Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne
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BERNHARD JUSSEN<br />
»Welche s<strong>in</strong>d die entscheidenden Aufgaben, die e<strong>in</strong>e Gesellschaft bewältigen muss, um neue Mitglie<strong>der</strong><br />
hervorzubr<strong>in</strong>gen und so aufzuziehen, daß sie effektiv Erwachsenenrollen wahrnehmen<br />
können?« 128)<br />
Es geht um all jene Regelungsbereiche, die zur sozialen Ersetzung nötig s<strong>in</strong>d. Goody<br />
schlägt vor, folgende soziale Funktionen zu beobachten: (1) Zeugung, (2) Gebären,<br />
(3) Ini tiation <strong>in</strong> die Gesellschaft, (4) Fürsorge, (5) Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g und Lehre, <strong>als</strong>o Übertragung<br />
von Wissen, angefangen <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit bis h<strong>in</strong> zur Weitergabe gelehrten Wissens,<br />
(6) E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> die Erwachsenenwelt – sponsorship <strong>in</strong>to adulthood, (7) Übertragung<br />
von familialem und sozialem Status, (8) Übertragung von Amt und Herrschaft, (9) Übertragung<br />
von materiellen Gütern. Goodys Liste <strong>der</strong> sogenannten parent roles endet mit<br />
dem Moment des Erwachsense<strong>in</strong>s. Dabei unterstellt sie, daß Fürsorge- o<strong>der</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsverhältnisse<br />
reciprocities begründen, Loyalitäten und Gegengaben, auf die im weiteren<br />
Lebenszyklus aufgebaut werden kann. Die aus Esther Goodys Interesse an K<strong>in</strong>dheit und<br />
Adoleszenz entwickelten Aspekte müßten zunächst für die Bedürfnisse e<strong>in</strong>es umfassenden<br />
Blicks auf <strong>Verwandtschaft</strong>ssysteme fortgeschrieben werden, zum<strong>in</strong>dest um (10) Versorgung<br />
<strong>der</strong> Alten und Kranken, (11) Funeral- und Sepulkralpraktiken sowie (12) Memorialpraktiken.<br />
Daß mit dem Blick auf Regelungsbereiche <strong>in</strong>tergenerationeller Übertragung nicht das<br />
gesamte mögliche Leistungsspektrum von <strong>Verwandtschaft</strong>ssystemen <strong>in</strong> den Blick gerät,<br />
ist augenfällig. Institutionen wie die Patenschaft weisen auf das Problem dieser vorläufigen<br />
Beschränkung deutlich h<strong>in</strong>; Patenschaft ist sicherlich e<strong>in</strong>e Institution im Interesse<br />
<strong>in</strong>tergenerationeller Übertragung, aber im Mittelalter und <strong>der</strong> frühen Neuzeit ganz beson<strong>der</strong>s<br />
e<strong>in</strong> Medium horizontaler Allianzbildung. Doch diese E<strong>in</strong>schränkung des Blicks<br />
sei vorerst <strong>in</strong> Kauf genommen. Wichtig dürfte zunächst die Suche nach e<strong>in</strong>em Fragenraster<br />
se<strong>in</strong>, welches das spezifische Profil e<strong>in</strong>es <strong>Verwandtschaft</strong>ssystems erschließt. Dazu<br />
müssen die genannten Aspekte <strong>in</strong>tergenerationeller Übertragung zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> drei<br />
Richtungen befragt werden. Diese seien abschließend unter den Stichworten Verteilung,<br />
Delegierung und Modellierung skizziert. 129)<br />
Verteilung – Delegierung – Modellierung<br />
Bei <strong>der</strong> Erforschung <strong>der</strong> genannten zentralen Funktionen sozialer Ersetzung (die Esther<br />
Goody etwas irreführend parent roles nennt) s<strong>in</strong>d auf <strong>der</strong> Grundlage breiten sozialanthropologischen<br />
Wissens zwei entgegengesetzte Beobachtungen von vornhere<strong>in</strong> zu<br />
erwarten, zunächst:<br />
128) Ebenda, S. 6.<br />
129) Zwei davon, Verteilung und Delegierung, übernehme ich von Esther Goody.<br />
68715_Umbr_VuF71_neu.<strong>in</strong>dd 320 16.09.09 12:48