2011-3 - Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben
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Bild: briti bay<br />
INTERVIEW<br />
Prof. Blankenburg: Die ist schon seit<br />
zehn Jahren im Gange. Das wird zunehmend<br />
gemacht. Aber es wird auch zunehmend<br />
so deklariert. Alle Anmeldungen<br />
von Sterbehilfe beruhen auf einer<br />
Angabe des jeweils behandelnden Arztes.<br />
Aber tatsächlich gibt es einen fließenden<br />
Übergang von terminaler Sedierung<br />
zu möglicher Sterbehilfe. Da<br />
kann der Arzt sagen: Ich sehe das als<br />
terminale Sedierung an und ein anderer<br />
sagt, das ist doch Sterbehilfe. Aber aus<br />
diesem Grund ist es eben sehr wichtig,<br />
dass der Arzt in all diesen Fällen einen<br />
Konsultativarzt hinzuziehen sollte.<br />
In der Regel ist die Befolgung des Euthanasiegesetzes<br />
von 2002 sehr gut und<br />
die Meldungszahlen sind angestiegen.<br />
Gerade weil die Einordnung der Behandlung<br />
auch eine Frage der Bewertung<br />
aller Umstände ist, setzen sich die<br />
ärztlichen Organisationen sehr <strong>für</strong> das<br />
Einhalten der Meldepflicht ein.<br />
Die Meldungen werden auf schriftlichem<br />
Wege nachgeprüft. Im Zweifel gibt<br />
es eine Anhörung des Arztes. Und der<br />
Prozentteil, die Anzahl der Fälle, bei de-<br />
Prof. Erhard Blankenburg, Dr. Sigrid Graumann und<br />
Prof. Torsten Verrel (v. li.) diskutieren auf der Tagung der<br />
Heinrich-Böll-Stiftung am 14.4.<strong>2011</strong>.<br />
nen eine Anhörung durchgeführt wird,<br />
steigt. Das heißt, diese Kontrolle durch<br />
die Kontrollkommission ist sehr streng.<br />
Das niederländische Euthanasie-Gesetz<br />
aus dem Jahr 2002 ist als eine Kontrollstrategie<br />
der Ärzte zu verstehen.<br />
Nachdem sich in den 1990er Jahren implizite,<br />
auch nicht immer bekannte Formen<br />
der Sterbehilfe ausbreiteten und<br />
viele juristische Auseinandersetzungen<br />
und Prozesse auslösten, hat man 1995<br />
probeweise eine Form der registrierten<br />
Sterbehilfe eingeführt, die dann als<br />
Grundlage einer legislativen Diskussion<br />
diente und zu einem Gesetz im Jahre<br />
2002 führte. Die Ärzte-Organisationen<br />
8 <strong>Humanes</strong> Leben · <strong>Humanes</strong> <strong>Sterben</strong> <strong>2011</strong>-3<br />
haben dies unterstützt. Sie wollten die<br />
Kontrolle über die Palliativmedizin und<br />
Sterbehilfepraktiken in den Händen der<br />
Ärzte institutionalisieren und damit<br />
Rechtssicherheit auch <strong>für</strong> die Ärzte<br />
schaffen.<br />
Dr. Schobert: Nun bedarf es ja spezieller<br />
Kenntnisse, die üblicherweise im Medizinstudium<br />
jedenfalls in Deutschland<br />
nicht vermittelt werden, wie ein Arzt einem<br />
schwerstkranken Patienten helfen<br />
kann, sehr gut schmerztherapiert zu sein<br />
bzw. auch die Hilfe zu erhalten, einen<br />
schweren Sterbeprozess abzukürzen.<br />
Wie wird dieses Wissen vermittelt?<br />
Prof. Blankenburg: Das ist eine Frage<br />
der Ausbildung. Hausärzte sind da<strong>für</strong><br />
besonders ausgebildet. Ein Arzt auf der<br />
Intensivstation, der hat natürlich eine<br />
ganz andere Spezialisierung. Der Hausarzt<br />
ist darauf spezialisiert, sich um den<br />
sozialen Verband, z. B. die Familie, intensiver<br />
zu kümmern und auch um die<br />
palliative Sorge.<br />
Dr. Schobert: Wie erklären Sie sich die<br />
großen Berührungsängste der Ärzteschaft<br />
zu diesem Thema? Hat das möglicherweise<br />
noch etwas mit<br />
der länger schon zurückliegenden<br />
schwierigen deutschen<br />
