Wirtschaftsstrafsachen - Justizakademie Nordrhein-Westfalen
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Handhabung von Großverfahren bis zur Anklageerhebung<br />
Die im Ergebnis erfolgreiche Bearbeitung eines zumeist überraschend anfallenden,<br />
nicht selten mit relativ unbekannten rechtlichen und tatsächlichen Problemen behaf-<br />
teten Großverfahrens setzt trotz häufig bestehender zeitlicher Probleme durch die<br />
Belastungen des Arbeitsalltages eine möglichst exakte Vorplanung des zu erwarten-<br />
den zusätzlichen Arbeitsanfalles sowie eine konsequente Ausrichtung der Ermitt-<br />
lungsarbeit auf die in aller Regel unter erheblichem Zeitdruck stehende Phase der<br />
Anklageerhebung voraus. Hauptsächlich die Qualität der Vorbereitung und die Fä-<br />
higkeit zu einer sinnvollen „Leitung des Verfahrens“ kann einigermaßen Gewähr da-<br />
für bieten, dass am Ende ein ordentlicher Verfahrensabschluss und nicht das geord-<br />
nete Chaos stehen.<br />
1.<br />
Erste Überlegungen:<br />
a.<br />
Da die effiziente Bearbeitung eines komplexen Verfahrens angestrebt ist, kommt<br />
man – im eigenen Interesse - nicht um die Notwendigkeit herum, das zu erstellende<br />
„Produkt“, also das gesamte Ermittlungs- und Strafverfahren sowohl in seiner prakti-<br />
schen Handhabbarkeit als auch im Hinblick auf seine spätere gerichtliche Umsetz-<br />
barkeit kritisch zu analysieren. Es wird kaum verwundern, dass evidente Mängel in<br />
der Ermittlungsarbeit, insbesondere auch in deren aktenmäßiger Umsetzung häufig<br />
zu den Problemen führen, die Verteidigern zahlreiche – zumeist nicht unberechtigte –<br />
Möglichkeiten zur Kritik eröffnen. Anhand eines konkreten Ermittlungsverfahrens, der<br />
EK DON, möchte ich den Versuch unternehmen, einige dieser aus meiner Sicht<br />
zwingend notwendigen Schritte darzustellen und zu erläutern. Sicherlich können Sie,<br />
liebe Kolleginnen und Kollegen, aufgrund eigener Erfahrungen oder durch kritische<br />
Würdigung meiner Vorschläge und Annahmen zur wesentlichen Verbesserung zu-<br />
künftiger Sachbearbeitung beitragen.<br />
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© Oberstaatsanwalt Wolfgang Rahmer, StA Hagen: Handhabung von Großverfahren<br />
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b.<br />
Anfall des Verfahrens<br />
Die Erfahrung zeigt, dass solche Ermittlungsverfahren – sofern Sie nicht lediglich<br />
Nachfolger bereits abgeschlossener Verfahren sind – den zuständigen Dezernenten<br />
praktisch unvorbereitet treffen. Trotz der für „Eingeweihte“ schnell zu erkennenden<br />
besonderen Herausforderungen wird es kaum verwundern, dass sich die Begeiste-<br />
rung für die zusätzliche Arbeit zunächst erkennbar in engen Grenzen hält. Gleich-<br />
wohl sollte der mehr oder weniger als ungünstige Fügung des Schicksals empfunde-<br />
ne Anfall eines solch komplexen Verfahrens nicht dazu verführen, nicht umgehend<br />
Vorkehrungen für eine sachgerechte Bearbeitung zu treffen. Versäumnisse zu die-<br />
sem Zeitpunkt rächen sich später unweigerlich. Der Erfolg, wesentlich auch das<br />
Ausmaß der eigenen Belastung zeichnet sich nicht erst in der Hauptverhandlung,<br />
sondern zumeist schon sehr viel früher ab. Großverfahren zeigen in besonderem<br />
Maße auf, wie die von der Strafprozessordnung in den Vorschriften der §§ 160 ff.<br />
StPO postulierte „Leitungsbefugnis“ der Ermittlungen umzusetzen ist. Vor allem wird<br />
die Fähigkeit verlangt, laufend auf der Basis der anstehenden oder schon erfolgten<br />
Ermittlungen deren Auswirkungen auf eine etwaige spätere Hauptverhandlung zu<br />
prüfen. In dieser Phase verursachte Mängel bei der Sachaufklärung sind später nur<br />
sehr begrenzt reparabel.<br />
Ähnlich wie bei der normalerweise zu einem wesentlich späteren Verfahrensab-<br />
schnitt zu treffenden Entscheidung über das Vorliegen eines hinreichenden Tatver-<br />
dacht (§ 170 Abs. 1 , 2 StPO) wird bei Großverfahren bereits von Beginn an die Fä-<br />
higkeit einer perspektivischer Verfahrensbewertung angesprochen.<br />
b.<br />
Eintragung des Verfahrens<br />
Da viele Großverfahren – zumindest bis zu einem geplanten Zugriff – unter einer zu<br />
starken Einbindung der Öffentlichkeit leiden würden, sollte man bereits bei der Erfas-<br />
sung der Personalien der Beschuldigten an die „gestalterische Möglichkeiten“ der<br />
elektronischen Aktenerfassungssysteme denken. Der Erfolg eines Verfahrens ist we-<br />
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© Oberstaatsanwalt Wolfgang Rahmer, StA Hagen: Handhabung von Großverfahren<br />
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niger von der vollständigen Erhebung aller Daten im System, sondern häufiger von<br />
dem Umstand abhängig, dass nicht zu viele Details in die Öffentlichkeit gelangen.<br />
Falls dies nicht auf unüberwindliche bürokratische Hemmnisse trifft, kann man bei<br />
ethnisch geschlossenen Gruppen vielleicht auf den eher unauffälligen Namen eines<br />
eingebürgerten Gruppenmitgliedes zurückgreifen.<br />
2.<br />
Verfahrensanalyse<br />
Nahezu alle folgenden Bearbeitungsschritte und die wesentlichen Ermittlungshand-<br />
lungen sind von einer umfassenden Analyse des Verfahrens abhängig. Auch hier ist<br />
wieder in besonderem Maße die forensischen Erfahrung der verantwortlichen Er-<br />
mittlungsführers gefragt, der als Leiter des einzusetzenden Ermittlungsteams die<br />
Auswirkungen seiner Entscheidungen zu bewerten und zu antizipieren hat. Welche<br />
konkreten Konsequenzen die einzelnen Punkte auf die Arbeit haben, muss ich zu-<br />
nächst späteren Ausführungen vorbehalten sein lassen.<br />
a.<br />
Bezogen auf das von mir vorgestellte Verfahrens musste man notwendigerweise fol-<br />
gende Gesichtspunkte in die Planungen einfließen lassen:<br />
Wie groß ist der Kreis der Tatverdächtigen?<br />
Bedarf es der Mitwirkung von Sprachmittlern?<br />
Sind bei grenzübergreifenden Straftaten Ermittlungen im Ausland unter Mit-<br />
wirkung internationaler Behörden oder über den Wege der Rechtshilfe erfor-<br />
derlich?<br />
Welche speziellen rechtlichen Kenntnisse sind erforderlich?<br />
Auf welchem Wege können sie erlangt werden?<br />
Sind Maßnahmen der Fernmeldeüberwachung erforderlich?<br />
Wird es zu Festnahmen kommen?<br />
Stehen Maßnahmen der Vermögensabschöpfung an?<br />
Welche polizeilichen Kräfte können bzw. müssen aktiviert werden?<br />
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b.<br />
Sind polizeiliche Sonderzuständigkeiten (BKA / LKA) zu beachten?<br />
Gibt es Erfahrungen mit „Vorläufer“ - Verfahren?<br />
Welche Probleme bei der Zuständigkeit können auftauchen?<br />
Welche (Routine- / Sammlungs-) Aufgaben können auf Mitglieder der Ermitt-<br />
lungskommissionen übertragen werden?<br />
Ist mit der Sicherstellung umfangreicher Asservate zu rechnen?<br />
Wie soll mit anfallenden „Nebenverfahren“ verfahren werden? Abtrennung?<br />
Erledigung durch Strafbefehle oder beschleunigte Verfahren?<br />
Sind Kenntnisse erforderlich, die von Wirtschaftreferenten oder Buchhaltern<br />
eingebracht werden können?<br />
Mit welchen anfallenden Aufgaben ist zu rechnen? (Aufgabenkatalog?)<br />
Welche Routinearbeiten können in welcher der beteiligten Behörden am be-<br />
sten erledigt werden?<br />
praktische Umsetzung der Verfahrensanalyse<br />
Diese und natürlich in anderen Fällen auch stark abweichenden Problemstellungen<br />
gilt es zu sorgfältig zu analysieren und auf ihre Auswirkungen in Bezug auf das Ver-<br />
fahren zu untersuchen.<br />
aa.<br />
Personelle Überlegungen<br />
Es macht in Verfahren, wie dem von mir vorgestellten, wenig Sinn, zunächst die In-<br />
haftierung der Tatverdächtigen abzuwarten, um sich sodann über die notwendigen<br />
personellen Ressourcen Gedanken zu machen. Sie dürfen allerdings ziemlich sicher<br />
sein, dass Wünsche nach einer angemessenen personellen Verstärkung und die<br />
Bitte um Unterstützung in verfahrenskritischen Phasen nur gegrenzt auf uneinge-<br />
schränktes Verständnis der personalführenden Stellen führt. Erfahrungsgemäß wer-<br />
den solche Wünsche allerdings leichter erfüllt, wenn die Initiative für die Ermittlungen<br />
von den betroffenen Behörden selbst ausgegangen ist oder – wie im Falle steuerli-<br />
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© Oberstaatsanwalt Wolfgang Rahmer, StA Hagen: Handhabung von Großverfahren<br />
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cher Relevanz – mit erheblichen Einnahmen für den Fiskus zu rechnen sein dürfte.<br />
Gerade Steuer- und Zollfahndungsstellen sind in hohem Maße abhängig von den<br />
erzeilten „Mehrerlösen“.<br />
