Dirigentin / Dirigenten - Schweizer Blasmusikverband
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Aktuell<br />
Interview mit dem international gefragten Jan Cober<br />
«Es gibt auch noch ein Leben ohne<br />
die Musik»<br />
Er ist sehr gefragt, der niederländische Meisterdirigent Jan Cober. Am Jungfrau Music Festival<br />
begeisterte er eine interessierte Zuhörerschaft im Rahmen eines Seminars. Und er fand auch Zeit für<br />
ein Gespräch mit UNISONO. Dabei kam heraus, dass auch grosse <strong>Dirigenten</strong> wünschen, sich<br />
zuweilen etwas von der Musik zurückziehen zu können.<br />
Sie begannen Ihre musikalische Karriere<br />
schon 1966 mit einem Klarinetten-<br />
und Kapellmeisterstudium in<br />
Holland.Wenn Sie zurückblicken:<br />
Hat sich seither viel im Bereich der<br />
Blasmusik verändert?<br />
Ich blicke kaum jemals zurück.<br />
Profimusiker schauen meistens nur<br />
in die Gegenwart, denn Musik ist ja<br />
nichts, was man sich wie ein Bild an<br />
die Wand hängen kann und das dann<br />
für alle Zeiten Bestand hat. Musik ist<br />
etwas für das Jetzt, für das Heute. Zusammengefasst<br />
kann man jedoch<br />
sagen, dass ich damals glücklicherweise<br />
in eine Art Evolutionszeit hineingekommen<br />
bin. Damals wurde<br />
man in Holland als Blasmusiker noch<br />
voll unterstützt, es standen einem diverse<br />
Möglichkeiten und Wege offen.<br />
Zum Teil standen mir derart viele Wege<br />
offen, dass ich nicht einmal mehr<br />
selbst entscheiden konnte. Die Entscheidungen<br />
wurden mir abgenommen<br />
– beispielsweise durchs Schikksal.<br />
Bedauern Sie dies ein wenig,<br />
dass das Schicksal Sie mal hier-, mal<br />
dorthin gebracht hat?<br />
Nein, überhaupt nicht, ich habe<br />
ein abwechslungsreiches Leben immer<br />
begrüsst. Ausserdem lässt sich<br />
so der <strong>Dirigenten</strong>beruf besser ausüben,<br />
mit steigender Lebenserfahrung<br />
steigt auch das Dirigierkönnen.<br />
Heute bin ich glücklicherweise als etwas<br />
bekannterer Dirigent an einem<br />
Punkt, an dem ich selbst entscheiden<br />
kann, wohin es gehen soll und welches<br />
Engagement ich annehmen<br />
will. Was beinahe schon Luxus ist …<br />
die Kultur steht ja zurzeit stark unter<br />
Druck. Seit es mit der Ökonomie abwärts<br />
geht, werden auch die kulturellen<br />
Programme überall gekürzt.<br />
Gab es auch schon Momente,<br />
in denen Sie sich selbst gesagt haben:<br />
Jetzt habe ich zu viel gearbeitet…<br />
Ja. Gerade jetzt muss ich mich<br />
wieder umorientieren. Denn ich ha-<br />
Jan Cobers Blick vorwärts?<br />
Bis anhin liess er oftmals die<br />
Hand des Schicksals entscheiden.<br />
Das will er nun ändern.<br />
(Foto: Militärmusik, Michael Föhn)<br />
be gemerkt, dass es für meine persönliche<br />
Entwicklung wichtig ist, ohne<br />
Musik auch leben zu können.<br />
Wenn Sie so wollen, dann ist das die<br />
Kehrseite der Medaille. Man lebt mit<br />
der Musik, ist immer für die Musik da<br />
– aber es gibt selbst für einen <strong>Dirigenten</strong><br />
auch noch ein Leben ohne<br />
die Musik. Das ist eine Sache, die ich<br />
immer vernachlässigt habe und die<br />
sich nun weniger angenehm bemerkbar<br />
macht. Bei mir hat das lange<br />
gedauert, bis ich es bemerkt habe<br />
… leider viel zu lange. Man kann es<br />
nämlich ganz gut verdrängen, indem<br />
man sehr schnell lebt, ständig auf<br />
Reisen ist, von einem Land ins andere<br />
zieht. Aber irgendwann kommt<br />
immer auch eine ruhigere Phase,<br />
und dann rächt sich alles. Heute<br />
weiss ich, dass auch ich eine Art Zuhause,<br />
eine Basis fürs Leben brauche.<br />
Sie dirigieren auch noch das<br />
Europäische Jugendblasorchester.<br />
Machen Sie die Jugendlichen da auf<br />
solche späteren Probleme eines<br />
