronprinz. David wird<br />

in der Bibel (1. Buch Samuel, Kapitel<br />

16) als «bräunlich, mit schönen Augen<br />

und guter Gestalt» beschrieben. Es gab<br />

gute Gründe, von David angetan zu<br />

sein, einerseits seines Mutes wegen,<br />

den er gegen Goliath bewiesen hatte,<br />

anderseits auch der Musik wegen. David<br />

konnte Harfe spielen wie kein<br />

zweiter. Deswegen war er auch an<br />

Sauls Hof berufen worden, um den König<br />

aufzuheitern, dessen Gemütszustand<br />

sich <strong>im</strong>mer wieder verdüsterte.<br />

Hatte Saul eine Krise, so nahm David<br />

«die Harfe und spielte mit seiner Hand;<br />

so erquickte sich Saul und es ward<br />

besser mit ihm, und der böse Geist<br />

wich von ihm». Das war eine frühe<br />

Form von Musiktherapie, wie sie auch<br />

in unserer Zeit angewendet wird.<br />

Kleidertausch<br />

David war gemäss Altem Testament<br />

physisch attraktiv und hatte auch seelischen<br />

Tiefgang. Und so begann eine<br />

Freundschaft, die <strong>im</strong> Alten Testament<br />

ihresgleichen sucht. Die Freundschaft<br />

zwischen dem Königssohn Jonathan<br />

und dem Mann aus dem Volk, David.<br />

Die Bibel beschreibt sie wortmächtig<br />

und direkt, auch wenn die Sprache<br />

heute ungewohnt anmutet. Es «verband<br />

sich das Herz Jonathans mit dem<br />

Herzen Davids, und Jonathan gewann<br />

24 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 25


Serie | Homosexualität in Geschichte<br />

und Literatur<br />

ihn lieb wie sein eigen Herz. (…) Und<br />

Jonathan zog aus seinen Rock, den er<br />

anhatte, und gab ihn David, dazu seinen<br />

Mantel, sein Schwert, seinen Bogen<br />

und seinen Gürtel.» Ein Vertrauensbeweis<br />

ohnegleichen. Jonathan<br />

entsagte für seinen Freund dem königlichen<br />

Glanz. Freundschaft war ihm<br />

wichtiger als die äusseren Attribute<br />

seines Ranges. Ein frühes Indiz für<br />

eine innere Grösse, die er, wie der Lauf<br />

der Geschehnisse klarmachte, auch<br />

tatsächlich besass. Jonathan ahnte die<br />

höhere Berufung Davids, war bereit,<br />

einfach Wegbereiter zu sein und ins<br />

zweite Glied zu treten, obwohl er selbst<br />

ein formidabler Krieger und Kämpfer<br />

war und das Zeug zum Herrscher ohne<br />

weiteres gehabt hätte.<br />

Seine Worte zu David waren prophetisch:<br />

«Du wirst König werden über<br />

Israel, so will ich der Nächste um dich<br />

sein. (…)» Ein früher Hinweis von Seiten<br />

des Königssohnes, dass in seinem<br />

Herzen Eifersucht keinen Platz bekommen<br />

würde. Im Klartext signalisierte<br />

er David: «Ich möchte einfach<br />

bei dir bleiben, lass mich in deiner<br />

Nähe sein.» Gegen Einflüsterungen<br />

seines Vaters Saul, er, Jonathan, werde<br />

von David um Amt, Würden, Reich<br />

und Leben gebracht, war der Königssohn<br />

<strong>im</strong>mun.<br />

«Jonathan entsagte<br />

für seinen Freund dem<br />

königlichen Glanz.»<br />

Jonathan hatte keine leichte Position,<br />

aber er zögerte keine Sekunde und<br />

stellte sich auf die Seite des Freundes,<br />

ohne den Vater zu verlassen, dessen<br />

Verhältnis zu David sehr zwiespältig<br />

wurde. Die Schwermut machte Saul<br />

unberechenbar. Der erste König Israels<br />

litt darunter, dass er laut Altem Testament<br />

von Gott verworfen worden war.<br />

Er argwöhnte zudem bald, David werde<br />

ein Herausforderer, ein Rivale <strong>im</strong><br />

Kampf um die Macht.<br />

Einsatz für den Freund<br />

Saul empfand eine Hassliebe für David.<br />

Mal wollte er ihn bei sich haben,<br />

dann wieder stiess er ihn weg und verfolgte<br />

ihn. Er gab ihm seine Tochter<br />

Michal zur Frau und trachtete ihm<br />

gleichzeitig nach dem Leben. David<br />

musste Hals über Kopf fliehen. Michal<br />

rettete David einmal vor den Häschern<br />

«Ohne einander hielten<br />

es die zwei Freunde auf<br />

die Dauer nicht aus.»<br />

Sauls – aber vorab war es Jonathan,<br />

der seinen Freund über die Lage am<br />

Hof aufklärte und ihm, halb krank vor<br />

Sorge um den Flüchtling, verschlüsselte<br />

Warnungen zukommen liess. Er<br />

sprach mit dem Vater, erinnerte ihn an<br />

Davids segensreiches Wirken mit der<br />

Harfe, er riskierte sogar sein Leben für<br />

ihn, indem der jähzornige Saul seinen<br />

Speer nach dem eigenen Sohn warf,<br />

als dieser David verteidigte.<br />

David wurde nach und nach ein Militärführer<br />

aus eigener Anstrengung<br />

und schlug Schlachten. Ganz wandte<br />

er sich nie von Saul ab, verschonte<br />

zwe<strong>im</strong>al dessen Leben. Schliesslich<br />

war Saul der Vater seines besten<br />

Freundes. Die Zeit aber arbeitete für<br />

David: Nach Sauls Tod wurde er erst<br />

König von Juda, dann von ganz Israel.<br />

Doch in den Jahren, in denen Saul<br />

noch lebte und kämpfte, hielten es die<br />

zwei Freunde auf die Dauer ohne einander<br />

nicht aus. Sie trafen sich he<strong>im</strong>lich,<br />

waren in einem emotionalen<br />

Ausnahmezustand «und sie küssten<br />

sich miteinander und weinten miteinander,<br />

David aber am allermeisten»,<br />

wie <strong>im</strong> Alten Testament (1. Buch Samuel,<br />

Kapitel 20) geschrieben steht.<br />

Nutzten David und Jonathan die Gunst<br />

der Stunde, fielen die letzten Schranken,<br />

gab es, weil sie einander unbedingt<br />

Halt geben wollten, kein Halten<br />

mehr? Für ein kurzes Glück? Oder war<br />

ihre seelisch-geistige Verbundenheit<br />

so stark, dass Sex gar keinen Platz<br />

hatte in ihrer Beziehung? Über die sexuelle<br />

Orientierung von David und Jonathan<br />

wird heiss debattiert, und bei<br />

einigen Argumentationen gegen eine<br />

körperliche Liebe hat man den Verdacht,<br />

sie erfolgten nach dem Motto<br />

«weil nicht sein kann, was nicht sein<br />

darf».<br />

Was feststeht: Die Zärtlichkeit zwischen<br />

den beiden Freunden bedingte<br />

einen engen Körperkontakt. David und<br />

Jonathan hatten keine Berührungsängste.<br />

Unbestechliche Quelle dafür:<br />

die Bibel.<br />

Dem toten Freund sandte David<br />

dann einen letzten, bewegenden Gruss.<br />

Jonathan war in einer Schlacht seines<br />

Vaters, an der David nicht beteiligt<br />

war, ums Leben gekommen, Saul hatte<br />

sich <strong>im</strong> Angesicht der Niederlage ins<br />

Schwert gestürzt. In seinem Klagelied<br />

um Jonathan – und Saul! – liess David<br />

keinen Zweifel aufkommen, was er für<br />

Jonathan empfunden hatte: «Mir ist<br />

weh um dich, / mein Bruder Jonathan:<br />

/ ich habe grosse Freude und / Wonne<br />

an dir gehabt; / deine Liebe ist mir<br />

kostbarer / gewesen / denn Frauenliebe<br />

ist.»<br />

David heiratete Batseba, die ihm einen<br />

Sohn schenkte – einen Erben, den<br />

späteren grossen Salomo.<br />

<strong>Cruiser</strong>-Serie: Homosexualität<br />

in Geschichte<br />

und Literatur<br />

Mehr oder weniger versteckt findet<br />

sich das Thema Männerliebe in der<br />

Weltgeschichte, in antiken Sagen und<br />

traditionellen Märchen – in der Literatur<br />

ganz allgemein – <strong>im</strong>mer wieder.<br />

<strong>Cruiser</strong> greift einzelne Beispiele heraus,<br />

würzt sie mit etwas Fantasie, stellt sie<br />

in zeitgenössische Zusammenhänge und<br />

wünscht bei der Lektüre viel Spass –<br />

und hie und da auch neue oder zumindest<br />

aufgefrischte Erkenntnisse. Die<br />

dritte Folge befasst sich mit einem<br />

Freundespaar aus der Bibel – unzertrennlich,<br />

bis der Tod es schied.<br />

Auch Frauen<br />

finden bei<br />

gayPARSHIP<br />

eine passende<br />

Partnerin.<br />

Ich suche nicht irgendwen,<br />

deshalb suche ich<br />

auch nicht irgendwo -<br />

sondern bei gayPARSHIP.<br />

26 <strong>Cruiser</strong> Mai | <strong>2015</strong>


Thema | Gedanken zur Pride<br />

Unmögliches möglich<br />

machen<br />

Text: Janis McDavid<br />

Wie man auch ohne Arme und Beine seine Füsse hochlegen und auf der<br />

Tanzfläche stehen kann. Gedanken zum Pride-Monat.<br />

Foto: KATY OTTO<br />

Stehe oder sitze ich auf dem Pride-Wagen?<br />

Gebe ich jemandem meine Hand<br />

oder meinen Arm zur Begrüssung?<br />

Und wie entspanne ich mich abends –<br />

indem ich meine Füsse hochlege?<br />

Freunde und andere Menschen um<br />

mich herum vergessen häufig, dass ich<br />

ohne Arme und Beine geboren wurde<br />

und fragen mich manchmal, ob ich<br />

dieses oder jenes halten oder ihnen<br />

meine Handschuhe leihen könnte. Für<br />

mich ist das das grösste Lob, die grösste<br />

Bestätigung, die man mir geben<br />

kann, denn in solchen Situationen<br />

weiss ich, dass ich mein Ziel erreicht<br />

habe: Mein Ziel, meiner «Behinderung»<br />

in meinem Leben keine Hauptrolle<br />

zu geben. In diesen Momenten<br />

weiss ich, dass ich als Mensch und nicht<br />

als «schwerstbehinderter, schwerhöriger,<br />

oder geistig eingeschränkter<br />

Rollstuhlfahrer» oder «hilflose Person»<br />

gesehen werde.<br />

«Mein Ziel ist es,<br />

meiner ‹Behin derung›<br />

in meinem Leben keine<br />

Hauptrolle zu geben.»<br />

Wenn ich mit freiem Oberkörper auf<br />

dem CSD-Wagen stehe und mir eine<br />

Sektflasche in die Hand gedrückt wird,<br />

spielt meine «Behinderung» auch nur<br />

eine Nebenrolle. Dann bin ich mitten<br />

drin in der LGBT-Community, die <strong>im</strong><br />

<strong>Juni</strong> – unserem Pride Monat – für ihre<br />

Akzeptanz und Wertschätzung kämpft.<br />

Man sieht in diesem Monat viele nackte<br />

Oberkörper und zurechtgemachte<br />

Menschen und könnte sich fragen, ob<br />

und wie man als Rollstuhlfahrer dazu<br />

passt. Man kann aber ebenso einfach<br />

hingehen und mitmischen. Selbst<br />

wenn ich in den Augen vieler keinen<br />

«perfekten» Körper habe, bin ich vom<br />

Gegenteil überzeugt, auch wenn ich<br />

gerade keine Handschuhe dabei habe<br />

oder Sektflaschen halten kann.<br />

Auf CSDs und in Discos ist die Frage<br />

nach dem perfekten Körper eine<br />

sehr wichtige. Doch wann ist ein Körper<br />

«perfekt»? Wenn er makellos ist?<br />

Wenn er komplett ist? Nein, denn<br />

«perfekt» ist, was wir – jeder Einzelne<br />

von uns – daraus machen. Ich habe<br />

meinen Körper so angenommen, wie er<br />

ist, und versuche das entsprechend<br />

auszustrahlen. Wenn ich dann gefragt<br />

werde, was für Schuhe ich zuhause<br />

habe, zeigt mir diese Frage, dass meine<br />

Ausstrahlung erfolgreich ist.<br />

Das mag jetzt seltsam klingen und<br />

oft ist es denjenigen, die mich noch<br />

nicht gut kennen, anschliessend sehr<br />

peinlich, weil sie das Gefühl haben, in<br />

ein Fettnäpfchen getreten zu sein oder<br />

eine Grenze übertreten zu haben. Ich<br />

kann dazu nur sagen: Wer nicht über<br />

sich selbst lachen kann, hat schon verloren.<br />

Wenn Freunde mir solche Fragen<br />

stellen, bin ich glücklich und wenn ich<br />

<strong>im</strong> Flugzeug ein Upgrade in die Business<br />

Klasse bekomme, freue ich mich<br />

über die zusätzliche Beinfreiheit.<br />

Das Leben ist viel zu schön, um<br />

<strong>im</strong>mer ernst zu sein und daher gehe<br />

ich jetzt zum Sofa, lege meine Füsse<br />

hoch und freue mich über die Ausdrucksmöglichkeiten<br />

der deutschen<br />

Sprache.<br />

Der Kämpfer<br />

Janis McDavid ist 23 Jahre alt und<br />

lebt in Bochum, er geht seinen Lebensweg<br />

selbstbest<strong>im</strong>mt. Derzeit studiert<br />

er Wirtschaftswissenschaften in<br />

Witten, macht ein Praktikum bei IBM<br />

in Berlin und engagiert sich be<strong>im</strong><br />

deutschen schwul-lesbischen Jugendnetzwerk<br />

Lambada. In seinen Ferien<br />

geht er gerne auf Reisen. Janis McDavid<br />

setzt sich dafür ein, dass Individualität<br />

die neue Normalität ist und kann<br />

auch für Vorträge engagiert werden.<br />

Als öffentliche Person ist er <strong>im</strong> Internet<br />

(www.janis-mcdavid.de) sowie auf<br />

Facebook zu finden.<br />

28 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 29


Kolumne | Pia Spatz<br />

Der Krieg der<br />

Schwestern?<br />

Text: Pia Spatz<br />

Pia trägt <strong>im</strong> <strong>Juni</strong> ihren Büstenhalter <strong>im</strong>mer mit Stolz, statt ihn zu<br />