Scheuen Sie nicht davor zurück, die Führung der Polizei in diese Überlegungen<br />
rechtzeitig einzubinden und angemessen auf das Gebot des Legalitätsprinzips hin-<br />
zuweisen. Überzeugen Sie die ihnen zugewiesenen Beamten durch einen kooperati-<br />
ven Führungsstil, der die durchweg vorhandenen fachlichen Fähigkeiten und das<br />
persönliche Engagement der Beamten fördert.<br />
Ein nicht zu unterschätzendes Argument im Verhältnis zur Polizeiführung ist das bei<br />
öffentlichkeitswirksamen Verfahren zu erwartende Medieninteresse sowie die Ab-<br />
sicht, die für erforderlich gehaltenen personelle Ressourcen nicht über den gesamten<br />
Zeitraum des Verfahrens hinweg zu binden.<br />
bb.<br />
Errichtung einer Ermittlungskommission<br />
Nach diesen – zumeist als recht lästig empfundenen – Vorbereitungen sollte die Er-<br />
mittlungskommission möglichst in örtlicher Nähe zur Staatsanwaltschaft eingerichtet<br />
werden. Bei räumlich gut ausgestatteten Behörden kann es sogar empfehlenswert<br />
sein, wenn den leitenden Beamten ein festes Dienstzimmer zugewiesen wird. Ich<br />
erinnere in diesem Zusammenhang auch gerne an die Möglichkeiten der Staatsan-<br />
waltschaft (§ 163a Abs. 3 StPO), Zeugen zum Erscheinen in unseren Räumen, vor<br />
allem aber zur Aussage zwingen zu können. Es kann dann zumeist den Ermittlern<br />
überlassen bleiben, die Aussage letztlich entgegenzunehmen.<br />
Die erste Aufgabe der Kommission besteht zumeist darin, den bestehenden An-<br />
fangsverdacht zumeist im Rahmen verdeckter Ermittlungen mit Fakten zu belegen,<br />
um auf dieser Grundlage Anträge für weitere eingriffsintensive Maßnahmen stellen<br />
zu können. Spätestens in dieser Phase müssen innerhalb der Kommission die Wei-<br />
chen für das weitere Vorgehen gestellt werden.<br />
Wer ist für die Aktenführung verantwortlich?<br />
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© Oberstaatsanwalt Wolfgang Rahmer, StA Hagen: Handhabung von Großverfahren<br />
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cc.<br />
Welcher Aktenaufbau ist sachdienlich?<br />
Was kann schon heute im Hinblick auf die weitere Sachbearbeitung und Ver-<br />
fahrenserledigung abgearbeitet werden?<br />
Organisation der Aktenführung<br />
Dass die Führung von Akten nicht zu den Lieblingstätigkeiten der meisten Mitarbeiter<br />
zählt, lässt sich leicht nachvollziehen. Allerdings ist die handwerklich sorgfältige Er-<br />
stellung und dabei den rechtlichen Anforderungen genügender Ermittlungsakten<br />
häufig der Schlüssel zum Verfahrenserfolg. Nicht zuletzt die Rechtsprechung der<br />
Obergerichte mit erhöhten Anforderungen an Dokumentation und Akteneinsichts-<br />
rechten macht eine von Beginn an sorgfältige Verwaltung des Ermittlungswissens<br />
unumgänglich.<br />
Als Folge der deshalb häufiger festzustellenden Probleme in Strafverfahren wurde<br />
während der 4. Sitzung der Kommission „Organisierte Kriminalität“ am 07. /<br />
08.11.2000 in Hamburg eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die am 13. /<br />
14.03.2002 ihren Abschlußbericht zur die Standardisierung von Ermittlungsakten mit<br />
einigen durchweg beachtenswerten Vorschlägen vorgelegt hat.<br />
Obwohl eine abschließende Bewertung durch die Länderjustizverwaltungen noch<br />
aussteht, erscheinen mir einige Hinweise und Anregungen dieser Kommission<br />
durchaus geeignet, zur Verbesserung der Bearbeitungsqualität in Großverfahren bei-<br />
zutragen.<br />
Wichtig erscheint der Hinweis der Projektgruppe, bei allen Bemühungen um eine<br />
Standardisierung genügend Raum für flexible Aktenmodelle zu erhalten. Trotz der<br />
weiterhin notwendige Individualität darf allerdings nicht vergessen werden, die Ak-<br />
tenführung wesentlichen Prinzipien und Anforderungen unseres Rechtssystems und<br />
den praktischen Gegebenheiten anzupassen:<br />
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© Oberstaatsanwalt Wolfgang Rahmer, StA Hagen: Handhabung von Großverfahren<br />
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Dem Grundsatz der Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit ist jederzeit<br />
Rechnung zu tragen,<br />
ein Wechsel der Zuständigkeiten bzw. eines oder mehrerer Ermittlungsbeam-<br />
ten kann niemals ausgeschlossen werden,<br />
abgelegtes Schriftgut muss jederzeit auffindbar, der konkrete Ermittlungsstand<br />
für alle (Prozess-) Beteiligten nachvollziehbar sein,<br />
den Einsichtsrechten der Verteidiger ist Rechnung zu tragen,<br />
ein unübersichtlicher Aktenaufbau kann sich auf die Verfügbarkeit von Sach-<br />
beweisen und damit auf die Frage der Haftfortdauer auswirken,<br />
Akten bzw. Aktenbestandteile sind als Grundlage strafprozessualer Maßnah-<br />
men und Entscheidungen dem anordnenden Gericht vorzulegen,<br />
die Nachteile eines unübersichtlichen Aktenaufbaus wirken sich bis in die<br />
Hauptverhandlung (teilweise sogar bis in die Revisionsinstanz) hinein aus.<br />
Auf der Basis einer Literaturauswertung, der Sichtung länderspezifischer Anordnun-<br />
gen sowie einer umfassenden Anhörung von Experten aus dem Bereich von Poilizei,<br />
Zoll und Justiz wird seitens der Kommission ein Aktenaufbau als „Standard“ vorge-<br />
schlagen, der sich weitgehend mit dem von uns in dem von mir vorgestellten Verfah-<br />
ren der EK DON deckt.<br />
Es wird allerdings wohl kaum jemand überraschen, wenn nur in einem Bundesland<br />
halbwegs brauchbare Hinweise / Richtlinien für einen sinnvollen Aktenaufbau in<br />
Großverfahren vorhanden sind. Auch die wenigen gesetzlichen Vorschriften geben<br />
keinerlei Anregungen zu einen dem Verfahrensrecht entsprechenden Aktenaufbau.<br />
Alle befragten Experten sind sich aufgrund eigener Erfahrungen darüber einig,<br />
die Aktenführung zentral bei der Polizei vornehmen zu lassen,<br />
die Akten sind vollständig, logisch und übersichtlich anzulegen (Stichwort: ro-<br />
ter Faden), dabei ist der Verlauf der Ermittlungen nachvollziehbar wiederge-<br />
ben,<br />
Redundanzen sind weitgehend zu vermeiden,<br />
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die Anlage von Personen-, Fall-, Lichtbild- und Spurenakten ist erforderlich,<br />
die Personenakten haben alle Haftunterlagen vollständig zu enthalten,<br />
zur Vereinfachung des jederzeitigen Zugriffs sollen alle Vernehmungsnieder-<br />
schriften in einer gesonderten Vernehmungsakte abgelegt werden.<br />
Ferner ist die Erstellung eines schriftlichen Aktenplans sinnvoll, wenn nicht gar not-<br />
wendig. Verteidiger sprechen sich dafür aus, eine „straff geführte“ Personenakte zur<br />
Gewährleistung der Interessens – und Prozessvertretung vorzuhalten.<br />
Da bundeseinheitliche Regelungen, wie die Richtlinien für das Straf- und Bußgeld-<br />
verfahren wenig Hilfreiches in dieser Hinsicht zur Verfügung stellen, schlage ich Ih-<br />
nen auf der in unserem Verfahren gemachten Erfahrungen unter Berücksichtigung<br />
der Vorschlage der Projektgruppe folgende Aktenführung vor, deren Vorteile ich Ih-<br />
nen bei der Präsentation noch weiter erläutern werde:<br />
Verfahrensakten<br />
Die Verfahrensakten umfassen das gesamte Schriftgut, das nach Abschluss der Er-<br />
mittlungen durch Polizei/Zoll der Staatsanwaltschaft vorgelegt wird. Die Verfahrens-<br />
akten sollten zur Förderung der Übersichtlichkeit in weitere Akten unterteilt werden.<br />
Dazu zählen:<br />
Hauptakte<br />
Die Hauptakte enthält in Chronologie die Gesamtheit aller beweiserheblichen straf-<br />
prozessualen Feststellungen zu Tatbeteiligten und Tatgeschehen, die sich aus dem<br />
objektiven und subjektiven Tatbefund ergeben.<br />
Sie enthält auch Anregungen zu strafprozessualen Maßnahmen, Anträge und ergan-<br />
gene Beschlüsse, Berichte sowie Vermerke zu deren Umsetzung.<br />
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Die Hauptakte ist ein Spiegelbild des staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Han-<br />
delns von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens, über die wesentlichen Ermitt-<br />
lungsergebnisse bis zur Entscheidung über die Anklageerhebung.<br />
Die Hauptakte ist als „roter Faden“ der einzelnen Ermittlungsschritte anzusehen.<br />
Fallakte<br />
Die Fallakte umfasst alle beweiserheblichen Feststellungen zu einer oder mehreren<br />
konkreten Straftat(en) und Tathandlungen mit allen Beziehungen zum Gegenstand<br />
des Verfahrens. Sie dokumentiert Tatabläufe und fasst wesentliche Ermittlungser-<br />
gebnisse zusammen.<br />
Die Führung der Fallakte sollte chronologisch erfolgen. Zur Übersichtlichkeit sollte<br />
ein Inhaltsindex vorangestellt werden.<br />
Personenakte<br />
