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304<br />

BERNHARD JUSSEN<br />

lung <strong>der</strong> Forschungslage wird durchaus von an<strong>der</strong>en Synthesen geteilt. 89) Hier geht es<br />

nicht um »Unkenntnis <strong>der</strong> volkssprachlich differenzierenden Begriffe« (davon kann bei<br />

den Arbeiten von Joseph Morsel ke<strong>in</strong>e Rede se<strong>in</strong>), son<strong>der</strong>n um das Aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>treffen<br />

von zwei unterschiedlichen Argumentationsweisen. Es ist unübersehbar, daß volkssprachliche<br />

Wörter zur Trennung des Onkels mütterlicherseits vom Onkel väterlicherseits<br />

existierten. Aber wer wie etwa Morsel zeigen will, daß <strong>Verwandtschaft</strong>sterm<strong>in</strong>ologie<br />

bilateral war, will nicht wissen, ob Dist<strong>in</strong>ktionsterm<strong>in</strong>i existierten, son<strong>der</strong>n ob sie<br />

benutzt wurden. Die beste Beweislage für Sozialhistoriker ist nicht dann gegeben, wenn<br />

volkssprachlich differenzierende Begriffe fehlten, son<strong>der</strong>n dann, wenn sie existierten,<br />

aber nicht benutzt wurden. Der Kritiker argumentiert mit dem Wörterbuchbefund,<br />

Morsel und an<strong>der</strong>e mit Gebrauchsmustern o<strong>der</strong> -häufigkeiten. Die Behauptung, daß die<br />

<strong>Verwandtschaft</strong>s term<strong>in</strong>ologie bilateral war, ist e<strong>in</strong>e soziol<strong>in</strong>guistische, ke<strong>in</strong>e lexikografische.<br />

Das lexikografische Argument etwa mit dem Auftauchen e<strong>in</strong>es Wortes <strong>in</strong> diesem<br />

o<strong>der</strong> jenem Jahrhun<strong>der</strong>t nützt für die Deutung <strong>der</strong> <strong>Verwandtschaft</strong>ssysteme kaum etwas.<br />

Ohne quantifizierende Beobachtungen können zum<strong>in</strong>dest Sozialhistoriker – dies mag<br />

für sprachwissenschaftliche Interessen an<strong>der</strong>s se<strong>in</strong> – mit term<strong>in</strong>ologischen Befunden<br />

nicht viel anfangen.<br />

Das Desi<strong>der</strong>at e<strong>in</strong>er sozialhistorischen Term<strong>in</strong>ologieforschung, die auf Quantifizierung<br />

<strong>der</strong> Befunde nicht verzichten kann, sche<strong>in</strong>t allmählich <strong>in</strong> den Blick zu geraten. 90)<br />

Die forschungspraktischen Konsequenzen s<strong>in</strong>d ebenso simpel wie grundsätzlich: (1) <strong>Verwandtschaft</strong>sforschung<br />

beg<strong>in</strong>nt mit <strong>der</strong> Untersuchung von Benennungspraktiken und<br />

ihrer Verbreitung, und (2) <strong>Verwandtschaft</strong> wird von <strong>der</strong> untersuchten Kultur def<strong>in</strong>iert,<br />

nicht vom Forscher gesetzt. Diese Perspektive ist zwar im Pr<strong>in</strong>zip bereits <strong>in</strong> den 1960er<br />

Jahren e<strong>in</strong>gefor<strong>der</strong>t worden, aber bislang kaum umgesetzt. 91)<br />

Drei Säulen des <strong>Verwandtschaft</strong>ssystem<br />

Jack Goodys Buch hat mit Nachdruck den Blick <strong>der</strong> <strong>Verwandtschaft</strong>sforscher auf die<br />

Beobachtung gelenkt, daß die Jahrhun<strong>der</strong>te kirchlicher Deutungshoheit durch e<strong>in</strong>e<br />

»Entwertung <strong>der</strong> fleischlichen <strong>Verwandtschaft</strong> <strong>als</strong> strukturierendes Element <strong>der</strong> Gesellschaft«<br />

gekennzeichnet waren. 92) Be<strong>in</strong>ahe gleichzeitig mit Jack Goodys e<strong>in</strong>flussreichem<br />

89) Der kritisierte Artikel ist: Jussen, <strong>Verwandtschaft</strong> (wie Anm. 23); se<strong>in</strong>e Darstellung wird geteilt<br />

etwa von: Sabean/Teuscher/Mathieu, K<strong>in</strong>ship (wie Anm. 21).<br />

90) Als Trend<strong>in</strong>dikatoren genüge <strong>der</strong> Verweis auf Isabelle Réal, Vie de sa<strong>in</strong>ts, vie de famille: représentation<br />

et système de la parenté dans le Royaume mérov<strong>in</strong>gien (481–751) d’après les sources hagiographiques<br />

(Hagiologia 2), Turnhout 2001; Gerhard Lubich, <strong>Verwandtschaft</strong> im Früh- und Hochmittelalter.<br />

Begriff und Formen, Funktion und Grenzen, Habilitationsschrift, Düsseldorf 2004.<br />

91) Dazu ausführlich Jussen, Verwandte (wie Anm. 86).<br />

92) Guerreau-Jalabert/Morsel/Le Jan, Famille (wie Anm. 6), S. 443.<br />

68715_Umbr_VuF71_neu.<strong>in</strong>dd 304 16.09.09 12:48

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