Ausgabe herunterladen - Die Wirtschaft - Neue Osnabrücker Zeitung
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30<br />
LEBEN&LEIDENSCHAFT<br />
<strong>Die</strong>verrückte Geschichte vom<br />
Kamelshampoo ausMelle-Buer<br />
DasFamilienunternehmenWilms begeistertScheichs<br />
miteinem Produkt ausKiefernkernholz<br />
VON GEORG KERN<br />
MELLE. Unglaublich, aber wahr:<br />
<strong>Die</strong>Firma Wilmsaus dem<strong>Osnabrücker</strong>LandproduzierteinKamelshampoo<br />
–und exportiertes<br />
erfolgreichindie Vereinigten<br />
Arabischen Emirate(VAE).<br />
Noch steht das Geschäft am Anfang.<br />
Aber dieFirmasiehterhebliches<br />
Potenzial.<br />
Am Eingang des Gebäudes der Firma<br />
Wilms inMelle-Buer steht ein<br />
Kamel aus Holz. Im ersten Stock<br />
liegen in einer Vitrine zahlreiche<br />
Medaillen und Urkunden. Eine davon<br />
belegt: Das Unternehmen hat<br />
bei einer Messe in den VAE einen<br />
Preis für das beste Produkt gewonnen.<br />
„<strong>Die</strong> Qualität unseres Kamelshampoos<br />
spricht sich allmählich<br />
herum“, sagt der Geschäftsführer<br />
Heinrich Wilms.<br />
Er ist 64Jahre alt, leitet das Unternehmen<br />
gemeinsam mit seiner<br />
Tochter Katharina Wilms, 31 Jahre<br />
alt und studierte Betriebswirtin.<br />
„Ich weiß, die Geschichte mit dem<br />
Kamelshampoo klingt verrückt“,<br />
sagt sie. Sie kenne jadie Reaktionen<br />
aus ihrem Bekanntenkreis.<br />
Für die deutschen Beschäftigten hängt die AttraktiviAttraktivität des Arbeitsplatzes vor allem vom Gehalt ab. Trotz<br />
steigender Bedeutung anderer Faktoren, wie flexibler<br />
Arbeitszeitmodelle oder Sozialleistungen, wird die Bezahlung<br />
nach wie vor in allen Umfragen am häufigsten<br />
genannt.<br />
Damit gehört ein leistungsgerechtes<br />
und faires Vergütungssystem zu den<br />
Grundpfeilern einer langfristigen<br />
und erfolgreichen Zusammenarbeit<br />
zwischen einem Arbeitgeber und seinen<br />
Mitarbeitern. Bei der Einstellung<br />
neuer Mitarbeiter oder der Überprüfung<br />
der eigenen Gehaltsstrukturen Dennis <strong>Die</strong>rker<br />
stellt sich immer wieder die Frage, was ein angemessenes<br />
Gehalt ist. Gerade in der aktuellen Entwicklung des akuten<br />
Fach- und Führungskräftemangels gewinnt diese Frage<br />
weiter an Bedeutung.<br />
Bislang fand man in der Frage nach den regionalen Gehaltsstrukturen<br />
wenig konkrete Auskünfte. Verfügbare<br />
Daten aus dem Internet oder aus anderen Veröffentlichungen<br />
liefern lediglich erste Anhaltspunkte, denn<br />
sie basieren in der Regel auf überregionalen Erhebungen<br />
oder beziehen sich auf Daten, die ihre Relevanz in<br />
Konzernen entfalten. <strong>Die</strong> 2. Auflage der aktualisierten<br />
Vergütungsstudie „So zahlt der Mittelstand im Nordwesten“<br />
orientiert sich an den regionalen, mittelständisch<br />
geprägten Unternehmensstrukturen und liefert einen erweiterten<br />
Überblick über fast 40 Positionen auf Fach- und<br />
Führungskräfteebene, aufgeteilt nach Branchen, Firmengröße<br />
und Berufserfahrung. Sie richtet sich vorwiegend<br />
an mittelständische Unternehmen und ist zum Preis von<br />
299,- EUR zu erwerben.<br />
Im Ergebnis sind auf dem hiesigen Arbeitsmarkt insbesondere<br />
Ingenieure und gut ausgebildete Techniker in den<br />
letzten Jahren zu einem sehr knappen Gut geworden. Das<br />
führt auf der einen Seite zu deutlich steigenden Gehältern,<br />