Die Personenakte dokumentiert die Verdachtslage zu einer bestimmten Person und<br />
die hierzu wesentlichen Feststellungen.<br />
Die Personenakte sollte inhaltlich chronologisch geführt und mit einem vorgehefteten<br />
Inhaltsindex versehen werden. Zum Inhalt sollten u. a. gehören:<br />
- Personenblatt und Lebenslauf<br />
- Registerauszüge<br />
- Vernehmungen<br />
- relevante (Auswerte-) Vermerke<br />
- Beschlüsse<br />
- Haftunterlagen, inkl. Haftüberwachungen (evtl. separates Kapitel)<br />
Unberührt davon bleibt die Führung polizeilicher Personenakten.<br />
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Vernehmungsakte<br />
Die Vernehmungsakte enthält die Sammlung aller im Ermittlungsverfahren durchge-<br />
führten Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen in alphabetischer Reihenfolge der<br />
Personen.<br />
Asservatenakte<br />
Die Asservatenakte ist die Zusammenstellung aller Nachweise über Art, Herkunft,<br />
Verbleib aller Asservate.<br />
Spurenakte<br />
Die Spurenakte ist die Sammlung aller Hinweise, Erkenntnisse und Verdachtsmo-<br />
mente mit zu konkretisierenden Anhaltspunkten zum Ausgangssachverhalt. Sie be-<br />
inhaltet alle Schriftstücke und Vermerke, die geeignet sind, einen Verdacht zu bestä-<br />
tigen oder auszuräumen.<br />
Die einzelnen Spuren sind zu beziffern und mit Erledigungsvermerk zu versehen.<br />
Falls sich der Verdacht erhärtet, wird die Spur Bestandteil der entsprechenden Fal-<br />
lakte.<br />
Firmenakte<br />
Die Firmenakte ist die Dokumentation der Erkenntnisse über firmenrechtliche und<br />
wirtschaftliche Verhältnisse eines Unternehmens.<br />
Unter Firmen sind sämtliche Unternehmen zu verstehen, unabhängig von ihrer Ge-<br />
sellschaftsform. Inhalt der Firmenakte sollte u. a. sein:<br />
- Handelsregisterauszüge<br />
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© Oberstaatsanwalt Wolfgang Rahmer, StA Hagen: Handhabung von Großverfahren<br />
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- Ausdrucke aus Firmendateien<br />
- Registerakten<br />
Lichtbildakte<br />
Die Lichtbildakte besteht u. a. aus Lichtbildmappen, die bei (Wahl-) Lichtbildvorlagen<br />
und Gegenüberstellungen Verwendung finden bzw. zur Identifizierung von Tatbetei-<br />
ligten vorgelegt werden. Auch Fotos von Objekten (Sachen, Örtlichkeiten) können<br />
hier aufgenommen werden.<br />
Vermögensabschöpfungsakte (VA-Akte)<br />
Diese Akte ist die Sammlung aller Erkenntnisse über Herkunft, Umfang und Verwen-<br />
dung von Vermögenswerten als Grundlage für Maßnahmen der verfahrensintegrier-<br />
ten Vermögensabschöpfung.<br />
Die VA-Akte ist personenbezogen anzulegen.<br />
Rechtshilfeakte<br />
Die Rechtshilfeakte ist die Sammlung des im Rahmen internationaler (polizeilicher,<br />
zollrechtlicher, justizförmiger) Rechtshilfe anfallenden Schriftgutes und gibt Übersicht<br />
zu den dazugehörigen Anlagen.<br />
Die Abheftung der Anlagen erfolgt in den entsprechenden themenbezogenen Akten<br />
gemäß Aktenplan.<br />
Kostenakte<br />
Die Kostenakte ist die Sammlung der im Verfahren angefallenen Rechnungen und<br />
Aufwendungen, für die ein Anspruch auf Kostenersatz besteht.<br />
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Bei der Aufnahme von Unterlagen sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass<br />
kriminaltaktische und sonstige sicherheitsrelevante Sachverhalte nicht einfließen,<br />
damit ein Rückschluss auf polizeiinterne Abläufe verhindert wird.<br />
Beweismittelakte<br />
Die Beweismittelakte ist die Zusammenstellung über Art und Herkunft der Sachbe-<br />
weise und ggf. der entsprechenden Auswertungen/Gutachten<br />
Dazu zählen u. a.<br />
- Erkennungsdienst<br />
- Kriminaltechnik<br />
- Auswertevermerke zu Asservaten<br />
Kommunikationsüberwachungsakte (KÜ - Akte)<br />
Die Kommunikationsüberwachungsakte ist die Dokumentation aller Kommunika-<br />
tionsüberwachungsmaßnahmen gemäß §§ 100 a, 100 c, 100i StPO.<br />
Sie enthält die Anregungen, Anordnungen und Beschlüsse der ermittlungsführenden<br />
Dienststelle, der Staatsanwaltschaft und des Gerichts sowie Gesprächs- bzw. Über-<br />
tragungsprotokolle und Gesprächsdaten bzw. Übertragungsdaten.<br />
Postüberwachungsakte (PÜ - Akte)<br />
Die Postüberwachungsakte ist die Sammlung aller Anregungen, Anordnungen und<br />
Beschlüsse über Postbeschlagnahmen gemäß § 99 StPO sowie die Dokumentation<br />
der Maßnahmen und der Auswerteergebnisse.<br />
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Beiakten<br />
Die Beiakten beinhaltet sonstige beigezogene Sachverhalte, die nicht Gegenstand<br />
des Strafverfahrens sind, deren Inhalt jedoch von schuld- und rechtsfolgenrelevanter<br />
Bedeutung sein können.<br />
Beiakten können z. B. Sachakten aus anderen/früheren Verfahren, Konkurs- und<br />
Handelsregisterakten, Akten aus Zivilverfahren, Akten der Ausländerbehörden, des<br />
Sozialamts, der Zoll-, Steuer- oder anderer Behörden sein.<br />
Polizeiliche Ermittlungsakten<br />
Die Polizeilichen Ermittlungsakten sind Kopien der Verfahrensakten zuzüglich des<br />
Schriftgutes, das nach § 96 StPO gesperrt werden kann sowie Aufzeichnungen über<br />
dienstinterne Abläufe und Entscheidungen.<br />
Die Polizeilichen Ermittlungsakten verbleiben bei der Polizei.<br />
Neben den Verfahrensakten in Kopie gehören folgende Akten zu den Polizeilichen<br />
Ermittlungsakten:<br />
Observationsakte<br />
Die Observationsakte ist die Sammlung aller im Zusammenhang mit Observationen<br />
angefallenen Unterlagen und Erkenntnisse. Sie enthält Aufträge für die Durchführung<br />
von Observationen, alle personen- und objektbezogenen Observationsberichte sowie<br />
die in diesem Zusammenhang gefertigten Bilddokumentationen und Aufklärungser-<br />
gebnisse.<br />
Anregungen, Anträge, Beschlüsse und sonstige beweiserhebliche Informationen und<br />
Unterlagen etc. nach §§ 100 c ff, 163, 163 e, 163 f und. StPO sind Bestandteil der<br />
Verfahrensakten.<br />
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Schriftverkehrsakte<br />
Die Akte „Schriftverkehr“ ist die Sammlung des Schriftverkehrs, der nicht Bestandteil<br />
der Verfahrensakten ist, einschließlich des polizeilichen Schriftverkehrs.<br />
Objektakte<br />
Die Objektakte ist die Sammlung aller Erkenntnisse zur Vorbereitung, Durchführung<br />
und Nachbereitung von objektbezogenen Einsatzmaßnahmen, einschließlich sonsti-<br />
ger Aufklärungsergebnisse.<br />
Objekte können sein:<br />
- Grundstücke<br />
- Gebäude<br />
- Wohnungen und sonstige Räume<br />
- öffentlich zugängliche Orte<br />
- Sachen u. ä.<br />
VP-Akte<br />
Die VP-Akte ist die Sammlung aller durch den Einsatz einer VP verdeckt gewonne-<br />
nen Erkenntnisse. Verdeckt gewonnene Erkenntnisse, die für das Verfahren von Be-<br />
deutung sind, werden in die Hauptakte übernommen.<br />
VE-Akte<br />
Die VE-Akte ist die Sammlung aller durch den Einsatz eines VE verdeckt gewonne-<br />
nen Erkenntnisse. Verdeckt gewonnene Erkenntnisse, die für das Verfahren von Be-<br />
deutung sind, werden in die Hauptakte übernommen.<br />
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Grundsatzakte<br />
Die Grundsatzakte ist die Sammlung aller internen Unterlagen über generelle (inter-<br />
ne) Regelungen und Abläufe, Administration zu<br />
- Organisation<br />
- Einsatzmaßnahmen<br />
- Personal<br />
- Material, Logistik<br />
- Haushalt<br />
- dienstrechtliche Verhältnisse u. ä.<br />
Presseakte<br />
Die Presseakte ist die Sammlung und Auswertung aller Medienveröffentlichungen mit<br />
Verfahrensbezug.<br />
dd.<br />
Vorteile dieses „Systems“ für den späteren Verfahrensabschluss<br />
Da unsere Strafprozessordnung erkennbar noch vom Täterbild des 19. Jahrhunderts<br />
ausgeht und Vorstellungen wie arbeitsteilige Tätergruppen mit internationaler und vor<br />
allem grenzüberschreitender Delinquenz ebenso wenig zu kennen scheint, wie Zu-<br />
ständigkeitsprobleme bei wechselnden Tatorten, ist es kaum verwunderlich, wenn<br />
gerade in diesem Bereich ernste /Zuständigkeits-) Probleme auftreten.<br />
Hinzu kommt bei komplexen Tätergruppen wegen der zu erwartenden unterschiedli-<br />
chen Verstrickungen und Tatbeiträge einzelner Beteiligter die Notwendigkeit zu sehr<br />
frühzeitiger Verfahrensdifferenzierung.<br />
Daraus folgt die rechtliche Notwendigkeit - wie im vorgestellten Verfahren mehrfach<br />
geschehen – z.B. „untergeordnete Fahrer“ und Gehilfen oder Abnehmer möglichst<br />
rasch anzuklagen und das Verfahren gegen sie abzutrennen.<br />
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Wohl dem, der im Rahmen der Ermittlungen auf den Tatbestand des § 129 a StGB<br />