verbrennen. Und sie informiert sich in Sachen Drogen.<br />

Ihr Lieben, der <strong>Juni</strong> ist da – eine<br />

Zeit, um stolz zu sein und um auf die<br />

Strasse zu gehen. BHs werden wir keine<br />

verbrennen – wir werden sie tragen!<br />

Zeigen wir den Bünzlis, dass wir noch<br />

<strong>im</strong>mer eine St<strong>im</strong>me und Stilgefühl haben!<br />

Die Pride, oder auch s<strong>im</strong>pel liebevoll<br />

CSD genannt, erinnert an 1969,<br />

als sich unsere Schwestern in New<br />

York beherzt gegen die Obrigkeit auflehnten<br />

(sie hatten übrigens damals<br />

mehr Fummel an, als heute manche<br />

Demonstrierenden <strong>im</strong> Schrank haben).<br />

Doch dürfen wir wirklich stolz sein?<br />

Natürlich! Denn das Wort PRIDE ist<br />

das Gegenteil von Scham. Wir alle<br />

wollten schon mal vor Scham <strong>im</strong> Boden<br />

versinken, weshalb sich also nicht<br />

aus Stolz wie ein Phoenix aus der<br />

Asche erheben? Fakt ist aber, wenn in<br />

diesen Wochen die lesbisch-schwule<br />

Familie auf heile Welt macht, ist das<br />

eben nur die Spitze des Lippenstifts.<br />

Die Stigmatisierung hat längst Einzug<br />

in unsere Nische gehalten. Nichts ist<br />

so einfach, wie das sprichwörtliche<br />

Schubladendenken. Auf meinen Streifzügen<br />

durch die Nacht werde auch ich<br />

ab und an diskreditiert. Was natürlich<br />

(m)ein Gezeter und Mordio nach sich<br />

zieht. Alles nur, weil ich besonders<br />

schön sein wollte – das ist echt fies.<br />

Ein Krieg der Schwestern? Vielleicht.<br />

Stigmatisierung kommt überall vor.<br />

HIV-objektiv sind wir ja zum Beispiel<br />

noch lange nicht. Aber auch sonst<br />

rümpfen wir schnell die Nase. Unsere<br />

Nächsten sind uns zu alt, zu dick, tragen<br />

die falsche Brille ... Kurzum: Aktuell<br />

darf ich doch die Gleichstellung<br />

ohne Grenzen innerhalb unser Community<br />

zumindest ein bisschen in Frage<br />

stellen. Und dann stehen wir uns ja<br />

«BHs werden wir keine<br />

verbrennen – wir werden<br />

sie tragen! Zeigen wir<br />

den Bünzlis, dass<br />

wir noch <strong>im</strong>mer eine<br />

St<strong>im</strong>me und Stilgefühl<br />

haben!»<br />

auch selbst <strong>im</strong> Weg und stigmatisieren<br />

uns auch selbst. Im «Checkpoint <strong>im</strong><br />

Gespräch» <strong>im</strong> <strong>Juni</strong> gehts genau darum<br />

und wie ich «stolz» auf etwas sein<br />

kann, auch wenn die anderen auf mir<br />

rumhacken.<br />

Um nochmals auf die Spitze des Lippenstifts,<br />

bzw. des Eisbergs zurückzukommen<br />

– da denke ich unweigerlich<br />

auch an sogenannten Schnee, an weisses<br />

Pulver, das so herrlich wach macht.<br />

Oder an kleine Pillen, winzige Tröpfchen<br />

... Drogen sind in der Schwulen-Szene<br />

(nicht nur!) weitverbreitet.<br />

Einige meiner Pappenhe<strong>im</strong>er können<br />

sich oft nur sexuell entfalten, wenn sie<br />

was intus haben. Aber auch hier unterscheiden<br />

wir uns. Es gibt die, die konsumieren,<br />

ganz offen und cool, dann<br />

diejenigen, die <strong>im</strong>mer mal wieder komplett<br />

tschüss sind, aber meinen, sie<br />

könnten es gehe<strong>im</strong> halten und dann<br />

gibts noch die Gruppe jener, die keine<br />

Drogen nehmen und ein Problem damit<br />

haben, dass die anderen es tun. Da haben<br />

wir wieder die Schubladen und die<br />

Stigmatisierung, aber das nur so nebenbei.<br />

Ich finde halt, jeder so wie es<br />

ihm Spass macht, aber informiert euch!<br />

Und so komme ich zum Punkt: Meine<br />

Jungs vom «Checkpoint» kennt ihr<br />

schon – das sind die Experten bezüglich<br />

schwulem Sex und allen Infos<br />

drumherum. Die sind natürlich auch<br />

an der Pride. Und dieses Jahr bringen<br />

sie die Experten von saferparty.ch<br />

gleich mit. Sie können deine kleinen<br />

Muntermacher kontrollieren – besser<br />

auf Information setzten, statt aus<br />

Scham schlechte Ware konsumieren,<br />

oder?<br />

So ihr Lieben, lasst uns feiern und<br />

ein Zeichen setzen, seid eingeladen, um<br />

an der Pride mit meinen Jungs vom<br />

Checkpoint bei deren Wagen mitzulaufen!<br />

Garantiert gefahrlos, aber ungemein<br />

spassig und ach so sinnvoll.<br />

Dr. Gay<br />

Verliebt in einen HIVpositiven<br />

Mann<br />

Lieber Dr. Gay, ich habe <strong>im</strong> Chat einen<br />

netten Mann kennengelernt, mit dem<br />

ich mich gerne treffen möchte. Nun<br />

hat er mir gesagt, dass er HIV-positiv<br />

ist. Er hat mir versichert, dass er seine<br />

Medikamente regelmässig n<strong>im</strong>mt und<br />

nicht ansteckend ist. Trotzdem habe ich<br />

Bedenken. Worauf muss ich achten?<br />

Darf ich ihn ohne Kondom blasen? Was<br />

ist mit dem Lusttropfen? Wie gross ist<br />

das Risiko, wenn er mit seinem Schwanz<br />

an meinem Hintern reibt und dabei ein<br />

Lusttropfen rauskommt? Was, wenn er<br />

auf mich abspritzt? Darf ich ihn r<strong>im</strong>men?<br />

Vielleicht übertreibe ich etwas,<br />

aber mir ist es wirklich wichtig, gesund<br />

zu bleiben. Alexander (20)<br />

Hallo Alexander<br />

Vermutlich hattest du schon früher<br />

mal Sex mit einem HIV-positiven<br />

Mann, ohne es zu wissen. Dass du nun<br />

über den Serostatus deines Sexpartners<br />

Bescheid weisst, ändert eigentlich<br />

nichts. Halte dich einfach an die<br />

ANZEIGE<br />

Safer-Sex-Regeln (Analverkehr nur<br />

mit Kondom und kein Sperma in den<br />

Mund nehmen). Der Lusttropfen birgt<br />

be<strong>im</strong> Blasen kein HIV-Risiko, weil darin<br />

zu wenig Viren für eine Infektion<br />

vorhanden sind. Ebenso wenig ist<br />

Sperma auf der Haut oder R<strong>im</strong>men ein<br />

HIV-Risiko. Das Reiben des Penis am<br />

Anus ist auch unbedenklich, solange<br />

kein Eindringen stattfindet und kein<br />

Lusttropfen in den Hintern gelangt.<br />

Wenn dein Sexpartner unter wirksamer<br />

antiretroviraler Therapie (ART)<br />

ist, ist seine Viruslast so tief (nicht<br />

nachweisbar), dass er nicht ansteckend<br />

ist. Trotzdem empfehle ich bei anonymen<br />

Gelegenheitskontakten die Safer<br />

Sex-Regeln einzuhalten, weil du nicht<br />

sicher sein kannst, ob er seine Medikamente<br />

regelmässig n<strong>im</strong>mt bzw. ob<br />

seine Viruslast tatsächlich nicht nachweisbar<br />

ist. In einer festen Beziehung<br />

zwischen einem serodiskordanten<br />

Paar kann nach Rücksprache mit dem<br />

behandelnden Arzt über das Weglassen<br />

des Gummis diskutiert werden.<br />

Weitere Informationen dazu findest du<br />

<strong>im</strong> Sex-Wiki auf www.drgay.ch unter<br />

EKAF.<br />

Alles Gute, Dr. Gay<br />

BRUNO BÖTSCHI<br />

<strong>im</strong> Gespräch mit prominenten<br />

Tagträumern<br />

Im Buchhandel und auf www.applausverlag.ch<br />

Ratgeber Aids-Hilfe | Dr. Gay<br />

Wie gefährlich ist<br />

ein Blow-Job?<br />

Lieber Dr. Gay, ich hatte Sex mit einen<br />

Mann und dabei be<strong>im</strong> Analverkehr<br />

ein Kondom benutzt. Danach habe ich<br />

seinen Schwanz geblasen und er hat in<br />

meinem Mund abgespritzt. Das Sperma<br />

habe ich nicht geschluckt, sondern<br />

sofort ausgespuckt. Ist das gefährlich?<br />

Soll ich einen HIV-Test machen?<br />

Jan (26)<br />

Hallo Jan<br />

Hauptübertragungsweg von HIV ist ungeschützter<br />

Analverkehr. Darum ist es<br />

gut, dass du dich und deinen Partner<br />

be<strong>im</strong> Analverkehr mit einem Kondom<br />

geschützt hast. Aber auch Sperma <strong>im</strong><br />

Mund kann ein HIV-Risiko sein. Du<br />

hast zwar richtig gehandelt und das<br />

Sperma sofort ausgespuckt. Trotzdem<br />

empfehle ich dir einen HIV-Test. Dieser<br />

ist bereits 15 Tage nach der Risikosituation<br />

möglich. Der Test schliesst eine Infektion<br />

aber nicht ganz aus. Um alle<br />

Zweifel auszuräumen, solltest du nach 3<br />

Monaten einen Bestätigungstest machen.<br />

Ich rate dir, Sperma nicht in den<br />

Mund zu nehmen. Sollte dir versehentlich<br />

wieder mal jemand in den Mund<br />

spritzen, kannst du das Risiko min<strong>im</strong>ieren,<br />

indem du (wie du es gemacht hast)<br />

das Sperma ausspuckst und anschliessend<br />

den Mund mit Flüssigkeit spülst<br />

(nicht Zähneputzen!). Eine empfehlenswerte<br />

Adresse für Test und Beratung ist<br />

der Checkpoint (www.mycheckpoint.ch)<br />

Alles Gute, Dr. Gay<br />

Dr. Gay ist eine Dienstleistung<br />

der Aids-Hilfe Schweiz<br />

30 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong>


Kultur | Schweiz<br />

Die Kultur-Tipps<br />

<strong>im</strong> <strong>Juni</strong><br />

Text: Daniel Diriwächter<br />

Eine spannende Saison neigt sich dem Ende zu, aber vor dem Sommer darf<br />

noch einmal ganz <strong>im</strong> Sinne der Kultur gefeiert werden.<br />

Der Stoff, aus dem Sommernachtsträume sind?<br />

Zürcher Festspiele:<br />

Geld. Macht. Liebe.<br />

Die Festspiele Zürich widmen sich vom<br />

12. <strong>Juni</strong> bis 12. Juli den vielleicht wichtigsten<br />

Themen des Lebens, die zeitgleich<br />

auch die literarische Welt eines<br />

der grössten Dichters aller Zeiten beherrschten:<br />

«GeldMachtLiebe – Shakespeare<br />

und andere Gewalten». Das Jahr<br />

<strong>2015</strong> liegt genau zwischen dem 450.<br />

Jahrestag von William Shakespeares<br />

Geburt (1564) und seinem 400. Todesjahr<br />

(1616). Eine Steilvorlage für die<br />

Festspiele Zürich, die damit nicht nur<br />

den Lebens- und Schaffensweg des<br />

Künstlers, sondern auch seine Zeit zu<br />

reflektieren vermögen. Die an den Festspielen<br />

beteiligten Kulturinstitutionen<br />

legen den Fokus teils auf historische,<br />

teils auf zeitgenössische Aspekte der<br />

allgemein gültigen Themen Geld, Macht<br />

und Liebe, um die sich auch heute noch<br />

die Welt dreht. Über 150 Veranstaltungen<br />

von 34 Veranstaltern locken an 26<br />

verschiedenen Orten in der Stadt und<br />

bieten etwas für jeden Geschmack.<br />

Trotzdem wagen wir es, einige Highlights<br />

besonders hervorzuheben: Im<br />

eröffnenden Festvortrag <strong>im</strong> Schauspielhaus<br />

wird der Schriftsteller Adolf<br />

Muschg die zeitlose Bedeutung des universalen<br />

Geistes Shakespeares und<br />

seines Werks zum Thema machen (13.<br />

<strong>Juni</strong>).<br />

In der Gessneralle best<strong>im</strong>mt die<br />

«Männliche Liebe» das Geschehen: Mit<br />

der Performance «Traumboy» von Daniel<br />

Hellmann erlebt das Publikum einen<br />

jungen Mann, der sich gern prostituiert.<br />

Einziges Problem: das Stigma. Im Privatleben<br />

hat er seinen Nebenjob bislang<br />

gehe<strong>im</strong> gehalten (ab 13. <strong>Juni</strong>). Am Pfauen<br />

selbst ist am 22. <strong>Juni</strong> passenderweise<br />

nochmals «Ein Sommernachtstraum» in<br />

der Inszenierung von Daniela Löffner zu<br />

sehen. Das Zürcher Filmpodium setzt in<br />

dieser Zeit auf die Reihe «Shakespeare<br />

<strong>im</strong> Kino» – gezeigt werden unter anderem<br />

«Romeo und Julia» in diversen Versionen<br />

oder – logisch – «Shakespeare in<br />

Love» (diverse Daten). Nicht zu vergessen<br />

der traditionelle Sommernachtsball<br />

<strong>im</strong> Zürcher Hauptbahnhof am 4. Juli. Es<br />

darf also gefeiert werden - «Sein oder<br />

Nichtsein» dürfte für Kulturfreudige die<br />

best<strong>im</strong>mende Frage des Monats werden.<br />

Alle Informationen unter<br />

www.festspiele-zuerich.ch<br />

Kultur<br />

Ticket<br />

Das offizielle Poster der Festspiele<br />

Zürich.<br />

San Andreas<br />

Machen wir uns nichts vor: Katastrophenfilme<br />

erfreuen sich auch in der<br />

schwulen Familie enormer Beliebtheit,<br />

sofern sie als sogenannte «A-Lister» geführt<br />

werden. Es muss ja nicht <strong>im</strong>mer<br />

ein französisches Drama sein. Tragisch<br />

nur, wenn die sogenannten Desaster-Streifen<br />

von der Realität überholt<br />

werden. So geschehen bei «San<br />

Andreas», der das gefürchtete grosse<br />

Erbeben in Kalifornien auf Zelluloid gebannt,<br />

aber wegen den furchtbaren Geschehnissen<br />

in Nepal leicht geändert<br />

wurde. Trotzdem verspricht der Film mit<br />

dem oft unterschätzten Dwayne Johnson<br />

spannende Unterhaltung mit einem<br />

durchaus realen Hintergrund: Bei der<br />

San-Andreas-Verwerfung, einer gut<br />

1100 Kilometer sichtbaren Bruchlinie in<br />

Kalifornien, treffen die Pazifische und<br />

die Nordamerikanische Platte aufeinander.<br />

In der Realität beträgt die Verschiebung<br />

rund sechs Zent<strong>im</strong>eter pro<br />

Jahr. Im Film selbst prallen die beiden<br />

tektonischen Platten mit voller Wucht<br />

gegeneinander. Regisseur Brad Peyton<br />

schürt mit «San Andreas» gekonnt die<br />

Angst vor dem «Big One»; der Titelsong<br />

von Sia, eine Coverversion des Klassikers<br />

«California Dreamin», entfacht Gänsehaut<br />

pur.<br />

Ab 28. Mai <strong>im</strong> Kino<br />

Stéphanie Berger –<br />

Höllelujah<br />

Eines muss man Stéphanie Berger lassen:<br />

Sie hat wirklich vieles getan, um<br />

nicht in der Versenkung zu verschwin-<br />

32 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 33<br />

Fotos: Matthias Horn (2), Warner Bros. (1), ZVG (1), Miller’s Studio (1)<br />

Filmplakat zu «San Andreas»<br />

den. Seit 20 Jahren gehört sie zur sogenannten<br />

Cervelat-Prominenz; damals<br />

noch als Miss Schweiz, die unbedingt<br />

gross hinaus wollte. In der Tat war es<br />

ihre Schönheit, die faszinierte – von der<br />

«Sirene in Blond» bis zum «blonden<br />

Gift» – Kritiker und Anhänger wurden<br />

gleichermassen bedient und die Berger,<br />

wie es so markant heisst, liess sich von<br />

bösen Zungen nicht beirren und hielt<br />

sich tapfer in Amt und Würden. Nach<br />

dem Amtsjahr als Schönheitskönigin<br />

versuchte sie sich als Sängerin und erreichte<br />

einige Erfolge. Als Moderatorin<br />

und Schauspielerin war (und ist) sie<br />

ebenfalls <strong>im</strong> Einsatz. Trotz schnöder<br />

Kritiken – die Berger lässt sich nicht<br />

beirren, vielleicht auch, weil sie einst<br />

als selbsternannte «Baby-Christin» das<br />

Göttliche entdeckt hat. Seit geraumer<br />

Zeit steht nun «Comedy» stellvertretend<br />

für den flammenden Busch <strong>im</strong><br />

Berger-Universum. Nach den zaghaften<br />

Versuchen <strong>im</strong> Schweizer Fernsehen geht<br />

die Ex-Miss als Komödiantin auf<br />

Tournee – und legt erfrischende Selbstironie<br />

an den Tag. Mit «Miss-Erfolg»<br />

etablierte sie sich in der Szene und veralberte<br />

ihr altes Image mit Genuss. Das<br />

neue Programm «Höllelujah» verspricht<br />

ebenfalls urkomisch zu werden.<br />

Daten:<br />

4. <strong>Juni</strong>, Forum Würth, Arleshe<strong>im</strong><br />

10. <strong>Juni</strong>, Das Zelt, Wiesendangen<br />

16. <strong>Juni</strong>, Bernhard-Theater, Zürich<br />

Spektakuli –<br />

Alles<br />

meschugge?<br />

Stéphanie Berger – Sirene in Blond<br />

oder blondes Gift?<br />

In diesem Jahr setzt das<br />

Festival «Spektakuli» <strong>im</strong><br />

Zürcher Miller’s Theater einen<br />

Themenschwerpunkt,<br />

um den Festivalcharakter zu<br />

stärken: Vor siebzig Jahren<br />

endete der Zweite Weltkrieg,<br />

aus diesem Grund widmet<br />

sich das Festival mit einer<br />

Reihe hochkarätiger Darbietungen,<br />

prominent besetzten<br />

Diskussionsrunden sowie mult<strong>im</strong>edialer<br />

Ausstellung dem<br />

Themenkreis «Exilkabarett zur<br />

Zeit des Dritten Reiches». Unter<br />

dem Motto: «Alle meschugge!»<br />

werden damit die Wurzeln des<br />

Wiener Kabaretts entdeckt, das<br />

in der Zwischenkriegszeit besonders<br />

von jüdischen Künstlern geprägt<br />

war. Das vielfältige Programm beginnt<br />

am 28. Mai mit T<strong>im</strong> Fischer und dessen<br />

legendärem Programm «T<strong>im</strong> Fischer singt<br />

Kreisler». Neben den zehn Tagen voller<br />

Aufführungen ist <strong>im</strong> Mühle rama die Ausstellung<br />

«Alles meschugge?» zu sehen.<br />

Das Restaurant Blaue Ente bietet derweil<br />

ebenfalls Wiener Spezialitäten an.<br />

Mühle Tiefenbrunnen, Zürich<br />

Vom 28. Mai bis 6. <strong>Juni</strong><br />

Alle meschugge!<br />

Kabarett – Ausstellung – Kulinarik<br />

Alles meschugge, oder was?<br />

Kabarettfestival<br />

28. Mai bis<br />

6. <strong>Juni</strong> <strong>2015</strong><br />

© Jüdisches Museum Wien


Serie | Persönlichkeiten<br />

Was macht eigentlich …<br />

Text: Haymo Empl<br />

Mark Wahlberg<br />

Mark Wahlberg war die Gay-Ikone der 90er. Obschon er das nie wollte.<br />

<strong>Cruiser</strong> hatte die Möglichkeit, das einstige Unterhosenmodel (mittlerweile<br />

