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Arbeitshilfe - Justizakademie Nordrhein-Westfalen

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<strong>Arbeitshilfe</strong><br />

(Internationale) Vermögensabschöpfung<br />

in der staatsanwaltschaftlichen<br />

und gerichtlichen<br />

Praxis<br />

Materielles Recht der Vermögensab-<br />

schöpfung<br />

Verfahrensrecht<br />

Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von<br />

Verletzten aus Straftaten<br />

Internationale Vermögensabschöpfung<br />

1


IMPRESSUM<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Justizakademie</strong> NRW<br />

Autor:<br />

Matthias Rhode<br />

Didaktisierung:<br />

Transfer GmbH<br />

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung<br />

und Verbreitung, vorbehalten. Die<br />

Schrift darf in keiner Form – auch nicht auszugsweise<br />

– ohne schriftliche Genehmigung<br />

der JAK reproduziert oder unter Verwendung<br />

elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt<br />

oder verbreitet werden.<br />

2. Auflage März 2013<br />

A r b e i t s h i l f e<br />

(Internationale) Vermögensabschöpfung<br />

in der<br />

staatsanwaltschaftlichen<br />

und gerichtlichen Praxis<br />

2


Inhalt<br />

Inhalt<br />

Ein Wort zu Beginn 6<br />

Einleitung 8<br />

Teil I: Materielles Recht der Vermögensabschöpfung 9<br />

1. Verfallsvorschriften nach dem Strafgesetzbuch 13<br />

1.1 Rechtsnatur und Zweck 13<br />

1.2 Der Verfall nach § 73 StGB 15<br />

1.2.1 Übersicht und Einleitung 15<br />

1.2.2 Der Verfall nach § 73 Abs. 1 StGB 16<br />

1.2.3 Dem (Original-)Verfall unterliegende mittelbare Tatvorteile nach § 73 Abs. 2<br />

StGB 30<br />

1.2.4 Der dritteigentümerbezogene Verfall gem. § 73 Abs. 4 StGB 31<br />

1.2.5 Der Verfall nach § 73 Abs. 3 StGB 32<br />

1.2.6 Erlangen Mehrerer 44<br />

1.3 Der Verfall von Wertersatz gemäß § 73a StGB 49<br />

1.3.1 Übersicht 49<br />

1.3.2 Fallgruppen 50<br />

1.4 Der erweiterte Verfall nach § 73d StGB 52<br />

1.4.1 Der erweiterte (Original-)Verfall nach § 73d Abs. 1 StGB 53<br />

1.4.2 Der erweiterte Verfall von Wertersatz nach § 73d Abs. 2 StGB 55<br />

1.4.3 § 73d Abs. 3 StGB 56<br />

1.5 Die Schätzung nach § 73b StGB 57<br />

1.5.1 Übersicht 57<br />

1.5.2 Verfahrensrecht 58<br />

1.5.3 Anwendungsvoraussetzungen 58<br />

1.5.4 Vornahme der Schätzung 58<br />

1.6 Die Härtefallregelung des § 73c StGB 59<br />

1.6.1 Übersicht 59<br />

1.6.2 Voraussetzungen 61<br />

1.7 Rechtsfolgen der Anordnung des (erweiterten) Verfalls (von Wertersatz) 63<br />

2. Einziehungsvorschriften nach dem Strafgesetzbuch 66<br />

2.1 Rechtsnatur und Zweck 66<br />

2.2 Anwendungsvoraussetzungen 68<br />

2.2.1 (Original-)Einziehung nach §§ 74, 74a StGB 68<br />

2.2.2 Wertersatzeinziehung nach § 74c StGB 69<br />

2.3 Wirkung der Einziehung und Entschädigungsverfahren (§§ 74e und 74f StGB) 70<br />

3. Verfahrensarten – Objektives und Subjektives Verfahren (§ 76a StGB) /<br />

Nachträgliche Anordnung nach § 76 StGB 71<br />

3.1 Objektives Verfahren nach § 76a StGB 71<br />

3.1.1 Tatbestände 71<br />

3.1.2 Staatlicher Auffangrechtserwerb zu Gunsten des Staates nach § 111i StPO im<br />

Rahmen des objektiven Verfahren (§ 111i Abs. 8 StPO) 72<br />

3.2 Nachträgliche Anordnung nach § 76 StGB 73<br />

4. Vermögensabschöpfung im Ordnungswidrigkeitenrecht 74<br />

4.1 Systematik der Bestimmungen 75<br />

4.2 (Rechts-)Folgen 76<br />

4.2.1 Verhängung einer Geldbuße 76<br />

4.2.2 Verfall nach § 29a OWiG 78<br />

Teil II Verfahrensrecht 80<br />

5. Einführung in die Gesetzessystematik 80<br />

5.1 Systematik der einschlägigen Verfahrensvorschriften 80<br />

5.2 Systematik der §§ 111b – 111n StPO 81<br />

6. Vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO 82<br />

6.1 Gemeinsame Voraussetzungen 82<br />

6.1.1 Verfassungsrechtliche Vorgaben 82<br />

3


Inhalt<br />

6.1.2 Anordnungsvoraussetzungen 83<br />

6.1.3 Darlegungserfordernisse 86<br />

6.1.4 Anordnungs- und Vollstreckungskompetenzen 87<br />

6.1.5 § 111b Abs. 4 StPO 87<br />

6.1.6 Rechtliches Gehör 87<br />

6.2 Die Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 2, 111c StPO 88<br />

6.2.1 Durchführung 88<br />

6.2.2 Rechtsfolgen 88<br />

6.2.3 Rückgabe und Überlassung 88<br />

6.2.4 Beendigung der Beschlagnahme 89<br />

6.3 Der dingliche Arrest nach §§ 111b Abs. 2, 111d StPO 90<br />

6.3.1 Arrestforderungen 90<br />

6.3.2 Durchführung und Verfahren bei Aufhebung des dinglichen Arrestes 90<br />

6.3.3 Rechtsfolgen 90<br />

6.3.4 Besonderheiten 91<br />

6.4 (Versehentlich) unterbliebene Verfallsanordnung 94<br />

7. Sonstiges Verfahrensrecht 95<br />

7.1 Rechtsschutz 95<br />

7.2 Notveräußerung (§ 111l StPO) 96<br />

7.2.1 Anwendungsbereich 96<br />

7.2.2 Notveräußerungsgründe 96<br />

7.2.3 Verfahren 96<br />

Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten 97<br />

8. Einleitung 97<br />

9. Materielles Recht 99<br />

9.1 Grundlagen 99<br />

9.2 Anspruch des Verletzten aus der Tat 100<br />

10. Verfahrensrecht 105<br />

10.1 Voraussetzungen der Rückgewinnungshilfe 106<br />

10.2 Verfahren nach ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen 109<br />

10.2.1 „Kleine“ Rückgewinnungshilfe nach § 111k StPO 109<br />

10.2.2 Zwangsvollstreckung durch Verletzten und Zulassungsverfahren nach §§<br />

111g, 111h StPO 110<br />

10.3 § 111i StPO 120<br />

10.3.1 Anwendungsbereich 120<br />

10.3.2 Verlängerung der Sicherungstitel nach § 111i Abs. 1 StPO 121<br />

10.3.3 „Opferanspruchsbescheidung“ nach § 111i Abs. 2 – 8 StPO 122<br />

10.4 Weitere Lösungsansätze außerhalb des Anwendungsbereichs des § 111i Abs. 2 –<br />

8 StPO 133<br />

10.4.1 Einführung 133<br />

10.4.2 Fundversteigerung und Maßnahmen nach Polizeirecht 133<br />

10.4.3 Verzicht durch Beschuldigten 133<br />

10.5 Schlussübersicht zu Anwendungsmöglichkeiten bei § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB 135<br />

Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO und<br />

eröffnetem Insolvenzverfahren 137<br />

11. Kurze Einführung in das Insolvenzrecht 138<br />

12. Kollisionsfälle 140<br />

12.1 Absicherung originär staatlicher Ansprüche auf Verfall (von Wertersatz) etc. 141<br />

12.2 Sicherungsmaßnahmen im Wege der Rückgewinnungshilfe 143<br />

Teil V Internationale Vermögensabschöpfung 152<br />

13. Rechtshilfe in Strafsachen 154<br />

14. Institutionelle Unterstützung 155<br />

15. Wichtige internationale Gesetzesquellen 156<br />

15.1 Bi- und multilaterale Übereinkommen im Sinne des § 1 Abs. 3 IRG 156<br />

15.2 Wichtige (Rahmen-)Beschlüsse des Europäischen Rates 158<br />

4


Inhalt<br />

16. Für die internationale Vermögensabschöpfung bedeutsame (Rahmen-)<br />

Beschlüsse 159<br />

17. Internationale Vermögensabschöpfung nach dem IRG bzw. bi- und<br />

multilateralen Übereinkommen i.S.d. § 1 Abs. 3 IRG 162<br />

17.1 (Verdeckte) Finanzermittlungen im Rahmen der Sonstigen Rechtshilfe 162<br />

17.2 Vermögensabschöpfung i.e.S. 163<br />

17.2.1 Herausgabe von Gegenständen und vorläufige Sicherungsmaßnahmen i.S.d.<br />

§§ 111b ff. StPO im Rahmen der Sonstigen Rechtshilfe bei eingehenden<br />

Ersuchen 163<br />

17.2.2 Vermögensabschöpfung im Rahmen der (vertraglosen) Vollstreckungshilfe<br />

bei eingehenden Ersuchen 168<br />

17.2.3 Ausgehende Ersuchen 171<br />

17.2.4 Offene Probleme 172<br />

18. Internationale Rückgewinnungshilfe in der Diktion der §§ 73 Abs. 1 Satz<br />

2 StGB; 111b Abs. 5 StPO 173<br />

Fragen zum Verständnis 176<br />

Literatur & Links 188<br />

5


Ein Wort zu Beginn<br />

Ein Wort zu Beginn<br />

Das vorliegende Skript ist inhaltlich eng mit dem justiziellen und polizeilichen Fortbildungsangebot in<br />

NRW im Rahmen der zur (internationalen) Vermögensabschöpfung durchgeführten Seminare für Richter,<br />

Staatsanwälte, Rechtspfleger und polizeiliche Finanzermittler verknüpft. So richtet sich auch die<br />

zweite, in wesentlichen Bereichen überarbeitete Auflage, sowohl an den „Anfänger“ als auch an denjenigen,<br />

der an einer Vertiefung seiner Kenntnisse und praktischen Erfahrungen interessiert ist.<br />

Das Skript kann den Besuch eines Seminars nicht ersetzen und erfordert insbesondere in den Teilen<br />

zur internationalen Vermögensabschöpfung und zu insolvenzrechtlichen Fragestellungen vertieftes<br />

Wissen. Anhand zahlreicher Fallbeispiele soll zunächst ein erster Einblick sowohl in das materielle<br />

Recht als auch in das Verfahrensrecht gegeben werden. Dabei werden die gängigen Themen und<br />

Problemstellungen angesprochen und bei Bedarf auch vertieft. Die Inhalte orientieren sich überwiegend<br />

an der – nach juris zitierten – ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung, die bis Januar 2012<br />

Berücksichtigung gefunden hat.<br />

Neu aufgenommen wurden die in der Praxis bedeutsamen Themenbereiche „Spannungsverhältnis<br />

zwischen vorläufigen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO und (eröffnetem) Insolvenzverfahren“,<br />

„Einziehung“, „Vermögensabschöpfung im Ordnungswidrigkeitenrecht“ und „Internationale Vermögensabschöpfung“.<br />

Schließlich finden sich auch Antrags- und Tenorierungsbeispiele sowohl die staatsanwaltschaftliche<br />

Sitzungsvertretung als auch die Urteilstechnik betreffend. Verwandte Fälle und Übersichten sind teilweise<br />

den diesbezüglichen Darstellungen im Lehrbuch von Podolsky/Brenner 1 angelehnt, deren Verfassern<br />

mein besonderer Dank gilt.<br />

Ganz herzlich bedanken möchte ich mich zudem bei Herrn EKHK Christian Veith vom LKA NRW, der<br />

das gesamte Skript nicht nur Korrektur gelesen und wertvolle Änderungshinweise gegeben hat, sondern<br />

überdies auch maßgeblich die polizeiliche, in Teilbereichen aber auch die justizielle Fortbildung<br />

mit geprägt, begleitet und gefördert hat, bei Herrn OStA Wehrland, der mit der ihm eigenen Sorgfalt<br />

den 5. Teil „Internationale Vermögensabschöpfung“ redigiert hat und schließlich bei den Mitarbeitern<br />

der Transfer GmbH, die für die Formatierung und Didaktisierung der <strong>Arbeitshilfe</strong> verantwortlich gezeichnet<br />

haben.<br />

Die folgenden Piktogramme sollen Ihnen die Orientierung erleichtern:<br />

besonders wichtig Beispiel<br />

Aufgabe<br />

Kaffeepause<br />

Dieses Symbol kennzeichnet<br />

mögliche Diskussionen, die sich<br />

ergeben oder in Zukunft relevant<br />

werden z.B. durch gesetzliche<br />

Neuregelungen.<br />

Zusammenfassung<br />

Praxistipp<br />

Falls Sie sich noch intensiver<br />

mit dem Thema auseinander<br />

setzen wollen: Hinter diesem<br />

Symbol finden Sie nützliche<br />

Zusatzinformationen.<br />

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und viele Erfolge bei der Anwendung<br />

in der Praxis.<br />

Matthias Rhode, März 2013<br />

1 Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010.<br />

6


Ein Wort zu Beginn<br />

Zum Verfasser:<br />

Der Verfasser ist Staatsanwalt in Bochum und Dezernent in der Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität<br />

und Korruption.<br />

Seine Aufgabenfelder liegen in der Bearbeitung von Verfahren aus dem Bereich der (international) organisierten<br />

Wirtschafts- und Steuerkriminalität, in der Vermögensabschöpfung und in der Rechtshilfe.<br />

7


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Einleitung<br />

Die Vermögensabschöpfung ist aktueller denn je. Dies zeigt sich nicht nur an der Vielzahl diesbezüglicher<br />

gerichtlicher Entscheidungen, sondern auch an diversen (anwaltlichen) Publikationen. Nachdem<br />

die Materie nach längerem „Dornröschenschlaf“ zunächst durch polizeiliche Anstrengungen und später<br />

auch durch ein „Aufrüsten“ der Justiz, etwa im Rahmen der Ausbildung von polizeilichen Finanzermittlern<br />

und Staatsanwälten, die teilweise auch als Sonderdezernenten Einsatz gefunden haben, wiederbelebt<br />

wurde, hat zunehmend auch die Anwaltschaft die besondere Bedeutung der Thematik erfasst,<br />

sei es im Rahmen der<br />

Strafverteidigung<br />

anwaltlichen Vertretung von Drittbetroffenen (i.S.d. § 73 Abs. 3 StGB)<br />

allgemeinen strafrechtlichen Präventivberatung als Teil des Risikomanagements zur Vermeidung<br />

entsprechender Sanktionen nach StGB oder aber nach §§ 30, 130 OWiG<br />

und schließlich auch bei der Begleitung von privaten und juristischen Personen als Verletzte aus<br />

Straftaten anlässlich der Rückgewinnungshilfe (§§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b Abs. 5 StPO).<br />

Anders ausgedrückt:<br />

„Der Verfall hat die Wirklichkeit des Strafverfahrens erreicht“ 2 .<br />

Diese Aussage ist zugleich Hypothese als auch Anspruch, was zudem gesetzgeberisch auf nationaler<br />

und internationaler Ebene Ausdruck gefunden hat.<br />

Zu nennen sind nicht nur das RückgVermabschStG (BGBl. I 2006, 2350), sondern auch eine Vielzahl<br />

von Rahmenbeschlüssen des Rats der Europäischen Kommission und zuletzt der Vorschlag der Europäischen<br />

Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sicherstellung<br />

und Einziehung von Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union 3 , die dieser Materie<br />

inhaltlich zuzuordnen sind 4 .<br />

Dieser Befund spiegelt sich naturgemäß ebenso in den Ermittlungs- und Strafverfahren wieder. Dies<br />

gilt natürlich besonders für die Abteilungen bzw. Spruchkörper, die sich mit organisierter (Wirtschafts-<br />

)Kriminalität und dementsprechend mit daraus resultierenden inkriminierten Erlösen zu befassen haben.<br />

Aber auch bei allgemeinen Eigentums- oder Vermögensdelikten sieht sich der Bearbeiter mit der<br />

Thematik konfrontiert.<br />

Die sachgerechte Behandlung der insoweit relevanten Fragestellungen erfordert allerdings neben<br />

Grundkenntnissen des einschlägigen materiellen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts sowie des<br />

Verfahrensrechts auch den Blick in entlegenere Rechtsgebiete.<br />

These:<br />

Eine wirksame Strafverfolgung erfordert nicht nur die Bestrafung i.e.S., sondern auch<br />

die Abschöpfung des illegitim Erlangten,<br />

zur Korrektur der dadurch illegitimen Vermögenssituation<br />

zur Gefahrenabwehr, um „Re-Investitionen“ des Taterlangten in kriminelle Strukturen<br />

zu verhindern 5 .<br />

Daher ist es wünschenswert, dass das gesamte Instrumentarium der Vermögensabschöpfung mit der<br />

gleichen Selbstverständlichkeit, wie es bei sonstigen prozessualen Maßnahmen üblich ist (z.B. bei Untersuchungshaft<br />

oder Telefonüberwachung), beherrscht und betrieben wird 6 .<br />

2<br />

Schilling, Aktuelles zur Vermögensabschöpfung oder: Der Verfall hat die Wirklichkeit des Strafverfahrens erreicht,<br />

StraFo 2011, 128.<br />

3<br />

Vgl. BR-Drucks. 135/12 vom 12. März 2012.<br />

4<br />

Vgl. hierzu Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vorbemerkung zu §§ 111b – 111p Rn. 12.<br />

5<br />

Vgl. insoweit auch BT-Drucks. 13/9742, S. 16.<br />

6<br />

Vgl. hierzu Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vorbemerkung zu §§ 111b – 111p Rn. 2, der die<br />

These vertritt, die Vorschriften zur Vermögensabschöpfung würden mittlerweile zum Standardprogramm in<br />

Ermittlungsverfahren zählen, was m.E. in dieser Form (noch) nicht zutrifft.<br />

8


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Teil I: Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Das materielle Recht der Vermögensabschöpfung (§§ 73 ff. und 74 ff. StGB; §§ 17 Abs. 4, 22 ff., 29a<br />

ff. und 130 OWiG) und die insoweit zugrundeliegenden Begrifflichkeiten sind auf engste verknüpft mit<br />

den §§ 111b ff. und 430 ff. StPO, die über § 46 Abs. 1 OWiG auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren<br />

Anwendung finden können.<br />

Anhand der nachfolgenden Übersichten soll hier ein erster Überblick gegeben werden:<br />

9


Abs. 1<br />

Bewegliche Sachen<br />

StA od. Ermittlungspersonen<br />

Abs. 1<br />

Bewegliche Sachen<br />

Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Beschlagnahme:<br />

werden in Gewahrsam genommen,<br />

versiegelt oder in anderer Weise<br />

kenntlich gemacht durch StA oder<br />

Ermittlungspersonen<br />

§§ 73, 73d Abs.1, 74, 74a, 75 StGB<br />

Beschlagnahme<br />

§ 111b Abs. 1 StPO<br />

Beschlagnahme<br />

§ 111e Abs. 1 StPO<br />

Gericht<br />

StA: bei Gefahr im Verzug<br />

Ermittlungsperson: bei beweglichen Sachen<br />

und Gefahr im Verzug<br />

Abs. 2<br />

Grundstücke und grundstücksgleiche<br />

Rechte<br />

StA od. Gericht<br />

Abs. 2<br />

Grundstücke und grundstücksgleiche<br />

Rechte<br />

Eintragung eines Beschlagnahmevermerks<br />

in<br />

Abteilung II –<br />

Eintragungsersuchen stellt Gericht<br />

oder StA<br />

§ 111f StPO<br />

§ 111c StPO<br />

Abs. 1<br />

Forderungen und andere Vermögensrechte<br />

StA<br />

Abs. 3<br />

Forderungen und andere Vermögensrechte<br />

Geldforderungen - §§ 829, 840<br />

ZPO: Pfändungsbeschluss / Zustellung<br />

an Drittschuldner durch StA<br />

(z.B. Sparbuch, Festgeldkonto)<br />

Herausgabeansprüche bei beweglichen<br />

Sachen - §§ 829, 840,<br />

846, 847 ZPO: Pfändungsbeschluss<br />

und Anordnung, dass Sache an<br />

Gerichtsvollzieher herauszugeben<br />

ist<br />

Beachte:<br />

im Übrigen gelten für diese Rechte<br />

die Ausführungen zum dinglichen<br />

Arrest zur Sicherung von Forderungen<br />

u. anderen Vermögensrechten<br />

ohne Anführung von §§ 928, 930<br />

ZPO!<br />

Materielle Anspruchsgrundlagen<br />

Sicherstellung der materiellen Ansprüche<br />

auf Grund vorläufig<br />

vollstreckbaren Titels<br />

Anordnungskompetenz für<br />

vorläufigen Vollstreckungstitel<br />

Einleitungs- u. Vollstreckungskompetenz<br />

des vorläufig vollstreckbaren<br />

Titels<br />

Abs. 2<br />

Schiffe/Luftfahrzeuge, die ins<br />

Register einzutragen sind<br />

StA od. Gericht<br />

Durchführung der<br />

Zwangsvollstreckung<br />

Abs. 4<br />

Schiffe/Luftfahrzeuge<br />

Nicht eingetragene:<br />

Beschlagnahme wie bewegliche<br />

Sachen durch StA<br />

oder Ermittlungspersonen<br />

Eingetragene:<br />

Eintragung des Beschlagnahmevermerks<br />

ins<br />

Schiffsregister bzw. Register<br />

für Pfandrechte an<br />

Luftfahrzeugen –<br />

Eintragungsersuchen stellt<br />

Gericht oder StA<br />

Die vollzogene Beschlagnahme nach § 111c Abs. 1 bis 4 StPO hat nach § 111c Abs. 5 StPO ein Veräußerungsverbot<br />

i.S. des § 136 BGB zur Folge.<br />

10


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Dinglicher Arrest:<br />

Inhalt des dinglichen Arrestes<br />

§ 111d Abs. 2 StPO<br />

§ 920 ZPO § 923 ZPO § 917 ZPO<br />

Abs. 3 Satz 1<br />

Bewegliche Sachen<br />

StA<br />

§ 934 ZPO<br />

Bewegliche Sachen<br />

§§ 928, 930, 808, 809 ZPO<br />

werden durch Gerichtsvollzieher/<br />

Vollziehungsbeamten, StA oder<br />

Ermittlungsperson in Gewahrsam<br />

genommen<br />

Besonderheiten für bewegliche<br />

Sachen<br />

- Inhaberpapiere, Aktien, Inhaberschuldverschreibungen,<br />

Schecks<br />

- Orderpapiere: Wechsel, Scheck<br />

mit Orderklausel<br />

(vgl. § 831 ZPO)<br />

Diese Gegenstände bzw. das<br />

Recht wird durch Ingewahrsamnahme<br />

der Papiere gepfändet.<br />

Nach § 111 f Abs. 3 Satz 1<br />

stopp steht die Kompetenz zur<br />

Vollstreckung in bewegliche<br />

Gegenstände neben dem Gerichtsvollzieher/Vollziehungsbeamten<br />

auch der StA oder deren<br />

Ermittlungsperson zu.<br />

Abs. 2<br />

Grundstücke und grundstücksgleiche<br />

Rechte<br />

StA od. Gericht<br />

Grundstücke und grund-<br />

stücksgleiche Rechte<br />

§§ 928, 932 ZPO<br />

Eintragung einer<br />

Sicherungshypothek in Abt. III<br />

Eintragsersuchen stellt StA od.<br />

Gericht<br />

Buchhypothek, Buchgrundschuld<br />

§§ 928, 930, 829, 830, 857<br />

Abs. 6 ZPO<br />

Pfändungsbeschluss + Eintragung<br />

stellt StA od. Gericht<br />

GmbH-Anteil: §§ 928, 930, 829,<br />

851, 857 ZPO: Pfändungsbeschluss,<br />

Zustellung an Drittschuldner<br />

(Geschäftsführer)<br />

GbR-, OHG-, KG-Anteil: §§ 928,<br />

930, 829, 859 Abs. 1 ZPO: Pfändungsbeschl.,<br />

Zustellung an Drittschuldner<br />

(Gesellschafter)<br />

Erbanteil: §§ 928, 930, 829, 859<br />

Abs. 2 ZPO: Pfändungsbeschluss,<br />

Zustellung an Drittschuldner (Miterben)<br />

Anwartschaftsrecht bei Eigentumsvorbehalt<br />

u. Sicherungsübereignung:<br />

§§ 928, 930, 829,<br />

857 Abs. 1 u. 2, 808 ZPO: Pfändungsbeschluss<br />

+ Sachpfändung<br />

(durch Gerichtsvollzieher)<br />

Sonstige Rechte: §§ 928, 930,<br />

857 Abs. 1, 852 Abs. 1 ZPO z.B.<br />

Miteigentum an beweglicher Sache,<br />

Zugangsrecht Banksafe<br />

§§ 73a, 73d Abs. 2, 74c StGB<br />

Dinglicher Arrest<br />

§ 111b Abs. 2 StPO<br />

Dinglicher Arrest<br />

§ 111e Abs. 1 StPO<br />

Gericht<br />

StA: bei Gefahr im Verzug<br />

§ 111f StPO<br />

Forderungen und andere<br />

Vermögensrechte<br />

Geldforderungen: §§ 928, 930, 829, 840<br />

ZPO: Pfändungsbeschluss / Zustellung an<br />

Drittschuldner (z.B. Sparbuch, Festgeldkonto)<br />

Briefhypothek, Briefgrundschuld: .<br />

§§ 928, 930, 829, 830, 857 Abs. 6 ZPO:<br />

Pfändungsbeschluss + Briefübergabe<br />

§ 883 ZPO<br />

Isolierte Grundschuld: §§ 928, 930, 829,<br />

851, 857 ZPO: Pfändungsbeschluss über<br />

den Rückübertragungs- u. Auszahlungsanspruch<br />

Auflassungsvormerkung: §§ 928, 930,<br />

829, 851, 857 ZPO – Pfändungsbeschluss<br />

und Zustellung an Drittschuldner, Zustellungsurkunde<br />

+ Pfändungsbeschluss an<br />

Grundbuchamt zur Eintragung der Pfändung<br />

Übereignungsansprüche bei Grundstücken:<br />

§§ 928, 930, 829, 846, 848 ZPO:<br />

Pfändungsbeschluss mit Anordnung, dass<br />

die Herausgabe od. Auflassung an einen<br />

vom Gericht zu bestellenden Sequester zu<br />

erfolgen hat<br />

Herausgabeansprüche b. Grundstücken:<br />

§§ 928, 930, 829, 846, 848 ZPO: Pfändungsbeschluss<br />

m. Anordnung, dass die<br />

Herausgabe oder Auflassung an einen vom<br />

Gericht zu bestellenden Sequester zu erfolgen<br />

hat.<br />

Herausgabeansprüche bei bewegl. Sachen:<br />

§§ 928, 930, 829, 846, 847 ZPO:<br />

Pfändungsbeschluss u. Anordnung, dass<br />

Sache an GVZ herauszugeben ist<br />

Materielle Anspruchsgrundlagen<br />

Sicherstellung der materiellen Ansprüche<br />

auf Grund vorläufig<br />

vollstreckbaren Titels<br />

Anordnungskompetenz für<br />

vorläufigen Vollstreckungstitel<br />

Einleitung u. Vollstreckungskompetenz<br />

des vorläufig vollstreckbaren Titels<br />

Abs. 3 Satz 3<br />

Abs. 3 Satz 1<br />

Abs. 3 Satz 3<br />

Forderungen und andere Vermö- nicht eingetragene Schif- eingetragene Schifgensrechtefe/Luftfahrzeugefe/Schiffsbauwerke/<br />

StA oder auf deren Antrag das<br />

StA<br />

Luftfahrzeuge<br />

Gericht<br />

StA oder auf deren Antrag<br />

das Gericht<br />

Durchführung der<br />

§ 111d Abs. 2 StPO<br />

Zwangsvollstreckung<br />

Schiffe/Schiffsbauwerke/<br />

Luftfahrzeuge* Gericht<br />

§§ 928, 930, 931 ZPO<br />

nicht eingetragene Schiffe/Luftfahrzeuge<br />

§§ 928, 930, 808 ZPO<br />

Siegel od. Kenntlichmachung<br />

der Pfändung od. Wegnahme<br />

der beweglichen Sache durch<br />

Gerichtsvollzieher<br />

eingetragene Schiffe<br />

§§ 928, 930, 931 ZPO<br />

- Inbesitznahme durch Gerichtsvollzieher<br />

- Anordnungsbeschluss<br />

- Eintragungsersuchen<br />

*vgl.: § 99 Gesetz über Recht<br />

an Luftfahrzeugen<br />

11


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Der materiell-rechtliche Anspruch des Staates bzw. des Tatverletzten bestimmt die Sicherungsart 7 :<br />

Institut Normen Zugriffsobjekt Vorläufige Sicherungsmaßnahme<br />

(Original-<br />

)Verfall<br />

(Original-<br />

)Einziehung<br />

(Erweiterter)<br />

Verfall von<br />

Wertersatz<br />

Einziehung<br />

von Wertersatz<br />

§§ 73, 73d Abs.<br />

1 StGB<br />

§§ 74, 74a<br />

StGB; 22, 23<br />

OWiG<br />

§ 73a und 73d<br />

Abs. 2 StGB<br />

Erlangtes Etwas, Nutzungen oder<br />

Surrogate (i.S.d. § 73 Abs. 2<br />

StGB).<br />

Beschlagnahme des inkriminierten<br />

Vermögens nach<br />

§§ 111b Abs.1, 111c StPO<br />

Tatmittel im Original Beschlagnahme des Tatmittels<br />

nach §§ 111b Abs.1,<br />

111c StPO<br />

Zugriff auf das Legalvermögen Dinglicher Arrest + Pfändung<br />

(§§ 111b Abs. 2, 111d<br />

StPO)<br />

§ 74c StGB Zugriff auf das Legalvermögen Dinglicher Arrest + Pfändung<br />

(§§ 111b Abs. 2,<br />

111d StPO)<br />

Dies gilt auch im Ordnungswidrigkeitenrecht, wo der Verfall nur in Form eines Geldbetrages angeordnet<br />

werden kann (vgl. § 29a Abs. 1 OWiG).<br />

Verfahrensrechtlich ist die Anordnung von Verfall und Einziehung sowohl im subjektiven Verfahren<br />

als auch im objektiven Verfahren (§§ 76a StGB; 430 ff., 442 StPO) denkbar.<br />

7 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vorbemerkung zu §§ 111b – 111p Rn. 13.<br />

12


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

1. Verfallsvorschriften nach dem Strafgesetzbuch<br />

1.1 Rechtsnatur und Zweck<br />

Beim Verfall, der auch im Jugendstrafrecht gilt 8 , handelt es sich um eine Maßnahme sui generis<br />

(i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB), die der Beseitigung einer objektiven Unrechtsfolge in Gestalt einer<br />

deliktischen Vermögenszuordnung dient, deren Fortbestand unter dem Gesichtspunkt materieller Gerechtigkeit<br />

nicht hingenommen werden kann 9 , mithin um eine kondiktionsähnliche Ausgleichsmaßnahme<br />

spezial- und generalpräventiver Art im Hinblick auf gewinnorientierte Straftaten 10 .<br />

Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH hat sich an dieser Einordnung auch nach Einführung<br />

des Bruttoprinzips im Jahre 1992 nichts geändert.<br />

Etwaige Härten können nur über § 73c StGB ausgeglichen werden.<br />

Da der Verfall weder eine Strafe noch eine strafrechtliche Nebenfolge darstellt 11 , wird er bei der Strafzumessung<br />

konsequenterweise nicht strafmildernd berücksichtigt.<br />

Prüfungsreihenfolge:<br />

Nach wohl mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des BGH 12 ist innerhalb des Normengebildes der §§<br />

73 ff. StGB eine bestimmte Prüfungsreihenfolge zu beachten.<br />

8<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 2.<br />

9<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 8.<br />

10<br />

Wiedner, a.a.O.<br />

11<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 4.<br />

12<br />

So zuletzt BGH, Urteil vom 07.07.2011, 3 StR 144/11 m.w.N.<br />

13


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Frage:<br />

In welchem Konkurrenzverhältnis steht § 73d StGB gegenüber den §§ 73, 73a StGB?<br />

Der Tatrichter hat in der Regel nicht die Wahl zwischen Verfall und erweitertem Verfall13 .<br />

Grundsätzlich kommt die Anwendung der Maßnahme nach § 73d StGB erst dann in Betracht,<br />

wenn nach Ausschöpfung aller prozessual zulässigen Mittel ausgeschlossen ist,<br />

dass die Voraussetzungen der §§ 73, 73a StGB erfüllt sind 14 .<br />

Dies lässt sich schon dem Wortlaut der Normen entnehmen.<br />

Während der Verfall (von Wertersatz) das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat (i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 5<br />

StGB), die aber noch nicht verjährt sein darf (zu vgl. § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB), voraussetzt, erfordert §<br />

73d StGB zwar eine im Rahmen der Anklage bzw. des Urteils hinreichend konkretisierte „Anknüpfungstat“,<br />

verlangt aber im Übrigen lediglich die sichere Überzeugung, dass die Gegenstände für oder aus<br />

rechtswidrigen Taten, die im Einzelnen hingegen nicht näher bestimmt werden können, erlangt worden<br />

sind.<br />

Im Kern ist § 73d StGB daher beweisrechtlicher Natur 15 , so dass schon der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

einen derartigen Spezialitätsvorbehalt erfordert, zumal § 78 StGB auf die Herkunftstat nicht<br />

anwendbar ist 16 .<br />

Auf einige Besonderheiten wird an späterer Stelle noch ausführlicher einzugehen sein 17 .<br />

13 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73, Rn. 5.<br />

14 BGH, Urteil vom 07.07.2011, 3 StR 144/11.<br />

15 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73d Rn. 3.<br />

16 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 13.<br />

17 Vgl. BGH, Beschluss vom 31.03.2004, 1 StR 482/03, und Urteil vom 07.07.2011, 3 StR 144/11; im Ansatz wohl<br />

auch BGH, Urteil vom 19.10.2011, 1 StR 336/11.<br />

14


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

1.2 Der Verfall nach § 73 StGB<br />

1.2.1 Übersicht und Einleitung<br />

Verfall - § 73 StGB<br />

Abs. 1 Abs. 2 Abs. 3 Abs. 4<br />

Muss-Vorschrift<br />

Erlangtes<br />

Etwas<br />

Gericht ordnet den Verfall an<br />

Wirkung des Verfalls<br />

§ 73 e StGB<br />

Satz 1<br />

Rechtswidrige Tat<br />

Täter oder Teilnehmer hat für<br />

die Tat oder aus der Tat etwas<br />

erlangt<br />

Das verfallene „Etwas“ geht mit<br />

Rechtskraft des Urteils kraft<br />

Gesetzes ins Eigentum/Vermögen<br />

des Staates<br />

über, wenn es dem von der<br />

Anordnung Betroffenen zu diesem<br />

Zeitpunkt gehört oder zusteht.<br />

Satz 1<br />

Muss-Vorschrift<br />

Nutzungen<br />

Satz 2<br />

Kann-Vorschrift<br />

Surrogate<br />

„Drittempfänger“<br />

Muss-Vorschrift<br />

Vertreter-<br />

klausel<br />

„Dritteigentümer“<br />

Muss-Vorschrift<br />

Drittverfallsklausel<br />

Satz 2<br />

Rechtswidrige Tat<br />

Täter oder Teilnehmer hat aus<br />

der Tat etwas erlangt<br />

Gericht ordnet keinen Verfall<br />

an, soweit Verletzten aus der<br />

Tat Ansprüche zustehen<br />

Ansprüche der Geschädigten<br />

können gem. § 111 b Abs. 5<br />

StPO gesichert werden<br />

Geschädigte können in der Frist<br />

des § 111 i StPO auf das gesicherte<br />

„Etwas“ zurückgreifen<br />

15


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

§ 73 StGB behandelt den (Original-)Verfall und richtet sich nach § 73 Abs. 1 StGB gegen den Täter<br />

oder Teilnehmer, nach § 73 Abs. 3 StGB gegen den Drittempfänger und nach § 73 Abs. 4<br />

StGB gegen den Dritteigentümer.<br />

Während die Merkmale einerseits des Eigentums bzw. der Rechtsinhaberschaft und andererseits des<br />

Gewahrsams in den Fällen des § 73 Abs. 1 StGB sowie des § 73 Abs. 3 StGB zusammenfallen, hat der<br />

Dritte i.S.d. § 73 Abs. 4 StGB Eigentum oder das betreffende Recht an dem Gegenstand, wohingegen<br />

der Täter oder Teilnehmer nur Gewahrsamsinhaber ist.<br />

Im Übrigen ist die Anordnung des Verfalls grundsätzlich obligatorisch. Eine Ausnahme hat der Gesetzgeber<br />

nur bei Surrogaten i.S.d. § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB zugelassen. Wird hier vom Verfall abgesehen,<br />

ist der Verfall von Wertersatz nach § 73a Satz 1 Alt. 3 StGB aber zwingend anzuordnen.<br />

1.2.2 Der Verfall nach § 73 Abs. 1 StGB<br />

I Tatbestandlicher Aufbau<br />

a. Rechtswidrige Tat<br />

Fall 1<br />

Der 13-jährige Schüler M. hat mit Betäubungsmitteln in nicht geringem Umfang gehandelt<br />

und aus den Taten Erlöse in Höhe von ungefähr 5.000,- Euro erzielt.<br />

Allerdings sind die Taten verjährt.<br />

Unter einer rechtswidrigen Tat ist nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB eine solche zu verstehen,<br />

die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, also vorsätzlich oder fahrlässig<br />

begangen wurde 18 , und die rechtswidrig ist.<br />

Auf ein Verschulden kommt es nicht an. Persönliche Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe<br />

oder ein Rücktritt vom Versuch sind ebenso unschädlich 19 .<br />

Auch Taten Jugendlicher oder Heranwachsender, bei denen das Jugendgerichtsgesetz (JGG) Anwendung<br />

findet, sind dem Grunde nach verfallsbedroht 20 .<br />

Schließlich ist auch der strafbewehrte Versuch taugliche Anknüpfungstat 21 .<br />

Lösung Fall 1<br />

Im Ausgangsfall liegt eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB<br />

vor. Allerdings ist M. persönlich nicht verfolgbar (§ 19 StGB). Möglich wäre daher nur<br />

die Durchführung des objektiven Verfahrens nach § 76a StGB 22 . Infolge der Verjährung<br />

der Taten kommt aber die Anordnung des Verfalls grundsätzlich nicht in Betracht<br />

(§§ 78 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB).<br />

Hätte M. im Ausgangsfall zur Tatbegehung einziehungsfähige Tatmittel (im Sinne des<br />

§ 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StGB) genutzt, könnten diese hingegen eingezogen werden<br />

(§§ 78 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 76a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB).<br />

Fortführung folgt!<br />

Wie bei der Verjährung, die als endgültiges Verfahrenshindernis (im Sinne des § 260 Abs. 3<br />

StPO) anzusehen ist, ist der Verfall auch bei sonstigen – nicht behebbaren – Verfahrenshindernissen<br />

ausgeschlossen 23 . Dies gilt sowohl für das subjektive als auch für das objektive Verfahren, da §<br />

76a Abs. 1 und Abs. 3 StGB nur auf Hindernisse im Tatsächlichen rekurriert, die also die faktische<br />

18<br />

BGH, Urteil vom 19.01.2012, 3 StR 343/11.<br />

19<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 11.<br />

20<br />

BGH, Urteil vom 17.06.2010, 4 StR 20/10.<br />

21<br />

BGH, Urteil vom 29.06.2010, 1 StR 245/09; krit. Rübenstahl, HRRS 2010, 505 ff.; Schlösser, NStZ 2011, 121<br />

ff., Bauer, NStZ 2011, 396 ff.<br />

22<br />

Vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 05.05.2011, 3 StR 458/10.<br />

23<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 13.<br />

16


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Sanktionierung einer Straftat unmöglich machen, hingegen die materielle Strafbarkeit der Tat als solche<br />

ebenso wie ihre verfahrensrechtliche Verfolgbarkeit unberührt lassen 24 .<br />

b. Etwas aus der oder für die Tat (unmittelbar) erlangen<br />

(1) Tauglicher Gegenstand des Verfalls<br />

Abzuschöpfen sind alle Vermögensbestandteile, die der Verfallsbetroffene durch die gegenständliche<br />

Tat tatsächlich erlangt hat. Umfasst ist der gesamte Tatablauf vom Vorbereitungs- bis zum Beendigungsstadium<br />

25 . Das bedeutet, dass auch solche Vermögenswerte, die der Verfallsbetroffene in der<br />

eigentlich noch straflosen Vorbereitungsphase erlangt hat, der Abschöpfung unterliegen, sofern später<br />

wenigstens die Schwelle zum Versuch überschritten wird. In diesem Zusammenhang sind Fallgestaltungen<br />

denkbar, bei denen beispielsweise „Schwarzumsätze“ inklusive darin enthaltener ersparter<br />

Aufwendungen zum Zwecke der späteren Steuerhinterziehung beiseite geschafft werden 26 .<br />

Um an die oben bereits erwähnten Kriterien zum einen des Eigentums resp. der Rechtsinhaberschaft<br />

und zum anderen des Gewahrsams wieder anzuknüpfen, ist es daneben erforderlich, dass der Erwerbsvorgang<br />

zivilrechtlich beurteilt selbst wirksam ist 27<br />

Fortführung der Lösung des Falls 1<br />

Im Fall 1 ist M. nicht wirksam Eigentümer des ihm übergebenen Bargeldes geworden.<br />

Insoweit liegt ein im Zivilrecht eher seltener „Doppelmangel“ vor. Sowohl das obligatorische<br />

als auch das Erfüllungsgeschäft sind gem. §§ 134, 138 BGB nichtig 28 . Möglich<br />

wäre daher eine dritteigentumsbezogene Verfallsanordnung nach § 73 Abs. 4<br />

StGB gegen M. unter Verfahrensbeteiligung des Käufers der Betäubungsmittel.<br />

(Weitere) Fortführung folgt!<br />

Im Übrigen kommt es nicht darauf an, ob das ursprünglich Erlangte später noch im Vermögen des<br />

Täters oder Teilnehmers vorhanden ist.<br />

Etwaige Härten können hier nur über § 73c Abs. 1 StGB ausgeglichen werden.<br />

Unter „Etwas“ sind alle vermögenswerten Positionen zu verstehen. Darunter fallen bewegliche Sachen<br />

aller Art, Grundstücke, dingliche und obligatorische Rechte und Erlangtes ohne Substrat wie<br />

ersparte Aufwendungen oder Nutzungen 29 .<br />

Schließlich sollen sogar hinreichend konkretisierte Gewinnchancen – infolge einer korruptiv erlangten<br />

Auftragserteilung – und danach<br />

die konkrete Chance auf Abschluss von Wartungsverträgen für eine errichtete Anlage<br />

oder sonstige Folgegeschäfte durch Aufbau einer Geschäftsbeziehung<br />

die Chance zur Erlangung weiterer Aufträge für vergleichbare Anlagen<br />

die Steigerung des wirtschaftlich wertvollen „Goodwill“ eines Unternehmens durch Errichtung eines<br />

Prestigeobjekts<br />

die Vermeidung von Verlusten durch Auslastung bestehender Kapazitäten<br />

oder die Verbesserung der Marktposition durch Ausschalten von (Mit-)Wettbewerbern<br />

potentiell dem Verfall unterliegen 30 . Es bleibt dennoch immer anzuknüpfen am tatsächlich Erlangten<br />

und einem dementsprechenden Vermögenszuwachs. Die Bestimmung des Erlangten steht unter der<br />

Maßgabe des Bruttoprinzips, das seit dem 07.03.1992 gilt. Hierdurch sollten dem Tatgericht Beweisschwierigkeiten<br />

bei der Ermittlung des Gewinns erspart werden. Gegenleistungen oder Kosten des<br />

24<br />

BGH, Beschluss vom 05.05.2011, 3 StR 458/10.<br />

25<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 14.<br />

26<br />

Vgl. Teil I, 1.2, 1.2.5, Fall 16.<br />

27<br />

Vgl. BGH, Beschluss vom 26.05.1995, 4 StR 266/95 zum Fall von markiertem Drogengeld für Drogeneinkäufe.<br />

28 BGH, Urteil vom 04.11.1982, 4 StR 451/82.<br />

29 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 9.<br />

30 BGH, Urteil vom 02.12.2005, 5 StR 119/05.<br />

17


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Täters bei der Tatdurchführung sind nicht in Abzug zu bringen und müssen daher auch nicht ermittelt<br />

werden 31 .<br />

Fortführung der Lösung des Falls 1<br />

M. könnte daher – losgelöst von den sonstigen Voraussetzungen – nicht einwenden,<br />

er hätte für den Einkauf der Betäubungsmittel 2.500,- Euro aufgewandt oder im<br />

Rahmen der Abwicklung der Taten noch weitere Kosten gehabt.<br />

Differenzierung im Ordnungswidrigkeitenrecht:<br />

§ 29a OWiG stellt auf das Bruttoprinzip ab<br />

§ 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG orientiert sich am Nettoprinzip, wobei die Geldbuße vorrangig die<br />

Funktion der Gewinnabschöpfung übernimmt 32 .<br />

(2) Aus oder für die Tat<br />

„Aus der Tat erlangt" sind alle Vermögenswerte, die dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des<br />

Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs u.U. nur kurzfristig 33 zufließen, insbesondere<br />

also die Beute; „für die Tat erlangt" sind demgegenüber Vermögenswerte, die dem Täter als Gegenleistung<br />

für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, aber – wie etwa ein Lohn für die Tatbegehung<br />

– nicht auf der Tatbestandsverwirklichung selbst beruhen 34 .<br />

Die Unterscheidung kann zu nicht unbeträchtlichen Schwierigkeiten führen, wenn nicht genau festgestellt<br />

werden kann, ob an verschiedene Beteiligte weitergeleitete Gelder aus dem Taterlangten stammten<br />

35 .<br />

(3) (Unmittelbares) Erlangen<br />

Weiter bedarf es des (unmittelbaren) Erlangens auf Seiten des Täters oder Teilnehmers.<br />

Fall 236<br />

Der Angeklagte, der als Zwischenhändler auftrat, erhielt von seinem Lieferanten auf<br />

Kommissionsbasis 67 kg Marihuana. Davon lieferte er 62,244 kg an seine Endabnehmer<br />

aus.<br />

Aus diesem Geschäft erzielte der Angeklagte einen Gesamterlös von 161.000, - EUR,<br />

den er absprachegemäß – ohne Abzug seines vereinbarten Gewinnanteils von 200,-<br />

EUR/kg, mithin ca. 12.500,- EUR - an seinen Lieferanten weitergab.<br />

Das LG ordnete daraufhin den Verfall von Wertersatz in Höhe von 12.500,- EUR an.<br />

Erlangt ist ein Gegenstand oder Wert, sobald er unmittelbar in die eigene Verfügungsgewalt des Verfallsbetroffenen<br />

übergegangen ist und ihm hierdurch wirtschaftlich messbar etwas zugutekommt 37 .<br />

Dabei handelt es sich um einen tatsächlichen Vorgang 38 .<br />

Insoweit maßgeblich ist die gesamte Phase des Tatablaufs; spätere Mittelabflüsse sind dagegen –<br />

vorbehaltlich der Regelung des § 73c StGB – unschädlich.<br />

31<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 7; zur Verfassungsmäßigkeit des Bruttoprinzips: BVerfG, Beschluss<br />

vom 28.01.2004, 2 BvR 152/04.<br />

32<br />

Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 1. Auflage 2006, 5. Teil Rn. 1273.<br />

33<br />

Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11.<br />

34<br />

Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73 Rn. 25 ff.; BGH, Beschluss vom<br />

19.10.2010, 4 StR 277/10 mit einer Abgrenzung zum Erlangen zur „Durchführung der Tat“, das nicht verfallsbewehrt<br />

ist.<br />

35<br />

Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 19.10.2011, 1 StR 336/11 Rn. 11 ff.<br />

36<br />

BGH, Urteil vom 16.05.2006, 1 StR 46/06; so auch BGH, Beschluss vom 10.09.2002, 1 StR 281/02.<br />

37<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 28.<br />

38<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 28.<br />

18


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Lösung Fall 2<br />

Die Anordnung des LG war an diesen Maßstäben gemessen rechtsfehlerhaft. Der Angeklagte<br />

hat vielmehr den Gesamterlös von 161.000,- EUR erlangt. Dieser Betrag befand<br />

sich zumindest kurzfristig in der Verfügungsgewalt des Angeklagten. Auf die zivilrechtlichen<br />

Eigentums- und Besitzverhältnisse zwischen den Beteiligten kommt es<br />

dabei nicht an. Aufwendungen sind wegen des Bruttoprinzips nicht abzugsfähig. Damit<br />

könnte lediglich über § 73c StGB eine Korrektur dieser Lösung erfolgen.<br />

Frage:<br />

Erläutern Sie die Unterschiede zwischen Unmittelbarkeit und Bruttoprinzip.<br />

Unmittelbarkeit und Bruttoprinzip sind streng voneinander zu trennen. In einem ersten Prüfungsschritt<br />

ist festzustellen, worin genau der Vorteil besteht, wofür das Bruttoprinzip nicht herangezogen<br />

werden kann. Die Bestimmung des Vorteils ist nämlich der Bestimmung seines Umfangs als zweiter<br />

Prüfungsschritt (und hier gilt das Bruttoprinzip) logisch vorgelagert 40 .<br />

Anders ausgedrückt: Das Bruttoprinzip bezieht sich nur auf Kosten, die in Zusammenhang der rechtswidrigen<br />

Vorteilserlangung stehen, und nicht auf Abzugsposten, die dem Erlangten selbst immanent<br />

sind und seinen Wert bestimmen, oder auf Vorteile, die in rechtlich nicht zu beanstandender Weise<br />

erzielt wurden 41 . Dieses Abgrenzungsproblem ist ein „Dauerbrenner“ und hat in den letzten Jahren zu<br />

ungewöhnlich heftigen Kontroversen geführt, denen letztlich zugrunde liegt, ob normativ gebotene<br />

Beschränkungen des Erlangten schon auf tatbestandlicher Ebene oder erst im Rahmen der Härtefallprüfung<br />

vorzunehmen sind 42 . Dies zeigt sich insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht bei die Bestimmung<br />

des (unmittelbar) Erlangten erschwerenden mehraktigen Geschehensabläufen.<br />

(aa) BtM-Fälle<br />

Der Anwendungsbereich des Verfalls erfährt durch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal<br />

der Unmittelbarkeit eine weitere Einschränkung.<br />

Der BGH hat dieses Merkmal über einen Vergleich der Absätze 1 und 2 des § 73 StGB<br />

hergeleitet.<br />

Während sich § 73 Abs. 1 StGB auf das eigentliche „Etwas“, das der Täter aus der Tat<br />

erlangt hat, bezieht, erweitert § 73 Abs. 2 StGB den Anwendungsbereich des Verfalls<br />

auf mittelbare Tatvorteile, namentlich auf Nutzungen und Surrogate, weshalb im Umkehrschluss<br />

die unmittelbaren Vermögenszuwächse nur von § 73 Abs. 1 StGB erfasst<br />

werden 39 .<br />

Von daher dürfte eine in Anlehnung an die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung<br />

mehr kasuistische Betrachtungsweise angezeigt sein, sich der Gesamtproblematik<br />

zu nähern.<br />

Beim Verkauf von Drogen ist der gesamte Erlös ohne Abzug von Einkaufspreis, Transportkosten,<br />

Kurierlohn usw. für verfallen zu erklären 43 .<br />

39<br />

BGH, Urteil vom 21.03.2002, 5 StR 138/01; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 07.07.2006, 2 BvR 527/06.<br />

40<br />

BGH, a.a.O.<br />

41<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 25.<br />

42<br />

Vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 19.01.2012, 3 StR 343/11 Rn. 20.<br />

43<br />

BGH, Urteil vom 05.04.2000, 2 StR 500/99 (Ständige Rspr.).<br />

19


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

(bb) Verletzung von Dienstgeheimnissen<br />

Fall 344<br />

Der Angeklagte A. erhielt von dem gesondert verfolgten B., einem Beamten des Kultusministeriums<br />

in Niedersachsen, auf sein Verlangen zweimal jährlich die Anschriften<br />

und weitere persönliche Daten der zur Einstellung in den Vorbereitungsdienst als<br />

Lehramtsreferendare vorgesehenen Bewerber. Er zahlte dafür jeweils zum Jahresende<br />

einen Geldbetrag. Das Anschriftenmaterial nutzte der Angeklagte in seiner beruflichen<br />

Tätigkeit als Versicherungsvertreter dazu, den Lehramtsreferendaren – mit erheblichem<br />

Erfolg – den Abschluss von Krankenversicherungsverträgen anzudienen.<br />

Daraus folgten Provisionszahlungen an A. in Höhe von 128.700,- Euro.<br />

Der Wert vergleichbarer Anschriftenlisten belief sich auf ungefähr 20.000,- Euro.<br />

Lösung:<br />

A hat sich wegen Bestechung und Anstiftung zur Verletzung des Dienstgeheimnisses<br />

strafrechtlich zu verantworten.<br />

Unmittelbar erlangt hat er aus den Taten die Listen mit den Anschriften der künftigen<br />

Lehramtsreferendare, deren Wert deshalb auch die Höhe des als Wertersatz für verfallen<br />

zu erklärenden Betrages bestimmt. Rechtsfehlerhaft ist es hingegen, auf bloß<br />

mittelbare Tatvorteile wie die aus den Taten erlangte Gewinnchance resp. im Fall ihrer<br />

Realisierung die erhaltenen Provisionen abzustellen.<br />

Gegen A. wäre somit dem Grunde nach vorbehaltlich etwaiger Abzüge nach § 73c<br />

StGB der Verfall von Wertersatz in Höhe von 20.000,- Euro anzuordnen.<br />

44 Angelehnt an BGH, Urteil vom 03.11.2005, 3 StR 183/05; kritisch Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und<br />

Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 25.<br />

20


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

(cc) Strafbare Vertragsanbahnung<br />

Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz<br />

Fall 445<br />

Der Angeklagte war leitender Angestellter der Papierfabrik S. GmbH, die technische<br />

Spezialpapiere herstellte. Auf sein Betreiben hin hat die S. GmbH trotz eines verhängten<br />

Handelsembargos Tabakpapier an ein in Serbien geschäftsansässiges Unternehmen<br />

geliefert. Die daraus resultierenden Umsatzerlöse beliefen sich auf 4.466.000,-<br />

Euro.<br />

Lösung:<br />

Der Angeklagte hat sich wegen Verstoßes gegen §§ 34 Abs. 4 AWG i.V.m. 69h Abs. 1<br />

Nr. 2 AWV strafrechtlich zu verantworten. Die S. GmbH hat als nebenbeteiligte Dritte<br />

im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB – es liegt ein Vertreterfall i.w.S. vor – den gesamten<br />

Erlös, mithin 4.466.000,- Euro erlangt. Korrekturen sind nur noch über § 73c StGB<br />

möglich. In anderen Entscheidungen des BGH, so u.a. in einem Urteil des 5. Senats,<br />

wird zur Begründung, bezogen auf diesen Fall, aber auch auf die Rechtslage bei BtM-<br />

Geschäften, ausgeführt, bei derartigen Sachverhalten sei auch das Erfüllungsgeschäft<br />

strafrechtlich bemakelt, weshalb die Verfallsanordnung in Bezug auf den gesamten<br />

Erlös gerechtfertigt sei 46 .<br />

Fallabwandlung 47 :<br />

Die S. GmbH hat in 47 Fällen Jagd- und Sportselbstladeflinten in Drittländer ausgeführt<br />

und aus den Verkäufen insgesamt 1.100.000,- Euro erzielt. Die für die Exporte<br />

erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen, die auf Antrag durch das Bundesamt für Wirtschaft<br />

und Ausfuhrkontrolle hätten erteilt werden müssen, lagen nicht vor.<br />

Lösung:<br />

Der angeklagte Geschäftsführer der S. GmbH hat sich wegen fahrlässigen Verstoßes<br />

gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 7 AWG strafbar gemacht. Die S. GmbH hat indes<br />

entgegen der Auffassung des LG nur den durch die Nichtausführung des Genehmigungsverfahrens<br />

erwachsenen (Sonder-)Vorteil (= Ersparnis der Aufwendungen,<br />

die für die Erteilung der Genehmigung hätten erbracht werden müssen) unmittelbar<br />

erlangt.<br />

Der BGH hat hierzu weiter ausgeführt:<br />

„(...) Es werden nur solche Vorteile erfasst, die der Tatteilnehmer oder Dritte nach dem Schutzzweck der<br />

Norm nicht erlangen und behalten dürfen soll, weil sie von der Rechtsordnung – einschließlich der verletzten<br />

Strafvorschrift – als Ergebnis einer rechtswidrigen Vermögensverschiebung bewertet werden. (…)“<br />

Der dem Verfall unterliegende Vorteil ist deshalb danach zu bestimmen, was letztlich<br />

strafbewehrt ist. Hat sich der Tatbeteiligte im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen<br />

Tätigkeit – (...) – strafbar gemacht, so ist demgemäß bei der Bestimmung dessen,<br />

was er aus der Tat erlangt hat, in den Blick zu nehmen, welchen geschäftlichen<br />

Vorgang die Vorschrift nach ihrem Zweck verhindern will; nur der aus diesem Vorgang<br />

gezogene Vorteil ist dem Täter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erwachsen.<br />

Soweit das Geschäft bzw. seine Abwicklung an sich verboten und strafbewehrt<br />

ist, unterliegt danach grundsätzlich der gesamte hieraus erlangte Erlös dem Verfall.<br />

Ist dagegen strafrechtlich nur die Art und Weise bemakelt, in der das Geschäft ausgeführt<br />

wird, so ist nur der hierauf entfallende Sondervorteil erlangt.<br />

Hatte der Täter einen Anspruch auf Genehmigung, so bemakelt die Rechtsordnung<br />

nicht den Abschluss oder die Erfüllung des Vertrages; vielmehr soll durch die Strafbewehrung<br />

allein die Umgehung der Kontrollbefugnis der Genehmigungsbehörde<br />

sanktioniert werden.<br />

45 Angelehnt an BGH, Urteil vom 21.08.2002, 1 StR 115/02.<br />

46 BGH, Urteil vom 02.12.2005, 5 StR 119/05; kritisch dazu BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR 166/07; Burghart,<br />

wistra 2011, 241 ff.; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 27.<br />

47 Angelehnt an BGH, Urteil vom 19.01.2012, 3 StR 343/11.<br />

21


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Bestechung und bestechungsähnliche Fälle<br />

Fall 548<br />

Das Verfahren richtete sich gegen die Angeklagten J. und S.<br />

J. war Immobilienkaufmann und S. Bauamtsleiter der Stadt Hemmingen.<br />

J. hatte im Vorfeld der angeklagten Taten Ackerland, das im betreffenden Bebauungsplan<br />

als Bauerwartungsland ausgewiesen war, für damals 6,5 Millionen DM<br />

(einschließlich Nebenkosten) erworben. Um die Grundstücke möglichst gewinnbringend<br />

veräußern zu können, wandte er sich an S., um diesen gegen Zahlungen von<br />

Schmiergeld zu bewegen, sich für die Ausweisung als allgemeines Wohngebiet einzusetzen.<br />

In Umsetzung des Tatplans wandte J. dem S. insgesamt 215.000,- DM zu. S. wirkte<br />

daraufhin im Planungsverfahren maßgeblich auf die betreffende Änderung des Bebauungsplans<br />

hin.<br />

Infolgedessen konnte J. erhebliche Wiederverkaufsgewinne in einer Größenordnung<br />

von 6,5 Millionen DM realisieren.<br />

Lösung:<br />

J. und S. haben sich wegen Bestechung bzw. Bestechlichkeit strafrechtlich zu verantworten.<br />

S. hat insoweit 215.000,- DM erlangt.<br />

Bei J. ist fraglich, ob auf den gesamten Verkaufserlös in Höhe von 13 Mio. DM oder<br />

nur auf den erzielten Gewinn in Höhe von 6,5 Mio. DM abzustellen ist.<br />

Der BGH hat dazu unter Hervorhebung der notwendigen Differenzierung zwischen<br />

einerseits der Bestimmung des unmittelbar Erlangten und andererseits dem Bruttoprinzip<br />

(vgl. oben) sinngemäß ausgeführt, J. habe bestechungsbedingt im Ergebnis<br />

die diesbezügliche Änderung des Bebauungsplans und damit die Gewinnchance, einen<br />

erheblichen Spekulationsgewinn zu realisieren, erlangt. Da J. diese Gewinnchance<br />

realisiert habe, durfte das Landgericht den Spekulationsgewinn als den aus der<br />

Tat gezogenen Vorteil im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB werten.<br />

Bei der Bemessung des Spekulationsgewinns sei der Ankaufs- vom Verkaufspreis zu<br />

subtrahieren und auch die bei dem Ankauf zwangsläufig verbundenen Nebenkosten<br />

in Abzug zu bringen. Gleiches gelte auch für die Erschließungskosten.<br />

J. habe daher 6,5 Millionen DM erlangt.<br />

48 Angelehnt an BGH, Urteil vom 21.03.2002, 5 StR 138/01; teilweise kritisch Hohn, wistra 2003, 321 ff.<br />

22


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Fall 649<br />

Der – vereinfacht wiedergegebene – Fall entstammt dem Komplex „Trienekens“ und<br />

steht im Zusammenhang mit dem Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage.<br />

An der A. GmbH, einer Abfallverwertungsgesellschaft – Geschäftsführer war E. -,<br />

waren die Stadt Köln als Mehrheitsgesellschafterin und ferner die B. GmbH – Geschäftsführer:<br />

T. – und die C. GmbH – Geschäftsführer war ebenfalls der T. – beteiligt.<br />

Es war geplant, dass die A. GmbH den Bau einer Müllverbrennungsanlage öffentlich<br />

ausschreiben sollte. An diesem Projekts war u.a. die D. GmbH – Geschäftsführer: M.;<br />

Unternehmensberater: W. – interessiert. T., E. und W. schlossen eine Unrechtsabrede<br />

dergestalt, dass für den Fall der Auftragsvergabe an die D. GmbH 3 % des Auftragswerts<br />

zu gleichen Teilen an E. , T. und W. zu zahlen sind. So wurde in der Folgezeit<br />

auch verfahren.<br />

Nach Manipulation des Auftragsverfahrens durch E. und M. gab die D. GmbH, vertreten<br />

durch M., in Kenntnis der Angebote der übrigen Mitbewerber das günstigste Angebot<br />

– Festpreis in Höhe von 792 Mio. DM – ab und erhielt daraufhin den Zuschlag<br />

für den Bau der Müllverbrennungsanlage. In diesen Festpreis war der Schmiergeldanteil<br />

in Höhe von ca. 24 Mio. DM miteinkalkuliert. Auf Seiten der D. GmbH bestand eine<br />

Gewinnerwartung von ca. 8 Mio. DM.<br />

Der vereinbarte Werklohn wurde fast vollständig an die D. GmbH transferiert.<br />

