Ausgabe herunterladen - Die Wirtschaft - Neue Osnabrücker Zeitung
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DONNERSTAG,21. FEBRUAR2013<br />
LEBEN &<br />
LEIDENSCHAFT<br />
„Wenndufällst, steh wieder auf!“<br />
Skateboard-PionierTitus Dittmann aus Münsterstrauchelteals Unternehmer–undführtedas Familienunternehmen zu neuerBlüte<br />
Lehrerberuf nach<br />
Erweckungserlebnis<br />
an den Nagel gehängt.<br />
Anfangs Achsen,<br />
Räder und Bretter<br />
aus den USA besorgt.<br />
Marke für Sportler,<br />
Jugendliche und<br />
Fashionfans geschaffen.<br />
VON MARCUS TACKENBERG<br />
MÜNSTER. TitusDittmannpasst<br />
in keineSchublade. DerMann,<br />
derdas Skateboarden in<br />
Deutschland populärgemacht<br />
hat, warschon Studienrat,Drachenflieger<br />
undRennfahrer, bevorersein<br />
Unternehmen,die TitusGmbHinMünster,zumeuropäischen<br />
Marktführer der<br />
Skater-Branchemachte.„Mach<br />
dein Ding, aberübernimmauch<br />
dieVerantwortung, wenn es<br />
schiefgeht“,ist sein Credo.<br />
Entspannt geht esinder Münsteraner<br />
Unternehmenszentrale der<br />
Titus GmbH ab. Cool gekleidete<br />
Mitarbeiter mit langen Haaren<br />
und Tätowierungen sind von Kunden<br />
und Skateboardern, die den<br />
Titus-Shop oder „Skaters Palace“<br />
besuchen, kaum zuunterscheiden.<br />
Eine schmale Wendeltreppe führt<br />
hinauf zu den gläsernen Büros der<br />
Geschäftsführung. Titus Dittmann,<br />
Pionier auf dem rollenden<br />
Brett inDeutschland, teilt sich einen<br />
angenehm unaufgeräumten<br />
Raum mit Sohn Julius und der<br />
Chefsekretärin. Willkommen<br />
beim „Lord ofthe board“, wie<br />
Dittmann senior von Fans in<br />
aller Welt genannt wird.<br />
„Willste ’n Wasser, ’ne<br />
Cola oder ’n Kaffee?“,<br />
fragt der drahtige 64-Jährige,<br />
dem die Skater-Mütze<br />
passt, als wäre erdamit<br />
geboren. „Street credibility“<br />
und Authentizität<br />
würden das wohl<br />
Psychologen und Analysten<br />
nennen – Dittmann<br />
denkt darüber<br />
nicht nach. Der<br />
weltoffene, aber<br />
auch typisch sture<br />
Westfale hat sich<br />
nie den herr-<br />
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schenden Konventionen unterworfen.<br />
Seit 2001 zählt erzum hochexklusiven<br />
Klub der „Entrepreneurs<br />
of the Year“, hat mit Mut, Fantasie<br />
und Ehrlichkeit ein kleines Imperium<br />
geschaffen, eine gefragte<br />
Marke unter Jugendlichen und<br />
Sportlern, Fashionfans und Livestyle-Jüngern.<br />
„Ich kann unglaublich auf den<br />
Putz hauen und mich selbst motivieren“,<br />
sagt Dittmann. „Dann sehe<br />
ich zwar aus wie ein aufgezogenes<br />
Männchen, das herumhampelt.<br />
Aber das kommt von innen<br />
und ist nicht gespielt.“ Sein Motto<br />
habe er bei Konfuzius gefunden:<br />
Suche dir eine Arbeit, die du<br />
liebst, und du wirst nie wieder arbeiten<br />
müssen. „Deswegen habe<br />
ich 1984 den Studienrat an den<br />
Nagel gehängt, weil mich das<br />
Skateboard faszinierte.“ Sechs Jahre<br />
zuvor hatte der aus dem Westerwald<br />
stammende Referendar<br />
am Münsteraner Hittorf-Gymnasium<br />
eine Art Erweckungserlebnis,<br />
„als ich am Aasee von einigen<br />
Rotzlöffeln auf rollenden Brettern<br />
beinahe umgefahren wurde“. Fasziniert<br />
vom fremdartigen Mobil,<br />
gründet Dittmann mit Schülern<br />
eine Skateboard-AG, besorgt sich<br />
aus den USA Achsen, Räder und<br />
Bretter und lässt die selbst zusammengebauten<br />
Boards in einem<br />
kleinen, von seiner Frau Brigitta<br />
betriebenen Laden verkaufen.<br />
TitusDittmann<br />
Als ihm Skateboarder und alle,<br />
die es werden wollen, die Bude<br />
einrennen, macht Dittmann das<br />
neue Hobby endgültig zum Beruf:<br />
Er baut das Geschäft unter dem<br />
Namen Titus zum erfolgreichen<br />
Unternehmen aus, veranstaltet<br />
Messen und Skate-Wettbewerbe,<br />
die später zuWeltmeisterschaften<br />
avancieren, und gibt das „Münster<br />
Monster Magazin“ für alle Brett-<br />
Verrückten heraus. Dittmann, 40<br />