ist er längst ein Blockbuster-Film-Star) telefonisch zu interviewen … und<br />

wir hätten gerne den Mythos des starken, aber sensiblen Mannes weiter<br />

zementiert. Aber eben …<br />

Mark Wahlberg, einstige Gay Ikone und<br />

mittlerweile der unschwulste Mann,<br />

den es wohl gibt.<br />

Der einstige Rapper – das frühere Model<br />

und der spätere Filmstar Mark<br />

Wahlberg – war und ist in Hollywood<br />

für seine Entourage von Freunden und<br />

Mitbewohnern genau so berühmt wie<br />

für seine Arbeit. Stets zeigte er sich<br />

mit Männern, und die eine oder andere<br />

kumpelhafte Umarmung wurde von<br />

den Gays gerne als int<strong>im</strong>es Geständnis<br />

der Neigung zum eigenen Geschlecht<br />

interpretiert. Unvergesslich, wie Mark<br />

Wahlberg am T<strong>im</strong>e Square auf überlebensgrossen<br />

Plakaten – nur in Calvin-<br />

Klein-Unterhosen – posierte. Wir wollten<br />

wissen, wie schwul denn nun Mark<br />

wirklich ist und durften mit ihm telefonieren.<br />

Nun handelte es sich natürlich<br />

nicht nur um eine einfache Plauderei,<br />

denn das Management hörte<br />

mit, und Mark Wahlberg sollte eigentlich<br />

seine Serie «Entourage» auf dem<br />

Sender HBO sowie die Realityshow<br />

«Wahlburgers» auf dem Sender A&E<br />

promoten, und zudem schon gluschtig<br />

auf den Film «Ted 2» machen.<br />

Nun ist das so eine Sache mit den<br />

Amis. Die wissen gar nicht so recht,<br />

welche Sender wir hierzulande empfangen.<br />

Beste Voraussetzungen für<br />

den <strong>Cruiser</strong> also, um allerhand anderes<br />

zu erfragen. Wenn da das Management<br />

nicht auch mitgehört hätte. Und<br />

so verliess uns der Mut, denn wir hatten<br />

schlicht Schiss, dass das Gespräch<br />

abgebrochen würde, wenn wir zu viele<br />

«schwule» Fragen stellen würden. Es<br />

war auch nie so ganz klar, ob Mark eigentlich<br />

wusste, was der «<strong>Cruiser</strong>» ist.<br />

Und selbst wenn: Bei solchen Promo-<br />

Telefonaten ist der arme Kerl best<strong>im</strong>mt<br />

froh, wenn dieses nicht zu lange dauert.<br />

Immerhin, eine schöne St<strong>im</strong>me hat<br />

er, der Mark. In diesem Sommer wird<br />

Wahlberg also in «Ted 2» spielen,<br />

Schauspielerin Amanda Seyfried ersetzt<br />

Mila Kunis als Johns (Wahlberg)<br />

neue Angebetete.<br />

«Wir hatten schlicht<br />

Schiss, dass das Gespräch<br />

abgebrochen würde, wenn<br />

wir zu viele ‹schwule›<br />

Fragen stellen würden.»<br />

«Entourage» wiederum ist eine<br />

Dramedy-Serie des US-Fernsehsenders<br />

HBO. Die Show handelt von der gerade<br />

erst beginnenden Hollywoodkarriere<br />

des jungen Schauspielers Vincent<br />

Chase und seiner Entourage, einer<br />

Gruppe aus Familie und engsten Freunden<br />

aus Vincents Jugend in Queens<br />

(New York), die ihm dabei hilft, sich in<br />

der ungewohnten Welt Hollywoods zurechtzufinden.<br />

Mark Wahlberg, der <strong>im</strong> <strong>Juni</strong> 44 wird,<br />

ist mit dem Ex-Model Rhea Durham<br />

(36), verheiratet, mit der er vier Kinder<br />

hat: Ella (11), Michael (8), Brendan (6)<br />

und Grace (4). Die Familie lebt in einer<br />

riesigen neuen, etwa zweieinhalb Hektar<br />

grossen French-Style-Villa in Beverly<br />

Hills. (Soviel also zu seiner möglichen<br />

Homosexualität. Wenn jemand<br />

VIER Kinder macht, dann … Nun ja.)<br />

<strong>Cruiser</strong> (etwas nervös): Im Film<br />

«Entourage» und auch in «Wahlburgers»<br />

sieht man dich <strong>im</strong>mer mit Kumpels zusammen.<br />

In der HBO Serie «Entourage»<br />

eigentlich auch nur mit Männern. Was<br />

ist Fiktion, was Realität?<br />

WAHLBERG: Die Jungs in Entourage<br />

haben alle eine gewisse Ähnlichkeit<br />

mit mir und meinen Freunden. Aber<br />

das Skript beruht nur grob auf unseren<br />

Leben und ist nicht unbedingt autobiografisch.<br />

Das Lustige daran ist,<br />

dass ich eigentlich nie vorhatte, mit<br />

meinen Freunden in einem grossen<br />

Haus zu wohnen. Ich habe mein erstes<br />

Haus in Hollywood mit dem Gedanken<br />

gekauft, dass ich heiraten und eine Familie<br />

gründen würde. Aber dann kamen<br />

die Jungs vorbei und haben angefangen,<br />

das Haus abzuchecken, um zu<br />

sehen, welche Z<strong>im</strong>mer sie nehmen<br />

würden! (Lacht) Sie sind einfach davon<br />

ausgegangen, dass sie bei mir<br />

wohnen würden und haben Sachen gesagt<br />

wie «Komm schon, du willst heiraten<br />

und Kinder bekommen, das muss<br />

doch ein Scherz sein ...!?»<br />

Fotos: getty <strong>im</strong>ages<br />

War es dir manchmal zu viel, den grössten<br />

Teil deiner Zeit in Hollywood <strong>im</strong>mer<br />

von den gleichen Jungs umgeben zu sein?<br />

Ich hänge <strong>im</strong>mer noch mit ihnen rum,<br />

aber natürlich wohnen sie nicht mit<br />

mir und meiner Frau in meinem Haus.<br />

Aber es waren tolle Zeiten damals. Ich<br />

wollte die Leute um mich haben, denen<br />

ich vertrauen konnte und mit denen<br />

ich abhängen konnte, während ich<br />

meine Filme machte. Wir haben diese<br />

tolle Freundschaft und Kameradschaft<br />

über die Jahre sehr genossen. Es ist<br />

gut, seinen Wurzeln treu zu bleiben.<br />

Das erdet dich und erinnert dich daran,<br />

dass, obwohl du vielleicht mehr<br />

Geld und eine gewisses Image hast,<br />

deine Freunde <strong>im</strong>mer wissen werden,<br />

wer du wirklich bist.<br />

<strong>Cruiser</strong> (hofft, dass das Management<br />

diese Frage zu lässt, was es tut): Du bist<br />

ein gläubiger Mensch, so kann man<br />

überall lesen. Wie wichtig ist dir der<br />

katholische Glaube in deinem Leben?<br />

Ich bete jeden Tag und versuche, jeden<br />

Tag in die Kirche zu gehen. Mein Glaube<br />

an Gott macht mich jeden Tag zu<br />

einem besseren Menschen. Er ist der<br />

wichtigste Teil meines Lebens. Ich bete<br />

dafür, dass ich meiner Absicht, der<br />

beste Ehemann und Vater zu sein, gerecht<br />

werde. Ich bete auch zu Gott,<br />

dass er meine Familie und meine<br />

Liebsten beschützt. Ohne meinen<br />

Glauben wäre es mir niemals möglich<br />

gewesen, mein Leben zu ändern und<br />

den Erfolg und die Liebe zu erfahren,<br />

die meine Welt heute best<strong>im</strong>men.<br />

Mark Wahlberg, als er sich noch Marky Mark nannte.<br />

<strong>Cruiser</strong> (nun etwas desillusioniert): Du<br />

kokettierst damit, jemand zu sein, der<br />

es liebt, hart zu arbeiten und der nie zu<br />

viel Zeit ohne ein Telefonat oder ein<br />

laufendes Projekt verbringt. Und du bist<br />

vierfacher Vater. Wie schaffst du all<br />

diese Aufgaben?<br />

Ich mag es, eine Struktur zu haben.<br />

Ich stehe früh um 4.30 Uhr auf, trainiere<br />

eine halbe bis ganze Stunde,<br />

frühstücke dann und bringe danach<br />

«Mein Glaube an Gott<br />

macht mich jeden Tag<br />

zu einem besseren<br />

Menschen.»<br />

die Kinder zur Schule. Den Rest des<br />

Tages verbringe ich in meinem Büro,<br />

wo ich mein Skript laut lese, wenn ich<br />

mich auf einen Film vorbereite. Das<br />

mache ich mindestens zwe<strong>im</strong>al am<br />

Tag, weil ich es mag, <strong>im</strong>mer gut vorbereitet<br />

zu sein, wenn ich anfange, an<br />

einem Film zu arbeiten. Ich möchte<br />

das ganze komplette Skript von vorn<br />

bis hinten kennen, bevor ich ans Set<br />

gehe. Ich möchte niemals der Typ sein,<br />

der unvorbereitet auftaucht. Zwei Wochen,<br />

bevor ein Film beendet wird, beginne<br />

ich damit, das nächste Skript<br />

durchzublättern. Dafür werde ich bezahlt.<br />

Das ist mein Job. Ich muss professionell<br />

sein.<br />

<strong>Cruiser</strong> (mümmelt nun trotzig Chips<br />

während des Gesprächs und stellt die<br />

folgende Frage, weil sie gemäss Vorgabe<br />

des Managements gestellt werden<br />

muss): Was kannst du über den Film<br />

«Ted 2» bereits verraten?<br />

Interessant daran ist, dass Tom Brady<br />

(der mit Wahlbergs geliebten New<br />

England Patriots gerade seinen vierten<br />

Super-Bowl-Titel als Quarterback gewonnen<br />

hat – das steht in den Presseunterlagen.<br />

