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296<br />

BERNHARD JUSSEN<br />

ren statt die <strong>der</strong> Bischöfe deutet, f<strong>in</strong>det nicht Eheverbote, son<strong>der</strong>n Ehezwang <strong>als</strong> signifikantes<br />

Phänomen. Die Geschichte <strong>der</strong> late<strong>in</strong>europäischen Endogamie läuft – Mitterauer<br />

folgend – von <strong>der</strong> grundherrschaftlichen Endogamie zur Geme<strong>in</strong>de-Endogamie. 70) Sowohl<br />

das »European Marriage Pattern« (hohes Heiratsalter bei Frauen und Männern,<br />

Neolokalität, hohe Quote lebenslang Lediger) <strong>als</strong> auch die hohe Wie<strong>der</strong>heiratsquote von<br />

Witwen und Witwern »konnten sich nur dort durchsetzen, wo Heirat nicht von <strong>Verwandtschaft</strong>sverbänden<br />

zur Fortführung <strong>der</strong> Abstammungsgeme<strong>in</strong>schaft, son<strong>der</strong>n von<br />

Herrschaftsträgern zur Sicherung rationaler Formen <strong>der</strong> Arbeitsorganisation genutzt<br />

wurden«. 71)<br />

Die Geschichte <strong>der</strong> late<strong>in</strong>europäischen <strong>Verwandtschaft</strong>ssysteme muß <strong>als</strong>o, so lehrt<br />

Mitterauer, <strong>als</strong> Exogamiegeschichte erzählt werden mit Blick auf die religiösen Grundhaltungen<br />

und zugleich <strong>als</strong> Endogamiegeschichte mit Blick etwa auf die grundherrliche<br />

Herrschaftsökonomie o<strong>der</strong> die soziale Logik geme<strong>in</strong>dlicher Kontrolle des Heiratsverhaltens.<br />

72) Daß endogame Strukturen seit dem frühen Mittelalter erfolgreich unterdrückt<br />

worden seien, konnte Jack Goody allenfalls behaupten, weil er alle<strong>in</strong> die kirchlichen<br />

Akteure und alle<strong>in</strong> die <strong>Verwandtschaft</strong>sendogamie im Blick hatte.<br />

Wie<strong>der</strong>heirat<br />

Jack Goody hatte auch die Pejorisierung <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>heirat zu den kirchlichen Strategien<br />

gerechnet, mit denen die Kirche erfolgreich verwandtschaftliche Techniken <strong>der</strong> Besitzsicherung<br />

gestört hat. Dies ist zunächst nur unter <strong>der</strong> Annahme plausibel, daß die sich<br />

ausbreitenden Christen <strong>in</strong> Late<strong>in</strong> europa überall auf endogame <strong>Verwandtschaft</strong>ssysteme<br />

gestoßen s<strong>in</strong>d. Daß es dafür ke<strong>in</strong>e Evidenz zu geben sche<strong>in</strong>t, wurde schon gesagt. 73) In<br />

den 1990er Jahren s<strong>in</strong>d Witwenschaft und Wie<strong>der</strong>heirat breit erforscht worden. 74) Grund-<br />

70) Im Zusammenhang <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>deendogamie s<strong>in</strong>d die Forschungen zu den (im Mittelalter freilich<br />

schütter belegten) Rügebräuchen zu <strong>in</strong>tegrieren.<br />

71) Mitterauer, Geschichte (wie Anm. 5), S. 232f.; solche Beobachtungen wären zu vergleichen mit<br />

Sicherungen rationaler Formen <strong>der</strong> Arbeitsorganisation etwa <strong>in</strong> städtischen Handwerkerhaushalten.<br />

72) Möglicherweise ist Endogamie <strong>als</strong> e<strong>in</strong> noch umfassen<strong>der</strong>es Phänomen zu untersuchen, wenn Phänomene<br />

wie die Herausbildung e<strong>in</strong>er Gelehrtenendogamie (dazu unten S. 321f.) systematisiert werden.<br />

73) Überdies bedeutet <strong>in</strong> exogamen Systemen die Wie<strong>der</strong>heirat e<strong>in</strong>er Witwe für e<strong>in</strong>e <strong>Verwandtschaft</strong><br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e (abhängig von den Rechtsformen) die Gefahr, daß die Witwe väterlichen bzw. familialen<br />

Besitz ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n entzieht und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue Ehe überführt.<br />

74) Vgl. etwa Ida Blom, The history of widowhood: a bibliographic overview, <strong>in</strong>: Journal of family<br />

history 16 (1991), S. 191–210; Upon my husband’s death. Widows <strong>in</strong> the Literature and Histories of<br />

Medieval Europe, hg. von Louise Mirrer (Studies <strong>in</strong> medieval and early mo<strong>der</strong>n civilization), Ann Arbor<br />

1992; Jens-Uwe Krause, Witwen und Waisen im Römischen Reich, 4 Bde. (Heidelberger althistorische<br />

Beiträge und epigraphische Studien 19), Stuttgart 1994–1995; Bernhard Jussen, Der Name <strong>der</strong> Witwe:<br />

Erkundungen zur Semantik <strong>der</strong> mittelalterlichen Bußkultur (Veröffentlichungen des Max-Planck-In-<br />

68715_Umbr_VuF71_neu.<strong>in</strong>dd 296 16.09.09 12:48

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