Die folgende Lösung orientiert sich ausschließlich an der Frage, was die D. GmbH<br />

bestechungsbedingt i.S.d. § 73 StGB erlangt hat.<br />

Nach Auffassung des 5. Senats ist bei einer korruptiven Manipulation der Auftragsvergabe<br />

zunächst der gesamte wirtschaftliche Wert des Auftrags im Zeitpunkt des<br />

Vertragsabschlusses und nicht der vereinbarte Werklohn im Sinne von § 73 Abs. 1<br />

Satz 1 StGB unmittelbar erlangt 50 .<br />

Bei der Auftragserlangung (im geschäftlichen Verkehr) führe die „Tat“ als solche unmittelbar<br />

nur zu dem Vorteil des schuldrechtlichen Vertragsabschlusses; die Vorteile<br />

aus der Ausführung des Auftrags, die – anders als bei der Erlangung – selbst nicht<br />

strafrechtlich bemakelt seien, wären hingegen nicht mehr unmittelbar aus der „Tat“<br />

erlangt. Der wirtschaftliche Wert des Auftrags zum Zeitpunkt der Auftragserlangung<br />

bemesse sich vorrangig nach dem zu erwartenden Gewinn und ggf. weiteren wirtschaftlichen<br />

Vorteilen.<br />

Neben den 24 Millionen DM, die als Untreueschaden im Rahmen der Kick-Back-<br />

Abrede wegen § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aber ohnehin dem Verfall nicht unterliegen<br />

können, hat die D. GmbH darüber hinaus ca. 8 Mio. DM erlangt.<br />

Fortführung folgt!<br />

49 Angelehnt an BGH, Urteil vom 02.12.2005, 5 StR 119/05 (str.).<br />

50 Krit. BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR 166/07; Hohn, wistra 2006, 321 ff.; a.A. OLG Köln, Beschluss vom<br />

08.08.2003, 2 Ws 433/03.<br />

23


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Insidergeschäfte<br />

Fall 751<br />

Die Angeklagten S. und J. waren Vorstände der börsennotierten F. AG, die sich als<br />

Internet-Telekommunikationsunternehmen schwerpunktmäßig mit ca. 60% des Gesamtumsatzes<br />

im Bereich des Internets – hiervon zu etwa 96% auf das Schmalbandsegment<br />

und nur zu etwa 3% auf das Breitbandsegment orientiert – betätigte.<br />

Der Umsatz der F. AG stieg nach Übernahme des Festnetzgeschäfts im Jahre 2003<br />

gegenüber dem Vorjahr um 766% auf 365 Mio. Euro. Der Zuwachs hielt auch im ersten<br />

Quartal 2004 (Gesamtumsatz: 119 Mio. Euro) noch an. Im zweiten Quartal des<br />

Jahres 2004 ging der Umsatz zurück und belief sich nur noch auf 109 Mio. Euro; das<br />

Konzernergebnis vor Steuern sank in diesem Quartal von 31,7 Mio. Euro auf knapp<br />

20 Mio. Euro. Maßgebend für diesen Rückgang war ein deutlich schlechteres Ergebnis<br />

im Schmalbandbereich.<br />

S. und J. sind als Sondervergütungen Aktienoptionen (199.500) eingeräumt worden,<br />

für die eine zweijährige Wartezeit, die am 11.07.2004 ablief, bestand und deren<br />

Laufzeit auf sechs Jahre ab Ausgabetag festgelegt war.<br />

Der Aktienkurs entwickelte sich im Frühjahr und Sommer 2004 wie folgt:<br />

Mai 2004: 27,73 Euro<br />

15. Juli 2004: 18,36 Euro<br />

30. Juli 2004 15,05 Euro<br />

Die Angeklagten begannen nach Ablauf der Wartefrist und der Ausübung ihrer Optionen<br />

damit, die Aktien zu veräußern und erzielten aus dem Verkauf von jeweils etwa<br />

32.000 Stück knapp 1,2 Mio. Euro pro Person.<br />

Obwohl ihnen die Umsatzentwicklung schon vorher bekannt war, warteten sie zu, um<br />

den gewinnbringenden Verkauf ihrer Aktienpakte nicht zu gefährden, und veröffentlichten<br />

erst am 09.08.2004 eine ad-hoc-Mitteilung, worin sie den rückläufigen Umsatz<br />

und den gesunkenen Gewinn für das zweite Quartal 2004 bekanntgaben.<br />

Lösung:<br />

S. und J. haben sich wegen verbotenen Insiderhandels nach §§ 38 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m.<br />

14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. strafrechtlich zu verantworten.<br />

Unmittelbar erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB haben die Angeklagten S<br />

und J. jedoch nicht den jeweils von ihnen erzielten Gesamtverkaufserlös der Aktien,<br />

sondern den realisierten und nach § 73b zu schätzenden Sondervorteil, der hier in<br />

der Verschonung von dem Wertverlust liegt, den uninformierte Marktteilnehmer infolge<br />

verspäteter Veröffentlichung der aktienkursrelevanten (negativen) Tatsachen<br />

erleiden.<br />

Der BGH bezieht sich bei der Begründung wieder auf das Merkmal der Bemakelung.<br />

Im vorliegenden Fall sei der Erwerb der Aktien – außerhalb des Tatgeschehens - legal<br />

gewesen; lediglich die Art und Weise der Ausführung des Geschäfts sei als strafrechtlich<br />

bemakelt zu beanstanden.<br />

51 Angelehnt an BGH, Beschluss vom 27.01.2010, 5 StR 224/09.<br />

24


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Strafbare Werbung nach UWG<br />

Fall 852<br />

Die Angeklagten hatten über von ihnen eingerichtete (ausländische) Gesellschaften,<br />

so u.a. die AAA Mail Ltd., Katalogangebote unter Beifügung irreführend gestalteter<br />

und sachlich unzutreffender Geschenkversprechen an vornehmlich ältere Personen<br />

mit geringem Bildungsniveau lanciert. Dabei waren die in Aussicht gestellten Gewinnchancen<br />

vielfach an den Erwerb der angebotenen Waren gekoppelt. Wie von Anfang<br />

geplant wurden die versprochenen Gewinne nicht ausgekehrt und anstelle der in<br />

Aussicht gestellten wertvollen Geschenke erhielten die Besteller lediglich wertlosen<br />

Plunder.<br />

Auf diese Weise flossen der für den Zahlungsverkehr zuständigen inländischen Gesellschaft<br />

Cash GmbH Zahlungen von Kundenseite in Höhe von insgesamt<br />

113.000.000,- Euro zu; der Gewinn belief sich auf 5,34 % des Gesamtumsatzes.<br />

Lösung:<br />

(Unmittelbar) erlangt hat die Cash GmbH nicht (nur) einen Wettbewerbsvorteil, der<br />

zunächst nur in einer Chance auf Warenbestellungen bestanden hat (so das LG<br />

Mannheim in der ersten Instanz), bzw. die Vertragsschlüsse, sondern auch die von<br />

den Kunden in Erfüllung der Kaufverträge geleisteten (Gesamt-)Zahlungen, mithin<br />

113.000.000,- Euro.<br />

In der weiteren Begründung hält der 1. Strafsenat zunächst an den bisher zu der<br />

Problematik entwickelten Differenzierungskriterien der „Unmittelbarkeit“ und der<br />

„strafrechtlichen Bemakelung“ fest, sieht in der vorliegend zu beurteilenden Konstellation<br />

jedoch keine Notwendigkeit, zwischen Kausal- und Erfüllungsgeschäft zu differenzieren,<br />

zumal die Durchführung der Kaufverträge strafrechtlich bemakelt sei.<br />

Im Folgenden setzt sich der Senat kritisch mit der Rechtsprechung des 5. Senats<br />

auseinander. Schon der Vergleich mit durch (Eingehungs-)Betrug zustande gekommenen<br />

Verträgen im Rahmen von „Alltagsgeschäften“ zeige, dass es nicht darauf ankomme,<br />

dass die Durchführung eines Vertrages für sich betrachtet strafbar sein müsse.<br />

Im Übrigen sei es nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Ermittlung des<br />

Werts des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts durch Saldierung – also gleichsam<br />

nach dem Nettoprinzip – erfolge, während sich der Wert des „dinglichen“ Erfüllungsgeschäfts<br />

nach dem Bruttoprinzip richten solle 53 .<br />

52 Angelehnt an BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR 166/07.<br />

53 Kritisch auch Hohn, wistra 2006, 321 ff.; Saliger, NJW 2006, 3377 ff.; Lohse, JR 2009, 188 ff.; Schlösser, NStZ<br />

2011, 121 ff.; Burghart, wistra 2011, 241 ff.; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht,<br />

2011, § 73 StGB Rn. 27.<br />

25


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Betrug<br />

Fall 954<br />

Der Angeklagte F. wurde wegen (versuchten) Betrugs in Tateinheit mit strafbewehrten<br />

Verstößen gegen das AktG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Hintergrund der<br />

Verurteilung waren zunächst Bilanzmanipulationen namentlich der Umsatz- und Ertragszahlen<br />

der I. AG angesichts des geplanten Verkaufs der Mehrheitsanteile von F.<br />

an dem Aktienpaket. Zu diesem Zweck wurden insgesamt 8 Rechnungen über tatsächlich<br />

von der I. AG nicht erbrachte Leistungen mit einem Gesamtvolumen von<br />

rund 12 Mio. DM aktiviert, um so über die tatsächliche wirtschaftliche Situation der<br />

AG zu täuschen und potentielle Käufer zur Zahlung eines überhöhten Kaufpreises zu<br />

veranlassen.<br />

Der Mehrheitsanteil des F. an der I. AG wurde schließlich über die zwischengeschaltete<br />

D.-H. GmbH an die englische Gesellschaft E. plc. zum Gesamtkaufpreis von 762<br />

Mio. Euro übertragen. Im Gegenzug zahlte die E. plc. 210 Millionen Euro und übertrug<br />

ferner 62 Millionen neu herauszugebende Aktien der Gesellschaft – Bewertung<br />

im Kaufvertrag: 552 Mio. Euro.-<br />

F. war sich darüber bewusst, dass der Kaufpreis um mindestens 30 Millionen Euro<br />

den tatsächlichen Marktwert des Aktienpakets überstieg.<br />

Lösung:<br />

Unter Fortführung der Senats-Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 30.05.2008, 1 StR<br />

166/07) ist vorliegend bei der Berechnung des durch einen Kauf Erlangten vom gesamtem<br />

Verkaufserlös auszugehen. Der Senat verweist dabei zudem auf eine nicht<br />

veröffentlichte Entscheidung des BVerfG 55 , wonach in Abgrenzung zu den vom 5.<br />

Strafsenat entschiedenen Fällen die vom Beschwerdeführer eingesetzten Vermögenswerte<br />

selbst Gegenstand der mutmaßlichen Tathandlung gewesen seien.<br />

(dd) Straftaten nach §§ 92 ff. AuslG (a.F.) und 95 ff. AufenthG<br />

In diesem Bereich können dem Verfall die gezahlten Provisionen für die eigentliche Schleusertätigkeit<br />

unterliegen; nicht mehr unmittelbar erlangt sind hingegen Zuflüsse aus der illegalen Beschäftigung<br />

der eingeschleusten Ausländer 56 .<br />

Gleiches soll im Übrigen auch bei erzielten Erlösen aus erzwungener Prostitution gelten 57 .<br />

(ee) Illegales Glückspiel<br />

Auch beim illegalen Glückspiel dürfte der Gesamterlös dem Grunde nach dem Verfall unterliegen<br />

58 .<br />

(ff) Straftaten gegen die Umwelt (§§ 324 ff. StGB)<br />

Im Bereich der Umweltdelikte sind ober- und höchstrichterliche Verfallsentscheidungen – soweit<br />

ersichtlich – bisher kaum ergangen.<br />

Hier kann an ggf. ersparte Aufwendungen angeknüpft werden, die den Verfallsadressaten rechnerisch<br />

erfassbar besser gestellt haben. Hat z.B. ein Unternehmer, der nach §§ 324, 326 StGB<br />

bestraft wird, giftige Abfallstoffe in ein Gewässer eingeleitet und dadurch die Kosten für die Sondermüllbeseitigung<br />

erspart, kann dieser Vermögensvorteil über die Verfallsbestimmungen abgeschöpft<br />

werden 59 .<br />

54 Angelehnt an den „Falk-Fall“, BGH, Urteil vom 29.06.2010, 1 StR 245/09 (vereinfacht dargestellt); hierzu kri-<br />

tisch Bauer, NStZ 2011, 396 ff.<br />

55 BVerfG, Beschluss vom 11.12.2008, 2 BvR 1871/08; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 07.07.2006, 2 BvR<br />

527/06.<br />

56 Lohse, JR 2009, 189 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 28.01.2004, 2 BvR 152/04; vgl. auch LG Kleve,<br />

Urteil vom 17.03.2005, 211 Ns 300 Js 262/04 (1/05).<br />

57 Lohse a.a.O.<br />

58 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 26; a.A. Fischer, StGB, 58.<br />

Auflage 2011, § 73 Rn 9; Odenthal, NStZ 2006, 14.<br />

59 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 1. Auflage 2006, 3. Teil Rn. 422; Schmidt,<br />

Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73 Rn. 22; Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73<br />

Rn. 9.<br />

26


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Nicht einheitlich ist hingegen die Rechtsprechung bei Vergehen nach § 327 StGB.<br />

Nach einer Entscheidung des Landgerichts Münster sollen bei einem Unternehmer, der ohne die<br />

erforderliche Genehmigung eine an sich genehmigungsfähige Anlage strafbewehrt im Sinne des §<br />

327 StGB betrieben hat, nur die ersparten Aufwendungen für die erforderliche Genehmigung und<br />

die Durchführung des dafür vorgesehenen Verfahrens als unmittelbar Erlangtes abgeschöpft werden<br />

können 60 .<br />

Unter Bezugnahme auf den Beschluss des BGH vom 27.01.2010, 5 StR 224/09, führt das Landgericht<br />

zur Begründung aus, dass strafrechtlich bemakelt lediglich der Betrieb der grundsätzlich genehmigungsfähigen<br />

Anlage ohne die notwendige Genehmigung gewesen sei 61 . Im Wesentlichen<br />

wird daher auf die Figur des rechtmäßigen Alternativverhaltens rekurriert 62 .<br />

Demgegenüber kommt das OLG Hamburg bei einem vergleichbaren Sachverhalt zum Verfall des<br />

gesamten Erlöses (abzüglich der Umsatzsteuer) 63 .<br />

Zuletzt sei noch auf eine weitere bemerkenswerte Entscheidung des OLG Hamburg 64 verwiesen,<br />

der Verstöße gegen § 303 StGB und §§ 2 und 5 Baumschutzverordnung i.V.m. 49 Abs. 1 Nr. 1<br />

des Hamburgischen Naturschutzgesetzes zugrundelagen. Neben der Frage, ob ein Vorteil im Sinne<br />

der Verfallsvorschriften auch in der Möglichkeit liegen kann, eine Gewinnchance zu realisieren,<br />

sieht das OLG Hamburg im vorliegenden Fall den Vermögensvorteil darin, dass durch das rechtswidrige<br />

Abholzen der Bäume eine Wohnsituation mit direktem „Elbblick“ geschaffen worden ist,<br />

was sich als wertsteigernder Faktor darstellt.<br />

(gg) Steuerhehlerei (§ 374 AO)<br />

Der Steuerhehler, der Zigaretten aufkauft oder sich sonst verschafft, erlangt (unmittelbar) im<br />

Sinne des § 73 Abs. 1 StGB zunächst die Zigaretten und durch den anschließenden Weiterverkauf<br />

den hieraus erzielten Erlös. Er erlangt indes weder aus der Tat noch für die Tat hinterzogene<br />

Steuern und Abgaben; dies gilt trotz der gesamtschuldnerischen Haftung des Steuerhehlers für<br />

(zuvor) verkürzte Steuern (§ 71 AO). Getätigte Aufwendungen für den Ankauf der Zigaretten<br />

bleiben wegen des Bruttoprinzips außer Ansatz. Ist der Steuerhehler auch Empfänger im Sinne<br />

des § 19 TabStG a.F., hat er daneben die Aufwendungen für die beim Verbringen der Zigaretten<br />

in das deutsche Steuergebiet entstandene Tabaksteuer erspart 65 .<br />

(hh) Eigene Anmerkungen<br />

Gerade der Bereich der strafbewehrten Anbahnung von (Austausch-)Verträgen insbesondere infolge<br />

korruptiver Einflussnahmen ist besonders problematisch und scheint dogmatisch nur schwer<br />

in den Griff zu bekommen zu sein.<br />

Während Hohn die Auffassung vertritt, das Erlangte läge in der Chance auf die Auftragserteilung<br />

66 , gehen die in der Rechtsprechung vertretenen Meinungen zumindest einen Schritt weiter<br />

und orientieren sich am Vertragsschluss 67 .<br />

Die frühere obergerichtliche Rechtsprechung hatte den vollständigen Zahlungsanspruch, auch<br />

unabhängig von dessen Fälligkeit und Durchsetzbarkeit, als erlangt angesehen 68 , während sich<br />

der 5. Senat (vgl. oben) am Wert des erlangten Auftrags und damit in erster Linie am Gewinn<br />

orientiert hat.<br />

Schließlich scheint der 1. Senat die vollständige, als (weitere) Folge des Vertragsschlusses vereinnahmte<br />

Summe zu präferieren (vgl. oben).<br />

60<br />

LG Münster, Beschluss vom 09.03.2011, 9 Qs 6/11.<br />

61<br />

Vgl. auch OLG Koblenz, Beschluss vom 28.09.2006, 1 Ss 247/06.<br />

62<br />

Vgl. insoweit zu § 29a OWiG: OLG Celle, Beschluss vom 30.08.2011, 322 SsBs 175/11.<br />

63<br />

OLG Hamburg, Beschluss vom 12.08.2011, 3 Ws 93/11; vgl. auch Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB<br />

Band 2/1 §§ 52-79b, 2005, § 73c Rn. 12.<br />

64<br />

OLG Hamburg, Beschluss 06.10.2009, 3 Ws 118/09.<br />

65<br />

BGH, Beschluss vom 28.06.2011, 1 StR 37/11.<br />

66<br />

Hohn, wistra 2006, 321 ff.; zust. Bauer, NStZ 2011, 396 ff.<br />

67<br />

Zust. Saliger, NJW 2006, 3377 ff.<br />

68<br />

OLG Köln, Beschluss vom 08.08.2003, 2 Ws 433/03; Thüringer OLG, Beschluss vom 27.07.2004, 1 Ws 234<br />

236/04.<br />

27


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Fortführung der Lösung Fall 6<br />

Während – vorbehaltlich etwaiger Abzüge nach § 73c StGB – nach der Auffassung<br />

von Hohn die D. GmbH 24 Mio. DM – dieser Betrag entspricht als Bestechungsgeld<br />

dem Wert der Chance, den Zuschlag für das Projekt zu erhalten – erlangt hätte,<br />

kommen 1. Strafsenat und die Oberlandesgerichte Köln und Thüringen, wenn auch<br />

mit unterschiedlichem Ansatz, zu dem wirtschaftlich betrachtet gleichen Ergebnis,<br />

dass die Gesellschaft 792 Mio. DM erlangt hätte, wohingegen nach der Rechtsprechung<br />

des 5. Senats nur auf ein Erlangtes in Höhe von 24 Mio. DM + 8 Mio. DM (als<br />

Gewinn) abgestellt werden kann.<br />

Diese auf den ersten Blick erheblichen Meinungsunterschiede relativieren sich aber<br />

bei näherer Analyse des Falls sofort wieder.<br />

Die D. GmbH, die sich in Insolvenz befand, hatte nämlich erhebliche Verluste erzielt,<br />

weshalb das LG Köln – wenn auch nicht mit zutreffender Begründung – im Ergebnis<br />

jedoch zu Recht – vom BGH bestätigt - einen Härtefall nach § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1<br />

StGB angenommen hat.<br />

Neben dem 5. Strafsenat wären somit auch die übrigen Auffassungen zu dem Ergebnis<br />

gekommen, dass eine Verfallsanordnung insgesamt ausscheidet.<br />

Dieses Ergebnis bestätigt die eingangs formulierte These, dass eine (normative) Begrenzung des<br />

Verfallsausspruchs entweder schon tatbestandlich bei der Bestimmung des (unmittelbar) Erlangten<br />

im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB oder aber später im Rahmen der Prüfung des § 73c<br />

StGB möglich ist.<br />

Unterschiede können sich indes daraus ergeben, dass eine Begrenzung auf tatbestandlicher Ebene<br />

des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB zwingend zum (anteiligen) Ausschluss des Verfalls führt, während<br />

die tatbestandliche Annahme der Entreicherung i.S.d. § 73c Abs. 1 Satz Alt. 1 StGB lediglich Ermessen<br />

eröffnet, von einer solchen Anordnung (teilweise) abzusehen.<br />

Losgelöst davon ist die Rechtsprechung des 5. Strafsenats dogmatisch betrachtet zweifelhaft.<br />

Bereits Saliger hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Senat bei der konkreten Bestimmung<br />

des wirtschaftlichen Auftragswerts mit dem Bruttoprinzip bricht. Der BGH lasse nämlich mit dem<br />

vorrangigen Abstellen auf den „Nettogewinn“ genau jenes Verrechnen von Leistung und Gegenleistung<br />

zu, das das Bruttoprinzip an sich ausschließt 69 . Davon losgelöst erscheinen aber auch die<br />

von den beiden Strafsenaten – teilweise ohne nähere Begründung – als maßgeblich anerkannten<br />

Prinzipien der „Unmittelbarkeit“ und der „(Nicht-)Bemakelung“ von schuldrechtlichem<br />

Vertrag und Erfüllungsvertrag nicht unbedingt geeignet zu sein, zu unterscheidungskräftigen Differenzierungen<br />

zu gelangen 70 . Vieles spricht daher dafür, sich in derartigen Fällen nicht von einem<br />

engen Unmittelbarkeitserfordernis leiten zu lassen und die versprochene oder erlangte Leistung,<br />

auf die die Tat jedenfalls nach ihrem Fernziel ausgerichtet ist, als erlangt anzusehen. Korrekturen<br />

können dann über § 73c StGB vorgenommen werden 71 .<br />

a. Kein Fall des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB 72<br />

Der Verfall ist in den Fällen des Erlangens aus der Tat ausgeschlossen, wenn Ansprüche von Verletzten<br />

aus der Straftat (abstrakt) vorhanden sind.<br />

Diese Regelung bezweckt, dass zum einen Ansprüche von Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2<br />

StGB gegenüber sonstigen Gläubigern privilegiert behandelt werden; zum anderen soll eine zweifache<br />

Inanspruchnahme des Täters oder Teilnehmers ausgeschlossen werden 73 .<br />

69<br />

Saliger, a.a.O.; zust. Lohse, a.a.O.; so auch BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR 166/07, Rn. 108.<br />

70<br />

Vgl. Burghart, wistra 2011, 241 ff.; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73<br />

StGB Rn. 27.<br />

71<br />

Wiedner a.a.O.<br />

72<br />

Vgl. hierzu die Ausführungen im 3. Teil „Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten“.<br />

73<br />

Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB Band 2/1 §§ 52-79b, 2005, § 73 Rn. 36.<br />

28


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

II Rechtsfolge<br />

Beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB ist der Verfall zwingend<br />

anzuordnen.<br />

Mit Rechtskraft der Entscheidung geht das Eigentum an der Sache oder das verfallene Recht auf den<br />

Staat über, wenn es dem von der Anordnung Betroffenen zu dieser Zeit zusteht (§ 73e Abs. 1 Satz 1<br />

StGB). Rechte Dritter an dem Gegenstand bleiben bestehen (§ 73e Abs. 1 Satz 2 StGB).<br />

29


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

1.2.3 Dem (Original-)Verfall unterliegende mittelbare Tatvorteile nach § 73 Abs. 2<br />

StGB<br />

I Übersicht<br />

Satz 1<br />

Verfall erstreckt sich auf<br />

gezogene Nutzung<br />

Begriff Nutzungen ist in<br />

§ 100 BGB definiert.<br />

Es sind demnach die Früchte<br />

einer Sache oder eines Rechtes<br />

sowie die Vorteile, die der<br />

Gebrauch der Sache oder des<br />

Rechts gewährt<br />

Beispiele:<br />

Miet-, Pachtzins,<br />

Dividenden, Kapitalzinsen<br />

II Anwendungsbereich<br />

Fall 10<br />

§ 73 Abs. 2 StGB<br />

Satz 2<br />

Verfall kann sich erstrecken auf Gegenstände, die Täter/Teilnehmer<br />

durch Veräußerung<br />

eines erlangtenGegenstandes<br />

erworben<br />

hat<br />

Beispiel:<br />

Veräußerungs-<br />

erlös<br />

auf Grund eines<br />

erlangten Rechts<br />

erworben hat<br />

Beispiele:<br />

Realisierung<br />

eines erschwindelten<br />

Anspruchs,<br />

Taterlangtes wird<br />

bei einer Bank<br />

angelegt<br />

(Rechts-<br />

forderung)<br />

als Ersatz für die<br />

Zerstörung,<br />

Beschädigung<br />

oder Entziehung<br />

des Originalgegen-<br />

standes<br />

erworben hat<br />

Beispiele:<br />

Ersatzwagen,<br />

Versicherungsleistung<br />

Beachte: § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB ist eine Kann-Vorschrift. Allerdings<br />

ergibt sich aus § 73 a StGB, dass die Anordnung<br />

des Wertersatzes zwingend ist, falls vom Verfall des Ersatzgegenstandes<br />

Abstand genommen wird.<br />

A., B. und C. erzielten aus einem Rauschmittelgeschäft insgesamt 150.000,- Euro in<br />

bar, die anteilig untereinander aufgeteilt wurden.<br />

A. legt seinen Anteil in Höhe von 50.000,- Euro auf einem Festgeldkonto an und erzielt<br />

eine Rendite von 6% p.a. B. kauft eine Gaststätte, die er anschließend für<br />

5.000,- Euro verpachtet, während C. einen Mercedes im Wert von 60.000,- Euro für<br />

nur 50.000,- erwirbt. Infolge eines Unfalls wird der Pkw total beschädigt, woraufhin<br />

die Versicherung den C. mit 55.000,- Euro entschädigt.<br />

Die Falllösung soll täterbezogen – zunächst ohne Berücksichtigung der Figur der „gesamtschuldnerischen<br />

Haftung“ – vorgenommen werden.<br />

§ 73 Abs. 2 StGB ist eng angelehnt an die Regelung des § 818 Abs. 1 BGB. Wie im zivilrechtlichen<br />

Bereicherungsrecht, wo der Kondiktionsgläubiger neben der Herausgabe des Bereicherungsgegenstandes<br />

selbst, was direkt aus § 812 Abs. 1 BGB folgt, auch Nutzungen und ggf. bestimmte Surrogate<br />

heraus verlangen kann, ist dies auch für den Verfallsgläubiger möglich.<br />

30


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Demnach erstreckt § 73 Abs. 2 Satz 1 StGB den Verfall zwingend auf tatsächlich gezogene Nutzungen<br />

(im Sinne der §§ 99, 100 BGB), also etwa auf Zinsen oder sonstige Dividenden, während § 73 Abs. 2<br />

Satz 2 StGB insoweit Ermessen einräumt, auch auf Surrogate (Ersatzgegenstände) Zugriff zu nehmen.<br />

Sicherungsmaßnahmen im Wege der Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 1 und 111c StPO und der<br />

Verfallsausspruch auch gestützt auf § 73 Abs. 2 StGB sind indes nur dann möglich, wenn Nutzungen<br />

resp. Surrogate ihrerseits im Original noch vorhanden sind. Ist dies hingegen nicht (mehr) feststellbar,<br />

kommt nur noch der Verfall von Wertersatz nach § 73a StGB in Betracht.<br />

Entgegen dem Wortlaut ist der Verfall gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 StGB auch dann möglich und zwingend<br />

anzuordnen, wenn nach dem Untergang des zunächst unmittelbar Erlangten Nutzungen aus dem<br />

angefallenen Surrogat (im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB) erzielt worden sind 74 . Anderenfalls würde<br />

der Täter gemessen an seiner Vermögenssituation vor der Tat besser gestellt.<br />

Sieht das Gericht im Rahmen fehlerfrei ausgeübten Ermessens vom (Surrogat-)Verfall ganz oder teilweise<br />

ab, so kommt § 73a Satz 1 Alt. 3 StGB (anteilig) zum Tragen.<br />

Lösung Fall 10<br />

A. und B. haben die ursprünglich in bar vereinnahmten (Original-)Erlöse von jeweils<br />

50.000,- Euro investiert, A. auf einem Festgeldkonto und B. über den Kauf der Gaststätte,<br />

und damit Surrogate (im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB) erlangt, nämlich<br />

bei A. die Forderung auf Auszahlung des Guthabenbetrages und bei B. die Gaststätte.<br />

Die darüber hinaus jeweils erzielten Nutzungen unterliegen gleichfalls dem Verfall.<br />

Bei beiden Tätern kann daher die Verfallsanordnung ausschließlich auf § 73 Abs. 2<br />

StGB gestützt werden, sofern diese mittelbaren Tatvorteile insgesamt noch vorhanden<br />

sind. Sollte die Gaststätte dagegen an Wert verloren haben und ggf. nur schwer<br />

veräußerbar sein, wäre es aber auch möglich, neben dem Verfall der erzielten Pachtzinsen<br />

anteilig den Verfall von Wertersatz in Höhe von 50.000,- Euro anzuordnen.<br />

Unter taktischen Gesichtspunkten macht dies aber nur dann Sinn, wenn B. noch über<br />

weitere legale Vermögenswerte verfügt.<br />

Bei C. ist der Verfall nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB gleichfalls unmöglich geworden.<br />

Auch der Verfall des ersatzhalber erworbenen Pkws im Wert von 60.000,- Euro scheidet<br />

aus. Rückgriff kann vielmehr genommen werden auf die von der Versicherung<br />

gewährte Entschädigungszahlung in Höhe von 55.000,- Euro als Surrogat des Surrogates.<br />

Der weitergehende auf § 73a Satz 2 StGB gestützte Verfall von Wertersatz in<br />

Höhe von 5.000,-Euro als Differenz zwischen dem ursprünglichen Verkehrswert des<br />

Mercedes und der Versicherungsleistung dürfte dagegen ausscheiden, da der Wortlaut<br />

der Norm diesen Fall nicht erfasst und ansonsten der Täter ungerechtfertigt belastet<br />

würde. Wäre dagegen im Ausgangsfall der Mercedes nur 40.000,- Euro wert<br />

gewesen und nicht untergegangen, so käme neben dem Verfall des Mercedes nach §<br />

73 Abs. 2 Satz 2 StGB der anteilige Verfall von Wertersatz gem. § 73a Satz 2 StGB<br />

über 10.000,- Euro infrage.<br />

1.2.4 Der dritteigentümerbezogene Verfall gem. § 73 Abs. 4 StGB<br />

Nach § 73 Abs. 4 StGB wird der Verfall eines Gegenstandes auch dann angeordnet, wenn er einem<br />

Dritten gehört oder zusteht, der ihn für die Tat oder sonst in Kenntnis der Tatumstände gewährt hat.<br />

Anders als bei § 73 Abs. 1, 2 und 3 StGB fallen hier Gewahrsam und dingliche Position resp. Rechtsinhaberschaft<br />

an dem Gegenstand insofern auseinander, dass Täter, Teilnehmer oder Andere (im Sinne<br />

des § 73 Abs. 3 StGB) Gewahrsam an dem Verfallsgegenstand haben, während ein Dritter dinglich<br />

berechtigt bzw. Rechtsinhaber ist.<br />

Erfasst sind somit – wie oben im Fall 1 – Konstellationen, in denen eine nicht notwendig tatbeteiligte<br />

dritte Person dem Täter einen Gegenstand zugewendet hat, dieser aber – wegen Nichtigkeit des<br />

Übereignungsgeschäfts nach §§ 134, 138 BGB – nicht Eigentümer geworden ist, so dass der Verfall<br />

nach § 73 Abs. 1 StGB ausscheidet 75 ; lediglich eine Gebrauchsüberlassung seitens des Dritten ist aber<br />

74 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 26.<br />

75 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 39.<br />

31


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

nicht ausreichend 76 . Die Anordnung richtet sich insoweit gegen den Tatbeteiligten, der den Gegenstand<br />

erlangt hat 77 , wobei der Dritte gem. §§ 442 Abs. 1, 431 StPO am Verfahren zu beteiligen ist.<br />

1.2.5 Der Verfall nach § 73 Abs. 3 StGB<br />

Frage:<br />

Worin liegt die besondere Bedeutung des Drittempfängerverfalls?<br />

Im Rahmen der Vermögensabschöpfung kommt § 73 Abs. 3 StGB, der den so genannten „Drittempfängerverfall“<br />

normiert, nicht nur materiell-, sondern auch verfahrensrechtlich eine zentrale Bedeutung<br />

zu.<br />

Das hängt zum einen damit zusammen, dass bei einer Vielzahl von Fallgestaltungen zunächst nicht die<br />

strafbewehrt handelnden Organe etc., sondern die hinter ihnen stehenden bzw. von ihnen vertretenen<br />

juristischen Personen u.a. verfallsrelevant etwas erlangt haben.<br />

Zum anderen ist vermehrt festzustellen, dass insbesondere Täter aus dem Kreis der organisierten<br />

(Wirtschafts-)Kriminalität teilweise auch schon im Vorfeld der eigentlichen Straftaten und mitunter bei<br />

Zuhilfenahme anwaltlicher Beratung auf vielfältige Weise vermögensrelevante Dispositionen vornehmen,<br />

um sich – jedenfalls nach außen hin – (vermeintlich) zu entreichern und damit den staatlichen<br />

Zugriff zu erschweren oder zu vereiteln. Derartige Bemühungen zeigen sich beispielsweise in der Weitergabe<br />

inkriminierter Vermögenswerte an nahe Angehörige, in der Durchführung von Scheingeschäften<br />

oder in der Begründung komplexer Treuhandverhältnisse.<br />

Vor diesem Hintergrund hat sich hierzu in den letzten Jahren eine umfangreiche Judikatur entwickelt.<br />

Im Kern geht es dabei in erster Linie um den Anwendungsbereich des § 73 Abs. 3 StGB und andere<br />

materiell-rechtliche Lösungsansätze außerhalb des Drittempfängerverfalls, etwa über das Anfechtungsgesetz<br />

78 . Daneben werden aber auch Fragen zu den Möglichkeiten des Organdurchgriffs, der<br />

gesamtschuldnerischen Haftung oder eines Härtefalls nach § 73c StGB behandelt. Schließlich können<br />

sich bei vorläufig sichernden Maßnahmen nach §§ 111b ff. StPO auch spezifisch verfassungsrechtliche<br />

Probleme im Zusammenhang mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art.<br />

13 GG) und mit der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) stellen.<br />

76 Fischer a.a.O.<br />

77 Fischer a.a.O.<br />

78 Vgl. Rhode, wistra 2012, 85 ff.<br />

32


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

II Anwendungsbereich des § 73 Abs. 3 StGB<br />

a. Übersicht<br />

b. Systematische Stellung<br />

Handeln für einen Anderen<br />

In den Fällen Faktisches Verschiebungsfälle Sonderfall<br />

des § 14 StGB Handeln des<br />

Täters/Teilnehmers 1. Täter überträgt inkrimi- Übertragung von (ursprünglich)<br />

- Organvertretung auch im Interesse niertes Vermögen unent- legalem Vermögen auf Dritte<br />

eines Dritten geltlich auf Dritten<br />

und der §§ 164 ff. 1. bei drohender Zwangsvoll-<br />

BGB 2. Täter überträgt inkrimi- streckung (BVerfG, Beschluss<br />

niertes Vermögen entgelt- vom 12.11.2002, 2 BvR 1513/02)<br />

- Offene Stellvertretung lich auf Dritten, dem die<br />

Herkunft des Vermögens 2. im Rahmen infolge einer<br />

bekannt ist. Straftat ersparter Aufwendungen<br />

(OLG Düsseldorf, Beschluss vom<br />

3. Täter überträgt inkrimi- 02.04.2009, III-1 Ws 119/09;<br />

niertes Vermögen entgelt- OLG Köln, Beschluss vom<br />

lich auf Dritten, der leicht- 23.09.2009, 2 Ws 440/09)<br />

fertig die Herkunft nicht<br />

kennt.<br />

Rechtsfolge<br />

Inanspruchnahme des Dritten<br />

gem. § 73 Abs.3 StGB<br />

Erfüllungsfall<br />

- Täter wendet gutgläubigem Dritten<br />

Tatvorteile zu<br />

- in Erfüllung einer nicht bemakelten<br />

entgeltlichen Forderung<br />

- deren Inhalt und Entstehung in keinem<br />

Zusammenhang mit der Tat stehen<br />

(BGH, Urt. vom 19.10.1999,<br />

Az. 5 StR 336/99)<br />

§ 73 Abs. 3 StGB ist in die Regelung des (Original-)Verfalls eingebettet und erlaubt den Zugriff beim<br />

Drittempfänger, der über den Vermögensvorteil sowohl tatsächlich als auch rechtlich wirksam verfügen<br />

muss 79 . Ein „erweiterter Drittempfängerverfall“ in der Diktion des § 73d StGB ist hingegen von<br />

Gesetzes wegen ausgeschlossen.<br />

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich weiter, dass der Andere – im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB –<br />

nicht Täter oder Teilnehmer sein kann 80 .<br />

79 Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 158 ff. und 262.<br />

80 BGH, Urteil vom 06.11.1990, 1 StR 718/89.<br />

33


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Schließlich darf infolge der im Verhältnis zu § 73 Abs. 1 und Abs. 2 StGB strengen Akzessorietät des §<br />

73 Abs. 3 StGB der Drittempfängerverfall nicht weitergehen als beim Tatbeteiligten selbst 81 .<br />

c. Adressatenkreis<br />

Der Andere im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB kann zunächst jede natürliche oder juristische Person (des<br />

öffentlichen Rechts), aber auch eine Personengesellschaft oder Vereinigung ohne eigene Rechtsfähigkeit<br />

sein, sofern sie Träger eines Vermögens sein können, das vom Privatvermögen der einzelnen<br />

Gesellschafter bzw. Mitglieder zu unterscheiden ist 82 .<br />

d. Drittempfängerverfall nach BGHSt 45, 235 ff. 83<br />

Bei dem Urteil handelt es sich um die Grundsatzentscheidung des BGH zu § 73 Abs. 3 StGB; die zentralen<br />

Leitsätze entsprechen der ständigen Rechtsprechung aller Senate.<br />

Zum besseren Verständnis sollte zwischen Fällen des Erlangens beim Drittempfänger ohne und nach<br />

(Durchgangs-)Erwerb beim Tatbeteiligten differenziert werden 84 .<br />

(1) Vertreterfälle i.e.S. und i.w.S. (ohne Durchgangserwerb beim Tatbeteiligten)<br />

Fall 11<br />

A. ist (Allein-)Geschäftsführer und Gesellschafter der A. GmbH. Infolge von Betrugstaten<br />

des A. gehen auf dem Geschäftskonto der A. GmbH insgesamt 100.000,- Euro<br />

ein. Noch vor der Entdeckung der Taten fällt die Gesellschaft in Insolvenz.<br />

Fall 12<br />

A. besticht den Kommunalbeamten B., um Kenntnis von den Angeboten der übrigen<br />

Mitbewerber zu bekommen und auf diese Weise über ein günstigeres Angebot den<br />

Zuschlag für ein von der Körperschaft ausgeschriebenes Projekt zu erhalten. Entsprechend<br />

ihrer Vereinbarung wendet A. direkt der Ehefrau des B. einen Pkw als Bestechungslohn<br />

zu, der anschließend auf sie zugelassen wird.<br />

Zu den Vertretungsfällen (im engen Sinne) gehört das strafbewehrte Handeln als Organ, Vertreter<br />

oder Beauftragter im Sinne des § 14 StGB, das zu einem Vermögenszuwachs unmittelbar bei dem<br />

Dritten geführt hat.<br />

Darüber hinaus erfasst die Vorschrift auch das Handeln sonstiger Angehöriger einer Organisation, die<br />

im Organisationsinteresse tätig werden, etwa leitender Angestellter 85 .<br />

Fließt in solchen Fällen dem Dritten der Vorteil zu, so hat der Täter oder Teilnehmer (zumindest faktisch)<br />

für den Dritten gehandelt 86 .<br />

Der Organdurchgriff (vgl. die Lösung zu Fall 11) bleibt auf Ausnahmefälle beschränkt.<br />

81<br />

Rönnau, Münchener Anwaltshandbuch, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2006, § 12 Rn.<br />

110 ff.<br />

82<br />

Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 265 ff.<br />

83<br />

BGH, Urteil vom 19.10.1999, 5 StR 336/99.<br />

84<br />

Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 270 ff.<br />

85<br />

Vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 21.08.2002, 1 StR 115/02.<br />

86<br />

Vgl. auch OLG Hamburg, Beschluss vom 06.10.2009, 3 Ws 118/09.<br />

34


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Lösung zu Fall 11<br />

Hier hat ausschließlich die A. GmbH 100.000,- Euro erlangt. Da das Erlangte im Original<br />

nicht mehr vorhanden ist, kommt die Anordnung des Verfalls von Wertersatz<br />

gem. § 73a Satz 1 Alt. 2 StGB infrage, die grundsätzlich trotz des anhängigen Insolvenzverfahrens<br />

noch möglich ist 87 . Allerdings bleibt zu prüfen, ob nicht ein Härtefall<br />

nach § 73c StGB gegeben ist, der den Verfall (anteilig) ausschließt.<br />

Trotz Vorliegens einer so genannten „Ein-Mann-GmbH“ ist der Durchgriff auf A. als<br />

Organ ausgeschlossen. Die Vermögenssphären des handelnden Organs und der Gesellschaft,<br />

die den Vermögenszuwachs unmittelbar erzielt hat, sind streng voneinander<br />

zu trennen. Die Rechtsprechung lässt nur in besonderen Ausnahmefällen den<br />

Rückgriff auf den Täter oder Teilnehmer zu. Voraussetzung dafür wäre, dass sich<br />

dessen Vermögensbilanz selbst geändert hat; die nur rein faktische Möglichkeit, über<br />

das Geschäftskonto der Gesellschaft zu verfügen, reicht indes nicht aus.<br />

Derartige, einen Rückgriff rechtfertigende Umstände können etwa darin liegen, dass<br />

der Täter die Gesellschaft nur als einen formalen Mantel seiner Tat nutzt, eine Trennung<br />

zwischen der eigenen Vermögenssphäre und derjenigen der Gesellschaft aber<br />

nicht vornimmt, oder darin, dass jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die<br />

Gesellschaft zugleich an den Täter weitergeleitet wird 88 .<br />

Lösung Fall 12<br />

Vorliegend hat A. im faktischen Interesse seiner Ehefrau gehandelt, bei der sich ein<br />

Vermögenszuwachs eingestellt hat. § 73 Abs. 3 StGB ist unmittelbar anwendbar. 89 .<br />

(2) Verschiebungsfall (mit Durchgangserwerb beim Tatbeteiligten)<br />

Fall 13<br />

A. und B. haben den Verkauf von 1 Kg Heroin gewinnbringend abgewickelt und daraus<br />

einen Gesamterlös von 100.000,- Euro erzielt, den sie anteilig untereinander aufteilen.<br />

A., der aufgrund einschlägiger Vorerfahrungen mit Finanzermittlungen der Polizei<br />

rechnet, bittet seinen Freund C., das Geld für ihn treuhänderisch anzulegen. C.<br />

kommt der Bitte nach und deponiert den Betrag auf einem von ihm eigens neu begründeten<br />

Konto bei der S-Bank. B. hingegen wendet 25.000,- Euro unentgeltlich<br />

seiner gutgläubigen Freundin F. zu; die übrigen 25.000,- Euro deponiert er bei D.,<br />

der eine ungefähre Ahnung von der Herkunft der Gelder hat. D. erhält absprachegemäß<br />

im Vorhinein 1.000,- Euro Honorar für seine Tätigkeit.<br />

Nach der Rechtsprechung des BGH werden auch die so genannten Verschiebungsfälle vom Anwendungsbereich<br />

des § 73 Abs. 3 StGB erfasst 90 .<br />

87<br />

Vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2005, 5 StR 119/05.<br />

88<br />

BVerfG, Beschluss vom 29.05.2006, 2 BvR 820/06, Rn. 27; BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR 166/07, Rn. 126<br />

- zitiert nach juris -.<br />

89<br />

Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 4. Auflage, S. 72.<br />

90<br />

BGH, Urteil vom 19.10.1999, 5 StR 336/99; vgl. hierzu auch Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12.<br />

Auflage, 2010, Bd. 3, § 73 Rn. 54 ff.; Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB, 2005, Bd. 2/1, § 73 Rn. 52<br />

ff.; Hofmann, wistra 2008, 401 ff.; Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren,<br />

4. Aufl., 2010, S. 70 ff.; Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 284 ff.<br />

35


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Frage:<br />

Was sind Verschiebungsfälle?<br />

Diese zeichnen sich dadurch aus, dass der Täter oder Teilnehmer einem Dritten die Tatvorteile unentgeltlich<br />

oder aufgrund eines bemakelten Rechtsgeschäfts zukommen lässt, um sie dem Zugriff des<br />

Gläubigers zu entziehen oder um die Tat zu verschleiern. Der BGH sieht den Dritten hier in der Nähe<br />

zur Tatbeteiligung, wenngleich der Täter die Tat und auch die spätere Vermögensverschiebung regelmäßig<br />

primär im eigenen Interesse und allenfalls faktisch (auch) im Interesse des Dritten begehen<br />

wird. Diese Konstruktion ähnelt somit § 822 BGB, der – als Ausnahmefall im Zivilrecht – im Wege der<br />

Durchgriffskondiktion die allerdings nur subsidiäre Inanspruchnahme des unentgeltlich Erlangenden<br />

erlaubt, wohingegen strafrechtlich der zuerst erlangende Täter und (nach Durchgangserwerb) der<br />

Drittempfänger gesamtschuldnerisch haften 91 .<br />

Lösung Fall 13<br />

Zunächst können A. und B. gesamtschuldnerisch haftend gemäß § 73a StGB in Anspruch<br />

genommen werden, da der ursprünglich erlangte Erlös in Höhe von 100.000,-<br />

Euro im Original nicht mehr vorhanden ist 92 .<br />

Ferner erlaubt § 73 Abs. 3 StGB den Zugriff bei C. und bei F., die jeweils unentgeltlich<br />

inkriminiertes Vermögen im Wege eines Verschiebungsfalls erlangt haben. Infolge<br />

der unentgeltlichen Weitergabe schadet ihr guter Glaube insoweit nicht (Rechtsgedanke<br />

des § 822 BGB). Gleiches gilt auch für D., der allerdings auch wegen Geldwäsche<br />

tatverdächtig ist, so dass über § 261 Abs. 7 Satz 1 StGB i.V.m. §§ 74 Abs. 2<br />

Nr. 1 und Nr. 2, 74a Nr. 1 StGB auch die Einziehung des Geldes erwogen werden<br />

könnte. Der Umstand, dass weder A. und B. noch D. Eigentum daran erworben haben,<br />

wäre insoweit unbeachtlich. Ein echtes Konkurrenzverhältnis zwischen § 73 Abs.<br />

3 StGB und den vorgenannten Einziehungsnormen dürfte aber – anders als im Verhältnis<br />

der §§ 73 Abs. 1 und 73 Abs. 3 StGB – nicht bestehen.<br />

Daneben unterliegt sein Honorar in Höhe von 1.000,- Euro, das er für seine Tat erhalten<br />

hat, direkt dem Verfall (§ 73 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB).<br />

Fortführung folgt!<br />

Die Rechtsprechung des BGH wird gerade auch vor dem Hintergrund des angedeuteten Konkurrenzverhältnisses<br />

zwischen dem täter- oder teilnehmerbezogenen Verfall (von Wertersatz) nach §§ 73<br />

Absätze 1 und 2, 73a StGB und dem Drittempfängerverfall (von Wertersatz) nach §§ 73 Abs. 3, 73a<br />

StGB nicht unkritisch gesehen:<br />

Während Joecks den diesbezüglichen praxisrelevanten Anwendungsbereich auf die Fälle der<br />

Befriedigung eines Bösgläubigen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 261 StGB beschränkt<br />

sieht 93 , da der Bösgläubige als Dritter nicht Täter oder Teilnehmer sein darf, wendet<br />

Rönnau ein, dass – abgesehen davon, dass noch nicht geklärt ist, was unter einem bemakelten<br />

Rechtsgeschäft genau zu verstehen ist – die im Rahmen der Rechtsfortbildung vom BGH<br />

entwickelten beiden Untergruppen der so genannten Verschiebungsfälle im Ergebnis vom Gesetz<br />

nicht vorgesehene Beweiserleichterungen darstellen würden. Bezüglich der Fallgruppe<br />

der bemakelten Rechtsgeschäfte liege der Mangel wohl in dem Verdacht der verdeckten<br />

Unentgeltlichkeit oder in der Durchführung eines Scheingeschäfts, was im Ergebnis auf die<br />

Variante der unentgeltlichen Weitergabe von inkriminierten Vermögenswerten hinauslaufen<br />

91<br />

BGH, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 09.12.2005, 3 BGs 173/05; BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR<br />

166/07.<br />

92<br />

Fragen nach einer möglichen (teilweisen) Surrogation (Ansprüche von A und B aus §§ 667, 675 BGB) sollen<br />

zunächst außer Betracht bleiben.<br />

93<br />

Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB, 2005, Bd. 2/1, § 73 Rn. 68.<br />

36


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

würde, wobei auch dort die Vermutung nahe liege, dass die Übertragung nur auf Zeit oder<br />

nur zum Schein erfolgt sei 94 .<br />

(3) Erfüllungsfall<br />

Fortführung der Lösung Fall 13<br />

Der Ansicht von Rönnau folgend käme es im Verhältnis von A. und C. zu nicht ungefährlichen<br />

Sicherungslücken. Sollte A. ansonsten über kein pfändbares Vermögen<br />

mehr verfügen, läge nur noch in seinem (Herausgabe-)Anspruch gegenüber C. nach<br />

§ 667 BGB (als etwaiges Surrogat im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB) die einzige<br />

pfändbare Vermögensposition. Bei einer Forderungspfändung würde demnach C. als<br />

Drittschuldner nur verboten, an A. zu leisten, wohingegen er selbst weiterhin faktisch<br />

über sein Konto bei der S-Bank verfügen könnte. Daneben bestünde die weitere Gefahr,<br />

dass im Falle des kollusiven Zusammenwirkens C. eine falsche Drittschuldnererklärung<br />

abgibt.<br />

Eine effektive Sicherung würde demnach auch dessen Inanspruchnahme über einen<br />

gegen ihn selbst gerichteten (Sicherungs-)Titel erfordern.<br />

Fall 1495 :<br />

A. und B., Inhaber der A & B GbR, haben über Scheinrechnungen der B. GmbH zu<br />

Unrecht Vorsteuerbeträge generiert und im Rahmen der Umsatzsteuerjahreserklärung<br />

für das Jahr 2010 insoweit falsche Angaben gemacht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO);<br />

dementsprechend wurden ihnen zu Unrecht Vorsteuererstattungen in Höhe von<br />

500.000,- Euro auf das Geschäftskonto der GbR ausgezahlt. A,. der für Geschäftsverbindlichkeiten<br />

seiner Ehefrau im Rahmen eines Darlehens bei der S. Bank persönlich<br />

gebürgt hatte, wurde in dieser Eigenschaft in Anspruch genommen und überwies<br />

vom Konto der GbR 150.000,- Euro an die S. Bank.<br />

Kann nunmehr die S. Bank gestützt auf § 73 Abs. 3 StGB in Anspruch genommen<br />

werden?<br />

Nach der Rechtsprechung des BGH liegt ein § 73 Abs. 3 StGB nicht unterliegender<br />

Erfüllungsfall vor, wenn der Täter oder Teilnehmer einem gutgläubigen Dritten Tatvorteile<br />

zuwendet, und zwar in Erfüllung einer nicht bemakelten entgeltlichen Forderung,<br />

deren Entstehung und Inhalt in keinem Zusammenhang mit der Tat stehen.<br />

Zwar mag der Täter auch hier – zumindest faktisch – im Interesse des Dritten, seines Gläubigers,<br />

handeln, denn er begeht die Tat zumeist, weil er in finanziellen Schwierigkeiten ist und von seinen<br />

Gläubigern bedrängt wird. Das (isolierte) Kriterium des faktischen Interesses kann aber bei dieser<br />

Fallgestaltung nicht bedeuten, dass damit bereits der Anwendungsbereich des § 73 Abs. 3 StGB eröffnet<br />

ist 96 .<br />

Lösung Fall 14:<br />

Die Inanspruchnahme der S. Bank über § 73 Abs. 3 StGB ist vorliegend ausgeschlossen.<br />

Anders als in den Fällen, die § 822 BGB (analog) unterfallen, ist die S. Bank<br />

schutzwürdig, die im Übrigen den Betrag auch nicht unmittelbar (im Sinne des § 73<br />

Abs. 3 StGB), sondern im Rahmen eines durch eine Zäsur getrennten und damit von<br />

der Tat unabhängigen Rechtsgeschäfts erlangt hat.<br />

94 Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 284 ff.<br />

95 Angelehnt an BGH, Urteil vom 19.10.1999, 5 StR 336/99.<br />

96 BGH a.a.O.<br />

37


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

e. Weitere Fallgestaltungen<br />

Die systematische Stellung des § 73 Abs. 3 StGB in das Normgefüge des (Original-)Verfalls und dessen<br />

Wortlaut legen es zunächst nahe, dass zur Begründung eines Verschiebungsfalls die Weitergabe des<br />

originär inkriminierten Vermögens im Sinne des § 73 Abs. 1 und Abs. 2 StGB erforderlich ist. Bei verschiedenen,<br />

eher atypischen Fallgestaltungen ergeben sich daher Zweifel, ob der Zugriff bei einem<br />

Dritten gestützt auf § 73 Abs. 3 StGB noch möglich ist.<br />

(1) Vermischung von inkriminiertem mit legalem Vermögen<br />

Fall 1597 :<br />

Auch die Entscheidung des OLG Hamburg steht in Zusammenhang mit dem „Falk-<br />

Komplex“; der relevante Sachverhalt ist bereits im Rahmen des Falls 9 verkürzt wiedergeben<br />

worden.<br />

Im Rahmen der Weiterleitung des gezahlten Kaufpreises wurden verschiedene Gesellschaften<br />

eingebunden, so u.a. auch die DSF AG und die AFH GmbH.<br />

Nachdem zunächst auf einem Konto der DSF AG ein Teil des Kaufpreises in Höhe von<br />

rund 52.500.000,- Euro verbucht worden war, überwies der Geschäftsführer der AG<br />

einen Betrag in dieser Höhe an die AFH GmbH, wo einige Tage später 52.500.000,-<br />

Euro dem Geschäftskonto dieser Gesellschaft gutgeschrieben wurden. Die Besonderheit<br />

des Falls lag darin, dass auf dem Konto der DSF AG vor Eingang der Zahlung bereits<br />

ein Guthabensaldo von ebenfalls ungefähr 52.000.000,- Euro, aus nicht strafbewehrten<br />

Quellen herrührend, bestand.<br />

Kann daher unter Annahme eines Verschiebungsfalls die AFH GmbH in Anspruch genommen<br />

werden?<br />

Frage:<br />

Warum erscheint der Fall problematisch?<br />

Unproblematisch wäre der Fall dann zu beurteilen gewesen, wenn der inkriminierte Erlös entweder<br />

Schritt für Schritt in bar weitergegeben worden wäre oder aber sich der Stand des Geschäftskontos<br />

der DSF AG zum Zeitpunkt der Verbuchung der Überweisung auf 0,- Euro belaufen hätte. In beiden<br />

Varianten wäre klar gewesen, dass originär Erlangtes im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB weitergereicht<br />

wurde.<br />

Im Fall 15 ist es demgegenüber in der Sphäre der DSF AG zu einer Vermischung von inkriminierten<br />

mit legalem (Buch-)Geld gekommen. Dies dürfte wohl keine Surrogation im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz<br />

2 StGB bewirkt haben, da auf Seiten der DSF AG kein neues Recht, sondern nur ein entsprechend<br />

erhöhter Auszahlungsanspruch gegenüber dem kontoführenden Institut begründet wurde, sondern es<br />

stellt vielmehr eine „vertikale Kontamination“ dar 98 . Vor diesem Hintergrund haben die anwaltlichen<br />

Vertreter in diesem Verfahren auch eingewandt, es könne nicht eindeutig festgestellt werden, ob inkriminiertes<br />

Vermögen oder aber aus dem legalen Vermögensbestand („Bodensatztheorie“) verfügt<br />

worden sei, weshalb von einem „Erfüllungsfall“ auszugehen sei.<br />

97 Der abgewandelt wiedergegebene Sachverhalt ist angelehnt an Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom<br />

10.12.2004, 1 Ws 216/04; vgl. auch OLG Thüringen, Beschluss vom 27.07.2004, 1 Ws 234-236/04.<br />

98 Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 261 Rn. 8 und 29.<br />

38


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Lösung Fall 15:<br />

Das OLG Hamburg hat einen Verschiebungsfall angenommen.<br />

Für wirtschaftsstrafrechtliche Großverfahren ist es typisch, dass von den Tätern ein<br />

komplexer, schwer zu durchschauender Geldkreislauf in Gang gesetzt wird, um den<br />

Tatumfang und den Verbleib der Tatbeute zu verschleiern. Im Wege einer Gesamtschau<br />

bleibt es aber ausschließlich festzustellen, ob zwischen dem ursprünglichen Taterlös<br />

und dem bei dem Dritten im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB zu sichernden Betrag<br />

der vom BGH (BGHSt 45, 235 ff.) geforderte Bereicherungszusammenhang – wie hier<br />

vorliegend der Fall - besteht, oder ob durch nicht bemakelte Forderungen eine Zäsurwirkung<br />

zu dessen Gunsten eingetreten ist.<br />

(2) Weitergabe von Legalvermögen im Rahmen vorab ersparter und darin enthaltener<br />

Aufwendungen<br />

Fall 1699 :<br />

A., der ein Taxiunternehmen betreibt, ist verdächtig, in der Zeit von Januar 2000 bis<br />

Oktober 2007 Arbeitnehmeranteile nicht an die jeweils zuständige Einzugsstelle abgeführt<br />

zu haben (§ 266a StGB). Der diesbezügliche Schaden beläuft sich auf rund<br />

260.000,- Euro.<br />

Da er mit (vorläufigen) Sicherungsmaßnahmen seitens der Einzugsstellen, aber auch<br />

sonstiger staatlicher Stellen gerechnet hat, ist er beginnend im Januar 2007 dazu<br />

übergegangen, seine gesamten Einnahmen aus seiner Tätigkeit umzuleiten. Zu diesem<br />

Zweck hat er seinen Vater V. gebeten, eigens hierfür ein Konto einzurichten. Der<br />

V., der Bitte nachkommend, eröffnete daher am 04.01.2007 zwei Konten, für die seinem<br />

Sohn am 28.03.2007 auch Kontovollmacht eingeräumt wurde. Auf den zwei<br />

Konten gingen alle im Jahr 2007 erzielten Betriebseinnahmen von ungefähr 189.000,-<br />

Euro ein.<br />

Der zuständige Ermittlungsrichter erließ später gegen V. einen auf § 73 Abs. 3 StGB<br />

gestützten dinglichen Arrest über 189.000,- Euro.<br />

Zu Recht?<br />

Dieser Sachverhalt unterscheidet sich von den übrigen dadurch, dass zu keinem Zeitpunkt inkriminiertes<br />

Vermögen im herkömmlichen Sinne vorhanden war. Zwar erlangt der Täter beispielsweise einer<br />

Steuerhinterziehung oder einer Beitragsvorenthaltung ersparte Aufwendungen und somit auch ein<br />

Etwas im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB 100 , das aber infolge der Beschaffenheit des Erlangten dem<br />

Verfall nicht unterliegen kann (§ 73a Satz 1 Alt. 1 StGB). Fraglich ist daher, ob auch die Weitergabe<br />

von Legalvermögen, in dem die ersparten Aufwendungen mit enthalten sind, geeignet ist, einen Verschiebungsfall<br />

zu begründen. Ohne Zweifel besteht hierfür jedenfalls ein kriminalpolitisches Interesse.<br />

99 In Anlehnung an; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.04.2009 n.v.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 13.07.2010,<br />

1 StR 239/10; OLG Köln, Beschluss vom 25.09.2007, 2 Ws 469/07; OLG Köln, Beschluss vom 23.09.2009, 2 Ws<br />

440/09; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.10.2007, 3 Ws 308/07.<br />

100 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 9 m.w.N.<br />

39


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Lösung Fall 16:<br />

Das OLG Düsseldorf hat die Inanspruchnahme des V. bestätigt und unter Verweis auf<br />

BGHSt 45, 235 ff. einen Verschiebungsfall angenommen.<br />

Infolge des unentgeltlichen, ggf. auch primär dem Interesse des Beschuldigten dienenden<br />

Transfers sei es zu einem Vorteilseintritt auf Seiten des Arrestbeteiligten gekommen.<br />

Der für die Annahme eines Verschiebungsfalls notwendige Bereicherungszusammenhang<br />

sei ebenfalls gegeben, da mit der Transaktion beabsichtigt gewesen<br />

war, den Zugriff der deliktisch geschädigten Gläubiger zu vereiteln.<br />

Fortführung folgt!<br />

(3) Begehung einer weiteren Straftat infolge der Weitergabe von legalen Vermögenswerten<br />

an Dritte<br />

Fortführung der Lösung Fall 16:<br />

In der oben beschrieben Konstellation hätte ein Verschiebungsfall nach § 73 Abs. 3<br />

StGB auch über eine andere dogmatische Figur, die in der Rechtsprechung anerkannt<br />

ist, hergeleitet werden können 101 .<br />

A. dürfte sich nämlich auch zumindest wegen Vereitelung der Zwangsvollstreckung<br />

nach § 288 StGB strafbar gemacht haben, sofern der erforderliche Strafantrag rechtzeitig<br />

gestellt wird 102 .<br />

Hierdurch wäre zeitgleich zum Transfer selbst eine Inkriminierung der ursprünglich<br />

aus legaler Quelle stammenden Betriebseinnahmen bewirkt worden, welcher nunmehr<br />

als Verschiebungsfall hätte bewertet werden können. Bei derartigen Konstellationen<br />

bietet es sich daher an, den Sachverhalt nach weiteren, der „Anlasstat“ zeitlich<br />

nachfolgenden Straftaten wie etwa auch Bankrott, Gläubigerbegünstigung oder<br />

Geldwäsche zu untersuchen.<br />

(Weitere) Fortführung folgt!<br />

Wichtig ist zunächst aber, dass § 288 StGB nur die Vereitelung der Zwangsvollstreckung von Ansprüchen<br />

des Verletzten i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB erfasst; demgegenüber lehnt die h.M. die Erstreckung<br />

des Tatbestandes auf Forderungen zur Zahlung von Maßnahmen i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB,<br />

mithin von Verfall und Einziehung ab 103 .<br />

Weiter bleibt zu beachten, dass es sich bei dem Vergehen nach § 288 StGB um ein so genanntes Antragsdelikt<br />

handelt (§ 288 Abs. 2 StGB). Fehlt ein solcher Antrag und kann er auch nicht mehr im<br />