zurückgreifen musste und zur Vermeidung von Zuständigkeitsproblemen an eine<br />
Übertragung der Amtsverrichtungen durch den Generalstaatsanwalt (§ 145 Abs. 1<br />
GVG) gedacht hat. Nur auf diesem Wege kann der zuständige Dezernent auch die<br />
Sitzungen vor auswärtigen Gericht selbst wahrnehmen und die Anklage auch gegen<br />
diese im fremden Zuständigkeitsbereich tätig gewordenen Täter selbst erheben.<br />
Welche möglichen Vorteile ein solches „Pilotverfahren“ haben kann, werde ich später<br />
noch darstellen.<br />
3.<br />
Beginn der Ermittlungen<br />
a.<br />
rechtliche Vorüberlegungen<br />
Aufgrund der bestehenden Verdachtslage musste man – wie letztlich auch gerichtlich<br />
festgestellt – von einer im wesentlichen aus Hamburg, Siegburg und Kreuztal ge-<br />
steuerten Tätergruppe ausgehen, die einerseits durch eine recht kleine Gruppe ge-<br />
führt wurde und die zudem aufgrund ihrer ethnischen Herkunft und Kontakte in die<br />
ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes über genügend gute Beziehungen für<br />
eine kaum kontrollierbare internationale Zusammenarbeit verfügte. So stellte es für<br />
die Führung beispielsweise keinerlei Problem dar, an angemietete Transportmittel<br />
aus Drittstaaten zu gelangen, die nicht nur eine recht gute Tarnung hatten, sondern<br />
sich auch einer Beschlagnahme weitgehend entziehen konnten.<br />
Da bereits sprachliche Probleme den offenen Einsatz polizeilicher Ermittler im Um-<br />
feld der Organisation nahezu unmöglich machten, eine offene Observation als allei-<br />
niges Mittel des Tatnachweise ausscheiden musste, kamen nur Maßnahmen nach §<br />
100a StPO in Betracht. Das galt umso mehr, als die Absicht verfolgt wurde, auch in<br />
die führenden Bereiche der Tätergruppe vorzudringen. Ganz allgemein kann man<br />
wohl feststellen, dass „lediglich“ dirigierende und nicht offen auftretende Mitglieder<br />
der Führungsebene mit anderen Mitteln kaum an die Tat herangebracht werden kön-<br />
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nen. Das gilt umso mehr, je weniger sog. „paper – trades“, wie zum Beispiel Konten-<br />
bewegungen hinterlassen werden.<br />
An dieser Stelle hier sei angemerkt, dass ein weiteres Prinzip unserer Strafprozess-<br />
ordnung gerne zum Anlass genommen wird, den Umfang der anzustellenden Ermitt-<br />
lungen einzuschränken. So wurde seitens der Leitung des zuständigen Zollfahn-<br />
dungsamtes unter Hinweis auf das Legalitätsprinzip bereits nach den ersten zwei<br />
observierten und mittels der laufenden Telefonüberwachungsmaßnahmen festge-<br />
stellten Lieferungen der Wunsch an mich herangetragen, den Zugriff alsbald vorzu-<br />
nehmen. Vielleicht war für diese Bitte auch der Umstand von wesentlicher Bedeu-<br />
tung, dass bei jeder Lieferung mindestens 85.000 € Branntweinsteuer dem Fiskus<br />
verloren gingen.<br />
Es bedurfte in dieser Phase schon des sehr deutlichen Hinweises auf die sich ab-<br />
zeichnenden Probleme bei der späteren gerichtlichen Umsetzung der Ermittlungser-<br />
gebnisse, bevor das Verfahren uneingeschränkt weitergeführt werden konnte. Man<br />
musste nämlich davon ausgehen, gerade den führenden Gruppenmitgliedern straf-<br />
rechtlich relevantes Handeln kaum in einem dem persönlichen Schuldumfang ent-<br />
sprechenden Maße nachweisen zu können.<br />
Mit ausschlaggebend dürfte allerdings das Argument gewesen sei, dass der für not-<br />
wendig gehaltene Aufschub des Zugriffs nicht notwendigerweise mit einem Verlust<br />
der Steuereinnahmen verbunden sein würde. Spätere Steuerbescheide mit entspre-<br />
chenden Einnahmen haben diese Annahme bestätigt.<br />
b.<br />
Erstellen eines Aufgabenkataloges<br />
Um die anfallenden Arbeiten besser organisieren zu können, wurden innerhalb der<br />
Ermittlungskommission Aufgaben verteilt und zu besseren Kontrolle Kataloge mit den<br />
einzelnen Zuständigkeiten erstellt.<br />
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© Oberstaatsanwalt Wolfgang Rahmer, StA Hagen: Handhabung von Großverfahren<br />
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lfd. Nr.<br />
Aufgabe zuständig zu erledigen<br />
1 Aktenführung ZOI Lahann <br />
2 Erfassung der TÜ – Daten ZOI Reichling <br />
3 Erfassung der Fundstellen ZOI Lahann 15.01.1998<br />
4 Bewertung der Erkenntnisse ZOI Reichling / OStA Rahmer 15.01.1998<br />
5 Fragen des Zollkodex ZOI Reichling <br />
6 Vernehmungen SB ZFA 15.01.1998<br />
7 Sammlung der beteiligten (Schein-)<br />
Firmen<br />
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bis<br />
ZOI Lahann <br />
8 Einsatz Dolmetscher SB ZFA <br />
9 Asservatenverwaltung einschl. Ver-<br />
bleibnachweise<br />
SB ZFA <br />
10 Kontakte zur UCLAF ZKA Köln <br />
11 Rechtshilfe OStA Rahmer 30.12.1997<br />
12 Übertragung nach § 145 GCG OStA Rahmer <br />
13 rechtliche Prüfungen OStA Rahmer <br />
14 Kontaktaufnahme Gs-Richter OStA Rahmer <br />
15 Kontaktaufnahme Sondereinsatz-<br />
kräfte der Polizei<br />
16 Erstellung eines Einsatzplanes zum<br />
Zwecke des Zugriffs<br />
OStA Rahmer, Leiter ZFA <br />
ZOI Reichling <br />
17 Übersichten - Schaubilder OStA Rahmer <br />
18 Vermögensermittlungen SB HZA <br />
19 Steuerbescheide Leiter HZA Zugriff<br />
20 Vorbereitung Arreste Leiter Hauptzollamt <br />
21 Personalmanagement – Abordnungen Leiter Zollfahndung <br />
22 Bereitstellung Technik ZKA Köln <br />
23 Akteneinsicht an Verfahrensbetei-<br />
ligte<br />
ZOI Reichling nach Entschei-<br />
dung OStA Rahmer<br />
24 Vordrucke Verfahrensabtrennung OStA Rahmer Zugriff<br />
25 Vorbereitung Abschüsse nach § 417<br />
StPO<br />
OStA Rahmer
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lfd. Nr.<br />
Aufgabe zuständig zu erledigen<br />
26 Vorstrafenakten – Registerauszüge Geschäftsstelle StA 15.01.1998<br />
27 Umfangreiche Kopierarbeiten Druckerei LG <br />
28 Planung Auslandsdienstreisen StA Hagen / OStA Rahmer <br />
c.<br />
Vorermittlungen und Beginn der Telefonüberwachungsmaßnahmen (§ 100a StPO)<br />
Schon nach den ersten gezielten Ermittlungen, die sich im wesentlichen auf vorsich-<br />
tige Observationen, zollinterne Feststellungen und aktenmäßige Überprüfungen der<br />
Tatverdächtigen beschränken mussten, wurde alsbald deutlich, dass sich das auf<br />
dem Schaubild dargestellte Organisationsschema verfestigte. Zudem konnten von<br />
den Tätern aufgebebene Lagerstätten vorsichtig überprüft und dabei einzelne sächli-<br />
che Beweismittel wie Flaschenlabel, Verpackungsmaterialen und einzelne Zettel mit<br />
Telefonnummern sowie sonstigen Hinweisen aufgefunden werden.<br />
Allein die sichergestellten Gebinde bewiesen zudem, dass der aufgefundene Alkohol<br />
nicht verkehrsfähig war und schon deshalb aus illegalen Quellen stammen musste.<br />
Als hilfreich für die späteren Maßnahmen erwies sich das Vorhandensein von Her-<br />
stellerbezeichnungen aus Frankreich, Spanien und Italien.<br />
Speziell diese Funde gaben nämlich die Möglichkeit, über eine personell sehr üppig<br />
ausgestattete Stelle der Europäischen Union in Brüssel unauffällig Nachforschungen<br />
in den jeweiligen Mitgliedsländern anstellen zu lassen. Noch während der Vorberei-<br />
tung der TÜ – Anträge konnten somit erste Erkenntnisse verwertet werden.<br />
Den Anträgen zur Erlangung von Beschlüsse der Überwachung von Fernmeldean-<br />
schlüssen wurde große Sorgfalt geschenkt. Nicht zu unrecht wird seitens der Vertei-<br />
diger häufig der Vorwurf erhoben, dass der Tatbestand der kriminellen Vereinigung in<br />
diesem Bereich der Eingriffsermittlungen nahezu inflationär zum Einsatz kommt.<br />
Um späteren Vorwürfe entgegenzuwirken und Verwertbarkeitsproblemen vorzubeu-<br />
gen, bedurfte es der sachgerechten Zusammenfassung gewonnener Erkenntnisse.<br />
Die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes konnte ebenso wenig ausreichend sein,<br />
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bis
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wie die verfahrensunabhängige Aneinanderreihung von kriminologischen Gemein-<br />
plätzen.<br />
Praktische Schwierigkeiten stellten sich später in der Form dar, dass die tatsächli-<br />
chen Nutzer häufig nicht mit den angemeldeten Betreibern eines Fernsprechan-<br />
schlusses identisch waren. Als günstig stellte sich dagegen heraus, dass auch Tele-<br />
faxnummern überprüft und aufgezeichnet werden konnten.<br />
In dieser Phase der Ermittlungen bestanden die zu bewältigenden Hauptaufgaben in<br />
d.<br />
zeitnaher Auswertung der eingehenden Gespräche und Telefaxe<br />
kurzfristige Umstellung auf weitere Anschlüsse<br />
Erfassung der Beschlüsse und der Abhörzeiten<br />
