Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne
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BERNHARD JUSSEN<br />
das protestantische Hamburg bis zur napoleonischen Zeit an <strong>der</strong> Bestattung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche<br />
fest – obwohl schon im 14. Jahrhun<strong>der</strong>t e<strong>in</strong> erster Friedhof vor <strong>der</strong> Stadt angelegt<br />
worden war. 126)<br />
Die Liste <strong>der</strong>artiger Beobachtungen ließe sich sicher leicht verlängern. Gegenwärtig<br />
werden die skizzierten Aspekte nicht mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> Kontakt gebracht, wird nicht diskutiert,<br />
wie all dies zusammenpaßt und ob es überhaupt zusammenpassen muß. So<br />
grundlegend die Integration <strong>der</strong> Toten <strong>in</strong> die Gesellschaft <strong>der</strong> Lebenden für die mittelalterlichen<br />
Institutionen und normativen Ordnungen war: Nicht wenige soziale Regelungsbereiche<br />
sche<strong>in</strong>en nicht von Memorialkonzepten strukturiert worden zu se<strong>in</strong> – die<br />
Ehegerichtsbarkeit, das Abräumen (o<strong>der</strong> Verrotten lassen) von Grabste<strong>in</strong>en (o<strong>der</strong> Holzkreuzen),<br />
die Neubelegungen <strong>der</strong> Friedhofsflächen, Anonymisierung <strong>der</strong> Gebe<strong>in</strong>e <strong>in</strong><br />
Be<strong>in</strong>häusern, Friedhofsverlegungen, die oft augenfällig vom Stifterwillen abweichenden<br />
Stiftungswirklichkeiten, e<strong>in</strong> guter Teil vormo<strong>der</strong>ner Testamente und beson<strong>der</strong>s die verwandtschaftlichen<br />
Positionen.<br />
Augensche<strong>in</strong>lich hängen die Hypothesen über den Zeitpunkt des Verschw<strong>in</strong>dens <strong>der</strong><br />
Toten von <strong>der</strong> befragten Materi<strong>als</strong>orte o<strong>der</strong> dem beobachteten Praxisfeld ab. Testamente,<br />
Stiftungen, Funeral- und Sepulkralkultur, Memorialbil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Literatur weisen auf verschiedene<br />
Zeitpunkte und Diskurse. Theologische Konzeptionen postmortaler Existenz,<br />
Eherechtspraxis, mediz<strong>in</strong>ischer Diskurs und Epitaphien müssen nicht die gleiche<br />
Sprache sprechen. Viele dieser E<strong>in</strong>zelbeobachtungen sche<strong>in</strong>en sich unter <strong>der</strong> skizzierten<br />
leitenden Arbeitshypothese verfolgen zu lassen: <strong>Verwandtschaft</strong>ssystem und Memorialpraxis<br />
waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> okzidentalen Geschichte <strong>der</strong> Vormo<strong>der</strong>ne nicht systematisch verkoppelt.<br />
Systematisch verkoppelt war die Memorialpraxis mit den religiösen Institutionen,<br />
während <strong>Verwandtschaft</strong>en ihr Engagement gegenüber den Toten immer wie<strong>der</strong> neu entwerfen<br />
und an die zuständigen Institutionen herantragen konnten.<br />
Wenn <strong>als</strong> e<strong>in</strong> Signum <strong>der</strong> Geschichte late<strong>in</strong>europäischer <strong>Verwandtschaft</strong> herausgearbeitet<br />
werden könnte, daß Totengedenken nicht zu den zw<strong>in</strong>genden – <strong>als</strong>o <strong>in</strong>stitutionell<br />
abgesicherten – <strong>Verwandtschaft</strong>saufgaben gehörte und deshalb kaum die Logik <strong>der</strong> verwandtschaftlichen<br />
Rollen und Institutionen bee<strong>in</strong>flußt hat, dann wären mit Blick auf die<br />
Memorial- und <strong>Verwandtschaft</strong>sforschung viele <strong>der</strong> oben aufgezählten Befunde leichter<br />
<strong>in</strong>tegrierbar.<br />
H<strong>in</strong>terbliebene Ehepartner konnten ihr Leben <strong>in</strong> den Dienst des Gedenkens an den<br />
verstorbenen Partner stellen, und die Prediger for<strong>der</strong>ten sie dazu auf, <strong>in</strong>stitutionell forciert<br />
wurde dies aber nicht. Verwandte konnten ihrer Ahnen gedenken, Töchter o<strong>der</strong><br />
Schwestern konnten <strong>als</strong> Äbtiss<strong>in</strong>en <strong>in</strong> Familienklöstern aktiv se<strong>in</strong> und waren es oft, aber<br />
126) Auch dazu Rohmann, Gräber (wie Anm. 124); zu Leipzig Craig M. Koslofsky, The reformation<br />
of the dead: death and ritual <strong>in</strong> early mo<strong>der</strong>n Germany, 1450–1700 (Early mo<strong>der</strong>n history), Bas<strong>in</strong>gstoke<br />
u. a. 2000.<br />
68715_Umbr_VuF71_neu.<strong>in</strong>dd 318 16.09.09 12:48