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BERNHARD JUSSEN<br />

die mit e<strong>in</strong>er ›Geschichte <strong>der</strong> Familie‹ auf ke<strong>in</strong>en Fall zu lösen s<strong>in</strong>d. Daher rührt«, so die<br />

Autoren, »das massive Interesse an e<strong>in</strong>em gänzlich an<strong>der</strong>en Zugang«. 8)<br />

Die Po<strong>in</strong>te dieser wissenschaftsgeschichtlichen Erzählung liegt dar<strong>in</strong>, daß die Autoren<br />

den Dreischritt von <strong>der</strong> Normenforschung über die Familienforschung zur <strong>Verwandtschaft</strong>sforschung<br />

nutzen, um ihren eigenen Zugriff <strong>als</strong> »gänzlich an<strong>der</strong>s« von <strong>der</strong><br />

Familienforschung <strong>der</strong> Cambridge Group abzugrenzen. Sie erklären die Konzentration<br />

auf das historische Phänomen Familie zu e<strong>in</strong>em wissenschaftlichen Generationenphänomen<br />

<strong>der</strong> 1970/80er Jahre und erzählen die Wissenschaftsgeschichte »de l’histoire de la<br />

famille à l’anthropologie de la parenté« (so <strong>der</strong> Titel). Nicht mehr Struktur solle Leitbegriff<br />

se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n Relation, nicht mehr häusliche E<strong>in</strong>heit, son<strong>der</strong>n Interaktion. Diese<br />

Leitbegriffe signalisieren freilich für sich genommen noch nicht, weshalb sich dah<strong>in</strong>ter<br />

e<strong>in</strong> fundamentaler Unterschied zur deutschen Forschung verbirgt. Leitterm<strong>in</strong>i wie Relation<br />

und Interaktion könnten ebenso gut <strong>der</strong> von Karl Schmid im Deutschland <strong>der</strong><br />

1960er Jahre angeregten gruppensoziologischen Perspektive entspr<strong>in</strong>gen. 9) Die Differenz<br />

ergibt sich erst aus dem Forschungszusammenhang, <strong>in</strong> den die drei französischen Kollegen<br />

ihre Fragen stellen. Ihr Bezugspunkt ist das Panorama von <strong>Verwandtschaft</strong>s systemen,<br />

das Kulturanthropologen aus den verschiedensten Gesellschaften <strong>der</strong> Welt zusammengetragen<br />

haben. Es geht ihnen darum, spezifisch okzidentale Muster verwandtschaftlicher<br />

Organisation herauszuarbeiten, ausgehend von <strong>der</strong> Hypothese, daß <strong>der</strong>en Genese<br />

wesentlich bed<strong>in</strong>gt war durch den Aufstieg des Christentums zur herrschenden Deutungsmacht<br />

um das 5./6. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

Der Forschungsüberblick <strong>der</strong> drei französischen Autoren ist e<strong>in</strong> Programmtext (nicht<br />

zuletzt gegen die herrschende Sicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschsprachigen Forschung), <strong>der</strong> wegen se<strong>in</strong>er<br />

Kürze holzschnitthaft und im Ton bisweilen radikaler <strong>als</strong> nötig ist. Wer die Erforschung<br />

<strong>der</strong> Haushalte und die Erforschung <strong>der</strong> <strong>Verwandtschaft</strong>snetze <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sukzessive<br />

L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Erkenntnisentwicklung ordnet, verliert den Ertrag e<strong>in</strong>er für das Funktionieren<br />

von <strong>Verwandtschaft</strong>ssystemen wichtigen Beobachtung: <strong>der</strong> Beobachtung des Verhältnisses<br />

von Haushaltsgruppen und Verwandtennetzen.<br />

Deutsche Mediävisten erzählen Geschichte und Stand <strong>der</strong> <strong>Verwandtschaft</strong>sforschung<br />

an<strong>der</strong>s. Dies gilt für die Def<strong>in</strong>ition des Forschungsgegenstandes ebenso wie für die E<strong>in</strong>teilung<br />

<strong>der</strong> Forschungsetappen und für die verwendeten Leitvokabeln. Wer e<strong>in</strong>e deutschsprachige<br />

Synthese liest, dürfte kaum erkennen, welche Forschungsprobleme »mit e<strong>in</strong>er<br />

›Geschichte <strong>der</strong> Familie‹ auf ke<strong>in</strong>en Fall zu lösen« 10) se<strong>in</strong> sollen. Denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschspra-<br />

8) Guerreau-Jalabert/Morsel/Le Jan, Famille (wie Anm. 6), S. 435.<br />

9) Dazu die Würdigung <strong>der</strong> Forschungen von Karl Schmid durch Otto Gerhard Oexle, Gruppen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Gesellschaft. Das wissenschaftliche Oeuvre von Karl Schmid, <strong>in</strong>: Frühmittelalterliche Studien 28<br />

(1994), S. 410–423; ferner die Sammlung von Karl Schmids wichtigsten Aufsätzen <strong>in</strong>: Karl Schmid,<br />

Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter: Ausgewählte Beiträge. Festgabe zu se<strong>in</strong>em<br />

sechzigsten Geburtstag, Sigmar<strong>in</strong>gen 1983.<br />

10) Zitat wie oben Anm. 8.<br />

68715_Umbr_VuF71_neu.<strong>in</strong>dd 278 16.09.09 12:48

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