Vergangenheit zu tun,<br />
in der Ärzte ja beteiligt waren?<br />
Meines Wissens haben<br />
sich die Ärzte in den Niederlangen<br />
trotz des Drucks der<br />
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft<br />
sehr konstant<br />
geweigert, in irgendeiner<br />
Weise im Pseudo-„Euthana-<br />
sie“-Programm der NS-<br />
Macht mitzuwirken?<br />
Prof. Blankenburg: Ja, das<br />
spielte natürlich vor allen<br />
Dingen in der vorigen Generation eine<br />
große Rolle. Euthanasie des nationalsozialistischen<br />
Regimes war ein Trauma<br />
<strong>für</strong> die deutsche Geschichte. Die niederländischen<br />
Ärzte haben das verweigert,<br />
wobei natürlich unter der Besatzung ein<br />
nationaler Grund hinzukam, sich gegen<br />
die Nazis zu wehren. In Amsterdam gab<br />
es viele Juden, etwa 20 Prozent der Bevölkerung.<br />
Nach dem Krieg waren es<br />
noch zwei Prozent. Das hat natürlich<br />
das Nationalbewusstsein und auch die<br />
politische Diskussion in den Niederlanden<br />
geprägt. Es gab genau so viele Nazis<br />
in den Niederlanden wie es Widerstandskämpfer<br />
gab. Aber die Verbre-<br />
chen der Nazi-„Euthanasie“ sind dort<br />
nicht als nationales Trauma im Bewusstsein.<br />
Deshalb hat man das Wort<br />
„Euthanasiegesetz“ wählen können. Für<br />
die niederländischen Ärzte bedeutet das<br />
Wort wie im Griechischen „ein friedliches<br />
<strong>Sterben</strong>“. Warum sollte man das<br />
nicht so nennen?<br />
Dr. Schobert: Nun fällt im internationalen<br />
Vergleich auf, dass beispielsweise<br />
Sterbehilfe in der Schweiz auch von<br />
Laien durchgeführt wird, die trainiert<br />
werden und Supervision erhalten. Aber<br />
der Arzt selbst ist in der Regel nicht mit<br />
dabei, wenn Beihilfe zum Suizid betrieben<br />
wird. Ist das in den Niederlanden<br />
undenkbar?<br />
Prof. Blankenburg: Es ist verboten.<br />
Aus gesetzlichen Gründen geht das<br />
nicht. Es gibt einen Psychiater-Arzt,<br />
Boudewijn Chabot, der propagiert den<br />
assistierten Suizid im häuslichen Kreis.<br />
Und seine Schätzungen, die auf gewissen<br />
Untersuchungen beruhen, besagen,<br />
dass es in den Niederlanden etwa 1 000<br />
Mal im Jahr passiert. Das ist weniger als<br />
ein Prozent der Sterbefälle.<br />
Ein Arzt wird jedoch vermeiden, das<br />
zu tun. Das ist nach wie vor strafbar. Einem<br />
Arzt würde seine Approbation entzogen.<br />
Er kann vielleicht diesen Menschen<br />
helfen durch Information und<br />
sagen, das müsste man so und so machen,<br />
aber er darf nicht dabei anwesend<br />
sein. Auf keinen Fall.<br />
Dr. Schobert: Nun hat Dr. Boudewijn<br />
Chabot herausgefunden in seiner Promotionsarbeit,<br />
dass offenbar ein größerer<br />
Teil der <strong>Sterben</strong>den sich der Nahrung<br />
enthält, um auf diese Weise zu<br />
sterben. Wie schätzen Sie diese Entwicklung<br />
ein?<br />
Prof. Blankenburg: Ob das eine Entwicklung<br />
ist? Ich glaube, das ist schon<br />
immer so gewesen. Jeder Patient, auch in<br />
Deutschland, kann natürlich sagen, ich<br />
verweigere die „Behandlung“. Das ist<br />
gängig. Und es ist wohl vielleicht eine<br />
sehr häufige Art von Menschen zu sagen:<br />
„Ich will jetzt nicht mehr“. Ob das<br />
mehr geworden sind, kann ich nicht beurteilen.<br />
Aber es ist sicher schon immer<br />
der Fall gewesen, auch bevor die Sterbehilfe<br />
institutionalisiert wurde.<br />
Dr. Schobert: Herr Professor Blankenburg,<br />
wir danken Ihnen <strong>für</strong> dieses<br />
Gespräch.<br />
Das Interview führte HLS-<br />
Chefredakteur Dr. Kurt F. Schobert.