Profimusikers aufmerksam?<br />
Nein, da geht es um ganz andere<br />
Dinge. Was die technische Qualitiät<br />
angeht, ist die heutige Jugend ja viel<br />
weiter als noch vor Jahren, doch was<br />
die eigentliche Bedeutung der Töne<br />
angeht – da ist doch noch einiger<br />
Nachholbedarf vorhanden. Die Musiker<br />
sollten sich immer fragen: Was<br />
steckt hinter diesen Noten? Was war<br />
der Zweck dieses Symphoniestückes<br />
damals, wie passt es in unsere Zeit?<br />
Ich erlebe es immer wieder, dass Musiker,<br />
aber auch <strong>Dirigenten</strong> etwas<br />
technisch ausgezeichnet darbieten<br />
können, aber dass ihnen der tiefere<br />
Sinn einer Komposition verborgen<br />
geblieben ist.<br />
In Schladming, Österreich,<br />
haben Sie kürzlich ebenfalls junge<br />
Menschen dirigiert, und zwar als<br />
Gastdirigent das Symphonische<br />
Blasorchester des <strong>Schweizer</strong> Armeespiels.Was<br />
gefällt Ihnen an diesem<br />
Orchester besonders?<br />
Diese Flexibilität der jungen<br />
<strong>Schweizer</strong> ist bemerkenswert. Eben<br />
noch waren sie zivile Musiker – und<br />
kurz darauf spielen sie wieder auf hohem<br />
Niveau in einem militärischen<br />
Orchester miteinander. Dazu sind eine<br />
enorme Willenskraft und grosser<br />
Enthusiasmus nötig. Was die <strong>Schweizer</strong><br />
Militärmusik einmalig auf dieser<br />
Welt macht. Dazu kommen noch die<br />
vielen sprachlichen Unterschiede<br />
Jan Cober<br />
Nach seiner Tätigkeit als<br />
erster Klarinettist beim holländischen<br />
Rundfunkorchester<br />
folgte 1975 die Anstellung als<br />
Soloklarinettist beim Residenzorchester<br />
in Den Haag. Er vertiefte<br />
während der folgenden<br />
Zeit seine Dirigierkenntnisse<br />
bei namhaften <strong>Dirigenten</strong> und<br />
bald folgten Einladungen als<br />
Gastdirigent zu Orchestern<br />
weltweit. Internationale Festivals<br />
führten ihn als <strong>Dirigenten</strong><br />
nach Berlin, Boston, Sydney<br />
und Valencia.<br />
Jan Cober ist Professor für<br />
Klarinette und dirigiert am<br />
und die verschiedenen Landescharaktere<br />
– so etwas gibt es sonst innerhalb<br />
eines militärischen Orchesters<br />
nirgends.<br />
Letzte Frage: Erinnern Sie sich<br />
an eine ganz besondere Begebenheit,<br />
die Ihnen beim Auftritt einmal passiert<br />
ist?<br />
(Denkt lange nach) Da gab es so<br />
vieles … doch, ich hatte da einmal ein<br />
Konzert in Spanien. Ravels «Daphnis<br />
et Chloé» wurde aufgeführt. Ich war<br />
gerade bei der zweiten Suite angelangt<br />
… an dieser Stelle fängt der Tag<br />
ganz leise an … die Vögel beginnen<br />
zu zwitschern. Und mitten in diesen<br />
Auftakt kräht von draussen ein Hahn:<br />
«Kikerikiiii!». Ich musste die Suite beenden,<br />
und natürlich begann das<br />
Publikum zu lachen. Danach fing ich<br />
noch einmal mit dem Auftakt an –<br />
und unglaublich – wieder bei diesem<br />
Auftakt, an der genau gleichen Stelle,<br />
krähte der Hahn: «Kikerikiiiii!». Also<br />
habe ich zum dritten Mal angefangen,<br />
was dann glücklicherweise auch<br />
gelungen ist. Denn man sagt ja:<br />
«Wenn der Hahn dreimal kräht.»<br />
(Militärmusik, Michael Föhn)<br />
Konservatorium für Musik in<br />
Tilburg, Maastricht und am<br />
europäischen Institut für Musik<br />
in Trento. Ausserdem steht<br />
er der weltbekannten königlichen<br />
Harmonie Thorn als<br />
Chefdirigent vor. Seine weiterenGastdirigentenengagements<br />
betreffen das Orchester<br />
Sainte Cecile Eysden, das<br />
Europäische Jugendblasorchester<br />
und das Symphonische<br />
Blasorchester des<br />
<strong>Schweizer</strong> Armeespiels. Seit<br />
2002 ist er Chefdirigent des<br />
Rundfunk-Blasorchesters<br />
Leipzig. (mm)<br />
UNISONO 16 •2004 9