Anm. <strong>Cruiser</strong>) in unserem<br />

Film eine echt erstaunliche<br />

Leistung abliefert. Tom spielt auch in<br />

«Entourage» mit. Er ist echt gut und<br />

sehr lustig.<br />

<strong>Cruiser</strong> (nun sachlich, weil Mark Wahlberg<br />

wohl nie in der Redaktion in Zürich<br />

Oerlikon auftauchen wird und weil<br />

Mark Wahlberg echt nicht viel zu erzählen<br />

hat): Du bist ein hingebungsvoller<br />

Vater und Familienmensch. Wird der<br />

Umgang mit den eigenen Kindern mit<br />

der Zeit eher einfacher oder schwieriger?<br />

Es wird schwieriger, je älter sie werden.<br />

Ich bin mir sicher, dass meine<br />

Frau und ich alle Hände voll zu tun<br />

haben werden, wenn sie einmal Teenager<br />

sind. (Lacht) Aber es ist toll, sie<br />

aufwachsen zu sehen und es ist interessant<br />

zu beobachten, wie sich ihre<br />

Persönlichkeiten entwickeln. Ich versuche<br />

einfach, so viel wie möglich für<br />

sie da zu – ein Vater, von dem sie<br />

wissen, dass er sich <strong>im</strong>mer um sie<br />

kümmern und sie <strong>im</strong>mer mit Leib und<br />

Seele lieben wird.<br />

34 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />

<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 35


Kolumne | Michi Rüegg<br />

Dante <strong>im</strong><br />

Möbelhaus<br />

Abo<br />

Text: Michi Rüegg<br />

Seit ich denken kann, war meine<br />

Mutter <strong>im</strong>mer besonders schrecklich<br />

drauf, wenn ein Besuch be<strong>im</strong> Gynäkologen<br />

anstand. Die jährliche Kontrolle<br />

ihrer Geschlechtsteile vermochte aus<br />

einer an sich fröhlichen Frau während<br />

Tagen vor der Untersuchung ein keifendes<br />

Räf zu machen. Was ist so<br />

schl<strong>im</strong>m daran, dachte ich jeweils,<br />

Beine Spreizen und Entspannen.<br />

Heute kann ich nachempfinden, wie<br />

es vielen Frauen geht. Ich kenne das<br />

Gefühl überirdischer Beklemmung.<br />

Den Wunsch, aus dem eigenen Körper<br />

zu fahren. Das Herzrasen, die Schweiss -<br />

ausbrüche, die Panik, die sich der Wirbelsäule<br />

entlang erst über die Schultern<br />

legt, dann in die Beine fährt und<br />

schliesslich den ganzen Körper erfasst.<br />

All das kenne ich seit meinem ersten<br />

Besuch bei IKEA.<br />

«Wenn ich einen Wunsch<br />

frei hätte, dann lautete er,<br />

nie wieder in meinem<br />

Leben eine IKEA betreten<br />

zu müssen.»<br />

IKEA ist neben Waterboarding, der<br />

chinesischen Bambusfolter und einem<br />

Konzert von «Oesch’s den Dritten» in<br />

etwa das Schl<strong>im</strong>mste, was man einem<br />

Menschen antun kann. Wenn ich einen<br />

Wunsch frei hätte, dann lautete er,<br />

nie wieder in meinem Leben eine IKEA<br />

betreten zu müssen. Doch leider<br />

kommt man irgendwie nicht drum<br />

rum. IKEA ist ein Kollateralschaden<br />

der Zivilisation, wie Müllberge und<br />

CO2-Ausstoss. Zudem ist das schwedische<br />

Einrichtungshaus eine durch und<br />

durch teuflische Einrichtung. Das<br />

kann ich sogar belegen.<br />

Die mir leider bestbekannte IKEA-<br />

Filiale Dietlikon, zum Beispiel, orientiert<br />

sich <strong>im</strong> Aufbau an Dante Alighieris<br />

Inferno. Man beginnt oben («Lasst, die<br />

ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!»),<br />

in der Hölle der Sünder der Masslosigkeit.<br />

Dort stehen Sofas, Betten, ganze<br />

Kinderz<strong>im</strong>mer. Und es zerren mit ausgeleierten<br />

Lumpen behangene Heteropaare<br />

ihre Leons und Hannas in Zeitlupe<br />

durch die Gänge. Im mittleren<br />

Bereich, demjenigen für die Sünder<br />

der Bosheit finden sich Geschirr, Lampenschirme,<br />

Teppiche, Z<strong>im</strong>merpflanzen<br />

und gerahmte Fotografien des<br />

Chrysler Buildings oder Nahaufnahmen<br />

von Marienkäfern. Übermotivierte<br />

Studentinnen füllen ihre Wagen mit<br />

Tand aus den Sweatshops des Erdballs,<br />

der die neue WG dekorieren soll. Und<br />

unten, <strong>im</strong> Selbstbedienungslager, tummeln<br />

sich die Sünder des Verrats. Sie<br />

irren mit Zettelchen durch die Gänge,<br />

auf der Suche nach H8, B4 und E9.<br />

Während man den Irrgarten durchschreitet,<br />

büsst man, Zent<strong>im</strong>eter für<br />

Zent<strong>im</strong>eter für alle begangenen Sünden.<br />

Das Gefühl von Ekel, das sich<br />

dabei bei einstellt, ist von einer derartigen<br />

Intensität, dass ich jeweils Zweifel<br />

an meinem eigenen Menschsein<br />

hege. Mehr als einmal überkam mich<br />

das augenblickliche Verlangen, meiner<br />

Existenz vor Ort ein Ende zu bereiten.<br />

So schritt ich einmal in die Küchenabteilung<br />

und versuchte, mir mit dem<br />

Küchenmesser HACKIG die Pulsadern<br />

aufzuschneiden. Doch es war zu<br />

stumpf. Einmal trachtete ich danach,<br />

mir mit Mörser ÄDELSTEN selber die<br />

Birne einzuschlagen. Doch er zerbrach<br />

an meinem Schädel. Ein anderes Mal<br />

wollte ich mich an der Hängeleuchte<br />

SVIRVEL aufknöpfen, doch das Kabel<br />

riss. Ein jeder meiner Suizidversuche<br />

scheiterte an der Qualität der dargebotenen<br />

Ware.<br />

Ich hatte ein jedes Mal keine andere<br />

Wahl, als das Leiden zu erdulden, und<br />

mich, vorbei an den dargestellten<br />

Höllenqualen, Richtung Ausgang zu<br />

begeben. Immer wieder erschrak ich<br />

ob der Werbung für den einen Franken<br />

teuren Hotdog aus Hühnerfleisch. Ob<br />

die Hühner dafür auch derart gelitten<br />

haben, wie ich <strong>im</strong> Moment des Betrachtens?<br />

Ich mag Hühner, aber ich<br />

hasse Huhn. Sollte ich je tatsächlich in<br />

der Hölle landen, gibts dort nur Poulet.<br />

«Einmal trachtete ich<br />

danach, mir mit Mörser<br />

ÄDELSTEN selber die<br />

Birne einzuschlagen. Doch<br />

er zerbrach an meinem<br />

Schädel.»<br />

Kasse, zahlen. Nein, keine IKEA-<br />

Family-Card. Nichts soll mich daran<br />

erinnern, je an diesem grässlichen Ort<br />

gewesen zu sein. Ich werde mich eine<br />

Stunde unter die Dusche stellen, mit<br />

Stahlwolle in der einen und Cif in der<br />

anderen Hand. Noch Monate werde ich<br />

schweissgebadet mitten in der Nacht<br />

aufwachen, eh das neuerliche Trauma<br />

sich zu den anderen gesellt und mich<br />

weitgehend in Frieden lässt. Zumindest,<br />

bis ich genügend davon für einen<br />

stationären Aufenthalt in der Psychiatrie<br />

gesammelt habe.<br />

Wenn man sich endlich aus den<br />

schwefeligen Eingeweiden des Parkhauses<br />

befreit hat, den Fuss auf dem<br />

Gaspedal Richtung Oberwelt – man<br />

erkennt bereits die Lichter! –, taucht<br />

plötzlich jener Gedanke auf, des alles<br />

noch viel schl<strong>im</strong>mer macht: Es fällt<br />

einem ein, dass man den ganzen<br />

Scheissdreck, den man gekauft hat,<br />

auch noch zusammenbauen muss. Und<br />

so n<strong>im</strong>mt man es mit ins traute He<strong>im</strong>,<br />

ein Stück der Hölle, die man hinter<br />

sich zu lassen geglaubt hat.<br />

Lass ihn zu dir kommen!<br />

Und zwar regelmässig in deinen Briefkasten.<br />

Abonniere jetzt den <strong>Cruiser</strong> – 10 Ausgaben pro Jahr für nur<br />

CHF 60.– statt CHF 75.–<br />

Du erhältst den <strong>Cruiser</strong> in neutralem Umschlag per Post direkt<br />

zu dir nach Hause. Einfach Coupon ausfüllen und einschicken oder<br />

online unter www.cruisermagazin.ch<br />

Name<br />

E-Mail-Adresse<br />

Strasse | Nr.<br />

PLZ<br />

Meine Abo-Bestellung:<br />

Vorname<br />

Mein Geburtsdatum<br />

<strong>Cruiser</strong>-Jahresabo für CHF 60.– Ausland-Abo für 70.– Gönner-Abo CHF 250.–<br />

Land<br />

Einschicken oder faxen:<br />

empl.media, Welchogasse 6, Postfach 5539, CH-8050 Zürich<br />

Tel.: 043 300 68 28 | Fax: 043 300 68 21 | www.cruisermagazin.ch<br />

Ort<br />

36 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong>


Thema | Definition Begriff schwul<br />

Ist gay noch okay, oder ist<br />

schwul jetzt uncool?<br />

Der Wertewandel des Begriffs «schwul»<br />

Text: Thomas Borgmann<br />

«Schwul» ist heute <strong>im</strong> deutschsprachigen Raum das am meisten verwendete<br />