Kontrolle der Mitteilungspflichten (§ 100b Abs. 4 StPO – Richter und Be-<br />
troffener)<br />
Koordinierung der sonstigen Ermittlungen und Observationen mit dem Er-<br />
gebnis der TÜ – Maßnahmen<br />
Kontaktaufnahme zu Behörden der EU<br />
Vorbereitung des Zugriffs und der Anträge nach §§ 102 ff., 112 StPO<br />
Abschluss anfallender Nebenverfahren<br />
Daneben mussten erste anfallende Verfahren erledigt werden. Hauptgründe für die-<br />
ses Erfordernis war die Erlangung von zusätzlichen sächlichen Beweismitteln und die<br />
Ermittlung späterer Tatzeugen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht möglichst<br />
nicht mehr zur Verfügung stand. Zudem stellte die Gruppe der Abnehmer einen un-<br />
abdingbaren Bestandteil des Gesamttatplanes dar. Auch aus ermittlungstaktischen<br />
Gründen bot sich ein Aufgriff einzelner Abnehmer gleich in mehrfacher Hinsicht an.<br />
Beispielweise hätte eine völlige Untätigkeit der Ermittlungsbehörden nur Misstrauen<br />
bei den Tätern selbst verursacht. Ferner gab der einzelne Aufgriff die Möglichkeit, die<br />
veräußerte Bannware zu untersuchen und steuerrechtlich zu klassifizieren.<br />
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Um nicht zu viel Zeit mit diesen „Ablegern“ zu versäumen, wurden Zugriffe nur in un-<br />
serem Zuständigkeitsbereich vorgenommen. Fern des eigentlichen Tatortes war es<br />
aus der Sicht der Täter auch nur logisch, dass ein wenig „Schwund“ eintrat. Zudem<br />
war man nach den ersten, für sie folgenlosen Aufgriffen nur umso sicherer.<br />
Aus diesen Gründen wurden besonders auffällig be- oder überladene Fahrzeuge von<br />
normalen „Verkehrspolizisten“ kontrolliert und nach Feststellung des Sachverhaltes<br />
der örtlichen Zollfahndungsbehörde übergeben.<br />
Eine eigens erstellte Tabellenkalkulation sowie formularmäßige Vordrucke erleich-<br />
terten die umgehende Aburteilung innerhalb weniger Tage. Zum Glück waren wegen<br />
der Sonderzuständigkeit für Abgabedelikte beim Amtsgericht in Hagen ausschließlich<br />
zwei Richter zuständig, die derartigen Schnellverfahren ohnehin aufgeschlossen ge-<br />
genüber standen.<br />
e.<br />
Erledigung von Verfahrensroutinen:<br />
Aufgrund unserer Vorermittlungen stand fest, dass wir nach dem Zugriff auf eine<br />
größere Zahl von Bankauskünften würden zurückgreifen müssen. Um den Arbeits-<br />
aufwand in Grenzen zu halten und andererseits die bekannte Zurückhaltung einiger<br />
Banken in schiere Auskunftsfreude zu verwandeln, haben wir Anfragevordrucke ent-<br />
wickelt, die zu einer merklichen Effizienzsteigerung geführt haben.<br />
4.<br />
Vorbereitungen des Zugriffs<br />
a.<br />
Wenn Sie die Dimensionen des vorgestellten Verfahrens vergegenwärtigen, wird un-<br />
schwer nachvollziehbar, welche logistischen Vorbereitungen im Hinblick auf den ei-<br />
gentlichen Zugriff zu treffen waren. Aufgrund der sich ständig steigernden Aktivitäten<br />
der Gruppe kam hinzu, dass permanent mit weiteren Lieferungen und deshalb mit<br />
einer nicht gerade stationären Lage bei dem Zugriff zu rechnen war.<br />
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Auf der Basis dieser Annahmen wurde der 12.08.1997 als Tag des Zugriffes festge-<br />
legt.<br />
b.<br />
Während ein Teil der Kommission mit organisatorischen Aufgaben, insbesondere der<br />
Erstellung eines Einsatzplanes beschäftigt war, wurden vom Leiter und mir die zu<br />
beantragenden Beschlüsse und Haftbefehle vorbereitet. Schon aufgrund des enor-<br />
men Aktenmaterials gingen die Anträge nach vorheriger Ankündigung beim örtlich<br />
zuständigen Haftrichter (§ 162 Abs. 1 S. 2 StPO) ein. Nicht zuletzt wegen der seit<br />
Jahren in der Rechtsprechung festzustellenden Tendenzen wurde Wert auf die Fest-<br />
stellung gelegt, welche Akten genau dem Gericht bei seiner Prüfung zur Verfügung<br />
standen. So wurden in den Begleitverfügungen zu den einzelnen Anträgen die Akten<br />
akribisch aufgelistet. Aufgrund früherer Erfahrungen im Zusammenhang mit umfäng-<br />
lichen Verfahren wurden die Vorwürfe in den Haftbefehlsentwürfen sehr dezidiert und<br />
für die Verteidiger wenig angreifbar gestaltet. Schon beim ersten Lesen der Vorwürfe<br />
sollte den Verteidgern klar werden, dass mit einfachen, unbegründeten Haftprü-<br />
fungsanträgen und –beschwerden wenig zu erreichen sein würde.<br />
Wie Sie dem vorliegenden Beispiel entnehmen können, umfassten die Haftbefehle<br />
zumeist mehr als 4 Seiten.<br />
Gegenüber dem Haftrichter halfen bei der Umsetzung folgende Umstände:<br />
die Akten und deren Systematik waren aufgrund ihrer Vorlage zur Erlangung<br />
von TÜ – Beschlüssen bekannt,<br />
die damals vorgetragenen kriminalistischen Annahmen und Verdachtsmo-<br />
mente hatten sich zwischenzeitlich wesentlich verstärkt,<br />
wesentliche Ergebnisse der Ermittlungen waren in Vermerken aufbereitet und<br />
niedergelegt worden,<br />
es wurde angeboten, bei Rückfragen oder Unstimmigkeiten sofort Auskunft zu<br />
geben,<br />
die vorgelegten Entwürfe sollten jederzeit den Vorstellungen des Richters ent-<br />
sprechend geändert und sodann nach Billigung ausgefertigt werden.<br />
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c.<br />
Da zwischenzeitlich das eigentliche Oberhaupt der Organisation bei einer „Dienstrei-<br />
se“ nach Russland von den dortigen Behörden festgenommen worden war, ergab<br />
sich eine weitere Quelle für interne Informationen. So wickelte die in Deutschland<br />
verbliebene und nunmehr anstelle ihres Mannes agierende Ehefrau den Kontakt zu<br />
dem in Moskau verweilenden Anwalt ihres Mannes ausschließlich per Telefax ab.<br />
d.<br />
Insgesamt erließ das Amtsgericht Hagen gegen 16 Personen Haftbefehle; außerdem<br />
ordnete das Gericht die Durchsuchung von mehr als 50 Wohnungen, Lagern und<br />
Geschäftsräumen in mehr als 20 Städten der Bundesrepublik an. Nicht zuletzt auf-<br />
grund der antiquierten Vorschrift des § 110 Abs. 1 StPO hatte dies zur Folge, dass<br />
zur Vermeidung von Verwertungsfragen zu den wichtigsten 15 Durchsuchungsorten<br />
Staats- und Amtsanwälte zu entsenden waren. Um nicht zu viele Personen in diesem<br />
kritischen Verfahrensstand in die Vorbereitungen einbeziehen zu müssen, wurden<br />
die Durchsuchungsobjekte erst am Tage vor dem Zugriff zugeteilt. Notwendige<br />
Dienstreisegenehmigungen erließ der damalige Behördenleiter in einer Sammelver-<br />
fügung erlassen.<br />
5.<br />
Der Zugriff<br />
a.<br />
Wie es der Zufall wollte, beschlossen die Täter auch in der Nacht vor dem Zugriff<br />
einen Transport abzuwickeln. Durch die TÜ war bekannt geworden, dass mehrere<br />
der festzunehmenden Hauptverdächtigen im Raume Ostwestfalen / Paderborn un-<br />
terwegs sein würden. Da wir per Fax sowohl den Treffpunkt des Fahrers mit den Ab-<br />
nehmern auf der A 2 als auch die vereinbarte Zeit kannten, sahen wir uns mit dem<br />
Problemen konfrontiert, möglicherweise zusätzliche Beschuldigte „verarzten“ zu<br />
müssen und zudem eine mobile Lage zu haben.<br />
Während das SEK den ausgemachten Lagerort weiträumig absicherte und sich für<br />
den eigentlichen Zugriff bereithielt, sorgten andere Beamte für zeitliche Verzögerun-<br />
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gen. Letztlich gelang es die Täter soweit aufzuhalten, dass der eigentliche Ablage-<br />
vorgang im Lager erst gegen 5.00 Uhr seiner Vollendung entgegen ging.<br />
Um die für 6.00 Uhr geplanten gemeinsamen Zugriffe nicht zu gefährden, wurde das<br />
Lager in Paderborn – Elsen vom SEK in einer Weise eingenommen, die weder die<br />
Möglichkeit der Flucht noch die Aufnahme eines telefonischen Kontaktes erlaubte.<br />
Sämtliche bei den Tätern aufgefundenen Handys wurden umgehend ausgeschaltet.<br />
Da die Gegend ohnehin nicht übermäßig gut mit Sendemasten versehen waren, fiel<br />
dies bei nachfolgenden Kontaktaufnahmeversuchen der Führungsmitglieder nicht<br />
auf. Insgesamt wurden in der Scheune neben dem Fahrer vier weitere aufgrund vor-<br />
liegender Haftbefehl zu inhaftierende Beschuldigte sowie weitere 6 als Abladehelfer<br />
eingesetzte Tatverdächtige festgenommen.<br />
b.<br />
Da die übrigen Aktionen in Norddeutschland, Niedersachsen, <strong>Nordrhein</strong> – <strong>Westfalen</strong><br />
und Hessen von den im Einsatzplan festgelegten Mitarbeitern abgewickelt wurden,<br />
ergab sich nur im Hinblick auf die aktuelle Lage in Paderborn – Elsen die Notwendig-<br />
keit sofortigen Eingreifens. Es zeichnete sich bei einigen Beteiligten der nicht vorher-<br />
gesehene Erlass von Haftbefehlen ab; andererseits bestand die Möglichkeit, einzelne<br />
