09.03.2013 Aufrufe

Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne

Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne

Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

316<br />

BERNHARD JUSSEN<br />

ja sogar die Aufgabe generationenlang gepflegter Klostergrablegen zugunsten neuer<br />

Stiftsgrablegen beobachten. 121)<br />

(3) Was beweist die Gedächtnisvorsorge im Testament? Bereits lange vor 1800 rückte<br />

<strong>in</strong> Testamenten die Totensorge <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund. Mit <strong>der</strong> Reformation verschwanden<br />

die Seelenheilvermächtnisse weitgehend aus den Testamenten, und <strong>in</strong> sehr viel weniger<br />

Testamenten f<strong>in</strong>den sich Verfügungen zu Ort und Ausgestaltung des Begräbnisses. Die<br />

Sorge um die materielle Zukunft <strong>der</strong> Lebenden stand bereits im Zentrum, auch wenn<br />

durchaus mit bestimmten Legaten an Nahestehende das Andenken explizit verbunden<br />

werden konnte. Das Verschw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> Gedächtnisvorsorge aus den Testamenten seit<br />

dem 16. Jahrhun<strong>der</strong>t mag auf den ersten Blick für e<strong>in</strong>e enge Verb<strong>in</strong>dung von <strong>Verwandtschaft</strong><br />

und Totenmemoria vor dem Bruch durch die Reformation sprechen. Tatsächlich<br />

war über Jahrhun<strong>der</strong>te die Sorge für das eigene Seelenheil e<strong>in</strong> wesentlicher Bestandteil<br />

des Testaments, Gedächtnisvorsorge und Weitergabe des Erbes wurden im selben Dokument<br />

geregelt. Doch diese Verkoppelung muß ke<strong>in</strong>eswegs <strong>als</strong> Zeichen für das Ine<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

von Memoria und <strong>Verwandtschaft</strong> gelesen werde, vielleicht eher gegenteilig: Sie kann<br />

anzeigen, daß Memorialpraxis und <strong>Verwandtschaft</strong> gerade nicht eng gekoppelt waren,<br />

daß die Totensorge <strong>der</strong> Verwandten sich nicht von selbst verstand. Das Fehlen e<strong>in</strong>er<br />

fraglos durch ius und mos zur Memoria verpflicheten Person <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie machte e<strong>in</strong>e<br />

Vorsorge des E<strong>in</strong>zelnen für se<strong>in</strong> eigenes Seelenheil überhaupt erst nötig.<br />

(4) Spätmittelalterliche Ehegerichtsakten kümmerten sich nicht um tote Rechtssubjekte.<br />

Gerichte des späten Mittelalters hatten regelmäßig darüber zu entscheiden, wann<br />

e<strong>in</strong> verschwundener Ehemann für tot zu gelten hatte und die Ehefrau neu heiraten durfte.<br />

Zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> diesem Textgenre hielt man sich nicht damit auf, ob <strong>der</strong> Tote gegenwärtig<br />

war o<strong>der</strong> nicht, ob er Rechtsperson war o<strong>der</strong> nicht. Man regelte trocken die Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>heirat. 122) Offenbar verstand es sich, daß Totengedenken zwar <strong>in</strong> Sonntagspredigten<br />

und Testamenten, nicht aber <strong>in</strong> diesen Gerichtsakten zu diskutieren war. Haben<br />

die Zeitgenossen solche Inkohärenz zwischen verschiedenen sozialen Regelungsbereichen<br />

nicht wahrgenommen? Haben sie sich nicht dafür <strong>in</strong>teressiert?<br />

Man könnte weitere Aspekte <strong>der</strong> vormo<strong>der</strong>nen Memorialkultur anfügen, <strong>in</strong> denen<br />

Gedenken gefährdet war o<strong>der</strong> verschwand, ohne daß <strong>Verwandtschaft</strong> dabei e<strong>in</strong>e Rolle<br />

spielte. E<strong>in</strong>ige Aspekte seien noch genannt. Zunächst: Stiftungen waren nicht so ewig,<br />

wie sie nach dem Stifterwillen se<strong>in</strong> sollten. Daß sie oft erloschen o<strong>der</strong> umgewidmet wurden,<br />

kann <strong>in</strong>teressierten Lebenden nicht verborgen geblieben se<strong>in</strong>. Sahen sie dar<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e<br />

Frühen Neuzeit, hg. von Werner Rösener (Formen <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung 8), Gött<strong>in</strong>gen 2000, S. 97–123 im<br />

nichtfürstlichen Adel; Steffen Krieb, Er<strong>in</strong>nerungskultur und adliges Selbstverständnis im Spätmittelalter,<br />

<strong>in</strong>: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 60 (2001), S. 59–75 im fränkischen Nie<strong>der</strong>adel.<br />

121) Auf diese Praxis macht Karl-He<strong>in</strong>z Spieß aufmerksam; vgl. Spieß, Memoria (wie Anm. 119).<br />

122) Dazu Christ<strong>in</strong>a Deutsch, Ehegerichtsbarkeit im Bistum Regensburg (1480–1538), Köln u. a. 2005.<br />

68715_Umbr_VuF71_neu.<strong>in</strong>dd 316 16.09.09 12:48

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!