Synonym für männliche Homosexualität. In der Jugendsprache wird<br />

es seit einigen Jahren aber <strong>im</strong>mer häufiger auch als Sch<strong>im</strong>pfwort für alles<br />

eingesetzt, was irgendwie «ätzend» ist. Die Schwulenbewegung nahm das<br />

Wort in den frühen 1970er Jahren bewusst auf, um es von seiner negativen<br />

Bedeutung zu befreien. Ist sie damit gescheitert?<br />

«Schwul kannte man<br />

als beleidigendes<br />

und abfälliges Sch<strong>im</strong>pfwort<br />

für Männer, die<br />

Männer lieben.»<br />

Auch als sich die Betroffenen selbst<br />

schon lange als schwul bezeichneten,<br />

taten sich viele tolerante und vor allem<br />

nicht homosexuelle Menschen mit<br />

dem Begriff noch schwer. Schwul<br />

kannte man als beleidigendes und abfälliges<br />

Sch<strong>im</strong>pfwort für Männer, die<br />

Männer lieben, weshalb manche lieber<br />

wertneutral von Homosexuellen sprachen<br />

– auch wenn das sehr klinisch<br />

klingt. 2001 betonte der damalige<br />

Schweizer Bundespräsident Moritz<br />

Leuenberger be<strong>im</strong> Christopher Street<br />

Day in Zürich: «Ihrer Beharrlichkeit<br />

ist es zu verdanken, dass ich heute die<br />

Worte schwul oder lesbisch viel leichter<br />

über die Lippen bringe. In meiner<br />

Jugend waren dies obszöne Sch<strong>im</strong>pfwörter,<br />

und ich wunderte mich später<br />

darüber, dass Sie sich nicht einen anderen,<br />

weniger belastenden Namen geben.<br />

Heute muss ich Sie dazu beglückwünschen.<br />

Sie sind auf diese Weise<br />

zwar den schmerzlicheren Weg gegangen,<br />

aber Sie haben etwas in Bewegung<br />

gebracht. Sie haben Sch<strong>im</strong>pf und<br />

Schande auf sich genommen, aber Sie<br />

38 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />

sind daran, die Worte schwul und lesbisch<br />

salonfähig zu machen; ich meine<br />

inhaltlich akzeptiert.»<br />

Dass es heute <strong>im</strong> öffentlichen Sprachgebrauch<br />

und auch in der Schriftsprache<br />

<strong>im</strong> Allgemeinen keine Beleidigung<br />

oder Besch<strong>im</strong>pfung mehr ist, einen<br />

homosexuellen Mann als Schwulen zu<br />

bezeichnen, hat sich die Schwulenbewegung<br />

in der Tat schwer erkämpfen<br />

müssen. Die wohl wirkungsvollste<br />

Verwendung des Wortes gab es bei der<br />

Premiere des Films «Nicht der Homosexuelle<br />

ist pervers, sondern die Situation,<br />

in der er lebt» bei den Berliner<br />

Filmfestspielen 1971. Der Film des Regisseurs<br />

Rosa von Praunhe<strong>im</strong> gilt als<br />

Initialzünder der Schwulenbewegung<br />

<strong>im</strong> deutschsprachigen Raum und führte<br />

dort zur Gründung erster Schwulengruppen.<br />

Erstmals wurde in diesem<br />

Film das bislang ausschliesslich negativ<br />

konnotierte Wort «schwul» von homosexuellen<br />

Männern bewusst und<br />

provokativ als Selbstbezeichnung aufgegriffen,<br />

um seine Bedeutung und<br />

damit letztlich die Betroffenen selbst<br />

vom Stigma des abartigen und perversen<br />

Sexualverhaltens zu befreien.<br />

Von warmen Brüdern und<br />

Schwulitäten<br />

Wie und wann das Wort «schwul»<br />

überhaupt <strong>im</strong> Sinne von «homosexuell»<br />

verwendet wurde, lässt sich heute<br />

nur mehr annäherungsweise best<strong>im</strong>men.<br />

Häufig wird sein Ursprung auf<br />

das niederdeutsche Wort «schwul» für<br />

«drückend heiss» zurückgeführt. Im<br />

17. Jahrhundert wurde es ins Hochdeutsche<br />

übernommen und <strong>im</strong> 18.<br />

Jahrhundert – wahrscheinlich durch<br />

Beeinflussung des ähnlich klingenden<br />

Antonyms «kühl» – in «schwül» umgewandelt.<br />

Im 19. Jahrhundert wurde<br />

das Wort in seiner alten Form «schwul»<br />

«Häufig wird sein<br />

Ursprung auf das<br />

niederdeutsche Wort<br />

‹schwul› für ‹drückend<br />

heiss› zurückgeführt.»<br />

in der Berliner Mundart und in der<br />

Gaunersprache Rotwelsch in Anlehnung<br />

an «warm» schliesslich auf «homosexuell»<br />

übertragen. In der Folge<br />

wurden Homosexuelle auch als warme<br />

Brüder bezeichnet – also als Männer,<br />

die gegenüber ihren Geschlechtsgenossen<br />

nicht kühl, sondern warm<br />

empfinden. Da das Wort «schwul» aber<br />

ausschliesslich abfällig und beleidigend<br />

für Homosexuelle verwendet<br />

wurde, lehnte der deutsche Arzt, Sexualforscher<br />

und Pionier der Homosexuellen-Bewegung,<br />

Magnus Hirschfeld,<br />

dessen Verwendung zu Beginn<br />

des letzten Jahrhunderts noch kategorisch<br />

ab. In der damals noch jungen<br />

Sexualwissenschaft suchte er mit Begriffen<br />

wie «Homophile», «Homoero-<br />

Foto: pololia<br />

Bist du schwul oder was? Wie negativ ist der Begriff heutzutage noch behaftet?<br />