und fit wie ein Turnschuh, macht<br />
seine ersten Umsatzmillionen und<br />
kann nebenbei Aktivitäten wie<br />
Autorennen, Drachenfliegen<br />
und Fallschirmspringen nachgehen.<br />
Ein Tausendsassa auf<br />
der Überholspur.<br />
Als der Boom Ende der<br />
1980er-Jahre abebbt, gerät<br />
das Unternehmen erstmals<br />
in die Krise. Dittmann<br />
entscheidet sich<br />
1994 für einen Neubeginn.<br />
Aus dem Großhandel<br />
macht er ein<br />
Unternehmensnetzwerk,<br />
das verstärkt<br />
auf Einzelhandel,<br />
Versand und Franchising<br />
setzt. Zudem<br />
gründet er Medien-<br />
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und Eventagenturen und baut<br />
Joint Ventures für Logistik- und<br />
IT-Systeme auf. Titus beschäftigt<br />
Ende der Neunzigerjahre über 500<br />
Mitarbeiter in 30 Läden und erzielt<br />
nach eigenen Angaben 75<br />
Millionen Euro Jahresumsatz. „Einen<br />
Marktanteil von 95 Prozent<br />
hielt ich für normal“, sagt er.<br />
Dann der Absturz im doppelten<br />
Sinn: Erst erleidet Dittmann bei<br />
einem Unfall auf einer Rennstrecke<br />
schwere Verletzungen. Danach<br />
geht es mit dem Unternehmen<br />
bergab. Um zu verhindern, dass<br />
zwei Ex-Mitarbeiter mit seinen<br />
Ideen erfolgreich andie Börse gehen,<br />
gründet der Münsteraner<br />
flugs selbst eine AG. Inder Euphorie<br />
um den <strong>Neue</strong>n Markt liefert<br />
sich der Selfmade-Chef windigen<br />
Finanzinvestoren aus, die das Unternehmen<br />
2002 herunterwirtschaften<br />
und ausschlachten wollen.<br />
Heldenhaft verpfändet Dittmann<br />
all seinen Besitz –mit Ausnahme<br />
seiner geliebten Oldtimer.<br />
„Daran sieht man, dass mir<br />
Geld privat überhaupt nichts bedeutet,<br />
sonst hätte ich mir früh etwas<br />
auf die Seite gelegt“, sagt Dittmann.<br />
„Ich habe das Geld immer<br />
komplett als Werkzeug gesehen<br />
und zu 100 Prozent riskiert und<br />
reinvestiert. Durch meine Sozialisation,<br />
aufgewachsen in bescheidenen<br />
Verhältnissen, bekomme<br />
ich schnell ein schlechtes Gewissen,<br />
wenn ich Kohle anhäufe.“ Unternehmertum<br />
sei für ihn eher ein<br />
sportlicher Wettkampf.<br />
Der unangepasste Unternehmer<br />
schafft es, seine Firma zurückzukaufen<br />
und zusanieren. Gläubiger<br />
und Zulieferer kann Dittmann mit<br />
Demut und Ehrlichkeit überzeu-<br />
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25<br />
Engagiertsichheute in dervon ihmgegründeten Stiftung „skate-aid“: TitusDittmann vermitteltKindern in Afghanistanund Afrika dieJugendkulturdes Skateboards. Fotos: MauriceRessel<br />
Gläubiger mit<br />
Demut und<br />
Ehrlichkeit<br />
überzeugt.<br />
gen: „Ich habe ihnen gesagt: Wenn<br />
ihr wollt, könnt ihr mich jetzt killen.<br />
Aber wenn ihr mich leben<br />
lasst, dann habt ihr am Ende<br />
mehr davon.“ <strong>Die</strong> Strategie geht<br />
auf, das Unternehmen erlebt eine<br />
neue Blüte und besteht 2008 wieder<br />
aus 85 Mitarbeitern, 28 Franchiseläden,<br />
vier Outlets und einem<br />
Versandhandel. Ein Jahr später<br />
zieht sich Dittmann aus dem operativen<br />
Geschäft zurück, überlässt<br />
seinem Sohn das Steuer und widmet<br />
sich der von ihm gegründeten<br />
Stiftung „skate-aid“. Zunächst in<br />
Afghanistan, später auch in afrikanischen<br />
Ländern baut die Stiftung<br />
Skate-Anlagen und begeistert Kinder<br />
für die Jugendkultur.<br />
„<strong>Die</strong> Jungen machen den ganzen<br />
Tag nichts anderes als Krieg<br />
zu spielen“, so Dittmann. „Das hat<br />
mich schockiert. Deswegen haben<br />
wir den Slogan ‚Skate ordie‘ ausgegeben,<br />
denn Kinder, die skaten,<br />
schießen nicht.“ Für sein Engagement<br />
erhält der Münsteraner viele<br />
Auszeichnungen. 2012 erscheint<br />
seine Autobiografie „Brett für die<br />
Welt“ (Quadriga-Verlag). Zum Abschied<br />
noch ein Tipp vom „Skateboard-Papst“:<br />
„Wenn du fällst,<br />
steh wieder auf!“<br />
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