birgt auf der anderen Seite aber auch die Gefahr,dass die<br />
Unternehmen in eine Art Überbietungswettbewerb um<br />
die besten Mitarbeiter getrieben werden. So sind in den<br />
vergangenen 5Jahren die Gehälter für Ingenieure um<br />
15 bis 20 %gestiegen. Aber auch in anderen Bereichen<br />
„Aber wer etwas mehr über unsere<br />
Firma erfährt, sagt dann oft<br />
schnell: Das Produkt passt doch superzueuch.“<br />
Wilms ist einFamilienbetrieb mit<br />
langer Tradition. Gegründet 1893<br />
als Sägewerk in Bad Essen-Barkhausen,<br />
wo das Unternehmen bis<br />
heute den Hauptstandort unterhält,<br />
hat sich das Geschäftsmodell inzwischen<br />
vollständig gewandelt: <strong>Die</strong><br />
Firma stellt mit ihren 110 Mitarbeitern<br />
hauptsächlich Holzverpackungen<br />
und Paletten her. Außerdem<br />
bietet sie logistische <strong>Die</strong>nstleistungen<br />
an, wobei dieFunkchip-Technik<br />
RFID eine wichtige Rolle spielt. Zudem<br />
hat Wilms biologische Pflegeprodukte<br />
wie Shampoos oder<br />
Crèmes für Menschen und Haustiere<br />
auf der Basis von Kiefernkernholz<br />
entwickelt – dem Holz aus<br />
dem Innern von Kiefernstämmen.<br />
„Gemessen am Gesamtumsatz unserer<br />
Firma ist dieses Geschäftsfeld<br />
noch ausbaufähig“, sagt Katharina<br />
Wilms. „Aberwir arbeiten dran.“<br />
<strong>Die</strong> Erzeugnisse aus Kiefernkernholz<br />
waren auch entscheidend für<br />
die Entwicklung des Kamelshampoos.<br />
2010 entstand auf einem Agrar-Kongress<br />
in Osnabrück der<br />
Kontakt zuFachleuten aus AlAin,<br />
einer Stadt in den VAE. „Sie interessierten<br />
sich besonders für unsere<br />
Shampoos für Haustiere wie Hunde<br />
oder Katzen“, sagt Heinrich Wilms.<br />
Schließlich wurde ergefragt, ober<br />
Interesse habe, ein entsprechendes<br />
Produktfür Kamelezuentwickeln.<br />
„Auch für<br />
Beauty-Kamele<br />
eignet sich<br />
das Produkt<br />
hervorragend.“<br />
–ANZEIGE –<br />
„So zahlt der Mittelstand<br />
im Nordwesten“<br />
sind deutliche Steigerungen in den vergangenen 3Jahren<br />
sichtbar geworden.<br />
Drei Beispiele aus der Studie<br />
Controller –<strong>Die</strong> positiven Gehaltsperspektiven für Controller<br />
haben sich in den vergangenen Jahren gefestigt.<br />
Das Einkommen stieg um etwa 10 Prozent auf einen<br />
durchschnittlichen Jahresverdienst von 49.500 Euro.<br />
Langjährige Berufserfahrung wiederum verbessert das<br />
Gehalt nicht sonderlich.<br />
Produktmanager –Ander Schnittstelle von Produktentwicklung<br />
und Marketing/Vertrieb hat sich das Durchschnittsgehalt<br />
um 8Prozent auf etwa 60.000 Euro entwickelt.<br />
Am besten zahlt die Automotive-Branche, während<br />
die Agrar- und Ernährungsbranche deutlich unter den<br />
Vergleichsgruppen liegt.<br />
Leiter Finanz- und Rechnungswesen –Der Anstieg des<br />
durchschnittlichen Jahresgehalts fällt beim Leiter Finanzund<br />
Rechnungswesen mit rund 13 Prozent auf 73.700<br />
Euro deutlicher aus als zum Beispiel beim kaufmännischen<br />
Leiter mit 9Prozent. Wobei größere Firmen laut<br />
Studie in diesem Ressort kaum besser zahlen als mittlere.<br />
Der ausschließliche Blick auf die Gehälter ist jedoch eindimensional.<br />
Daher empfiehlt sich zur Einordnung der hiesigen<br />
Gehälter ein Vergleich der Lebenshaltungskosten,<br />
die im Vergleich zu Ballungszentren in der hiesigen Region<br />
deutlich niedriger ausfallen und damit ein deutlicher<br />