Rahmen der 3-Monats-Frist nachgeholt werden bzw. wurde ein bereits gestellter Strafantrag wirksam<br />

zurückgenommen, so liegt ein nicht behebbares Verfahrenshindernis im Sinne der §§ 206a, 260 Abs. 3<br />

StPO vor. Abhängig vom Stand des Verfahrens müsste es entweder nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt<br />

oder aber entweder im Zwischenverfahren nach § 206a StPO oder durch Prozessurteil nach § 260 Abs.<br />

3 StPO – jeweils in materielle Rechtskraft erwachsend – beendet werden. In einer solchen Konstellation<br />

wären aber Maßnahmen nach §§ 73 ff., 74 ff. StGB ausgeschlossen; auch das objektive Verfahren<br />

wäre dann nicht mehr durchführbar (vgl. oben).<br />

Sollten im Rahmen eines „Rückgewinnungshilfefalls“ die zum Strafantrag berechtigten originär Verletzten<br />

hiervon Abstand nehmen, so wäre zu erwägen, ob nicht die jeweilige Generalstaatsanwaltschaft in<br />

Vertretung der StA als Sicherungsgläubigerin der nach §§ 111b StPO ausgebrachten Maßnahmen 104<br />

101<br />

Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 4. Auflage, S. 77 unter<br />

Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 12.11.2002, 2 BvR 1513/02; so auch LG Münster, Urteil vom 12. April<br />

2010, 7 KLs 44 Js 67/09 (10/10).<br />

102<br />

Vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 21.09.2011, 4 StR 172/11.<br />

103<br />

Putzke, AnwaltKommentar StGB, 2010, § 288 StGB Rn. 4 m.w.N.; LG Bielefeld, Beschluss vom 17.01.1992, Qs<br />

22/92 II (7), Qs 22/92 II.<br />

104<br />

Die jeweilige Staatsanwaltschaft ist auch im Fall der Rückgewinnungshilfe Sicherungsgläubigerin.<br />

40


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

einen solchen Antrag stellt 105 , was freilich voraussetzen dürfte, dass auch die Zwangsvollstreckung<br />

gedroht hat.<br />

Eigene Stellungnahme<br />

Sowohl der Wortlaut des § 73 Abs. 3 StGB als auch eine Auslegung unter historischen und<br />

systematischen Gesichtspunkten sowie nach Sinn und Zweck stehen der Annahme von<br />

Verschiebungsfällen anlässlich der vorgenannten „atypischen“ Sachverhalte“ nicht entgegen.<br />

Im Rahmen der historischen Auslegung ist zu beachten, dass der Gesetzgeber im<br />

Vorfeld des 2. Strafrechtsreformgesetzes das Ziel verfolgt hat, eine weitgehende Abschöpfbarkeit<br />

illegitimer und unmittelbar auf eine rechtswidrige Tat sich gründender Vermögensverschiebungen<br />

zu gewährleisten 106 , und in diesem Kontext auch Parallelen zum<br />

Bereicherungsrecht nach §§ 812 ff. BGB und insbesondere § 822 BGB in den Blick genommen<br />

hat 107 .<br />

Vor diesem Hintergrund zeigt eine nähere Untersuchung, dass die nach § 822 BGB eröffnete<br />

Durchgriffskondiktion gegenüber dem Dritten nicht nur in den Fällen der unentgeltlichen<br />

Weitergabe des ursprünglich rechtsgrundlos Erlangten im Sinne des § 812 Abs. 1<br />

BGB und darüber hinaus auch gezogener Nutzungen und Surrogate nach § 818 Abs. 1<br />

BGB, sondern sogar auch im Rahmen des Transfers eines adäquaten Wertersatzes nach<br />

zuvor rechtsgrundlos erlangten Nutzungen beim Erstempfänger eröffnet ist 108 . Die zuletzt<br />

genannte Fallgruppe ist insoweit vergleichbar mit dem der Entscheidung des OLG Düsseldorf<br />

vom 02.04.2009 zugrunde liegenden Sachverhaltes, so dass nach dem Willen des historischen<br />

Gesetzgebers ein Verschiebungsfall angenommen werden könnte. Diesem Ergebnis<br />

steht auch nicht die Regelung des § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB entgegen, da diese<br />

Norm mit § 73 Abs. 3 StGB nicht hinreichend vergleichbar erscheint 109 . Etwaige Härten<br />

können schließlich über die Härtefallregelung des § 73c StGB Ausgleich finden 110 .<br />

Die Grenze ist allerdings dann zu ziehen, wenn entweder schon vor der Tatbegehung oder<br />

danach „echtes Legalvermögen“, also Vermögen ohne (Teil-)Kontamination etwa im Rahmen<br />

darin enthaltener ersparter Aufwendungen, weitertransferiert wurde.<br />

Bei der ersten Fallgruppe ist dies offensichtlich, da es an dem erforderlichen Konnex resp.<br />

dem Bereicherungszusammenhang schon in zeitlicher Hinsicht fehlt.<br />

105<br />

So im Fall des LG Münster, Urteil vom 12. April 2010, 7 KLs 44 Js 67/09m (10/10).<br />

106<br />

Vgl. Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 278.<br />

107<br />

Lieckfeldt, Die Verfallsanordnung gegen den Drittbegünstigten, 2008, S. 390 und S. 407 ff.<br />

108<br />

Schwab, Münchener Kommentar (MK), BGB, 2009, § 812 Rn. 16, und § 818 Rn. 61 und 82 ff.; vgl. auch BGH,<br />

Urteil vom 03.12.1998, III ZR 288/96.<br />

109<br />

So schon BGH, Urteil vom 19.10.1999, 5 StR 336/99.<br />

110<br />

Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 278.<br />

41


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Fall 17:<br />

A. ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten; zuletzt wurde er wegen gewerbsmäßigen<br />

Betrugs zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Nach<br />

seiner Entlassung trat er überraschend eine Erbschaft an. Das hieraus resultierende<br />

(Bar-)Vermögen in Höhe von 500.000,- Euro investierte er daraufhin in eine Immobile.<br />

Um sich rein vorsorglich zu entreichern, übertrug er das zunächst in seinem Alleineigentum<br />

stehende Grundstück im Rahmen einer ehebedingten Zuwendung<br />

unentgeltlich an seine Ehefrau E., die im Grundbuch in Abteilung 1 als Eigentümerin<br />

eingetragen wurde. Zugleich wurde zu seinen Gunsten eine beschränkte persönliche<br />

Dienstbarkeit (Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht) eingetragen. Ebenfalls wurde zu<br />

seinen Gunsten zur Sicherung seines sich aus dem notariellen Vertrag mit seiner<br />

Ehefrau ergebenden bedingten Anspruchs auf Rückübertragung des Eigentums – für<br />

den Fall von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen seine Ehefrau und der Anhängigkeit<br />

einer Scheidungsklage – eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen.<br />

1 Jahr später ging er dazu über, weitere Betrugstaten im Rahmen eines Anlagemodells<br />

zu begehen. Die ihm zur Verfügung gestellten Gelder verwandte er in unterschiedlicher<br />

Form entweder zur Finanzierung seines Lebensunterhalts oder zur Investition<br />

in hochriskante Anlageformen resp. zur Rückzahlung der versprochenen Renditen<br />

(„Schneeballsystem“). Der Gesamtschaden beläuft sich auf 1 Mio. Euro. Die Finanzermittlungen<br />

haben ergeben, dass A. über nennenswerte Vermögenswerte nicht<br />

mehr verfügt, da auch die von ihm getätigten Anlagegeschäfte zu Totalverlusten geführt<br />

haben.<br />

Lösung:<br />

Grundsätzlich kämen hier vorläufige Sicherungsmaßnahmen im Wege der Rückgewinnungshilfe<br />

zugunsten der geschädigten Anleger in Betracht. Dabei dürfte jedoch<br />

der Rückgriff auf die Ehefrau des Beschuldigten ausgeschlossen sein. Ein Verschiebungsfall<br />

nach § 73 Abs. 3 StGB liegt nicht vor, da ein Bereicherungszusammenhang<br />

zwischen den Betrugstaten und der Übertragung des Grundstücks vorliegend nicht<br />

festgestellt werden kann. Infolge des zeitlichen Abstands zwischen der ehebedingten<br />

Zuwendung und den Taten dürfte auch die Annahme eines Tatverdachts wegen Vereitelung<br />

der Zwangsvollstreckung eher fernliegend sein.<br />

Zwar mag die Übertragung – isoliert betrachtet – den Tatbestand des § 4 Anfechtungsgesetz<br />

(AnfG) erfüllen. Allerdings können nur die Verletzten und nicht die<br />

Staatsanwaltschaft als etwaige Sicherungsgläubigerin (von Maßnahmen nach §§ 111b<br />

ff. StPO) anfechtungsberechtigte Gläubiger i.S.d. § 2 AnfG sein; daran ändert auch<br />

die (abstrakte) Möglichkeit des aufschiebend bedingten Auffangrechtserwerbs nach §<br />

111i StPO nichts 111 . Die Verletzten sind daher gehalten, ausschließlich selbst entsprechend<br />

tätig zu werden.<br />

Auch bei der zweiten Fallgruppe, der Weitergabe von echtem Legalvermögen nach der Tatbegehung,<br />

nachdem zuvor der inkriminierte Erlös aus der Straftat beispielsweise verbraucht wurde, ist die Annahme<br />

eines Verschiebungsfalls rechtsdogmatisch ausgeschlossen. Dies zeigt schon ein Vergleich mit<br />

§ 822 BGB, dessen Anwendungsbereich ebenfalls nicht eröffnet wäre.<br />

111 Vgl. Huber, AnfG, 12. Aufl. 2006, § 2 Rn. 11.<br />

42


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Fortführung der Lösung Fall 16:<br />

Der Beschuldigte hat nur die Betriebseinnahmen des Jahres 2007 (inklusive der ebenfalls<br />

nur in diesem Jahr ersparten Arbeitnehmeranteile) an den Verfallsbeteiligten<br />

weitergeleitet, so dass es zunächst unter Annahme eines Verschiebungsfalls nur gerechtfertigt<br />

gewesen wäre, den in dieser Höhe bemakelten Teil des Legalvermögens<br />

als verschiebungstauglich anzusehen. Bezüglich der ersparten Aufwendungen aus<br />

den in den Vorjahren begangenen Taten ist dies jedoch gerade nicht der Fall, da diese<br />

jedenfalls nicht in den dem Drittempfänger zugewandten 189.000,- Euro enthalten<br />

waren. Infolge der tatbestandlichen Vereitelung der Zwangsvollstreckung – den rechtzeitig<br />

gestellten Strafantrag unterstellt - ist indes der gesamte Betrag inkriminiert<br />

worden, so dass die Annahme eines Verschiebungsfalls in toto gerechtfertigt war.<br />

Wie oben bereits angedeutet können sich in den Fällen, bei denen ein Zugriff beim Drittempfänger<br />

nach §§ 73 ff. StGB (zunächst) nicht möglich ist, Sicherungslücken ergeben, wenn Anhaltspunkte dafür<br />

bestehen, dass der Dritte Vermögenswerte des Täters oder Teilnehmers (verdeckt) treuhänderisch<br />

verwaltet o.ä.<br />

Fall 18:<br />

Im Jahre 2009 hat A. seinem Freund B. sein gesamtes Barvermögen in Höhe von<br />

100.000,- Euro überlassen, das B. treuhänderisch für ihn verwaltet. Zu diesem Zweck<br />

hat B. ein Konto eröffnet, über welches ausschließlich er verfügungsberechtigt ist.<br />

Im Jahr 2011 begann A. mit Betäubungsmitteln zu handeln; den Gesamterlös in Höhe<br />

von 50.000,- Euro verspielte er in diversen illegalen „Spielhöllen“.<br />

Im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung werden verschiedene handschriftliche Aufzeichnungen<br />

des A. gefunden, aus denen sich Hinweise auf seine Vermögenssituation<br />

im Jahre 2009 und die diesbezüglich relevanten Kontakte zu B. ergeben.<br />

Bei seiner zeugenschaftlichen Anhörung gibt B. an, A. hätte über die Zuwendung private<br />

Schulden beglichen.<br />

Welche vermögenssichernden Maßnahmen sollten im Ermittlungsverfahren getroffen<br />

werden?<br />

Lösung:<br />

Zunächst ist zu erwägen, gegen A. einen dinglichen Arrest in Höhe von 50.000,- Euro<br />

zu erwirken (§§ 73 Abs. 1 Satz 1, 73a StGB; 111b Abs. 2, 111d StPO). Sicherungsmaßnahmen<br />

gegen B. dürften hingegen nicht in Betracht kommen; insbesondere<br />

scheidet die Annahme eines Verschiebungsfalls aus.<br />

Alles Weitere hängt von den bis dahin durchgeführten Finanzermittlungen ab. Sollte<br />

A. neben den 100.000,- Euro nicht über weitere legale Vermögenswerte verfügen, so<br />

könnte dessen Forderung gegenüber B. auf Herausgabe der von ihm verwalteten<br />

100.000,- Euro gepfändet werden. Wie im Rahmen der Lösung des Falles 13 bereits<br />

dargelegt, könnte im Anschluss an eine solche Pfändung der Drittschuldner B. aber<br />

weiterhin über das Vermögen verfügen, da ihm lediglich verboten ist, an den A. zu<br />

leisten. Das weitere Vorgehen muss daher von dem Ziel getragen sein, B. selbst als<br />

Schuldner und die kontoführende Bank als Drittschuldner zu positionieren. Hierfür<br />

bieten sich zwei Optionen an. Zum einen wäre es möglich, die Übertragung der<br />

100.000,- Euro im Wege der Anfechtungsklage anzufechten 112 . Anders als bei der<br />

Rückgewinnungshilfe (vgl. oben) wäre die hierfür zuständige Generalstaatsanwaltsschaft<br />

auch taugliche Anfechtungsgläubigerin i.S.d. § 2 AnfG. Im Rahmen des Anfechtungsverfahrens<br />

könnten ferner auch vorläufige Sicherungsmaßnahmen im Wege<br />

der Vollziehung eines zivilprozessualen dinglichen Arrestes erfolgen 113 .<br />

Desweiteren könnte zudem erwogen werden, zur Absicherung des Anspruchsverhältnisses<br />

zwischen A. und B. gegen B. direkt einen ZPO-Arrest zu erwirken und zu vollziehen.<br />

112 Vgl. Huber, AnfG, 10. Auflage 2006, § 2 Rn. 17.<br />

113 Huber, AnfG, 10. Auflage 2006, § 2 Rn. 40 ff.<br />

43


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

1.2.6 Erlangen Mehrerer<br />

I Einführung<br />

In der staatsanwaltschaftlichen Praxis überwiegen Fallgestaltungen, bei denen nicht nur ein, sondern<br />

mehrere Täter und/oder Teilnehmer ggf. auch neben Dritten (im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB) entweder<br />

zeitgleich – etwa im Rahmen der gemeinsamen Aufbewahrung der Tatbeute – oder zeitlich sukzessive<br />

nacheinander – beispielsweise bei einem arbeitsteilig abgewickelten BtM-Geschäft – strafbewehrt<br />

(gemeinschaftlich) erlangt haben. Vergleichbare Konstellationen im Zivilrecht werden auf<br />

Rechtsfolgenseite über die Figur der gesamtschuldnerischen Haftung (§§ 823, 830, 840 i.V.m. 422 ff.<br />

BGB) gelöst.<br />

Im Strafrecht ist es umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen eine an § 426<br />

BGB angelehnte gesamtschuldnerische Haftung im Verhältnis von Tätern, Teilnehmern<br />

und Drittempfängern zum Tragen kommt und welche Folgen daraus für bereits im Ermittlungsverfahren<br />

nach §§ 111b ff. StPO veranlasste vorläufige Sicherungsmaßnahmen<br />

oder den staatlichen Auffangrechtserwerb nach § 111i StPO zu ziehen sind.<br />

II Voraussetzungen der gesamtschuldnerischen Haftung<br />

Fall 19:<br />

A. und B. haben gemeinsam den Verkauf von 1 kg Heroin, das sie zuvor in den Niederlanden<br />

erworben hatten, geplant. Die eigentliche Tat ist entsprechend der gemeinsam<br />

erfolgten Absprache dergestalt arbeitsteilig durchgeführt worden, dass B.<br />

zunächst mögliche Kaufinteressenten eruierte, im Anschluss daran jedoch A. den<br />

Verkauf vornahm und den Gesamterlös in Höhe von 100.000,- Euro in bar vereinnahmte.<br />

Danach lieferte A. den Betrag an B. ab, der ihn in einem Schließfach deponierte.<br />

Ob und in welchem Umgang später eine Aufteilung erfolgt ist, konnte nicht<br />

geklärt werden.<br />

Fall 20114 :<br />

A., B. und C. haben geplant, einen Spielclub zu überfallen, von dem sie wussten,<br />

dass dort illegales Glückspiel betrieben wird. Entsprechend dieses gemeinsam gefassten<br />

Tatplans betraten A., B. und C. die Lokalität, wobei der A. die Gäste unter Vorhalt<br />

einer Schusswaffe resp. eines einer Schusswaffe täuschend ähnlich aussehenden Gegenstandes<br />

aufforderte, sich hinzulegen. Nachdem die Anwesenden dem nachgekommen<br />

waren, durchsuchten B. und C. die am Boden Liegenden und nahmen einem<br />

Gast 22.000,- Euro, einem weiteren 3.500,- Euro und dem Betreiber des Cafés 500,-<br />

Euro ab. Danach flüchteten sie vom Tatort und fuhren gemeinsam zwei Orte in <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong><br />

an. Nicht geklärt werden konnte, ob und gegebenenfalls wie die Angeklagten<br />

das erbeutete Geld im Einzelnen untereinander aufgeteilt haben; es konnte<br />

lediglich festgestellt werden, dass der B. davon mindestens 5.500,- Euro erhalten<br />

hatte, die er zum Kauf eines Pkw Audi A3 verwandte.<br />

114 Angelehnt an BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />

44


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Entgegen vereinzelter Stimmen im Schrifttum115 halten das wohl überwiegende Schrifttum<br />

und der BGH die Figur der gesamtschuldnerischen Haftung im Verfallsrecht grundsätzlich<br />

für anwendbar 116 . Dies gilt nicht nur im Verhältnis der Tatbeteiligten untereinander, sondern<br />

auch gegenüber Drittempfängern nach § 73 Abs. 3 StGB 117 .<br />

Die Anwendungsvoraussetzungen und einige atypische Fallgestaltungen sind jedoch noch umstritten.<br />

Größere Einigkeit scheint aber zunächst dahin zu bestehen, dass eine solche Anordnung nur dann in<br />

Betracht kommt, wenn bei mehreren Tätern jeder von ihnen (wenigstens zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />

118 ) zumindest wirtschaftliche resp. faktische (Mit-)Verfügungsgewalt über den Vermögensgegenstand<br />

gehabt hat und sie sich einig waren, dass jedem die (Mit-)Verfügungsgewalt hierüber<br />

zukommen sollte 119 .<br />

Die (Mit-)Verfügungsgewalt muss dabei einen bestimmen Grad der Festigung dergestalt aufweisen,<br />

dass die Position der anderen Beteiligten nicht derart überwiegt und auf einen jederzeitigen Entzug<br />

des Gegenstandes ausgerichtet ist 120 .<br />

Nicht ausreichend ist es demgegenüber, wenn nur eine derartige Vereinbarung bestand, ohne dass<br />

tatsachlich jeder (Tat-)Beteiligte die Möglichkeit gehabt hat, über die jeweilige Vermögensposition<br />

faktisch zu verfügen 121 .<br />

Unter diesen Voraussetzungen spielt es für die Bestimmung des Erlangten keine Rolle, welchem Tatbeteiligten<br />

welcher Anteil letztlich verbleiben sollte; vielmehr ist gegenüber jedem Einzelnen der Verfall<br />

des (insgesamt) Erlangten mit der Folge der gesamtschuldnerischen Haftung anzuordnen.<br />

Somit geht Spillecke 122 mit ihrer Auffassung fehl, der Entscheidung des 3. (Straf-)Senats vom<br />

27.04.2010 123 könne eine Abkehr des Senats von dieser Figur entnommen werden 124 .<br />

Allerdings können auch bei der Haftung mehrerer als Gesamtschuldner etwaige Härten durch die Anwendung<br />

von § 73c StGB ausgeglichen werden, was – abhängig insbesondere von den jeweiligen<br />

persönlichen Verhältnissen der Verfallsbetroffenen – zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann 125 .<br />

115 Vgl. Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 259 ff.; Rönnau, Vermögensabschöpfung<br />

in der Praxis, 2003, 231 ff.; Spillecke, NStZ 2010, 568 ff. mit Anm. zu BGH, Beschluss vom<br />

27.04.2010, 3 StR 112/10; Bach, StV 2006, 446 ff.; Wehnert/Mosiek, StV 2005, 568 (573).<br />

116 BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 m.w.N.; Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 16; Joecks,<br />

Münchener Kommentar (MK), StGB Band 2/1 §§ 52-79b, 2005, § 73 Rn. 32; Rübenstahl, AnwaltKommentar<br />

StGB, 2011, § 73 Rn. 25; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. 2011, § 73 StGB<br />

Rn. 29 ff.; da Rosa, NJW 2009, 1702 ff.<br />

117 Vgl. etwa BGH, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 09.12.2005, 3 BGs 173/05.<br />

118 Vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27.04.2010, 3 StR 112/10; Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11.<br />

119 BGH, Beschluss vom 27.04.2010, 3 StR 112/10 m.w.N.; da Rosa, NJW 2009, 1702 ff. m.w.N.<br />

120 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. 2011, § 73 StGB Rn. 29.<br />

121 So aber BGH, Beschluss vom 13.11.1996, 3 StR 482/96 (aufgegeben); OLG Zweibrücken, Beschluss vom<br />

27.08.2002, 1 Ws 407/02; offen gelassen in BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />

122 Vgl. oben Fn. 113.<br />

123 BGH, Beschluss vom 13.12.2006, 4 StR 421/06, und Beschluss vom 27.04.2010, 3 StR 112/10.<br />

124 So i. E. auch BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />

125 BGH a.a.O.<br />

45


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Lösung Fall 19126 :<br />

Wenn auch zeitlich sukzessive haben sowohl A. als auch B. – getragen von ihrer gemeinsam<br />

gefassten Abrede – die Möglichkeit gehabt, über den Barbetrag wenigstens<br />

faktisch zu verfügen. Unschädlich ist es daher, dass A. den Erlös kurze Zeit später an<br />

B. weitergab. Insoweit hat lediglich eine Prüfung des § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB<br />

zu erfolgen. Die (Verfahrens-)Beteiligung des Käufers (Rechtsgedanke des § 73 Abs.<br />

4 StGB) ist nicht erforderlich, da es hierbei nicht um den (Original-)Verfall nach §§<br />

73, 73e StGB, sondern um den Wertersatzverfall geht, der sich auf das Legalvermögen<br />

der Angeklagten erstreckt.<br />

Im Falle der Anordnung des Verfalls (von Wertersatz) gegen A. und B. könnte der<br />

diesbezügliche Urteilstenor wie folgt lauten:<br />

„Der Verfall von Wertersatz in Höhe von 100.000,- Euro wird gegen A. und B. unter<br />

der Maßgabe ihrer gesamtschuldnerischen Haftung angeordnet“.<br />

Lösung Fall 20:<br />

Der 4. (Straf-)Senat ging ohne weitere Begründung – entgegen den vom GBA in seiner<br />

Antragsschrift erhobenen Zweifeln – davon aus, dass die Angeklagten A., B. und<br />

C. noch am Tatort an der gesamten Beute (Mit-)Verfügungsmacht erlangt hatten.<br />

Schließlich bedarf es bei der Anordnung von Wertersatzverfall nach § 73a StGB des Ausspruchs über<br />

die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Täter oder Teilnehmer schon im Tenor des tatrichterlichen<br />

Urteils, der – wie eine Geldstrafe – nach § 459g Abs. 2 StPO vollstreckbar ist 127 .<br />

III Atypische Fallgestaltungen/Abgrenzungen<br />

a. Handelsketten/(Neben-)Täterschaft<br />

Fall 21128 :<br />

A. bezog von seinen Lieferanten in sieben Fällen insgesamt 67 kg Marihuana mit unterschiedlichem<br />

Wirkstoffgehalt auf „Kommission“. Etwa 62 kg hiervon veräußerte<br />

dieser an verschiedene Abnehmer, von denen er insgesamt 161.000,- Euro erhielt.<br />

Seinen Erlös lieferte A. – ohne Abzug seines nach der getroffenen Vereinbarung ihm<br />

hieraus zustehenden Gewinnanteils in Höhe von 200,- Euro je Kilogramm – an seine<br />

Lieferanten ab.<br />

Liegt ein Fall gesamtschuldnerischer Haftung ggf. in welchem Umfang vor?<br />

Dieser Fall scheint bei oberflächlicher Betrachtung die gesamtschuldnerische Haftung des A. zusammen<br />

mit seinen Lieferanten zu eröffnen. Bei näherer Analyse zeigt sich jedoch, dass eigenständige<br />

Straftaten nach § 29a BtMG im Rahmen einer Handelskette und nicht nur eine Tat, die zur Bereicherung<br />

mehrerer Tatbeteiligter geführt hat, begangen wurden.<br />

126<br />

Instruktiv zum gemeinsamen Erlangen bei BtM-Geschäften: Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und<br />

Steuerstrafrecht, 1. 2011, § 73 StGB Rn. 30 ff.<br />

127<br />

BGH, Beschluss vom 23.11.2011, 4 StR 516/11; zur insoweit abweichenden Handhabung bei der Feststellung<br />

nach § 111i Abs. 2 StPO: BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />

128<br />

Angelehnt an BGH, Urteil vom 16.05.2006, 1 StR 46/06.<br />

46


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Lösung Fall 21:<br />

Der BGH 129 hat hierzu ausgeführt:<br />

„(…) Vielmehr ist jeder Täter, jeder Teilnehmer einer Handelskette, in der ein und<br />

dieselbe Menge an Betäubungsmitteln mehrfach umgesetzt und der entsprechende<br />

Kaufpreis jeweils bezahlt und vom Verkäufer im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB<br />

erlangt wird, für sich zu betrachten und allein daran zu messen, was er konkret erhalten<br />

hat. Anderes gilt nur dann, wenn – dabei – (Anm. des Verfassers: im Rahmen<br />

einer Tat) mehrere Tatbeteiligte etwas gemeinsam erlangten, (…). Ziel der aus Verfallsanordnungen<br />

gemäß §§ 73, 73a StGB resultierenden Zahlungsansprüche ist nicht<br />

die einmalige Abschöpfung des – regelmäßig beim Endabnehmer schließlich erreichten<br />

– höchsten Handelspreises. Vielmehr soll bei jedem Einzelnen, der aus einer<br />

rechtswidrigen Tat etwas erlangt hat, dieses weggenommen werden und zwar, da es<br />

sich um eine präventive Maßnahme eigener Art handelt, nach dem Bruttoprinzip. Bei<br />

einer Handelskette kann deshalb die Summe der Beträge, hinsichtlich derer gegen<br />

die verschiedenen Händler der Verfall angeordnet wurde, den maximalen Handelspreis<br />

des umgesetzten Betäubungsmittels um ein mehrfaches übersteigen. Dies dann<br />

über das Rechtsinstitut der Gesamtschuldnerschaft zu begrenzen und auszugleichen,<br />

widerspräche dem Zweck des Verfalls gemäß §§ 73, 73a StGB. (…)“<br />

Erst recht gelten diese Überlegungen auch in Fällen der Nebentäterschaft, beispielsweise bei einem<br />

Diebstahl mit sich anschließenden mehrfachen Hehlereien 130 .<br />

b. Erlangen einzelner Tatbeteiligter nur gelegentlich der Tat<br />

Fall 22131 :<br />

A. übergab im Auftrag des B., der das eigentliche Verkaufsgeschäft ohne Mitwirkung<br />

des A. akquiriert und im Einzelnen vorbereitet hatte, an den Käufer C. 200g Crack,<br />

wofür er von diesem 2.200,- Euro erhielt. Nach Abzug seines Anteils von 50,- Euro<br />

lieferte er die restlichen 2.150,- Euro in bar bei B. ab.<br />

A. wurde vom LG wegen Beihilfe zum unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln in<br />

nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt; gleichzeitig ist der<br />

Verfall von Wertersatz in Höhe von 2.200,- Euro angeordnet worden.<br />

Zu Recht?<br />

Lösung:<br />

Der BGH hat im vorliegenden Fall das Urteil dahin abgeändert, dass gegen A. der<br />

Verfall eines Betrages von lediglich 200,- Euro angeordnet wurde.<br />

Der kurzfristige Besitz des Gehilfen, dem die Tatherrschaft über die Geschäftsabwicklung<br />

fehlt und der das Entgelt aus dem Rauschgiftgeschäft unverzüglich an den Verkäufer<br />

weiterleiten soll, reicht grundsätzlich nicht aus, um das Geld als an ihn zugeflossen<br />

anzusehen. Er erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB den Besitz nur<br />

„gelegentlich“ seiner Tat und übt ihn von Anfang an nur für den Verkäufer aus, an<br />

den er den Erlös absprachegemäß übergeben will.<br />

Diese bisher nur vom 3. und vom 5. Strafsenat des BGH vorgenommene normative Beschränkung<br />

des Anwendungsbereichs der Rechtsfigur der gesamtschuldnerischen Haftung ist wohl von dem Versuch<br />

getragen, bereits auf der Tatbestandsebene des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB zu einer Begrenzung zu<br />

129<br />

BGH a.a.O.<br />

130<br />

Vgl. Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage<br />

2010, S. 42 ff.<br />

131<br />

Angelehnt an BGH, Beschluss vom 27.10.2009, 5 StR 242/09; vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom<br />

27.04.2010, 3 StR 112/10, und Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11, im Hinblick auf einen Mittäter, der nur<br />

kurzfristig und transitorisch erlangt hat.<br />

47


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

gelangen, die – im Ansatz – auch bei der Prüfung eines Härtefalls insbesondere nach § 73c Abs. 1<br />

Satz 2 Alt. 1 StGB mit denselben Erwägungen möglich wäre, allerdings unter Maßgabe der revisionsrechtlich<br />

nur eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit derartiger Ermessensentscheidungen der Tatsachengerichte.<br />

Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum auf Widerspruch gestoßen 132 . Der Hauptvorwurf<br />

geht dahin, dass unterschiedliche und voneinander abzugrenzende Kriterien, einerseits die Notwendigkeit<br />

nach faktischer (Mit-)Verfügungsgewalt und andererseits andere Tatumstände wie fraglicher<br />

Zeitraum, Abreden der Tatbeteiligten und ihrer jeweiligen Täterschaft, unzulässig eine Vermischung<br />

erfahren haben 133 .<br />

IV Konsequenzen<br />

Sowohl im materiellen als auch im (Verfahrens-)Recht ergeben sich aus der Existenz dieser Rechtsfigur<br />

vielfältige Konsequenzen.<br />

Die gesamtschuldnerische Haftung dient zum einen dem nicht zu vernachlässigenden Schutz der dergestalt<br />

Verfallsbetroffenen, da der Zugriff des Staates auf das im Rahmen einer Tat Erlangte begrenzt<br />

ist. Dies gilt dem Grunde nach gleicherweise für im Ermittlungsverfahren nach §§ 111b ff. StPO veranlasste<br />

vorläufige Sicherungsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt der nicht zulässigen Übersicherung.<br />

Hierauf wird an späterer Stelle noch ausführlich einzugehen sein.<br />

Zum anderen werden die Zugriffsmöglichkeiten rein personell betrachtet erweitert, da der Staat als<br />

(Sicherungs-)Gläubiger die (taktische) Wahl hat, auf wen und welche Vermögenswerte in welcher<br />

Höhe Rückgriff genommen wird. Die hiermit zugewiesenen wirtschaftlichen Verlustrisiken werden dadurch<br />

verringert, dass dem Betroffenen die Durchführung eines Gesamtschuldnerausgleichs nach §<br />

426 BGB mit den weiteren Tätern, Teilnehmern oder Drittempfängern offensteht 134 .<br />

Schließlich ergeben sich beim staatlichen Auffangrechtserwerb spezifische Fragestellungen, etwa in<br />

Bezug auf die Gestaltung des Feststellungstenors nach § 111i Abs. 2 StPO. Dies wird ebenfalls später<br />

erörtert werden.<br />

132 Vgl. Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. 2011, § 73 StGB Rn. 31 m.w.N.<br />

133 Wiedner a.a.O. m.w.N.<br />

134 BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />

48


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

1.3 Der Verfall von Wertersatz gemäß § 73a StGB<br />

1.3.1 Übersicht<br />

wegen Beschaffenheit<br />

des<br />

Erlangten<br />

Beispiele:<br />

Ersparen von<br />

Aufwendungen<br />

Nutzung von<br />

Gebrauchsvorteilen<br />

Erlangtes wird<br />

mit anderer<br />

Sache fest verbunden<br />

Verfall nicht möglich<br />

Aus anderen<br />

Gründen<br />

Beispiele:<br />

Erlangtes ist<br />

verbraucht,<br />

verloren oder<br />

unauffindbar<br />

Verfall von Wertersatz § 73a StGB<br />

Voraussetzungen<br />

vom Verfall<br />

eines Ersatzgegenstandes<br />

wird abgesehen<br />

Beispiel:<br />

Tausch<br />

(Täter tauscht<br />

erlangten Mercedes<br />

gegen<br />

BMW)<br />

Verfall des Wertersatzes entspricht dem Wert des ursprünglich<br />

Erlangten<br />

Schätzung des Umfangs des Erlangten und dessen<br />

Wert gem. § 73b StGB<br />

Neben dem Verfall<br />

soweit Wert hinter dem<br />

Wert des zunächst Erlangten<br />

zurückbleibt<br />

Beispiel:<br />

Täter erlangt aus der<br />

Tat Mercedes 500 im<br />

Wert von 50.000 Euro.<br />

Nach einem Jahr ist<br />

Pkw noch 35.000 Euro<br />

wert. 15.000 Euro sind<br />

nach § 73a StGB abzuschöpfen.<br />

49


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

In den Fällen der Unmöglichkeit respektive des Absehens vom Originalverfall eröffnet § 73a StGB die<br />

Zugriffsmöglichkeit auf das Legalvermögen des Verfallsbetroffenen, im Falle der rechtskräftigen<br />

Anordnung per Urteil oder Beschluss über einen wie bei einer Geldstrafe beizutreibenden staatlichen<br />

Zahlungsanspruch bzw. im Ermittlungsverfahren über den Vollzug eines strafprozessualen dinglichen<br />

Arrestes nach §§ 111b Abs. 2, 111d, 111e, 111f StPO.<br />

Da § 73a StGB systematisch an § 73 StGB anknüpft, ist es notwendig, dass der Täter/Tatbeteiligte/Drittempfänger<br />

zunächst etwas im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erlangt hat, das aber<br />

nicht mehr vorhanden ist und daher von § 73 Abs. 1 StGB nicht (mehr) erfasst wird 135 .<br />

1.3.2 Fallgruppen<br />

Fall 23:<br />

A. hat sowohl Schwarzumsätze in erheblichem Umfang verschwiegen als auch Vorsteuererstattungen<br />

im Zusammenhang mit Scheinrechnungen (§ 14c UStG) zu Unrecht<br />

für sich in Anspruch genommen. Infolge der von ihm abgegebenen unrichtigen<br />

Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuerjahreserklärungen für das Jahr 2009 ist es<br />

zu einer Steuerverkürzung von insgesamt 1 Mio. Euro gekommen. Darin sind nicht<br />

nur ersparte Aufwendungen im Kontext seiner Schwarzumsätze, sondern auch Vorsteuererstattungen<br />

in Höhe von 350.000,- Euro, die seinem Geschäftskonto, das<br />

nach der Einrichtung noch den Saldo von 0,- Euro aufweist, gutgeschrieben wurden,<br />

enthalten.<br />

Von diesen 350.000,- Euro hat er 50.000,- verspielt, 80.000,- Euro in den Kauf eines<br />

Gemäldes investiert, das ihm aber auf dem Weg nach Hause entwendet wurde, mit<br />

20.000,- Euro unerwartet günstig einen Oldtimer erworben und den restlichen Betrag<br />

zum Kauf einer überteuerten Immobilie verwandt, die vermietet werden soll.<br />

Ausweislich eines eingeholten Wertgutachtens weist das erworbene Objekt einen<br />

Verkehrswert von (noch) 170.000,- Euro auf.<br />

Auf welche materiell-rechtlich Grundlagen sind die im Wege der Rückgewinnungshilfe<br />

(§§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b Abs. 5 StPO) zu Gunsten des geschädigten Finanzamts<br />

zu veranlassenden vorläufigen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO zu<br />

stützen?<br />

I § 73a Satz 1 Alt. 1 StGB<br />

Wegen der Beschaffenheit des Erlangten ist die Anordnung nicht möglich, wenn das Erlangte in der<br />

Ersparnis sonst notwendiger Aufwendungen oder in Gebrauchsvorteilen bestand, aber auch, wenn das<br />

Erlangte mit einer anderen Sache vermischt oder verbunden oder verarbeitet worden ist (§§ 946, 947,<br />

950 BGB) 136 .<br />

II § 73a Satz 1 Alt. 2 StGB<br />

Die Unmöglichkeit des Verfalls aus einem anderen Grund ist gegeben, wenn der Täter/Teilnehmer/Drittempfänger<br />

den Gegenstand verbraucht, verloren, unauffindbar beiseite geschafft<br />

oder an eine andere, nicht tatbeteiligte dritte Person rechtswirksam übertragen hat 137 .<br />

III § 73a Satz 1 Alt. 3 StGB<br />

Schließlich kann vom (Original-)Verfall eines Surrogats nach § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB auch abgesehen<br />

werden, so dass stattdessen der Wertersatzverfall anzuordnen ist. Dies bietet sich insbesondere dann<br />

an, wenn die spätere Verwertung des Surrogats Schwierigkeiten aufwirft und der Betroffene noch<br />

über weitere Vermögenswerte verfügt, die in der Vollstreckung einfacher zu handhaben sind.<br />

IV § 73a Satz 2 StGB<br />

Daneben kann parallel zum (Original-) zudem der (Wertersatz-)Verfall Anwendung finden, wenn der<br />

ursprüngliche Wert eines Gegenstandes zum Zeitpunkt der Verfallsanordnung niedriger ist.<br />

135 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73a Rn. 2.<br />

136 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73a Rn. 4.<br />

137 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73a Rn. 5.<br />

50


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Lösung Fall 23:<br />

A. hat sich wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ggf. auch in besonders<br />

schweren Fällen nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO strafrechtlich zu verantworten.<br />

Da genauso der Steuerfiskus Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB sein<br />

kann 138 , kommen dem Grunde nach Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO<br />

wie folgt infrage (§ 111b Abs. 5 StPO):<br />

1. Beschlagnahmeanordnung gem. 111b Abs. 1 und 5, 111c StPO:<br />

a. § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB: Pkw als Surrogat<br />

b. § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB: Immobilie als Surrogat<br />

2. Dinglicher Arrest nach §§ 111b Abs. 2 und Abs. 5, 111d StPO über insge-<br />

samt 810.000,- Euro<br />

a. § 73a Satz 1 Alt. 1 StGB: 650.000,- Euro im Hinblick auf die insoweit er-<br />

sparten Aufwendungen<br />

b. § 73a Satz 1 Alt. 2 StGB: Untergang der verspielten 50.000,- Euro und<br />

des Gemäldes im Wert von 80.000,- Euro<br />

c. § 73a Satz 2 StGB: Wertdifferenz von 30.000,- Euro (Immobilie)<br />

Daneben wäre auch der Erlass nur eines dinglichen Arrestes über 1 Mio. Euro möglich,<br />

sofern auf den Verfall der Surrogate verzichtet würde.<br />

Dies hängt davon ab, ob die Surrogate relativ einfach veräußert werden können<br />

bzw. noch sonst legale Vermögenswerte vorhanden sind.<br />

138 Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 21.<br />

51


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

1.4 Der erweiterte Verfall nach § 73d StGB<br />

Frage:<br />

Erklären Sie die Aussage: § 73d StGB ist im Kern beweisrechtlicher Natur.<br />

§ 73d StGB ist im Kern beweisrechtlicher Natur (vgl. oben) 139 .<br />

Dies hängt wiederum mit der systematischen Stellung der Vorschrift im Normengefüge der §§ 73 ff.<br />

StGB und ihrer Funktion als „Auffangtatbestand“ zusammen. Wie oben bereits dargelegt hat die<br />

Anordnung des Verfalls (von Wertersatz) nach §§ 73, 73a StGB grundsätzlich Vorrang vor einer auf §<br />

73d StGB gestützten Entscheidung. Erst wenn unter Ausschöpfung aller prozessual zulässigen Mittel<br />

ausgeschlossen ist, dass die Voraussetzungen der §§ 73, 73a StGB erfüllt sind, wird die Frage nach<br />

der Anordnung des erweiterten Verfalls (von Wertersatz) regelmäßig überhaupt relevant 140 .<br />

So gesehen ermöglicht die Vorschrift insbesondere bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität<br />

und vor allen Dingen der Rauschgiftkriminalität die neben dem Anwendungsbereich der §§ 73, 73a<br />

StGB subsidiär ergänzende Abschöpfung von Gegenständen, die der dem subjektiven/objektiven Verfahren<br />

zugrunde liegenden Anlass- resp. Katalogtat(en) nicht hinreichend sicher zugeordnet werden<br />

können, von denen aber zur sicheren Überzeugung des Gerichts feststeht, dass sie aus anderen<br />

rechtswidrigen, im Einzelnen aber nicht näher konkretisierbaren Herkunftstaten herrühren.<br />

Auf diese Weise ist sowohl die täterbezogene Abschöpfung entsprechend inkriminierter Erlöse, die<br />

anderenfalls dem Täter oder Teilnehmer belassen werden müssten, als auch der Entzug des Kapitals<br />

zur Begehung weiterer gewinnorientierter Straftaten in diesem Bereich gewährleistet 141 .<br />

Wie im Falle des herkömmlichen Verfalls handelt es sich auch beim erweiterten Verfall um eine allein<br />

der Gewinnabschöpfung dienende Maßnahme ohne Straf- oder strafähnlichen Charakter 142 unter Beachtung<br />

des Bruttoprinzips 143 .<br />

Von Gesetzes wegen ist der drittempfängerbezogene erweiterte Verfall in Anlehnung an die Vorschrift<br />

des § 73 Abs. 3 StGB ausgeschlossen.<br />

Die §§ 73b und 73c StGB finden sinngemäße Anwendung.<br />

Den insbesondere von Teilen des Schrifttums erhobenen verfassungsrechtlichen Einwänden gegen die<br />

Bestimmung sind der BGH, der zu einer verfassungskonformen Auslegung der Anwendungsvoraussetzungen<br />

gelangt ist, und ihm folgend das BVerfG entgegengetreten 144 .<br />

Allerdings hat der Gesetzgeber nach Hinweis des BVerfG zur Stärkung der Rechte von Verletzten aus<br />

Straftaten § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB, der auf § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB verweist, mit Wirkung zum<br />

01.01.2007 neu eingefügt. Hierauf wird in einem eigenständigen Teil zur Rückgewinnungshilfe zu<br />

Gunsten von Verletzten aus Straftaten näher einzugehen sein.<br />

139<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73d Rn. 3; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht,<br />

2011, § 73d StGB Rn. 24 ff.<br />

140<br />

BGH, Beschluss vom 02.10.2002, 2 StR 294/02; Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73d Rn. 9 m.w.N.<br />

141<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 5; BGH, Urteil vom<br />

07.07.2011, 3 StR 144/11.<br />

142<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 3.<br />

143<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 17.<br />

144<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73d Rn. 5 m.w.N.<br />

52


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

1.4.1 Der erweiterte (Original-)Verfall nach § 73d Abs. 1 StGB<br />

I Tatbestandlicher Aufbau<br />

Fall 24145 :<br />

Der ausbildungs- und in Bezug auf einen „ordentlichen Beruf“ auch beschäftigungslose<br />

zurzeit 40 Jahre alte A. begeht seit seinem 20. Lebensjahr gewinnorientierte Straftaten<br />

insbesondere aus dem Betäubungsmittelbereich, weswegen er bereits mehrfach<br />

verurteilt wurde und mehrjährige Freiheitstrafen verbüßte. A. bezieht daher<br />

auch keine Einkünfte (i.S.d. § 2 EStG), sondern Sozialleistungen nach Hartz IV. Aufgrund<br />

der Aussage des gesondert verfolgten B., der für sich die Kronzeugenregelung<br />

des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtM in Anspruch genommen hat, können ihm weitere Straftaten<br />

nach dem BtMG nachgewiesen werden, nämlich in sieben Fällen das gewerbsmäßige<br />

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringem Umfang (§ 29a Abs. 1 Nr. 2<br />

BtMG). Über die Höhe der daraus erzielten Erlöse verhält sich hingegen dessen Aussage<br />

nicht. Die von der Polizei durchgeführten (verdeckten) Finanzermittlungen haben<br />

ergeben, dass der A. in den letzten beiden Jahren „Einkünfte“ in Höhe von insgesamt<br />

1 Mio. Euro erzielt hat, welche über einen Vergleich der marktüblich erzielbaren<br />

Erlöse in Bezug auf die festgestellten sieben Taten darauf hindeuten, dass A.<br />

im Tatzeitraum noch weitere gleichartige Straftaten begangen haben muss. Trotz<br />

aufwendiger Ermittlungen war es nicht möglich, diesen Komplex weiter aufzuklären;<br />

ferner konnte – A. hat sich zu den Tatvorwürfen nicht eingelassen – auch nicht festgestellt<br />

werden, welche Erlöse A. aus den 7 Taten erlangt hat und ob seine „Einkünfte“<br />

überhaupt aus jenen Taten „gespeist“ worden sind.<br />

a. Rechtswidrige Anknüpfungstat<br />

Wie beim herkömmlichen Verfall verlangt § 73d StGB eine rechtswidrige, nicht notwendig schuldhaft<br />

begangene Anknüpfungs-/Katalogtat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, die nicht verjährt sein darf<br />

und bezüglich derer auch sonstige, nicht behebbare Verfahrenshindernisse nicht bestehen dürfen (vgl.<br />

oben). In solchen Fällen kommt auch die Durchführung des objektiven Verfahrens nicht in Betracht 146 .<br />

Da es sich bei § 73d StGB um einen Blanketttatbestand handelt, ist weiter ein Strafgesetz erforderlich,<br />

das auf § 73d StGB ausdrücklich verweist.<br />

b. Umstände für die Annahme, dass Gegenstände aus oder für rechtswidrige(n) (Herkunfts-)Taten<br />

(unmittelbar) erlangt worden sind<br />

(1) Gegenstand<br />

Anders als bei § 73 StGB, der jedes „Etwas“ dem Verfall unterwirft und daher weiter gefasst ist, knüpft<br />

§ 73d StGB am Gegenstandsbegriff des BGB an. Demnach können Sachen und Rechte dem erweiterten<br />

Verfall unterliegen, nicht hingegen ersparte Aufwendungen.<br />

Grundsätzlich ist es nach § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlich, dass dem Täter oder Teilnehmer der<br />

jeweilige Gegenstand gehört oder i.S. einer Rechtsinhaberschaft zusteht (Umkehrschluss aus § 73d<br />

Abs. 1 Satz 2 StGB); § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB – die Bestimmung ist sinngemäß an die Vorschrift des §<br />

73 Abs. 4 StGB angelehnt – erweitert den Anwendungsbereich des erweiterten Verfalls darüber hinaus<br />

auf Fälle, bei denen dem Täter/Teilnehmer der Gegenstand nur deswegen nicht gehört oder zusteht,<br />

weil er diesen für eine rechtswidrige Tat oder aus einer solchen Tat erlangt hat.<br />

Erfasst sind somit - wie bei § 73 Abs. 4 StGB - Übereignungsgeschäfte, die nach §§ 134, 138 BGB<br />

nichtig sind.<br />

Feststellungen zur Person des Eigentümers resp. Inhabers des Rechts und dessen Motivation müssen<br />

jedoch – anders als bei § 73 Abs. 4 StGB – nicht getroffen werden. Dies hängt damit zusammen, dass<br />

die Herkunftstaten und somit auch ggf. tatbeteiligte Personen, etwa Aufkäufer von BtM, typischerweise<br />

nicht näher aufgeklärt bzw. ermittelt werden können und bei einem anderen Verständnis in der<br />

145 Angelehnt an BGH, Urteil vom 07.07.2011, 3 StR 144/11.<br />

146 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 13.<br />

53


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

genauen Diktion des § 73 Abs. 4 StGB die eigentliche Zielrichtung des § 73d StGB insbesondere bei<br />

Betäubungsmittelstraftaten ins Leere laufen würde.<br />

(2) Nutzungen und Surrogate analog § 73 Abs. 2 StGB<br />

§ 73d Abs. 1 Satz 3 StGB verweist u.a. auf § 73 Abs. 2 StGB, der entsprechend anzuwenden ist. Sofern<br />

dem erweiterten Verfall unterliegend zunächst ein Gegenstand dem Täter- oder Teilnehmervermögen<br />

zugefallen ist, können auch Surrogate des Gegenstands (fakultativ) und Nutzungen (obligatorisch)<br />

für (erweitert) verfallen erklärt werden. Wichtig ist, dass sich die Anordnung insoweit nicht am<br />

Gegenstandsbegriff des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB orientiert, sondern sich auf das nachgewiesenermaßen<br />

Erlangte („Etwas“) bezieht; die zeitliche Beschränkung des § 73d Abs. 2 StGB (vgl. unten) gilt<br />

ebenfalls nicht 147 .<br />

(3) Aus oder für Herkunftstat (unmittelbar) erlangt<br />

Ausführungen sind hier nur zum Tatbestandsmerkmal der so genannten Herkunftstat erforderlich.<br />

Entgegen dem Wortlaut des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB „(…), wenn Umstände die Annahme rechtfertigen,<br />

dass diese Gegenstände (…)“, der insoweit auf einen (verdichteten) Anfangsverdacht hindeutet,<br />

verlangt der BGH in verfassungskonformer Auslegung des Tatbestandes …<br />

… dass der Tatrichter im Rahmen des Strengbeweises aufgrund erschöpfender Beweiserhebung<br />

und –würdigung insbesondere unter Berücksichtigung der Einkommensund<br />

Vermögensverhältnisse des Tatbeteiligten die uneingeschränkte Überzeugung von<br />

der deliktischen Herkunft der Gegenstände gewonnen haben muss, ohne dass die<br />

Herkunftstaten selbst im Einzelnen festgestellt werden müssen 148 .<br />

Das durch das Tathandeln jeweils ausgefüllte Strafgesetz muss allerdings weder eine Katalogtat im<br />

obigen Sinne noch muss die Tat selbst, schuldhaft begangen worden sein. In dem Zusammenhang<br />

reicht eine beliebige rechtswidrige (Herkunfts-)Tat aus; anders als bei § 73 StGB ist § 78 StGB hier<br />

nicht anwendbar 149 . Anderenfalls würde die Norm faktisch entwertet, da Feststellungen zu Zeit, Ort<br />

und den genauen Modalitäten der Tat regelmäßig nicht möglich und – nach der Vorstellung des Gesetzgebers<br />

– nicht erforderlich sind; vielmehr soll in den für die Organisierte Kriminalität spezifischen<br />

Deliktsbereichen der Verfall unter erweiterten Voraussetzungen Anwendung finden (vgl. oben) 150 .<br />

Unerheblich ist weiter, ob die Herkunftstat vor oder nach der Anknüpfungstat begangen wurde, da der<br />

Wortlaut der Norm insoweit keine Einschränkungen vorgibt.<br />

Im Übrigen gilt das Gleiche wie beim (einfachen) Verfall: Der Gegenstand muss aus<br />

oder für eine(r) rechtswidrige(n) (Herkunfts-)Tat unmittelbar erlangt worden sein (vgl.<br />

oben).<br />

(4) Ausschluss des erweiterten Verfalls nach § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB<br />

Aufgrund des Verweises des § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB auf § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB hindern etwaige<br />

(abstrakte) Ansprüche von Verletzten aus Straftaten den erweiterten Verfall. Da indes die Umstände<br />

der Anknüpfungstat regelmäßig „im Dunklen“ liegen und dementsprechend etwaige Verletzte respektive<br />

zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen und etwaige Einwendungen/Einreden im Tatsächlichen kaum<br />

ermittelbar/aufzuklären sein dürften, ist bei der gebotenen Prüfung allenfalls nur eine Typisierung<br />

nach Tatbeständen möglich 151 .<br />

Gleichwohl kann über Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO auch der staatliche Auffangrechtserwerb<br />

nach § 111i StPO Anwendung finden.<br />

(5) (Anteiliger) Ausschluss des erweiterten Verfalls gem. § 73d Abs. 4 i.V.m. § 73c StGB<br />

Schließlich kann es aufgrund der entsprechenden Anwendung des § 73c StGB (§ 73d Abs. 4 StGB) zu<br />

einem Ausschluss der Anordnung kommen.<br />

147 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 20.<br />

148 BGH, Beschluss vom 22.11.1994, 4 StR 516/04; BVerfG, Beschluss vom 14.01.2004, 2 BvR 564/95; zu vgl.<br />

auch Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73d Rn. 12.<br />

149 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 13.<br />

150 Wiedner a.a.O.; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73d Rn. 39.<br />

151 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 34; vgl. hierzu auch<br />

Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73d Rn. 51.<br />

54


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Umstritten ist indes, ob die tatbestandliche Beweislockerung für sich betrachtet geeignet sein kann,<br />

eine besondere Härte darzustellen 152 .<br />

II Rechtsfolge<br />

Lösung Fall 24:<br />

Das Problem des vorliegenden Falls liegt weniger im Bereich des Tatbestands des §<br />

73d StGB als vielmehr im Konkurrenzverhältnis der §§ 73, 73a StGB und des § 73d<br />

StGB (vgl. oben).<br />

Vorliegend ist nicht mehr sicher feststellbar, ob jedenfalls ein Teilbetrag der 1 Mio.<br />

Euro aus den festgestellten 7 Anknüpfungs-/Katalogtaten (vgl. §§ 29a Abs. 1 Nr. 2,<br />

33 Abs. 1 Nr. 2 BtMG) oder aber der Gesamtbetrag aus den übrigen (Herkunfts-<br />

)Taten herrühren.<br />

Der BGH 153 hat in einer vergleichbaren Konstellation den erweiterten Verfall (von<br />

Wertersatz) zugelassen. In erster Linie sei maßgeblich, dass nach Ausschöpfung aller<br />

prozessual zulässigen Mittel die deliktische Herkunft der Vermögensgegenstände<br />

festgestellt sei. Es sei hingegen unschädlich, wenn sich das Gericht außer Stande sehe,<br />

das dergestalt Erlangte eindeutig den Anknüpfungs- oder den Herkunftstaten zuzuordnen.<br />

Bei einer anderen Betrachtung würde der gesetzgeberische Zweck des erweiterten<br />

Verfalls, nämlich die Verhinderung gewinnorientierter Straftaten, verfehlt.<br />

Bei Straftaten unter Beteiligung von Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB<br />

stelle im Übrigen § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB sicher, dass deren Interessen gewahrt<br />

blieben.<br />

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73d Abs. 1 StGB liegen im Übrigen vor.<br />

Insbesondere bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass die 1 Mio. Euro deliktischen<br />

Ursprungs sind. In derartigen Fällen ist es – kurz ausgedrückt – genügend,<br />

dass sich dann, wenn sich rechtmäßige Quellen nicht feststellen lassen, die Herkunft<br />

aus rechtswidrigen Taten im Hinblick auf die Situation des Täters und sein Vorleben<br />

einem objektiven Betrachter geradezu aufdrängt 154 .<br />

Sofern die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, ist der erweiterte Verfall zwingend anzuordnen. Die<br />

Rechtsfolge des erweiterten Verfalls ergibt sich aus § 73e StGB (vgl. oben).<br />

1.4.2 Der erweiterte Verfall von Wertersatz nach § 73d Abs. 2 StGB<br />

Ist der Verfall eines bestimmten Gegenstandes gemäß § 73d Abs. 1 StGB nach der Tat ganz oder teilweise<br />

unmöglich geworden, so finden insoweit die §§ 73a und 73b StGB sinngemäß Anwendung.<br />

Abwandlung Fall 24:<br />

Im Rahmen der Ermittlungen konnte geklärt werden, dass 300.000,- Euro aus den<br />

Anknüpfungstaten und 700.000,- Euro aus im Einzelnen nicht mehr näher aufzuklärenden<br />

Herkunftstaten herrühren. Der A. hat aber vor Begehung der ihm konkret zur<br />

Last gelegten sieben Taten die 700.000,- Euro im Rahmen seiner aufwendigen Lebensführung<br />

verbraucht.<br />

Wie ist die Rechtslage zu beurteilen?<br />

§ 73d Abs. 2 StGB setzt voraus, dass zunächst Gegenstände respektive Surrogate/Nutzungen im Vermögen<br />

des Tatbeteiligten angefallen und diese noch zum Zeitpunkt der Begehung der Anknüpfungstat(en)<br />

vorhanden sind (vgl. Wortlaut der Norm). Erst der zeitlich später erfolgte Verlust erlaubt den<br />

Zugriff auf das Legalvermögen des Betroffenen.<br />

152<br />

Vgl. Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73d Rn. 56; Wiedner,<br />

Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 23 m.w.N.<br />

153<br />

BGH, Urteil vom 07.07.2011, 3 StR 144/11; zust. Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht,<br />

2011, § 73d StGB Rn. 9.<br />

154<br />

Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73d Rn. 45; ausführlich Wiedner,<br />

Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 31.<br />

55


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Lösung Fall 24:<br />

Vorliegend scheidet der erweiterte Verfall von Wertersatz gegen A. nach § 73d Abs. 2<br />

StGB aus, da die Gegenstände schon vor Begehung der Anknüpfungstaten untergegangen<br />

sind.<br />

300.000,- Euro unterliegen hingegen dem Verfall gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB.<br />

Im Übrigen ist vorliegend § 73c StGB sinngemäß anzuwenden.<br />

Wenn die Voraussetzungen nach § 73d Abs. 2 StGB vorliegen, ist die (anteilige) Anordnung des erweiterten<br />

Verfalls von Wertersatz zwingend.<br />

1.4.3 § 73d Abs. 3 StGB<br />

§ 73d Abs. 3 StGB verpflichtet das Gericht, bei einer Verfallsanordnung eine bereits ergangene Anordnung<br />

zu berücksichtigen.<br />

56


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

1.5 Die Schätzung nach § 73b StGB<br />

1.5.1 Übersicht<br />

Schätzung<br />

§ 73 b StGB<br />

Voraussetzungen<br />

Nachzuweisen ist, "ob" der Täter/<br />

Teilnehmer für etwas oder aus der Tat<br />

etwas erlangt hat<br />

Schätzung<br />

Umfang des Erlangten Wert des Erlangten<br />

Ausmaß und Art der<br />

Vermögensvorteile z.B.<br />

Art und Nutzung<br />

und<br />

danach<br />

Maßgebend für die Wertermittlung<br />

ist der Zeitpunkt der jeweiligen<br />

richterlichen Entscheidung<br />

Höhe des Anspruchs, dessen<br />

Erfüllung im Falle von § 73<br />

Abs. 1 S. 2 den Vorteil<br />

beseitigen oder mindern<br />

würde<br />

Hier ist insbesondere das<br />

Ausmaß der zu erwartenden<br />

Realisierung derartiger<br />

Ansprüche mit zu berücksichtigen.<br />

Im Bereich des Verfalls eröffnet § 73b StGB zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens die<br />

Möglichkeit, den Umfang des Erlangten und dessen Wert sowie die Höhe des Anspruchs im Sinne des<br />

§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB zu schätzen. § 73b StGB hat vornehmlich prozessuale Wirkungen und befreit<br />

den Tatrichter vom Strengbeweisverfahren und von der Amtsaufklärungspflicht nach § 244 StPO 155 .<br />

Von der Schätzung unberührt sind die Voraussetzungen für die grundsätzliche Zulässigkeit des Verfalls.<br />

Eine Schätzung kommt demnach immer nur hinsichtlich des Umfangs, nicht hingegen des „Ob“<br />

des Verfalls in Betracht 156 .<br />

155<br />

Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 2010, Bd. 3 § 73b Rn. 2 ff.; Fischer, StGB, 54. Auflage 2011, § 73b<br />

Rn. 5.<br />

156<br />

Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73b Rn. 4.<br />

57


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

1.5.2 Verfahrensrecht<br />

Die Voraussetzungen des Verfalls nach §§ 73 ff. StGB sind stets im Rahmen des Strengbeweisverfahrens<br />

festzustellen; für eine Schätzung nach § 73b StGB ist hier kein Raum.<br />

Gleichwohl muss auch für eine Schätzung ein (verfahrensrechtliches) Bedürfnis bestehen; die Beweiserleichterung<br />

ist daher nur anwendbar auf Fälle, in denen im Strengbeweisverfahren nicht mit hinreichender<br />

Sicherheit oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand festgestellt werden kann, in welchem<br />

Umfang oder Wert ein Verfallgegenstand angefallen ist 157 .<br />

Im Übrigen muss das Urteil erkennen lassen, dass eine Schätzung vorgenommen wurde 158 .<br />

1.5.3 Anwendungsvoraussetzungen<br />

Zum einen kann der Umfang des erlangten Vermögensvorteils (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB) sowie der<br />

gezogenen Nutzungen und Surrogate (§ 73 Abs. 2 StGB) auf Seiten des Tatbeteiligten oder des Drittempfängers<br />

geschätzt werden, beispielsweise die Höhe vereinnahmter Geldbeträge aus Betäubungsmittelgeschäften,<br />

wenn hierzu nur die Menge der umgesetzten Drogen bekannt ist 159 .<br />

Zum anderen ist die Schätzung des Werts des Erlangten möglich, was insbesondere beim Verfall von<br />

Wertersatz nach § 73a StGB relevant werden kann, etwa wenn nicht eine Sache oder ein Recht übertragen<br />

wurde, sondern der Vorteil in der Ersparnis von Aufwendungen oder Gebrauchsvorteilen besteht<br />

160 . Denkbar in diesem Bereich sind auch Schätzungen von Werteinbußen (im Sinne des § 73a<br />

Satz 2 StGB) 161 .<br />

Schließlich kann auch die Höhe des Anspruchs des Verletzten (im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB)<br />

geschätzt werden. Erleichtert wird v.a. die Bestimmung, in welcher Höhe der Täter dem Dritten Schadensersatz<br />

schuldet, und somit indirekt auch, welcher Wert einer dem geschädigten Dritten entzogenen<br />

Sache zukommt 162 .<br />

1.5.4 Vornahme der Schätzung<br />

Das Gericht darf auch bei einer Schätzung nicht willkürlich oder ohne zureichende tatsächliche Anhaltspunkte<br />

vorgehen. Einzelheiten sind zumindest soweit zu ermitteln und festzustellen, dass eine hinreichend<br />

sichere Schätzgrundlage gegeben ist, die im Urteil darzustellen ist 163 . Dabei können die von<br />

Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu § 287 ZPO herangezogen werden 164 .<br />

Ggf. mag auch die Hinzuziehung eines Sachverständigen angezeigt sein 165 .<br />

Im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität können für die Schätzung von Verkaufserlösen der Einkaufspreis<br />

und der üblicherweise für Betäubungsmittel der festgestellten Art und Qualität erzielbare<br />

