Zur Frage der Rechtsnatur, Verbindlichkeit und völkerrechtlichen

KSZE-Schlußakte: Rechtsnatur, Verbindlichkeit, völkerrechtliche Relevanz 691
dezidierte Äußerungen östlicher Staatenvertreter nicht bekannt geworden
sind, so ist doch festzustellen, daß auch sie auf der Helsinki-Schluß-
sitzung und danach nicht mehr von einem internationalen Vertrag
sprechen. Sowjetischerseits beispielsweise wird der Begriff dafür - dogovor
- oder soglasenie nicht
mehr gebraucht, sondern immer nur von dogo-
vorennost-' gesprochen41); das ist weniger als Vertrag und bedeutet Abmachung.
Daß auf östlicher Seite nicht so deutlich gesagt wird, die
Schlußakte sei kein Vertrag, scheint auf dem Unwillen zu beruhen, die
diesbezügliche Nichterreichung des ursprünglichen Konferenzzieles auch
noch verbal zu plakatieren. Der Mangel der Rechtsetzungsabsicht ergibt
sich schließlich noch aus dem innerstaatlichen Verfahrensverhalten der
Beteiligten: In keinem Teilnehmerstaat wurde ein innerstaatliches Zustimmungsverfahren
durchgeführt, es kam allenfalls zu parlamentarischen
Debatten 42); nirgendwo fand eine Promulgation der Schlußakte nach den
Vorschriften über die Promulgation internationaler Verträge statt 43); auch
41) Vgl. die Reden Breinevs in Helsinki, Pravda vom 1. 8. 1975, und auf dem
VII. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei in Warschau, Izvestija
vom 10. 12. 1975; die Rede Gromykos vor der XXX. VN-Generalversammlung,
Izvestija vom 24. 9. 1975.
42) So im Deutschen Bundestag, vgl. Deutscher Bundestag Sten. Ber., 7. Wahlperiode,
183. Sitzung am 25. 7. 1975, S. 12797 ff.
43) Interessant ist die innerstaatliche Behandlung der Schlußakte in der Sowjetunion:
Die Schlußakte wurde nicht, wie das für hochpolitische Verträge nach
dem Gesetz über Ratifizierung und Kündigung internationaler Verträge der UdSSR
vom 20. 8. 1938 (VVS SSSR 1938 Nr. 11) vorgeschrieben ist und auch üblicherweise
so gehandhabt wird (letztes Beispiel: die Ratifizierung des Vertrags über Freund-
schaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der UdSSR und der DDR
vom 7. 10. 1975, Izvestija vom 5. 12. 1975), dem Präsidium des Obersten Sowjet
der UdSSR bzw. diesem selbst zugeleitet; die Schlußakte wurde statt dessen in einer
gemeinsamen Sitzung des Politbüros des ZK der KPdSU, des Präsidiums des
Obersten Sowjet und des Ministerrats der UdSSR behandelt, worüber eine nicht
näher bezeichnete gemeinsame Erklärung t)ber die Ergebnisse der Konferenz über
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zunächst in der Tagespresse (Pravda vom
7. 8. 1975), anschließend im sowjetischen Gesetzblatt, jedoch außerhalb des Teils 1,
in dem Ratifizierungsbeschlüsse publiziert werden, veröffentlicht wurde, siehe
VVS SSSR 1975 Nr. 33 vom 13. 8. 1975. Diese gemeinsame Erklärung ist kein Akt
im Zuge des innerstaatlichen Vertragsabschlußverfahrens. Die Schlußakte selbst
wurde zunächst nur in der Tagespresse veröffentlicht (Izvestija und Pravda vom
2. 8. 1975). Erst sechs Monate später, im Januar 1976, erschien auch eine Veröffent-
lichung der Schlußakte im sowjetischen Gesetzblatt, allerdings ebenfalls nicht in
dessen Teil I, in dem internationale Verträge der UdSSR abgedruckt werden,
sondern in einer Anlage zu' Nr. 33/1975 der VVS SSSR, in der im August 1975 die
gemeinsame Erklärung des Politbüros des ZK der KPdSU, des Obersten Sowjet und
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