ten» oder «drittes Geschlecht» nach<br />

einer eigenen wertneutralen Terminologie<br />

für Homosexuelle. Auch in den<br />

1940er und 1950er Jahren gab es in<br />

der Schweizer Zeitschrift «Der Kreis»<br />

<strong>im</strong>mer wieder Versuche, passende und<br />

positive Alternativen zu dem medizinischen<br />

Terminus «homosexuell» zu<br />

finden, da «dieses Wort <strong>im</strong> Bewusstsein<br />

der Mehrheit abstossende Bilder<br />

und einen Beigeschmack von Perversion<br />

erzeugt». Die gefundenen Wortschöpfungen<br />

konnten sich aber allesamt<br />

nicht durchsetzen, und so blieb<br />

«schwul» auch weiterhin die umgangssprachliche,<br />

aber abfällige Bezeichnung<br />

für Homosexuelle.<br />

ANZEIGE<br />

Kompetenzzentrum für ästhetische Behandlungen<br />

Beide Lippen oder Nasolabialfalte unterspritzen: 400.–<br />

Kombi Nasolabialfalte oder Lippen<br />

+ 3 Zonen Botulinumtoxin<br />

740.– statt 940.–<br />

Rufen Sie uns an für kostenlose Beratung und Offerte!<br />

Unter ärztlicher Leitung<br />

Body Esthetic GmbH<br />

Seefeldstrasse 75, 8008 Zürich<br />

www.bodyesthetic.ch<br />

Tel.: 044 381 20 20<br />

Dauerhafte Haarentfernung:<br />

Dank neuester SHR Technologie auch<br />

direkt nach dem Sonnenbad<br />

oder Solarium möglich, für jeden Hauttyp<br />

Int<strong>im</strong> ab 69.–, ganzer Rücken + Schulter 329.–<br />

Gesäss 149.–, Achseln 69.–, Gesicht 99.–<br />

Cavitation (Fettabbau) z.B Bauch<br />

199.– Dauer ca. 2 Std.<br />

Botulinumtoxin:<br />

Zornesfalte 200.– Stirn, Augen:<br />

je 180.–<br />

Pixel – Gesicht komplett (ohne Hals) 450.–<br />

Penis Unterspritzung – 400.–<br />

Glad to be gay<br />

In den USA nahm die emanzipatorische<br />

Homosexuellenbewegung mit<br />

dem 28. <strong>Juni</strong> 1969 ihren entscheidenden<br />

Anfang. An diesem Tag formierte<br />

sich der erste bekannt gewordene Homosexuellen-Aufstand<br />

gegen die gewaltsame<br />

Polizeirazzia in der Bar<br />

«Stonewall Inn» in der New Yorker<br />

Christopher Street, weshalb heute<br />

weltweit der jährliche Christopher<br />

Street Day (CSD) gegen Diskr<strong>im</strong>inierung<br />

und Ausgrenzung sexueller Minderheiten<br />

gefeiert wird. Während die<br />

deutsche vorwiegend studentisch geprägte<br />

Schwulenbewegung der frühen<br />

1970er Jahre bewusst den negativ geprägten<br />

Begriff «schwul» aufgriff, um<br />

ihm den Charakter eines Sch<strong>im</strong>pfwortes<br />

zu nehmen, ging die angelsächsische<br />

Homosexuellen-Bewegung zunächst<br />

genau den umgekehrten Weg:<br />

Sie verwendete das Wort «gay» (fröhlich,<br />

vergnügt), um damit eine positiv<br />

besetzte Alternative zu dem klinischen<br />

Begriff «Homosexualität» populär<br />

zu machen. Im Zuge der Act-Up-Bewegung<br />

während der AIDS-Krise wird<br />

in den USA aber seit den 1990er Jahren<br />

mit dem Begriff «queer» (sonderbar,<br />

seltsam) parallel dazu eine ähnliche<br />

Strategie wie <strong>im</strong> deutschsprachigen<br />

Raum verfolgt. Ziel ist auch hier, das<br />

Wort durch die öffentliche Diskussion


Thema | Definition Begriff schwul<br />

Kolumne | Weissbergs warme Weissheiten<br />

Der Begriff «Gay» würde eigentlich<br />

«fröhlich» bedeuten. Sind wir das?<br />

anders zu bewerten und politisch positiv<br />

zu besetzen, um die Öffentlichkeit<br />

damit zu einer Auseinandersetzung<br />

mit ihren Vorurteilen zu provozieren.<br />

Sowohl <strong>im</strong> deutsch- als auch englischsprachigen<br />

Raum vollzog sich der<br />

Bedeutungswandel der Wörter «schwul»<br />

beziehungsweise «queer» und «gay»<br />

aber nicht ausschlielich in Richtung<br />

einer positiven Neubewertung. Alle<br />

drei Wörter werden auch als Sch<strong>im</strong>pfwörter<br />

eingesetzt. In der Jugendsprache<br />

<strong>im</strong> deutschsprachigen Raum wird<br />

«schwul» quasi als Gegenbegriff zu<br />

dem Wort «geil» verwendet. Losgelöst<br />

von seiner sexuellen Bedeutung ist<br />

«schwul» dort ein allgemein abwertendes<br />

Adjektiv für alles, was nervt, stört<br />

oder einfach nur blöd ist. Die Frage,<br />

«Bist du schwul, oder was?» zielt also<br />

nicht unbedingt auf die sexuelle Orientierung<br />

ab, sondern kann einfach<br />

nur bedeuten: «Bist du blöd?» oder<br />

«Geht’s noch?» Die Verwendung des<br />

Wortes in diesem Sinne hat sich in jugendlichen<br />

Kreisen schon so weit<br />

etabliert, dass <strong>im</strong> Online-Wörterbuch<br />

von Wikipedia die Wörter «blöd,<br />

scheisse, uncool» als Zweitbedeutung<br />

für «schwul» angegeben werden. 72<br />

Prozent der Jugendlichen zwischen 13<br />

und 18 Jahren verstehen «schwul» in<br />

erster Linie als Sch<strong>im</strong>pfwort. Der massi -<br />

ve negative Gebrauch des Wortes unter<br />

Jugendlichen resultiert aus schwulen -<br />

feindlichen Texten <strong>im</strong> deutschsprachigen<br />

Hip-Hop. Diese homophoben<br />

Strömungen haben wiederum ihren<br />

Ursprung <strong>im</strong> jamaikanischen Reggae,<br />

von wo aus sie sich über die Gangster-<br />

Rapper in den USA bis in die deutschsprachige<br />

Hip-Hop-Musik verbreiteten.<br />

Emanzipations- und Sch<strong>im</strong>pfwort<br />

zugleich<br />

Sind die Bemühungen der Schwulenbewegung<br />

zum Wertewandel dieses<br />

Wortes also gescheitert, und ist zu befürchten,<br />

dass der Begriff auf seine<br />

ursprünglich negative Bedeutung zurückfällt?<br />

Keineswegs, vielmehr sind<br />

«Das Wort ‹gay›<br />

(fröhlich, vergnügt) stellt<br />

eine positiv besetzte<br />

Alternative zu dem<br />

klinischen Begriff<br />

‹Homosexualität› dar.»<br />

die Wörter «schwul», «gay» und «queer»<br />

mittlerweile Emanzipations- und<br />

Sch<strong>im</strong>pf wörter zugleich. Parallel zur<br />

Popularisierung des Wortes mit negativer<br />

Bedeutung unter Jugendlichen<br />

hat sich «schwul» auch als wertneutrale<br />

Bezeichnung für Homosexuelle in<br />

der breiten Gesellschaft <strong>im</strong>mer mehr<br />

etabliert. Nachdem sich konservative<br />

Medien lange Jahre mit der Verwendung<br />

des Wortes äusserst schwer taten<br />

und es bestenfalls in Anführungszeichen<br />

veröffentlichen, um sich von der<br />

beleidigenden Verwendungsweise zu<br />

distanzieren, ist «schwul» als Selbstbezeichnung<br />

mit positivem Inhalt jetzt<br />

überall in Zeitschriften und Medien zu<br />

finden. Sogar die New York T<strong>im</strong>es verwendet<br />

«gay» inzwischen als einen<br />

wertneutralen Ausdruck. Auch die Politik<br />

setzt das Wort inzwischen unbefangener<br />

ein. Nachdem konservative<br />

Kreise <strong>im</strong> deutschen Bundestag die<br />

Verwendung der in der Schwulen- und<br />

Lesbenbewegung längst selbstverständlich<br />

gewordenen Wörter «schwul»<br />

und «lesbisch» lange mit dem Argument<br />

verweigerten, dass sie keine Begriffe<br />

der Hochsprache seien, hat spätestens<br />

der ehemalige Berliner Bürgermeister<br />

Klaus Wowereit auf einem Sonderparteitag<br />

am 10. <strong>Juni</strong> 2001 ein Tabu gebrochen.<br />

Seine legendär gewordenen<br />

Worte «Ich bin schwul, und das ist gut<br />

so» wurden in der Öffentlichkeit eher<br />

als Ausdruck seiner Glaubwürdigkeit<br />

gewertet als ein Vergreifen <strong>im</strong> Tonfall.<br />

Dass «schwul» also inzwischen auch<br />

als Sch<strong>im</strong>pfwort wieder populär geworden<br />

ist, muss die Bemühungen der<br />

Schwulenbewegung nicht schmälern.<br />

Der negative Gebrauch des Wortes<br />

durch die Jugend kann auch als Lust<br />

an der Provokation interpretiert werden,<br />

bei der wertende Begriffe häufig<br />

aus dem Bereich der Sexualität stammen<br />

und stets das gesellschaftlich Akzeptierte<br />

negativ besetzt und das gesellschaftlich<br />

Abgelehnte ins Positive<br />

gewendet wird. Wenn «schwul» also<br />

von Jugendlichen heute wieder in negativer<br />

Weise missbraucht wird, kann<br />

das durchaus auch ein Beleg dafür<br />

sein, dass der Begriff in der breiten<br />

Gesellschaft angekommen und dort<br />

vorwiegend positiv oder zumindest<br />

neutral bewertet wird. Dass aber ein<br />

aus heterosexueller Sicht vielleicht<br />

«harmloses» Sch<strong>im</strong>pfwort für den<br />

Schwulen selbst wiederum diskr<strong>im</strong>inierend<br />

wirken kann, steht natürlich<br />

ausser Frage. Selbstverständlich kann<br />

sich die negative Bedeutung des Wortes<br />

«schwul» für alles, was «uncool»<br />

ist, vor allem bei ungeouteten oder<br />

erst vor kurzem geouteten Jugendlichen<br />

hemmend oder negativ auf die<br />

Persönlichkeitsentwicklung auswirken.<br />

Den jugendlichen Ausspruch «Bist<br />

du schwul, oder was?» dann tatsächlich<br />

mal mit einem «Ja» zu beantworten,<br />

erfordert zwar eine Menge Mut,<br />

kann aber auch dazu beitragen, seine<br />

Umgebung für die diskr<strong>im</strong>inierende<br />

und oft unüberlegte Verwendung des<br />

Begriffs zu sensibilisieren.<br />

Foto: focus pocus<br />

Foto: Marianne Weissberg<br />

Bitte strengen Sie<br />

mich nicht an!<br />

Text: Marianne Weissberg<br />

Kolumnistin Marianne Weissberg weiss diesmal: Anstrengung kann tödlich<br />

enden! Und drum hat sie in ihrem Leben längst den Schongang eingelegt<br />

und wäre froh, wenn alle um sie herum das auch endlich täten.<br />

Ehrlich gesagt, wollte ich erst über<br />

ein kompliziertes Thema kolumnieren.<br />

Um mich vom anstrengenden Nachdenken<br />

zu entspannen, las ich ein wenig<br />

in meinen Memoiren in progress<br />

nach und war sofort gestresst: Ogott,<br />

was habe ich mich doch über jenen<br />

Verschwurbelten genervt. Jedes Date<br />

war ein Nervenzusammenbruch. Jedenfalls<br />

bei mir. Schliesslich legte ich<br />

die Seiten beiseite und gelobte: NIE<br />

WIEDER, mach Schabbes damit! Das<br />

ist ein jiddischer Seufzer, der besagt,<br />

dass man sich <strong>im</strong> Leben nicht endlos<br />

anstrengen soll, denn das kann böse<br />

enden.<br />

Ohhhm: Frau Weissbergs vierbeinige<br />

Muse Irettli liebt es unangestrengt und<br />

wird dafür von allen heiss bewundert.<br />

Haben Sie auch gelesen, dass der<br />

Gatte von Facebook-Mitscheffin Sheryl<br />

Sandberg in den Ferien gestorben ist,<br />

mit 47?! Kaum war das Vorzeige-<br />

Power-Paar <strong>im</strong> Luxusressort angelangt,<br />

seckelte er aufs Laufband, kollabierte<br />

vor Anstrengung, schlug hart<br />

«Was nützen denn all<br />

die erschufteten<br />

Billionen, wenn man<br />

sich sogar an freien<br />

Tagen dummer weise zu<br />

Tode anstrengt?»<br />

auf und lag stundenlang sterbend <strong>im</strong><br />

Fitnessraum. Jetzt frage ich Sie: Wieso<br />

sind die beiden nicht händchenhaltend<br />

am Strand flaniert, haben gemeinsam<br />

gefaulenzt? Was nützen denn all die<br />

erschufteten Billionen, wenn man sich<br />

sogar an freien Tagen dummerweise zu<br />

Tode anstrengt? Jetzt liegt der umtriebige<br />

Dave tot <strong>im</strong> Sarg. Der nicht<br />

mal opulent verziert war, denn bei uns<br />

Juden kriegen alle denselben schlichten<br />

Sarg, egal, ob man sich <strong>im</strong> Leben<br />

angestrengt hat oder nicht. Das finde<br />

ich pädagogisch wertvoll, man sollte<br />

dies aber zu Lebzeiten schon realisieren<br />

und sich sagen: Wenig ist mehr!<br />

Die zweite Inspiration wider die Anstrengung<br />

fiel mir <strong>im</strong> Pedicuresalon<br />

Orion zu. Dort arbeitet Frölein A. Sie<br />

sah <strong>im</strong>mer aus wie Schneewittchen:<br />

Elfenbeinteint, rabenschwarze Locken,<br />

ein liebliches Lächeln, dazu best pedicure<br />

ever. Dann legte sich A. einen<br />

festen Freund zu, mit dem sie bald zusammenzog.<br />

Ich war skeptisch. Be<strong>im</strong><br />

letzten Termin war ihr Gesicht teigig<br />

unrein, das Haar stumpf, der Salon-Z<strong>im</strong>merbrunnen<br />

donnerte plötzlich<br />

wie die Niagarafälle, statt wie<br />

sonst beruhigend zu plätschern, das<br />

Radio schepperte misstönend und Frau<br />

A. war so anstrengend missmutig, dass<br />

ich ernsthaft überlege fernzubleiben.<br />

Vielleicht liege ich falsch, aber ich vermute,<br />

die einst so Gelassene hat einen<br />

gaaanz anstrengenden Macker, für den<br />

sie alles macht und mit dem sie<br />

schlechten, anstrengenden Sex hat.<br />

Und das wirkt sich aufs Allgemeinbefinden<br />

aus. Leider auch auf meins.<br />

Nervige Leute sind ansteckend. Drum<br />

meide ich sie neuerdings wie die Pest.<br />

Jetzt muss ich lachen, denn nun kämen<br />

wir ja zur Kolumnen-Pointe, aber<br />

es fällt mir nichts ein, obwohl ich mich<br />

mächtig anstrenge. Sehr passend. Also<br />

gehe ich mit Irettli, meiner vollreifen<br />

Haushündin, spazieren. Und was begegnet<br />

uns da? Ein Jogger, der wie eine<br />

Dampfmaschine schnaubend, mit irrem<br />

Blick die steile Strasse hinaufrast, an<br />

Irettli vorbei, die mit versonnenem<br />

Ausdruck schon minutenlang an einem<br />

Blättchen am Strassenrand schnuppert.<br />

Ich könnte wetten, dass sie grad<br />

ein bisschen meditiert. Dann spazieren<br />

wir gemütlich nach Hause, und ich<br />

schreibe diesen Schluss. Ganz entspannt.<br />

Sie sind es jetzt hoffentlich<br />

auch? Ooohhhm.<br />

Marianne Weissberg<br />

ist Historikerin, Autorin & Inhaberin<br />

des Literaturlabels Edition<br />

VOLLREIF (www.vollreif.ch).<br />

Ihre Werke u. a. «Das letzte Zipfelchen<br />

der Macht» oder die Kolumnen kolle ktion<br />

«Tränen ins Tiramisu» sind Kult.<br />

40 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />

<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 41


Interview | Andreas Lehner<br />

Das war «Break The<br />

Chains» <strong>2015</strong><br />

Text: Dani Diriwächter und Haymo Empl<br />

Die Kampagne «Break The Chains» ist für dieses Jahr Geschichte. Andreas<br />

Lehner, Programmleiter <strong>im</strong> Bereich MSM der Aids Hilfe Schweiz, blickt auf<br />