untergeordnete Teilnehmer zu geständigen Einlassungen zu bewegen, zumal min-<br />
destens zwei Personen noch den Status eines Heranwachsenden hatten. Als we-<br />
sentliches Argument bei den nicht gerade einfachen Vernehmungen wirkte sich der<br />
Hinweis auf etwaige führerscheinentziehende Maßnahmen der mit eigenen Fahrzeu-<br />
gen zum Tatort angereisten Tatverdächtigen aus. So gelang es immerhin, fünf von<br />
sechs Personen noch am selben Tage von den Vorteilen eines von Reue getragenen<br />
Geständnisses zu überzeugen. Auch der Hinweis auf eine mögliche eigene Haftung<br />
für den entstandenen steuerlichen Schaden führte durchaus zur Steigerung der Aus-<br />
kunftsfreudigkeit.<br />
Während eine weitere Person dem Haftrichter in Paderborn vorgeführt werden<br />
musste – sie brauchte 10 Tage bis zum Geständnis -, erreichten uns die Ergebnisse<br />
der übrigen Maßnahmen. Insgesamt waren mit Ausnahme einer Person, die auch<br />
heute noch regelmäßig anfragt, wann sie wieder in die Bundesrepublik einreisen<br />
darf, alle Tatverdächtigen festgenommen worden.<br />
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Neben einer Vielzahl von Frachtdokumenten, Kontoauszügen und Bargeld, konnten<br />
mehrere Schusswaffen, darunter Maschinenpistolen und Munition gefunden werden.<br />
Aufgrund der bestehenden Arrestanordnungen wurden Konten beschlagnahmt und<br />
zwei Sicherungshypotheken angebracht werden. Daneben wurden drei hochwertige<br />
Fahrzeuge für den Fiskus sichergestellt.<br />
Alles Maßnahmen, die sich – wie man später feststellen konnte – mittelbar auch auf<br />
das Engagement von Verteidigern auswirkten.<br />
6.<br />
Nach dem Zugriff<br />
a.<br />
Da der Haftrichter unseres Bezirkes unmissverständlich zum Ausdruck gebracht<br />
hatte, dass etwaige Haftverschonungen nur von ihm ausgesprochen werden würden,<br />
gab es bei der Vorführung der Beschuldigten kaum nennenswerte Probleme. Aus-<br />
schlaggebend dafür dürften unter anderem die sehr umfänglichen Haftbefehle mit<br />
einer für die meisten Gs – Richter wenig bekannten Materie gewesen sein. Probleme<br />
ergaben sich für die Verteidiger aus dem Umstand, dass ihre Mandanten wegen der<br />
Anhängigkeit des Verfahrens in Hagen über einige Zeit auf dem Transport waren und<br />
nach ihrem Eintreffen in unserem Bundesland alsbald wieder getrennt untergebracht<br />
wurden.<br />
b.<br />
Vorteilhaft erwies sich auch der Umstand, dass die TÜ – Maßnahmen einige Tage<br />
über den Zeitpunkt der Festnahme hinweg aufrecht erhalten wurden. Maßgeblich<br />
hierfür war der Umstand, dass weitere Tatverdächtige zu ermitteln waren und minde-<br />
stens ein Beschuldigter sich auf der Flucht befand.<br />
So konnten wir den Nachweis führen, dass ein in Hamburg ansässiger Anwalt daran<br />
beteiligt war, Vermögensgegenstände vor dem Zugriff zu retten. Zudem hatte er sich<br />
bereit erklärt, einen Kassiber in die JVA Essen zu seiner Mandantin zu schmuggeln.<br />
Eine daraufhin sofort von mir vorgenommene, richterlich angeordnete Durchsuchung<br />
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der Zelle der Beschuldigten förderte auch entsprechendes Material zutage, das zu-<br />
dem den Vorteil hatte, die geplante Verteidigungsstrategie aufzuzeigen.<br />
c.<br />
Ein per Fax an den Anwalt übermitteltes Schreiben unter Hinweis auf § 138 a Abs. 1<br />
Nr. 1 und 3 StPO führte alsbald zu einem Wechsel in der Verteidigung. Da wir schon<br />
einmal in der JVA waren, haben wir bei der Gelegenheit auch das auf dem Anstalts-<br />
konto eingezahlte Geld der Gefangenen mitgebracht und hierdurch einen Teil ihrer<br />
Schulden gegenüber den Finanzbehörden getilgt. Diese Methode hat sich auch zu<br />
späteren Zeitpunkten nach Eigengeldanfragen bei mehreren Beschuldigten bewährt.<br />
7.<br />
Ermittlungen nach dem Zugriff<br />
a.<br />
Da mit den beteiligten Finanz- und Ermittlungsbehörden eine wesentliche personelle<br />
Verstärkung der Kommission um den Zeitpunkt des Zugriffs herum vereinbart werden<br />
konnte, wurden auf der Basis des erstellten Aufgabenkataloges die einzelnen Maß-<br />
nahmen kontinuierlich abgearbeitet. Die ersten Anstrengungen galten den sicherge-<br />
stellten Beweismittel und ihrer verfahrensbezogenen Auswertung. Um die relevanten<br />
Umstände der Gesamtkommission zugänglich zu machen, wurden die wesentlichen<br />
Beweisstücke in einem Auswertungsvermerk im einzelnen bezeichnet und beurteilt.<br />
Alle Asservate wurden auf der Grundlage der Durchsuchungsprotokolle aufgelistet<br />
und nach Möglichkeit sofort bestimmten Beschuldigten zugeordnet.<br />
Eine weitere Gruppe der Ermittler konnte zu Vernehmungen der Tatzeugen einge-<br />
setzt werden, wobei die Grenze zu Beschuldigtenvernehmungen stets fließend ver-<br />
lief.<br />
In sogenannten Frühbesprechungen, an denen der Unterzeichner wegen der räumli-<br />
chen Entfernung nur unregelmäßig teilnehmen konnte, wurde der allgemeine Kennt-<br />
nisstand aktualisiert.<br />
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Die Auswertungen selbst und die von der Leitung der Kommission erstellten Vermerk<br />
dienten der Vorbereitung zu erwartender Haftprüfungen sowie der später zu erstel-<br />
lenden Anklageschrift.<br />
b.<br />
Parallel und angereichert durch zahlreiche aufgefundene Unterlagen konnten der<br />
internationale Rechtshilfeverkehr vorangetrieben werden.<br />
Während beim zuständigen Ermittlungsrichter in Hagen die Durchsuchungsbe-<br />
schlüsse für die an den Lieferungen beteiligten Firmen in Spanien, Frankreich und<br />
Italien beantragt wurden, konnte der Rechtshilfedezernent der Staatsanwaltschaft die<br />
entsprechenden Ersuchen mit Dringlichkeitsvermerk über den diplomatischen Weg<br />
weiterleiten.<br />
Letztlich dürfte allerdings die Einschaltung der Europäischen Union (Dez.: UCLAF)<br />
eine wesentliche Ursache dafür gewesen sein, dass die Reaktionen aus fast allen<br />
angesprochenen Staaten sehr prompt kamen. So gestatteten die französischen Fi-<br />
nanzbehörden die Ermittlungen auf der Ebene des Zolles. Deutsche Beamte der<br />
Zollfahndung durchsuchten die beteiligten Spirituosenfirmen in der Champagne.<br />
Nunmehr war es erstmals möglich, den Weg der Spirituosen mit urkundlichen Be-<br />
weismitteln vollständig zu dokumentieren. Auch zeigte sich – was für die steuerliche<br />
Behandlung der Angelegenheit von enormer Wichtigkeit war -, dass die Täter die<br />
Ausfuhrvermerke und Stempel total gefälscht hatten. Teilweise waren abgelaufenen<br />
Dienstsiegel zur Anwendung gekommen. In anderen Fällen griff man auf die grafi-<br />
schen Fähigkeiten von Scannern zurück. Die beteiligten Firmen ahnten zu diesem<br />
Zeitpunkt regelmäßig noch nichts von den aus sie zu kommenden Steuerbescheiden.<br />
Während Spanien sich in punkto Rechtshilfe völlig bedeckt hielt, gestattete Italien die<br />
Durchsuchung in mehreren Gerichtsbezirken. Leider mussten aufgrund fehlender<br />
Koordination der beteiligten italienischen Gerichte zwei separate Reisen angetreten<br />
werden. Außerdem bestand man hier auf der Anwesenheit des ermittelnden Staats-<br />
anwaltes.<br />
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Die Maßnahmen selbst gestalteten sich dank der ungewöhnlich weit gehenden Be-<br />
fugnisse der italienischen „Guardia die Financia“ als sehr effektiv. Der für uns zu-<br />
ständige Ermittlungsrichter wies bei unserem Kontaktbesuch auf die stets korrekte<br />
Arbeit der deutschen Justiz hin und entschied, dass wir sicherlich ohne seine Hilfe<br />
auskommen würden und sichergestellte Beweismittel unmittelbar an uns übergeben<br />
werden sollten.<br />
Die in Italien gewonnenen Erkenntnisse erwiesen sich für unser Verfahren schon<br />
deshalb als besonders bedeutsam, weil sie die zeitlich letzten Lieferungen mit den<br />
größten Teilmengen betrafen. Zudem hatten die Italiener besonders akribisch die<br />
Personalien der beteiligten Fahrer, die Kennzeichen der Fahrzeuge und die Zeiten<br />
der Abfahrt notiert. In nicht wenigen Fällen waren die Ausweise der beteiligten Fahrer<br />
kopiert und mit dem Vorgang verbunden worden.<br />
c.<br />
Nachdem sich die Aufregung der Zugriffsmaßnahmen ein wenig verzogen hatten,<br />
traten die ersten Verteidiger mit dem Wunsch nach Akteneinsicht an uns heran. In<br />
Anbetracht der gesetzlichen Regelung des § 147 Abs. 1, 4 StPO haben wir uns be-<br />
müht, eine stets aktuelle Täterakte zur Verfügung zu haben. Da sich für den Tatvor-<br />
wurf wesentliche Umstände aber aus zahlreichen Asservatenbänden, Protokollen der<br />
Telefonüberwachung und Fallakten ergaben, wurden die Verteidiger unter Hinweis<br />