Preis herangezogen werden 166 .<br />

157<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 7; Schmidt, Leipziger<br />

Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73b Rn. 3.<br />

158<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 10 m.w.N. zu Rügemöglichkeiten<br />

in der Revision unter Rn. 11.<br />

159<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 3.<br />

160<br />

Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73b Rn. 7.<br />

161<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 4.<br />

162<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 5.<br />

163<br />

Rübenstahl a.a.O.<br />

164<br />

Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73b Rn. 2.<br />

165<br />

Vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27.01.2010, 5 StR 224/09, und Urteil vom 29.06.2010, 1 StR 245/09.<br />

166<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 8.<br />

58


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

1.6 Die Härtefallregelung des § 73c StGB<br />

1.6.1 Übersicht<br />

Abs. 1 Satz 1 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1<br />

Abs. 1 Satz 2 Alt. 2<br />

Kein Verfall,<br />

soweit unbillige Härte<br />

Hohe Anforderungen an<br />

unbillige Härte. Die<br />

Anordnung muss sich<br />

unbillig auf die aktuelle<br />

Vermögenslage auswirken.<br />

(BGH, NStZ 95, 495;<br />

BGH, StV 95, 635;<br />

BGH, Az.: 3 StR 296/94;<br />

BGH Az.: 4 StR 153/08)<br />

Kein Ermessen Ermessen<br />

Solange der Verfallsbetroffene über Aktivvermögen verfügt,<br />

ist in der Regel davon auszugehen, dass das Taterlangte<br />

in seinem vorhandenem Vermögen aufgegangen<br />

ist<br />

(BGH, NStZ 2000, 480).<br />

Andere Auslegung des 1. Strafsenates:<br />

Kein Ermessen, solange der Täter über Vermögen verfügt.<br />

Es kommt nicht darauf an, ob das vorhandene<br />

Vermögen einen Bezug zu der rechtswidrigen Tat hat<br />

(BGH, NStZ 2006, 2500).<br />

Soweit das Taterlangte für Luxus ausgegeben wurde<br />

(BGH, NStZ-RR 2005, 104).<br />

Soweit Taterlangtes bewusst an Dritte weitergegeben<br />

wird, um es dem Verfall zu entziehen<br />

(BGH, wistra 2003, 424).<br />

Grundsätzlich, soweit der Verbleib des Taterlangten<br />

unklar ist und der Verfallsbetroffene darüber schweigt<br />

(BGH, NStZ 2005, 232).<br />

Soweit Angeklagter sein unbemakeltes Vermögen schont<br />

(BGH, Urteil v. 2.10.2008, 4 StR 153/08).<br />

§ 73 c StGB<br />

Verfall kann unterbleiben,<br />

soweit Erlangtes nicht<br />

mehr im Vermögen vorhanden<br />

ist<br />

Falls von vornherein vorhandenes Vermögen<br />

erkennbar in keinem Zusammenhang zur Tat<br />

steht (geerbtes Grundstück)<br />

(BGH, wistra 2003, 58).<br />

Soweit das Taterlangte in Fällen der Not ausgegeben<br />

wurde<br />

(BGH NStZ-RR 2005, 104).<br />

Bei nachgewiesener Weitergabe des Taterlangten<br />

an Mittäter<br />

(BGH NStZ 2004, 440).<br />

Verfall kann unterbleiben,<br />

soweit Erlangtes von<br />

geringem Wert ist<br />

50,- bis 100,- Euro<br />

Setzt Feststellungen voraus, ob und aus welchen<br />

Gründen der Angeklagte entreichert ist<br />

oder das Erlangte noch in seinem Vermögen<br />

vorhanden ist (BGH Beschluss vom<br />

21.05.2005, 3 StR 119/05).<br />

59


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

§ 73c StGB hat für die strafrechtliche Praxis enorme Bedeutung.<br />

Dies zeigt sich nicht zuletzt an der Vielzahl von diesbezüglichen revisionsrechtlichen Entscheidungen<br />

167 . Einzelheiten insbesondere im Hinblick auf § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB sind zwischen einzelnen<br />

BGH-Senaten durchaus umstritten 168 . Deshalb soll es bei den nun folgenden Ausführungen vorrangig<br />

darum gehen, die maßgeblichen Grundstrukturen darzustellen.<br />

Frage:<br />

Was sind die maßgeblichen Grundstrukturen des § 73c StGB?<br />

§ 73c StGB ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie des Übermaßverbotes 169 . Übermäßige<br />

Härten, etwa infolge des Umstands, dass der Verfall grundsätzlich auch dann anzuordnen ist,<br />

wenn sich das Erlangte oder dessen Wert im Tätervermögen nicht mehr befinden (Umkehrschluss aus<br />

§§ 73a Satz 2; 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB) 170 , oder der Inanspruchnahme von Drittempfängern,<br />

sollen darüber relativiert werden können.<br />

Wie oben bereits dargelegt sind auch Konstellationen denkbar, die entweder schon auf tatbestandlicher<br />

Ebene oder aber erst bei der Prüfung des § 73c StGB entsprechende Regulation erfahren können,<br />

so etwa bei der Bestimmung des (unmittelbar) Erlangten im Rahmen synallagmatischer Vertragsgestaltungen<br />

oder in den Fällen des Erlangens bei Gehilfen (vgl. oben).<br />

Bei diesem Verständnis hat § 73c StGB somit nicht erst Auswirkungen im eigentlichen Hauptverfahren,<br />

sondern bereits im Ermittlungsverfahren. Zwar ist die Härteklausel bei letzterem nicht unmittelbar<br />

anwendbar; ihre Wertungen sind jedoch zu berücksichtigen 171 .<br />

Im Übrigen ist § 73c StGB auch bei der Anwendung des § 111i StPO zu beachten 172 .<br />

Neben dem eher unbedeutenden § 73c Abs. 2 StGB ist § 73c Abs. 1 StGB zweigeteilt.<br />

Der speziellere Tatbestand ist § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB, wiederum in zwei Alternativen unterteilt, zu<br />

entnehmen. § 73c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB regelt die „Entreicherung“ und § 73c Abs. 1 Satz 2 2. Alt.<br />

StGB die Fälle des geringen Werts des Erlangten.<br />

§ 73c Abs. 1 Satz 1 StGB ist dagegen als Generalklausel ausgestaltet.<br />

Aufgrund dieser Systematik 173 ist bei der Prüfung mit § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB zu beginnen. Erst wenn<br />

kein spezieller Fall vorliegt, kann § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB überhaupt Anwendung finden. Aus dieser<br />

Gesetzesordnung folgt weiter, dass ein allgemeiner Härtefall nicht schon deswegen vorliegt, wenn der<br />

Wert des Erlangten zur Zeit der Anordnung im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden ist.<br />

Denn Umstände, die (nur) ein Absehen von der Verfallsanordnung nach pflichtgemäßem Ermessen<br />

zulassen, können nicht zugleich einen zwingenden Ausschlussgrund bilden 174 .<br />

Sind schließlich die Voraussetzungen eines allgemeinen Härtefalls (im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1<br />

StGB) gegeben, so ist die Anordnung des Verfalls ganz oder teilweise zwingend ausgeschlossen, während<br />

§ 73c Abs. 1 Satz 2 StGB insoweit Ermessen einräumt. Denkbar ist auch die kumulative Annahme<br />

eines fakultativen Härtefalls nach § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB und eines obligatorischen Härtefalls<br />

entsprechend der Generalklausel des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB, sofern neben der (anteiligen) Entreicherung<br />

weitere, den Betroffenen im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB privilegierende Umstände<br />

167 Vgl. hierzu Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73c Rn. 5; Wiedner,<br />

Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73c StGB Rn. 22 ff. mit Hinweisen zum Verfahrensrecht<br />

und der Überprüfbarkeit erstinstanzlicher Entscheidungen in der Revision.<br />

168 Vgl. hierzu Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 4.<br />

169 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73c StGB Rn. 1 m.w.N.<br />

170 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73c Rn. 2.<br />

171 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, vor §§ 111b ff. Rn. 9.<br />

172 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 9 m.w.N.<br />

173 Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12.07.2000, 2 StR 43/00.<br />

174 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73c Rn. 7.<br />

60


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

hinzutreten, denn beide Vorschriften (vgl. den Wortlaut „soweit“) erlauben auch das anteilige Absehen<br />

des Verfalls 175 .<br />

§ 73c StGB gilt nicht nur beim Verfall (von Wertersatz) nach §§ 73, 73a StGB, sondern sinngemäß<br />

auch bei § 73d StGB (§ 73d Abs. 4 StGB).<br />

Überdies können sich nicht nur die originär Tatbeteiligten, sondern ebenfalls(Dritt-)Empfänger oder<br />

Eigentümer, was bei letzteren auch im Zusammenhang mit § 73d StGB zu beachten ist (zu vgl. § 73d<br />

Abs. 1 Satz 2 StGB), auf einen Härtefall berufen 176 .<br />

1.6.2 Voraussetzungen<br />

Fall 25:<br />

A. und B. haben gemeinsam den Verkauf von 1 kg Heroin geplant, das für 50.000,-<br />

Euro in den Niederlanden eingekauft wurde. A. übergab das Heroin an den Käufer C.<br />

und erhielt im Gegenzug den vereinbarten Kaufpreis in Höhe von 100.000,- Euro.<br />

Den Erlös händigte er anschließend B. aus, der sich damit absetzte. Nach längeren<br />

Ermittlungen konnten A. und B. schließlich festgenommen werden. Die Finanzermittlungen<br />

haben ergeben, dass A. noch über Legalvermögen aus einer Jahre vorher angetretenen<br />

Erbschaft im Gesamtumfang von 1 Mio. Euro verfügt. Bezüglich des B.<br />

konnten hingegen inländische Vermögenswerte – gleich welcher Herkunft – nicht<br />

aufgespürt werden; der Verbleib der 100.000,- Euro bleibt ungeklärt, zumal B. zu den<br />

Tatvorwürfen und zum Schicksal des Geldes schweigt.<br />

I § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB<br />

§ 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB, der in der Praxis kaum Bedeutung hat, betrifft Bagatellfälle; die Wertgrenze<br />

ist in Anlehnung an §§ 243 Abs. 2, 248a StGB zurzeit bei etwa 50,- Euro zu ziehen 177 . Nach<br />

dem Wortlaut ist bei der Bestimmung des Werts des Erlangten auf den Zeitpunkt des Zuflusses in das<br />

Vermögen des (Verfalls-)Betroffenen abzustellen.<br />

II § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB<br />

a. Grundsätze<br />

Der (anteilige) Ausschluss des Verfalls erfordert zunächst die gesicherte Feststellung, dass der Wert<br />

des Erlangten zur Zeit der Anordnung in dem (Netto-)Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden<br />

ist. Die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB hat<br />

demnach in zwei Schritten zu erfolgen. Zunächst ist der Wert des ursprünglich Erlangten zu ermitteln<br />

und im Anschluss daran das (Netto-)Vermögen. Sodann sind beide Positionen gegenüberzustellen.<br />

Grundsätzlich ist daher die Ermessensentscheidung nicht eröffnet, wenn der Betroffene noch über<br />

Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem Wert des Erlangten zurückbleibt, wobei es regelmäßig<br />

unbeachtlich ist, ob das noch vorhandene Vermögen einen konkreten oder unmittelbaren Bezug<br />

zu den Straftaten hat 178 . Allerdings soll Letzteres nach der Auffassung des 3., des 4. und nunmehr<br />

auch des 5. Strafsenats nur eine widerlegbare Vermutung sein 179 . Steht demnach unzweifelhaft fest,<br />

dass die verbliebenen Vermögenspositionen nicht strafbewehrt erworben wurden und demnach auch<br />

keinen Zusammenhang mit den gegenständlichen Straftaten aufweisen, soll die Anwendung von § 73c<br />

Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB noch möglich sein.<br />

Demgegenüber geht der 1. Strafsenat von einer nicht widerlegbaren Vermutung aus, so dass in derartigen<br />

Fällen die Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB nicht eröffnet wäre 180 .<br />

Der Senat begründet dies neben einem Wortlautargument mit verfahrensökonomischen Erwägungen,<br />

da anderenfalls u.U. aufwendige Finanzermittlungen durchzuführen wären, und mit der Zielsetzung<br />

der präventiv ausgerichteten Verfallsvorschriften, die bei einer anderen Betrachtung gefährdet wäre<br />

181 .<br />

175<br />

Vgl. Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73c StGB Rn. 2 ff.<br />

176<br />

Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 3.<br />

177<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73c StGB Rn. 20.<br />

178<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 4; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1.<br />

Auflage 2011, § 73c StGB Rn. 10 ff.<br />

179<br />

Fischer a.a.O.; Wiedner a.a.O.; BGH, Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11.<br />

180<br />

BGH, Urteil vom 16.05.2006, 1 StR 46/06 (vgl. oben Fall 2).<br />

181<br />

BGH a.a.O; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73c StGB Rn. 11 ff.<br />

61


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Doch selbst wenn eine Entreicherung im erforderlichen Sinne festgestellt werden kann, heißt dies<br />

nicht automatisch, dass vom Verfall (anteilig) abzusehen ist. Vielmehr sind im Rahmen der Ermessensentscheidung<br />

unterschiedliche Aspekte zu würdigen. Besondere Bedeutung kommen hierbei den<br />

Gründen zu, die für die Entreicherung maßgeblich waren. 182 . So können beispielsweise Aufwendungen<br />

in einer wirtschaftlichen Notsituation es rechtfertigen, vom Verfall (anteilig) abzusehen, während die<br />

Befriedigung eher luxuriöser Bedürfnisse mittels des aus der Tat Erlangten nicht privilegierungswürdig<br />

sein dürfte.<br />

Weiter zu berücksichtigende Umstände können vorliegen 183 :<br />

Gefährdung der Resozialisierung<br />

Einlassungsverhalten speziell im Hinblick auf die für die Verhängung von Maßnahmen nach §§ 73<br />

ff. StGB relevanten Umstände<br />

Wirtschaftliche Belastungen des Verfahrens namentlich infolge langer Untersuchungshaft<br />

Schonung unbemakelten Vermögens<br />

Freiwillig geleistete Kompensationszahlungen (vor Tatentdeckung) etc.<br />

Irrelevant sind hingegen Einwände bzgl. getätigter Aufwendungen anlässlich der Straftat. Derartige<br />

Ausgaben finden aufgrund des Bruttoprinzips keine Berücksichtigung. Zwar mag sich die Bedeutung<br />

des § 73c Abs. 1 StGB durch den Wechsel vom Netto- auf das Bruttoprinzip geändert haben 184 . Dies<br />

führt jedoch nicht dazu, dass die hierfür maßgeblichen gesetzgeberischen Erwägungen durch die „Hintertür“<br />

des § 73c Abs. 1 StGB wieder ausgehebelt werden können 185 .<br />

b. Sonderfälle<br />

In diesem Themenkreis können insbesondere bei Sachverhalten, die dem Wirtschaftsstrafrecht zuzuordnen<br />

sind, Sonderprobleme anfallen, auf die in der gebotenen Kürze einzugehen ist.<br />

Bei der Gewinnabschöpfung bei juristischen Personen als (Dritt-)Empfänger eingebunden in Konzerne<br />

oder konzernähnliche Gebilde sieht sich der Rechtsanwender des Öfteren mit (faktischen) Beherrschungs-<br />

und Gewinnabführungsverträgen zwischen (Konzern-)Mutter und Töchtern und Entreicherungseinwänden<br />

der Letzteren konfrontiert. Hier ist zu beachten, dass das Konzernrecht entsprechende<br />

Freistellungsansprüche (analog) § 302 AktG als zu berücksichtigender Vermögensbestandteil der<br />

Konzerntochter vorsieht und dementsprechend eine Entreicherung nicht vorliegt 186 .<br />

Ein weiteres Sonderproblem bildet die mögliche – und zu vermeidende – Doppelbelastung durch Verfall<br />

des Erlangten sowie dessen gleichzeitige Besteuerung 187 .<br />

Hier spielen mehrere, miteinander in Verbindung stehende Aspekte eine Rolle, zum einen die (ggf.<br />

schon bestandskräftige) Besteuerung des strafbewehrt Erlangten sowie der Umstand, dass der anzuordnende<br />

Verfall (von Wertersatz) selbst gewinnmindernd steuerlich Ansatz findet 188 , zum anderen<br />

der Stand des steuerlichen Verfahrens in zeitlicher Hinsicht, demgemäß die Frage nach der Bestandskraft<br />

etwaiger Steuerbescheide bezüglich des maßgeblichen Veranlagungszeitraums.<br />

Infolgedessen ist vorab zu prüfen, ob der zu verhängende Verfall (von Wertersatz) noch steuerlich<br />

Berücksichtigung finden kann, entweder weil das Steuerverfahren noch nicht abgeschlossen ist oder<br />

zumindest Steuerbescheide noch anfechtbar sind. Ist dies der Fall, so wären die Einkünfte des Betroffenen,<br />

durch den Verfallsbetrag entsprechend reduziert, zu versteuern, so dass eine Berücksichtigung<br />

im Rahmen des § 73c StGB unterbliebe. Anderenfalls hat das Strafgericht die Doppelbelastung durch<br />

Anrechnung im Rahmen des Verfalls auszugleichen 189 .<br />

182 Fischer, StGB, 54. Auflage 2011, § 73c Rn. 5; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd.<br />

3 § 73c Rn. 12.<br />

183 Zu vgl. Fischer a.a.O.; Schmidt a.a.O.; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, , § 73c<br />

StGB Rn. 17.<br />

184 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73c Rn. 4.<br />

185 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73c Rn. 7.<br />

186 Zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31.03.2009, 2 Ws 69/09; LG Bochum, Beschluss vom 09.02.2009, 13 Qs<br />

1/09 – W – (n.v.).<br />

187 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 4a.<br />

188 Das steuerliche Abzugsverbot nach § 12 Nr. 4 EStG bezieht sich nur auf Geldstrafen und ähnliche Sanktionen<br />

und damit nicht auf Maßnahmen mit präventiver Ausrichtung.<br />

189 Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21.03.2002, 5 StR 138/01 (vgl. oben Fall 5); Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11;<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 4a m.w.N.; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht,<br />

2011, § 73c StGB Rn. 18 m.w.N.<br />

62


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

III Härtefall nach § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB<br />

Der unbestimmte Rechtsbegriff der „unbilligen Härte“ setzt voraus, dass die Anordnung<br />

Grundsätze der Billigkeit und des Übermaßverbotes verletzen würde; die Anordnung<br />

muss im Einzelfall als vom Zweck des Verfalls nicht mehr getragen und schlechterdings<br />

ungerecht erscheinen 190 .<br />

Bei folgenden Konstellationen könnte daher die Annahme einer „unbilligen Härte“ naheliegend sein:<br />

Von Reue getragene Zuwendung des Bestechungsgeldes an gemeinnützige Einrichtung<br />

Finanzielle Einbußen infolge beamtenrechtlicher Auswirkungen des Verfahrens (vgl. hierzu auch §<br />

71 Abs. 2 Satz 1 BBG)<br />

(Existenz-)Gefährdung eines (ansonsten legal operierenden) Unternehmens<br />

Unentgeltliche Weitergabe des Erlangten an Dritten außerhalb des Anwendungsbereichs des § 73<br />

Abs. 3 und Abs. 4 StGB<br />

Gutgläubigkeit des Drittempfängers (§ 73 Abs. 3 StGB)<br />

Lösung Fall 25:<br />

IV § 73c Abs. 2 StGB<br />

Zeitlich sukzessive haben A. und B. zunächst den (Original-)Erlös von 100.000,- Euro<br />

erlangt; die Voraussetzungen für deren gesamtschuldnerische Haftung im Rahmen<br />

des Verfalls (von Wertersatz) liegen vor. Selbst wenn man vorliegend zur Eröffnung<br />

der Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB käme (so 3., 4. und<br />

5. Strafsenat des BGH; vgl. oben), dürften doch die Umstände im Zusammenhang<br />

mit der Weitergabe der Gelder A. nicht privilegieren. Auch B. dürfte sich nicht mit Erfolg<br />

auf eine Entreicherung berufen können, da grundsätzlich dann nicht von einem<br />

Wegfall auszugehen ist, wenn Erlöse aus BtM-Verkäufen nicht mehr vorhanden sind,<br />

indes der Verbleib aber ungeklärt ist 191 . Die Annahme einer unbilligen Härte im Sinne<br />

des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB dürfte bei beiden ebenfalls fernliegend sein.<br />

Nach § 73c Abs. 2 StGB kann das erkennende Gericht (und später auch die Vollstreckungsbehörde)<br />

entsprechend § 42 StGB Zahlungserleichterungen bewilligen.<br />

1.7 Rechtsfolgen der Anordnung des (erweiterten) Verfalls (von Wertersatz)<br />

Bei der Betrachtung der Rechtsfolgen einer Verfallsanordnung (i.w.S.) muss die Unterscheidung zwischen<br />

(erweitertem) (Original-)Verfall und (erweitertem) Wertersatzverfall respektive inkriminiertem<br />

und (Legal-)Vermögen erneut betrachtet werden 192 . § 73e StGB regelt nämlich nur die Wirkungen des<br />

(Original-)Verfalls nach §§ 73, 73d Abs. 1 StGB; für § 73a und § 73d Abs. 2 StGB ist die Norm ohne<br />

Bedeutung.<br />

Im Falle einer rechtskräftigen Verfallsentscheidung nach §§ 73, 73d Abs. 1 StGB geht das Eigentum<br />

an der Sache oder das Recht – kraft Gesetzes – auf den Staat über, wenn der Gegenstand zum Zeitpunkt<br />

der gerichtlichen Entscheidung dem jeweils Betroffenen, also dem Tatbeteiligten oder dem<br />

Drittempfänger oder Eigentümer gehört oder zusteht (vgl. auch § 60 StVollstrO); Rechte Dritter bleiben<br />

bestehen. Die Zeit zwischen Anordnung und Rechtskraft wird über § 73e Abs. 2 StGB im Rahmen<br />

eines gesetzlichen Veräußerungsverbotes nach § 136 BGB mit der Wirkung eines relativen Verbots<br />

zugunsten des Fiskus gemäß § 135 BGB geschützt; vom Wirkungskreis her ist dies identisch mit der<br />

Rechtsfolge einer wirksamen Beschlagnahme nach § 111c StPO (vgl. § 111c Abs. 5 StPO).<br />

Hat das Gericht demgegenüber die Eigentumsverhältnisse bzw. die Rechtsinhaberschaft irrtümlich<br />

falsch beurteilt, ist also beispielsweise eine dritte Person Eigentümer der für verfallen erklärten Sache,<br />

so bleibt dieser Eigentümer daran und kann weiterhin frei darüber verfügen 193 .<br />

190<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 3; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd.<br />

3 § 73c Rn. 6 ff. m.w.N.<br />

191<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 4a.<br />

192<br />

Vgl. auch Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73e Rn. 2 ff.<br />

193<br />

Vgl. Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73e Rn. 7.<br />

63


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

§ 73e Abs. 2 StGB ist genauso zu verstehen wie die Regelung des § 74e Abs. 2 Satz 1 StGB; allerdings<br />

ist streitig, ob dem Anwendungsbereich neben beschränkt dinglichen Rechten auch Vorbehalts- und<br />

Sicherungseigentum unterliegen 194 .<br />

Demgegenüber erwirbt der Staat bei der Anordnung des Wertersatzverfalls nach §§ 73a, 73d Abs. 2<br />

StGB einen Zahlungsanspruch, der wie eine Geldstrafe beigetrieben wird 195 .<br />

Zusammenfassung 1<br />

Eine wirksame Strafverfolgung erfordert neben der Bestrafung i.e.S., auch die Abschöpfung<br />

des illegitim Erlangten.<br />

Der materiell-rechtliche Anspruch des Staates bzw. des Tatverletzten bestimmt dabei die<br />

Sicherungsart.<br />

Der Verfall i.w.S. ist eine Maßnahme sui generis, die der Beseitigung einer objektiven Unrechtsfolge<br />

in Gestalt einer deliktischen Vermögenszuordnung dient. Da der Verfall weder<br />

eine Strafe noch eine strafrechtliche Nebenfolge darstellt, wird er bei der Strafzumessung<br />

auch nicht strafmildernd berücksichtigt.<br />

Die Anordnung des Verfalls gem. §§ 73 ff. StGB erfordert eine rechtswidrige Tat i.S.d. §<br />

11 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Verschulden ist somit nicht erforderlich. Verjährung oder sonstige<br />

nicht behebbare Verfahrenshindernisse schließen den Verfall hingegen aus. Die Anwendung<br />

der Maßnahme nach § 73d StGB kommt in diesem Zusammenhang erst dann in Betracht,<br />

wenn nach Ausschöpfung aller prozessual zulässigen Mittel ausgeschlossen ist,<br />

dass die Voraussetzungen der §§ 73, 73a StGB erfüllt sind.<br />

Die Bestimmung des Erlangten steht schließlich unter der Maßgabe des Bruttoprinzips<br />

(gültig seit 07.03.1992). Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der „Unmittelbarkeit“<br />

(§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB) ist insoweit vom Bruttoprinzip streng zu trennen. Die Bestimmung<br />

des „unmittelbar Erlangten“ ist nämlich der Bestimmung seines Umfangs logisch<br />

vorgelagert.<br />

Der Verfall ist im Übrigen in den Fällen des Erlangens aus der Tat ausgeschlossen, wenn<br />

Ansprüche von Verletzten aus der Straftat (abstrakt) vorhanden sind.<br />

Abgesehen von der Regelung des § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB handelt es sich bei den übrigen<br />

Normen der §§ 73, 73a, 73d StGB um ius cogens.<br />

Der so genannte Drittempfängerverfall nach § 73 Abs. 3 StGB erfasst neben „Vertreterfällen“<br />

auch „Verschiebungsfälle“. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt ein § 73 Abs. 3<br />

StGB nicht unterliegender Erfüllungsfall vor, wenn der Täter oder Teilnehmer einem gutgläubigen<br />

Dritten Tatvorteile zuwendet, und zwar in Erfüllung einer nicht bemakelten entgeltlichen<br />

Forderung, deren Entstehung und Inhalt in keinem Zusammenhang mit der Tat<br />

stehen.<br />

Der Verfall eines Gegenstandes wird auch dann angeordnet, wenn er einem Dritten gehört<br />

oder zusteht, der ihn für die Tat oder sonst in Kenntnis der Tatumstände gewährt<br />

hat.<br />

Mehrere Täter und/oder Teilnehmer können gesamtschuldnerisch haften, wenn jeder von<br />

ihnen – ggf. auch zeitlich sukzessive – zumindest wirtschaftliche oder faktische (Mit-)<br />

Verfügungsgewalt über den Vermögensgegenstand gehabt haben und sie sich einig waren,<br />

dass jedem die (Mit-)Verfügungsgewalt hierüber zukommen sollte.<br />

In der Praxis sind zumeist die nach § 73 Abs. 1 und 2 StGB erforderlichen Feststellungen<br />

nicht zu treffen, so dass gem. § 73a StGB Zugriff auf das Legalvermögen des Täters oder<br />

Teilnehmers etc. genommen wird.<br />

194<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74e Rn. 4; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010,<br />

Bd. 3 § 73e Rn. 8.<br />

195<br />

Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73a Rn. 8; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage<br />

2010, Bd. 3 § 73a Rn. 8.<br />

64


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Zusammenfassung 2<br />

§ 73d StGB ist im Kern beweisrechtlicher Natur und stellt einen Auffangtatbestand dar.<br />

Nur die „Anlasstat“ muss eine auf § 73d StGB verweisende Katalogtat sein; im Übrigen<br />

muss zur sicheren Überzeugung des Gerichts feststehen, dass die abzuschöpfenden Gegenstände<br />

aus anderen rechtswidrigen, im Einzelnen aber nicht näher konkretisierbaren<br />

Herkunftstaten herrühren.<br />

Eine Schätzung nach § 73b StGB kommt immer nur hinsichtlich des Umfangs, nicht hingegen<br />

bezüglich des „Ob“ des Verfalls in Betracht, und erfordert eine hinreichend sichere<br />

Schätzgrundlage.<br />

§ 73c StGB hat in der (revisionsgerichtlichen) Praxis eine enorme Bedeutung. Es besteht<br />

ein Prüfungsvorrang des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB gegenüber der Generalklausel des §<br />

73c Abs. 1 Satz 1 StGB. Daraus folgt u.a., dass eine unbillige Härte nicht alleine deswegen<br />

angenommen werden kann, wenn das Erlangte im Vermögen des Verfallsbetroffenen<br />

nicht mehr vorhanden ist.<br />

65


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

2. Einziehungsvorschriften nach dem Strafgesetzbuch<br />

2.1 Rechtsnatur und Zweck<br />

Genau wie der Verfall ist auch die Einziehung (§§ 74 ff. StGB) eine Maßnahme nach § 11 Abs. 1 Nr. 8<br />

StGB. Allerdings bestehen zwischen Verfall und Einziehung, die kein einheitliches Rechtsinstitut darstellt<br />

196 , maßgebliche Unterschiede.<br />

Während der Verfall eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB voraussetzt, knüpft §<br />

74 StGB grundsätzlich an eine vorsätzliche, mithin schuldhaft begangene Tat an, wovon § 74 Abs. 3<br />

StGB eine Ausnahme zulässt.<br />

Anders als beim Verfall nach § 73 StGB, der sich auf alle vermögenswerten Positionen ggf. auch ohne<br />

Substrat bezieht (vgl. oben), sind die Anwendungsvoraussetzungen bei § 74 StGB wiederum enger, so<br />

dass nur die Einziehung von Gegenständen und dies nur fakultativ eröffnet ist. Schließlich ist die<br />

Anordnung der Einziehung auch in bestimmten Fällen trotz Verjährung der Tat möglich (vgl. §§ 78<br />

Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 76a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB).<br />

Gewisse Parallelen bestehen zwischen §§ 73 Abs. 4, 73d Abs. 1 Satz 2 StGB und 74a StGB; demgegenüber<br />

lässt § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB die Einziehung unter präventiven Gesichtspunkten auch dann zu,<br />

wenn Täter oder Teilnehmer nicht Eigentümer oder Rechtsinhaber bezüglich des Gegenstandes sind.<br />

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Vorschriften der Einziehung weder unmittelbar noch über<br />

einen Verweis die (entsprechende) Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB vorsehen, was im Fall der<br />

fakultativ möglichen Einziehung des Beziehungsgegenstands einer Geldwäsche (vgl. § 261 Abs. 7<br />

StGB) bei einer entsprechenden Vortat, etwa einem Betrug, zu Wertungswidersprüchen führen<br />

kann 197 .<br />

Demzufolge finden sich in den §§ 74 ff. StGB Maßnahmen unterschiedlichen Normcharakters, zum Teil<br />

als Strafe oder strafähnliche Regelung (§§ 74 Abs. 2 Nr. 1 oder 74a StGB) und zum Teil in den Fällen<br />

des § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB oder des § 74 Abs. 3 StGB als reine Sicherungsmaßnahme ausgestaltet 198 ;<br />

so geartet kann die Einziehung nach §§ 74 Abs. 2 Nr. 1 oder 74a StGB – anders als beim Verfall – im<br />

Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden 199 .<br />

196 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 2.<br />

197 Vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25.03.2010, 5 StR 518/09; nähere Ausführungen zu dieser Entscheidung<br />

finden sich im 5. Teil „Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten“.<br />

198 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 2; Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB Band 2/1 §§ 52-79b,<br />

1. Auflage 2005, § 74 Rn. 2 ff.<br />

199 BGH, Beschluss vom 20.07.2011, 5 StR 234/11.<br />

66


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Zusammenfassende Darstellung der Struktur der Vorschriften:<br />

Einziehung und Einziehung des Wertersatzes nach §§ 74 ff. StGB<br />

§ 74 StGB § 74b StGB § 74a StGB § 74c StGB § 75 StGB<br />

§ 74 Abs. 1 Verhältnis- Fall der Drittein- Einziehung des Organmäßigkeit<br />

ziehung Wertersatzes Handeln<br />

Voraussetzungen:<br />

- Vorsätzlich und<br />

(schuldhaft) begangene<br />

Straftat<br />

- Gegenstände als Kann-Vorschriften<br />

producta sceleris o.<br />

instrumenta sceleris<br />

(keine Beziehungsgegenstände)<br />

Abs. 2 Abs. 4 Abs. 3<br />

Nr.1: Täter/Teilnehmer Im Fall des<br />

steht Recht an Gegenstand Verweis über bes. Abs. 2 Nr. 2<br />

zu Vorschrift schuldhaftes<br />

Handeln nicht<br />

Nr.2: Gefährdungstatbestand erforderlich<br />

Rechtsfolge nach<br />

§ 74e StGB<br />

67


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

2.2 Anwendungsvoraussetzungen<br />

Anders als beim Verfall bereiten die Vorschriften der Einziehung in der Praxis kaum Probleme. Daher<br />

wird auf eine vertiefende Darstellung verzichtet.<br />

2.2.1 (Original-)Einziehung nach §§ 74, 74a StGB<br />

Die §§ 74, 74a StGB ermöglichen die Einziehung sowohl gegenüber dem Täter oder Teilnehmer (§ 74<br />

Abs. 2 Nr. 1 StGB) als auch gegenüber dem Dritteigentümer (§§ 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 und 74a<br />

StGB), während § 75 StGB den Durchgriff auf juristische Personen etc. erlaubt.<br />

Über die von § 74 Abs. 1 StGB erfassten producta sceleris und instrumenta sceleris hinausgehend<br />

lässt ferner § 74 Abs. 4 StGB die Einziehung so genannter „Beziehungsgegenstände“, etwa Waffen,<br />

Betäubungsmittel oder verschleierte Geldmittel bei der Geldwäsche 200 , zu.<br />

I Vorsätzliche Straftat<br />

Der Täter oder Teilnehmer muss grundsätzlich zumindest vermindert schuldfähig gehandelt haben<br />

(Ausnahme: § 74 Abs. 3 StGB unter den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Wie bereits<br />

beim Verfall darf auch hier die Tat nicht verjährt sein (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB). Allerdings besteht bei<br />

der Einziehung nach § 74 StGB die Besonderheit, dass § 78 Abs. 1 Satz 2 StGB i.V.m. § 76a Abs. 2<br />

Satz 1 Nr. 1 StGB unter den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StGB und des § 74d StGB<br />

die Einziehung im Rahmen des objektiven Verfahrens trotz Verjährung ermöglicht.<br />

II Gegenstände, die durch die Straftat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vor-<br />

bereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind<br />

a. § 74 Abs. 1, 1. Variante StGB<br />

Die 1. Variante des § 74 Abs. 1 StGB bezieht sich auf Gegenstände, also Sachen und Rechte (vgl.<br />

oben) 201 , die durch die Tat hervorgebracht wurden („producta sceleris“), beispielsweise gefälschte<br />

Urkunden oder Geldscheine. Hiervon abzugrenzen sind Taterlöse.<br />

b. § 74 Abs. 1, 2. Variante StGB<br />

c.<br />

Frage:<br />

Was sind „Tatmittel“ und „Beziehungsgegenstände“?<br />

Bei § 74 Abs. 1, 2. Variante StGB werden die so genannten „Tatmittel“, also Gegenstände, die bei der<br />

Begehung der Tat – also während des gesamten Stadiums bis hin zur Beendigung 202 - verwendet<br />

wurden oder verwendet werden sollten sowie die Tat gefördert haben oder fördern sollten, erfasst.<br />

„Tatmittel“ sind von den „Beziehungsgegenständen“ (vgl. oben) abzugrenzen; bei letzteren handelt es<br />

sich um notwendige Gegenstände der Tat selbst 203 .<br />

III § 74 Abs. 2 StGB<br />

a. § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB<br />

Nach § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB muss dem Täter oder Teilnehmer der Gegenstand gehören oder zustehen,<br />

was sich nach dem bürgerlichen Recht beurteilt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen<br />

Entscheidung. Hat der Betroffene vor der Entscheidung über den Gegenstand verfügt, so<br />

dass die Anordnung der (Original-)Einziehung nach § 74 StGB ausscheidet, kommt die Einziehung des<br />

Wertersatzes nach § 74c StGB infrage.<br />

200 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 5 ff. und 10.<br />

201 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 3.<br />

202 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 9.<br />

203 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 10.<br />

68


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

b. § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB<br />

Sofern die in Betracht kommenden Gegenstände nach ihrer Art und den Umständen die Allgemeinheit<br />

gefährden oder die Gefahr besteht, dass sie der Begehung rechtswidriger Taten dienen werden, ist die<br />

Einziehung auch gegenüber (Dritt-)Eigentümern resp. Inhabern – sogar beim schuldlos handelnden<br />

Tatbeteiligten (§ 74 Abs. 3 StGB) – möglich 204 . Auf § 74a StGB muss in diesen Fällen nicht zurückgegriffen<br />

werden.<br />

IV § 74a StGB<br />

Die Vorschrift des § 74a StGB zielt ab auf einen nicht tatbeteiligten Drittbetroffenen und zwar über<br />

den Anwendungsbereich des § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB (ggf. auch in Verbindung mit § 74 Abs. 3 StGB)<br />

hinausgehend. Von der Struktur her ähnelt § 74a Nr. 1 StGB daher § 73 Abs. 4 StGB und § 73d Abs. 1<br />

Satz 2 StGB.<br />

Die Voraussetzungen sind wie folgt:<br />

Verweis auf Vorschrift, etwa in § 261 Abs. 7 Satz 2 StGB<br />

(Dritt)Eigentum oder Inhaberschaft beim Nichttatbeteiligten<br />

(Quasi-)Beihilfe im Rahmen des § 74a Nr. 1 StGB oder verwerflicher Erwerb im Sinne des § 74a<br />

Nr. 2 StGB<br />

V (Ermessens-)Entscheidung<br />

Liegen die Anwendungsvoraussetzungen vor, steht die Einziehung nach § 74 Abs. 1 bis Abs. 3 StGB, §<br />

74a StGB im Ermessen des Tatgerichts.<br />

§ 74b StGB ist zu beachten.<br />

Im Urteil ist der einzuziehende Gegenstand über geeignete Individualisierungsmerkmale so genau wie<br />

möglich zu bezeichnen; Bezugnahmen auf Sicherstellungsverzeichnisse etc. sind unzulässig.<br />

Ggf. nicht tatbeteiligte dritte Personen als (Dritt-)Eigentümer etc. sind am Verfahren nach §§ 431 ff.<br />

StPO zu beteiligen.<br />

2.2.2 Wertersatzeinziehung nach § 74c StGB<br />

§ 74c StGB, der in der Praxis relativ unbekannt zu sein scheint, ist strukturell mit § 73a StGB vergleichbar;<br />

in den Fällen der Unmöglichkeit der Originaleinziehung kann stattdessen ein Geldbetrag,<br />

der dem Wert des Gegenstandes entspricht, eingezogen werden.<br />

Die Anwendungsvoraussetzungen sind eng gezogen 205 : Die Einziehung des Wertersatzes nach § 74c<br />

StGB ist nur möglich gegen den Täter oder Teilnehmer, dem der Gegenstand zum Zeitpunkt der Tat<br />

gehört hat oder zustand, und nicht gegen den Dritten i.S.d. § 74a StGB.<br />

§ 74c Abs. 1 StGB betrifft eine die spätere (Original-)Einziehung vereitelnde tatsächliche oder rechtliche<br />

Verhaltensweise des Tatbeteiligten vor einer möglichen Einziehungsentscheidung, namentlich die<br />

Zerstörung, den Verbrauch oder die Veräußerung eines Gegenstands, wobei die Anwendungsmöglichkeit<br />

nach § 74a StGB die Einziehung des Wertersatzes ausschließt 206 .<br />

Nach § 74c Abs. 2 StGB tritt schließlich Wertersatz an die Stelle der Einziehung respektive neben sie,<br />

wenn der Tatbeteiligte dadurch der Einziehung ganz oder teilweise die Wirkung genommen hat, indem<br />

er den Gegenstand nach der Tat und vor der Entscheidung mit dem dinglichen Recht eines Tatunbeteiligten<br />

so belastet hat, dass das Gericht das Erlöschen dieses Rechts nicht entschädigungslos anordnen<br />

könnte 207 .<br />

204 Fischer; StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 14.<br />

205 Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74c Rn. 1 ff.<br />

206 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74c Rn. 3.<br />

207 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74c Rn. 4.<br />

69


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

2.3 Wirkung der Einziehung und Entschädigungsverfahren (§§ 74e und 74f StGB)<br />

Mit Rechtskraft der (Einziehungs-)Entscheidung geht das Eigentum oder das Recht an dem Gegenstand<br />

gem. § 74e Abs. 1 StGB auf den Staat über; der Schutz gutgläubiger Erwerber richtet sich nach<br />

den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts.<br />

Sonstige Rechte Dritter – Sicherungs- und Vorbehaltseigentum (str.; vgl. oben) und beschränkt dingliche<br />

Rechte – werden unter gewissen Ausnahmen über § 74e Abs. 2 StGB geschützt.<br />

§ 74e Abs. 3 StGB i.V.m. § 73e Abs. 2 StGB gewährleistet ein Veräußerungsverbot nach § 136 BGB für<br />

die Zeit zwischen Entscheidung und Rechtskraft.<br />

§ 74f StGB ermöglicht in den dort bestimmten Fällen ein Entschädigungsverfahren zugunsten von<br />

Dritten, denen am Gegenstand zum Zeitpunkt der Rechtskraft der (Einziehungs-)Entscheidung entsprechende<br />

Rechte zustanden.<br />

Zusammenfassung<br />

Die Einziehung ist eine Maßnahme nach § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB.<br />

Der Verfall nach § 73 StGB bezieht sich auf alle vermögenswerten Positionen ggf. auch<br />

ohne Substrat. Aufgrund engerer Anwendungsvoraussetzungen bei § 74 StGB ist demgegenüber<br />

nur die Einziehung von Gegenständen und dies auch nur fakultativ eröffnet.<br />

Die Einziehung ist möglich sowohl gegenüber dem Täter oder Teilnehmer als auch gegenüber<br />

dem Dritteigentümer und in bestimmten Konstellationen sogar trotz Verjährung<br />

der Tat.<br />

Der Täter oder Teilnehmer muss grundsätzlich zumindest vermindert schuldfähig gehandelt<br />

haben.<br />

In den Fällen der Unmöglichkeit der Originaleinziehung kann stattdessen ein Geldbetrag,<br />

der dem Wert des Gegenstandes entspricht, eingezogen werden, allerdings nur gegen<br />

den Täter oder Teilnehmer, dem der Gegenstand zum Zeitpunkt der Tat gehört hat oder<br />

zustand, und nicht gegen den Dritten.<br />

Mit Rechtskraft der (Einziehungs-)Entscheidung geht das Eigentum oder das Recht an<br />

dem Gegenstand auf den Staat über.<br />

70


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

3. Verfahrensarten – Objektives und Subjektives Verfahren (§<br />

76a StGB) / Nachträgliche Anordnung nach § 76 StGB<br />

3.1 Objektives Verfahren nach § 76a StGB<br />

Die Anordnung des Verfalls und der Einziehung im subjektiven Verfahren entspricht dem Regelfall.<br />

Die Durchführung des selbständigen Verfalls-/Einziehungsverfahrens nach §§ 76a StGB i.V.m. 440 –<br />

442 StPO kommt dagegen in der Praxis ausgesprochen selten vor.<br />

Schmidt 208 führt zum Grundgedanken des § 76a StGB Folgendes aus:<br />

„(…) Es wurde nunmehr unterschieden zwischen dem Verfall und der Einziehung und<br />

bei der Einziehung zwischen dieser Maßnahme als nebenstrafähnlicher Maßnahme, die<br />

im selbständigen Verfahren angeordnet werden kann, auch wenn tatsächliche Hindernisse<br />

der Verfolgung oder Verurteilung entgegenstehen (§ 76a Abs. 1), und der Einziehung<br />

(Unbrauchbarmachung) als Sicherungsmaßnahme, bei der auch rechtliche Gründe,<br />

die eine subjektive Verfolgung hindern, die selbständige Einziehung nicht ausschließen,<br />

es sei denn, dass a) ein besonderes Gesetz Abweichendes bestimmt oder<br />

dass b) ein Strafverlangen oder eine gleichgestellte Erklärung fehlt, von der das Gesetz<br />

die subjektive Verfolgung abhängig macht (§ 76a Abs. 2 StGB). Der Vorschlag, die<br />

selbständige Anordnung von Verfall und Einziehung bei Straftaten auch im Falle des<br />

Absehens von Strafe oder der Verfahrenseinstellung im Rahmen des Opportunitätsprinzips<br />

zuzulassen, wurde beibehalten (§ 76a Abs. 3 StGB)“.<br />

Daraus folgt, dass § 76a StGB in erster Linie die Verbindung von Verfall und Einziehung vom subjektiven<br />

Verfahren löst, hingegen deren Anwendungsvoraussetzungen unberührt lässt. Die Norm bietet<br />

daher einen anderen prozessualen Weg 209 . Dies steht in Einklang mit der übrigen Gesetzessystematik.<br />

Wenn die Verjährung der Tat als Verfahrenshindernis (zu vgl. § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB) und demgemäß<br />

auch die übrigen – nicht behebbaren – Verfahrenshindernisse den Verfall und die Einziehung<br />

grundsätzlich ausschließen (Ausnahme: §§ 78 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 76a Abs. 2 Satz 1 StGB in den Fällen<br />

der Sicherungseinziehung) 210 , so können diese Maßnahmen im Rahmen des § 76a Abs. 1 und Abs.<br />

3 StGB nur dann selbständig angeordnet werden, wenn wegen einer Straftat aus tatsächlichen Gründen<br />

keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann. Dabei kommen infolgedessen auch<br />

nur solche Hinderungsgründe in Betracht, welche die materielle Strafbarkeit der Tat als solche wie<br />

auch ihre verfahrensrechtliche Verfolgbarkeit unberührt lassen und lediglich ihre faktische Sanktionierung<br />

unmöglich machen 211 . Dementsprechend ist § 76a Abs. 2 StGB, der auf die Voraussetzungen der<br />

§§ 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 und 74d StGB als Maßnahmen mit ausschließlich sicherndem Charakter<br />

abstellt und rechtliche Hinderungsgründe abbildet, als Ausnahmevorschrift ausgestaltet, um aus Gründen<br />

der Gefahrenabwehr die Unbrauchbarmachung betreffender Gegenstände zu gewährleisten.<br />

3.1.1 Tatbestände<br />

I § 76a Abs. 1 StGB<br />

Erforderlich ist zunächst, dass eine Straftat begangen wurde, in den Fällen des Verfalls eine rechtswidrige,<br />

nicht notwendigerweise schuldhafte Tat (im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB), und bei der Einziehung<br />

mit nebenstrafähnlichem Charakter (§ 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB, 74a StGB) eine vorsätzliche Tat,<br />

die mithin Verschulden voraussetzt.<br />

Zwar steht, wenn der Täter – den Verfall gleichwohl eröffnend – schuldlos handelt, seiner Verurteilung<br />

kein tatsächliches, sondern ein rechtliches Hindernis entgegen, so dass es nach dem Wortlaut des §<br />

76a Abs. 1 StGB nahe liegen könnte, dass ein selbständiges Verfallsverfahren ausscheidet. Dies widerspräche<br />

indes dem Regelungsgehalt des § 76a Abs. 1 StGB, der die Anordnung des Verfalls beim Vorliegen<br />

der Voraussetzungen der Maßnahme ohne Rücksicht auf die persönliche Verfolgbarkeit des<br />

208 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 76a Rn. 2.<br />

209 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 76a Rn. 4.<br />

210 Vgl. hierzu Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 13; Schmidt,<br />

Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 76a Rn. 9.<br />

211 BGH, (Vorlage-)Beschluss vom 05.05.2011, 3 StR 458/10.<br />

71


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Täters ermöglichen will; deshalb steht beim Verfall das schuldlose Handeln des Täters einem tatsächlichen<br />

Verfolgungshindernis gleich 212 .<br />

Frage:<br />

Was ist in der Praxis der wohl häufigste Anwendungsfall für das objektive Verfahren<br />

nach § 76a StGB und welche Verfahrensvorschriften sind dabei zu beachten?<br />

Eine weitere Voraussetzung ist, dass aus tatsächlichen Gründen keine bestimmte Person verfolgt oder<br />

verurteilt werden kann, was in den folgenden Fällen gegeben ist 213 :<br />

Täter hat sich ins Ausland abgesetzt und eine Auslieferung verspricht keinen Erfolg<br />

Flucht/sich verborgen halten<br />

Tat steht fest, Identität des Täters kann aber nicht ermittelt werden<br />

Nicht aber bei Tod oder dauernder Verhandlungsunfähigkeit<br />

In diesem Rahmen können die Maßnahmen auch gegen (Dritt-)Empfänger im Sinne des § 73 Abs. 3<br />

StGB 214 oder juristische Personen unter Anwendung des § 75 StGB 215 respektive unter Beteiligung<br />

sonstiger Dritter 216 (§§ 73 Abs. 4 StGB; 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB bei Dritteigentum etc.; 74a StGB) angeordnet<br />

werden.<br />

II § 76a Abs. 2 StGB<br />

Hier ist weder schuldhaftes Handeln erforderlich noch schaden – unter gewissen Ausnahmen allerdings<br />

– rechtliche Hindernisse 217 .<br />

Ausnahmen hierzu ergeben sich aus § 76a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB und aus § 76a Abs. 2 Satz 2<br />

StGB 218 .<br />

III § 76a Abs. 3 StGB<br />

Der Wortlaut der Norm spricht für sich; einer weiteren Erörterung bedarf es daher an dieser Stelle<br />

nicht.<br />

3.1.2 Staatlicher Auffangrechtserwerb zu Gunsten des Staates nach § 111i StPO im<br />

Rahmen des objektiven Verfahren (§ 111i Abs. 8 StPO)<br />

Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass nach § 111i Abs. 8 StPO in den Fällen des § 76a<br />

Abs. 1 und Abs. 3 StGB die Absätze 2 bis 7 des § 111i StPO auf das Verfahren nach §§ 440 und 441 in<br />

Verbindung mit § 442 Abs. 1 StPO entsprechend anzuwenden sind 219 .<br />

Eine ausführliche Darstellung des Auffangrechtserwerbs folgt im Teil „Rückgewinnungshilfe zu Gunsten<br />

von Verletzten aus Straftaten“.<br />

212<br />

BGH a.a.O. m.w.N.; so auch Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76a Rn. 10.<br />

213<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76a Rn. 6 ff.; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010,<br />

Bd. 3 § 76a Rn. 8; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 011, § 76a StGB Rn. 5.<br />

214<br />

Vgl. BGH, (Vorlage-)Beschluss vom 05.05.2011, 3 StR 458/10.<br />

215<br />

Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76a Rn. 5.<br />

216<br />

Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 21.<br />

217<br />

Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76a Rn. 8; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010,<br />

Bd. 3 § 76a Rn. 11: Immunität; Amnestie; dauernde Verhandlungsunfähigkeit; „ne bis in idem“, wenn in dem<br />

freisprechenden Urteil über die Einziehung nicht entschieden wurde; Verjährung; persönliche Strafausschließungsgründe;<br />

Tod des Beschuldigten.<br />

218<br />

Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76a Rn. 9.<br />

219<br />

Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 19; Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage<br />

2008, § 111i StPO Rn. 26.<br />

72


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

3.2 Nachträgliche Anordnung nach § 76 StGB<br />

Wenn die Umsetzung des/der angeordneten (Original-)Verfalls und/oder Einziehung nachträglich unmöglich<br />

geworden ist, ermöglicht § 76 StGB die Umwandlung in den Verfall resp. die Einziehung von<br />

Wertersatz. Dies führt zur Durchbrechung der Rechtskraft 220 . Das Gericht des ersten Rechtszugs, dem<br />

insoweit Ermessen eingeräumt ist, entscheidet darüber ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss<br />

gemäß § 462 StPO 221 .<br />

Über § 76 Alt. 1 StGB „Nichtausführbarkeit der Anordnung“ werden Fallgestaltungen erfasst, wenn das<br />

ursprüngliche Objekt dem staatlichen Zugriff entzogen ist. Beispiele 222 :<br />

Verbrauch des Einziehungsgegenstandes<br />

Wirksame Veräußerung des Einziehungsgegenstandes vor der gerichtlichen Entscheidung<br />

Verbrauch oder Beiseiteschaffen des Verfallsgegenstandes<br />

Unter § 76 Alt. 2 StGB „Unzureichende Anordnung“ fallen hingegen Konstellationen, bei denen der<br />

Gegenstand mit Rechten belastet worden ist, welche bei der Einziehung eine Entschädigungspflicht<br />

nach § 74f StGB auslösen würden 223 .<br />

Eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung ist nur dann angezeigt, wenn die betreffenden Umstände<br />

nach der letzten tatrichterlichen Entscheidung bekannt geworden sind, wobei die sonstigen Voraussetzungen<br />

für den Verfall oder die Einziehung des Wertersatzes vorliegen müssen 224 .<br />

Zusammenfassung<br />

Die Anordnung des Verfalls und der Einziehung im subjektiven Verfahren entspricht dem<br />

Regelfall.<br />

§ 76a StGB eröffnet lediglich einen anderen prozessualen Weg für Verfall und Einziehung,<br />

lässt aber deren Anwendungsvoraussetzungen unberührt.<br />

§ 76a StGB stellt grundsätzlich auf tatsächliche Verfolgungshindernisse ab.<br />

Darüber hinaus ist die Anordnung des Verfalls im objektiven Verfahren auch beim schuldlos<br />

Handelnden möglich, da aus normativen Gründen das schuldlose Handeln einem tatsächlichen<br />

Verfolgungshindernis gleicht.<br />

Wenn die Umsetzung des/der angeordneten (Original-)Verfalls und/oder Einziehung<br />

nachträglich unmöglich geworden ist, ermöglicht § 76 StGB die Umwandlung in den Verfall<br />

resp. die Einziehung von Wertersatz.<br />

220 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 76 StGB Rn. 1.<br />

221 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76 Rn. 2.<br />

222 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 76 StGB Rn. 2.<br />

223 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 76 StGB Rn. 3.<br />

224 Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB Band 2/1 §§ 52-79b, 2005, § 76 Rn. 6 ff.<br />

73


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

4. Vermögensabschöpfung im Ordnungswidrigkeitenrecht<br />

Die Bedeutung der Verfalls- und Einziehungsvorschriften im Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) dürfte<br />

bei abstrakter Betrachtung nicht zu unterschätzen sein, die Bestimmungen spielen jedoch in der<br />

justiziellen Praxis nicht zuletzt infolge ihres nur geringen Bekanntheitsgrades lediglich eine untergeordnete<br />

Rolle.<br />

Frage:<br />

Was ist das Ziel der Gewinnabschöpfung im Strafgesetzbuch und im Ordnungswidrigkeitenrecht?<br />

Im Rahmen der Verhängung eines einheitlichen Geldbetrages bezweckt § 17 Abs. 4 OWiG, den Täter<br />

einer Ordnungswidrigkeit so zu stellen, dass er aus seiner Handlung nicht nur keinen Vorteil für sich<br />

behält, sondern über das Maß der gezogenen Vorteile hinaus eine Einbuße in Form der Geldbuße hinzunehmen<br />

hat 225 .<br />

Über die Geldbuße sind daher auch die aus der Ordnungswidrigkeit gezogenen wirtschaftlichen<br />

Vorteile abzuschöpfen. Ist dies geschehen, verbleibt für die Anordnung<br />

des Verfalls kein Raum (vgl. § 29a Abs. 1 und § 30 Abs. 5 OWiG).<br />

Davon losgelöst kommt den Bestimmungen der §§ 30, 130 OWiG, welche die Verhängung einer Unternehmensgeldbuße<br />

– unter Umständen auch im selbständigen Verfahren (§ 30 Abs. 4 OWiG) – fakultativ<br />

zulassen, insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht größere praktische Relevanz zu.<br />

Infolgedessen liegt der Schwerpunkt der nachfolgenden Darstellung, die sich ansonsten auf die Vermittlung<br />

der Grundstrukturen und der Systematik beschränkt, in diesem Bereich. Somit wird auch auf<br />

die Mehrerlösabführung nach §§ 8, 10 Abs. 2 Wirtschaftsstrafgesetz (WiStG) nicht näher eingegangen.<br />

Verweis auf die einschlägigen Kommentare, Leitfäden etc., so etwa auf das Handbuch<br />

des LKA NRW zur verfallsorientierten Ahndung von Ordnungswidrigkeiten oder die entsprechenden<br />

Ausführungen von Schmidt 226 .<br />

225 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1242.<br />

226 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil „Gewinnabschöpfung nach dem<br />

OWiG“.<br />

74


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

4.1 Systematik der Bestimmungen<br />

Die kriminalpolitischen Ziele der Gewinnabschöpfung im Strafgesetzbuch sowie im Ordnungswidrigkeitenrecht<br />

sind identisch: Dem Täter sollen die Früchte seiner kriminellen Handlungen nicht belassen<br />

und darüber hinaus das Investitionskapital für die künftige Begehung von Straftaten präventiv entzogen<br />

werden 227 .<br />

Im Rahmen dreier „Instrumente“,<br />

1. der Geldbuße (§§ 17 Abs. 4, 30, 130 OWiG)<br />

2. der Einziehung (§§ 22 ff. OWiG) und<br />

3. des Verfalls (§ 29a OWiG)<br />

können diese Ziele jedenfalls mittelbar erreicht werden.<br />

Die Geldbuße kombiniert Ahndungs- und Abschöpfungsteil, wobei § 17 Abs. 4 Satz 1 an § 1 Abs. 1<br />

OWiG anknüpft. Anders als beim Verfall nach dem StGB und dem OWiG ist eine tatbestandliche,<br />

rechtswidrige und vorwerfbare Handlung erforderlich. Im Übrigen kommt nur die Abschöpfung des<br />

„wirtschaftlichen Vorteils“, den der Täter oder die juristische Person etc. aus der Ordnungswidrigkeit<br />

gezogen hat, in Betracht; es gilt insofern das Nettoprinzip. Ist eine Geldbuße entsprechend verhängt<br />

worden, kommt nachfolgend die Anordnung des Verfalls nicht (mehr) infrage (§ 29a Abs. 1 OWiG).<br />

Die Instrumente stehen somit in einem echten Exklusivitätsverhältnis.<br />

Der Verfall nach § 29a OWiG erfordert demgegenüber lediglich eine rechtswidrige Handlung, welche<br />

den Tatbestand eines Gesetzes im Sinne des § 1 Abs. 1 OWiG verwirklicht (§§ 29a Abs. 1 i.V.m. 1<br />

Abs. 2 OWiG). Analog zum Verfall nach § 73 Abs. 1 StGB kann auch beim Verfall im Ordnungswidrigkeitenrecht<br />

das erlangte „Etwas“, mithin jeder Gegenstand mit wirtschaftlichem Wert, unter Maßgabe<br />

des Bruttoprinzips abgeschöpft werden, allerdings – aus Gründen der Vereinfachung der Rechtsanwendung<br />

– nur in Form eines Geldbetrages, entsprechend dem Wert des Erlangten, und nicht im<br />

Rahmen des Originalverfalls des erlangten „Etwas“ selbst 228 . (Dritt-)Empfängerverfall (§ 29a Abs. 2<br />

OWiG), Schätzung (§ 29a Abs. 3 OWiG) und selbständiges Verfahren (§ 29a Abs. 4 OWiG) sind in<br />

einer Norm zusammengefasst.<br />

Schließlich sind die Vorschriften der Einziehung gem. §§ 22 ff. OWiG eng an die §§ 74 ff. StGB angelehnt.<br />

Diese drei Instrumente stehen sämtlich im Ermessen der Behörden, wobei die Abschöpfung des wirtschaftlichen<br />

Vorteils im Rahmen des § 17 Abs. 4 OWiG als „Soll-Vorschrift“ ausgestaltet ist; insoweit<br />

weicht § 29a OWiG von den Regelungen der §§ 73, 73a StGB ab.<br />

Unterschiede bestehen auch im Verfahrensrecht: Während beim Verfall nach § 29a OWiG vorläufig<br />

sichernde Maßnahmen über einen dinglichen Arrest möglich sind (§§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 111b Abs.<br />

2, 111d StPO), werden im Vorfeld der Verhängung einer Geldbuße Sicherungsmaßnahmen von Gesetzes<br />

wegen ausgeschlossen, da der Bußgeldbescheid im Rahmen des Anhörungs- und Einspruchsverfahrens<br />

(vorläufig) nicht vollstreckt werden darf 229 .<br />

227 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1241.<br />

228 Vgl. hierzu Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1283.<br />

229 Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010, Teil<br />

IV Kap. 2.3 S. 193.<br />

75


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

4.2 (Rechts-)Folgen<br />

4.2.1 Verhängung einer Geldbuße<br />

Fall 26230 :<br />

A. und B., Vorstandsmitglieder der ausländischen C. AG, haben ein Gebilde geschaffen,<br />

welches von in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Personen, die insoweit<br />

als Haupttäter anzusehen sind, zur Steuerhinterziehung u.a. im Zusammenhang<br />

mit steuerpflichtigen Einkünften genutzt wurde. Vor diesem Hintergrund wurde eine<br />

Vielzahl von Stiftungen und anderen Rechtsgebilden errichtet. Gleichzeitig wurde bewusst<br />

der Kapitaltransfer über eigens zu diesem Zweck gegründete („Omnibus“-<br />

)Gesellschaften, die den eigentlichen Empfänger schützten, verschleiert, mit denen<br />

im Übrigen gezielt als Anreiz zur Gründung einer Stiftung geworben wurde. Das Verfahren<br />

gegen A. und B. wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung<br />

wurde gegen Zahlung hoher Geldbußen gem. § 153a StPO eingestellt.<br />

Über Domizilgebühren, Stiftungsratsvergütungen und Gebühren für Vermögensverwaltung<br />

hat die C. AG wirtschaftliche Vorteile in Höhe von schätzungsweise 15 Mio.<br />

Euro erlangt.<br />

I Geldbuße nach § 17 Abs. 4 OWiG<br />

Die Verhängung einer Geldbuße unter Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils erfordert<br />

zunächst die Begehung einer Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 OWiG, mithin<br />

eine tatbestandliche, rechtswidrige und vorwerfbare Handlung.<br />

Als Bezugstaten kommen sowohl vorsätzliche als auch fahrlässige Zuwiderhandlungen (vgl. § 10<br />

OWiG) in Betracht. Ist die Ordnungswidrigkeit verjährt, so scheidet auch eine Abschöpfung des wirtschaftlichen<br />

Vorteils aus (§ 31 Abs. 1 OWiG) 231 .<br />

Ferner ist der wirtschaftliche Vorteil zu ermitteln, den der Täter unmittelbar 232 aus der Ordnungswidrigkeit<br />

gezogen hat. Insoweit gilt das Nettoprinzip. Das Gesetz stellt daher – anders als beim Verfall –<br />

nicht davon frei, teilweise aufwendige (Saldierungs-)Ermittlungen anzustellen, weswegen hier die<br />

Hauptprobleme begründet liegen.<br />

Wirtschaftlicher Vorteil ist gleichzusetzen mit tatsächlich erzieltem Gewinn oder Nutzen; es sind daher<br />

nicht nur in Geld bestehende Gewinne relevant, sondern darüber hinaus sonstige Vorteile, wie etwa<br />

eine Verbesserung der Marktlage, ersparte Aufwendungen oder sonstige Gebrauchsvorteile 233 .<br />

