Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne
Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne
Download als .pdf-Datei - Verwandtschaft in der Vormoderne
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
308<br />
BERNHARD JUSSEN<br />
Besitzanspruch an <strong>der</strong> städtischen Herrschaft mit familialer Nomenklatur formulieren<br />
und auf Dauer stellen wollen, <strong>in</strong> dieser Weise. In dieser Deutung ist lignage weniger e<strong>in</strong>e<br />
<strong>Verwandtschaft</strong>skategorie <strong>als</strong> e<strong>in</strong> Legitimationsmedium des Herrschaftszugangs,<br />
»e<strong>in</strong>e Gruppenbildung unter dem Etikett <strong>der</strong> <strong>Verwandtschaft</strong> […], zumeist materialisiert <strong>in</strong> Namen,<br />
Wappen, und topografischen lignées (die manche Historiker ›Zweige‹ nennen). […] Die<br />
verwandtschaftliche Dimension ist sekundär, sie ist <strong>in</strong>strumentalisiert und den Imperativen <strong>der</strong><br />
Herrschaftsreproduktion unterworfen […]. In <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> Fälle, das ist spätestens Ende<br />
des 14. Jahrhun<strong>der</strong>ts klar, handelt es sich um e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie seigneurale Referenz: Es handelt<br />
sich weniger um patril<strong>in</strong>eale Konsangu<strong>in</strong>ität <strong>als</strong> um e<strong>in</strong>e reifizierte Beziehung des geme<strong>in</strong>samen<br />
Besitzes. Manche Historiker sprechen, weil sie die soziale Logik dieser Konstruktion nicht verstehen,<br />
von ›Clans‹, was die Konfusion nur vergrößert«. 108)<br />
Nicht die <strong>Verwandtschaft</strong> ist nach diesem Modell agnatisch organisiert, son<strong>der</strong>n die Monopolisierung<br />
<strong>der</strong> Herrschaft durch e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppe wird durch e<strong>in</strong>e agnatische Repräsentation<br />
<strong>der</strong> Herrschaftsträger legitimiert. Morsel folgend wäre festzuhalten, daß<br />
das Verhältnis dieser agnatisch repräsentierten Herrschaftsfolgen zu den beteiligten <strong>Verwandtschaft</strong>en<br />
sehr schwierig nachzuvollziehen und oft nicht zu durchschauen ist, jedenfalls<br />
hängen die agnatischen Sprachregelungen eher am Herrschaftssystem <strong>als</strong> am<br />
<strong>Verwandtschaft</strong>ssystem. Die an sich kollateral organisierten <strong>Verwandtschaft</strong>en ersche<strong>in</strong>en<br />
im System <strong>der</strong> Territorialherrschaft <strong>als</strong> lignages. Auch Simon Teuscher und David<br />
Sabean schlagen vor, den Spannungen zwischen Territorialherrschaft und <strong>Verwandtschaft</strong>ssystem<br />
beson<strong>der</strong>e Aufmerksamkeit zu widmen und die Logik bei<strong>der</strong> sozialen<br />
Regelungsbereiche analytisch zu trennen:<br />
»Es ist nützlich, zwischen Erbe und Sukzession zu unterscheiden. Während <strong>der</strong> älteste Sohn auf<br />
den zentralen Län<strong>der</strong>eien se<strong>in</strong>er Familie und <strong>in</strong> die politische Position des Vaters nachfolgen<br />
kann, können alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> gleichermaßen den beweglichen und unbeweglichen Besitz erben. Patril<strong>in</strong>earität<br />
und Primogenitur wurden primär <strong>als</strong> Muster verwendet für die Sukzession <strong>in</strong> jene<br />
herrschaftlichen Rechte und Titel, die unverän<strong>der</strong>t von e<strong>in</strong>er Generation zur nächsten weitergegeben<br />
werden mußten, um den sozialen und politischen Status e<strong>in</strong>er Familie zu wahren.« 109)<br />
e<strong>in</strong> Konzept, das noch zu diskutieren ist (E<strong>in</strong>wände macht Michel Nassiet, La parenté, entre anthropologie<br />
et histoire, <strong>in</strong>: Revue d’histoire Mo<strong>der</strong>ne et Contempora<strong>in</strong>e 49 [2002], S. 96–103, hier S. 101f.).<br />
108) Morsel, L’aristocratie (wie Anm. 106), S. 290f.; daß Morsel <strong>in</strong> diesem Zusammenhang bisweilen<br />
von »Pseudo-lignage« spricht, ist im Interesse se<strong>in</strong>es Gesamtanliegens e<strong>in</strong>er nicht-biologistischen <strong>Verwandtschaft</strong>sforschung<br />
ungeschickt.<br />
109) Sabean/Teuscher, K<strong>in</strong>ship (wie Anm. 21), S. 6; Sabean/Teuscher berufen sich für diese Unterscheidung<br />
auf Anita Guerreau-Jalabert, Sur les structures de parenté dans l’Europe médiévale, <strong>in</strong>:<br />
Annales 36 (1981), S. 1028–1049.<br />
68715_Umbr_VuF71_neu.<strong>in</strong>dd 308 16.09.09 12:48