Standortvorteil gerade in der Familienphase sind.<br />
Eine Berechnung im Rahmen der Studie hat ergeben,<br />
dass in Mittelzentren im Nordwesten die Kosten etwa<br />
für Wohnen, Energie und Kfz-Versicherungen aktuell<br />
um knapp 40 Prozent niedriger sind als zum Beispiel im<br />
Hamburg. Dort und in anderen Ballungsräumen wird zwar<br />
grundsätzlich besser gezahlt, dafür ist die mittelständisch<br />
geprägte <strong>Wirtschaft</strong> des Nordwestens auch robuster in<br />
Krisenzeiten.<br />
Insgesamt bleibt aber der eindeutige Trend zu steigenden<br />
Gehältern bei gut ausgebildeten Fach- und Führungskräften,<br />
denn wenn das Angebot sinkt und die Nachfrage<br />
steigt, dann steigt auch der Preis. <strong>Die</strong>se einfache betriebswirtschaftliche<br />
Formel gilt offensichtlich bei qualifizierten<br />
Arbeitskräften genauso wie bei Produkten.<br />
DDr.Schwerdtfeger<br />
Personalberatung<br />
Thomas-Mann-Weg 2·49685 Emstek<br />
Tel. 04473/9 4336-0<br />
www.personal-schwerdtfeger.de<br />
Dennis <strong>Die</strong>rker,<br />
Vergütungsexperte bei der<br />
Dr.Schwerdtfeger Personalberatung<br />
Auch für den Unternehmer<br />
erst einmal ein überraschendes<br />
Anliegen: „Was wusste ich schon<br />
über Kamele?“ Heinrich Wilms<br />
zog Erkundigungen ein, wobei er<br />
einen Kontakt zur <strong>Osnabrücker</strong> Unternehmerin,<br />
Buchautorin und Kennerin<br />
der Golf-Region Birgit Maria<br />
Kemphues herstellte. Ergebnis seiner<br />
Nachforschungen: Der Markt<br />
für Kamelshampoo könnte äußerst<br />
attraktiv sein.<br />
<strong>Die</strong> Tiere werden in arabischen<br />
Ländern nicht nur zum Transport<br />
oder zur Ernährung genutzt. „Es<br />
gibt auch einen großen Markt für<br />
Rennkamele, die teilweise für bis zu<br />
eine Million Dollar gehandelt werden“,<br />
erläutert Heinrich Wilms.<br />
Hinzu kommen Schönheitswettbewerbe:<br />
„Auch für Beauty-Kamele<br />
eignet sich unser Produkt hervorragend.“<br />
Bei ihren Pflegeerzeugnissen<br />
macht sich die Firma Wilms Hygiene-Eigenschaften<br />
von Kiefernholz<br />
zunutze. Gerade in Stammkernen<br />
dieser Baumart treten hohe Anteile<br />
sogenannter Polyphenole auf. Sie<br />
eignen sich, umBakterien oder Viren<br />
unschädlich zu machen. „Das<br />
erklärt die hygienischen Eigenschaften<br />
von Kiefernkernholz“, erläutertder<br />
Unternehmer.<br />
Über Jahrzehnte wurde in seiner<br />
Firma anden Erzeugnissen getüftelt.<br />
Herausgekommen sind Produktlinien<br />
mit Namen wie „Pinus-<br />
Vital“ oder „PinusFauna“, deren<br />
Formeln jeweils auf Menschen oder<br />
bestimmte Haustierarten angepasst<br />
werden. „<strong>Die</strong> Erzeugnisse helfen bei<br />
Hautproblemen wie Juckreiz und<br />
Rissen. Bei Tieren zersetzen sie<br />
Bakterien im Fell, wodurch es bedeutend<br />
schöner wird“, erläutert<br />
Heinrich Wilms. <strong>Die</strong> Wirksamkeit<br />
der Produkte sei erwiesen und alles<br />
ordnungsgemäß zertifiziert. Wilms<br />
verkauft die Erzeugnisse als<br />
Crèmes, Duschgel oder einfach als<br />
wässriges Extrakt.<br />
„Weil essich umErzeugnisse für<br />
den Endverbraucher handelt, sind<br />
sie für uns als mittelständisches<br />
Unternehmen nicht einfach zuvermarkten“,<br />
sagt Katharina Wilms.<br />
Das Unternehmen setzt stark auf<br />
das Internet –und darauf, dass sich<br />
die Qualität der Produkte herumspricht.<br />