Die Ermittlung eines solchen wirtschaftlichen Vorteils erfordert grundsätzlich einen Vergleich der wirtschaftlichen<br />

Position des Betroffenen vor und nach Begehung der Tat. Im Rahmen dieser Saldierung<br />

sind von den durch die begangene Tat erlangten wirtschaftlichen Zuwächsen die Kosten und sonstigen<br />

Aufwendungen des Betroffenen abzuziehen 234 .<br />

Zum Zeitpunkt der Entscheidung 235 ist somit der (Rein-)Gewinn festzustellen, wobei der nachträgliche<br />

Wegfall des zunächst erlangten Vorteils, etwa infolge der Versteuerung oder der Befriedigung von aus<br />

der Tat resultierenden Schadensersatzansprüchen, Berücksichtigen zu finden hat 236 .<br />

230<br />

Das Fallbeispiel ist angelehnt an ein (Groß-)Verfahren der Staatsanwaltschaft Bochum im Bereich Steuerhinterziehung<br />

im Zusammenhang mit der liechtensteinischen LGT-Gruppe. Sämtliche Zahlen etc. sind abgewandelt.<br />

231<br />

Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1246.<br />

232<br />

Bär, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 17 OWiG Rn. 12.<br />

233<br />

Bär, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 17 OWiG Rn. 12; Schmidt, Gewinnabschöpfung<br />

im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1247.<br />

234<br />

Bär a.a.O.<br />

235<br />

Schmidt a.a.O.<br />

236<br />

Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1250.<br />

76


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

II („Unternehmens“-)Geldbuße gem. §§ 30, 130 OWiG<br />

a. Einleitung<br />

Die häufig als „Ablasshandel“ bezeichnete Möglichkeit, eine (selbständige) „Verbandsgeldbuße“ zu<br />

verhängen, spielt insbesondere bei Verfahren aus dem Wirtschaftsstrafrecht eine Rolle. Als prominente<br />

Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit gelten (Verbands-)Geldbußen, die in Millionenhöhe im Zusammenhang<br />

mit „Schmiergeldskandalen“ gegenüber dem Maschinenbau- und Nutzfahrzeugkonzern<br />

MAN (über 150 Mio. Euro) und Siemens (ca. 201 Mio. Euro) verhängt worden sind. Zu derartigen<br />

Maßnahmen kommt es darüber hinaus im Kartellrecht, bei welchem die als Blankettgesetz ausgestaltete<br />

Norm des § 81 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) einschlägig ist 237 .<br />

Dementsprechend haben auch die in diesem Bereich tätigen (Unternehmens-)Anwälte<br />

die Thematik aufgegriffen, was sich in zahlreichen Publikationen u.a. zur (präventiven)<br />

Beratung von Unternehmen niederschlägt 238 .<br />

Der Hauptzweck des § 30 Abs. 3 OWiG liegt in der Abschöpfung der durch die Straftat oder Ordnungswidrigkeit<br />

zu Gunsten der juristischen Person oder Personenvereinigung gezogenen Gewinne.<br />

Der Norm kommt zudem auch Präventivwirkung zu, als jene den diesbezüglichen Mitgliedern Veranlassung<br />

geben soll, bei der Auswahl ihrer Organe die im Geschäftsleben notwendige Vorsicht walten<br />

zu lassen 239 .<br />

b. Anwendungsvoraussetzungen<br />

(1) Täterkreis<br />

Der mögliche Täterkreis wird in § 30 Abs. 1 OWiG abschließend beschrieben.<br />

Infolge des Merkmals „vertretungsberechtigt“ in § 30 Abs. 1 Nr.1, 3 OWiG muss der Täter zum Zeitpunkt<br />

der Zuwiderhandlung als Organ, Vorstand, Vertreter oder Bevollmächtigter gehandelt haben.<br />

Erforderlich ist demgemäß, dass der Täter in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Unternehmens<br />

oder Verbands tätig geworden ist. Hierbei kommt es allerdings weder auf den Umfang der Vertretungsmacht<br />

innerhalb der jeweiligen Gesellschaft an noch darauf, ob der Täter in Wahrnehmung seiner<br />

Befugnisse gehandelt hat oder seine Bestellung als Organ wirksam ist 240 .<br />

Besteht in einem Personenverband ein Leitungsgremium, so kann jedes aktive Tun eines einzelnen<br />

Mitglieds des Leitungsorgans den Tatbestand erfüllen; das einzelne Mitglied handelt für das Organ als<br />

Ganzes. Darüber hinaus kommt jedem betreffenden Mitglied insoweit eine Garantenpflicht zur Abwehr<br />

der nach § 30 OWiG tatbestandsmäßigen Handlungen zu 241 .<br />

(2) Straftat oder Ordnungswidrigkeit als Bezugstat<br />

§ 30 OWiG ist streng akzessorisch: notwendig ist darüber hinaus die vorsätzliche oder fahrlässige Begehung<br />

einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, mithin eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und<br />

individuell zurechenbare und damit schuldhafte oder vorwerfbare Zuwiderhandlung 242 .<br />

Allerdings sollen Handlungen nach § 30 OWiG nicht der Verfolgungsverjährung nach § 31 OWiG unterliegen,<br />

da die Vorschrift keinen eigenen Bußgeldtatbestand bildet; vielmehr muss sich die Verjährung<br />

akzessorisch nach jenen für die Verjährung der Bezugstat geltenden Verjährungsvorschriften richten<br />

243 .<br />

(3) Die Pflichtverletzung nach § 30 Abs. 1 Alt. 1 OWiG<br />

Ferner ist erforderlich, dass durch die begangene Straftat oder Ordnungswidrigkeit, welche nicht notwendigerweise<br />

vermögensrechtlicher Art sein müssen, eine spezifische unternehmens- oder verbandsbezogene<br />

Pflicht verletzt worden ist. Damit sind nur solche Pflichten gemeint, die sich für die juristi-<br />

237 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1268.<br />

238 Vgl. Verjans, Münchener Anwalts Handbuch, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2006, § 8<br />

„Strafrechtliche Präventivberatung“ Rn. 15; Britz, Münchener Anwalts Handbuch, Verteidigung in Wirtschafts-<br />

und Steuerstrafsachen, 2006, § 5 „Rechtsfolgen gegen das Unternehmen“.<br />

239 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1300.<br />

240 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1320.<br />

241 Niesler, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 30 OWiG Rn. 28.<br />

242 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1321.<br />

243 Rogall, Karlsruher Kommentar, OWiG, 3. Auflage 2006, § 30 Rn. 227a.<br />

77


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

sche Person oder Personenvereinigung aus deren besonderen Wirkungskreis ergeben. Die Betriebsbezogenheit<br />

ist daher besonders sorgfältig zu prüfen 244 .<br />

Zu unterscheiden ist wie folgt:<br />

Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) 245<br />

Betriebsbezogene Pflichten<br />

Allgemeinpflichten<br />

(4) Bereicherung<br />

§ 30 Abs. 1 Alt. 2 OWiG betrifft die Fälle, in welchen durch die Handlung des Organs das Unternehmen<br />

entweder bereichert worden ist oder bereichert werden sollte.<br />

(5)Wirtschaftlicher Vorteil im Sinne des § 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG.<br />

Nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG soll der wirtschaftliche Vorteil (im Sinne der obigen Ausführungen)<br />

abgeschöpft werden. Eine Schätzung ist möglich.<br />

c. Sonstiges<br />

Lösung Fall 26:<br />

Vorliegend haben die Organe der C. AG eine Straftat namentlich Beihilfe zur Steuerhinterziehung<br />

begangen und hierdurch kausal - unabhängig von der Frage nach der<br />

Verletzung einer betriebsbezogenen Pflicht - das Unternehmen bereichert. Dass die<br />

Anknüpfungstat im Ausland begangen wurde, ist unschädlich, da deutsches Recht<br />

anzuwenden ist 246 . Auf § 130 OWiG muss daher nicht zurückgegriffen werden. Angesichts<br />

der Gesamtumstände kann folglich beim Ahndungsteil der Geldbuße der<br />

Höchstbetrag von 1 Mio. Euro in Ansatz gebracht werden. Daneben ist der wirtschaftliche<br />

Vorteil „abzuschöpfen“; insoweit kann das gesetzliche Höchstmaß des § 30 Abs.<br />

2 Satz 1 Nr. 1 OWiG überschritten werden (§ 17 Abs. 4 Satz 2 OWiG).<br />

Die Anordnung gegen die C. AG kann im selbständigen Festsetzungsverfahren nach §<br />

30 Abs. 4 OWiG erfolgen, da das Verfahren gegen A. und B. gem. § 153a StPO eingestellt<br />

wurde.<br />

Die Verhängung einer Verbandsgeldbuße schließt den Verfall (von Wertersatz) nach §§ 73, 73a StGB<br />

bzw. 29a Abs. 2 OWiG aus. Im Falle der Begehung einer Straftat wäre der Verfall nach § 73 Abs. 3<br />

StGB gegenüber der Maßnahme nach § 29a Abs. 2 OWiG vorrangig 247 .<br />

4.2.2 Verfall nach § 29a OWiG<br />

Abgesehen von den oben bereits skizzierten Unterschieden bestehen im Hinblick auf die Anwendungsvoraussetzungen<br />

des § 29a Abs. 1 und 2 OWiG gegenüber § 73 Abs. 1 und Abs. 3 StGB keine wesentlichen<br />

Unterschiede.<br />

Die Ermessensentscheidung ist eröffnet, sofern Täter oder Dritter eine mit Geldbuße bedrohte Handlung<br />

im Sinne des § 1 Abs. 2 OWiG begangen und entweder für die Tat oder aus ihr unmittelbar ein<br />

vermögenswertes „Etwas“ im Rahmen einer zumindest faktischen Verfügungsbefugnis erlangt hat.<br />

Mittelbare Vorteile sind nicht erfasst, was schon am Fehlen einer mit § 73 Abs. 2 StGB vergleichbaren<br />

Regelung ersichtlich wird.<br />

Auf der Rechtsfolgenseite scheidet der (Original-)Verfall aus, da die Nebenfolge auf die Verhängung<br />

eines Geldbetrages, der dem Wert des (ursprünglich) Erlangten entspricht, ausgerichtet ist.<br />

Bezüglich des im Rahmen der Anwendung des § 29a Abs. 2 OWiG gebotenen Zurechnungsverhältnisses<br />

zwischen Täter und Drittem – „Handeln für einen anderen“ – dürften die von der Rechtsprechung<br />

zu § 73 Abs. 3 StGB entwickelten Fallgruppen in entsprechender Anwendung heranzuziehen sein 248 .<br />

244 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1322.<br />

245 § 130 OWiG ermöglicht insoweit einen Durchgriff unmittelbar auf den Unternehmensträger, wenn diesbezüglich<br />

ein nach § 30 OWiG tauglicher Repräsentant seine Aufsichtspflicht verletzt hat.<br />

246 Niesler, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 30 OWiG Rn. 36.<br />

247 Niesler, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 30 OWiG Rn. 70.<br />

78


Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />

Während bei der Verhängung einer Geldbuße nach § 17 Abs. 4 OWiG die gesamtschuldnerische Haftung<br />

mehrerer Handelnder nach einhelliger Auffassung ausgeschlossen ist 249 , ist deren Anwendung<br />

beim Verfall nach § 29a OWiG umstritten 250 .<br />

Zusammenfassung<br />

Im Rahmen des OWi-Rechts soll die Gewinnabschöpfung über drei Instrumente, die<br />

Geldbuße, den Verfall und die Einziehung, erreicht werden.<br />

Verhängung eines einheitlichen Geldbetrages im Rahmen der Geldbuße: Der Täter einer<br />

Ordnungswidrigkeit soll aus seiner Handlung nicht nur keinen Vorteil für sich behalten,<br />

sondern auch über das Maß der gezogenen Vorteile hinaus eine Einbuße in Form der<br />

Geldbuße hinnehmen. Die Geldbuße kombiniert mithin Ahndungs- und Abschöpfungsteil.<br />

Insoweit ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und vorwerfbare Handlung erforderlich.<br />

Bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Vorteils im Sinne des § 17 Abs. 4 OWiG gilt das<br />

Nettoprinzip. Ist eine Geldbuße verhängt worden, kommt danach die Anordnung des Verfalls<br />

nicht (mehr) infrage.<br />

Der Hauptzweck des § 30 Abs. 3 OWiG liegt in der Abschöpfung der durch die Straftat<br />

oder Ordnungswidrigkeit zu Gunsten der juristischen Person oder Personenvereinigung<br />

gezogenen Gewinne. Während § 30 OWiG an die Verletzung einer spezifischen unternehmens-<br />

oder verbandsbezogenen Pflicht durch Organe oder Vertreter anknüpft, erweitert<br />

§ 130 OWiG den Anwendungsbereich auf Aufsichtspflichtverletzungen.<br />

248 Vgl. LG Stuttgart, Beschluss vom 28.02.2008, 19 Qs 110/05 OWi; Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung<br />

im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010, Teil IV Kap. 2.3 S. 199; Schmidt, Gewinnabschöpfung<br />

im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1436.<br />

249 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1395 m.w.N.<br />

250 Abl. Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1396; zust. Podolsky/Brenner,<br />

Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010, Teil IV<br />

Kap. 2.3 S. 199.<br />

79


Teil II Verfahrensrecht<br />

Teil II Verfahrensrecht<br />

5. Einführung in die Gesetzessystematik<br />

5.1 Systematik der einschlägigen Verfahrensvorschriften<br />

Im Mittelpunkt der nachfolgenden Darstellung stehen die Regelungen der §§ 111b – 111n StPO, die<br />

dazu dienen, die Ansprüche auf Einziehung und Verfall resp. Verletztenansprüche durch einen vorläufigen<br />

Zugriff auf das Vermögen des insoweit Betroffenen, namentlich des Beschuldigten, und anderer<br />

Beteiligter zu sichern 251 . Entsprechend flankiert wird dieses Vorhaben durch die Vorschriften der §§<br />

430 ff. StPO, die die Interessen Dritter sowohl natürlicher als auch juristischer Personen oder Personenvereinigungen<br />

außerhalb der unmittelbar Tatbeteiligten im subjektiven wie auch im objektiven<br />

Verfahren prozessual gewährleisten sollen.<br />

Die §§ 111b ff. und 430 ff. StPO haben dabei nicht nur im Straf-, sondern auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren<br />

Bedeutung: So kommen gem. § 46 Abs. 1 OWiG vorläufige Maßnahmen nach §§ 111b,<br />

111d StPO zur Absicherung des Anspruchs auf Verfall gem. § 29a OWiG in Betracht, während § 444<br />

StPO die Beteiligung einer juristischen Person etc., gegen die im Strafverfahren ggf. auch selbständig<br />

eine Geldbuße nach § 30 OWiG verhängt werden soll, anordnet.<br />

Zu nennen ist weiter zum einen § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO, welcher die weitere Beschwerde, die Anordnung<br />

eines dinglichen Arrests über einen Betrag von mehr als 20.000,- Euro betreffend, erlaubt 252 ,<br />

und zum anderen die Regelung des § 257c StPO, welche die Verständigung zwischen Gericht und<br />

Verfahrensbeteiligten über die Rechtsfolgen und damit auch über Nebenfolgen wie Einziehung und<br />

Verfall normiert 253 .<br />

Außerhalb des Strafprozessrechts kommen schließlich noch den im 8. Buch der ZPO enthaltenen Bestimmungen<br />

Bedeutung zu.<br />

251 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vorbemerkung zu §§ 111b – 111p Rn. 1.<br />

252 Im Übrigen gelten die allgemeinen Rechtsmittel der StPO, was bzgl. der Vollziehung von Beschlagnahme und<br />

Arrest in § 111f Abs. 5 StPO ausdrücklich klargestellt wird.<br />

253 Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 257c Rn. 10.<br />

80


Teil II Verfahrensrecht<br />

5.2 Systematik der §§ 111b – 111n StPO<br />

Die §§ 111b – 111d StPO regeln die prozessualen Voraussetzungen der in Betracht kommenden (Sicherungs-)Titel<br />

entweder zu Gunsten des Staates oder aber zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten.<br />

Sie bestimmen zusätzlich die Art des Zugriffs auf das (Legal-)Vermögen des Betroffenen im Wege von<br />

Beschlagnahme bzw. Pfändung.<br />

Anordnungs- und Vollstreckungskompetenzen sind in den §§ 111e und 111f StPO geregelt, während<br />

die §§ 111b Abs. 5, 111g, 111h, 111i und 111k StPO bestimmte Verfahrensregeln im Zusammenhang<br />

mit der Rückgewinnungshilfe vorgeben.<br />

Schließlich enthält § 111l StPO Bestimmungen zur Durchführung der Notveräußerung. Demgegenüber<br />

spielen die §§ 111m – 111n in der Praxis so gut wie keine Rolle und können daher unberücksichtigt<br />

bleiben.<br />

81


Teil II Verfahrensrecht<br />

6. Vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO<br />

6.1 Gemeinsame Voraussetzungen<br />

Verknüpft mit dem materiellen Recht sieht § 111b Abs. 1 und Abs. 2 StPO fakultativ die Möglichkeit<br />

vor, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes den staatlichen Anspruch auf Verfall und Einziehung<br />

über Beschlagnahme und Arrestvollziehung abzusichern.<br />

(Erweiterte(r) (Original-)Verfall und (Original-)Einziehung nach §§ 73, 73d Abs. 1, 74, 74a StGB korrespondieren<br />

mit der Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 1, 111c StPO, während erweiterte(r) Verfall<br />

und Einziehung von Wertersatz nach §§ 73a, 73d Abs. 2, 74c StGB mit der Arrestvollziehung nach §§<br />

111b Abs. 2, 111d StPO verzahnt sind.<br />

An dieser Systematik hält auch § 111b Abs. 5 StPO fest, welcher die Rückgewinnungshilfe in verfahrensrechtlicher<br />

Hinsicht normiert und entsprechende Sicherungsmaßnahmen erlaubt.<br />

Von besonderer Relevanz ist die Differenzierung zwischen Beschlagnahmeanordnung und dinglichem<br />

Arrest im Insolvenzrecht.<br />

Während das über eine Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 1, 111c Abs. 5 StPO begründete gesetzliche<br />

Veräußerungsverbot im Sinne des § 136 BGB im Insolvenzverfahren keine Wirkung hat (§ 80 Abs.<br />

2 Satz 1 InsO), bleiben die Vorschriften über die Wirkungen einer Pfändung oder einer Beschlagnahme<br />

im Wege der Zwangsvollstreckung unberührt (§ 80 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das über die Vollziehung<br />

eines dinglichen Arrestes entstandene Pfändungspfandrecht (vgl. § 111d Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 928,<br />

930 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. 804 Abs. 1 ZPO) hat daher weiterhin Gültigkeit.<br />

Ansonsten ist innerhalb eines Titels, gleich ob Beschlagnahmeanordnung oder dinglicher Arrest, der<br />

Wechsel des Sicherungszwecks, also etwa vom zu sichernden staatlichen Anspruch auf Verfall (von<br />

Wertersatz) hin zur Rückgewinnungshilfe, möglich 254 .<br />

Sollte sich darüber hinaus herausstellen, dass die Beschlagnahmeanordnung geändert werden muss<br />

(z.B. andere Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme, Änderung in einen dinglichen Arrest), so wird<br />

das Veräußerungsverbot i.S.d. § 111c Abs. 5 StPO nicht unterbrochen 255 . Da die Beschlagnahme nach<br />

§§ 111b Abs. 1, 111c StPO jedoch nicht zur Begründung eines Pfändungspfandrechts führt, dürfte zur<br />

ununterbrochenen Absicherung der (Neu-)Erlass eines dinglichen Arrestes mit anschließendem Vollzug<br />

jedoch unabdingbar sein.<br />

6.1.1 Verfassungsrechtliche Vorgaben<br />

Neben den Entscheidungen des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 73 ff. StGB 256 hat sich die<br />

zuständige 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG seit 2004 in einer Reihe von zeitlich eng aufeinander<br />

folgenden Entscheidungen insbesondere mit dem von Verfassungs wegen gebotenen Anforderungsprofil<br />

vorläufiger Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO beschäftigt und für eine entsprechende<br />

Konturierung gesorgt 257 .<br />

Die zentralen Aussagen können wie folgt zusammengefasst werden:<br />

Der von einer strafprozessualen Eingriffsmaßnahme betroffene Beschuldigte erhält spätestens<br />

nachträglich Gelegenheit, sich im gerichtlichen Verfahren in Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen<br />

gegen die Eingriffsmaßnahme sowie den zu Grunde liegenden Vorwurf zur verteidigen. Dem<br />

folgend ist dem Betroffenen unter vorheriger Gewährung von Akteneinsicht (§ 147 StPO) bereits<br />

zu dem Rechtseingriff im Arrestverfahren rechtliches Gehör zu gewähren 258 (Rechtsstaatsgedanke).<br />

Dies bedeutet, dass unter Beachtung der §§ 33, 33a, 147 StPO nach Vollzug eines dinglichen Arrestes<br />

Akteneinsicht in die angelegten Finanzermittlungsakten zu gewähren ist, soweit dies zur<br />

254 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 6.<br />

255 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vorbemerkung zu § 111c Rn. 11; Schmidt, Gewinnabschöpfung<br />

im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 4. Teil Rn. 593 m.w.N.<br />

256 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.01.2004, 2 BvR 564/95; Beschluss vom 05.05.2004, 2 BvR 1012/02.<br />

257 BVerfG, Beschluss vom 14.06.2004, 2 BvR 1136/03; Beschluss vom 03.05.2005, 2 BvR 1378/04; Beschluss<br />

vom 29.05.2006, 2 BvR 820/06; Beschluss vom 07.06.2005, 2 BvR 1822/04; Beschluss vom 19.01.2006, 2 BvR<br />

1075/05; Beschluss vom 07.07.2006, 2 BvR 527/06; Beschluss vom 11.01.2007, 2 BvR 1997/04; Beschluss<br />

vom 17.07.2008, 2 BvR 2182/06; hierzu instruktiv auch Kempf/Schilling, Vermögensabschöpfung, 2007, § 2<br />

Rn. 19 ff.<br />

258 BVerfG, Beschluss vom 05.05.2004, 2 BvR 1012/02; Beschluss vom 19.01.2006, 2 BvR 1075/05.<br />

82


Teil II Verfahrensrecht<br />

Verteidigung notwendig und erforderlich erscheint. Es gelten hier die auch für Haftfälle entwickelten<br />

Grundsätze 259 .<br />

Der Gewährleistungsgehalt des Eigentumsrechts schließt den Anspruch auf eine faire Verfahrensführung<br />

ein. Das Gericht ist gehalten, die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine<br />

rechtliche Auffassung unabhängig von der Exekutive zu gewinnen und begründen 260 .<br />

An die Zumutbarkeit von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen und dem Verfahren ihrer Anordnung<br />

sind besondere Anforderungen zu stellen, da zu berücksichtigen ist, dass das möglicherweise<br />

strafrechtlich erlangte Vermögen zu einem Zeitpunkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht<br />

besteht und noch nicht über die Strafbarkeit entschieden worden ist.<br />

Wird im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu gesamte Vermögen<br />

der Verfügungsbefugnis des Einzelnen entzogen, müssen gemäß des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />

die dabei maßgeblich tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung besonders<br />

sorgfältig geprüft und dargelegt werden, um dem Betroffenen Rechtsschutz zu ermöglichen<br />

261 .<br />

Lediglich eine Vermutung, dass es sich um strafrechtlich erlangtes Vermögen handelt, ist nicht<br />

ausreichend 262 .<br />

Im Hinblick darauf, dass es sich bei einem unter Maßgabe der §§ 111b ff. StPO erlassenen Titel<br />

um eine lediglich vorläufige Maßnahme auf Grund eines Tatverdachts handelt, steigen die Anforderungen<br />

mit der Dauer der Nutzungs- und Verfügungsbeschränkung. Dies gilt umso mehr, da<br />

anders als bei der Untersuchungshaft das Gesetz den Arrest als vorläufige Sicherungsmaßnahme,<br />

sofern „dringende Gründe“ im Sinne des § 111b Abs. 3 StPO vorliegen, keiner zeitlichen Beschränkung<br />

unterwirft.<br />

In diesem Kontext ist auch das (Prozess-)Verhalten eines etwaigen Verletzten aus einer Straftat,<br />

etwa im Rahmen einer längeren Untätigkeit, zu würdigen 263 .<br />

In den Fällen der Rückgewinnungshilfe (§§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b Abs. 5 StPO) ist das Vorliegen<br />

eines Sicherstellungsbedürfnisses nach einhelliger Auffassung zwingend geboten. Die Gerichte<br />

haben daher dieses Interesse etwaiger Geschädigter im jeweiligen Einzelfall zu prüfen und<br />

die besonderen Umstände erkennbar zu berücksichtigen 264 .<br />

Der konkrete, auf Täuschung angelegte Tatvorwurf mag geeignet sein, die Besorgnis einer Vereitelung<br />

oder wesentlichen Erschwerung der Vollstreckung und damit einen Arrestgrund im Sinne<br />

des § 111d Abs. 2 StPO zu begründen 265 .<br />

6.1.2 Anordnungsvoraussetzungen<br />

I Beschlagnahme-/ Arrestanspruch<br />

Es bedarf zunächst eines Beschlagnahme- oder Arrestanspruchs unter Maßgabe des materiellen<br />

Rechts der §§ 73 ff. und 74 ff. StGB. Dementsprechend ist zu prüfen, ob entweder staatliche Ansprüche<br />

auf Verfall oder Einziehung oder aber entsprechende Ansprüche von Verletzten im Sinne des § 73<br />

Abs. 1 Satz 2 StGB bestehen, welche gem. § 111b Abs. 5 StPO ebenfalls Anlass für vorläufige Sicherungsmaßnahmen<br />

geben können.<br />

Es ist ausreichend, dass zunächst einfacher Tatverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO vorliegt (§<br />

111b Abs. 1 und Abs. 2 StPO: „Gründe für die Annahme“). Die Verdachtslage bedarf jedoch gem. §<br />

111b Abs. 3 Satz 1 StPO im Regelfall binnen 6 Monaten der Verdichtung hin zum dringenden Tatverdacht,<br />

da das Gericht anderenfalls den betreffenden Sicherungstitel aufhebt. Unter den Voraussetzungen<br />

des § 111b Abs. 3 Satz 2 StPO kann allerdings die zuständige Staatsanwaltschaft bei Gericht die<br />

Verlängerung der Maßnahme beantragen, wobei weder eine Beschlagnahmeanordnung noch ein dinglicher<br />

Arrest ohne Vorliegen dringender Gründe über 12 Monate hinaus Bestand haben können (§<br />

111b Abs. 3 Satz 3 StPO).<br />

259 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.07.1994, 2 BvR 777/94; EGMR, NJW 2002, 2013 ff.<br />

260 BVerfG, Beschluss vom 14.06.2004, 2 BvR 1136/03.<br />

261 BVerfG, Beschluss vom 14.06.2004, 2 BvR 1136/03; Beschluss vom 03.05.2005, 2 BvR 1378/04.<br />

262 BVerfG, Beschluss vom 07.06.2005, 2 BvR 1822/04.<br />

263 BVerfG, ebd.<br />

264 BVerfG, ebd.<br />

265 BVerfG, ebd.<br />

83


Teil II Verfahrensrecht<br />

Spätestens nach 12 Monaten muss demgemäß die endgültige Anordnung von Einziehung, Verfall,<br />

Verfall von Wertersatz oder erweitertem Verfall in hohem Maße wahrscheinlich sein bzw. darf nur<br />

wegen der Ansprüche Tatverletzter unterbleiben 266 .<br />

Eine Vorlagepflicht besteht somit nicht generell, sondern partiell in den von § 111b Abs. 3 StPO ausdrücklich<br />

erfassten Fällen des Antrags auf Fortdauerentscheidung unter den Vorgaben des § 111b<br />

Abs. 3 Satz 2 StGB oder auf Aufhebung des Sicherungstitels, sofern ein dringender Tatverdacht nicht<br />

festgestellt werden kann resp. die Voraussetzungen des § 111b Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vorliegen.<br />

Sollte dagegen beispielsweise ein dinglicher Arrest auf Grundlage eines einfachen Tatverdachts erlassen<br />

worden sein und die Staatsanwaltschaft binnen 6 Monaten von einem dringenden Tatverdacht<br />

ausgehen, bedarf es der erneuten Vorlage beim (Ermittlungs-)Richter 267 . Anders dürfte der Fall zu<br />

beurteilen sein, wenn bereits beim Erlass eines Sicherungstitels dringender Tatverdacht wegen der<br />

zugrundeliegenden Straftaten besteht.<br />

Maßgeblich für die Berechnung der Fristen ist der Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme 268 .<br />

Frage:<br />

Was setzt eine Verlängerung nach § 111b Abs. 3 Satz 2 StPO voraus?<br />

Das Gericht kann andererseits auf Antrag der Staatsanwaltschaft gem. § 111b Abs. 3 Satz 2 StPO, der<br />

strukturell § 121 Abs. 1 StPO nachgebildet ist 269 , Beschlagnahmeanordnung oder dinglichen Arrest um<br />

höchstens 6 Monate verlängern, wobei das Gericht auch kürzere Prüfungsintervalle vorsehen kann,<br />

namentlich bei Sicherungsmaßnahmen über besonders hohe Beträge 270 .<br />

Eine Verlängerung setzt zweierlei voraus:<br />

1. Es muss ein Verlängerungsgrund vorliegen (z.B. besonders schwierige Ermittlungen, ein besonderer<br />

Umfang der Ermittlungen oder ein sonst wichtiger Grund)<br />

2. Es bedarf eines Tatverdachts aufgrund „bestimmter Tatsachen“, eine Gesetzesformulierung, die<br />

sich auch in § 100a Abs. 1 Nr. 1 StPO oder in § 112 Abs. 2 StPO wiederfindet und den Anforde-<br />

rungen an die Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt 271 .<br />

Unabhängig von der Regelung des § 76a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB steht das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen<br />

Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO nicht entgegen, sofern tatsächliche<br />

Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese noch geschaffen werden können 272 .<br />

266<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 2.<br />

267<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 7.<br />

268<br />

Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111b Rn. 9.<br />

269<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 8.<br />

270<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 9.<br />

271<br />

Lohse, ebd.<br />

272<br />

Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 10.<br />

84


Teil II Verfahrensrecht<br />

II Beschlagnahme-/ Arrestgrund<br />

Fall 27:<br />

Die Ermittlungen richten sich gegen eine Tätergruppe, die im Rahmen eines international<br />

agierenden Umsatzsteuerkarussells mit dem Handel hochwertiger Pkw betreffend<br />

gewerbs- und bandenmäßig (Umsatz-)Steuern in großem Ausmaß verkürzt hat.<br />

Strukturell betrachtet haben die Täter über ein Netz von Scheinfirmen im In- und<br />

Ausland unter Verwendung teilweise verfälschter Belege Rechnungs- und Lieferwege<br />

fingiert.<br />

Der Schaden beläuft sich auf einen achtstelligen Millionenbetrag in Euro, der im<br />

Rahmen unrechtmäßiger Vorsteuererstattungen zur Auszahlung gelangt ist. Die Gelder<br />

wurden teilweise dafür benutzt, zum einen bestimmte Funktionsträger innerhalb<br />

der Täterorganisation, beispielsweise die Ersteller von Scheinrechnungen im Sinne<br />

des § 14c UStG, zu entlohnen und zum anderen die tatsächlich vorhandene Ware, die<br />

überwiegend exportiert wurde, zu verbilligen. Der übrige Verbleib der Erlöse konnte<br />

hingegen noch nicht eruiert werden.<br />

Bei einem der Haupttäter wurde zudem ermittelt, dass er im Rahmen eines früheren<br />

Ermittlungsverfahrens versucht hatte, Zeugen zu beeinflussen.<br />

Es bedarf ferner eines Beschlagnahme- bzw. Arrestgrundes.<br />

Während beim Arrestvollzug über § 111d Abs. 2 StPO i.V.m. § 917 ZPO diesbezüglich eine besondere<br />

Regelung besteht, wird bei der Beschlagnahme im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ein<br />

„Sicherstellungsbedürfnis“ verlangt 273 .<br />

Erforderlich ist danach die Besorgnis, dass ohne die Beschlagnahme- oder Arrestanordnung die künftige<br />

Vollstreckung vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Für diese Annahme reicht die bloße Begehung<br />

einer eigentumsbezogenen, bzw. vermögensbezogenen Straftat trotz der entsprechend herrschenden<br />

Meinung im Zivilprozessrecht nicht aus 274 , da eine derartige Verknüpfung auf eine unzulässige<br />

Gesetzesvermutung hinausliefe. Vielmehr sind weitere konkrete Umstände darzulegen, dass die<br />

Beschlagnahme- oder Arrestforderung anderenfalls nicht mehr beigetrieben werden kann 275 .<br />

Derartige Gründe können folgend sein 276 :<br />

(Gefahr der) Verschleierung der Vermögensverhältnisse<br />

(Gefahr der) Verschleuderung von Vermögenswerten<br />

(Gefahr von) Vermögensverschiebungen (ins Ausland)<br />

(Gefahr der) Flucht<br />

Das private/geschäftliche Verhalten war insgesamt oder in Teilbereichen auf Verdunkelung angelegt<br />

Unzulässiges verdunkelndes Verteidigungsverhalten in anderen Ermittlungsverfahren<br />

Auslandsvollstreckungen i.S.d. § 917 Abs. 2 Satz 1 ZPO außerhalb des Anwendungsbereichs des §<br />

917 Abs. 2 Satz 2 ZPO 277<br />

Nicht ausreichend: Möglichkeit des Verbrauchs oder schlechte Vermögensverhältnisse<br />

273<br />

Für die Beschlagnahme: Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 13; Nack, Karlsruher Kommentar,<br />

StPO, 6. Auflage 2008, § 111b Rn. 13.<br />

274<br />

Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 344 m.w.N. auch für die gegenteilige Auffassung;<br />

Wehnert/Mosiek, StV 2005, 568 ff. (570 ff.).<br />

275<br />

Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 8; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, §<br />

111d Rn. 8; Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111d Rn. 6 mit jeweils w.N.; OLG Hamm,<br />

Beschluss vom 31.03.2009, 2 Ws 69/09; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.04.2009, III – 1 Ws 119/09; OLG<br />

Köln, Beschluss vom 06.01.2010, 2 Ws 636/09, m.w.N.<br />

276<br />

Vgl. Quellen unter Fn. 264.<br />

277<br />

Vgl. hierzu auch Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111d Rn. 6.<br />

85


Teil II Verfahrensrecht<br />

Lösung Fall 27:<br />

Ein Beschlagnahme- oder Arrestgrund dürfte unproblematisch anzunehmen sein. Dafür<br />

spricht vor allen Dingen, dass die konkrete Tatausführung auf Verdunkelung angelegt<br />

war. Zum anderen dürfte bei einem der Haupttäter auch sein früheres Prozessverhalten<br />

entsprechend gewürdigt werden können.<br />

III Abwendungsbefugnis<br />

Sowohl bei der Beschlagnahme als auch beim dinglichen Arrest besteht eine rechtliche Befugnis, die<br />

Beschlagnahme oder die Pfändung im Wege der Zwangsvollstreckung abzuwenden.<br />

Anders als bei der Beschlagnahmeanordnung (zu vgl. § 111c Abs. 6 StPO) ist dieses Recht unter Bezifferung<br />

eines konkreten Geldbetrages in den Tenor des dinglichen Arrestes mit aufzunehmen (§§ 111d<br />

Abs. 2 StPO i.V.m. § 923 ZPO) 278 .<br />

IV Verhältnismäßigkeitsprüfung/Qualifiziertes Sicherstellungsbedürfnis<br />

Da die Sicherstellung die Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeiten des hiervon (möglicherweise sogar<br />

gutgläubigen) Betroffenen beschränkt und deshalb an Artikel 14 GG zu messen ist, bedarf es einer<br />

sorgfältigen Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Dies gilt in besonderem Maße für den<br />

Erlass eines in das Gesamtvermögen vollstreckbaren dinglichen Arrestes 279 .<br />

Neben den oben bereits skizzierten Vorgaben des BVerfG, wonach bei betreffender Prüfung auch Besonderheiten<br />

der Verdachtslage Bedeutung erlangen können 280 , sind hier desweiteren die Härteklausel<br />

nach § 73c StGB und die Regelung des § 74b StGB von Bedeutung 281 .<br />

In den Fällen der Rückgewinnungshilfe ist zudem bei Prüfung des qualifizierten Sicherstellungsbedürfnisses<br />

gesondert darzulegen, warum im Einzelfall die Geschädigten nicht ausschließlich eigenständig<br />

tätig werden können.<br />

Die diesbezügliche Rechtsprechung wird ausführlich an anderer Stelle behandelt.<br />

V Ausübung von Ermessen<br />

§ 111b StPO räumt Ermessen ein. Damit trägt das Gesetz der Tatsache Rechnung, dass Verfall und<br />

Einziehung, selbst wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, nicht zwingend vorgeschrieben<br />

sind (§ 430 StPO) 282 . Sofern diese erfüllt sind, dürfte in der Regel hingegen eine Ermessensreduktion<br />

gegeben sein 283 , wobei der Umstand, dass es sich bei den §§ 74, 74a und 74c StGB selbst<br />

um Ermessensnormen handelt, zu einer Einschränkung führt 284 . In den Fällen der Rückgewinnungshilfe<br />

dürfte den Ermittlungsbehörden allerdings ein weitergehendes Ermessen zuzubilligen sein 285 .<br />

6.1.3 Darlegungserfordernisse<br />

Die Voraussetzungen für einen Beschlagnahme- oder Arrestbeschluss sind in den schriftlichen Gründen<br />

im Einzelnen darzulegen, wofür leerformelartige Formulierungen und die bloße Wiederholung der<br />

einschlägigen Gesetze nicht ausreichen 286 . Es kann aber zunächst dahinstehen, ob staatliche Ansprüche<br />

auf Verfall (von Wertersatz) zu sichern sind oder ob es sich um eine Maßnahme nach §111b Abs.<br />

5 StPO handelt (str.) 287 . Im Übrigen ist bei einer Beschlagnahmeanordnung der zu sichernde Gegenstand<br />

so hinreichend wie möglich und bei einem Arrest der genaue Geldbetrag anzugeben.<br />

278<br />

Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 10.<br />

279<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 4 und § 111d Rn. 5 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 54.<br />

Auflage 2011, § 111d Rn 15.<br />

280<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111d Rn. 5.<br />

281<br />

Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 14; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, §<br />

111d Rn. 5 und 15; Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111b Rn. 11 ff.<br />

282<br />

Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111b Rn. 10.<br />

283<br />

Lohse, AnwaltKommentar, StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 5.<br />

284<br />

Vgl. Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111b Rn. 12.<br />

285<br />

Lohse, AnwaltKommentar, StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 6 und 20.<br />

286<br />

Lohse, AnwaltKommentar, StPO, 2. Auflage 2010, § 111d Rn. 9.<br />

287<br />

Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 7 m.w.N.<br />

86


Teil II Verfahrensrecht<br />

6.1.4 Anordnungs- und Vollstreckungskompetenzen<br />

Die Anordnung der Beschlagnahme sowie des Arrestes unterliegt dem Richtervorbehalt (§ 111e Abs. 1<br />

Satz 1 StPO). Bei Gefahr im Verzug haben jedoch auch die Staatsanwaltschaft und bei Beschlagnahme<br />

einer beweglichen Sache nach § 111c Abs. 1 StPO die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§<br />

152 GVG) eine entsprechende Anordnungskompetenz (§ 111e Abs. 1 StPO). Bei einer Eilanordnung<br />

durch die Staatsanwaltschaft hat diese stets und zwar unabhängig davon, ob der Betroffene Widerspruch<br />

eingelegt hat, binnen einer Woche die gerichtliche Bestätigung der Anordnung zu beantragen<br />

(§ 111e Abs. 2 Satz 1 StPO), was demgegenüber bei der Beschlagnahme einer beweglichen Sache (§<br />

111c Abs. 1 StPO) gemäß § 111e Abs. 2 Satz 2 StPO nicht gilt.<br />

Hiervon unberührt bleibt jedoch das Recht des Betroffenen, in allen Fällen jederzeit die Entscheidung<br />

des Gerichts zu beantragen (§ 111e Abs. 2 Satz 3 StPO).<br />

Von der Anordnungskompetenz zu unterscheiden ist die Befugnis, Beschlagnahme- und Arrestbeschluss<br />

im Wege der Beschlagnahme nach § 111c StPO oder bei der Arrestvollziehung im Wege der<br />

Pfändung nach den Vorschriften der ZPO zu vollstrecken.<br />

Nach § 111f StPO liegt die Vollstreckung grundsätzlich in Händen der Staatsanwaltschaft, bei der funktionell<br />

der Rechtspfleger zuständig ist (§§ 22, 31 RPflG). § 111f StPO erweitert allerdings abhängig<br />

von der Art des Sicherungstitels sowie des Vermögenswertes die Durchführung der Vollstreckung auf<br />

andere Funktionsträger. So obliegt die Durchführung der Beschlagnahme einer beweglichen Sache<br />

nach § 111c Abs. 1 auch den Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 111f Abs. 1 Satz 1 2.<br />

Halbsatz StPO). Darüber hinaus erlangen neben der Staatsanwaltschaft noch die in § 2 Justizbeitreibungsordnung<br />

bezeichnete Behörde, der Gerichtsvollzieher und die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft<br />

die Befugnis, einen dinglichen Arrest in das bewegliche Vermögen eines Betroffenen zu<br />

vollziehen (§ 111f Abs. 3 Satz 1 StPO). Schließlich hat die Staatsanwaltschaft in den in § 111f Abs. 3<br />

Satz 3 StPO bezeichneten Fällen die Möglichkeit, das Gericht insoweit auf Antrag einzubinden.<br />

Daneben ist zu verweisen auf die speziellen Bestimmungen in § 111f Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StPO im<br />

Zusammenhang mit der Immobiliarvollstreckung.<br />

6.1.5 § 111b Abs. 4 StPO<br />

Die Bestimmung des § 111b Abs. 4 StPO räumt den Ermittlungsbehörden die Möglichkeit ein, einen<br />

Durchsuchungsbeschluss ausschließlich zum Zwecke der (Vermögens-) Aufspürung und Abschöpfung<br />

zu erwirken.<br />

6.1.6 Rechtliches Gehör<br />

Frage:<br />

Warum darf die Akteneinsicht in Finanzermittlungsakten nicht beschränkt werden?<br />

Beschlagnahme- und Arrestbeschluss werden in der Regel ohne vorherige Anhörung erlassen, was<br />

unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 4 StPO statthaft ist. Die nicht nach § 929 Abs. 2 ZPO befristete<br />

Bekanntgabe des betreffenden Titels erfolgt erst mit dessen abgeschlossenem Vollzug 288 .<br />

Um eine angemessene nachträgliche Verteidigung des Betroffenen gegen die Maßnahme zu gewährleisten,<br />

hat dieser Anspruch auf Einsichtnahme in die Aktenteile, die das Gericht für den Erlass der<br />

Anordnung ausgewertet hat; in Anlehnung an das Haftrecht darf daher die Akteneinsicht in Bezug auf<br />

die entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweismittel nicht nach § 147 Abs. 2 StPO beschränkt<br />

werden. Anderenfalls wäre der Bestand des Titels gefährdet 289 .<br />

288<br />

Lohse, AnwaltKommentar, 2. Auflage 2010, § 111c Rn. 5 und 111d Rn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage<br />

2011, § 111d Rn. 11.<br />

289<br />

Lohse, AnwaltKommentar, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 5 und § 111d Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom<br />

05.05.2004, 2 BvR 1012/02.<br />

87


Teil II Verfahrensrecht<br />

6.2 Die Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 2, 111c StPO<br />

6.2.1 Durchführung<br />

Die Form der Beschlagnahme richtet sich nach der Art der Vermögensposition. § 111c Abs. 1 – 4 StPO<br />

differenziert zwischen beweglichen Sachen (Abs. 1), Grundstücken (Abs. 2), Forderungen und anderen<br />

Vermögenswerten (Abs. 3) sowie Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen (Abs. 4).<br />

Wegen der Einzelheiten wird auf die einschlägige Kommentierung verwiesen 290 , wobei in diesem Zusammenhang<br />

der Hinweis wichtig erscheint, dass die Rechtsfolge des § 111c Abs. 5 StPO bei der bloßen<br />

Beschlagnahme eines Gegenstandes als Beweismittel nach § 94 StPO nicht eintritt 291 .<br />

Die für die Beschlagnahme, aber auch die Vollziehung des dinglichen Arrestes erforderlichen Zustellungen<br />

richten sich infolge des Verweises in § 111f Abs. 4 StPO auf § 37 Abs. 1 StPO nach §§ 166-195<br />

ZPO und zwar unter der Maßgabe, dass auch Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft mit der<br />

Ausführung beauftragt werden können. Für die Praxis stellt dies einen erheblichen Wert dar, da insbesondere<br />

in Eilfällen auf die Hinzuziehung eines Gerichtsvollziehers verzichtet werden kann. Diese Möglichkeit<br />

ist überdies in taktischer Hinsicht bedeutsam, da Zustellungen nicht nur auf einen bestimmten<br />

Zeitpunkt hin, sondern überdies in Verbindung mit anderen Ermittlungen, etwa mit der vorherigen<br />

Vernehmung eines Drittschuldners, vorgenommen werden können.<br />

6.2.2 Rechtsfolgen<br />

Mit der Beschlagnahme wird ein (relatives) Veräußerungsverbot im Sinne des § 136 BGB zu Gunsten<br />

des Staates begründet. Dieses ist – anders als beim Pfändungspfandrecht – nicht insolvenzfest (§ 80<br />

Abs. 2 Satz 1 InsO). Bei der Erlegung nach § 111c Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StPO tritt der erlegte Betrag an<br />

die Stelle der Sache, so dass das Veräußerungsverbot daran fortwirkt (§ 111c Abs. 6 Satz 2 StPO).<br />

Vor diesem Hintergrund ist beschlagnahmtes Geld abgesondert aufzubewahren und nicht über Einzahlung<br />

zu hinterlegen.<br />

Bei § 111c Abs. 1 StPO fehlt es zum einen an der Verweisung auf § 930 Abs. 2 ZPO, der bestimmt,<br />

dass im Wege der Arrestvollziehung gepfändetes Geld zu hinterlegen ist, zum anderen würde die Einzahlung<br />

beschlagnahmten Geldes zur konkludenten Aufhebung des Verfügungsverbotes im Sinne des<br />

§ 136 BGB führen, so dass andere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vorrangig zu behandeln wären<br />

292 .<br />

6.2.3 Rückgabe und Überlassung<br />

Die Regelung des § 111c Abs. 6 StPO ist im Ansatz mit § 923 ZPO vergleichbar und trägt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz<br />

Rechnung. Danach kann eine bewegliche Sache dem Betroffenen entweder<br />

gegen sofortige Erlegung des Wertes zurückgegeben (§ 111c Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StPO) oder aber<br />

unter Vorbehalt zur vorläufigen weiteren Benutzung bis zum Abschluss des Verfahrens überlassen<br />

werden (§ 111c Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StPO).<br />

Desgleichen kann die Bestimmung auch bei der Notveräußerung Bedeutung erlangen, da bei der Prüfung<br />

der Notveräußerungsgründe vorrangig u.a. auf § 111c Abs. 6 StPO abzustellen sein wird 293 .<br />

In den Fällen der Rückgewinnungshilfe, bei denen der Betroffene nicht Eigentümer des beschlagnahmten<br />

beweglichen Gegenstandes ist, dürfte indes dessen Überlassung bzw. Rückgabe ausgeschlossen<br />

sein.<br />

290 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111c Rn. 7 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, §<br />

111c Rn. 2 ff.; Savini, Handbuch zur Vermögensabschöpfung im Ermittlungsverfahren und Verfall und Einziehung,<br />

1. Auflage 2005, S. 21 ff.<br />

291 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111c Rn. 1.<br />

292 GStA Hamm, Schreiben an alle Staatsanwaltschaften vom 09.12.2011, 4000 GStA. 1. 716.<br />

293 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111l Rn. 5.<br />

88


Teil II Verfahrensrecht<br />

6.2.4 Beendigung der Beschlagnahme<br />

Abgesehen vom nachträglichen Wegfall der Anordnungsvoraussetzungen endet die Beschlagnahme<br />

mit Rechtskraft des Urteils, mit der bei Anordnung des Verfalls der staatliche Rechtserwerb nach § 73e<br />

Abs. 1 StGB eintritt 294 . Sofern das Gericht eine derartige Anordnung nicht trifft, sollte zumindest deklaratorisch<br />

die Maßnahme durch Gerichtsbeschluss aufgehoben werden 295 . Sollte dagegen das Gericht<br />

entgegen der Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren den Verfall oder die Einziehung von Wertersatz<br />

anordnen, so wäre der Beschlagnahmetitel gleichfalls aufzuheben, wenn nicht die Maßnahme durch<br />

eine Vollstreckungsmaßnahme i.S.d. § 459g Abs. 2 StPO abgelöst würde 296 .<br />

294 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111c Rn. 6.<br />

295 Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111e Rn. 12.<br />

296 Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111e Rn. 14.<br />

89


Teil II Verfahrensrecht<br />

6.3 Der dingliche Arrest nach §§ 111b Abs. 2, 111d StPO<br />

6.3.1 Arrestforderungen<br />

Neben dem Kernbereich des StPO-Arrestes darf dieser unter den Einschränkungen des § 111d Abs. 1<br />

Satz 2 und 3 StPO desgleichen wegen einer Geldstrafe oder voraussichtlich entstehender Kosten des<br />

Verfahrens angeordnet werden.<br />

Dieser (spezielle) Regelungsbereich ist abschließend; aufgrund anderer Forderungen darf das Arrestverfahren<br />

nicht betrieben werden. Da bilden auch §§ 916 ff. ZPO keine Ausnahme 297 .<br />

6.3.2 Durchführung und Verfahren bei Aufhebung des dinglichen Arrestes<br />

Für die Vollziehung eines dinglichen Arrestes gelten mit gewissen Einschränkungen die Regelungen<br />

des 8. Buchs der ZPO (§ 928 ZPO) vorbehaltlich hiervon abweichender Vorschriften nach §§ 930 ff.<br />

ZPO 298 .<br />

Gepfändetes Geld ist demnach zu hinterlegen (§ 930 Abs. 2 ZPO).<br />

Im Übrigen ist nur die Pfändung und nicht auch die Einziehung einer Forderung – entgegen einer gelegentlich<br />

in der Praxis anzutreffenden Verfahrensweise – zulässig.<br />

Auf die in der Praxis durchaus bedeutsamen Bestimmungen der §§ 1362 BGB; 739 ZPO, die Eigentums-<br />

sowie Gewahrsamsvermutungen zu Gunsten eines (Vollstreckungs-)Gläubigers eines Ehegatten<br />

normieren, sei der Vollständigkeit halber ebenfalls hingewiesen.<br />

Im Gegensatz zur Sicherung von Grundstücken im Wege der Beschlagnahme, die gem. § 111c Abs. 2<br />

Satz 1 StPO über den Eintrag eines Beschlagnahmevermerks in Abteilung 2 des Grundbuchs realisiert<br />

wird, wird bei der Vollziehung eines Arrestes in das Immobiliarvermögen eine Arresthöchstbetragssicherungshypothek<br />

in Abteilung 3 eingetragen (§ 932 Abs. 1 ZPO).<br />

Sofern mehrere Grundstücke des Arrestbetroffenen mit der Hypothek belastet werden sollen, ist die<br />

Forderung nach §§ 932 Abs. 2 i.V.m. 867 Abs. 2 ZPO auf die einzelnen Grundstücke zu verteilen.<br />

Der staatsanwaltschaftliche Antrag an das Grundbuchamt ist als Behördenersuchen zu qualifizieren<br />

und richtet sich mithin nach § 38 GBO. Der dingliche Arrest ist daher nicht mit zu übersenden, da die<br />

Eintragung nur „auf Grund des Ersuchens der Behörde“ erfolgt.<br />

Das Ersuchen ist zu unterschreiben und zu siegeln (§ 29 Abs. 3 GBO); bei mehrseitigen Eintragungsersuchen<br />

ist die Verbindung kenntlich zu machen.<br />

Die Übersendung des Ersuchens per Telefax ist somit nicht ausreichend, hat aber in Eilfällen rangwahrende<br />

Wirkung i.S.d. § 17 GBO 299 .<br />

Die anfallenden Kosten werden dem Grundbuchamt nicht erstattet, sondern sind stattdessen durch die<br />

Staatsanwaltschaft als Verfahrenskosten gemäß § 464a StPO anzufordern.<br />

Bei der Aufhebung des dinglichen Arrestes ist dem Eigentümer lediglich eine Löschungsbewilligung zu<br />

erteilen, deren Nutzung in seinem Ermessen liegt.<br />

Der Staatsanwaltschaft ist es demgegenüber weder möglich, die Löschung der Arresthypothek zu<br />

beantragen, noch einen Verzicht im Grundbuch eintragen zu lassen, da bei Arrestaufhebung aus der<br />

Arresthypothek eine Eigentümergrundschuld entsteht und die Staatsanwaltschaft im Übrigen nicht<br />

mehr antragsberechtigt ist (str.).<br />

6.3.3 Rechtsfolgen<br />

Folgen der wirksamen Pfändung in bewegliches Vermögen sind Verstrickung und Pfändungspfandrecht<br />

(vgl. § 111d Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 928, 930 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. 804 Abs. 1 ZPO). Ein solches<br />

(Sicherungs-)Pfandrecht stellt sich wie die Arresthypothek dem Grunde nach als insolvenzfest dar (§<br />

80 Abs. 2 Satz 2 InsO).<br />

297 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 1.<br />

298 Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 12 ff.<br />

299 Vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2001, V ZB 49/00.<br />

90


Teil II Verfahrensrecht<br />

6.3.4 Besonderheiten<br />

I Nachträgliche Erhöhung des Arrestbetrags<br />

Ergibt sich im Nachhinein, dass der Geldbetrag im Arrest zu niedrig bemessen wurde, da etwa eine<br />

ursprünglich vorgenommene Schätzung neu konkretisiert werden konnte oder aber weitere Taten<br />

unter Erhöhung des Gesamtschadens ermittelt werden konnten, ist ein zweiter dinglicher Arrest zu<br />

bewirken. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass der bisherige dingliche Arrest bestehen bleibt und<br />

lediglich im Rahmen des zweiten Arrestes um den hinzukommenden Differenzbetrag erweitert wird.<br />

Auf diese Weise ist sichergestellt, dass bisher ausgebrachte Pfändungsmaßnahmen nicht in Wegfall<br />

geraten.<br />

Beim zweiten Arrest könnte wie folgt formuliert werden:<br />

1.<br />

Der dingliche Arrest des Amtsgerichts Bochum vom 04.05.2011, 64 Gs 1245/11, in Höhe von<br />

1.245.637,- Euro wird gem. den §§ 111b Abs. 2, 111d, 111e Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 73 Abs. 1,<br />

73a StGB, 29, 29a BtMG – ohne vorherige Anhörung des Schuldners gem. § 33 Abs. 4 StPO –<br />

zur Sicherung des staatlichen Anspruchs auf Verfall von Wertersatz für<br />

das Land <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong>,<br />

vertreten durch den Leitenden Oberstaatsanwalt der<br />

Staatanwaltschaft Bochum<br />

– Gläubiger –<br />

um den Betrag von 100.000,- Euro auf die Gesamtsumme von<br />

erweitert und in das Vermögen des<br />

angeordnet.<br />

1.345.637,- Euro<br />

Beschuldigten Hans Meier (weitere Personalien<br />

– Schuldner –<br />

2. Durch Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe von 1.345.637,- Euro wird die Vollziehung<br />

des Arrestes gehemmt und der Beschuldigte berechtigt, die Aufhebung des vollzogenen Arres-<br />

tes zu beantragen (§ 111d Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 923, 934 Abs. 1 ZPO).<br />

…<br />

Gründe:<br />

II Anwendbarkeit der Härteklausel (§ 73c StGB)<br />

Die Härteklausel nach § 73c StGB und die Bestimmung des § 74b StGB sind auch bei vorläufigen Sicherungsmaßnahmen<br />

nach §§ 111b ff. StPO zum Schutz staatlicher Ansprüche auf Verfall und Einziehung<br />

anzuwenden 300 .<br />

Demgegenüber ist es obergerichtlich noch nicht geklärt, ob und inwieweit § 73c StGB bei Sicherungsmaßnahmen,<br />

die im Wege der Rückgewinnungshilfe getroffen wurden, Anwendung findet 301 .<br />

Während nach Auffassung des LG Hildesheim die Gesetzessystematik die Anwendung der Härtevorschrift<br />

gebiete 302 , sprechen m.E. Sinn und Zweck der Vorschriften der Rückgewinnungshilfe gegen<br />

eine solche Interpretation.<br />

300 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 5 und § 111d Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom<br />

28.01.2004, 2 BvR 152/04; OLG Rostock, Beschluss vom 19.06.2002, I Ws 261/02; OLG Stuttgart, Beschluss<br />

vom 11.04.2007, 2 Ws 41/07; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.04.2009, III – 1 Ws 119/09; LG Hildesheim,<br />

Beschluss vom 23.04.2007, 25 Qs 2/07.<br />

301 Vgl. aber LG Hildesheim, Beschluss vom 23.04.2007, 25 Qs 2/07.<br />

91


Teil II Verfahrensrecht<br />

Zwar ist es richtig, dass bei der Anordnung eines dinglichen Arrestes zum Zwecke der Wahrnehmung<br />

von Rechten von Verletzten aus Straftaten gesetzliche Sonderregeln nicht bestehen. Indes entspricht<br />

es dem Willen des Gesetzgebers, über die Rechtsfigur der Rückgewinnungshilfe nicht nur den Täter<br />

vor einer zweifachen Inanspruchnahme zu schützen, sondern auch den Opferschutz dergestalt zu<br />

stärken, dass nicht nur ein Gläubigerwettlauf zwischen Staat und Verletztem vermieden werden, sondern<br />

überdies der Tatgeschädigte im Hinblick auf eigene Zwangsvollstreckungen nach §§ 111g, 111h<br />

StPO verfahrensrechtlich privilegiert werden soll.<br />

Eine derart bevorzugte Behandlung in rechtlicher Hinsicht würde aber eingeschränkt, wenn staatliche<br />

Sicherungsmaßnahmen infolge der Anwendung des § 73c StGB entsprechend limitiert würden, während<br />

die Vollstreckung des Tatverletzten davon losgelöst möglich ist.<br />

Anderenfalls würde dem Tatgeschädigten ohne sachlichen Grund Vermögen als Zugriffsmasse entzogen.<br />

Vor diesem Hintergrund ist die Anwendung des § 73c StGB erst dann geboten, wenn der staatliche<br />

Auffangrechtserwerb über § 111i Abs. 2 und 3 StPO vorbereitet wird, was im Übrigen auch der ständigen<br />

Rechtsprechung des BGH entspricht 303 .<br />

III Übersicherungen<br />

Die Thematik „übersicherter“ dinglicher Arreste spielt in der justiziellen Praxis keine überragende Rolle,<br />

da in den meisten Ermittlungsverfahren der Gesamtwert der gepfändeten Vermögenswerte - selbst<br />

bei einer rein nominellen Berechnungsmethode - nicht einmal ansatzweise das aus den rechtswidrigen<br />

Taten Erlangte abzudecken vermag. Gleichwohl kann sich in bestimmten Bereichen insbesondere der<br />

organisierten Wirtschaftskriminalität das Problem stellen und zwar sowohl auf den einzelnen Betroffenen<br />

bezogen als auch im Verhältnis Mehrerer, die als Gesamtschuldner im Verbund haften (vgl. oben).<br />

Im Grundsatz gilt wie auch im Zivilprozessrecht, dass Übersicherungen nicht statthaft sind 304 . Es besteht<br />

ein Verbot der Überpfändung, wie es sich etwa in § 803 Abs. 1 Satz 2 ZPO oder in den §§ 932<br />

Abs. 2 i.V.m. 867 Abs. 2 ZPO wiederfindet, und zwar für jede Pfändungsart 305 .<br />

Im Ansatz ist daher die titulierte Arrestforderung zu vergleichen mit dem bei einer späteren Verwertung<br />

der gepfändeten Vermögenswerte voraussichtlich zu erzielenden (Gesamt-)Erlös 306 , was nicht<br />

unerhebliche Widrigkeiten und mitunter auch die Hinzuziehung eines Sachverständigen mit sich bringt,<br />

etwa bei der Ermittlung des Werts von Immobilien oder Kostbarkeiten.<br />

Die Problematik potenziert sich dementsprechend beim Erlangen Mehrerer und ihrer Haftung als Gesamtschuldner<br />

307 .<br />

Auch dort gilt, dass grundsätzlich nur bis zur Höhe des Gesamtanspruchs Sicherungsmaßnahmen getroffen<br />

werden können 308 . Neben Schwierigkeiten bei der Ermittlung des späteren Erlöses aus der<br />

Verwertung bestimmter Vermögenswerte, insbesondere von Immobiliarpositionen, führt die Haftung<br />

mehrerer Täter, bei denen u.U. sogar unterschiedliche Verdachtsgrade bestehen, ggf. sogar zusammen<br />

mit (gutgläubigen) Drittempfängern i.S.d. § 73 Abs. 3 StGB, zu einer weiteren Verschärfung der<br />

Thematik.<br />

Solche Fälle entziehen sich einem generellen Lösungsansatz.<br />

Stattdessen sind Individuallösungen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Verdachtsgrade und<br />

der Schutzbedürftigkeit vorwiegend von gutgläubigen Drittempfängern zu suchen 309 .<br />

302<br />

LG Hildesheim, Beschluss vom 23.04.2007, 25 Qs 2/07.<br />

303<br />

BGH, Beschluss vom 10.11.2009, 4 StR 443/09; Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />

304<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111d Rn. 17; Park, StraFo 2002, 73, 76; Bach, StV 2006,<br />

446, 448; Barreto da Rosa, NJW 2009, 1702, 1704.<br />

305<br />

Vgl. hierzu Stöber, Zöller, ZPO, 28. Auflage 2010, § 803 Rn. 5.<br />

306<br />

Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 9. Auflage 2011, § 13 Rn. 348.<br />

307<br />

Vgl. hierzu Barreto da Rosa, NJW 2009, 1702, 1704.<br />

308<br />

BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 Rn. 27; Barreto da Rosa, ebd; a.A. Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung,<br />

4. Auflage 2010, S. 44.<br />

309<br />

So auch Barreto da Rosa, NJW 2009, 1702, 1704; Park, StraFo 2002, 73, 76.<br />

92


Teil II Verfahrensrecht<br />

IV Pfändungsschutzbestimmungen<br />

Auch die Anwendbarkeit der zivilprozessualen Pfändungsschutzbestimmungen ist in Rechtsprechung<br />

und Literatur bisher eher stiefmütterlich behandelt worden. In den einschlägigen Kommentierungen<br />

finden sich dazu entweder keine oder aber nur allgemein gehaltene Hinweise, dass die zivilrechtlichen<br />

Schutzbestimmungen einzuhalten seien 310 .<br />

Folgende Bestimmungen in der ZPO dürften insoweit neben der Regelung des § 111d Abs. 3 StPO zu<br />

beachten sein, was sich über den Verweis in § 111d Abs. 2 StPO auf § 928 ZPO ergibt 311 :<br />

