Zur Frage der Rechtsnatur, Verbindlichkeit und völkerrechtlichen

718 Schweisfurth
entwicklungen, die diese Prinzipien in der Schlußakte gefunden haben,
im Vergleich zu ihrem bisherigen Entwicklungsstand herauszuarbeiten.
Ein weiterer völkerrechtlicher Aspekt der Schlußakte ergibt sich aus
ihrer möglichen Wirkung auf bestehende Verträge, sofern deren Inhalt
im Widerspruch zum Prinzipienkatalog der Schlußakte steht. Gedacht
ist hier vor allem an das System bilateraler Beistandspakte zwischen
den Staaten Osteuropas, soweit diese in einer Weise interpretiert und
angewandt werden, die den in der Schlußakte vereinbarten Prinzipien
widersprechen (Stichworte: Prinzip des sozialistischen Internationalis-
mus, Breinev-Doktrin140141). Wäre die Schlußakte ein internationaler
Vertrag, dann wäre die Frage nach den für das Verhältnis aufeinanderfolgender
Verträge der gleichen Vertragspartner geltenden Regeln142)
zu beurteilen, und sie liefe kraft Wirkung der in der Schlußakte formu-
lierten einfachen Nichtberührungsklausel auf den compatibility-test
hinaus 143). Solche Regeln bestehen für die Beurteilung des Verhältnisses
früherer Verträge zu späteren außerrechtlichen Abmachungen nicht. Die
Frage ist, inwieweit die Nichtberührungsklausel der Schlußakte über dieses
Verhältnis eine spezielle'Auskunft gibt.
Zunächst: Welche Verträge, Abkommen und Abmachungen sollen
von der Prinziplenerklärung nicht berührt sein? Der Text der Nichtberührungsklausel
läßt eine Einschränkung auf bestimmte Verträge der
oder einiger Unterzeichnerstaaten der Schlußakte nicht, sondern nur eine
Globalbezugnahme auf deren frühere Verträge erkennen. Wenn. auch das
Bestreben nach Absicherung der Vier-Mächte-Rechte in Bezug auf
Deutschland Ursache für die Formulierung der Nichtberührungsklausel
140) Überlegungen zur Breinev-Doktrin drängen sich in diesem Zusammenhang
auf, wenn man berücksichtigt, welch immense Rolle diese Doktrin bei der Abfa.ssung
gerade der Prinzipienerklärung gespielt hat, vgl. dazu R u s s e 11, S. 253-257 undpassim.
141) Vgl. hierzu Th. Schwelsfurth, Die Bedeutung eines gesamteuropäischen
Katalogs von Völkerrechtsgrundsätzen für die völkerrechtliche Lage der sozialistischen
Staaten Osteuropas, in- Probleme der Konferenz über Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa, hrsg. von B. Meissner und A. Uschakow (Berlin [West]
1975), S. 1111 ff. Diese im'Februar 1973 verfaßte Untersuchung ging von der irrigen,
nach dem damaligen Stand der KSZE aber vertretbaren Prämisse aus, daß der
Prinzipienkatalog die Form eines völkerrechtlichen Vertrages haben werde. Zum
Problem des Widerspruchs der bilateralen Beistandspakte in Osteuropa zur Prinzipiendeklaration
der Schlußakte kann aber auf diese Arbeit und die weiteren dort
angegebenen Quellen verwiesen werden.
142) Art. 30 und 59 WVRK.
143) Vgl. Schweisfurth, op. cit. (Anm. 141), S. 121 ff.
http://www.zaoerv.de
© 1976, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht