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2011-3 - Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben

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Sterbehilfe in den Niederlanden<br />

Strenge Kontrollen mit Rechtssicherheit <strong>für</strong> Ärzte<br />

INTERVIEW MIT MIT DEM RECHTSSOZIOLOGEN PROF. DR. ERHARD BLANKENBURG (AMSTERDAM)<br />

Dr. Schobert: Herr Professor Blankenburg,<br />

was würden Sie als den gravierenden<br />

Unterschied ansehen in der<br />

Einstellung und Ausrichtung der Ärzteschaft<br />

hinsichtlich Sterbehilfe in den<br />

Niederlanden und in anderen Anrainerstaaten,<br />

vor allem Deutschland?<br />

Prof. Blankenburg: In Deutschland<br />

gilt ja noch immer diese Unterscheidung,<br />

dass der Arzt eigentlich nur kurativ<br />

(= heilend; Anm. d. Red.) tätig sein<br />

soll. In den Niederlanden hat man schon<br />

seit 20 Jahren akzeptiert, dass die palliative<br />

Sorge, die in Fällen von unerträglichem<br />

Leiden, wenn es keine Aussicht<br />

auf Genesung gibt, Sterbehilfe ausführen<br />

kann.<br />

Einige Ärzte sind zum Teil aus religiösen<br />

Gründen, weltanschaulichen oder<br />

eigenen Anschauungen nicht Willens,<br />

das auch selbst zu vollziehen. Die können<br />

Patienten an andere Ärzte verweisen.<br />

Dr. Schobert: Nun haben Sie in den<br />

Niederlanden ein sehr starkes Hausarztsystem.<br />

Könnten Sie das einmal kurz<br />

erklären, bitte?<br />

Prof. Blankenburg: Der Hausarzt hat<br />

eine eigene Ausbildung, die wirklich nur<br />

die des allgemeinen Praktikers einschließt,<br />

aber auch Sorge <strong>für</strong> ganze Familien<br />

umfasst und auf langfristige Sorge<br />

besonderen Nachdruck legt. Und diese<br />

eigene Ausbildung bedeutet, dass eine<br />

relativ strenge Unterscheidung zwischen<br />

Hausärzten und Spezialisten gemacht<br />

wird. Man kann sich außerdem ausbilden<br />

lassen <strong>für</strong> die palliative Sorge von<br />

schwer und definitiv langfristig Kranken.<br />

Dr. Schobert: Nun gab und gibt es von<br />

Gegnern der Sterbehilfe immer wieder<br />

das Argument, in den Niederlanden,<br />

würden etwa 1 000 Patienten, ohne gefragt<br />

zu sein, Sterbehilfe erhalten.<br />

Der Rechtssoziologe Professor Erhard<br />

Blankenburg stellt sich den Fragen nach<br />

den Erfahrungen mit der Freigabe der<br />

Sterbehilfe in den Niederlanden.<br />

Könnte eine Erklärung dieses Umstandes<br />

darin liegen, dass die Niederlande<br />

sehr viel offener mit diesen Problemen<br />

umgehen. Oder könnte es daran liegen,<br />

dass ein Hausarzt seinen Pa-<br />

tienten sehr viel besser kennt<br />

und selbst dann, wenn keine<br />

Patientenverfügung, oder nicht<br />

einmal eine Willensverfügung<br />

vorliegt, der Arzt dann weiß,<br />

wie der Patient eingestellt ist?<br />

Prof. Blankenburg: Das Letztere ist<br />

der Fall. Bei Patienten, die eben keine<br />

Willensauskunft mehr geben können,<br />

kann das angenommen werden, aber<br />

nur in dem Fall, dass man Hinweise darauf<br />

hat, dass der Patient das wollen<br />

würde. Also, wenn der Arzt keinen Hinweis<br />

hat, dass der Patient damit einverstanden<br />

ist, dass er das will, dann darf er<br />

das nicht vollziehen.<br />

Dr. Schobert: Wie viele Fälle gibt es ihrer<br />

Einschätzung nach derzeit hinsichtlich<br />

aktiver direkter, aktiver indirekter<br />

Sterbehilfe und medizinischer Begleitung<br />

durch den Arzt?<br />

Bild: briti bay<br />

INTERVIEW<br />

Die niederländische „Euthanasie-Praxis“ – wie Sterbehilfe dort genannt wird – ist eine Kontrollstrategie der<br />

Ärzte. Sie wollen dadurch verhindern, dass sich nicht bekannte Formen der Sterbehilfe ausbreiten. Dadurch<br />

sollen Palliativmedizin und Sterbehilfepraktiken in den Händen der Ärzte institutionalisiert werden. Das<br />

schafft Rechtssicherheit <strong>für</strong> die Ärzte.<br />

Prof. Blankenburg: Das ist insgesamt<br />

ganz gut anzugeben, weil es sehr viele<br />

Untersuchungen dazu gibt. Offizielle<br />

Meldungen gibt es jetzt jährlich 2 800<br />

(von insgesamt 143 000 Sterbefällen im<br />

Jahr). Aber da gibt es natürlich eine<br />

Dunkelziffer. Es wird geschätzt, dass tatsächlich<br />

etwa 4 000 Fälle als Sterbehilfe<br />

bewertet werden könnten, ungefähr 20<br />

bis 30 % mehr als von den Ärzten formell<br />

angemeldet worden sind. Bei direkter<br />

Sterbehilfe, also bei uns „Euthanasie“<br />

genannt, kann auch ein Teil Hilfe<br />

beim Suizid gewesen sein. Das geben<br />

die Ärzte allerdings nicht so gerne an,<br />

weil dann das Verfahren aufwändig wird<br />

– es gibt ja <strong>für</strong> jeden angemeldeten Sterbehilfefall<br />

eine Prüfung durch die regionale<br />

Kontrollkommission, die auch<br />

die örtlichen bzw. regionalen Verhältnisse<br />

ein bisschen kennen. Der Arzt<br />

muss Sterbehilfe oder auch Beihilfe zum<br />

Suizid anmelden unter Angabe aller<br />

„Es gibt ja <strong>für</strong> jeden angemeldeten<br />

Sterbehilfefall eine Prüfung durch<br />

die regionale Kontrollkommission.“<br />

Sorgfaltspflichten, die das Gesetz vorschreibt.<br />

Schobert: Ist das Verfahren aufwändiger<br />

bei der Anmeldung von Suizid?<br />

Prof. Blankenburg: Bei Verdacht auf<br />

Hilfe beim Suizid ist es etwas aufwändiger.<br />

Da wird dann noch etwas mehr<br />

nachgefragt, wie nun eigentlich genau<br />

die Umstände waren. Und da ja alle<br />

diese auch palliative Fälle sind, geben<br />

die Ärzte das nicht so gerne an.<br />

Dr. Schobert: Hat in der letzten Zeit<br />

die so genannte terminale Sedierung zugenommen<br />

im Unterschied und im Vergleich<br />

zur aktiven direkten Sterbehilfe?<br />

<strong>Humanes</strong> Leben · <strong>Humanes</strong> <strong>Sterben</strong> <strong>2011</strong>-3 7

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