auf die Notwendigkeit der zügigen weiteren Ermittlungen gebeten, diese Bestandteile<br />
des Verfahrens in den Räumen der Kommission einzusehen. Diese von allen (20)<br />
beteiligten Anwälten akzeptierte Verfahrensweise hatte den Vorteil, dass man sich<br />
seitens der Verteidigung recht schnell über das Verfahren informieren konnten und<br />
zudem ein erster Kontakt zu der Kommission und mir hergestellt wurde.<br />
Es wird Sie möglicherweise verwundern, aber diese Verfahrensweise sowie die recht<br />
umfangreichen und inhaltlich wenig angreifbaren Vorwürfe der Haftbefehle dürften<br />
eine wesentliche Ursache für die lediglich in drei Fällen gestellten Anträge auf Haft-<br />
prüfung gewesen sein. Diese endeten in zwei Fällen mit der Rücknahme des Antra-<br />
ges, nachdem der Haftbefehl aufgrund der zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnis-<br />
se zudem erweitert wurde.<br />
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Lediglich ein Verteidiger sah sich veranlasst, das Beschwerdegericht anzurufen. Ne-<br />
ben der Rückweisung der Beschwerde erreichte er lediglich eine weitere Bestätigung<br />
des von uns angenommenen dringenden Tatverdachtes.<br />
Bei der Vorbereitung der Haftprüfungstermine wurde große Sorgfalt auf die korrekte<br />
Wiedergabe des Tatverdachtes unter Einbeziehung der neuen Erkenntnisse gelegt.<br />
In Anlehnung an die gestiegenen Forderungen der Rechtsprechung zur Aktenvorla-<br />
gen (vgl. z.B.: BGH in NStZ, 1983, 228; EGMR in StV 1993, 283 f.; AG Frankfurt in<br />
StV 1993, 33; AG Kamen in StV 1995, 476 und 2002, 315) wurden sämtliche Verfah-<br />
rensakten zeitnah dem Gericht vorgelegt, wobei der jeweilige Transport nicht uner-<br />
heblich Umfang annahm. Wir haben auch gegenüber dem Gericht von Beginn an<br />
klargestellt, dass Bedenken gegen eine Einsicht dieser Akten im gerichtlichen Be-<br />
reich durch den einzelnen Verteidiger nicht bestehen. Um die von uns gewählte Form<br />
der Vorlage zu dokumentieren, wurden alle Akten unter ihrer korrekten Bezeichnung<br />
in die Stellungnahme zum Haftprüfungstermin aufgenommen.<br />
Dieser nicht gerade geringe Aufwand hat uns nicht nur für etwaige Folgeanträge viel<br />
Arbeit erspart; er hat unseres Erachtens auch etwaigen Begehrlichkeiten auf Entlas-<br />
sung aus der Untersuchungshaft entgegengewirkt.<br />
d.<br />
Die seitens der Verteidiger gemachten Erfahrungen, speziell die in der Schadenshö-<br />
he enorme Ausweitung der Ermittlungen auf frühere Zeiträume, vielleicht auch die<br />
nun fehlenden Einnahmen und die Beschlagnahme von Vermögenswerten führten<br />
wohl auch dazu, dass bereits erste „Friedensangebote“ gemacht wurden. Diese wur-<br />
den größtenteils auch weiter aufrecht erhalten, als klar wurde, dass wegen der wei-<br />
terhin anzunehmenden Flucht- und Verdunkelungsgefahr mit einem „Geständnis“<br />
nicht notwendigerweise eine Haftverschonung verbunden war. Da der Hauptverant-<br />
wortliche in Russland in Haft war, sahen anderseits einzelnen Ebenen des „mittleren<br />
Managements“ die Chance gekommen, ihre Beteiligung in einem besseren Lichte<br />
erscheinen zu lassen. Vielleicht wirkte sich dabei auch aus, dass die Gruppe selbst<br />
nicht immer loyal agiert hatte und alte Rechnungen beglichen werden konnten.<br />
Die Vernehmungen, die zunächst nach dem bekannten Psychologen – Motto „Wir<br />
haben mal darüber gesprochen“ verliefen, konnten erst nach immer wieder neuen<br />
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Vorhalten aus TÜ und Beweisstücken in das rechte „Fahrwasser“ gebracht werden.<br />
Von sogenannten „Auswertern“ innerhalb der Kommission wurden die Aussagen<br />
auch auf ihre Bedeutung für andere Tatbeteiligte überprüft und als Ablichtung zu de-<br />
ren Täterakten übernommen.<br />
Aufgrund der erst später eingegangenen Unterlagen aus Italien und Frankreich wur-<br />
den abschließende Vernehmungen durchgeführt, die – nach intern abgesprochener<br />
Verfahrensbeschränkung nach §§ 154, 154a StPO – dann eine wesentliche Grund-<br />
lage für die Anklage darstellten. Die Masse der nachzuweisenden Straftaten gestat-<br />
tete es auch, nur umfänglich dokumentierte Lieferungen in die Anklage aufzuneh-<br />
men.<br />
d.<br />
Als eine Herausforderung der besonderen Art stellte sich die zeugenschaftliche Ver-<br />
nehmung der zwischenzeitlich im beschleunigten Verfahren rechtskräftig verurteilten<br />
Abnehmer dar. Um erst keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen, erfolgte<br />
die Ladung dieser Zeugen zur Staatsanwaltschaft. Es bedurfte schon eines besonde-<br />
ren Zuspruchs und der mehrfachen Androhung rechtlich möglicher Folgen, um sehr<br />
spröde Angaben aus den Beteiligten heraus zu locken. Die anwesenden Verteidiger<br />
gaben sich alle erdenkliche Mühe, ihren Mandanten den Rücken zu stärken. Mehr-<br />
fach führte erst das mit dem Haftrichter geführte Gespräch zu einer Änderung des<br />
Aussageverhaltens.<br />
f.<br />
Die bei solchen Verfahren routinemäßig ablaufenden Arbeiten habe ich weitgehend<br />
vorbereitet und mit deren Ausführung den Leiter der Kommission beauftragt. So la-<br />
gen dort von mir unterschriebene und gesiegelte Besuchserlaubnisse ebenso vor,<br />
wie sog. Ausantwortungsgenehmigungen, damit Gefangene zur Vernehmung außer-<br />
halb der Haftanstalten verbracht werden konnten. Die Verwendung dieser Vordrucke<br />
erfolgte zumeist nach Absprache bzw. bei fehlenden Kontaktaufnahmemöglichkeiten<br />
im vorausgesetzten Einverständnis.<br />
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Es war ohnehin vereinbart, dass Besuche von Angehörigen nur im Beisein eines Be-<br />
amten der Kommission und in deutscher Sprache stattfinden durften. Nur bei völlig<br />
fehlenden deutschen Sprachkenntnissen wurde seitens der Ermittlungsbehörden ein<br />
Dolmetscher gestellt.<br />
8.<br />
„Pilotanklage“ zum AG / LG Paderborn<br />
Da bei dem Zugriff am 12.08.1997 auch ein beteiligter Fahrer festgenommen worden<br />
war, dem man zunächst „nur“ eine Beteiligung an zwei Lieferungen nachweisen<br />
konnten, wurde in Anbetracht des besonderen Bescheunigungsgebotes in Haftsa-<br />
chen entschieden, diesen Verfahrenskomplex beim AG Paderborn anzuklagen.<br />
Letztlich wurde das Verfahren von der Wirtschaftstrafkammer des LG übernommen.<br />
Die im November 1997 erhobene Anklage konnte bereits im Dezember des selben<br />
Jahres verhandelt werden. Obwohl die Kammer sich aufgrund der Einlassung des<br />
Angeklagten letztlich nur zu einer Verurteilung aus dem Grundtatbestand der Steuer-<br />
hinterziehung in der Lage sah, setzte die erkannte (Einzel-) Strafe von 2 Jahren pro<br />
Fahrt durchaus Maßstäbe auch für das laufende Verfahren. Das galt umso mehr, als<br />
die vom Angeklagten eingelegte Revision vom Bundesgerichtshof wenige Monate<br />
später, noch vor der Hauptverhandlung gegen die Haupttäter, nach § 349 StPO als<br />
offensichtlich unbegründet verworfen wurde.<br />
9.<br />
Erhebung der Anklage<br />
Jeder Dezernent, der vor der Aufgabe steht, ein solch umfangreiches Verfahren ab-<br />
zuschließen, wird glücklichere Momente in seinem Leben gehabt haben. Wir hatten<br />
uns zum Ziel gesetzt, rechtzeitig vor dem 6 – Monats – Haftprüfungstermin die An-<br />
klageschrift beim Gericht vorzulegen.<br />
Die Erfahrung zeigt, dass bei derartig komplexen Verfahren Probleme mit einer An-<br />
ordnung der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus regelmäßig dann nicht<br />
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bestehen, wenn wegen der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes den<br />
Senaten des Oberlandesgerichtes eine Perspektive über den weiteren Verfahrens-<br />
verlauf unterbreitet werden kann. Das gleichzeitige Haftprüfungsverfahren bei vielen<br />
Beschuldigten hat zudem den Vorteil, weiteren Zeitaufschub durch die vorgegebenen<br />
Möglichkeiten zu Stellungnahme zu erlangen. Der Strafkammer eröffnet es die Mög-<br />
lichkeit, Terminsabsprachen und notwendige Vorbereitungen für die Hauptverhand-<br />
lung zu treffen. Ohnehin ist bei derartigen, schon vom Aktenumfang „imponierenden“<br />
Verfahren das Problem des § 121 StPO nicht wirklich evident.<br />
a.<br />
Zunächst war aufgrund der Zuständigkeitsregelung klar, dass eine Verhandlung ge-<br />
gen die wesentlichen Tatverdächtigen nur in einem einheitlichen Verfahren möglich<br />
war. Jede Abtrennung eines Täters hatte regelmäßig zur Folge, dass sich eine Zu-<br />
ständigkeit nach dem für diesen Täter ermittelten Tatorten, dem Ort seiner Festnah-<br />
me oder seinem Wohnort bestimmen würde. Für heranwachsende Beschuldigte –<br />