§ 765a ZPO<br />

Übersicherungsverbot gem. § 803 Abs. 1 Satz 2 StPO (vgl. oben)<br />

Verbot der nutzlosen Pfändung (§ 803 Abs. 2 ZPO)<br />

§ 811 ZPO<br />

§§ 850 ff. ZPO insbesondere P-Konto nach § 850k StPO<br />

§§ 54, 55 SGB I<br />

V Beendigung des dinglichen Arrestes<br />

Neben der vorzeitigen Aufhebung des dinglichen Arrestes, bedingt durch den Wegfall der Voraussetzungen<br />

des § 111b Abs. 2 und 3 StPO oder die Unverhältnismäßigkeit des Fortbestandes, bedarf es<br />

der formellen Aufhebung – vorbehaltlich der Verlängerung des Arrestes nach § 111i Abs. 1 und 3 StPO<br />

– auch bei Rechtskraft des Urteils und zwar auch dann, wenn eine Verfalls- oder Einziehungsentscheidung<br />

getroffen wurde 312 .<br />

310 So etwa Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111d Rn. 17.<br />

311 Kempf/Schilling, Vermögensabschöpfung, 2007, § 3 Rn. 412.<br />

312 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 15.<br />

93


Teil II Verfahrensrecht<br />

6.4 (Versehentlich) unterbliebene Verfallsanordnung<br />

Problematisch stellt sich die weitere Behandlung sichergestellter inkriminierter Vermögenswerte dar,<br />

wenn im rechtskräftigen Urteil Maßnahmen nach §§ 73 ff.; 74 ff. StGB (versehentlich) nicht getroffen<br />

wurden. Nach Meinung des OLG Celle kommt die Herausgabe sichergestellter Gegenstände an den<br />

letzten Gewahrsamsinhaber nicht in Betracht, wenn diese durch strafbare Handlungen in den Besitz<br />

des Betreffenden gelangt sind, denn es wäre mit einem geordneten Strafverfahren nicht zu vereinbaren,<br />

wenn der Staat sich anderenfalls am Aufrechterhalten eines rechtswidrigen Zustands beteiligen<br />

und „Rechtsbrechern die Früchte ihrer Tat sichern“ müsste 313 .<br />

Zusammenfassung<br />

Verknüpft mit dem spezifischen materiellen Recht sieht § 111b Abs. 1 und Abs. 2 StPO im<br />

Wege des einstweiligen Rechtsschutzes fakultativ die Möglichkeit vor, den staatlichen<br />

Anspruch auf Verfall und Einziehung über Beschlagnahme oder Arrestvollziehung abzusichern.<br />

Voraussetzungen für eine Beschlagnahmeanordnung resp. einen dinglichen Arrest sind<br />

Beschlagnahme-/Arrestanspruch, Beschlagnahme-/Arrestgrund und beim dinglichen Arest<br />

die Abwendungsbefugnis nach §§ 111d Abs. 2 StPO i.V.m. 923 ZPO.<br />

Bei der Darlegung des Beschlagnahme-/Arrestgrundes reicht die leerformelartige Wiederholung<br />

des Gesetztestextes des § 917 ZPO nicht aus; vielmehr bedarf es insoweit der<br />

Darlegung konkreter Gründe. Die Anordnung der Beschlagnahme oder des Arrestes unterliegt<br />

grundsätzlich dem Richtervorbehalt (§ 111e StPO), während für den Vollzug der<br />

Maßnahmen u.a. die Staatsanwaltschaft verantwortlich zeichnet (§ 111f StPO).<br />

Mit der Beschlagnahme nach § 111c StPO wird ein relatives – nicht insolvenzfestes (vgl.<br />

§ 80 Abs. 2 Satz 1 InsO) - Veräußerungsverbot i.S.d. § 136 BGB begründet; grundsätzlich<br />

i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO insolvenzfeste Rechtsfolgen des Arrestvollzugs sind demgegenüber<br />

Verstrickung und Pfändungspfandrecht.<br />

313 OLG Celle, Beschluss vom 10.01.2012, 1 Ws 7/12 m.w.N.; mit Anmerkungen von Schröder, FD-StrafR 2012,<br />

327687.<br />

94


Teil II Verfahrensrecht<br />

7. Sonstiges Verfahrensrecht<br />

7.1 Rechtsschutz<br />

Die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Sicherungen nach §§ 111b ff. StPO kommen auf zwei Ebenen in<br />

Betracht.<br />

1. Statthaftes Rechtsmittel gegen die Beschlagnahmeanordnung respektive den dinglichen Arrest ist<br />

grundsätzlich die einfache Beschwerde nach § 304 StPO.<br />

2. Betrifft die Beschwerdeentscheidung die Anordnung des dinglichen Arrestes über einen Betrag von<br />

20.000,- Euro, ist die weitere Beschwerde nach § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO statthaft.<br />

Die Einzelheiten dazu sind umstritten.<br />

Nach einer Auffassung ist die weitere Beschwerde nur in dem Fall zulässig, wenn<br />

durch die vorangegangene erste Beschwerdeentscheidung der dingliche Arrest entweder<br />

erstmals angeordnet oder ein bereits zuvor angeordneter Arrest richterlich bestätigt<br />

wurde 314 .<br />

Nach Auslegung des OLG Celle und des KG Berlin ist demgegenüber die Beschwerdebefugnis<br />

auch dann eröffnet, wenn ein zunächst angeordneter dinglicher Arrest durch<br />

die erste Beschwerdeentscheidung wieder aufgehoben oder die Ablehnung des Arrestantrages<br />

bestätigt wurde 315 .<br />

Im Hinblick auf Einwendungen gegen die Vollziehung der Titel ist nach § 111f Abs. 5 StPO ausschließlich<br />

der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft 316 und zwar auch im Hinblick auf gerichtliche<br />

Vollziehungsakte (str.) 317 . Dabei ist umstritten, ob die Vorschrift nach Sinn und Zweck lediglich die<br />

Verfahrensabschnitte bis zur Rechtskraft des Urteils erfasst 318 oder darüber hinausreicht 319 .<br />

314 OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.03.2007, 3 Ws 240/07; OLG München, Beschluss vom 12.11.2007, 2 Ws<br />

942/07; OLG Oldenburg, Beschluss vom 17.05.2011, 1 Ws 227/11.<br />

315 OLG Celle, Beschluss vom 20.05.2008, 2 Ws 155/08; KG Berlin, Beschluss vom 16.04.2010, 1 Ws 171/09.<br />

316 Vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111f Rn. 15 m.w.N.<br />

317 Meyer-Goßner a.a.O.; a.A. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.11.2008, 4 Ws 590/08.<br />

318 So OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.11.2008, 4 Ws 590/08.<br />

319 So OLG Celle, Beschluss vom 06.07.2010, 2 Ws 236/10; Beschluss vom 10.01.2012, 1 Ws 7/12.<br />

95


Teil II Verfahrensrecht<br />

7.2 Notveräußerung (§ 111l StPO)<br />

7.2.1 Anwendungsbereich<br />

Dem Wortlaut nach erfasst § 111l StPO Vermögenswerte (aller Art), die nach § 111c StPO beschlagnahmt<br />

oder aufgrund eines dinglichen Arrestes gepfändet worden sind. Die Notveräußerung ist nicht<br />

nur bis zur Rechtskraft des Urteils, sondern beim vollzogenen Arrest auch danach innerhalb der 3-<br />

Jahres-Frist des § 111i Abs. 3 StPO möglich (vgl. § 111l Abs. 1 Satz 2 StPO). Dies soll auch bei einer<br />

nach § 111i Abs. 3 StPO verlängerten Beschlagnahme gelten 320 . Nach § 111c Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StPO<br />

zurückgegebene Sachen werden nicht notveräußert, nach § 111c Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 StPO überlassene<br />

Sachen erst nach Widerruf 321 .<br />

7.2.2 Notveräußerungsgründe<br />

Die Notveräußerung einer Vermögensposition kommt in Betracht, wenn ihr Verderb oder eine wesentliche<br />

Minderung ihres Wertes droht oder aber ihre Aufbewahrung, Pflege oder Erhaltung mit unverhältnismäßigen<br />

Kosten oder Schwierigkeiten verbunden ist, respektive bei einem vollzogenen dinglichen<br />

Arrest in den Fällen des § 111i Abs. 2 StPO die Veräußerung zweckmäßig erscheint 322 .<br />

7.2.3 Verfahren<br />

Für die Durchführung zuständig sind im vorbereitenden Verfahren und nach Rechtskraft des Urteils die<br />

Staatsanwaltschaft (§ 111l Abs. 2 Satz 1 StPO) bzw. in Eilfällen bei drohendem Verderb des Gegenstandes<br />

auch ihre Ermittlungspersonen (§ 111l Abs. 2 Satz 2 StPO) und schließlich nach Erhebung der<br />

öffentlichen Klage das mit der Hauptsache befasste Gericht (§ 111l Abs. 3 Satz 1 StPO) bzw. in Eilfällen<br />

bei drohendem Verderb des Gegenstandes wiederum die Staatsanwaltschaft (§ 111l Abs. 3 Satz 2<br />

StPO). Funktionell ist jeweils der Rechtspfleger zuständig (vgl. §§ 22 Nr. 2 und 31 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6<br />

RPflG). Mitteilungspflichten ergeben sich aus § 111l Abs. 4 StPO; das Verfahren selbst ist in § 111l<br />

Abs. 5 StPO normiert. Der Rechtsschutz gegen die angeordnete Notveräußerung ist in § 111l Abs. 6<br />

StPO verankert.<br />

320 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111l Rn. 3.<br />

321 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111l Rn. 1.<br />

322 Zu den Einzelheiten: Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111l Rn. 2 ff. m.w.N.<br />

96


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten<br />

aus Straftaten<br />

8. Einleitung<br />

Die Rückgewinnungshilfe ist vom Adhäsionsverfahren (§§ 403 – 406d StPO) zu unterscheiden:<br />

Während das Adhäsionsverfahren dem Verletzten ermöglicht, seine bürgerlich-rechtlichen Ersatzansprüche<br />

gegen den Straftäter bereits im Strafverfahren geltend zu machen 323 , werden mit der Rückgewinnungshilfe,<br />

welche materiell-rechtlich in § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB und verfahrensrechtlich im Kern<br />

jedenfalls in § 111b Abs. 5 StPO vertyptist, andere Zwecke verfolgt.<br />

Nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, der ausweislich § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB auch beim erweiterten Verfall<br />

gilt, ist der (erweiterte) Verfall (von Wertersatz) dann ausgeschlossen, wenn dem Verletzten aus der<br />

Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der<br />

Tat Erlangten entziehen würde.<br />

Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB zweierlei beabsichtigt.<br />

1. Zum einen werden Ansprüche von Verletzten gegenüber staatlichen Ansprüchen gem. §§<br />

73 ff. StGB privilegiert, um einen „Gläubigerwettlauf“, den zumeist der Staat gewinnen<br />

dürfte, zu vermeiden.<br />

2. Zum anderen wird der Verfallsbetroffene vor einer zweifachen Inanspruchnahme sowohl<br />

durch den Staat als auch durch den Verletzten geschützt 324 .<br />

Nach dieser Bestimmung scheidet demnach eine Verfallsanordnung bereits dann aus, wenn ein derartiger<br />

Anspruch rein abstrakt besteht. Auf die tatsächliche Geltendmachung kommt es dagegen nicht<br />

an 325 .<br />

Der hierüber gewährleistete Opferschutz erfährt verfahrensrechtlich durch die speziellen Bestimmungen<br />

der §§ 111b Abs. 5, 111e Abs. 3 und 4, 111g, 111h, 111i und 111k StPO eine Vertiefung. Danach<br />

können nicht nur vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO zur Absicherung von Ansprüchen<br />

von Verletzten aus Straftaten ausgebracht werden (§ 111b Abs. 5 StPO). Vielmehr erfahren<br />

die Tatgeschädigten über die Regelungen der §§ 111g, 111h StPO auch eine Besserstellung gegenüber<br />

(Allgemein-)Gläubigern. Ihre eigenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen werden nämlich nach<br />

erfolgreicher Zulassung zur Zwangsvollstreckung vom Rang her so behandelt, als ob diese zum Zeitpunkt<br />

der staatlichen Sicherungsmaßnahmen bereits ausgebracht gewesen wären.<br />

Hieraus wird deutlich, dass Verletzte nicht davon freigestellt sind, in eigener Sache zivilrechtlich<br />

vorzugehen, also über eigene (Zivil-)Titel die Zwangsvollstreckung zu betreiben.<br />

Die insbesondere nach altem Recht entsprechend bis zum 31.12.2006 bestehende Problematik, dass<br />

zwar im Wege der Rückgewinnungshilfe Sicherungsmaßnahmen vollzogen wurden, die Verletzten<br />

jedoch bis zum Urteil bzw. bis zu dessen Rechtskraft gleich aus welchen Gründen zivilrechtlich untätig<br />

geblieben sind und deswegen sichergestellte Vermögenswerte infolge der rechtlichen Unmöglichkeit<br />

der Verfallsanordnung wieder an den Täter oder Teilnehmer herausgegeben werden mussten 326 , ist<br />

zwischenzeitlich über die Einfügung des § 111i Abs. 2 – 8 StPO entschärft worden. Mit dieser Norm<br />

wurde im Rahmen einer prozessualen Lösung eine materiell-rechtliche Bestimmung (auch im Sinne<br />

des § 2 Abs. 3 und Abs. 5 StGB) getroffen 327 , die mittels einer Fristenregelung den staatlichen Auffangrechtserwerb<br />

im Hinblick auf bereits sichergestellte Vermögenswerte des Verfallsbetroffenen erlaubt.<br />

Die Stimmen im Gesetzgebungsverfahren, welche sich für eine Streichung des § 73 Abs. 1 Satz<br />

2 StGB eingesetzt haben, konnten sich demgegenüber nicht durchsetzen 328 . Auf die Unterschiede zwischen<br />

beiden Modellen wird an anderer Stelle noch ausführlicher einzugehen sein 329 .<br />

323 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, Vor § 403 Rn. 1.<br />

324 Fischer, StGB, 59. Auflage 2012 § 73 Rn. 17.<br />

325 Fischer, StGB, 59. Auflage 2012 § 73 Rn. 18.<br />

326 Vgl. hierzu Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 61.<br />

327 Vgl. hierzu BR-Drucks. 940/05, S. 2; BGH, Urteil vom 07.02.2008, 4 StR 502/07.<br />

328 Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 13/9742 vom 03. Februar 1998 als diesbezüglicher Gesetzentwurf der Fraktionen<br />

der CDU/CSU, SPD und F.D.P.<br />

329 Teil III, 3. 3.3.<br />

97


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Die nach dem altem Recht vor Einführung des § 111i Abs. 2 – 8 StPO (n.F.) mitunter aus der Not geborenen<br />

Lösungsansätze, welche das von vielen als unbillig empfundene Ergebnis, vorläufig gesicherte<br />

Vermögenswerte an den Täter trotz des Wissens um deren inkriminierte Herkunft wieder auskehren<br />

zu müssen, vermeiden wollten 330 , haben zwar nicht jede Bedeutung verloren 331 , sind aber teilweise<br />

nur noch mit Vorsicht anzuwenden. Ausführungen hierzu werden später ebenfalls noch erfolgen.<br />

330<br />

Vgl. hierzu nur Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4.<br />

Auflage 2010, S. 47 ff.<br />

331<br />

Vgl. hierzu Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 3 ff.<br />

98


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

9. Materielles Recht<br />

9.1 Grundlagen<br />

§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB schließt den Verfall aus, wenn dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen<br />

ist, dessen Erfüllung Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen<br />

würde; dies gilt gem. § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB auch für den erweiterten Verfall.<br />

Darüber hinaus ist § 73 Abs. 1 Satz 2 nicht nur beim Drittempfänger- und Dritteigentümerverfall, sondern<br />

auch beim (erweiterten) Verfall von Wertersatz zu beachten 332 .<br />

Dem Einziehungsrecht (§§ 74 ff. StGB) ist demgegenüber eine solche Regelung fremd.<br />

In bestimmten Konstellationen, im Besonderen bei der Konkurrenz von Verfalls- und Einziehungsansprüchen,<br />

wenn das Geld als Beziehungsgegenstand der Geldwäsche (i.S.d. § 261 Abs. 7 StGB) zugleich<br />

das Erlangte etwa aus einer Betrugstat im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB darstellt, ist die Einziehung<br />

allerdings vor dem Hintergrund der „vorrangigen Wertentscheidung“ des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB<br />

beim „Geldwäscher“ gehindert, da anderenfalls diese Vorschrift zu Ungunsten der Verletzten aus der<br />

Vortat umgangen würde 333 .<br />

Im Übrigen schließt § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB den Verfallsausspruch nur dann aus, wenn der von der<br />

Maßnahme Betroffene aus der Tat etwas erlangt hat, das heißt ihm in irgendeiner Phase des Tatablaufs<br />

unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst Vermögenswerte zugeflossen sind.<br />

Sofern er hingegen Vermögenswerte als Gegenleistung für sein rechtswidriges Tun, demzufolge für<br />

die Tat erhalten hat, unterliegt das Erlangte schon nach dem Gesetzeswortlaut dem Verfall ohne<br />

Rücksicht auf Ansprüche Verletzter 334 .<br />

Die Abgrenzung kann in Einzelfällen allerdings schwierig sein 335 .<br />

332 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 59.<br />

333 BGH, Beschluss vom 25.03.2010, 5 StR 518/09.<br />

334 BGH, Urteil vom 19.10.2011, 1 StR 336/11.<br />

335 Vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 23.04.2009, 5 StR 401/08; BGH, Urteil vom 19.10.2011, 1 StR 336/11.<br />

99


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

9.2 Anspruch des Verletzten aus der Tat<br />

I Anspruchsarten<br />

Dem § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB lassen sich keine Beschränkungen hinsichtlich der Art und der Rechtsgrundlage<br />

der vorrangigen Ansprüche entnehmen 336 . Neben deliktischen Schadensersatzansprüchen<br />

(§§ 823 ff. StGB) kommen mithin auch vertragliche Schadensersatz- oder Erfüllungsansprüche und<br />

sonstige Forderungen, etwa aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder aus ungerechtfertigter Bereicherung,<br />

in Betracht 337 . Schließlich sind auch steuerfiskalische Ansprüche geschützt.<br />

II Rechtlicher Bestand des Anspruchs<br />

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH und der wohl überwiegenden Auffassung in der Literatur<br />

stellt § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB auf den abstrakten Bestand des Anspruchs ab, wohingegen dessen tatsächliche<br />

Geltendmachung nicht erforderlich ist 338 . Daher rührt auch die Bezeichnung „Totengräber<br />

des Verfalls“ her.<br />

Der Bundesgerichtshof hat in historischer Auslegung hierzu ausgeführt 339 :<br />

„Diese in § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB getroffene Regelung beruht auf einem Kompromiss<br />

zwischen verschiedenen im Entstehungsstadium der Vorschrift zutage getretenen Gestaltungsmöglichkeiten.<br />

Dieser Kompromiss (...) beinhaltet, dass der Verfall nur in solchen<br />

Fällen anzuordnen ist, „wo von vorneherein überhaupt keine Ansprüche vorhanden<br />

seien, und zwar in der Erwägung, dass die Verfallserklärung nur in den Fällen<br />

notwendig sei, weil sonst ein zivilrechtlich Berechtigter da sei, der sich um die Geltendmachung<br />

der Ansprüche kümmern könne. Dabei werde in Kauf genommen, dass<br />

es Fälle gebe, in denen sich die Verletzten nicht um die Geltendmachung der Ansprüche<br />

kümmern würden“ (Protokolle der 53. Sitzung des Sonderausschusses für die<br />

Strafrechtsreform in der 5. Wahlperiode S. 1004).“<br />

Insofern kommt es nicht darauf an, ob Verletzte bekannt sind oder nicht oder aber trotz Kenntnis des<br />

Verfahrens längere Zeit untätig bleiben 340 . Insbesondere liegt in einem derartigen Unterlassen auch<br />

kein (konkludenter) Verzicht 341 .<br />

§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB verhält sich im Übrigen streng zivilakzessorisch 342 . Der Tatrichter muss daher<br />

prüfen, ob Ansprüche entstanden und im Hinblick auf etwaige Einwendungen und Einreden auch<br />

durchsetzbar sind. Im Fall von nicht wirksam entstandenen, untergegangenen oder nicht durchsetzbaren<br />

Ansprüchen greift § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht ein 343 , da eine zweifache Inanspruchnahme des<br />

Verfallsbetroffenen nicht droht.<br />

Dies ist bei folgenden Fällen anerkannt:<br />

(Konkludenter) Verzicht des Verletzten 344<br />

Verjährung des Anspruchs, wobei die Erhebung der Einrede nicht erforderlich ist 345<br />

Ausschluss nach § 814 BGB oder § 817 Satz 2 BGB 346<br />

Faktische Unmöglichkeit der Geltendmachung 347<br />

336<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 67.<br />

337<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 67.<br />

338<br />

Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 18 m.w.N.<br />

339<br />

BGH, Beschluss vom 15.03.1984, 1 StR 819/83.<br />

340<br />

BGH, Beschluss vom 15.03.1984, 1 StR 819/83; BGH, Beschluss vom 01.12.2005, StR 382/05; BGH, Beschluss<br />

vom 21.11.2006, 3 StR 380/06; a.A. OLG München, Beschluss vom 19.04.2004, 2 Ws 167/04, 2 Ws 168/04;<br />

OLG Hamm, Beschluss vom 30.11.2005, 3 Ws 526/05; vgl. hierzu auch Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts-<br />

und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 62 m.w.N.<br />

341<br />

BGH, Beschluss vom 11.05.2006, 3 StR 41/06; a.A. OLG München, Beschluss vom 19.04.2004, 2 Ws 168/04;<br />

OLG Hamm, Beschluss vom 30.11.2005, 3 Ws 526/05.<br />

342<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 64.<br />

343 Wiedner a.a.O.<br />

344 BGH, Beschluss vom 30.10.2003, 3 StR 276/03; Beschluss vom 31.03.2004, 1 StR 482/03.<br />

345 BGH, Urteil vom 11.05.2006, 3 StR 41/06.<br />

346 Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 20.<br />

347 Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010, S.<br />

53 ff., unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 21.09.1983, 3 StR 271/83.<br />

100


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Sonstige zivilrechtliche Verwirkungstatbestände (venire contra factum proprium) 348<br />

Hiervon ist die (teilweise) Erfüllung des Verletztenanspruchs durch Täter, Teilnehmer oder Drittempfänger<br />

zu unterscheiden, welche die erneute, mithin zweifache Inanspruchnahme im Rahmen des<br />

Verfallsausspruchs (anteilig) hindert.<br />

Vor diesem Hintergrund müssen die Anspruchsvoraussetzungen im tatrichterlichen Urteil auf Grundlage<br />

eindeutiger Belege festgestellt sein, sofern sie sich nicht schon aus der Anlasstat ergeben. Auf diese<br />

Weise soll sichergestellt sein, dass der Angeklagte ein grundsätzlich verfallbares, nicht sicher den<br />

Ansprüchen Dritter ausgesetztes Erlangtes behalten kann 349 .<br />

III Verletzter<br />

Fall 28350 :<br />

Der Angeklagte Hu. war angestellter Elektrotechnikingenieur im Klärwerk D., das zur<br />

Hamburger Stadtentwässerung gehörte. Der Angeklagte R. war auf selbständiger Basis<br />

als Ingenieur tätig und hatte in der Vergangenheit häufiger für die Hamburger<br />

Stadtentwässerung gearbeitet.<br />

Im Zuge der geplanten Umstellung der elektrotechnischen Dokumentation für das<br />

Klärwerk wurde der Beschluss gefasst, die gesamte Elektrotechnik elektronisch zu<br />

erfassen. Infolge einer Abrede mit R. verschwieg Hu. seinem Vorgesetzten, dass er<br />

nicht nur einen Großteil der Arbeiten selbst zu erledigen imstande gewesen wäre,<br />

sondern daneben auch den Umstand, dass er mit der Firma S. ein Unternehmen gefunden<br />

hatte, das für einen Stundenlohn von 50,- DM eine entsprechende Datenerfassung<br />

vornehmen würde. Stattdessen veranschlagte er den Kostenumfang entsprechend<br />

überhöht auf insgesamt 250.000,- DM und schlug weiterhin vor, R. bei der<br />

Vergabe zu berücksichtigen. Teil der Abrede zwischen Hu. und R. war ferner, dass<br />

Hu. 25% der von der Stadtentwässerung an R. gezahlten Gelder als „Schmiergeld“<br />

erhalten sollte, wobei dieser Teil vereinbarungsgemäß in den kalkulierten Gesamtkosten<br />

enthalten war. R. gab schließlich ein Angebot über 250.000,- DM ab, in welchem<br />

sowohl Techniker- und Ingenieurkosten als auch 100 weitere Ingenieurstunden für<br />

nicht vorgesehene Arbeiten à 96,- DM einkalkuliert waren. Das Angebot leitete der<br />

Angeklagte Hu. verbunden mit seiner Empfehlung zugunsten des R. über seinen Vorgesetzten<br />

an den Leiter des Klärwerks weiter, der daraufhin dem Angeklagten R. den<br />

Zuschlag erteilte. Von den an R. ausgekehrten 250.000,- DM erhielt Hu. 67.000,- DM<br />

als seinen Anteil.<br />

Ist der Verfall bei Hu. möglich?<br />

Verletzter i.S. des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist eine durch die Tat individuell geschädigte Person 351 .<br />

Bei der Verletzung von Allgemeinrechtsgütern gilt § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht 352 .<br />

Zum geschützten Personenkreis zählen nicht nur natürliche und juristische Personen, sondern auch<br />

Personenvereinigungen, die Träger von Rechten und Pflichten sein können 353 .<br />

Vom Verletztenbegriff umfasst sind etwa Steuerfiskus sowie Rechtsnachfolger des originär Verletzten,<br />

nicht aber der Insolvenzverwalter 354 . Die Frage, ob Letzterer als Partei kraft Amtes im Zulassungsverfahren<br />

nach §§ 111g und 111h StPO antragsberechtigt ist, wird an anderer Stelle behandelt 355 .<br />

348<br />

Vgl. hierzu Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 63.<br />

349<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 66.<br />

350<br />

Angelehnt an BGH, Urteil vom 06.02.2001, 5 StR 571/00.<br />

351<br />

Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 21.<br />

352<br />

Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 22.<br />

353<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 71.<br />

354<br />

Fischer, StGB, 59. Auflage 2012 § 73 Rn. 21 und 23.<br />

355 Vgl. Teil III, 3., 3.2, 3.2.2, II. b. bb.<br />

101


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Einschränkungen sind des Weiteren nach Sinn und Zweck der Vorschrift bei einem Tatbeteiligten zu<br />

machen, welcher, gesamtschuldnerisch haftend, den Verletzten entschädigt hat und nunmehr im Innenverhältnis<br />

einen Mittäter in Anspruch nimmt 356 .<br />

Ferner steht § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB der Anordnung von Verfall von Wertersatz bei eingesetztem<br />

Scheinkaufgeld nicht entgegen, da der öffentlichen Hand eigenständige Ersatzansprüche, die eine<br />

Kompensation ihrer verletzten Interessen gewährleisten sollen, nicht zur Verfügung stehen 357 .<br />

Im Bereich der Korruption ist die Rechtslage komplexer 358 .<br />

Frage:<br />

Warum scheidet der Dienstherr als Verletzter aus?<br />

Grundsätzlich ist der Dienstherr des Amtsträgers, gleich ob Beamter oder Angestellter im öffentlichen<br />

Dienst, nicht Verletzter i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, da die §§ 331 ff. StGB nicht das Vermögensinteresse<br />

der Anstellungskörperschaft, sondern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit des<br />

öffentlichen Dienstes unter Schutz stellen 359 .<br />

Desgleichen gilt, wenn der bestochene Amtsträger sich daneben noch wegen Untreue zu verantworten<br />

hat, weil dieser beispielsweise im Rahmen der Vergabe überteuerte Verträge zuließ 360 . So wäre vorliegend<br />

der Verfall des erhaltenen Bestechungsgeldes anzuordnen. Zwar hat der Amtsträger aus der<br />

Bestechlichkeit etwas erlangt, jedoch scheidet der Dienstherr aus den vorgenannten Gründen als Verletzter<br />

aus. Soweit der Bestochene desweiteren eine Untreue verwirklicht hat, erlangte er nicht „aus<br />

der Tat“, sondern nur „für die Tat“. Dies unterfällt aber schon vom Wortlaut her nicht dem Anwendungsbereich<br />

des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB.<br />

Im Übrigen steht dem Dienstherrn gegenüber dem Beamten auch kein (vorbehaltloser) Anspruch auf<br />

Herausgabe des von diesem erlangten Bestechungslohns zu, da es für einen solchen Anspruch in den<br />

Beamtengesetzen der Länder an einer Rechtsgrundlage fehlt 361 und ein auf § 71 Abs. 2 Satz 1 BBG<br />

i.d.F. vom 05. Februar 2009 (BGBl. I 160) gestützter Anspruch auf Herausgabe eines Vermögensvorteils,<br />

den ein Bundesbeamter in Bezug auf sein Amt angenommen hat, nur dann auch tatsächlich realisiert<br />

werden kann, wenn der Verfall nicht angeordnet worden ist 362 .<br />

Sofern allerdings erhaltene Bestechungsgelder nicht versteuert wurden, gehen in Anwendung des § 73<br />

Abs. 1 Satz 2 StGB die Ansprüche des Fiskalfiskus dem Justizfiskus vor 363 , welche bei der Bemessung<br />

des korruptiv Erlangten indessen auszunehmen sind 364 .<br />

Macht aber schließlich der Bestechungslohn zugleich den Schaden bzw. den Nachteil im Rahmen der<br />

Betrugs- und Untreuehandlung aus, das heißt korrespondiert der Betrugs- und Untreueschaden des<br />

Dienstherrn spiegelbildlich mit dem aus der Tat erlangten Vermögenszuwachs des Täters, so steht<br />

wegen des Grundsatzes des Verbots der Doppelinanspruchnahme der Schadensersatzanspruch des<br />

Dienstherrn einer Verfallsanordnung entgegen 365 .<br />

356<br />

Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 21.<br />

357<br />

BGH, Urteil vom 04.02.2009, 2 StR 504/08.<br />

358<br />

Vgl. Schmidt, wistra 2011, 321 (322 ff.)<br />

359<br />

Ständige Rspr. des BGH, so beispielsweise BGH, Urteil vom 24.06.2010, 3 StR 84/10 m.w.N.<br />

360<br />

BGH, Urteil vom 08.06.1999, 1 StR 210/99; BGH, Urteil vom 24.06.2010, 3 StR 84/10.<br />

361<br />

Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12.07.2000, 2 StR 43/00<br />

362<br />

BGH, Urteil vom 24.06.2010, 3 StR 84/10.<br />

363<br />

BGH, Beschluss vom 31.03.2008, 5 StR 631/07.<br />

364<br />

Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 22.<br />

365<br />

BGH, Urteil vom 06.02.2001, 5 StR 571/00; Urteil vom 11.05.2001, 3 StR 549/00.<br />

102


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Lösung Fall 28:<br />

Der Verfallsausspruch gegenüber Hu. ist vorliegend ausgeschlossen, da § 73 Abs. 1<br />

Satz 2 StGB einschlägig ist. Da der Schmiergeldanteil in das Gesamtprojektvolumen<br />

mit einkalkuliert war und damit die Hamburger Stadtentwässerung das Bestechungsgeld<br />

quasi finanziert hat, korrespondiert der Untreueschaden mit dem Zuwachs auf<br />

Täterseite, den dieser aus der Bestechlichkeit erlangt hat. Dies verdeutlicht auch die<br />

folgende Überlegung 366 : „Entschiede man nämlich hier die beiden - wirtschaftlich<br />

unmittelbar verknüpften – Sachverhaltsteile getrennt, dann würde dies zu einem mit<br />

dem Normzweck des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht zu vereinbarenden Ergebnis führen.<br />

Bei getrennter Würdigung hätte der Angeklagte Hu. zwar aus dem vorgelagerten<br />

Tatkomplex von Betrug und Untreue zu Lasten seiner Arbeitgeberin nichts erlangt,<br />

wäre aber seiner Arbeitgeberin nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 266 StGB zum<br />

Schadensersatz verpflichtet. Die spätere Annahme der Bestechungsgelder würde hingegen<br />

seine Arbeitsgeberin nicht schädigen. (...)“<br />

Die Anordnung des Verfalls würde daher – rechtswidrig - dazu führen, dass Hu. sowohl<br />

staatlicherseits als auch durch die Arbeitgeberin in Anspruch genommen werden<br />

könnte.<br />

Anders sind hingegen ähnlich gelagerte Konstellationen der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr<br />

nach § 299 StGB zu bewerten.<br />

Dem Arbeitgeber, der als Geschäftsherr des Bestochenen Verletzter der gewerblichen Bestechung ist,<br />

steht ein Anspruch auf Herausgabe der erlangten Bestechungsgelder nach §§ 687 Abs. 2, 681 Satz 2,<br />

667 BGB zu 367 .<br />

IV (Verletztenanspruch) aus der Tat<br />

Nicht nur die Ansprüche des originär Verletzten, sondern auch dessen Rechtsnachfolgers fallen unter<br />

das Tatbestandsmerkmal „ (...) dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, (...)“.<br />

Innerhalb des BGH ist der dabei zugrundezulegende Tatbegriff umstritten. Während der 5. Strafsenat<br />

sich vom prozessualen Tatbegriff löst und für entscheidend hält, ob eine zwingende innere Verknüpfung<br />

zwischen dem erlangten Vorteil und dem ersatzfähigen Schaden eines Dritten vorliegt 368 , orientiert<br />

sich der 3. Strafsenat am Tatbegriff i.S.d. § 264 StPO 369 .<br />

Der Streit ist jedoch eher unter akademischen Gesichtspunkten zu verstehen.<br />

Im Regelfall knüpft die Entstehung des Anspruches an die Verwirklichung des Straftatbestandes selbst<br />

an; der Anspruch muss aber nicht notwendigerweise durch die Straftat entstanden sein, sondern kann<br />

bereits vor der strafbaren Handlung bestanden und den Gegenstand der Straftat gebildet haben 370 .<br />

366<br />

Nach: BGH, Urteil vom 06.02.2001, 5 StR 571/00.<br />

367<br />

BGH, Beschluss vom 31.03.2008, 5 StR 631/07; vgl. hierzu auch Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und<br />

Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 74.<br />

368<br />

BGH, Urteil vom 06.02.2001, 5 StR 571/00.<br />

369<br />

BGH, Urteil vom 11.05.2001, 3 StR 549/00; so auch Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 21; Schmidt,<br />

Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage 2008, Bd. 3, § 73 Rn. 40.<br />

370<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 69.<br />

103


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Zusammenfassung<br />

Die Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, die nur die Konstellation des Erlangens aus<br />

der Tat erfasst, verfolgt die folgenden Zwecke:<br />

1. Ansprüche von Verletzten werden gegenüber staatlichen Ansprüchen privilegiert, um<br />

einen „Gläubigerwettlauf“ zu vermeiden.<br />

2. Der Verfallsbetroffene wird vor einer zweifachen Inanspruchnahme sowohl durch den<br />

Staat als auch durch den Verletzten geschützt.<br />

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und der wohl überwiegenden Auffassung in der<br />

Literatur stellt § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, der sich streng zivilakzessorisch verhält, auf den<br />

abstrakten Bestand des Anspruchs und nicht auf dessen tatsächliche Geltendmachung<br />

ab.<br />

Verletzter i.S. des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist eine durch die Tat individuell geschädigte<br />

natürliche oder juristische Person oder Personenvereinigung.<br />

Auch Rechtsnachfolger des unmittelbar Verletzten, wie etwa (Hausrat-)Versicherungen<br />

etc., sind Verletzte im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB.<br />

Grundsätzlich ist der Dienstherr des Amtsträgers, gleich ob Beamter oder Angestellter im<br />

öffentlichen Dienst, nicht Verletzter i.S.d, § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, da die §§ 331 ff. StGB<br />

nicht das Vermögensinteresse der Anstellungskörperschaft, sondern das Vertrauen der<br />

Allgemeinheit in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes schützen. Dies ist nur dann anders<br />

zu beurteilen, wenn das Schmiergeld in die Gesamtkosten mit einkalkuliert war.<br />

104


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

10. Verfahrensrecht<br />

Die §§ 111b Abs. 5, 111g, 111h und § 111i StPO bilden im Rahmen des Verfahrensrechts<br />

das „Herzstück“ der Rückgewinnungshilfe.<br />

Während § 111b Abs. 5 StPO als Ermessensnorm Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO zu<br />

Gunsten des Tatverletzten erlaubt, wird dieser zudem über die §§ 111g, 111h StPO gegenüber sonstigen<br />

Gläubigern des Betroffenen in bestimmter Weise privilegiert. Schließlich lässt § 111i Abs. 2 – 8<br />

StPO sowohl im subjektiven als auch objektiven Verfahren den staatlichen Auffangrechtserwerb fakultativ<br />

zu, wenn trotz erfolgter Beschlagnahmen oder Arretierungen der Verletzte untätig geblieben ist<br />

oder aber Sicherung in nicht hinreichender Weise erfahren hat, da anderenfalls die Vermögenswerte<br />

wieder herausgegeben werden müssten.<br />

Hieraus ergeben sich vielfältige Fragestellungen, die nicht nur am Willen des nationalen Gesetzgebers<br />

insbesondere vor dem Hintergrund des zuletzt verabschiedeten Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe<br />

und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24.10.2006, sondern auch an den<br />

diesbezüglich relevanten Rechtsetzungsakten des Rates der Europäischen Union zu messen sind 371 .<br />

371 Vgl. hierzu die Ausführungen unter dem 6. Teil „Internationale Vermögensabschöpfung“; vgl. auch Lohse,<br />

AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 20 im Zusammenhang mit dem Gebot der rahmenbeschlusskonformen<br />

Auslegung der europarechtlichen Vorgaben.<br />

105


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

10.1 Voraussetzungen der Rückgewinnungshilfe<br />

Fall 29:<br />

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die von einer örtlichen Steuerfahndungsstelle<br />

und der Polizei unterstützt werden, richten sich gegen eine international agierende<br />

Tätergruppe, welche dringend tatverdächtig ist, im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells<br />

zu Unrecht Vorsteuererstattungen in Millionenhöhe realisiert zu haben.<br />

Hiervon betroffen sind sowohl in- als auch ausländische Finanzämter in Frankreich,<br />

Belgien und Luxemburg.<br />

Die auch im Wege der justiziellen Rechtshilfe im EU-Raum durchgeführten Finanzermittlungen<br />

haben Hinweise auf Legalvermögen der Haupttäter sowohl im In- als auch<br />

im EU-Ausland ergeben.<br />

Sind vor diesem Hintergrund Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO geboten?<br />

Frage:<br />

Wann ist die Ermessensentscheidung anhand des Einzelfalls eröffnet?<br />

§ 111b Abs. 5 StPO bestimmt, dass die Absätze 1 bis 4 entsprechend gelten, soweit der Verfall nur<br />

deshalb nicht angeordnet werden kann, weil die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB vorliegen.<br />

Die Ermessensentscheidung anhand der Umstände des Einzelfalls 372 ist daher ausschließlich dann<br />

eröffnet, wenn eine natürliche oder juristische Person oder sonst geschützte Personenvereinigung<br />

durch eine Straftat individuell verletzt ist und daneben die sonstigen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1<br />

Satz 2 StGB erfüllt sind.<br />

Bei der Ermessensausübung sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die Belange des Opferschutzes,<br />

aber auch die tatsächlichen respektive rechtlichen Möglichkeiten des Verletzten zur Durchsetzung<br />

seiner Ansprüche, ferner die Höhe des Schadens, die Zahl der Verletzten und deren bisheriges Verhalten<br />

und darüber hinaus der (Verfolgungs-)Aufwand, die Möglichkeiten der Verfahrensbeschränkung<br />

nach §§ 154 ff. StPO und die Option des späteren Auffangrechtserwerbs nach § 111i Abs. 2 – 8 StPO<br />

– unter differenzierender Gewichtung der einzelnen Aspekte - in den Blick zu nehmen 373 .<br />

Bei einem dinglichen Arrest, der den Zugriff auf das Legalvermögen des Arrestbetroffenen erlaubt und<br />

daher als besonders eingriffsintensiv aufzufassen ist, bestehen dabei erhöhte Anforderungen insbesondere<br />

in verfassungsrechtlicher Hinsicht 374 . Die neben der Inzidenterprüfung der maßgeblichen<br />

Normen des materiellen Rechts notwendige Abwägung der ermessensleitenden Umstände ist somit<br />

komplex. Sie verlangt ein genaue Analyse der relevanten Faktoren sowohl in tatsächlicher als auch<br />

rechtlicher Hinsicht unter Abkehr gängiger Klischees und Vorurteile.<br />

Die Notwendigkeit einer solch umfassenden Ermessensausübung kommt insbesondere bei Verfahren<br />

unter Beteiligung von „starken Verletzten“ wie Finanzämtern oder großen Unternehmen mit eigener<br />

Rechtsabteilung zum Tragen.<br />

372 Schlachetzki, wistra 2011, 41 (47).<br />

373 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 19 ff. und § 111d Rn. 6 m.w.N.; Malitz, NStZ<br />

2002, 337 (338 ff.); Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; Schlachetzki, wistra 2011, 41 (44 ff.).<br />

374 Vgl. Teil II, 2., 2.1, 2.1.1<br />

106


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Nach einer Mindermeinung scheiden Sicherungsmaßnahmen zugunsten der Finanzverwaltung<br />

bereits deswegen aus, weil der Fiskus rein abstrakt betrachtet über die<br />

Möglichkeit verfügt, im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes über dingliche Arreste<br />

nach §§ 324 ff. AO eigene Ansprüche zu verfolgen 375 .<br />

Dieses Argument trifft indes auf jeden beliebigen Verletzten zu und verschließt des<br />

Weiteren den Blick vor rechtlichen Unterschieden zwischen StPO- und AO-Arrest.<br />

Die gewichtigste Divergenz liegt diesbezüglich darin begründet, dass der StPO-Arrest<br />

gegenüber dem Arrest nach der AO, welcher die überwiegende Wahrscheinlichkeit<br />

der späteren Fälligkeit des Fiskalanspruchs voraussetzt 376 , mithin geringere Anforderungen<br />

an den Verdachtsgrad stellt 377 .<br />

Weitere Abweichungen ergeben sich daraus, dass der Titel nach §§ 324 ff. AO zwingend<br />

schriftlich abzufassen ist (§ 324 Abs. 2 Satz 2 AO) und für den Erlass des Arrestes<br />

nur ein Organ funktionell zuständig ist, nämlich der Vorsteher des für die Steuerfestsetzung<br />

zuständigen Finanzamtes 378 , während im Strafverfahrensrecht in Eilfällen<br />

die Anordnung nicht nur mündlich, sondern neben dem Richter auch durch Beamte<br />

der Staatsanwaltschaft vorgenommen werden kann.<br />

Rechtlich relevante Abweichungen lassen sich schließlich auch bei der Vollziehung der<br />

Titel konstatieren. So gibt § 324 Abs.2 Satz 1 AO die Zustellung der Arrestanordnung<br />

als Regelfall vor und zwar gem. § 324 Abs. 3 Satz 1 AO binnen eines Monats nach<br />

der Unterzeichnung des Titels. Sollte demgegenüber von der Option des § 324 Abs. 3<br />

Satz 2 StPO, der die Vollziehung des Arrestes vor dessen Zustellung erlaubt, Gebrauch<br />

gemacht worden sein, so ist die Vollstreckung ohne Wirkung, wenn die Zustellung<br />

nicht innerhalb einer Woche nach der Vollziehung und innerhalb eines Monats<br />

seit der Unterzeichnung erfolgt (§ 324 Abs. 3 Satz 2 AO). Darüber hinaus sind<br />

Besonderheiten beim Rechtsschutz gegen einen AO-Arrest dergestalt denkbar, dass<br />

divergierende Rechtsmittel, zum einen bei den Finanz- und zum anderen bei den Zivilgerichten<br />

statthaftsein können 379 .<br />

Neben diesen rechtlichen Erwägungen sind auch die Gründe des Einzelfalls im Tatsächlichen<br />

nicht unberücksichtigt zu lassen. Man denke etwa an Fälle von Auslandsvollstreckungen<br />

insbesondere entsprechend Artikel 16 und 17 der Richtlinie<br />

2010/24/EU des Rates vom 16. März 2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von<br />

Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen 380<br />

bei einem länderübergreifend aufgebauten Umsatzsteuerkarussell unter Einbindung<br />

mehrerer nationaler Finanzämter, infolgedessen ein erhöhter Koordinierungsbedarf<br />

besteht.<br />

375 So etwa LG Mannheim, Beschluss vom 21.12.2006, 25 Qs 14/06; ähnlich auch LG Berlin, Beschluss vom<br />

06.03.2006, 526 Qs 47-49/06; vgl. hierzu auch Zöllner, Pahlke/König, AO, 2. Auflage 2009, § 324 Rn. 8 m.w.N.<br />

376 Zöllner, Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage 2009, § 324 Rn. 8.<br />

377 Vgl. hierzu OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.09.2010, 1 Ws 504/10; Theile, StV 2009, 161 ff.<br />

378 Zöllner, Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage 2009, § 324 Rn. 16.<br />

379 Vgl. Zöllner, Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage 2009, §§ 281 Rn. 20, § 322 Rn. 29 ff. und § 324 Rn. 31 ff.<br />

380 EU-Amtsblatt Nr. L 084 vom 31/03/2010 S. 0001 – 0012; vgl. hierzu auch Artikel 1 des BeitrRLUmsG vom<br />

07.12.2011 (BGBl. Teil I 2011 Nr. 64 13.12.2011 S. 2592) und BMF-Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe<br />

bei der Steuererhebung (Beitreibung); Stand: 1. Juli 2011, vom 29. Februar 2012, GZ IV B 6 – S<br />

1320/07/10011: 010.<br />

107


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Es gilt daher nach herrschender Meinung,<br />

das Konkurrenzverhältnis einzelfallabhängig in der Weise aufzulösen, dass Sicherungsmaßnahmen<br />

nach §§ 111b ff. StPO nur dann ausscheiden, wenn sowohl tatsächlich<br />

als auch rechtlich betrachtet Verletzte aus Straftaten aufgrund ihres eigenen<br />

Kenntnisstandes selbst in der Lage sind, ebenso zeitnah zu eigenen wenigstens vorläufig<br />

vollstreckbaren Titeln zu gelangen sowie darauf basierend gleich effektive Sicherungsmaßnahmen<br />

durchzuführen 381 , mithin ohne Gefahr zu laufen, dass ihr Zugriff<br />

durch vorheriges Täterhandeln vereitelt oder wesentlich erschwert würde.<br />

Um Missverständnissen vorzubeugen: Diese Konkurrenzproblematik ist nur ein, wenn auch besonders<br />

zu gewichtender Aspekt in der gebotenen Gesamtbetrachtung. Selbst wenn also ein Verletzter gleich<br />

aus welchen Gründen nicht die Möglichkeit zu eigenen gleich effektiven Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

hat, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass Rückgewinnungshilfe nach §§ 111b ff. StPO zu<br />

leisten wäre.<br />

Hat aber umgekehrt ein Verletzter bereits einen eigenen Titel erwirkt und daraus die Zwangsvollstreckung<br />

betrieben, fehlt es an dem erforderlichen qualifizierten Sicherstellungsbedürfnis 382 .<br />

Die aus dem Jahre 2005 stammende Entscheidung des BVerfG 383 , die insoweit auch die Untätigkeit<br />

des Geschädigten während des Ermittlungsverfahrens berücksichtigt, dürfte infolge der Einführung<br />

des § 111i StPO zum 01.01.2007 entsprechend zu relativieren sein.<br />

381 So etwa OLG Oldenburg, Beschluss vom 26.11.2007, 1 Ws 554/07; OLG Celle, Beschluss vom 20.05.2008, 2<br />

Ws 155/08; OLG Hamm, Beschluss vom 31.03.2009, 2 Ws 69/09; ähnlich auch Schmidt, Gewinnabschöpfung<br />

im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 1154 f.<br />

382 Vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 13.11.2003, 620 Qs 99/103; so auch Webel, wistra 2004, 249 ff.<br />

383 BVerfG, Beschluss vom 07.06.2005, 2 BvR 1822/04.<br />

108


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Fall 29:<br />

Lösung Fall 29:<br />

Der vorliegende Fall verdeutlicht noch einmal die Notwendigkeit, die im Rahmen der<br />

Ermessensausübung relevanten Aspekte zunächst voneinander getrennt zu prüfen<br />

und sodann eine Gesamtabwägung vorzunehmen.<br />

Grundsätzlich verfügt die Finanzverwaltung über die Möglichkeit, mittels von Arresten<br />

nach §§ 324 ff. AO eigene Ansprüche gegen den originären Steuerschuldner sowie<br />

den Haftungsschuldner (vgl. auch § 219 Satz 2 AO) im Wege der Zwangsvollstreckung<br />

zu verfolgen.<br />

Da gegen die Tätergruppe dringender Tatverdacht besteht und der Finanzverwaltung<br />

infolge der überwiegend durch die Steuerfahndung durchgeführten Sachermittlungen<br />

insoweit auch der für das Arrestverfahren erforderliche Kenntnisstand zugerechnet<br />

werden kann, dürften die für den Erlass dinglicher Arreste nach §§ 324 ff. AO notwendigen<br />

tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen zunächst vorliegen.<br />

Dies gilt desgleichen für den Fall im Vorfeld durchgeführter TKÜ-Maßnahmen, deren<br />

Erkenntnisse nach neuer Rechtslage nach § 393 Abs. 3 AO nunmehr auch im Fiskalverfahren<br />

verwertet werden dürfen.<br />

Demgegenüber ist hier das „Wie“, also die Frage nach der Effektivität von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

der Finanzverwaltung im In- und Ausland problematisch.<br />

So stellt sich die Frage, ob die im Wege der justiziellen Rechtshilfe gewonnenen Erkenntnisse<br />

zum Verbleib von Vermögenswerten im Ausland überhaupt im Fiskalverfahren<br />

nach §§ 324 ff. AO verwendet werden dürfen. Dies erscheint nicht zuletzt infolge<br />

des „Spezialitätsgrundsatzes“ (vgl. § 59 Abs. 2 IRG) zweifelhaft, da die Rechtshilfe<br />

nur in strafrechtlichen Angelegenheiten vorgenommen wurde und aufgrund dessen<br />

die Erkenntnisse lediglich im Ermittlungs- bzw. Strafverfahren unmittelbar verwertet<br />

werden dürfen.<br />

Vor allem aber dürfte über Maßnahmen nach §§ 111b ff. StPO in einer Hand eine<br />

bessere Koordination der Sicherungsmaßnahmen sowie eine zeitnahe Verwertung<br />

von Erkenntnissen, die im Rahmen anderer prozessualer Maßnahmen am Einsatztag<br />

zuvor aktuell gewonnen werden, gewährleistet sein.<br />

10.2 Verfahren nach ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen<br />

10.2.1 „Kleine“ Rückgewinnungshilfe nach § 111k StPO<br />

Die Regelung des § 111k StPO beschränkt sich auf bewegliche Sachen, welche nach § 94 StPO beschlagnahmt<br />

bzw. sonst sichergestellt oder nach § 111c Abs. 1 StPO beschlagnahmt worden sind und<br />

für das Strafverfahren nicht mehr benötigt werden.<br />

Darüber hinaus soll eine Herausgabe der durch die Straftat entzogenen Sache an den Verletzten nur<br />

dann erfolgen, wenn dieser bekannt ist und Ansprüche Dritter, wozu auch Täter oder Teilnehmer zählen<br />

können, nicht entgegenstehen. Die nach § 111f StPO rechtsmittelfähige Entscheidung obliegt<br />

grundsätzlich der Staatsanwaltschaft; ist das Recht des Verletzten nicht offenkundig, kann diese damit<br />

aber auch das Gericht befassen.<br />

Der Anwendungsbereich der Vorschrift liegt damit in erster Linie bei einfach gelagerten Eigentumsdelikten.<br />

Problematisch sind hingegen Konstellationen, dass zugleich Dritte(r) und Verletzter als (berechtigte)<br />

Empfänger der sichergestellten Gegenstände in Frage kommen, ohne dass deren Ansprüche offensichtlich<br />

begründet sind<br />

109


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

10.2.2 Zwangsvollstreckung durch Verletzten und Zulassungsverfahren nach §§ 111g,<br />

111h StPO<br />

Fall 30:<br />

In einem Ermittlungsverfahren werden A. sowohl Einkommens-, Gewerbe- sowie Umsatzsteuerhinterziehung<br />

infolge der Falschabgabe der betreffenden Erklärungen für<br />

das Jahr 2009 als auch Betrug zur Last gelegt. Die Steuerhinterziehung beläuft sich<br />

auf insgesamt 100.000,- Euro; der aus den Betrugstaten resultierende Schaden, verteilt<br />

auf zehn Geschädigte (à 10.000,- Euro), beträgt ebenfalls 100.000,- Euro.<br />

Die Staatsanwaltschaft entschließt sich nach polizeilichen Finanzermittlungen dazu,<br />

gegen A. einen dinglichen Arrest über 200.000,- Euro zu erwirken, der vom Amtsgericht<br />

antragsgemäß erlassen wird.<br />

Im Zuge der Vollziehung des Arrestes können bei A. Vermögenswerte im Umfang von<br />

150.000,- Euro sichergestellt werden.<br />

Nach Benachrichtigung der Verletzten erlässt zunächst das Finanzamt vorläufig<br />

vollstreckbare Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuerbescheide für das Jahr<br />

2009, die sich neben der Hauptforderung auf insgesamt 115.000,- Euro inklusive<br />

Säumniszuschläge und Hinterziehungszinsen 384 belaufen. Nachfolgend betreibt das<br />

Finanzamt nicht nur aus diesen Bescheiden, sondern desgleichen aus dem ESt-<br />

Bescheid des Jahres 2008 in Höhe von 50.000,- Euro die Zwangsvollstreckung in die<br />

vorläufig bei A. gesicherten Vermögenswerte.<br />

Während vier der (Betrugs-)Geschädigten (G7 – G10) aus Angst, ihre investierten<br />

Anlagesummen könnten als „Schwarzgeld“ identifiziert werden, zunächst untätig bleiben,<br />

werden die übrigen sechs Tatverletzten (G1 – G6) aktiv, indem sie gegen A.<br />

Versäumnisurteile erwirken.<br />

Auf anwaltlichen Rat hin beantragt G1 zunächst die Zulassung zur Zwangsvollstreckung,<br />

während G2, G3, G4, G5 und G6 hingegen die Versäumnisurteile in die Sicherungsmasse<br />

vollstrecken. Erst danach beauftragt auch G1 einen Gerichtvollzieher, der<br />

dessen Versäumnisurteil entsprechend vollzieht. Schließlich werden auch G2, G3, G4,<br />

G5 und G6 zur Zwangsvollstreckung zugelassen.<br />

Gegen den Beschluss des Amtsgerichts, auch dem Zulassungsantrag des Finanzamtes<br />

zu entsprechen, hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde eingelegt.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

I Benachrichtigung nach § 111e Abs. 3 und 4 StPO<br />

Der Tatverletzte selbst ist gehalten, eigene Titel zu erwirken und diese in die durch die Staatsanwaltschaft<br />

im Wege der Rückgewinnungshilfe vorläufig gesicherten Vermögenswerte des Beschlagnahme-<br />

oder Arrestbetroffenen zu vollstrecken.<br />

Um dies zu ermöglichen, ist der Geschädigte zunächst über den Vollzug der Beschlagnahme oder des<br />

Arrestes zu informieren.<br />

Die dementsprechend in § 111e Abs. 3 und 4 StPO normierte Pflicht der Benachrichtigung, welche<br />

unverzüglich nach Vollzug der Sicherungstitel zu erfolgen hat, kann auf unterschiedliche Art umgesetzt<br />

werden, entweder individuell (§ 111e Abs. 3 StPO) oder generell-abstrakt (§ 111e Abs. 4 StPO), wenn<br />

Verletzte nicht bekannt sind oder aber die individuelle Benachrichtigung mit einem unverhältnismäßig<br />

hohen Aufwand verbunden wäre.<br />

In der Praxis wird bei § 111e Abs. 4 StPO entsprechend der fakultativen Vorgabe des § 111e Abs. 4<br />

Satz 1 StPO üblicherweise der elektronische Bundesanzeiger eingesetzt, wobei alternativ 385 oder ku-<br />

384 Vgl. hierzu Koenig, Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage 2009, § 240 AO Rn. 4.<br />

385 Vgl. Wortlaut des § 111e Abs. 4 Satz 1 StPO: „(...) kann (...)“.<br />

110


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

mulativ 386 , abhängig von den Umständen des Einzelfalls, auch andere Medien verwandt werden können,<br />

beispielsweise lokale respektive überregionale Zeitungen oder polizeilich aufgebaute Internetseiten,<br />

zugänglich nur den Verletzten im Zusammenhang mit einem bestimmten Ermittlungsverfahren.<br />

Sinn und Zweck des § 111e Abs. 3 und 4 StPO erlauben eine großzügige Auslegung der gesetzlichen<br />

Vorgabe der unverzüglichen Benachrichtigung dergestalt, dass zumindest der Eingang von Drittschuldnererklärungen<br />

oder Eintragungsmitteilungen von Grundbuchämtern, ggf. sogar die Beantwortung<br />

von Rechtshilfeersuchen um vorläufige Sicherungsmaßnahmen im Ausland abgewartet werden<br />

können 387 .<br />

Für die Benachrichtigung verantwortlich ist ausschließlich die Staatsanwaltschaft; die funktionelle Zuständigkeit<br />

obliegt dem staatsanwaltschaftlichen Dezernenten des Verfahrens und nicht dem Rechtspfleger,<br />

da § 31 RPflG hierfür keine ausdrückliche Zuweisung enthält.<br />

Neben einer hinlänglich konkreten Beschreibung des Verfahrensgegenstandes in sachlicher, personeller<br />

und zeitlicher Hinsicht sollte die Benachrichtigung inhaltlich vor allen Dingen eine Auflistung der bis<br />

dahin ausgebrachten Beschlagnahmen respektive Pfändungen enthalten, welche dem Verletzten die<br />

zielgerichtete, kostenadäquate Zwangsvollstreckung gestattet.<br />

Eine diesbezügliche Aufstellung sollte nicht weniger als die folgenden Angaben bzw. Differenzierungen<br />

aufweisen:<br />

Hinweis auf vollzogene Beschlagnahmeanordnung oder vollzogenen dinglichen Arrest<br />

Zeitpunkt der staatlichen Maßnahme<br />

Personenbezogene Aufschlüsselung nach Täter, Teilnehmer, Drittempfänger etc. (= Schuldner)<br />

unter Beachtung der Vorgaben des § 111e Abs. 4 Satz 3 StPO<br />

Differenzierung nach Art des beschlagnahmten oder gepfändeten Vermögens: Mobiliar- oder<br />

Immobiliarvermögen; Sachpfändung, Forderungspfändung, Eintragung einer Arresthypothek etc.<br />

Genaue Bezeichnung der Vermögensposition, etwa Pkw nach Marke, Baujahr, FIN, amtliches<br />

Kennzeichen, oder Arresthypothek in Höhe von in Abt. III, Grundbuch beim AG, Gemarkung,<br />

Blatt etc.<br />

Benennung des Drittschuldners mit Anschrift<br />

(Nomineller) Wert der einzelnen Vermögensposition (ggf. in Verbindung mit abgegebener Drittschuldnererklärung)<br />

Verbleib der einzelnen Vermögenspositionen (Asservatenraum, Einzahlung bei Gerichtskasse oder<br />

Hinterlegung unter Angabe von Buchungsnummer bzw. Aktenzeichen der Hinterlegungsstelle;<br />

Verwahrer; dem Beschuldigten belassen etc.)<br />

Darüber hinaus können Aktualisierungen angebracht sein, etwa bei der Sicherung weiterer, erst später<br />

entdeckter Vermögenswerte oder nach erfolgreichen Auslandsvollstreckungen, die erfahrungsgemäß<br />

durch den ersuchten Staat erst im Nachgang mitgeteilt werden, ferner bei erfolgten Notveräußerungen<br />

nach § 111l StPO im Hinblick auf Erfolg der Maßnahme und die näheren Modalitäten des zu hinterlegenden<br />

Erlöses sowie in Bezug auf den Stand der Aktivitäten der Verletzten selbst und des Zulassungsverfahrens,<br />

um dem geschützten Personenkreis zu ermöglichen, die Vollstreckungsaussichten<br />

beurteilen zu können 388 .<br />

Neben einer derart spezifizierten Vermögensaufstellung sollte die Benachrichtigung darüber hinaus<br />

ggf. im Rahmen eines eigenständigen Merkblatts grundsätzliche Angaben zum Ablauf des Rückgewinnungshilfeverfahrens<br />

dergestalt enthalten,<br />

dass der Verletzte selbst zivilprozessual tätig werden muss,<br />

dass eine Verteilung der gesicherten Vermögenswerte nach insolvenzrechtlichen Maßstäben nicht<br />

stattfindet,<br />

dass keine Garantie auf Seiten der Staatsanwaltschaft für die Werthaltigkeit des gesicherten<br />

Vermögens übernommen wird,<br />

dass die zivilprozessualen Regularien nicht außer Kraft gesetzt sind,<br />

386 Vgl. § 111e Abs. 4 Satz 2 StPO.<br />

387 Vgl. hierzu auch Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111e Rn. 4.<br />

388 Vgl. hierzu auch Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111e Rn. 4.<br />

111


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

und schließlich zum rechtlichen Rahmen und der Bedeutung des Zulassungsverfahrens nach §§<br />

111g, 111h StPO.<br />

Die Benachrichtigung könnte beispielhaft folgendermaßen aufgebaut sein:<br />

„Ermittlungsverfahren gegen… wegen…<br />

hier: Vorläufige Sicherung von Vermögenswerten zugunsten von Tatverletzten nach §§ 111b ff. StPO<br />

Anlagen:<br />

Auflistung der vorläufig sichergestellten Vermögenswerte<br />

Merkblatt „Wichtige verfahrenstechnische Hinweise für Tatverletzte“<br />

Sehr geehrte Damen und Herren!<br />

Bei der Staatsanwaltschaft …. ist unter dem vorgenannten Aktenzeichen ein Ermittlungsverfahren gegen<br />

die o.a. Beschuldigten wegen des Verdachts des/der … anhängig.<br />

Dem Verfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:<br />

…<br />

Möglicherweise wurden auch Sie entsprechend geschädigt, weshalb Ihnen zivilrechtliche Schadensersatz-<br />

/Rückzahlungsansprüche zustehen könnten.<br />

Vor diesem Hintergrund hat auf Betreiben der Staatsanwaltschaft …. das Amtsgericht … am … einen Beschlagnahmebeschluss/Dinglichen<br />

Arrest, Aktenzeichen …, gegen den Beschuldigten … /Drittempfänger …<br />

etc. erlassen, in dessen Vollziehung die in der/den Anlage(n) bezeichneten Vermögenswerte vorläufig gesichert<br />

wurden.<br />

Beachten Sie in diesem Zusammenhang bitte, dass eine Garantie zu den Angaben das gesicherten Vermögen<br />

bzw. dessen Werthaltigkeit nicht übernommen werden kann, da diese zum Teil lediglich auf den Erklärungen<br />

der Drittschuldner beruhen. Ebenso verhält es sich für die tatsächliche Zugehörigkeit von sichergestellten<br />