„Wir machen die Erfahrung,<br />
dass Kunden, die einmal zu<br />
unseren Produkten greifen, sie gerne<br />
wieder kaufen.“ Kürzlich erzielte<br />
das Unternehmen einen großen Erfolg,<br />
als die Supermarktkette Edeka<br />
Wilms-Erzeugnisse<br />
ins<br />
Sortiment aufnahm<br />
– im Rahmen<br />
einer Aktion<br />
für Produkte aus<br />
derRegion.<br />
Erste praktische<br />
Erfahrungen mit<br />
dem Kamelshampoo<br />
sammelte die Firma<br />
ab 2011. In Testläufen<br />
wurden Tiere inden<br />
VAE Probe gewaschen,<br />
wobei die<br />
Unternehmerin<br />
Kemphues ebenfalls eine<br />
Rolle spielte. „Ich fand die Idee<br />
von dem Kamelshampoo gleich<br />
überzeugend. Mir war schon oft<br />
aufgefallen, in welch beklagenswertem<br />
Zustand viele Tiere sind“, sagt<br />
sie. Auch Mitglieder der arabischen<br />
Oberschicht, die sich beispielsweise<br />
teure Renn- oder Beauty-Kamele<br />
halten, stünden Fellproblemen oft<br />
hilflos gegenüber. „Man greift zur<br />
Chemiekeule, aber das erzeugt wiederum<br />
andere Probleme.“ Auch sie<br />
sehe daher großes Marktpotenzial<br />
für das biologisch abbaubare Kamelshampoo<br />
von Wilms.<br />
Inzwischen ist der Export angelaufen.<br />
Wilms kooperiert mit einer<br />
eigens für die Kamelprodukte gegründeten<br />
kleinen Vertriebsgesellschaft<br />
mit vier Mitarbeitern inden<br />
VAE. „Ihr Name ,Al Shibla‘ geht auf<br />
das berühmte Rennkamel eines<br />
Scheichs zurück“, erläutert Katharina<br />
Wilms. <strong>Die</strong> Mitarbeiter sind auf<br />
Messen präsent, stellen direkte<br />
Kontakte zu Kunden her und besuchen<br />
sie, um ihnen die richtige Anwendung<br />
des Shampoos zu zeigen.<br />
„<strong>Die</strong> Resonanz ist großartig“, sagt<br />
Katharina Wilms. „Wir haben dankbare<br />
Kunden, die uns zum Beispiel<br />
sagen, dass sie mit unserer Hilfe<br />
Preise bei Schönheitswettbewerben<br />
abgeräumt haben. Das sind dann<br />
schon mal hohe Geldbeträge oder<br />
teureAutos.“<br />
Inzwischen sind Katharina<br />
Wilms und ihr Vater auch schon<br />
DONNERSTAG,21. FEBRUAR2013<br />
mehrfach<br />
selbst in die<br />
VAE gereist. In<br />
den Büroräumen<br />
des Unternehmens<br />
in Melle-Buer stehen<br />
Gastgeschenke von Kunden<br />
wie das selbst gebastelte<br />
Modell der Kamelfarm eines Beduinen.<br />
„Man kann sich javorstellen,<br />
dass das Geschäftemachen in<br />
den VAE ganz anders abläuft als in<br />
Deutschland“, erläutert die Geschäftsführerin.<br />
Dort werde nicht allein auf das<br />
Produkt geguckt. „Persönlichkeit<br />
spielt eine große Rolle“, sagt Katharina<br />
Wilms. Alles laufe insgesamt<br />
langsamer ab. „Man nimmt sich<br />
Zeit, umauch über Privates zusprechen:Familie,Hobbys,die<br />
Kamele.“<br />
Auch in die Wüste sind Katharina<br />
Wilms und ihr Vater schon gefahren,<br />
um in den Zelten von<br />
Scheichs Geschäfte einzufädeln. Sie<br />
habe den Eindruck, dass ihre Firma<br />
in eine bisher unentdeckteMarktnische<br />
vorgestoßen sei. „Natürlich ist<br />
das alles noch neu: Für unsere Kunden<br />
–aber auch für uns.“ Aber Geschäftemachen<br />
habe auch viel mit<br />
Vertrauen zu tun. „Das muss erst<br />
einmal wachsen. Und dasehe ich<br />
unsauf einemguten Weg.“<br />
KatharinaWilms (links)steht mit ihrem Vater HeinrichWilms und Mitarbeiterin Myriam Unnerstall hinter GastgeschenkenarabischerGe-<br />
schäftspartner. Foto: MichaelHehmann<br />
Foto: Colourbox