09.03.2013 Aufrufe

Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne

Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne

Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

318<br />

BERNHARD JUSSEN<br />

das protestantische Hamburg bis zur napoleonischen Zeit an <strong>der</strong> Bestattung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirche<br />

fest – obwohl schon im 14. Jahrhun<strong>der</strong>t e<strong>in</strong> erster Friedhof vor <strong>der</strong> Stadt angelegt<br />

worden war. 126)<br />

Die Liste <strong>der</strong>artiger Beobachtungen ließe sich sicher leicht verlängern. Gegenwärtig<br />

werden die skizzierten Aspekte nicht mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> Kontakt gebracht, wird nicht diskutiert,<br />

wie all dies zusammenpaßt und ob es überhaupt zusammenpassen muß. So<br />

grundlegend die Integration <strong>der</strong> Toten <strong>in</strong> die Gesellschaft <strong>der</strong> Lebenden für die mittelalterlichen<br />

Institutionen und normativen Ordnungen war: Nicht wenige soziale Regelungsbereiche<br />

sche<strong>in</strong>en nicht von Memorialkonzepten strukturiert worden zu se<strong>in</strong> – die<br />

Ehegerichtsbarkeit, das Abräumen (o<strong>der</strong> Verrotten lassen) von Grabste<strong>in</strong>en (o<strong>der</strong> Holzkreuzen),<br />

die Neubelegungen <strong>der</strong> Friedhofsflächen, Anonymisierung <strong>der</strong> Gebe<strong>in</strong>e <strong>in</strong><br />

Be<strong>in</strong>häusern, Friedhofsverlegungen, die oft augenfällig vom Stifterwillen abweichenden<br />

Stiftungswirklichkeiten, e<strong>in</strong> guter Teil vormo<strong>der</strong>ner Testamente und beson<strong>der</strong>s die verwandtschaftlichen<br />

Positionen.<br />

Augensche<strong>in</strong>lich hängen die Hypothesen über den Zeitpunkt des Verschw<strong>in</strong>dens <strong>der</strong><br />

Toten von <strong>der</strong> befragten Materi<strong>als</strong>orte o<strong>der</strong> dem beobachteten Praxisfeld ab. Testamente,<br />

Stiftungen, Funeral- und Sepulkralkultur, Memorialbil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Literatur weisen auf verschiedene<br />

Zeitpunkte und Diskurse. Theologische Konzeptionen postmortaler Existenz,<br />

Eherechtspraxis, mediz<strong>in</strong>ischer Diskurs und Epitaphien müssen nicht die gleiche<br />

Sprache sprechen. Viele dieser E<strong>in</strong>zelbeobachtungen sche<strong>in</strong>en sich unter <strong>der</strong> skizzierten<br />

leitenden Arbeitshypothese verfolgen zu lassen: <strong>Verwandtschaft</strong>ssystem und Memorialpraxis<br />

waren <strong>in</strong> <strong>der</strong> okzidentalen Geschichte <strong>der</strong> Vormo<strong>der</strong>ne nicht systematisch verkoppelt.<br />

Systematisch verkoppelt war die Memorialpraxis mit den religiösen Institutionen,<br />

während <strong>Verwandtschaft</strong>en ihr Engagement gegenüber den Toten immer wie<strong>der</strong> neu entwerfen<br />

und an die zuständigen Institutionen herantragen konnten.<br />

Wenn <strong>als</strong> e<strong>in</strong> Signum <strong>der</strong> Geschichte late<strong>in</strong>europäischer <strong>Verwandtschaft</strong> herausgearbeitet<br />

werden könnte, daß Totengedenken nicht zu den zw<strong>in</strong>genden – <strong>als</strong>o <strong>in</strong>stitutionell<br />

abgesicherten – <strong>Verwandtschaft</strong>saufgaben gehörte und deshalb kaum die Logik <strong>der</strong> verwandtschaftlichen<br />

Rollen und Institutionen bee<strong>in</strong>flußt hat, dann wären mit Blick auf die<br />

Memorial- und <strong>Verwandtschaft</strong>sforschung viele <strong>der</strong> oben aufgezählten Befunde leichter<br />

<strong>in</strong>tegrierbar.<br />

H<strong>in</strong>terbliebene Ehepartner konnten ihr Leben <strong>in</strong> den Dienst des Gedenkens an den<br />

verstorbenen Partner stellen, und die Prediger for<strong>der</strong>ten sie dazu auf, <strong>in</strong>stitutionell forciert<br />

wurde dies aber nicht. Verwandte konnten ihrer Ahnen gedenken, Töchter o<strong>der</strong><br />

Schwestern konnten <strong>als</strong> Äbtiss<strong>in</strong>en <strong>in</strong> Familienklöstern aktiv se<strong>in</strong> und waren es oft, aber<br />

126) Auch dazu Rohmann, Gräber (wie Anm. 124); zu Leipzig Craig M. Koslofsky, The reformation<br />

of the dead: death and ritual <strong>in</strong> early mo<strong>der</strong>n Germany, 1450–1700 (Early mo<strong>der</strong>n history), Bas<strong>in</strong>gstoke<br />

u. a. 2000.<br />

68715_Umbr_VuF71_neu.<strong>in</strong>dd 318 16.09.09 12:48

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!