Gegenständen, Forderungen und anderen Rechten.<br />

Die anliegende Benachrichtigung dient nach § 111e Abs. 3 StPO dem Zweck, Ihnen und weiteren Tatgeschädigten<br />

die Möglichkeit zu eröffnen, etwaige zivilrechtliche Ansprüche gegen den Beschuldigten …<br />

/Drittempfänger … etc. (Schuldner) zu prüfen und ggf. auf die sichergestellten, in der/den Anlage(n) bezeichneten<br />

Vermögenswerte im Rahmen der zivilrechtlichen Zwangsvollstreckung Zugriff zu nehmen.<br />

Zur Vorgehensweise im Einzelnen darf ich auf das beigefügte Hinweisblatt verweisen.<br />

Hochachtungsvoll<br />

…“<br />

112


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Zur Auflistung der sichergestellten Vermögenswerte:<br />

A. Bewegliche Gegenstände<br />

Lfd. Nr. Gegenstand Eigentümer Ort der Aufbewahrung (Schätz-)Wert<br />

Genaue Beschreibung Hälftiges Eigentum ist Staatsanwaltschaft, Polizei, - Gutachten bei Pkw,<br />

ggf. unter Angabe einer auch aufzuführen! GV, sonstige (Privat-)Stellen Kostbarkeiten<br />

Individualnummer mit genauer Anschrift! - (Kauf-)Belege<br />

- Bargeld<br />

B. Forderungen und andere Vermögensrechte<br />

Lfd. Nr. Drittschuldner Forderung/Recht Nähere Bezeichnung Höhe Drittschuldnererklärung<br />

(Privat-) oder juristische Forderungs-/Rechts- - Herausgabeanspruch Gepfändet am … - DSE ja/nein<br />

Person, Firma, Bank, inhaber - Rückübertragungsanspruch in Höhe von … - Anerkennung in Höhe von ?<br />

Versicherung, Gerichts- - Ansprüche aus Lebensvers.<br />

kasse, Hinterlegungsstelle - Forderung aus Geschäftsmit<br />

Anschrift und Akten- verbindung<br />

zeichen o.ä. (Konto-, Versicherungs-<br />

Nr.; BLZ)<br />

C. Schiffe / Luftfahrzeuge<br />

Lfd. Nr. Lage/Anschrift Beschreibung Eigentümer Register/Sicherungsort (Schätz-)Wert<br />

Adresse Gegenstand, Marke, Typ, Eigentümer laut Schiffsregister/ Registereintragung, - (Geschätzter) Wert<br />

Kennzeichen Registerpfandrecht für Luft- Belastungen - Arresthypothek in Höhe von …<br />

fahrzeuge<br />

D. Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte<br />

Lfd. Nr. Lage/Anschrift/Art des Grundstücks Eigentümer in Abt. I Vorgenommene Sicherungen in Abt. II/III (Schätz-)Wert<br />

Grundbuch von … , - Eigentümer - Beschlagnahmevermerk in Abt. II<br />

Amtsgericht … , - Belastungen in Abt. II/III - Arresthöchstbetragssicherungshypothek in<br />

Blatt … unter lfd. Nr. …, Abt. III in Höhe von …<br />

Gemarkung … , Flur … , Flurstück …<br />

113


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Zum Merkblatt: Wichtige verfahrenstechnische Hinweise für Geschädigte:<br />

Die Staatsanwaltschaft … hat in der vorliegenden Strafsache neben den Strafverfolgungsermittlungen<br />

zugunsten der Tatverletzten auch die in der Anlage aufgeführten<br />

Vermögenswerte gemäß §§ 111 b ff StPO vorläufig gesichert, um Vermögensverschiebungen<br />

zu verhindern. Die staatlichen Sicherungsmaßnahmen sollen den Tatverletzten<br />

die Möglichkeit eröffnen, ihre Ansprüche in das gesicherte Vermögen vollstrecken zu<br />

können.<br />

Bitte beachten Sie, dass Sie als Tatverletzter selbst aktiv werden müssen!<br />

Auf die von der Staatsanwaltschaft … vorläufig gesicherten Vermögenswerte können<br />

Sie lediglich im Wege der zivilrechtlichen Zwangsvollstreckung Zugriff nehmen.<br />

Voraussetzung für jegliche Zwangsvollstreckungsmaßnahme ist, dass Sie einen<br />

vollstreckbaren zivilrechtlichen Titel gegen den Schuldner erwirken. Als solcher kommen<br />

Urteile, Vergleiche oder auch ein notarielles Schuldanerkenntnis in Betracht. Ausreichend<br />

ist auch ein dinglicher Arrest gem. §§ 916 ff. ZPO als vorläufig vollstreckbarer<br />

Titel.<br />

Auf Grundlage eines solchen Titels können Sie in das bereits durch die Staatsanwaltschaft<br />

vorläufig gesicherte Vermögen die Zwangsvollstreckung betreiben.<br />

Das in der Zwangsvollstreckung gemäß § 804 Abs. 3 ZPO herrschende Prioritätsprinzip<br />

gilt auch in diesem Verfahren ohne Einschränkung. Dies bedeutet, dass das durch eine<br />

frühere Pfändung begründete Pfandrecht demjenigen vorgeht, das durch eine spätere<br />

Pfändung begründet wird. Eine Besonderheit ergibt sich aus §§ 111g, 111h StPO. Sie<br />

eröffnen ausschließlich den Tatverletzten nach durchgeführter Zwangsvollstreckung<br />

die Möglichkeit, in die Rangposition des Staates (der Staatsanwaltschaft) einzutreten.<br />

Hierzu ist es erforderlich, dass Sie nach vollzogener Pfändung gem. §§ 111g / h StPO<br />

beim zuständigen Gericht den Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung stellen.<br />

Mit der gerichtlichen Zulassung der Zwangsvollstreckung treten Sie in die Rangposition<br />

der Staatsanwaltschaft ein. Stellen mehrere Tatverletzte den Zulassungsantrag, so findet<br />

wiederum § 804 Abs. 3 ZPO mit der Konsequenz Anwendung, dass das früher begründete<br />

Pfandrecht dem späteren vorgeht.<br />

Die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen, verbunden mit dem Kostenrisiko,<br />

liegt stets im Ermessen der Tatverletzten. Die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen<br />

Verfahrens zur Durchsetzung Ihres Schadensersatzanspruches oder Rückzahlungsanspruches<br />

sowie die damit verbundene Kosten-Nutzen-Frage können Sie ggf. mit einem<br />

Rechtsanwalt Ihrer Wahl erörtern. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass weder<br />

Staatsanwaltschaft noch Polizei Ratschläge zum Verfahren oder Auskünfte zu den Erfolgsaussichten<br />

geben können. Bitte sehen Sie daher von entsprechenden Rückfragen<br />

ab.<br />

Nicht ausreichend ist die bloße Anmeldung der Forderung bei der Staatsanwaltschaft.<br />

Ein solches Vorgehen entfaltet keinerlei Rechtswirkung!<br />

Wenden Sie sich daher bitte ggf. an einen Rechtsanwalt!<br />

Wichtig ist dabei, dass die Individualbenachrichtigung mehrerer Verletzter zeitgleich erfolgt, um die<br />

Chancengleichheit zu wahren 389 , denn im Verhältnis der Verletzten untereinander gilt das Prioritätsprinzip<br />

390 .<br />

II Zulassungsverfahren nach §§ 111g, 111h StPO<br />

a. Einleitung<br />

Die §§ 111g, 111h StPO sind für die Rückgewinnungshilfe von besonderer Bedeutung, privilegieren sie<br />

doch den Tatverletzten gegenüber dem sonstigen Gläubiger, indem vollstreckungsrechtlich gesehen<br />

der Verletzte nach erfolgreicher Zulassung vom Rang her an die Stelle des Staates rückt. Auf diese<br />

Weise können nicht nur etwaige in der Zwischenzeit vom Täter oder sonst Beschlagnahme- oder Ar-<br />

389 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111e Rn. 4.<br />

390 BGH, Urteil vom 06.04.2000, IX ZR 442/98.<br />

114


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

restbetroffenen vorgenommene Verfügungen, sondern auch Pfändungen von Allgemeingläubigern<br />

keine zum Nachteil des geschützten Personenkreises betreffende Wirkung entfalten.<br />

Die gesetzliche Formulierung „Zulassung zur Zwangsvollstreckung“ bzw. „Rangänderung“ in §§ 111g<br />

Abs. 2 Satz 1 und 111h Abs. 2 Satz 1 StPO ist dabei nicht in der Weise auszulegen, dass die Zwangsvollstreckung<br />

des Tatverletzten vom Zulassungsbeschluss abhängig wäre.<br />

Ganz im Gegenteil: Da im Verhältnis der Tatgeschädigten untereinander das Prioritätsprinzip gilt (vgl.<br />

oben), kann jedem Verletzten nur angeraten sein, schnellstmöglich entsprechende Schritte einzuleiten,<br />

da die Sicherungsmasse in der Regel nicht ausreicht, um alle Ansprüche zu befriedigen 391 .<br />

Maßgeblich für das interne Rangverhältnis mehrerer Tatgeschädigter ist nach der wohl<br />

überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur der Zeitpunkt des jeweils begründeten<br />

Pfändungspfandrechts 392 .<br />

Aus insolvenzrechtlicher Sicht kann jedoch ein zu spät gestellter Zulassungsantrag Probleme aufwerfen,<br />

wenn vor Antragstellung das Insolvenzverfahren bereits eröffnet ist, denn nach einer in der Literatur<br />

vertretenen Auffassung unterfiele die Zulassung dem Anwendungsbereich des § 91 Abs. 1 InsO<br />

und wäre deswegen unwirksam. Einzelheiten dazu folgen an anderer Stelle 393 .<br />

Frage:<br />

Welches Reformvorhaben hatte der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang?<br />

Systematisch betrachtet behandelt § 111g StPO den Vollzug einer Beschlagnahmeanordnung nach §<br />

111c StPO sowie den Vollzug eines dinglichen Arrestes in das Mobiliarvermögen, während § 111h<br />

StPO die Zulassung nach vollzogenem dinglichen Arrest in das Immobiliarvermögen erfasst.<br />

Es war ein wesentliches Reformvorhaben des Gesetzgebers, den nach alter Rechtslage in Rechtsprechung<br />

und Literatur bestehenden Streit die analoge Anwendung des § 111g StPO beim Vollzug eines<br />

dinglichen Arrestes betreffend zu beseitigen 394 . Deshalb bestimmt § 111g Abs. 1 und 3 Satz 6 StPO<br />

(n.F.), dass auch der Arrest § 111g StPO unterfällt.<br />

Die Bestimmungen der §§ 111g, 111h StPO stoßen im Übrigen in der Praxis auf diverse Schwierigkeiten,<br />

insbesondere bei einer Vielzahl von Geschädigten, die in unterschiedlicher Reihenfolge entweder<br />

zuerst die Zwangsvollstreckung betreiben oder aber zuerst zur Zwangsvollstreckung nach den vorgenannten<br />

Bestimmungen zugelassen werden, in Kombination mit dem in der Praxis in der Regel anzutreffenden<br />

Fall, dass die Sicherungsquote Unterdeckung aufweist.<br />

Mögliche Friktionen können sich insoweit aus dem Prioritätsprinzip, das innerhalb der Gemeinschaft<br />

der Verletzten gilt, und der Reihenfolge der erfolgten Zulassungen nach §§ 111g, 111h StPO dergestalt<br />

ergeben, dass ein dem Grunde nach im Sinne des Prioritätsprinzips nachrangiger Verletzter unter<br />

Vorlage des zeitlich frühesten Zulassungsbeschlusses die (anteilige) Auskehr der gesicherten Vermögenswerte<br />

resp. Rangtausch begehrt. Diese Problematik, die an dieser Stelle indes nicht vertieft werden<br />

soll, kommt besonders im Bereich der Immobiliarvollstreckung im Rahmen des Zulassungsverfahrens<br />

nach § 111h StPO zum Tragen.<br />

b. Die Zulassung nach § 111g StPO<br />

(1) Zulassungsvoraussetzungen<br />

391<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111g Rn. 12.<br />

392<br />

Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 1185 ff. m.w.N.; OLG Stuttgart,<br />

Beschluss vom 06.11.2000, 1 Ws 210/00.<br />

393<br />

Vgl. Teil IV, 2., 2.2<br />

394<br />

Vgl. BR-Drucks. 940/05, S. 10 und 23 ff. m.w.N. zur damaligen Rechtsprechung.<br />

115


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Die Zulassung nach § 111g StPO setzt zunächst voraus, dass nach § 111b Abs. 5 StPO im Wege der<br />

Rückgewinnungshilfe Sicherungsmaßnahmen über den Vollzug entweder einer Beschlagnahmeanordnung<br />

nach § 111c StPO oder aber eines dinglichen Arrest in das bewegliche Vermögen erfolgreich<br />

durchgeführt worden sind.<br />

Im Übrigen ist das Verfahren grundsätzlich nur bis zur Rechtskraft des Urteils 395 bzw. der selbständigen<br />

Verfallsentscheidung i.S.d. §§ 76a StGB; 440, 441, 442 StPO, die in der Regel auf dem Beschlusswege<br />

ergeht 396 , möglich, es sei denn, das Gericht macht vom § 111i Abs. 2 – 8 StPO Gebrauch<br />

397 .<br />

In einem solchen Fall kann die Zulassung noch bis zum Fristende i.S.d. § 111i Abs. 5 StPO<br />

erfolgen.<br />

Zur Fristwahrung maßgeblich ist der Eingang des Zulassungsantrags zur Zeit des Bestands des Sicherungstitels.<br />

Sollte dieser später wegfallen, ist dies unschädlich 398 .<br />

Darüber hinaus ist die Zulassung wie folgt an weitere Voraussetzungen geknüpft:<br />

(aa) Vollstreckungstitel<br />

Zur Zulassung bedarf es eines wenigstens vorläufig vollstreckbaren Titels, etwa i.S.d. §§ 704, 708,<br />

794 ZPO. Daneben erfasst § 111g StPO auch die Vollziehung eines ZPO-Arrestes.<br />

Bei Letzterem steht einem Arrestgrund nach § 917 ZPO nicht entgegen, dass in das Vermögen des<br />

Arrestgegners bereits der dingliche Arrest der strafprozessualen Rückgewinnungshilfe gemäß §§<br />

111d ff. StPO angeordnet und vollzogen ist 399 .<br />

(bb) Tatverletzter<br />

Der Antragsteller muss ferner „Verletzter“ aus einer Straftat (i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB) sein.<br />

Neben dem unmittelbar Tatgeschädigten und dessen Rechtsnachfolger 400 steht auch dem Insolvenzverwalter<br />

als Partei kraft Amtes ein derartiges Antragsrecht zu 401 . Eine andere Betrachtung<br />

würde die Rückgewinnungshilfe zu Gunsten der Masse eines Insolvenzverfahrens, welche durch<br />

Straftaten droht geschmälert zu werden, ohne sachlichen Grund zweckwidrig einschränken 402 .<br />

(cc) Anspruch des Verletzten aus der Tat<br />

Der (titulierte) Anspruch des Verletzten muss aus der Tat (i.S.d. § 264 StPO) herrühren, die Gegenstand<br />

des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens ist 403 .<br />

Dies ist durch den jeweils Antragsberechtigten nach § 111g Abs. 2 Satz 3 StPO glaubhaft zu machen.<br />

Es gilt das Freibeweisverfahren im Sinne des § 294 ZPO (§ 111g Abs. 2 Satz 4 StPO) und<br />

damit auch § 294 Abs. 2 ZPO, wonach eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, etwa<br />

weil benannte Zeugen nicht präsent sind 404 , unstatthaft ist. In der Praxis wird diese Bestimmung<br />

überaus großzügig ausgelegt, um die Zulassung nicht zu gefährden.<br />

Häufig reicht für die Glaubhaftmachung bereits der Vollstreckungstitel aus, wenn sich die notwendigen<br />

Informationen daraus ergeben.<br />

§ 111g Abs. 2 Satz 3 StPO bestimmt nicht nur die Substantiierungslast auf Seiten des Verletzten, sondern<br />

auch den Prüfungsumfang des gerichtlichen Verfahrens, was häufig zu Schwierigkeiten führt.<br />

395<br />

OLG Köln, Beschluss vom 07.05.2003, 2 Ws 170/03.<br />

396<br />

Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 441 Rn. 4.<br />

397<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111g Rn. 2; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage<br />

2011, § 111i Rn. 19.<br />

398<br />

OLG Hamm, Beschluss vom 06.06.2002, 2 Ws 107/02.<br />

399<br />

OLG Frankfurt, Beschluss vom 09.11.2009, 19 W 71/09.<br />

400<br />

Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.10.2007, 3 Ws 560/07.<br />

401<br />

OLG Celle, Beschluss vom 08.10.2007, 2 Ws 296/07; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111g<br />

Rn. 3; a.A. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 15.05.2006, 3 Ws 466/06; wohl auch OLG Thüringen, Beschluss<br />

vom 27.06.2011, 1 Ws 237/11.<br />

402<br />

So etwa auch AG Bochum, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 22.06.2011, 64 Gs 1880/11 – n.v. -.<br />

403<br />

OLG Hamm, Beschluss vom 25.02.1999, 4 Ws 7271/98.<br />

404<br />

Geimer/Greger, Zöllner, ZPO, 28. Auflage 2010, § 294 Rn. 3.<br />

116


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Im Ergebnis ist nur darzulegen bzw. zu prüfen, dass der titulierte Anspruch des Verletzten aus der Tat<br />

erwachsen ist, die Anlass für die Sicherungsanordnung war. Ob der Beschlagnahme- oder Arrestbetroffene<br />

der Tat (dringend) verdächtig ist oder nicht oder die sonstigen Anordnungsvoraussetzungen<br />

vorliegen, findet dagegen keine Berücksichtigung. Derartige Einwände können nur im Rahmen der<br />

zulässigen Rechtsmittel geltend gemacht werden.<br />

Vor dem Hintergrund der Gesetzesformulierung „Anspruch aus der Tat“ ist die Zulassung nicht nur auf<br />

den unmittelbaren strafrechtlich relevanten Schaden als Erlangtes im Sinne des § 73 StGB beschränkt,<br />

sondern erstreckt sich desweiteren auf die zur Beschaffung eines vollstreckbaren Titels aufgewandten<br />

Kosten und Zinsen 405 .<br />

Da der Sicherungstitel nur das im Rahmen der §§ 73 ff. StGB Abschöpfbare erfasst, führt die Zulassung<br />

derartiger Anspruchspositionen zwangsläufig zu einer Vertiefung der ohnehin meist gegebenen<br />

Unterdeckung der vollzogenen Sicherungen.<br />

Angesichts des Vorgenannten versteht es sich von selbst, dass Gläubigeransprüche im Zusammenhang<br />

von Taten, die nicht Gegenstand des Verfahrens bzw. des Sicherungstitels sind, oder die generell<br />

keinen strafbewehrten Hintergrund erkennen lassen, nicht zulassungsfähig sind (vgl. hierzu Fall 30) 406 .<br />

In der Praxis kann dieser Problembereich mittelbar berührt sein, wenn das Verfahren entweder vor<br />

oder nach Erlass eines dinglichen Arrestes nach §§ 154, 154a StPO beschränkt wird.<br />

Irreführend ist die diesbezüglich im Schrifttum meist unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des<br />

OLG Hamm 407 geäußerte Ansicht, dass die Zulassung trotz Teileinstellung (generell) statthaft sei 408 .<br />

Es ist zwar zutreffend, dass verfahrensökonomisch motivierte Rechtshandlungen nicht den privilegierten<br />

Zugriff etwaiger Verletzter vereiteln sollten.<br />

Andererseits erfolgt die Zulassung unter der Maßgabe, dass die betreffenden Taten in der Beschlagnahmeanordnung<br />

oder dem dinglichen Arrest enthalten sind. Ist dies hingegen nicht der Fall, da die<br />

Teileinstellung bereits vor Erlass des Titels verfügt wurde, scheidet m.E. aufgrund dessen eine Zulassung<br />

zur Zwangsvollstreckung aus.<br />

Schwierigkeiten für den Tatverletzten können sich ferner bei der Verlängerung der Sicherungen nach<br />

§ 111i Abs. 3 StPO ergeben.<br />

Sollte das Gericht erwägen, im subjektiven Verfahren nach § 111i Abs. 2 und 3 StPO vorzugehen, so<br />

sind Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO im Hinblick auf Taten, die nicht zur Aburteilung gelangt<br />

sind, unzulässig 409 .<br />

Ohne die Aufnahme der nach § 154 StPO ausgeklammerten Taten in ein objektives Verfahren nach §§<br />

76a StGB; 111i Abs. 8, 440, 441, 442 StPO erscheint es daher fraglich, ob die Zulassung nach §§<br />

111g, 111h StPO im Rahmen des weiteren Verfahrens des § 111i StPO (noch) erfolgen kann 410 .<br />

Verfahrensrechtlich jedenfalls ist der (Teil-)Wechsel vom subjektiven hin zum objektiven Verfahren<br />

zwar nicht vorgesehen, jedoch von der Rechtsprechung anerkannt 411 .<br />

(2) Gerichtliche Entscheidung<br />

Das Gericht entscheidet über die Zulassung durch Beschluss, der gemäß § 35 Abs. 2 StPO dem Beschuldigten,<br />

etwaigen Verfallsbeteiligten, dem Tatverletzten und der Staatsanwaltschaft zuzustellen<br />

ist.<br />

Im Vorfeld sind diese Beteiligten zu hören.<br />

Statthaftes Rechtsmittel dagegen ist nach § 111g Abs. 2 Satz 2 StPO die sofortige Beschwerde.<br />

Die Wirkungen der Zulassung ergeben sich aus § 111g Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 2, 4 und 6 StPO und<br />

kommen auf zwei Ebenen zum Tragen:<br />

405 OLG Hamm, Beschluss vom 06.07.2010, III – 4 Ws 158 und 167/10 m.w.N.<br />

406 Vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 23.02.2012, III – 2 Ws 46/12.<br />

407 OLG Hamm, Beschluss vom 25.02.2000, 2 Ws 312/01.<br />

408 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111g Rn. 1; Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis,<br />

2003, Rn. 432; Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 1176.<br />

409 BGH, Urteil vom 19.10.2011, 1 StR 336/11.<br />

410 Vgl. hierzu auch OLG Köln, Beschluss vom 23.08.2011, 2 Ws 519/11; KG, Beschluss vom 15.01.2010, 3 Ws<br />

6/10; Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 4.<br />

411 Vgl. Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 76a Rn. 3; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, 440 Rn. 19.<br />

117


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Zunächst bestimmt § 111g Abs. 1 StPO, dass die vom Tatgeschädigten betriebene Zwangsvollstreckung<br />

oder Arrestvollziehung nicht gegen den staatlichen Beschlagnahme- und Arrestvollzug<br />

wirkt, mithin gegenüber der Staatsanwaltschaft als Sicherungsgläubigerin nicht relativ unwirksam<br />

ist.<br />

Um den Schutz und die Privilegierung des von § 111b Abs. 5 StPO umfassten Personenkreises<br />

abzurunden, führt § 111g Abs. 3 Satz 1 StPO ferner zu einer zeitlichen Rückwirkungsfiktion derart,<br />

dass der Verletzte so behandelt wird, als ob er seine Pfändungen bereits zum Zeitpunkt der<br />

staatlichen Sicherungsmaßnahmen ausgebracht hätte.<br />

Auf diese Weise ist sichergestellt, dass etwaige Verfügungen des Beschlagnahme- oder Arrestbetroffenen<br />

über das sichergestellte Vermögen oder Pfändungen nicht privilegierter (Allgemein-<br />

)Gläubiger, die staatsanwaltschaftlichen Beschlagnahmen und Pfändungen nachgefolgt sind, gegenüber<br />

dem Verletzten nicht wirksam sind.<br />

Schließlich ergibt sich aus § 111g Abs. 3 Satz 5 StPO, dass diese Rechtsfolgen von der zwischenzeitlichen<br />

Aufhebung der Sicherungstitel unberührt bleiben.<br />

Zum Zulassungstenor:<br />

Nicht rechtmäßig ist die folgende Tenorierung:<br />

„Die Zwangsvollstreckung des Finanzamts Düsseldorf in das Vermögen des Beschuldigten<br />

A. wird zugelassen“.<br />

Stattdessen muss es heißen 412 :<br />

„Die Zwangsvollstreckung des Finanzamts Düsseldorf in das von der Staatsanwaltschaft<br />

Düsseldorf gesicherte Vermögen des Beschuldigten A. wird zugelassen“.<br />

Ob zusätzlich noch eine Einzelaufstellung des bis zum Zeitpunkt der Zulassung gesicherten Vermögens<br />

erforderlich ist, ist umstritten 413 .<br />

Einerseits mag eine derartige Konkretisierung für den Drittschuldner hilfreich sein, andererseits müsste<br />

bei nachträglich erfolgten Sicherungen ein ergänzender Beschluss folgen, was nicht unbedingt verfahrensökonomisch<br />

wäre.<br />

Da sich die Rechtsfolgen der Zulassung aus dem Gesetz ergeben, dürfte es prinzipiell ausreichen,<br />

wenn der Verletzte nach eigener Pfändung und unter Vorlage des rechtskräftigen Zulassungsbeschlusses<br />

gegenüber dem Drittschuldner beispielsweise die Überweisung einer gepfändeten Forderung begehrt.<br />

(3) Sonstiges<br />

In der Praxis verlangen dagegen insbesondere Banken und Versicherungen zusätzlich<br />

die Freigabe der staatsanwaltschaftlichen Pfändung, welche dann deklaratorisch auch<br />

vorgenommen werden sollte, um das Verfahren abzuschließen.<br />

Zum Schluss bleibt der Hinweis auf § 111g Abs. 4 StPO, der eine Schadensersatzpflicht des Verletzten<br />

für jene Fälle vorsieht, in denen entweder die rechtskräftige Zulassung zu Unrecht erfolgt ist oder der<br />

Verfall aus anderen als in § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB liegenden Gründen ausscheidet 414 .<br />

412 Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23.06.2010, III – 2 Ws 177/10.<br />

413 Vgl. Land Niedersachsen, Vermögensabschöpfung – Leitfaden zur Rückgewinnungshilfe, 2010, Anlage 11.<br />

414 Vgl. hierzu Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111g Rn. 12.<br />

118


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Lösung Fall 30:<br />

Die von der Staatsanwaltschaft gegen den Zulassungsbeschluss des Amtsgerichts<br />

eingelegte sofortige Beschwerde hat teilweise Aussicht auf Erfolg.<br />

Allerdings ist die Zulassung im Hinblick auf die Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuerbescheide<br />

für das Jahr 2009 rechtlich nicht zu beanstanden. Denn der „Anspruch<br />

aus der Tat“ im Sinne des § 111g StPO bezieht sich nicht nur auf die Hauptforderung<br />

(= Erlangtes aus der Tat), sondern darüber hinaus auch auf die Zinsen und<br />

Säumniszuschläge.<br />

Demgegenüber ist der Steueranspruch bezüglich des Veranlagungszeitraums 2008<br />

nicht im Sinne des § 111g StPO privilegiert. Es ist insoweit weder ein strafrechtlicher<br />

Hintergrund zu erkennen noch war eine etwaige diesbezügliche Steuerstraftat Gegenstand<br />

des Ermittlungsverfahrens respektive des dinglichen Arrestes 415 . Die Pfändungsmaßnahme<br />

des Finanzamtes in Vollziehung ihres ESt-Bescheides 2008 ist mithin<br />

gegenüber dem staatlichen Arrestvollzug relativ unwirksam.<br />

Da es desweiteren für das Verhältnis mehrerer Tatverletzter untereinander nicht auf<br />

den Zeitpunkt der Zulassung, sondern auf den Zeitpunkt der Begründung des Pfändungspfandrechts<br />

ankommt, kann i.E. G1 als erster der Gläubiger keine privilegierte<br />

Befriedigung mehr erfahren, da das gesicherte Restvermögen in Höhe von 35.000,-<br />

Euro G2, G3, G4, G5 und G6, die zeitlich vor G1 die Zwangsvollstreckung betrieben<br />

haben, vorrangig eröffnet ist.<br />

Alles Weitere ist dann davon abhängig, zu welchem Zeitpunkt diese Gläubiger ihr jeweiliges<br />

Pfändungspfandrecht erworben haben.<br />

c. Die Zulassung nach § 111h StPO<br />

§ 111h StPO ist strukturell ähnlich wie § 111g StPO aufgebaut, erfasst vom Anwendungsbereich her<br />

jedoch nur die Arrestvollziehung des Staates in Grundstücke bzw. - in Analogie - in grundstücksgleiche<br />

Rechte 416 und - dem gleichgestellt - in Schiffe, Schiffsbauwerke sowie Luftfahrzeuge (§ 111h Abs. 4<br />

StPO).<br />

Antrags- und Prüfungsumfang werden bestimmt durch § 111h Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 111g Abs. 2 Satz<br />

2 bis 4 und Abs. 3 Satz 3 StPO. Insoweit kann auf die diesbezüglichen Ausführungen zur Zulassung<br />

nach § 111g StPO verwiesen werden.<br />

Folge der Zulassung ist, dass der hiervon Privilegierte unter Vorlage des Zulassungsbeschlusses<br />

gegenüber dem Grundbuchamt eine Rangänderung nach § 880 BGB mit<br />

der Folge verlangen kann, dass jene durch den Vollzug des StPO-Arrestes begründete<br />

Sicherungshypothek hinter seinem Recht im Rang zurücktritt.<br />

Im Übrigen gilt – parallel zur Regelung des § 111g Abs. 3 Satz 5 StPO – nach § 111h Abs. 1 Satz 2<br />

StPO, dass der dem vortretenden Recht eingeräumte Rang nicht dadurch verloren geht, dass der Arrest<br />

aufgehoben wird.<br />

Die Option des Schadensersatzes durch den Verletzten ist in § 111h Abs. 3 StPO geregelt.<br />

Es versteht sich ferner von selbst, dass im Zulassungsbeschluss – anders als bei § 111g StPO – das<br />

betreffende Grundstück individualisiert zu bezeichnen ist.<br />

415 Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23.02.2012, III – 2 Ws 46/12<br />

416 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111h Rn. 1.<br />

119


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

10.3 § 111i StPO<br />

Das Meinungsbild zu der von Struktur und Regelungsdichte her komplexen Bestimmung des § 111i<br />

StPO ist, um es vorsichtig auszudrücken, wenigstens ambivalent.<br />

An der neuen Gesetzeslage ist positiv zu sehen, dass der „Wildwuchs“ der mitunter dogmatisch zweifelhaften<br />

Lösungsansätze, welche von dem Versuch getragen waren, das sich nach alter Rechtslage<br />

häufig ergebende Dilemma, mit der Rechtskraft des Urteils gesicherte Vermögenswerte infolge der<br />

Untätigkeit oder der nicht hinreichend gesicherten Rechtsposition etwaiger Verletzter wieder an den<br />

Täter herausgeben zu müssen, aufzulösen, im Sinne einer klaren und bei isolierter Betrachtung auch<br />

rechtssicheren Konzeption Eindämmung erfahren hat.<br />

Dennoch war das der Bestimmung des § 111i StPO zugrunde liegende Lösungsmodell bereits im Gesetzgebungsverfahren<br />

und ebenso später vielfältigen Einwänden gerade auch in rechtspolitischer Hinsicht<br />

ausgesetzt.<br />

Die Kritikpunkte hierzu sind vielfältig:<br />

Neben der häufig monierten Anwendungsunfreundlichkeit sowie dem angeblich deutlich<br />

erhöhten Bearbeitungsaufwand wird vor allem der eingeschränkte Regelungsbereich des §<br />

111i StPO, welcher ohne sachlichen Grund zu einer unberechtigten Privilegierung bestimmter<br />

Täterkreise führen soll, als misslich empfunden 417 .<br />

Denn der Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO setzt inzidenter voraus, dass bis zur Rechtskraft<br />

der erstinstanzlichen Entscheidung Maßnahmen nach §§ 111b ff. StPO veranlasst wurden 418 . Ist<br />

dies hingegen nicht der Fall, beispielsweise weil der Vollzug der Titel nicht von Erfolg getragen war,<br />

kommt § 111i StPO der Zielsetzung nach nicht zur Anwendung 419 .<br />

Zudem erstreckt sich der Auffangrechtserwerb lediglich auf die gesicherten Vermögenswerte, da mit<br />

der Verwertung der nach § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO entstandene Zahlungsanspruch auch insoweit<br />

erlischt, als der Verwertungserlös hinter der Höhe des Anspruchs (i.S.d. § 111i Abs. 2 StPO) zurückbleibt<br />

(§ 111i Abs. 5 Satz 4 StPO).<br />

Da schließlich auch der nach § 111i Abs. 3 StPO um drei Jahre verlängerte dingliche Arrest im Falle<br />

der Unterdeckung nur bis zur Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils weiter vollstreckbar ist 420 , liegt<br />

es auf der Hand, dass im Einzelfall diese Regelung gegenüber des Alternativ-Modells, § 73 Abs. 1 Satz<br />

2 StGB unter gleichzeitiger Installation einer den Tatverletzten zugutekommenden Ersatzpflicht des<br />

Staates ersatzlos zu streichen, zu Einschränkungen bei der Abschöpfung inkriminierter Vermögenswerte<br />

führen kann 421 .<br />

10.3.1 Anwendungsbereich<br />

Frage:<br />

Was ist der Anwendungsbereich des § 111i Abs. 2 – 8 StPO?<br />

Dem fakultativ eröffneten Anwendungsbereich des § 111i Abs. 2 – 8 StPO entzogen sind zunächst<br />

Taten, die bis zum 01.01.2007 bereits beendet waren.<br />

Zwar hat sich der Gesetzgeber für eine prozessuale Lösung entschieden. Rechtsdogmatisch stellt der<br />

Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 StPO jedoch eine Modifizierung der materiellrechtlichen<br />

Regelung zum Ausschluss des Verfalls nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB dar und unterliegt<br />

aufgrund dessen den Grundsätzen des Rückwirkungsverbotes nach § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB;<br />

417<br />

Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 1 m.w.N.<br />

418<br />

Vgl. BR-Drucks. 940/05 S. 13; Bohne/Boxleitner, NStZ 2007, 552 ff.; Greier, ZInsO 2007, 953 ff.<br />

419<br />

Vgl. Mosbacher/Claus, wistra 2008, 1 (2).<br />

420<br />

Vgl. BR-Drucks. 940/05, S. 30; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 10.<br />

421<br />

Hierzu auch Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111i Rn. 2.<br />

120


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

seiner Rechtsnatur nach stellt daher auch die Feststellungsentscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO keine<br />

ausschließlich verfahrensrechtliche Regelung, sondern vor allem eine materiell-rechtliche Grundentscheidung<br />

für eine aufschiebend bedingte Verfallsanordnung zu Gunsten des Staates dar, welche dann<br />

zum Tragen kommt, wenn die vorrangigen Ansprüche der Verletzten nicht innerhalb der Frist des §<br />

111i Abs. 3 StPO geltend gemacht werden 422 .<br />

Da Feststellungstenor sowie Verlängerung des Sicherungstitels inhaltlich miteinander verknüpft und<br />

voneinander abhängig sind, scheidet auch die isolierte Verlängerung der Sicherungsmaßnahmen ohne<br />

Tenorierung nach § 111i Abs. 2 StPO aus, so dass bei einem Altfall lediglich die Verlängerung der<br />

Maßnahme nach § 111i Abs. 1 StPO erwogen werden kann 423 .<br />

Ferner kann es nur dann zum Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO kommen, wenn entweder<br />

zuvor im Ermittlungsverfahren oder aber danach spätestens bis zur Rechtskraft des Urteils Sicherungstitel<br />

nach §§ 111b ff. StPO wenigstens teilweise erfolgreich vollzogen worden sind 424 .<br />

Der Streit, ob die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO im Vorfeld ausgebrachte Sicherungsmaßnahmen<br />

voraussetzt 425 oder ob es ausreichend ist, zeitgleich dazu erstmals Beschlagnahmeanordnung<br />

oder dinglichen Arrest zu erwirken und zu vollstrecken 426 , ist mehr theoretischer Natur und auf absolute<br />

Ausnahmefälle beschränkt, denn es macht kaum Sinn, einen dinglichen Arrest in dieser Phase des<br />

Strafverfahrens erst zu erwirken, aber nur bis zur Rechtskraft des Urteils vollstrecken zu können 427 .<br />

Schließlich ist bei §111i StPO auf unterschiedliche strukturelle Ebenen hinzuweisen.<br />

Zum einen ist die Anwendung nicht nur auf das subjektive Verfahren beschränkt, sondern kann<br />

auch im objektiven Verfahren zum Tragen kommen (vgl. § 111i Abs. 8 StPO).<br />

Zum anderen beinhaltet § 111i StPO zwei unterschiedliche Vorgehensweisen:<br />

o entweder nach § 111i Abs. 1 StPO die Verlängerung der Sicherungstitel um nur drei Monate<br />

im Fall der Beschränkung nach §§ 430, 442 Abs. 1 StPO oder<br />

o aber das Verfahren nach § 111i Abs. 2 bis 7 StPO zur Vorbereitung und späteren Realisierung<br />

des staatlichen Auffangrechtserwerbs.<br />

Innerhalb des § 111i Abs. 2 – 7 StPO ist desweiteren nach den einzelnen Abschnitten des Verfahrens<br />

zu differenzieren.<br />

Beide Varianten des § 111i StPO, die Verlängerung nach Abs. 1 und die „Anspruchsopferbescheidung<br />

428 “ nach Abs. 2 bis 8, stehen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wobei dem Verfahren<br />

nach § 111i Abs. 2 – 8 StPO grundsätzlich der Vorzug zu geben sein dürfte, da es den Interessen des<br />

Opferschutzes, aber auch einer möglichst effektiven Abschöpfung von Hoher Hand eher gerecht wird<br />

als der reinen Verlängerung der Titel um nur drei Monate 429 bzw. der Verlagerung der Verpflichtung<br />

zur Schadenswiedergutmachung auf die Bewährungsebene 430 . Ausnahmen hierzu können sich jedoch<br />

bei komplexen Wirtschaftsstrafsachen aus dem Beschleunigungsgrundsatz ergeben 431 , der ausnahmsweise<br />

gebieten mag, nur nach Abs. 1 zu verfahren.<br />

10.3.2 Verlängerung der Sicherungstitel nach § 111i Abs. 1 StPO<br />

Die Verlängerung der Beschlagnahme oder des dinglichen Arrestes nach § 111i Abs. 1 StPO setzt zunächst<br />

voraus, dass die Maßnahme des Verfalls nach §§ 430, 442 StPO, im Ermessen der Staatsanwaltschaft<br />

bzw. des Gerichts stehend, aus dem Verfahren ausgeklammert ist, und ferner, dass die<br />

sofortige Aufhebung gegenüber dem Verletzten unbillig wäre. Letzteres ist – unter Anwendung eines<br />

eher großzügigen Maßstabs 432 - der Fall, wenn der bekannte Verletzte das ihm Mögliche und Zumutba-<br />

422<br />

BGH, Urteil vom 07.02.2008, 4 StR 502/07; Beschluss vom 19.02.2008, 1 StR 503/07; Beschluss vom<br />

16.12.2008, 3 StR 402/08.<br />

423<br />

BGH, Urteil vom 07.02.2008, 4 StR 502/07; a.A. Mosbacher/Claus, wistra 2008, 1 ff.<br />

424<br />

Vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 07.02.2008, 4 StR 502/07 Rn. 13 ff. – zitiert nach juris -.<br />

425<br />

Mosbacher/Claus, wistra 2008, 1 (2).<br />

426<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111i Rn. 17 und Fn. 29.<br />

427<br />

Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 10.<br />

428<br />

Begrifflichkeit nach Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 2.<br />

429<br />

So etwa Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 3; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2.<br />

Auflage 2010, § 111i Rn. 5.<br />

430<br />

Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 3.<br />

431<br />

Nack a.a.O.<br />

432<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2.Auflage 2010, § 111i Rn. 7.<br />

121


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

re getan hat, um sich einen Titel zu verschaffen 433 ; bei unbekannten Verletzten ist im Regelfall ohnehin<br />

Unbilligkeit anzunehmen 434 .<br />

Sollte hingegen der Verletzte – sicher absehbar – innerhalb der 3-Monats-Frist keine Möglichkeit mehr<br />

haben, erfolgreich auf das sichergestellte Vermögen zurückzugreifen, fehlt es an dem für die Verlängerung<br />

notwendigen Sicherstellungsbedürfnis 435 .<br />

Bei der Würdigung der abhängig vom Einzelfall durchaus komplexen Feststellungen sollte es sich der<br />

Rechtsanwender nicht zu einfach machen. So kann es aus Sicht eines Verletzten vertretbar gewesen<br />

sein, aus prozessökonomischen Erwägungen, etwa im Hinblick auf schwierige Beweisfragen, das Ergebnis<br />

des Strafverfahrens zunächst abzuwarten.<br />

Die Entscheidung selbst ergeht per Beschluss, welcher mit der Beschwerde anfechtbar ist.<br />

10.3.3 „Opferanspruchsbescheidung“ nach § 111i Abs. 2 – 8 StPO<br />

Fall 31:<br />

Im Rahmen eines Verfahrens wegen Betrugs zum Nachteil von wenigstens 20.000<br />

namentlich zumeist unbekannten Geschädigten bei Einzelschäden von maximal 100,-<br />

Euro im Zusammenhang mit 0190-Nummern konnten mehrere gegen die Tätergruppe<br />

erwirkte dingliche Arreste im In- und Ausland nicht vollzogen werden, da die Finanzermittlungen<br />

keine Hinweise auf Vermögenswerte der Arrestbetroffenen ergeben<br />

haben.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

433<br />

Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 3.<br />

434<br />

Meyer-Goßner a.a.O.<br />

435<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2.Auflage 2010, § 111i Rn. 6.<br />

122


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Fall 32:<br />

A. und B. werden Betrugstaten zum Nachteil von 10 Geschädigten zur Last gelegt;<br />

der Gesamtschaden beläuft sich auf insgesamt 100.000,- Euro (pro Geschädigten auf<br />

10.000,- Euro). Die erschwindelten Gelder gingen zunächst auf einem von A. eigens<br />

zu diesem Zweck gegründeten Konto ein, über das A. und B. verfügungsberechtigt<br />

waren.<br />

Absprachegemäß überwies anschließend A. dem B. dessen Anteil in Höhe von<br />

50.000,- Euro.<br />

Der Verbleib bzw. die weitere Verwendung der Gelder konnte im Einzelnen nicht<br />

mehr näher aufgeklärt werden.<br />

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen A. und B. hat die zuständige Staatsanwaltschaft<br />

daher dingliche Arreste gegen beide in Höhe von jeweils 100.000,- Euro<br />

unter Maßgabe ihrer gesamtschuldnerischen Haftung erwirkt.<br />

Die Vollziehung der Arreste hat zu den folgenden Vermögenssicherungen geführt:<br />

Bei A:<br />

- 10.000,- Euro in bar, die anschließend hinterlegt wurden.<br />

-30.000,- Euro im Rahmen von Forderungspfändungen.<br />

Bei B:<br />

- 30.000,- in bar, die ebenfalls hinterlegt wurden.<br />

Fünf Geschädigte sind bekannt.<br />

G1, G2 und G3 sind bereits im Ermittlungsverfahren tätig geworden, indem sie gegen<br />

A. und B. entsprechende Titel erworben und in die bei A. sichergestellten Vermögenswerte<br />

vollzogen haben; G1 und G2 sind zudem gem. § 111g StPO zur Zwangsvollstreckung<br />

zugelassen worden.<br />

Nach Anklageerhebung und Durchführung der Beweisaufnahme berät nunmehr das<br />

LG über das Urteil.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

123


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

I Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO<br />

a. Übersicht<br />

§ 111i Abs. 2 StPO § 111i Abs. 8 StPO<br />

Analoge Anwendung<br />

Zuständigkeit: des § 111i II - VII StPO in den<br />

(Erkennendes) Gericht Fällen des § 76a I o. III StGB;<br />

Form: Verfahren: §§ 440 u.441<br />

Urteil i.V.m. 442 I StPO<br />

auf dem Beschlussweg<br />

Voraussetzungen:<br />

Keine Anordnung des<br />

- Verfalls<br />

- Verfalls von Wertersatz<br />

- Erw. Verfalls (von Wertersatz)<br />

(§§ 73, 73a, 73d StGB) möglich,<br />

da Fall des § 73 Abs.1 Satz 2 StGB<br />

vorliegt<br />

(§ 111i Abs. 2 Satz 1 StPO).<br />

Rechtsfolge (Kann-Vorschrift):<br />

Feststellung des obigen Falls<br />

und Bezeichnung des Erlangten<br />

bzw. des Werts des Erlangten<br />

(§ 111i Abs. 2 Satz 1 - 3 StPO)<br />

Abzüglich<br />

(§ 111i Abs. 2 Satz 4 StPO):<br />

§ 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 StPO § 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 StPO § 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 3 StPO<br />

Verfügung des Verletzten im Wege Nachweisliche Befriedigung des Herausgabe nach § 111k StPO<br />

der Zwangsvollstreckung oder Verletzten über anderweitige<br />

Arrestvollziehung Erfüllung<br />

124


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

b. Voraussetzungen<br />

§ 111i Abs. 2 Satz 1 StPO erfordert eine zweistufige Prüfung, zum einen der §§ 73, 73a und 73d StGB<br />

und zum anderen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, der gem. § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB auch beim erweiterten<br />

Verfall gilt 436 .<br />

Flankierend dazu sind die §§ 73b und 73c StGB anzuwenden, welches häufig übersehen wird 437 .<br />

Wird unter Beachtung des § 73c Abs. 1 StGB daher teilweise von der Anordnung des Verfalls abgesehen,<br />

hat dies zur Folge, dass der in der Urteilsformel allein zu bezeichnende Vermögensgegenstand<br />

bzw. Geldbetrag, den der Staat bei Vorliegen des Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO unmittelbar<br />

oder als Zahlungsanspruch erwirbt, hinter dem Erlangten bzw. dessen Wert zurückbleibt 438 .<br />

In personeller Hinsicht können derartige Feststellungen nicht nur täter- respektive teilnehmerbezogen,<br />

sondern darüber hinaus in den Fällen des Drittempfängerverfalls (§ 73 Abs. 3 StGB) getroffen werden<br />

439 .<br />

Feststellungen i.S.d. § 111i Abs. 2 StPO auch gegen den Dritteigentümer (§ 73 Abs. 4 StGB) sind hingegen<br />

nahezu ausgeschlossen.<br />

Abschließend gilt es zu prüfen, ob Täter, Teilnehmer oder Drittempfänger – ggf. auch unter Berücksichtigung<br />

des § 73c StGB – im Verbund gesamtschuldnerisch haften, was zu individuell unterschiedlich<br />

hohen Beträgen führen kann 440 .<br />

(Teil-)Fazit:<br />

Regelungsgehalt und Rechtsfolgen der Maßnahmen sind einerseits nach §§ 73, 73a, 73d<br />

StGB und andererseits nach § 111i Abs. 2 und 5 StPO dem Grunde nach identisch. Deshalb<br />

kann materiell-rechtlich betrachtet bei § 111i Abs. 2 StPO kein anderer Maßstab, als<br />

bei §§ 73 ff. StGB geboten, angezeigt sein.<br />

c. Ermessensentscheidung<br />

Die Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO, der gegenüber der bloßen Verlängerung des Sicherungstitels<br />

nach § 111i Abs. 1 StPO in der Regel der Vorrang gebührt, unterliegt dem tatrichterlichen Ermessen.<br />

Ein Ermessen steht dem Gericht desweiteren bei der Frage zu, ob von dem Verfahren nach § 111i<br />

Abs. 2 – 7 StPO aus sonstigen Gründen abgesehen werden soll, was allerdings auf absolute Ausnahmefälle<br />

beschränkt sein dürfte 441 . Dem Beschleunigungsgrundsatz, welcher bereits bei der Prüfung<br />

einer Verfahrensbeschränkung nach §§ 430, 442 StPO Berücksichtigung findet, kann jedenfalls bei der<br />

Ausübung des nachgelagerten Ermessens nach § 111i Abs. 2 StPO keine weitere Bedeutung mehr<br />

zukommen 442 .<br />

Ob und inwieweit darüber hinaus das Spannungsverhältnis zwischen ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen<br />

nach §§ 111b ff. StPO und dem eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beschlagnahme-<br />

oder Arrestbetroffenen ermessensleitend zu berücksichtigen ist, wird an anderer Stelle<br />

ausführlich behandelt 443 .<br />

436 Vgl. hierzu auch Eschelbach, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 111i StPO Rn. 6.<br />

437 BGH, Beschluss vom 18.12.2008, 3 StR 460/08; Beschluss vom 07.01.2009, 5 StR 451/08; Beschluss vom<br />

18.02.2009, 1 StR 731/08; Beschluss vom 10.11.2009, 4 StR 443/09; Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10<br />

m.w.N.<br />

438 BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10; Beschluss vom 01.03.2011, 4 StR 30/11.<br />

439 BGH, Beschluss vom 08.02.2011, 1 StR 651/10; vorgehend LG Münster, Urteil vom 12.04.2010, 7 KLs 44 Js<br />

67/09 (10/10) – n.v. -; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111i Rn. 13; so wohl auch Nack,<br />

Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 2 und 18.<br />

440 BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10; Beschluss vom 08.12.2010, 2 StR 372/10; Beschluss vom<br />

13.07.2011, 1 StR 42/11; offen gelassen im Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11.<br />

441 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 8 m.w.N.<br />

442 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2.Auflage 2010, § 111i Rn. 13.<br />

443 Vgl. Teil IV „Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO und eröffnetem<br />

Insolvenzverfahren.<br />

125


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

d. Inhalt der Feststellungen<br />

Beim (erweiterten) (Original-)Verfall hat das Gericht nach § 111i Abs. 2 Satz 2 StPO das Erlangte zu<br />

bezeichnen, und zwar so genau wie möglich 444 . In den Fällen des (erweiterten) Verfalls von Wertersatz<br />

nach §§ 73a, 73d Abs. 2 StGB ist dagegen im Urteil der Geldbetrag festzustellen, welcher dem<br />

Wert des Erlangten entspricht (§ 111i Abs. 2 Satz 3 StPO).<br />

Neben einer etwaigen über § 73c StGB obligatorisch oder fakultativ gebotenen Reduktion des Erlangten<br />

bzw. des Werts des Erlangten sieht § 111i Abs. 2 Satz 4 StPO weitere Abzugsgründe zwingend<br />

vor. Diese tragen dem Zweck des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB Rechnung, einen Gläubigerwettlauf zwischen<br />

Staat und Verletztem zu verhindern sowie eine zweifache Inanspruchnahme des Verfallsbetroffenen<br />

auszuschließen.<br />

Denn wenn der Verletzte eine nicht mehr angreifbare Schadenskompensation bzw. adäquate Sicherung<br />

erfahren hat, so besteht kein Grund mehr dafür, den Auffangrechtserwerb über Feststellungen<br />

nach § 111i Abs. 2 StPO zu initiieren 445 .<br />

Während § 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 und 3 StPO insoweit aus sich heraus verständlich ist, bedarf es<br />

bezüglich § 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 StPO der ergänzenden Erläuterung. „Verfügung des Verletzten im<br />

Wege der (eigenen) Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung“ ist nicht wortwörtlich zu interpretieren,<br />

sondern nach Sinn und Zweck dergestalt, dass der Verletzte neben der zu eigenen Zwangsvollstreckung<br />

auch rechtskräftig zur Zwangsvollstreckung gem. §§ 111g, 111h StPO zugelassen worden<br />

sein muss.<br />

Lösung Fall 31:<br />

Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO und die Verlängerung der Titel nach § 111i<br />

Abs. 3 StPO sind zwar theoretisch möglich, machen aber, da mit der Entdeckung von<br />

Vermögenswerten, die den Arrestbetroffenen zugeordnet werden können, nicht zu<br />

rechnen ist, und die Arreste zudem nur noch bis zur Rechtskraft der Entscheidung<br />

vollstreckbar sind, kaum Sinn, denn eine Verwertung i.S.d. § 111i Abs. 5 Satz 2 StPO<br />

ist ausgeschlossen.<br />

Zudem hätten bei dieser Situation auch die Verletzten keine Möglichkeit, während der<br />

3-Jahres-Frist das Rückgewinnungshilfeverfahren zu betreiben.<br />

Lösung Fall 32:<br />

A. und B. haben – gesamtschuldnerisch haftend – jeweils 100.000,- Euro erlangt.<br />

Aufgrund der Gesamtumstände – fünf unbekannte Tatgeschädigte, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

von G1, G2 und G3, werthaltige Vermögenssicherungen etc. –<br />

dürfte eine Ermessensreduzierung auf null in der Weise gegeben sein, für das Verfahren<br />

nach § 111i Abs. 2 – 7 StPO zu optieren. Im Rahmen der nach § 111i Abs. 2<br />

Satz 1 und 3 StPO zu treffenden Feststellungen hat das Gericht auch zu prüfen, ob<br />

Abzüge nach § 111i Abs. 2 Satz 4 StPO vorzunehmen sind.<br />

Anders als bei G3, der noch nicht zur Zwangsvollstreckung zugelassen wurde, verfügen<br />

G1 und G2 über entsprechende Anerkenntnisse und haben zudem bereits die<br />

Zwangsvollstreckung betrieben.<br />

Folglich sind gem. § 111i Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 StPO 20.000,- Euro in Abzug zu bringen.<br />

Insofern beläuft sich der Wert des Erlangten bei A. und B. auf derzeit noch 80.000,-<br />

Euro.<br />

Fortführung folgt!<br />

444 Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 14.<br />

445 Vgl. BGH, Beschluss vom 22.06.2011, 5 StR 109/11.<br />

126


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

e. Tenorierung und Urteilsgründe<br />

Auch hier gilt der Grundsatz, dass der Urteilstenor von allem freizuhalten ist, was nicht unmittelbar der<br />

Erfüllung seiner Aufgaben dient 446 . Bei einer Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO gegen nur einen<br />

Teil der Angeklagten oder gegen mehrere Angeklagte in unterschiedlicher Höhe ist es daher geboten,<br />

im Urteilstenor die von der Feststellung betroffenen Angeklagten und – ihnen zugeordnet – den oder<br />

die Vermögenswerte zu bezeichnen, welche gemäß § 111i Abs. 5 StPO dem Auffangrechtserwerb des<br />

Staates unterliegen können 447 .<br />

Eine nähere Bezeichnung des oder der Verletzten und der ihnen zustehenden Ansprüche 448 ist im Urteilstenor<br />

dagegen nicht geboten; auch eine Haftung des oder der Angeklagten als Gesamtschuldner<br />

erfordert nicht die Aufnahme im Urteilstenor. Es genügt vielmehr, dass sich diese (soweit möglich) aus<br />

den Urteilsgründen ergibt 449 .<br />

Fortführung der Lösung Fall 32:<br />

Es könnte daher wie folgt tenoriert werden 450 :<br />

„Es wird festgestellt, dass gegen die Angeklagten A. und B. wegen eines Geldbetrages<br />

in Höhe von 80.000,- Euro lediglich deshalb nicht auf Verfall erkannt wird, da<br />

Ansprüche Verletzter entgegenstehen“.<br />

II Verlängerung der Sicherungstitel nach § 111i Abs. 3 StPO<br />

§ 111i Abs. 3 StPO<br />

Zuständigkeit:<br />

(Erkennendes) Gericht<br />

Form:<br />

Beschluss<br />

Voraussetzungen:<br />

Verfahrensweise nach<br />

§ 111i Abs. 2 StPO<br />

Rechtsfolgen:<br />

Aufrechterhaltung von (Anteilige) Aufhebung von BS/DA, § 111i Abs. 4 StPO:<br />

BS und DA bis zur Höhe des Erlangten sofern innerhalb der Frist Qualifizierte Mitteilung an Verletzte<br />

bzw. des Werts des Erlangten anderweitige Erfüllung entweder persönlich oder<br />

für drei Jahre eingetreten ist. im Rahmen des § 111e Abs. 4 StPO<br />

- Fristbeginn mit RK des Urteils<br />

- Arrestgrund nicht erf.<br />

- Sichergestellte Verm.werte sollen<br />

bezeichnet werden<br />

446<br />

Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, §<br />

260 Rn. 20.<br />

447<br />

BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 Rn. 34 – zitiert nach juris -.<br />

448<br />

Vgl. dazu etwa LG Stralsund, Urteil vom 16.06.2008, 22 KLs 51/07.<br />

449<br />

BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 Rn. 35 – zitiert nach juris -.<br />

450<br />

Vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 Rn. 34 – zitiert nach juris -.<br />

127


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Sofern das Gericht Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO trifft, hat es die Beschlagnahme des im<br />

Sinne des § 111i Abs. 2 Satz 2 und 4 Erlangten bzw. den dinglichen Arrest bis zur Höhe des nach §<br />

111i Abs. 2 Satz 3 und 4 StPO festgestellten Betrages für drei Jahre durch Beschluss aufrechtzuerhalten.<br />

Die Frist beginnt gem. § 111i Abs. 3 Satz 2 StPO mit der Rechtskraft des Urteils. Sichergestellte<br />

Vermögenswerte sollen bezeichnet werden (§ 111i Abs. 3 Satz 3 StPO) 451 , wobei zweifelhaft ist, ob die<br />

unstreitig nicht mehr „freien“ Positionen mit aufzunehmen sind. Bei der Verlängerung eines dinglichen<br />

Arrestes bedarf es im Übrigen eines Arrestgrundes nicht mehr (§ 111i Abs. 3 Satz 4 StPO).<br />

Sofern Tatgeschädigte innerhalb der 3-Jahres-Frist i.S.d. § 111i Abs. 3 Satz 5 „freie“ Kompensation<br />

erfahren haben, gilt es, die Sicherungsmaßnahme auf Antrag des Betroffenen (anteilig) aufzuheben.<br />

Der Beschluss wird regelmäßig zusammen mit dem Urteil verkündet 452 und ist nicht isoliert, sondern<br />

nur über die Beanstandung der Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO anfechtbar 453 .<br />

Fortführung der Lösung Fall 32:<br />

Einer der Verlängerungsbeschlüsse könnte wie folgt lauten:<br />

„Der durch Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 01.03.2010, Aktenzeichen 64 Gs<br />

567/10, gegen A. angeordnete dingliche Arrest wird in Höhe von 80.000,- Euro für<br />

drei Jahre unter der Maßgabe der gesamtschuldnerischen Haftung von A. und B. aufrechterhalten.<br />

Die folgenden Vermögenswerte wurden sichergestellt:<br />

…“<br />

Gründe:<br />

…<br />

III Mitteilungs- und Belehrungspflichten nach § 111i Abs. 4 StPO<br />

§ 111i Abs. 4 StPO sieht die erneute Mitteilung an die Verletzten vor und zwar im Hinblick auf die über<br />

§ 111i Abs. 2 und 3 StPO geschaffene Rechtssituation, selbigen während der 3-Jahres-Frist im Wege<br />

der Rückgewinnungshilfe den Zugriff auf sichergestellte Vermögenswerte des Betroffenen auch weiterhin<br />

zu erlauben. Um diesen möglichst effektiv zu gewährleisten, ist der geschützte Personenkreis –<br />

unter entsprechender Geltung des § 111e Abs. 4 Satz 1 – 3 StPO – nicht nur über die nach § 111i<br />

Abs. 3 StPO erfolgte Anordnung sowie den Beginn der 3-Jahres-Frist unverzüglich zu informieren,<br />

sondern desweiteren auf die in § 111i Abs. 5 StPO genannten Rechtsfolgen und ihre Rechtsmöglichkeiten<br />

hinzuweisen.<br />

Da der spätere Auffangrechtserwerb kraft Gesetzes nach § 111i Abs. 5 StPO eintritt, ist die unterlassene<br />

Benachrichtigung allerdings unschädlich 454 .<br />

451 Vgl. BR-Drucks. 940/05, S. 30 ff.<br />

452 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 10.<br />

453 Nack, Karlsruher Kommentar StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 18.<br />

454 OLG Celle, Beschluss vom 16.08.2011, 1 Ws 322/11.<br />

128


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

IV Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO<br />

§ 111i Abs.5 StPO<br />

Auffangrechtserwerb<br />

des Staates Zugleich (§ 111i V 2 StPO)<br />

Verwertung des<br />

Pf.pfandrechts;<br />

Folge:<br />

BS: Rechtsfolge nach Ablauf DA: Diesbzgl. Erlös und<br />

Eigentumsübergang der Drei-Jahresfrist Erwerb eines hinterlegtes Geld fallen<br />

analog § 73e StGB im Sinne des § 111i III StPO Zahlungsanspruchs dem Staat zu.<br />

Weitere Folge:<br />

Erlöschen des Zahlungsanspr.<br />

im Sinne des<br />

§ 111i Abs.5 Satz 1 StPO<br />

"soweit nicht"<br />

innerhalb der 3-Jahresfrist<br />

(§ 111i Abs. 5 Satz 1 StPO)<br />

§ 111i V 1 Nr.1 StPO § 111i V 1 Nr. 2 StPO § 111i V 1 Nr. 3 StPO § 111i V 1 Nr. 4 StPO<br />

Verfügung des Verl. Anderweitige Herausgabe d. Sache Option der Herausgabe<br />

im Wege der ZV oder Erfüllung gem. § 111k StPO gem. § 111k StPO und<br />

Arrestvollziehung d. Verletzten oder Hinterlegung entspr. Antrag d. Verl.<br />

Verfahren<br />

Zust.: Gericht<br />

Form: Beschluss bei vorheriger<br />

Anhörung analog § 111l IV StPO<br />

Inhalt: Feststellung des Eintritts<br />

u. des Umfangs d. Rechtserw.<br />

RM: Sof. Beschwerde<br />

129


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Fortführung Fall 32:<br />

Kurz vor Ablauf der 3-Jahres-Frist wird auch G3 zur Zwangsvollstreckung zugelassen.<br />

Ferner ist G4 aus „freiem“ Vermögen des B. entschädigt worden.<br />

Mit Ablauf der 3-Jahres-Frist realisiert sich schlussendlich - kraft Gesetzes - der staatliche Auffangrechtserwerb<br />

dergestalt, dass der Staat entweder die nach § 111i Abs. 2 StPO bezeichneten Vermögenswerte<br />

entsprechend § 73e Abs. 1 StGB oder aber in Höhe des nach § 111i Abs. 2 StPO festgestellten<br />

Betrages einen Zahlungsanspruch erwirbt, jedoch abzüglich etwaiger (anteiliger) Kompensationen<br />

des Tatverletzten nach § 111i Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 – 4 StPO.<br />

Zugleich kann der Staat nach § 111i Abs. 5 Satz 2 in Vollziehung dinglicher Arreste erworbene Pfändungspfandrechte<br />

bzw. Arresthypotheken verwerten, wobei Erlös und hinterlegtes Geld dem Staat<br />

zufallen. (Sicherungs-)Pfandrecht bzw. Hypothek wandeln sich mithin um in ein Vollstreckungspfandrecht<br />

bzw. in eine auf Antrag hin einzutragende Zwangshypothek, aus Letzterer die Zwangsversteigerung<br />

betrieben werden kann 455 .<br />

Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Vorschrift des § 111i Abs. 5 Satz 4 StPO:<br />

Mit der Verwertung erlischt der nach § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO begründete Zahlungsanspruch<br />

auch insoweit, als der Verwertungserlös hinter der Höhe des Anspruchs<br />

zurückbleibt.<br />

Gemäß § 111i Abs. 6 StPO ist der Eintritt und Umfang des Auffangrechtserwerbs nach § 111i Abs. 5<br />

