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2011-3 - Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben

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Der Berliner Arzt Dr. Michael de Ridder unterstützt ein humanes <strong>Sterben</strong>.<br />

lich mitfühlend genug, um es solchen<br />

austherapierten sterbenskranken Menschen<br />

zu gestatten, mit ärztlicher Hilfe<br />

aus dem Leben zu scheiden?“ Organisierte<br />

Freitodhilfe wie bei Roger Kusch<br />

oder Dignitas dürfe die Ärzteschaft<br />

nicht zulassen. Er selbst würde zwar alles<br />

tun, um palliativmedizinische Betreuung<br />

anzubieten, aber die moderne<br />

Medizin bringe bisweilen auch Existenzen<br />

hervor, die früher einen natürlichen<br />

Tod gestorben wären. Seiner Meinung<br />

nach kann die Suizidbeihilfe durchaus<br />

zu einer ärztlichen Aufgabe werden.<br />

Entsprechende Erfahrungen aus dem<br />

US-Bundesstaat Oregon widerlegen<br />

den immer wieder heraufbeschworenen<br />

Dammbruch-Effekt. Und manchmal<br />

könne gerade nur noch der Tod die<br />

einzige Möglichkeit sein, die Integrität<br />

der Persönlichkeit zu wahren. Dass das<br />

ärztliche Ethos schwinden könne, sieht<br />

de Ridder nicht, im Gegenteil: „Nur mit<br />

einem MEHR an Ethos lässt sich ärztliche<br />

Beihilfe rechtfertigen.“ Allerdings<br />

bedürfe die ärztliche Assistenz einer<br />

klaren Regelung, die die somatische Indikation<br />

und die freie Willensbildung<br />

des Sterbewilligen als entscheidend im<br />

Blick haben muss.<br />

In den Niederlanden war die Diskussion<br />

völlig anders verlaufen, worüber<br />

auf der Tagung Prof. Dr. Erhard Blankenburg<br />

aus Amsterdam berichtete. So<br />

seien die Regelungen in den Nieder-<br />

landen eher pragmatisch und sehr kontrolliert<br />

und gar nicht so liberal wie man<br />

in Deutschland meine, sagte Blankenburg<br />

(vgl. auch Interview, S. 7 f.).<br />

Sterbehilfe in den<br />

Niederlanden<br />

Vor rund 30 Jahren hätten die Ärzte in<br />

den Niederlanden anerkannt, dass sie,<br />

ob sie es wollen oder nicht, Menschen<br />

beim <strong>Sterben</strong> begleiten. 1995 wurden<br />

nach langen Diskussionen unter den<br />

Ärzten Richtlinien <strong>für</strong> eine ärztliche<br />

Sterbebegleitung formuliert. Das Kriterium<br />

war „aussichtsloses Leiden“.<br />

2002 kam es dann zu einem Gesetz, das<br />

Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen<br />

straffrei lässt.<br />

Handelnde sind in den Niederlanden<br />

ausschließlich die Ärzte, <strong>für</strong> die strafausschließende<br />

Gründe gelten. Bei der<br />

Sterbebegleitung und der aktiven Sterbehilfe<br />

muss der Arzt zu der Überzeugung<br />

gelangt sein, dass<br />

1.<br />

ein freiverantwortliches und wohlüberlegtes<br />

Verlangen des Patienten<br />

vorliegt,<br />

2.<br />

3.<br />

ein aussichtsloses und unerträgliches<br />

Leiden gegeben ist,<br />

der Arzt den Patienten über seine<br />

Lage und seine Aussichten informiert<br />

hat,<br />

4.<br />

der Arzt und der Patient zusammen<br />

zu dem Schluss gelangt sind,<br />

dass es in der gegenwärtigen Lage keinen<br />

anderen Ausweg gibt,<br />

5.<br />

der Arzt mindestens einen anderen<br />

unabhängigen Arzt hinzugezogen<br />

hat, der den Patienten untersucht<br />

hat und eine schriftliche Stellungnahme<br />

zu den bereits genannten Punkten abgegeben<br />

hat,<br />

6.<br />

der Arzt die Lebensbeendigung<br />

oder Hilfe bei der Selbsttötung<br />

medizinisch sorgfältig durchgeführt hat.<br />

Wesentlich ist dabei die Rolle der<br />

Hausärzte – jeder Niederländer ist bei<br />

einem Hausarzt eingetragen –, der viel<br />

über die persönliche, private, familiäre,<br />

soziale Situation weiß. Der Hausarzt ist<br />

wiederum in ein Kontrollgremium eingebunden<br />

und kann sich von speziell<br />

weitergebildeten Kollegen (Scan-Ärzte)<br />

beraten lassen.<br />

Patientenverfügung zählt<br />

Ergänzend referierte Jura-Professor Dr.<br />

Torsten Verrel von der Universität<br />

Bonn, dass in Deutschland die Abfolge,<br />

wie der Patientenwille zu ermitteln ist,<br />

klar geregelt sei: Zunächst gilt der aktuelle<br />

ausdrückliche, meist mündlich geäußerte<br />

Wille, ersatzweise der in einer<br />

Patientenverfügung dokumentierte<br />

Wille, und dann die sonstigen Behandlungswünsche.<br />

Entscheidend seien die<br />

Leitsätze des BGH-Urteils vom 25. Juni<br />

2010. Wenn ein Arzt Patienten gegen<br />

deren Willen behandelt, begeht er eine<br />

Körperverletzung. Sofern beim Patienten<br />

keine Anzeichen einer Willensänderung<br />

festgestellt werden können,<br />

zählt das, was in der Patientenverfügung<br />

steht.<br />

Als die Tagung am frühen Abend zu<br />

ihrem Abschluss kam, war ersichtlich,<br />

dass die Diskussion um die Möglichkeiten<br />

und rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

der Sterbebegleitung und -hilfe<br />

im vollen Gang ist und weiter geführt<br />

werden muss. Deutlich wurde vor allem,<br />

dass Ärzte mehr Rechtssicherheit<br />

brauchen und dass auch Patienten über<br />

die Möglichkeiten, wie sie ihren Willen<br />

verfügen und durchsetzen können, weiter<br />

gut beraten werden müssen.<br />

we<br />

<strong>Humanes</strong> Leben · <strong>Humanes</strong> <strong>Sterben</strong> <strong>2011</strong>-3 11

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