die zum Glück zum Zeitpunkt der Anklageerhebung nicht in Haft waren – mussten<br />
die Vorschriften der §§ 1, 105 ff. JGG beachtet werden.<br />
Schon diese Vorgaben machten es Sinne einer effizienten Bearbeitung des Verfah-<br />
rens und die anstehende Hauptverhandlung notwendig, die wesentlichen Tatver-<br />
dächtigen in einer Anklage zu erfassen. Auch im Falle der Beschuldigten Geier, die<br />
für das Lager in Osnabrück verantwortlich waren, wurde diese Regel eingehalten.<br />
Dies geschah, obgleich sich die Beschuldigten für weitere Straftaten im Bereich der<br />
StA Osnabrück in Haft befanden. Später wurde dieser Verfahrensbestandteil von<br />
Gericht abgetrennt und mit dem dortigen Verfahren verbunden.<br />
b.<br />
Um den anzuklagenden Sachverhalt zu ordnen, konnte wesentlich auf die innere Lo-<br />
gik des Aktenaufbaus zurück gegriffen werden.<br />
Technisch haben wir drei Rechner vernetzen lassen, die mit einem Textverarbei-<br />
tungs- und einem Tabellenkalkulationsprogramm in identischen Versionen versehen<br />
waren.<br />
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Dem von mir bedienten Rechnerarbeitsplatz kam die Aufgabe zu, in zwei parallel ge-<br />
öffneten Dateien die Abschlussverfügung und die Anklage zu fertigen. An den beiden<br />
anderen Rechnern wurden die Rechenoperationen zu den einzelnen Hinterziehungs-<br />
summen durchgeführt. Ferner erfolgte über sie die Einspeisung der vorbereiteten<br />
Dateien, z.B. Fundstellensammlung, Zeugenlisten, Beweismittelübersichten, Anga-<br />
ben zum „modus operandi“, rechtliche Grundlagen des Zollkodex, pp..<br />
c.<br />
Die Anklageschrift selbst wurde aufgrund des erkennbaren Umfanges, der vielfälti-<br />
gen Formen der Teilnahme und des stark differierenden Ausmaßes der Tatbeteili-<br />
gungen unorthodox von „unten nach oben“ geschrieben.<br />
Während im Normalfall der Dezernent nach dem Studium der Akten seine Entschei-<br />
dung getroffen hat und mit dem Anklagesatz beginnt, gingen wir von den einzelnen<br />
Taten aus und schilderten ihre Begehung sowie die Beteiligung der einzelnen Be-<br />
schuldigten an ihnen ausführlich im Rahmen des wesentlichen Ergebnisses der Er-<br />
mittlungen. Um schon optisch die einzelnen Personen hervorzuheben und somit<br />
Fehlern möglichst vorzubeugen, wurden die Namen anzuklagender Beteiligter in<br />
Fettdruck hervorgehoben.<br />
Eine innerer Aufbau ergab sich schon bei weitgehender Berücksichtigung der Liefe-<br />
rungschronologie. Der ursprüngliche Plan, die Lieferungen abweichend von der<br />
Chronologie den einzelnen Lagerstätten zuzuordnen, wurde alsbald verworfen, da<br />
Vorteile dieser Verfahrensweise nicht zu erkennen waren.<br />
d.<br />
Parallel dazu wurde in einem separaten, später vorgeschobenen Teil des wesentli-<br />
chen Ergebnisses der Ermittlungen ein auf die einzelnen Täter bezogener Abschnitt<br />
erstellt, der die Rolle des jeweiligen Beschuldigten in der Organisation wiedergab.<br />
Hier erfolgte auch eine Würdigung der gewonnenen Beweismittel, auf die auch bei<br />
geständigen Tätern nicht verzichtet wurde. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe half<br />
natürlich die während der Ermittlungen stets aktualisierte Fundstellensammlung so-<br />
wie die Auswertungsvermerke über sichergestellte Beweisstücke und natürlich die<br />
Protokolle der Fernmeldeüberwachung.<br />
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In diesen Teil der Anklage wurden die jeweils abgehandelten und im wesentlichen<br />
Ergebnis dargestellten Taten in Form einer tabellarischen Übersicht deutlich ge-<br />
macht. Sinn dieser zusätzlichen Übersicht sollte die gedrängte Darstellung des zu<br />
verantwortenden Tatunrechtes sowie eine Konkretisierung des angerichtete Steuer-<br />
schaden sein.<br />
Außerdem wurden in diesem Teil des wesentlichen Ergebnisses personenbezogen<br />
die über die Steuerverkürzung hinausgehende Straftaten, wie zum Beispiel Verstöße<br />
gegen das KWG und das Waffenrecht dargestellt.<br />
e.<br />
In der parallel bearbeiteten Abschlussverfügung konnten notwendige Teileinstellun-<br />
gen verfügt werden. Zudem waren zwischenzeitlich Abtrennungen verfügt worden;<br />
diese Verfahren wurden entweder später eingestellt oder an die örtlich zuständigen<br />
Staatsanwaltschaft abgegeben. Der Zeitpunkt der Abtrennung wurde wegen der be-<br />
kannten Problematik des Akteneinsichtsrechtes (vgl. z.B. OLG Hamm (1 VAs 31/91)<br />
in StV 1993, 299 – 301) sowohl in der Hauptakte als auch im abgetrennten Verfahren<br />
ausdrücklich vermerkt.<br />
Beim Thema der begleitenden Einstellungen nach §§ 154, 154a StPO sind wir im<br />
Interesse der Prozessökonomie sehr großzügig vorgegangen. In Anbetracht des<br />
Umfangs der nachzuweisenden Taten konnte diese Entscheidung sehr leicht fallen.<br />
Aufgrund der möglichen negativen Auswirkungen für das Verfahren und in Anbe-<br />
tracht des zu betreibenden zusätzlichen Nachweisaufwandes wurde der Vorwurf der<br />
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ebenfalls eingestellt. Ausschlagge-<br />
bend war neben dem bekannten, von der Rechtsprechung geforderten Feststellun-<br />
gen zur inneren Struktur der Organisation auch der Umstand, dass sich eine Verur-<br />
teilung nach dieser Vorschrift kaum hätte auswirken können. Dies galt umso mehr,<br />
als persönliche strafschärfende Merkmale wie „Gewerbsmäßigkeit“ und „Bandenbe-<br />
gehung“ ohnehin schon für deutlich erhöhte Strafrahmen sorgten.<br />
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f.<br />
Die Angaben zur Person und zu den strafrechtlichen Vorbelastungen basierten auf<br />
den beigezogenen Beiakten, den Auskünften der Ausländerämtern zu den Einbürge-<br />
rungsverfahren sowie den persönlichen Angaben der Beschuldigten. Die Übernahme<br />
dieser Informationen in die Anklage gestaltete sich wegen der getroffenen Vorarbei-<br />
ten als wenig zeitaufwendig.<br />
g.<br />
Die Anklage wurde nach Aufnahme aller Einzeltaten nunmehr auch im Anklagesatz<br />
und der Konkretisierung fertiggestellt.<br />
Nach einer die gesetzlichen Tatbestände ausfüllenden Beschreibung der Tatbege-<br />
hung wurden den jeweiligen Beschuldigten die ihnen nachzuweisenden Taten in<br />
Form einer aus sich heraus verständlichen Tabelle zugeordnet. Dem Versuch, die<br />
einzelnen Lieferungen jeweils nochmals in Worte zu fassen, habe ich widerstanden.<br />
Einerseits genügte die gewählte Darstellung sicherlich dem Gebot der Klarstellung,<br />
welche einzelnen Taten den Tätern zur Last gelegt wurden. Andererseits habe ich<br />
mir vorgestellt, wie die Verlesung dieses Anklagesatzes und der Konkretisierung in<br />
extensiver Prosa auf die Verfahrensbeteiligten wirken würde.<br />
h.<br />
Diese Verfahrensweise hatte zudem den Vorteil, dass man die vier separaten, aber<br />
inhaltlich von einander abhängigen Teile, nämlich Anklagesatz, Konkretisierung, per-<br />
sonenbezogene Tatübersicht und Schilderungen der Einzeltaten recht gut miteinan-<br />
der vergleichen und auf ihre Kongruenz überprüfen konnte.<br />
Der Rest war wesentlich Routine und solide Datentechnik. Es mussten aus den an-<br />
deren Rechnern die dort erstellten und beschreibenden Teile eingefügt und überprüft<br />
werden. Letztlich wurde für die Verfahrensbeteiligten, insbesondere Gericht und<br />
Verteidigung, eine Inhaltsübersicht der Anklage gefertigt und vorangestellt.<br />
Nach meiner festen Überzeugung hat der gewählte, in sich logischer Aktenaufbau<br />
und eine Verteilung bzw. Organisation der anfallenden Arbeiten dazu geführt, dass<br />
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diese mehr als 100 Seite starke Anklage in vier – allerdings sehr anstrengenden -<br />
Arbeitstagen erstellt werden konnte.<br />
10.<br />
Tipps und Hinweise<br />
Als visualisierter Mensch setze ich im Rahmen gerichtlicher Verfahren viel auf eine<br />
verständliche, den Verfahrensbeteiligten vorzuführende grafische Aufarbeitung der<br />
gewonnenen Erkenntnisse. Nichts wirkt „greifbarer“, als eine<br />
Grafische Darstellung der Gruppenstruktur<br />
Übersicht der Tatabläufe<br />
Gute Dokumentation der Observationen<br />
Präsentation der sichergestellten Dokumente<br />
Darstellung struktureller Zusammenhänge bei der Telekommunikationsüber-<br />
wachung<br />
Vorlage der sichergestellten sächlichen Beweismittel<br />
Verteidiger teilen diese Ansicht nur sehr begrenzt. Die Einbringung dieses Materials<br />
bietet sich im Rahmen der Vernehmung des Ermittlungsführers an, der auch das<br />
notwendige technische Equipment mitbringen sollte.<br />
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