Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne
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286<br />
BERNHARD JUSSEN<br />
blieb, was die Diskussion um Jack Goody und die Kritik an <strong>der</strong> Schmid-These angeht,<br />
weitgehend folgenlos. An<strong>der</strong>s die franko- und anglophone Forschung: Die Schwachstellen<br />
<strong>in</strong> Goodys Buch waren schnell gefunden und konnten zu den Akten gelegt werden,<br />
ohne daß man deshalb gleich das ganze Buch vergaß. 36) Man eignete sich den Fragenhorizont<br />
an, den Goodys Buch eröffnet. Goody lieferte den Versuch, europäische <strong>Verwandtschaft</strong><br />
<strong>in</strong> ihrer langfristigen Entwicklung <strong>als</strong> spezifisches late<strong>in</strong>europäisches<br />
Denk- und Ordnungssystem zu deuten. Die Frage nach <strong>der</strong> <strong>Verwandtschaft</strong> blieb immer<br />
ausdrücklich Teil e<strong>in</strong>er umfassen<strong>der</strong>en Frage: »Wie kam es, daß sich etwa ab 300 n. Chr.<br />
bestimmte allgeme<strong>in</strong>e Züge des europäischen Ersche<strong>in</strong>ungsbildes von <strong>Verwandtschaft</strong><br />
und Ehe an<strong>der</strong>s gestalteten <strong>als</strong> im antiken Rom, Griechenland, Israel und Ägypten, an<strong>der</strong>s<br />
auch <strong>als</strong> <strong>in</strong> den Gesellschaften an den Mittelmeerküsten des Nahen Ostens und<br />
Nordafrikas, die diese ablösten?« 37) <strong>Verwandtschaft</strong>sforschung ist <strong>als</strong>o stets bezogen auf<br />
die generelle Frage nach den Parametern kultureller Reproduktion. Goodys Betrachtungsweise<br />
bleibt weitgehend funktional, zweifellos e<strong>in</strong> entscheidendes Rezeptionsh<strong>in</strong><strong>der</strong>nis<br />
<strong>in</strong> Deutschland.<br />
II. Zwischenstand: Überprüfungen und Erweiterungen<br />
Dreierlei ist i n den Blick zu nehmen, wenn es um die wichtigsten Umdeutungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
gegenwärtigen Diskussion geht: zunächst (S. 286) <strong>der</strong> Stand <strong>der</strong> Diskussion um Jack<br />
Goodys Impuls zur Neuordnung <strong>der</strong> Argumente; sodann (S. 302) die Abwendung <strong>der</strong><br />
Forschung von <strong>der</strong> Vorstellung e<strong>in</strong>es seit dem hohen Mittelalter agnatischen <strong>Verwandtschaft</strong>ssystems;<br />
schließlich (S. 309) die E<strong>in</strong>schätzung, daß die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Verwandtschaft</strong><br />
für die mittelalterlichen Gesellschaften <strong>in</strong> den <strong>in</strong>ternationalen Diskussionen <strong>der</strong><br />
1960er bis 1990er Jahre massiv übertrieben worden ist.<br />
Überprüft – Gesellschaften ohne Korrekturtechniken<br />
des biologischen Zufalls<br />
Jack Goody hatte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em bahnbrechenden Buch von 1983 argumentiert (und noch<br />
e<strong>in</strong>mal pr<strong>in</strong>zipiell ähnlich im Jahr 2000), 38) daß die Kirche bis zum siebten Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
alle Erbschaftsstrategien erfolgreich unterdrückt habe. Das late<strong>in</strong>europäische <strong>Verwandtschaft</strong>ssystem<br />
sei gekennzeichnet durch die erfolgreiche Unterb<strong>in</strong>dung sämtlicher Repa-<br />
36) Dazu beson<strong>der</strong>s die Rezension Guerreau-Jalabert, La Parenté (wie Anm. 3).<br />
37) Goody, Entwicklung (wie Anm. 2), S. 17.<br />
38) Jack Goody, The European family: an historico-anthropological essay (The mak<strong>in</strong>g of Europe),<br />
Oxford 2000 (deutsch 2002).<br />
68715_Umbr_VuF71_neu.<strong>in</strong>dd 286 16.09.09 12:48