bewegend Wochen zurück. Im <strong>Cruiser</strong>-Interview erzählt er von den Höhepunkten<br />

der Aktion, aber auch von den Schwierigkeiten.<br />

takt und können die Kampagne hautnah<br />

miterleben. Und als schwule Männer<br />

sitzen wir ja nicht nur in der<br />

Zentrale sondern trinken durchaus<br />

mal ein Kaltgetränk in einer Bar.<br />

«Im Frühling werden in<br />

allen Pflanzen, Tieren<br />

und Menschen die Säfte<br />

aktiv und die ersten<br />

schönen Tage bringen<br />

die Libido zurück.»<br />

<strong>Cruiser</strong>: Die Kampagne «Break The Chains»<br />

ging nun schon die vierte Runde – was<br />

war in diesem Jahr anderes, gab es Unterschiede<br />

zu anderen Jahren?<br />

Andi: «Break The Chains» ist jedesmal<br />

leicht anders, der Kern aber bleibt:<br />

Kein Risiko <strong>im</strong> April, <strong>im</strong> Mai gemeinsam<br />

mit den Sexpartnern zum Test.<br />

Dieses Jahr fokussierten wir weniger<br />

auf die Community als auf den Einzelnen.<br />

Mit dem Risikocheck auf www.<br />

breakthechains.ch oder in einem Gespräch<br />

<strong>im</strong> «Checkpoint» oder in einer<br />

anderen Beratungsstelle konnte jeder<br />

für sich herausfinden, wie sein persönliches<br />

Risikoprofil aussieht.<br />

Wir versuchten dieses Jahr, «Break<br />

The Chains» mit wenig Schnickschnack,<br />

klar und einfach zu kommunizieren.<br />

Also keine Voucher mehr, keine App,<br />

nur eine klar strukturierte Website.<br />

Im Vergleich zu den früheren Jahren<br />

fehlte diesmal das Spielerische, wie etwa<br />

die Tierchen oder die Apps, warum?<br />

Eine App zu programmieren ist eine<br />

sehr kostspielige Angelegenheit. Und<br />

innerhalb einer Laufzeit von vier Wochen<br />

nicht zufriedenstellend machbar.<br />

Das Geld haben wir in die Arbeit vor<br />

Ort investiert. In allen Regionen der<br />

Schweiz. Die Tierkostüme haben wir<br />

noch. Vielleicht setzen wir sie nächstes<br />

Jahr wieder ein? Dieses Jahr war<br />

für uns die Kunstfigur Trudi Vanbrekken<br />

de Chaîne in der Deutschschweiz<br />

unterwegs. Auf Facebook hat sie ihr<br />

Profil. Da gibts auch Bilder. Ich finde<br />

Kreativität wichtig, und dass wir sie<br />

nie verlieren.<br />

Hat die Zielgruppe verstanden, worum<br />

es bei der «Break The Chains»-Kampagne<br />

eigentlich geht?<br />

Wie sieht «die Zielgruppe» aus? Wir<br />

Schwulen sind doch so individuell wie<br />

alle anderen. Viele kennen die Kampagne<br />

und auch den Inhalt. Einige kennen<br />

das Logo und den Auftritt, wissen<br />

aber nicht genau, worum es geht. Und<br />

da kommt die Arbeit vor Ort ins Spiel.<br />

Mit Beratung vor Ort und <strong>im</strong> Mai HIV-<br />

Tests vor Ort. Oder in den angeschlossenen<br />

Beratungszentren während der<br />

ganzen Laufzeit.<br />

«Wir Schwulen sind<br />

doch so individuell wie<br />

alle anderen.»<br />

Wie war die Resonanz in der Zielgruppe<br />

auf die Kampagne?<br />

Es gibt viele, die «Break The Chains»<br />

kennen und mögen, es gibt aber auch<br />

einige, die noch nie etwas davon gehört<br />

haben. Wieder andere können<br />

«Break The Chains» schon nicht mehr<br />

hören. Aber der Auftritt dieses Jahr<br />

kam sehr gut an.<br />

Was ist für Dich das Tolle an der Kampagne?<br />

Mir gefällt das Evolutionäre und Kreative<br />

an der Kampagne. Wir können<br />

«Break The Chains» jedes Jahr neu erfinden.<br />

Die Learnings des vorangegangenen<br />

Jahres verändern. Ich schätze vor<br />

allem auch die Zusammenarbeit mit<br />

und in den Regionen. Zusammen mit<br />

den Outreach-Workern, den «Checkpoints»<br />

und anderen Organisationen<br />

diskutieren wir alle Aktivitäten und<br />

Pläne. Das macht auch sehr viel Spass.<br />

Könnte man die HIV-Pr<strong>im</strong>oinfektion<br />

nicht auch anders thematisieren?<br />

Klar könnte man das. Wir wollen aber<br />

einmal <strong>im</strong> Jahr speziell darauf hinweisen.<br />

Und Teil des Konzeptes der<br />

Senkung der Virenlast in der Community<br />

ist eben auch das Zeitgleiche.<br />

Denn wir wollen nicht nur informieren<br />

über die Pr<strong>im</strong>oinfektion. Wir wollen<br />

den Sex für uns alle sicherer machen.<br />

Warum findet die BTC Kampagne<br />

eigentlich <strong>im</strong> Frühling statt? Könnte ja<br />

auch <strong>im</strong> Herbst sein …<br />

Eigentlich wollten wir damals die Kampagne<br />

<strong>im</strong> Februar machen. Wegen der<br />

Kürze des Monats. Nein, Spass beiseite.<br />

Frühling machte für uns Sinn, weil da<br />

in allen Pflanzen, Tieren und Menschen<br />

die Säfte aktiv werden und die<br />

ersten schönen Tage die Libido zurückbringen.<br />

Aber theoretisch könnte die<br />

Kampagne auch <strong>im</strong> Herbst stattfinden.<br />

Was ist bis dato der grösste Erfolg der<br />

Kampagne?<br />

Für mich persönlich ist der grösste Erfolg<br />

der Kampagne die Zusammenarbeit<br />

mit hoch motivierten Menschen<br />

aus allen Landesteilen. Dieses Miteinander<br />

hilft uns auch während des restlichen<br />

Jahres.<br />

Foto: Aids-Hilfe Schweiz, Marilyn Manser<br />

Andreas Lehner, Programmleiter MSM<br />

Was kann als Misserfolg gewertet werden?<br />

Es gibt und gab <strong>im</strong>mer wieder Situationen,<br />

die als Misserfolg gewertet<br />

werden. Indem wir aber konsequent<br />

miteinander kommunizieren, können<br />

wir aus Misserfolgen Erfolge für die<br />

Zukunft machen. Ich würde aber eher<br />

von Fehlern als von Misserfolgen<br />

reden. Denn die Kampagne an sich<br />

scheint erfolgreich zu sein, zu funktionieren.<br />

Dieses Jahr wird die Kampagne<br />

auch evaluiert. Verschiedene<br />

ANZEIGE<br />

Danya Care<br />

Wissenschafter überprüfen die Wirksamkeit<br />

und die Kosteneffizienz von<br />

«Break The Chains» <strong>2015</strong>.<br />

Wie habt ihr in der «Zentrale», bzw. in<br />

der AHS die Resonanz der Kampagne erlebt?<br />

Gab es Feedback?<br />

Wir arbeiten in den Regionen mit Regionalkoordinatoren.<br />

Mit Vinicio in<br />

der Deutschschweiz und Julio in der<br />

Romandie. Sie stellen die Zusammenarbeit<br />

in den Regionen sicher. So sind<br />

wir stets mit unseren Kollegen in Kon-<br />

Danya Care GmbH, Badenerstrasse 549<br />

CH-8048 Zürich, Telefon: +41 (0) 43 210 96 60<br />

E-Mail: nae<strong>im</strong>.said@danyacare.ch<br />

www.danyacare.ch<br />

Schweizerische Stellenvermittlung<br />

für Gesundheitsberufe<br />

Kann man etwas zu den Testzahlen<br />

sagen?<br />

Im Mai nach «Break The Chains» und<br />

<strong>im</strong> Oktober während der Syphilis-Testwochen<br />

steigen die Testzahlen in der<br />

Schweiz unter Schwulen und anderen<br />

Männern, die Sex mit Männern haben,<br />

sprunghaft an. Die Testzahlen werden<br />

wir aber erst <strong>im</strong> Laufe des <strong>Juni</strong> ausgewertet<br />

haben. Die grosse Frage bleibt<br />

aber: Testen wir die Richtigen? Und<br />

das versuchen wir dieses Jahr durch<br />

die Evaluation herauszufinden.<br />

Wird es auch BTC 2016 geben?<br />

Ich gehe davon aus und würde mir es<br />

auch wünschen. Und für mich wäre<br />

die Zielrichtung auch schon klar. Für<br />

2016 würde ich gerne die Frage beantworten,<br />

wie wir an die Leute kommen,<br />

für die «Break The Chains» zwar relevant<br />

wäre, die aber <strong>im</strong> Gefühl und mit<br />

der Sicherheit leben, dass sie nicht<br />

zum Zielpublikum gehören.<br />

Alle Vermittlungsdienste<br />

kostenlos – staatlich und<br />

kantonal anerkannt<br />

Wir suchen laufend Fachleute aus dem Gesundheitsbereich, Pflegefachfrau/-Mann HF, DNII, DNI<br />

Physiotherapeuten, Ergotherapeuten sowie Ärzte und medizinische Fachangestellte – kostenlose<br />

und unverbindliche Beratung! Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme unter 076 393 48 48.<br />

42 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong>


ZURICH<br />

PRIDE<br />

ViiV Healthcare<br />

ist mit einem<br />

Stand präsent.<br />

Das Leben lieben.<br />

Neben der Entwicklung hochwirksamer und innovativer HIV-Therapien und<br />

der Unterstützung Betroffener engagiert sich ViiV Healthcare in der<br />

wirkungsvollen Prävention von Neuinfektionen.<br />

ViiV Healthcare GmbH, Talstrasse 3–5, 3053 Münchenbuchsee, www.viivhealthcare.com<br />

CH/HIV/0003/15/20.05.<strong>2015</strong>/05.<strong>2015</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!