Satz 1 StPO durch das Gericht des ersten Rechtszugs mittels Beschluss deklaratorisch festzustellen 456 ,<br />

wobei im Tenor die Kennzeichnung gesamtschuldnerisch haftender Täter etc. in diesem Fall geboten<br />

ist 457 .<br />

Vorher sind hiervon Betroffene unter entsprechender Anwendung des § 111l Abs. 4 Satz 1 StPO nach<br />

§ 111i Abs. 6 Satz 2 StPO anzuhören.<br />

Gegen diesen Beschluss ist die sofortige Beschwerde statthaft (§ 111i Abs. 6 Satz 3 StPO).<br />

Lösung der Fortführung Fall 32:<br />

Infolge der Entschädigung von G3 und G4 sind nach § 111i Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2<br />

StPO weitere Abzüge in Höhe von insgesamt 20.000,- Euro vorzunehmen.<br />

Der Staat hat mithin einen Zahlungsanspruch in Höhe von jeweils 60.000,- Euro gegen<br />

A. und B. unter Maßgabe ihrer gesamtschuldnerischen Haftung erworben.<br />

Die Verwertung der Pfändungspfandrechte der noch freien Vermögenssicherungen<br />

kann insoweit zu einem Maximalerlös von 40.000,- Euro führen, deren Realisierung<br />

den dann noch offenen Anspruch von 20.000,- Euro erlöschen lässt.<br />

Der Beschlusstenor nach § 111i Abs. 6 Satz 1 StPO könnte daher wie folgt lauten:<br />

„Es wird festgestellt, dass der Staat nach § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO gegen A. und B.<br />

einen Zahlungsanspruch in Höhe von 60.000,- Euro unter Maßgabe ihrer gesamtschuldnerischen<br />

Haftung erworben hat“.<br />

V Ausgleichsanspruch nach § 111i Abs. 7 StPO<br />

§ 111i Abs. 7 StPO sieht einen Ausgleichsanspruch des vom Auffangrechtserwerb Betroffenen gegen<br />

den Staat unter der Voraussetzung vor, dass er über Beschlagnahme oder dinglichen Arrest die gesicherten<br />

Ansprüche des Verletzten nach Ablauf der 3-Jahres-Frist (anteilig) befriedigt hat. Ansonsten<br />

käme es zu einer zweifachen Inanspruchnahme des Täters, Teilnehmers oder Drittempfängers, die mit<br />

Sinn und Zweck des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht zu vereinbaren wäre (vgl. oben).<br />

Ausschlussgründe sind in § 111i Abs. 7 Satz 2 StPO normiert.<br />

455 Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 15.<br />

456 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 17 m.w.N.<br />

457 Vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 Rn.<br />

130


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

VI Objektives Verfahren nach § 76a Abs. 1 und 3 StGB unter entsprechender Anwendung<br />

des § 111i Abs. 2 bis 7 StPO<br />

Um nicht sachgerechte Beschränkungen bei der Vermögensabschöpfung zu vermeiden, sind in den<br />

Fällen des § 76a Abs. 1 und 3 StGB die Absätze 2 bis 7 des § 111i StPO auf das Verfahren nach §§<br />

440 und 441 in Verbindung mit § 442 Abs. 1 StPO entsprechend anzuwenden.<br />

In einem ersten Schritt ist folglich durch das Gericht zu prüfen, ob die Durchführung des subjektiven<br />

Verfahrens (nachträglich) unmöglich (geworden) ist 458 .<br />

In den Fällen des Freispruchs, weil – sei es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen – keine Straftat<br />

begangen wurde, ist für die Vorschrift kein Raum; steht hingegen fest, dass eine Straftat begangen<br />

wurde, der Angeklagte aber aus tatsächlichen Gründen nicht verurteilt werden kann, ist die<br />

selbständige Anordnung im objektiven Verfahren möglich 459 .<br />

Im Übrigen kann § 111i Abs. 8 StPO auch bei Einstellungen aus Opportunitätsgründen zum Tragen<br />

kommen 460 . Bei (Teil-)Einstellungen nach §§ 154, 154a StPO 461 ist jedoch zu bedenken, dass diese<br />

Taten ebenfalls in die Sicherungstitel nach §§ 111b ff. StPO mit aufzunehmen sind 462 .<br />

458 Vgl. hierzu die Ausführungen: Teil I, 3.<br />

459 Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 5.<br />

460 Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 4.<br />

461 Vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 28.09.2011, 5 StR 343/11.<br />

462 Vgl. hierzu die Ausführungen unter: 5. Teil, 3. Kapitel, C. 2. b. (3).<br />

131


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Fazit:<br />

§ 111i Abs. 2 – 8 StPO stellt trotz seiner Implementierung im Verfahrensrecht eine im<br />

Kern materiell-rechtliche Bestimmung dar, die § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB dergestalt modifiziert,<br />

dass Verletztenansprüche den Verfall zugunsten des Staates unter der Bedingung<br />

nicht hindern, dass Tatgeschädigte während der 3-Jahres-Frist i.S.d. § 111i Abs. 3 StPO<br />

untätig geblieben sind.<br />

Wie oben bereits dargelegt ist der Gesetzgeber insoweit vor dem Hintergrund der Regelung<br />

des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB der den Anwendungsbereich des § 111i StPO begrenzenden<br />

Leitidee gefolgt, zu verhindern, bereits gesicherte Vermögenswerte an den Täter<br />

oder sonst Betroffenen in Kenntnis der strafbewehrten Herkunft wieder herausgeben zu<br />

müssen.<br />

Daraus folgt zunächst, dass es nur dann zum Auffangrechtserwerb kommt, wenn bis zur<br />

Rechtskraft des Urteils Vermögenssicherungen ausgebracht wurden. Darüber hinaus begrenzt<br />

§ 111i Abs. 5 Satz 4 StPO den Auffangrechtserwerb in der Weise, dass mit der<br />

Verwertung der nach § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO entstandene Zahlungsanspruch auch insoweit<br />

erlischt, als der Verwertungserlös hinter der Höhe des Anspruchs zurückbleibt.<br />

Sollten mithin bisher unbekannte, nicht gesicherte Vermögenswerte des Täters innerhalb<br />

der 3-Jahres-Frist oder danach „auftauchen“ 463 , hätten die Strafverfolgungsbehörden keine<br />

rechtliche Möglichkeit mehr, darauf Zugriff zu nehmen, um eine bis dahin bestehende<br />

Unterdeckung aufzulösen. Staatdessen wäre der Tatverletzte, der noch keine hinreichende<br />

Kompensation erfahren hat, selbst gehalten, die Zwangsvollstreckung zu betreiben.<br />

Gerade bei Verfahren mit einer Vielzahl von Geschädigten und geringen Individualschäden,<br />

die laut der Gesetzesbegründung Anlass für die Gesetzesänderung gegeben haben<br />

464 , erscheint es mehr als zweifelhaft, dass Tatverletzte willens und in der Lage sind,<br />

eigene Titel zu erwirken und daraus effektiv die Vollstreckung zu betreiben.<br />

In bestimmten Deliktsbereichen ergeben sich somit Anwendungsdefizite, die durch das<br />

Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten<br />

gerade vermieden werden sollten.<br />

Es bleibt auch vor dem Hintergrund der Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene abzuwarten,<br />

wie darauf der nationale Gesetzgeber reagieren wird. Ein bereits im Jahre 1998<br />

eingebrachter Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. vom 03.<br />

Februar 1998 465 würde m.E. diese Problematik vermeiden und zu einer im Ansatz effektiveren<br />

und ebenso verfassungsgemäßen Vermögensabschöpfung führen 466 .<br />

Regelungsgehalt und Rechtsfolgen der Maßnahmen sind einerseits nach §§ 73, 73a, 73d<br />

StGB und andererseits nach § 111i Abs. 2 und 5 StPO dem Grunde nach identisch. Deshalb<br />

kann materiell-rechtlich betrachtet bei § 111i Abs. 2 StPO kein anderer Maßstab, als<br />

bei §§ 73 ff. StGB geboten, angezeigt sein.<br />

463<br />

Vgl. hierzu den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sicherstellung<br />

und Einziehung von Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union, BR-Drucks. 135/12, S. 14 ff. und<br />

25.<br />

464<br />

Vgl. BT-Drucks. 16/700, S. 8.<br />

465<br />

BT-Drucks. 13/9742.<br />

466<br />

Vgl. aber Lohse, AnwaltKommentar, StPO, 2. Auflage 2010, § 111i Rn. 2.<br />

132


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

10.4 Weitere Lösungsansätze außerhalb des Anwendungsbereichs des § 111i Abs. 2 –<br />

8 StPO<br />

10.4.1 Einführung<br />

Vor der Einführung des § 111i Abs. 2 – 8 StPO wurden in Rechtsprechung und im Schrifttum verschiedene<br />

Lösungsansätze entwickelt, um im Fall der Untätigkeit des Verletzten bereits sichergestellte Vermögenswerte<br />

nicht wieder an den letzten Gewahrsamsinhaber und damit häufig an den Beschuldigten<br />

herausgeben zu müssen.<br />

Diese Optionen sind nach wie vor aktuell, zum einen in Bezug auf „Altfälle“, also im Hinblick auf Taten,<br />

die zum 01.01.2007 beendet waren, und zum anderen bei Konstellationen, die vom Anwendungsbereich<br />

des § 111i StPO entweder gar nicht erfasst werden oder aber bei denen eine Verlängerung<br />

nach § 111i Abs. 1 StPO ergebnislos verlaufen ist 467 .<br />

Hierzu ein Fallbeispiel:<br />

Fall 33468 ::<br />

L. wird auf frischer Tat ertappt, als er eine Packung Rasierklingen entwendet.<br />

Bei der Wohnungsdurchsuchung werden bei ihm Gegenstände im Wert von 150.000,-<br />

Euro gesichert. Es handelt sich um verschiedene Gebrauchsgegenstände in 10- bis<br />

20-facher Ausfertigung, was den Schluss nahelegt, dass die Gegenstände ebenfalls<br />

aus Diebstahlstaten stammen.<br />

Im Laufe der Ermittlungen können L. vier weitere Diebstähle von Parfüm, Rasierklingen<br />

und Seife nachgewiesen werden.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

10.4.2 Fundversteigerung und Maßnahmen nach Polizeirecht<br />

Da im Beispielsfall 33 die einzelnen Herkunftstaten – mit Ausnahme der 4 Taten - nicht mit dem für<br />

eine Anklageerhebung bzw. eine Antragsschrift notwendigen Grad an Sicherheit nach Zeit, Ort und<br />

den sonstigen Umständen konkretisiert werden können und es zudem an einer tauglichen Anknüpfungstat<br />

i.S.d. § 73d Abs. 1 StGB fehlt, kann weder im subjektiven im objektiven Verfahren unter Anwendung<br />

des § 111i Abs. 2 bis 8 StPO eine Abschöpfung der sichergestellten Gebrauchsgegenstände<br />

erfolgen.<br />

In einem solchen Fall bieten sich zwei Vorgehensweisen an:<br />

Einmal kann die entsprechende Anwendung von Nr. 75 RiStBV i.V.m. § 983 BGB erwogen werden 469 ;<br />

denkbar ist aber auch ein Vorgehen über § 43 PolG NW.<br />

Diese Vorschrift erlaubt die Sicherstellung einer Sache aus Gründen der Gefahrenabwehr, so beispielsweise<br />

zum Schutz des unbekannten Eigentümers oder des rechtmäßigen Inhabers der tatsächlichen<br />

Gewalt vor Verlust oder Beschädigung (§ 43 Nr. 2 PolG NW). Zu prüfen wäre, ob Umstände vorliegen,<br />

die das Eigentum eines Dritten wahrscheinlicher erscheinen lassen oder die vom (Eigen-<br />

)Besitzer behaupteten Tatsachen wiederlegen, und von daher die Eigentumsvermutung des § 1006<br />

BGB nicht eingreift 470 .<br />

10.4.3 Verzicht durch Beschuldigten<br />

Verzichtserklärungen bzw. Abtretungen etwa des Beschuldigten hinsichtlich beweglicher Sachen und<br />

Forderungen sind in der Praxis nicht selten, leider aber auch nicht unproblematisch, da beispielsweise<br />

die betroffenen beweglichen Sachen bim Protokoll im Einzelnen nicht genau bezeichnet wurden oder<br />

aber Abtretungsverbote bestehen 471 .<br />

467<br />

Vgl. auch Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111i Rn. 3.<br />

468<br />

Fall angelehnt an BGH, Beschluss vom 15.03.1984, 1 StR 819/83.<br />

469<br />

BGH a.a.O.; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111i, Rn. 3; Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung<br />

im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010, S. 50 ff.<br />

470<br />

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.08.2010, 5 A 298/09; vgl. auch BVerfG, (Kammer-)Beschluss vom<br />

24.10.2011, 1 BvR 732/11.<br />

471<br />

Vgl. hierzu Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Aufla-<br />

ge 2010, S. 183 ff.<br />

133


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Zu besonderer Vorsicht ist darüber hinaus zu raten, wenn zu Gunsten von Tatverletzten ein Verzicht<br />

angedacht ist und – wie zumeist – nicht genügend Vermögen gesichert wurde, um alle Ansprüche zu<br />

befriedigen. Da die strafrechtliche Rückgewinnungshilfe kein Verteilungsverfahren nach insolvenzähnlichen<br />

Verfahrensgrundsätzen kennt, führt ein derartiger Verzicht ins Leere, besonders dann, wenn<br />

Gelder hinterlegt wurden. Denn die Herausgabe des hinterlegten Betrages ergeht per Verfügung auf<br />

Antrag, sofern die Berechtigung des Empfängers nachgewiesen ist (§ 13 Abs. 1 HintO). Da eine quotenweise<br />

Auskehrung nicht vorgesehen ist, müsste daher die Legitimation eines Tatverletzten – mit<br />

Zustimmung der übrigen Verletzten – belegt werden, was praktisch ausgeschlossen ist.<br />

134


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

10.5 Schlussübersicht zu Anwendungsmöglichkeiten bei § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB<br />

Mögliche Verfahrensweisen in Bezug auf im Rahmen der Rückgewinnungshilfe gem. §§ 111b ff. StPO gesicherte Vermögenswerte vor dem Hintergrund<br />

der Sperrklausel des § 73 Abs.1 Satz 2 StPO:<br />

Verzicht/Freigabe Verzicht d. Anspr. d. Verl. § 111i StPO § 111i<br />

d. Besch. z.G. Verl. ./. verj. o. aus § 111k StPO aus tats. § 111i I StPO II - VIII StPO<br />

d. Verletzten Besch. and. Grund nt. Gründen nt.<br />

durchsetzbar anwendbar*<br />

Herausgabe an (Erw.) Verfall (Erw.) Verfall Herausgabe Grds.: Zugriffsmgl.keit Zugriff v.<br />

Verl., aber nur oder oder an Verl. Herausgabe d. Verl. inner- Verl. mgl.;<br />

bei wenigen Verl. (Erw.) Verfall (Erw.) Verfall an Besch. halb der Verl.; danach Auffangpraktikabel<br />

v. Wertersatz v. Wertersatz danach: rechtserwerb d.<br />

(zu vgl.§ 13 mgl. mgl. Herausgabe an Staates<br />

HintO) Besch.<br />

Aber:<br />

Ggf. Ggf.<br />

Fundverst. Maßn. nach<br />

Polizeirecht<br />

135


Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />

Zusammenfassung<br />

Die §§ 111b Abs. 5, 111g, 111h und § 111i StPO bilden verfahrensrechtlich das „Herzstück“<br />

der Rückgewinnungshilfe.<br />

Im Rahmen der Rückgewinnungshilfe ist die anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmende<br />

Ermessensentscheidung gem. § 111b Abs. 5 StPO dann eröffnet, wenn eine<br />

natürliche oder juristische Person oder sonst geschützte Personenvereinigung durch eine<br />

Straftat individuell verletzt ist und daneben die sonstigen Voraussetzungen des § 73 Abs.<br />

1 Satz 2 StGB erfüllt sind.<br />

Bei der Ermessensausübung sind:<br />

Belange des Opferschutzes<br />

die tatsächlichen respektive rechtlichen Möglichkeiten des Verletzten zur Durchsetzung<br />

seiner Ansprüche<br />

die Höhe des Schadens<br />

die Zahl der Verletzten und deren bisheriges Verhalten und<br />

der (Verfolgungs-)Aufwand<br />

die Möglichkeiten der Verfahrensbeschränkung nach §§ 154 ff. StPO<br />

die Option des späteren Auffangrechtserwerbs<br />

in den Blick zu nehmen.<br />

Beim so genannten „starken Verletzten“ ist das Konkurrenzverhältnis zwischen<br />

Maßnahmen nach §§ 111b ff. StPO und den Rechtsschutzmöglichkeiten, die dem Verletzten<br />

zur Verfügung stehen, einzelfallabhängig so aufzulösen, dass Sicherungsmaßnahmen<br />

nach §§ 111b ff. StPO nur dann ausscheiden, wenn sowohl tatsächlich als auch rechtlich<br />

betrachtet Verletzte aus Straftaten aufgrund ihres eigenen Kenntnisstandes selbst in der<br />

Lage sind, ebenso zeitnah zu eigenen wenigstens vorläufig vollstreckbaren Titeln zu gelangen<br />

sowie darauf basierend gleich effektive Sicherungsmaßnahmen durchzuführen, mithin<br />

ohne Gefahr zu laufen, dass ihr Zugriff durch vorheriges Täterhandeln vereitelt oder<br />

wesentlich erschwert wird.<br />

Die Verletztenbenachrichtigung muss zeitgleich erfolgen und sollte neben allgemeinen<br />

rechtlichen Hinweisen vor allem eine detaillierte Aufstellung der bis dahin gesicherten<br />

Vermögenswerte enthalten.<br />

Im Rahmen des Zulassungsverfahrens (§§ 111g, 111h StPO) prüft das Gericht lediglich<br />

summarisch, ob der titulierte Anspruch des Verletzten aus der Tat erwachsen ist, die Anlass<br />

für die Sicherungsanordnung war.<br />

Die Rechtsfolgen der rechtskräftigen Zulassung des Verletzten zur Zwangsvollstreckung<br />

nach §§ 111g, 111h StPO liegen in erster Linie in Rückwirkungsfiktion bzw. im Rangtausch<br />

zu seinen Gunsten, wobei im (Rang-)Verhältnis mehrerer Verletzter nach h.M. das<br />

Prioritätsprinzip gilt.<br />

Entsprechende Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO vorausgesetzt erstreckt sich der<br />

Auffangrechtserwerb zu Gunsten des Staates nach § 111i Abs. 5 StPO auf die bis zur<br />

Rechtskraft des Urteils gesicherten Vermögenswerte; die Differenz zwischen der Höhe des<br />

Anspruchs nach § 111i Abs. 2 StPO und dem Verwertungserlös erlischt (§ 111 Abs. 5 Satz<br />

4 StPO)!<br />

136


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen<br />

nach §§ 111b ff. StPO und eröffnetem<br />

Insolvenzverfahren<br />

Die Thematik des Spannungsverhältnisses zwischen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO<br />

und eröffnetem Insolvenzverfahren ist in der Praxis von großer Bedeutung, nicht zuletzt auch angezeigt<br />

durch die zunehmende Zahl von diesbezüglichen Gerichtsentscheidungen und Publikationen.<br />

Sehr häufig folgen nämlich auf in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen<br />

(Fremd-)Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des<br />

Arrestbetroffenen, insbesondere dann, wenn das (nahezu) gesamte Vermögen arretiert wurde 472 .<br />

Insoweit sind zwei Ebenen zu unterscheiden.<br />

Zum einen geht es um die Frage nach der insolvenzrechtlichen Behandlung von Ansprüchen des<br />

Staates auf Verfall (von Wertersatz).<br />

Zum anderen ist das Verhältnis zwischen dem eröffneten (Privat-)Insolvenzverfahren, das von<br />

dem Grundsatz der Gläubigergleichheit („par conditio creditorum“) getragen ist, und ausgebrachten<br />

Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO im Wege der Vollziehung von Beschlagnahmeanordnungen<br />

oder dinglichen Arresten zu klären. Bei Letzteren ist weiter danach zu differenzieren,<br />

ob diese zur vorläufigen Absicherung originär staatlicher Ansprüche gem. §§ 73 ff., 74 ff.<br />

StGB oder aber anlässlich von Rückgewinnungshilfe (§§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b Abs. 5<br />

StPO) ausgebracht wurden.<br />

Gerade der zuletzt genannte Themenkreis wirft insbesondere seit der Einführung des § 111i StPO<br />

(n.F.) zum 01.01.2007 vielfältige Fragen auf, welche teilweise noch der ober- und höchstrichterlichen<br />

Klärung bedürfen 473 .<br />

Einen Schritt zurückgehend mag die Beantwortung dieser Fragen aber auch Einfluss haben auf die<br />

nach § 111b StPO und nach § 111i Abs. 2 StPO vorzunehmenden Ermessensentscheidungen, ob überhaupt<br />

Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen resp. Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffen<br />

sind 474 .<br />

Die nachfolgenden Ausführungen sollen daher einen ersten Überblick geben, sowohl im Hinblick auf<br />

die rechtlichen Rahmenbedingungen eines Insolvenzverfahrens und die in diesem Sachzusammenhang<br />

besonders relevanten Vorschriften als auch in Bezug auf verfahrenstypische Kollisionsfälle, die u.U. zur<br />

Aufhebung ausgebrachter Pfändungen zwingen.<br />

472 Hees, ZIP 2004, 298 (299); von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1152).<br />

473 Vgl. hierzu auch Markgraf, Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafpro-<br />

zessualen Vermögensabschöpfung (Diss.), 2008.<br />

474 Hierzu Greier, ZInsO 2007, 953 ff.<br />

137


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

11. Kurze Einführung in das Insolvenzrecht<br />

Ein Insolvenzverfahren kann nur auf Antrag entweder des Schuldners oder des Gläubigers eröffnet<br />

werden (§ 13 Abs. 1 InsO). Schuldner kann neben einer natürlichen oder juristischen Person auch<br />

eine in § 11 Abs. 2 InsO näher bezeichnete Gesellschaft oder Gütergemeinschaft sein.<br />

Eröffnungsgrund ist Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit sowie Überschuldung des<br />

Schuldners (§§ 16 ff. InsO). Weiter ist erforderlich, dass genügend Masse zur Verfügung steht; anderenfalls<br />

ist das Verfahrens mangels Masse abzuweisen (§ 26 InsO).<br />

Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens führt dazu, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis<br />

über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§§ 35, 36 InsO) vom Schuldner auf den Insolvenzverwalter<br />

übergeht (§ 80 Abs. 1 InsO; vgl. auch § 81 InsO).<br />

Im Vorfeld kann das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO treffen, etwa über die<br />

Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO) und/oder die Auferlegung<br />

eines allgemeinen Verfügungsverbotes (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO).<br />

Besonders für noch auszubringende bzw. schon ausgebrachte Beschlagnahmen und Pfändungen in<br />

Vollziehung der Sicherungstitel nach §§ 111b ff. StPO sind mehrere Bestimmungen in der InsO, welche<br />

die Eröffnung des Insolvenzverfahrens inzidenter voraussetzen und in zeitlicher Hinsicht Fixpunkte<br />

darstellen, von Bedeutung.<br />

Im Mittelpunkt steht dabei das Vollstreckungsverbot nach § 89 InsO, welches Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

in das Masse- und sonstige Schuldnervermögen während der Dauer des Insolvenzverfahrens<br />

verbietet.<br />

Frage:<br />

Was ist die Rückschlagsperre?<br />

Eine zeitlich rückwirkende Funktion kommt der sogenannten „Rückschlagsperre“ nach § 88 InsO zu:<br />

Hat ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder<br />

bereits nach Antrag durch Zwangsvollstreckung eine Sicherheit an dem zur Insolvenzmasse gehörenden<br />

Vermögen des Schuldners erlangt, so wird diese Sicherung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

unwirksam.<br />

Schließlich eröffnen die §§ 129 ff. InsO für den Insolvenzverwalter die Möglichkeit, Rechtshandlungen,<br />

die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger<br />

benachteiligen, anzufechten. Aus staatsanwaltschaftlicher Sicht ist hierbei die Anfechtbarkeit bei sogenannter<br />

inkongruenter Deckung von besonderer Relevanz (§ 131 InsO). Dieser Anfechtungsgrund ist<br />

erfüllt, wenn eine Rechtshandlung einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt<br />

oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art, etwa durch Zwangsvollstreckung im<br />

Rahmen der Vollziehung eines dinglichen Arrestes 475 , oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Im<br />

Übrigen wird zwischen verschiedenen Zeitpunkten, zu denen die Handlung vorgenommen wurde, differenziert.<br />

Auch die Klassifizierung der Insolvenzgläubiger ist vorliegend von Interesse.<br />

Die InsO differenziert zwischen allgemeinen Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO) und nachrangigen Insolvenzgläubigern<br />

(§ 39 InsO).<br />

Zwischenzeitlich ist höchstrichterlich geklärt, dass Ansprüche des Staates auf Verfall und Einziehung<br />

von Wertersatz gem. §§ 73a, 74c StGB nachrangige Insolvenzforderungen im Sinne des § 39 Abs. 1<br />

Nr. 3 InsO darstellen, da sie als Nebenfolgen einer Straftat zu einer Geldzahlung verpflichten 476 . Insofern<br />

ist es im Umkehrschluss folgerichtig, dass der Anordnung des Verfalls von Wertersatz grundsätz-<br />

475<br />

Markgraf, Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafprozessualen Vermögensabschöpfung<br />

(Diss.), 2008, S. 99 ff.<br />

476<br />

BGH, Urteil vom 11.05.2010, IX ZR 138/09; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.06.2009, 14 U 107/08; a.A. LG Of-<br />

fenburg, Urteil vom 22.07.2008, 2 O 155/07.<br />

138


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

lich nicht bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Verfallsbetroffenen<br />

unter dem Gesichtspunkt eines (angeblich) vorrangigen Schutzes der Geschädigten in der Insolvenz<br />

entgegensteht 477 .<br />

Desweiteren sind die Aussonderungsrechte nach §§ 47 ff. InsO und die Absonderungsrechte nach §§<br />

49 ff. InsO von Relevanz.<br />

Sofern jemand eine dingliche oder persönliche Rechtsposition geltend macht, aufgrund dessen der<br />

betreffende Gegenstand nicht dem Schuldner gehört und folglich auch nicht der Insolvenzmasse zufällt,<br />

kann derjenige Aussonderung des Gegenstands nach den Gesetzen außerhalb der InsO verlangen<br />

(§ 47 InsO), beispielsweise das Opfer eines Diebstahls bezüglich des ihm noch gehörenden Gegenstandes.<br />

Darüber hinaus sieht die InsO Absonderungsrechte nach §§ 49 ff. vor. Derartige Gläubiger, die entweder<br />

Insolvenzgläubiger sind oder aber auch nicht, haben in Bezug auf einen bestimmten Massegegenstand<br />

Ansprüche und können ihr Absonderungsrecht unabhängig vom eigentlichen Insolvenzverfahren<br />

geltend machen 478 .<br />

Während sich § 49 InsO auf die abgesonderte Befriedigung aus unbeweglichen Gegenständen bezieht,<br />

behandelt § 50 InsO die abgesonderte Befriedigung der Gläubiger aus rechtsgeschäftlichen, gesetzlichen<br />

und (Pfändungs-)Pfandrechten, so dass in diesem Zusammenhang auch die Vorschrift des § 80<br />

Abs. 2 InsO Bedeutung erlangen kann.<br />

Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 InsO hat ein gegen den Schuldner bestehendes (relatives) Veräußerungsverbot,<br />

das nur den Schutz bestimmter Personen bezweckt (§§ 135, 136 BGB), im Insolvenzverfahren<br />

keine Wirkung. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO bleiben indessen die Vorschriften über die Wirkungen<br />

einer Pfändung oder einer Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung unberührt 479 .<br />

Eine Arrestpfändung etwa (§ 930 Abs. 1 Satz 1 ZPO 480 ) hat grundsätzlich die Wirkung einer Beschlagnahme<br />

i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO 481 . Sie verschafft dem Gläubiger ein Pfändungspfandrecht mit<br />

den in § 804 ZPO bestimmten Wirkungen. Dieses Pfändungspfandrecht berechtigt indes noch nicht zur<br />

abgesonderten Befriedigung, sondern hat zunächst nur eine Sicherungsfunktion. Ein Vollstreckungspfandrecht<br />

erwirbt der Gläubiger erst, wenn er einen vollstreckbaren Titel zur Hauptsache erhält. Sobald<br />

also der gesicherte Anspruch durch Feststellung zur Insolvenztabelle Vollstreckbarkeit erlangt hat,<br />

kann der Gläubiger das Absonderungsrecht mit dem durch das Arrestpfandrecht erlangten Rang geltend<br />

machen 482 . Bei mehreren Pfändungspfandrechten ist insoweit für den Rang die zeitliche Priorität<br />

der Entstehung maßgebend 483 .<br />

Eine eingetragene Arresthypothek im Sinne des § 932 ZPO berechtigt demzufolge auch nicht zur abgesonderten<br />

Befriedigung nach § 49 InsO, da diese zwar ein vollständiges Sicherungspfandrecht begründet,<br />

hingegen nur als Vorstufe zur Zwangssicherungshypothek anzusehen ist 484 .<br />

Auch nachrangige Insolvenzforderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 4 InsO werden im Übrigen, soweit<br />

sie durch ein Absonderungsrecht gesichert sind, aus dem Erlös der abgesonderten Befriedigung vorrangig<br />

bedient 485 .<br />

Anders ausgedrückt: Der Nachrang des § 39 InsO wird im Rahmen der abgesonderten<br />

Befriedigung durch die §§ 49 ff. InsO verdrängt 486 .<br />

477<br />

BGH, Urteil vom 02.12.2005, 5 StR 119/05 Rn. 56.<br />

478<br />

Zimmermann, Insolvenzrecht, 4. Auflage 2001, 8. Abschnitt S. 51 ff.<br />

479<br />

Vgl. hierzu Ott/Vuia, Münchener Kommentar, InsO, 2. Auflage 2007, § 80 Rn. 158.<br />

480<br />

Auf diese Norm wird in § 111d Abs. 2 StPO ausdrücklich verwiesen.<br />

481<br />

BGHZ 87, 166.<br />

482<br />

Ganter, Münchener Kommentar, InsO, 2. Auflage 2007, § 50 Rn. 66a; so auch Stöber, Zöller, ZPO, 28. Auflage<br />

2010, § 804 Rn. 6.<br />

483<br />

Ganter, Münchener Kommentar, InsO, 2. Auflage 2007, § 50 Rn. 81.<br />

484<br />

Vollkommer, Zöllner, ZPO, 28. Auflage § 932 Rn. 1.<br />

485<br />

Ganter, Münchener Kommentar, InsO, 2. Auflage 2007, § 52 Rn. 43.<br />

486<br />

BGH, Urteil vom 17.07.2008, IX ZR 132/07; zuletzt LG Frankfurt, Urteil vom 09.11.2011, 2-16 S 69/11.<br />

139


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

12. Kollisionsfälle<br />

Es besteht Einigkeit darin, dass die Frage nach einer Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen<br />

den strafprozessualen Sicherungsmaßnahmen der §§ 111b ff. StPO und dem Grundsatz der par conditio<br />

creditorum nicht allgemeingültig, sondern kasuistisch beantwortet werden muss 487 . Es ist daher<br />

zunächst danach zu differenzieren, ob eine Beschlagnahmeanordnung nach §§ 111b Abs. 1, 111c<br />

StPO oder aber ein dinglicher Arrest nach §§ 111b Abs. 2, 111d StPO vollzogen worden ist, und in<br />

einem zweiten Schritt zu untersuchen, inwiefern ein originär staatlicher Anspruch auf Verfall (von<br />

Wertersatz) etc. oder aber ein Verletztenanspruch i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB über die Bestimmung<br />

des § 111b Abs. 5 StPO gesichert werden sollte.<br />

Darüber hinaus mag noch eine weitere Differenzierung dergestalt vorgenommen werden, ob ein sogenannter<br />

„Alt-Fall“, dem Taten zugrunde liegen, welche vor der Einführung des § 111i StPO (n.F.)<br />

mithin bis zum 01.01.2007 beendet waren, vorliegt oder nicht 488 .<br />

So gesehen sind derartige Beschlagnahmen und Pfändungen in Vollziehung von Sicherungstiteln nach<br />

§§ 111b ff. StPO in einem ersten Schritt daran zu messen, ob sie dem Grunde nach „insolvenzfest“<br />

sind, d.h. nicht gegen das Einzelzwangsvollstreckungsverbot (§ 89 InsO 489 ) verstoßend, der Rückfallsperre<br />

nach § 88 InsO nicht unterliegend und nicht i.S.d. §§ 129 ff. InsO anfechtbar ausgebracht<br />

worden sind.<br />

Ist die Frage nach der Insolvenzfestigkeit 490 , die sich nur dann stellt, wenn das Insolvenzverfahren<br />

auch eröffnet worden ist 491 , in diesem Sinne zu bejahen, gilt es im Anschluss zu prüfen, inwieweit das<br />

über die jeweilige Maßnahme begründete Sicherungsrecht, also das relative Veräußerungsverbot i.S.d.<br />

§ 111c Abs. 5 StPO bei einer vollzogenen Beschlagnahmeanordnung oder Verstrickung und Pfändungspfandrecht<br />

resp. Sicherungshypothek bei einem vollzogenen dinglichen Arrest im Insolvenzverfahren<br />

auch sonst Bestand hat bzw. u.U. gebotenen normativen Beschränkungen unterliegt. In den<br />

Fällen der Rückgewinnungshilfe wird zusätzlich zu berücksichtigen sein, ob eigene Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

der Verletzten überhaupt noch möglich bzw. insolvenzfest ausgebracht sind.<br />

Können also – anders formuliert - Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Verletzten im Nachgang von<br />

staatsanwaltschaftlichen Pfändungen, die sich als insolvenzfest erweisen, allein aufgrund der Möglichkeit<br />

zur Zulassung der Zwangsvollstreckung nach §§ 111g, 111h StPO und den damit verbundenen<br />

Wirkungen trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und zuwider den Bestimmungen der §§ 88,<br />

89, 129 ff. InsO noch wirksam erfolgen 492 ?<br />

Sind dagegen die StPO-Sicherungstitel zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch<br />

nicht oder nicht vollständig vollzogen, so ist die darauf gestützte Beschlagnahme nach § 111c StPO<br />

oder die Arrestvollziehung im Wege der Zwangsvollstreckung aufgrund des Verbots nach § 89 InsO<br />

nicht mehr zulässig. Sie sind mithin (teilweise) aufzuheben und zwar unabhängig vom Vorliegen eines<br />

„Rückgewinnungshilfefalls“ 493 .<br />

Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass die Staatsanwaltschaft während des Eröffnungsverfahrens,<br />

in welchem die Existenz einer wenigstens die Verfahrenskosten deckenden<br />

Masse geprüft wird, von der Freigabe bereits gesicherter Vermögenspositionen<br />

absehen wird, um eine spätere Verwertung des Vermögens des Betroffenen durch<br />

den Staat oder die Tatgeschädigten selbst nicht zu gefährden 494 , da sich – wie bereits<br />

erwähnt – die Kollisionsproblematik lediglich im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

stellt.<br />

487 Markgraf, Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafprozessualen Vermögensabschöpfung<br />

(Diss.), 2008, S. 182; so im Ansatz auch von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 ff.; Greier, ZInsO<br />

2007, 953 ff.; Lohse, AnwaltKommentar, StPO, 2. Auflage 2010, Vor §§ 111b – 111p Rn. 17 ff.; Rönnau, Vermögensabschöpfung<br />

in der Praxis, 2003, Rn. 478 ff.; Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (388).<br />

488 Vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 20.<br />

489 Rönau, FS für Achenbach, 2011, 385 (389): Rönnau weist zutreffend darauf hin, dass insoweit ausreichend ist,<br />

dass der Staat einen Vermögensanspruch gegen den Schuldners auch erst während des laufenden Insolvenzverfahrens<br />

erlangt.<br />

490 Für eine weitergehende Differenzierung allerdings Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (391 ff.).<br />

491 Vgl. Greier, ZInsO 2007, 953 (955); Schäfer, Löwe/Rosenberg, StPO, Bd. 2, 25. Auflage 2004, § 111b Rn. 50d.<br />

492 Von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1153).<br />

493 Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (389).<br />

494 Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (387) m.w.N.<br />

140


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

12.1 Absicherung originär staatlicher Ansprüche auf Verfall (von Wertersatz) etc.<br />

Frage:<br />

Nach was ist weiter zu differenzieren und warum?<br />

Abgesehen davon, dass sich dem Vorgenannten entsprechend staatlich veranlasste vorläufige Sicherungsmaßnahmen<br />

gemessen an den Vorgaben der §§ 88, 89, 129 ff. InsO dem Grunde nach als insolvenzfest<br />

erweisen müssen, ist beim diesbezüglichen Schutz staatlicher Ansprüche auf Verfall (von<br />

Wertersatz) etc. nach den §§ 73 ff., 74 ff. StPO weiter zu differenzieren nach jeweiligem Sicherungstitel<br />

und unterschiedlichen Rechtswirkungen ihrer Vollziehung.<br />

Folge einer ausgebrachten Beschlagnahmeanordnung nach § 111b Abs. 1 StPO ist nach § 111c Abs. 5<br />

StPO ein Veräußerungsverbot i.S.d. § 136 BGB. Fraglich bleibt daher dessen rechtlicher Fortbestand<br />

im eröffneten Insolvenzverfahren. Dies richtet sich nach der Bestimmung des § 80 Abs. 2 InsO.<br />

Im Ergebnis verliert das Veräußerungsverbot gem. § 111c Abs. 5 StPO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

über das Vermögen des Schuldners seine Wirkung 495 .<br />

Nach Auffassung des BGH wirkt das Veräußerungsverbot nach § 111c Abs. 5 StPO nur relativ i.S.d. §<br />

80 Abs. 2 Satz 1 InsO. Im Übrigen folge die Insolvenzfestigkeit der Beschlagnahme auch nicht aus §<br />

80 Abs. 2 Satz 2 InsO. Die Beschlagnahme eines Rechts nach § 111c Abs. 3 Satz 1 StPO werde zwar<br />

durch „Pfändung“ bewirkt, indes gelten insoweit die Vorschriften der ZPO nur sinngemäß, nämlich für<br />

den Vorgang der Pfändung als solchen und nicht auch für die Rechtsfolgen, die sich allein aus § 111c<br />

Abs. 5 StPO ergeben. Folge einer Beschlagnahme sei daher – wie auch in den übrigen Fällen nach §<br />

111c Abs. 1, 2 und 4 StPO – kein Pfändungspfandrecht, sondern nur ein Veräußerungsverbot 496 .<br />

Soweit Greier auch bei einer vollzogenen Beschlagnahme für ein insolvenzfestes Absonderungsrecht<br />

eintritt, indes sich an anderer Stelle seines Beitrags der vorgenannten Entscheidung des BGH anschließt<br />

497 , dürfte es sich dabei um ein redaktionelles Versehen gehandelt haben.<br />

Auf Antrag des Insolvenzverwalters sind daher beschlagnahmte Gegenstände freizugeben, was freilich<br />

nicht bedeuten muss, dass diese der Masse zufallen. Soweit Aussonderungsrechte von Verletzten aus<br />

Straftaten nach § 47 InsO bestehen, wird dieser Personenkreis außerhalb des Insolvenzverfahrens<br />

bedient.<br />

Die Rechtslage stellt sich bei einem vollzogenen dinglichen StPO-Arrest anders dar.<br />

Unbestritten folgt dem Arrestvollzug ein echtes Pfandrecht bzw. im Falle der Immobiliarvollstreckung<br />

eine echte Sicherungshypothek am Grundstück des Arrestbetroffenen. Beides unterliegt dem Anwendungsbereich<br />

des § 80 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist damit dem Grunde nach auch insolvenzfest 498 .<br />

Umstritten ist hingegen, ob hieraus trotz der Nachrangigkeit staatlicher Ansprüche auf Verfall und<br />

Einziehung von Wertersatz i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO auch ein Absonderungsrecht des Staates folgen<br />

kann.<br />

Die überwiegende Rechtsprechung und Literatur bejaht dies und zwar unabhängig davon, ob schon<br />

über die Hauptsache entschieden wurde 499 , v.a. gestützt auf die vergleichbare Rechtslage bei der Voll-<br />

495 BGH, Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 41/05 m.w.N. auch für die ggt. Auffassung.<br />

496 BGH a.a.O.; so auch Malitz, NStZ 2002, 337 (341);Hees, ZIP 2004, 298 ff.; von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151<br />

(1155); Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111c Rn. 12a, allerdings mit unklarer Begründung.<br />

497 Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; vgl. hierzu auch von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1154).<br />

498 LG Saarbrücken, Beschluss vom 19.05.2003, 8 Qs 86/03; OLG Köln, Beschluss vom 08.08.2003, 2 Ws 433/03;<br />

Greier, ZinsO 2007, 953 ff.; von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1159).<br />

499 OLG Köln, Beschluss vom 08.08.2003, 2 Ws 433/03; KG, Beschluss vom 06.07.2005, 2 AR 85/05; KG, Beschluss<br />

vom 11.07.2008, 3 Ws 137/08; Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, §<br />

111d Rn. 15a; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2011, Vor §§ 111b – 111p Rn. 19; a.A. Markgraf,<br />

141


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

ziehung von ZPO-Arresten. Im Falle des rechtskräftigen Ausspruchs des Verfalls etc. könnte daher der<br />

Staat die Absonderungsrechte nach §§ 49, 50 InsO geltend machen.<br />

Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafprozessualen Vermögensabschöpfung<br />

(Diss.), 2008, S. 132; Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (400 ff.).<br />

142


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

12.2 Sicherungsmaßnahmen im Wege der Rückgewinnungshilfe<br />

Fall 34:<br />

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen richten sich gegen A., der sich wegen einer<br />

Vielzahl von Betrugstaten aus dem Jahre 2009 strafrechtlich zu verantworten hat;<br />

sein diesbezüglicher Erlös beläuft sich auf insgesamt 500.000,- Euro.<br />

Im Rahmen der Vollziehung des in dieser Höhe vom zuständigen AG am 06.07.2009<br />

erlassenen dinglichen Arrestes konnten im Juli 2009 Vermögenswerte im nominellen<br />

Gesamtwert von 150.000,- Euro vorläufig gesichert werden, davon 50.000,- Euro in<br />

bar, die hinterlegt worden sind, ferner Forderungen in derselben Größenordnung und<br />

zuletzt 50.000,- Euro als Höchstbetragssicherungshypothek in eine dem A. gehörende<br />

Immobilie.<br />

Dem Geschädigten B. gelingt es, zeitnah im August 2009 einen Titel in Höhe von<br />

20.000,- Euro zu erwirken, im selben Monat im Wege der Forderungspfändung die<br />

Zwangsvollstreckung in das hinterlegte Geld zu betreiben und auf seinen Antrag hin<br />

im September 2009 gem. § 111g StPO zur Zwangsvollstreckung zugelassen zu werden.<br />

Der Geschädigte C. ist ebenfalls zivilprozessual tätig geworden und vollstreckt im Oktober<br />

2009 ein im September 2009 gegen A. erwirktes Versäumnisurteil über<br />

10.000,- Euro in der Weise, dass der Hinterlegungsstelle ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss<br />

zugestellt wird.<br />

Die übrigen Geschädigten bleiben hingegen untätig.<br />

Nachdem auf Fremdantrag hin am 02.06.2011 das (Privat-)Insolvenzverfahren über<br />

das Vermögen des A. eröffnet worden ist, beantragt C. beim zuständigen AG im Juli<br />

2011 mit Erfolg die Zulassung zur Zwangsvollstreckung.<br />

Schließlich stellt das LG in seinem am 01.11.2011 erlassenen Urteil gegen A. gem. §<br />

111i Abs. 2 StPO fest, dass gegen ihn wegen eines Geldbetrages in Höhe von<br />

470.000,- Euro lediglich deshalb nicht auf Verfall erkannt wird, weil Ansprüche Verletzter<br />

entgegen stehen. Taggleich wird deswegen auch der dingliche Arrest unter<br />

Reduzierung der ursprünglichen Arrestsumme auf nunmehr 470.000,- Euro um drei<br />

Jahre verlängert (§ 111 Abs. 3 StPO).<br />

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.<br />

Mittlerweile hat der Insolvenzverwalter gegen die Aufrechterhaltung der noch offenen<br />

Pfändungen gem. § 111f Abs. 5 StPO Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt,<br />

nachdem zuvor die Staatsanwaltschaft seinem Ansinnen, die Maßnahmen aufzuheben,<br />

nicht nachgekommen war.<br />

Die Rechtslage ist im Spannungsverhältnis von ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen zu Gunsten von<br />

Tatgeschädigten und eröffnetem Insolvenzverfahren noch komplexer als bei der Absicherung staatlicher<br />

Ansprüche auf Verfall.<br />

Zunächst nur auf der Ebene der staatlich veranlassten Sicherungen gedacht, ist auch hier wieder zwischen<br />

vollzogener Beschlagnahmeanordnung und vollzogenem dinglichen Arrest zu unterscheiden,<br />

wobei infolge der Einführung des § 111i StPO (n.F.) zum 01.01.2007 darüber hinaus Anlass besteht,<br />

zwischen Alt- und Neufällen eine weitere Differenzierung vorzunehmen.<br />

Ferner sind aber auch die durch den Tatverletzten bewirkten Pfändungen in die seitens der Staatsanwaltschaft<br />

vorläufig gesicherten Vermögenswerte des Arrestbetroffenen auf ihre Insolvenzfestigkeit<br />

hin zu untersuchen, was verschiedene Fragen insbesondere zu den insolvenzrechtlich zu ziehenden<br />

Folgen der Zulassung zur Zwangsvollstreckung nach §§ 111g, 111h StPO aufwirft 500 .<br />

Keine Probleme ergeben sich, wenn staatsanwaltschaftliche Pfändungen, die Zwangsvollstreckung der<br />

Verletzten und die Zulassung zur Zwangsvollstreckung jeweils „insolvenzfest“ erfolgt sind 501 .<br />

500 Vgl. hierzu Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (392 ff.).<br />

501 Vgl. Schäfer, Löwe/Rosenberg, StPO, Bd. 2, 25. Auflage 2004, § 111b Rn. 50d; Greier, ZInsO 2007, 953 ff.;<br />

OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.06.2009, 3 Ws 214/09.<br />

143


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

Fällt allerdings die Entscheidung über die Zulassung zur Zwangsvollstreckung nach §§ 111g, 111h<br />

StPO in die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, während sich die Vollstreckungsmaßnahmen<br />

durch Staatsanwaltschaft und Verletzte noch außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 88, 89, 129<br />

ff. InsO bewegt haben, stellt sich die umstrittene Frage nach den (insolvenz-)rechtlichen Wirkungen<br />

der Zulassung.<br />

Die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur misst der Zulassung zur Zwangsvollstreckung keine<br />

zwangsvollstreckungsrechtlich relevante Wirkung im Sinne der §§ 88, 89, 129 ff. InsO bei, weshalb es<br />

nicht darauf ankommen soll, ob diese noch vor oder erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

beschlossen wird 502 .<br />

Demgegenüber meint Rönnau, dass die Zulassung nach §§ 111g, 111h StPO die bis dato noch nicht<br />

vollwertige Sicherung der Tatverletzten erweitere, weshalb der Bescheid als Rechtserweiterung zum<br />

Nachteil der Masse gegen § 91 Abs. 1 InsO verstoße 503 .<br />

Weitaus problematischer hingegen ist die in der Praxis zumeist anzutreffende Konstellation,<br />

dass Verletzte entweder zunächst gänzlich untätig bleiben und nach der<br />

Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus Rechtsgründen gehindert sind, im Wege der<br />

Einzelzwangsvollstreckung gegen den Arrestbetroffenen vorzugehen, oder aber ihre<br />

vorherigen Maßnahmen sich als nicht insolvenzfest erweisen 504 .<br />

Insolvenzfest wäre dann hier allenfalls die staatsanwaltschaftlich veranlasste Beschlagnahme oder<br />

Pfändung.<br />

Unabhängig vom Vorliegen eines Alt- oder neuen, dem Anwendungsbereich des § 111i Abs. 2 – 8<br />

StPO (n.F.) zuzuordnenden Falls ist bei einer insolvenzfest erfolgten Beschlagnahme nach §§ 111b,<br />

111c StPO die weitere Aufrechterhaltung der Maßnahme nach h.M. nicht möglich 505 .<br />

Das Ergebnis ist von zweierlei Erwägungen getragen.<br />

Zum einen entfaltet ein Veräußerungsverbot nach § 136 BGB als Folge einer wirksamen Beschlagnahme<br />

nur eine relative Wirkung und damit im Insolvenzverfahren nach § 80 Abs. 2 Satz 1<br />

InsO keine Wirkung (vgl. oben).<br />

Zum anderen gilt die in § 111g Abs. 3 Satz 1 StPO angeordnete Rückwirkung nur für das (im Insolvenzverfahren<br />

unwirksame) Veräußerungsverbot gemäß § 111c Abs. 5 StPO und nicht auch<br />

für das im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Pfändungspfandrecht 506 .<br />

Bei der Arrestvollziehung ist demgegenüber zwischen Alt- und Neufällen zu differenzieren.<br />

Ein „Alt-Fall“, dem beispielsweise eine im Jahre 2006 beendete Straftat zugrunde liegt und der<br />

zwar Anlass zur insolvenzfesten Arrestvollziehung gegeben hat, ohne dass allerdings auch Verletzte<br />

im Insolvenzverfahren bestandskräftige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchgeführt<br />

haben, zwingt ebenso wie bei einer vollzogenen Beschlagnahmeanordnung zur Aufhebung der<br />

Sicherungen 507 .<br />

Neben Erwägungen zu §§ 111c Abs. 5, 111g Abs. 3 Satz 1 StPO (a.F.) wird mit dem kompensationslosen<br />

Wegfall des eigentlichen Sicherungsziels argumentiert, da Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

durch Verletzte rechtlich unmöglich geworden sind und zudem originär staatliche Ansprüche aufgrund<br />

der Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht verfolgt werden können 508 .<br />

502 Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1154 Fn. 26); Schäfer, Löwe/Rosenberg,<br />

StPO, Bd. 2, 25. Auflage 2004, § 111b Rn. 50g; a.A. Hees, ZIP 2004, 298 (300); Rönnau, FS für Achenbach,<br />

2011, 385 (395 ff.).<br />

503 Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (395 ff.).<br />

504 Vgl. hierzu auch Rönnau, FS für Achenbach, 385 (395 ff.) m.w.N.<br />

505 BGH, Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 41/05, mit Anm. Cranshaw in jurisPraxisReport-InsR 19/2007 Anm. 1;<br />

Malitz, NStZ 2002, 337 (341); Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1155); Markgraf,<br />

Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafprozessualen Vermögensabschöpfung<br />

(Diss.), 2008, S. 154 ff. m.w.N. auch zur a.A.<br />

506 BGH, Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 41/05.<br />

507 OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.06.2009, 3 Ws 214/09; Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; von Gleichenstein, ZIP<br />

2008, 1151 (1155 ff.); Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vor §§ 111b – 111p Rn. 19.<br />

508 Vgl. hierzu OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.06.2009, 3 Ws 214/09 Rn. 9 ff. und Rn. 14 zitiert nach juris -.<br />

144


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

Zweifelhaft ist indessen, ob Obiges auch dann gilt, wenn dem Ermittlungs-/Strafverfahren eine<br />

nach dem 31.12.2006 begangene Straftat („Neu-Fall“) zugrunde liegt und somit der Anwendungsbereich<br />

des § 111i StPO (n.F.) eröffnet wäre.<br />

Grundsätzlich würde durch die Arrestpfändung insofern auch ein Pfändungspfandrecht bzw. eine wirksame<br />

Arresthypothek im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO begründet 509 .<br />

Die Besonderheit liegt vorliegend jedoch darin, dass die Verletzten noch keine eigenen zivilprozessualen<br />

Schritte unternommen haben und nunmehr auch an eigenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in<br />

Vermögenswerte des Arrestbetroffenen (=Insolvenzschuldner) aufgrund des bestehenden Einzelvollstreckungsverbots<br />

(§ 89 Abs. 1 InsO) rechtlich gehindert sind. Der Zweck der über § 111i Abs. 3<br />

StPO eröffneten Verlängerung des dinglichen Arrestes um weitere drei Jahre, bekanntermaßen den<br />

Zugriff etwaiger Verletzte auf bereits von der Staatsanwaltschaft vorläufige gesicherte Vermögenswerte<br />

des Arrestbetroffenen im Wege eigener Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu ermöglichen, ist mithin<br />

rechtlich unmöglich geworden.<br />

Es ist daher fraglich, ob im eröffneten Insolvenzverfahren das wirksam begründete (Sicherungs-<br />

)Pfandrecht– weiterhin insolvenzfest – nunmehr auch der Absicherung des noch zu begründenden,<br />

aufschiebend bedingten (im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nachrangigen) Anspruchs des Staates<br />

auf Verfall im Wege des Auffangrechtserwerbs rechtlich zu dienen imstande ist, ohne indes schon zur<br />

Absonderung nach § 50 Abs. 1 InsO zu berechtigen (vgl. oben).<br />

Diese Fragestellung ist – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Literatur bislang<br />

kaum behandelt worden.<br />

Greier 510 , auf den auch in einer Entscheidung des AG Göttingen 511 Bezug genommen wird, vertritt die<br />

Ansicht, dass, sofern Verletzte nicht mehr die Möglichkeit haben, auf seitens der Staatsanwaltschaft<br />

vorläufig gesicherte Vermögenswerte insolvenzfest zuzugreifen, auch die insolvenzfest begründeten,<br />

letztlich sinnentleerten Pfändungspfandrechte freizugeben seien. Insoweit bestehe ein Vorrang des<br />

Insolvenzverfahrens; sei schon der Verletzte einer Straftat im Insolvenzverfahren nicht mehr privilegiert,<br />

erscheine es kaum vertretbar, den Staat gegenüber der Gemeinschaft der Gläubiger als bevorzugt<br />

anzusehen.<br />

Dieser Auffassung folgt im Ergebnis auch von Gleichenstein 512 , wenn er auch die Begründung Greiers<br />

als wenig konturiert und inhaltsleer kritisiert.<br />

In derartigen Fallgestaltungen könnten sich nämlich Staatsanwaltschaft und Gerichte routinemäßig,<br />

wären nun die staatlichen Maßnahmen der Arrestvollziehung weder anfechtbar noch wegen der Rückschlagsperre<br />

des § 88 InsO unwirksam, da rechtzeitig ergriffen, den nach der jetzigen Gesetzeslage<br />

subsidiär immer bestehenden Anspruch auf Verfall von Wertersatz vorsorglich, nämlich für den Fall,<br />

dass Verletzte sich nicht melden, durch Pfandrecht und Sicherungshypothek an Vermögensgegenständen<br />

des Täters sichern und damit, da die Geltendmachung von Ansprüchen von Verletzten die Ausnahme<br />

sei, die Folge der Nachrangigkeit ihrer Forderungen in der Insolvenz regelmäßig umgehen. Ein<br />

echtes Absonderungsrecht sei daher fraglich, zum einen weil es zu unterschiedlichen Ergebnissen bei<br />

Verfall einerseits und bei Verfall von Wertersatz andererseits führen würde, zum anderen, da es der<br />

grundsätzlichen Nachrangigkeit des staatlichen Anspruchs widerspräche.<br />

Der Wertungswiderspruch könne auf zweierlei Wegen aufgelöst werden:<br />

Zunächst mit der Auslegung des § 111i Abs. 5 Nr. 1 StPO, indem sie die Bedingung der Bestimmung<br />

als erfüllt ansehe.<br />

Zum anderen wäre ein Absonderungsrecht des Fiskus jedenfalls im Rang der normalen Absonderungsrechte<br />

der §§ 49 ff. InsO zu verneinen, da es sich bei den infrage stehenden Sicherungsrechten<br />

des Staates um solche handele, die im Wege der Arrestvollziehung erworben worden<br />

seien und deswegen per se kein Recht auf Befriedigung verschaffen, sondern ein solches nur sichern<br />

würden.<br />

509 So i.E. auch von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1159).<br />

510 Greier, ZInsO 2007, 953 ff.<br />

511 AG Göttingen, Beschluss vom 30.11.2010, 74 IN 236/09.<br />

512 Von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1158 ff.).<br />

145


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

Schließlich kommt auch das AG Göttingen 513 zu diesem Auslegungsergebnis, im Wesentlichen unter<br />

Bezugnahme auf die Argumentation Greiers, teilweise aber auch auf Rechtsprechungsnachweise, die<br />

sich indes nur bedingt als stichhaltig erweisen.<br />

Im entschiedenen Fall, der mit der vorliegenden Konstellation vergleichbar ist, ohne dass es zu einer<br />

Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO und einer Verlängerung des Sicherungstitels nach § 111i Abs. 3<br />

StPO gekommen ist 514 , führe der dingliche StPO-Arrest nicht zu einem absoluten Veräußerungsverbot<br />

und dem Entstehen eines insolvenzfesten Absonderungsrechtes. Denn: Die Anordnung sei nicht erfolgt<br />

zur Sicherung der Ansprüche eines bestimmten Verletzten, sondern vielmehr für die „den Verletzten<br />

aus den Straftaten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüchen“. Ein Absonderungsrecht nach § 50<br />

InsO sei daher schon in Ermangelung eines bestimmten begünstigten Gläubigers nicht entstanden.<br />

Markgraf 515 hat sich in seiner Dissertation mit dieser Fallgestaltung nicht befasst, dürfte aber wohl zu<br />

demselben Ergebnis kommen, im Übrigen gestützt auf eine (analoge) Anwendung des § 91 Abs. 1<br />

InsO, mit der sich bereits das OLG Köln auseinander gesetzt hat 516 .<br />

Rönnau 517 wendet sich desgleichen gegen die Konsequenz, dass der Fiskus aufgrund unanfechtbar<br />

erworbener Pfändungspfandrechte bzw. Sicherungshypotheken abgesonderte Befriedigung verlangen<br />

kann. Er begründet dies mit einem Widerspruch gegenüber der Wertung des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO,<br />

ferner mit der sich infolgedessen ergebenden Ungleichbehandlung staatlicher Ansprüche auf Verfall<br />

einerseits und Wertersatzverfall andererseits und schließlich mit dem Umstand, dass es bei der Vermögensabschöpfung<br />

nicht darum gehe, dem Staat Einnahmequellen zu verschaffen.<br />

Jeder mag sich hier eine eigene Meinung bilden. Gleichwohl sind aber einige Anmerkungen<br />

angezeigt.<br />

Den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung<br />

bei Straftaten vom 24.10.2006 518 , In-Kraft-Getreten am 01.01.2007, lässt sich insoweit<br />

nichts entnehmen 519 . Es findet sich dort lediglich der Hinweis, dass Ansprüche von Verletzten i.S.d. §§<br />

73 Abs. 1 Satz 2; 111b Abs. 5 StPO – anders als noch im Gesetzesentwurf vom 03.02.1998 520 - nicht<br />

umfassend, den Anwendungsbereich der §§ 88, 89, 129 ff. InsO insoweit ausklammernd, ausgestaltet<br />

werden sollten 521 .<br />

Im Übrigen stand damals vornehmlich die Problematik im Fokus, durch eine Neugestaltung des § 111i<br />

StPO die nach dem damaligen Recht missliche und von vielen als unbillig empfundene Situation zu<br />

lösen, nach erfolgten Sicherungsmaßnahmen zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten gesicherte<br />

Vermögenswerte in Kenntnis der inkriminierten Herkunft der Werte wieder an den Täter oder Teilnehmer<br />

herausgeben zu müssen, da die Verletzten bis zur Rechtskraft des Urteils untätig geblieben<br />

sind und der Ausspruch des Verfalls (von Wertersatz) wegen § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB rechtlich nicht<br />

möglich war.<br />

Die nunmehr im Mantel des Prozessrechts getroffene, im Kern aber als materiell-rechtlich zu bewertende<br />

Lösung erlaubt daher den staatlichen Auffangrechtserwerb von bereits beim Verfalls- oder Einziehungsbetroffenen<br />

gesicherten Vermögenswerten 522 .<br />

Vor diesem Hintergrund indes zu behaupten, Staatsanwaltschaft oder Gerichte könnten derartige Situationen<br />

dazu (aus)nutzen, in der sicheren Erwartung, Verletzte würden untätig bleiben, quasi vorsorglich<br />

über die Vollziehung von dinglichen Arresten – die Formulierung von Greier aufgreifend –<br />

„sinnentleerte“ Pfändungspfandrechte als „Platzhalter“ in Umgehung der Nachrangigkeit der staatlichen<br />

Verfallsansprüche zu begründen, verkennt die rechtlichen Voraussetzungen für derartige Siche-<br />

513<br />

Greier, ZInsO 2007, 953 ff.<br />

514<br />

Vgl. AG Göttingen, AG Göttingen, Beschluss vom 30.11.2010, 74 IN 236/09 Rn. 4 und 21 zitiert nach juris -.<br />

515<br />

Markgraf, Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafprozessualen Vermögensabschöpfung<br />

(Diss.), 2008 S. 181 ff.<br />

516<br />

OLG Köln, Beschluss vom 08.08.2003, 2 Ws 433/03 Rn. 50 – zitiert nach juris -.<br />

517<br />

Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (407).<br />

518<br />

BGBl. Teil I 2006 Nr. 49, S. 2350.<br />

519<br />

Vgl. nur BR-Drucks. 940/05; BT-Drucks. 16/700; BT-Drucks. 16/2021.<br />

520<br />

BT-Drucks. 13/9742.<br />

521<br />

BR-Drucks. 940/05, S. 24 ff.; hierzu auch von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1156 ff.).<br />

522 BR-Drucks. 940/05, S. 13.<br />

146


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

rungsmaßnahmen, welche insbesondere ein qualifiziertes Sicherstellungsbedürfnis voraussetzen 523 und<br />

damit auch den Gesetzeszweck der betreffenden Bestimmungen. Diese Argumentation wirkt einseitig<br />

interessengeleitet und unternimmt den zweiten Schritt vor dem ersten, da am Anfang die Entscheidung<br />

über die Sicherungsmaßnahme zu Gunsten von Verletzten und nicht die Begründung eines Pfändungspfandrechts<br />

zur primären Vorbereitung des Auffangrechtserwerbs steht.<br />

So gesehen dürfte auch die vorgeschlagene Auslegung des § 111i Abs. 5 Nr. 1 StPO contra legem<br />

sein. Von Gleichenstein hat insoweit angeregt, die Bestimmung infolge des „Insolvenzbeschlags“ des<br />

gesicherten Vermögens als Verfügung hierüber als erfüllt anzusehen 524 , was aber schon mit dem<br />

Wortlaut nicht mehr in Einklang zu bringen sein dürfte.<br />

Im Übrigen bleibt zu fragen, ob für das Verhältnis zwischen dem i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nachrangigen<br />

staatlichen Wertersatzverfallsanspruch (auch auf Auffangrechtserwerb gem. § 111i Abs. 5<br />

StPO) gegenüber dem Recht auf Absonderung (§§ 49 ff. InsO) bzw. den dieses Recht vorbereitenden<br />

Pfändungsmaßnahmen zur Begründung eines insolvenzfesten Sicherungspfändungspfandrechts im<br />

Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO nichts anders als auch bei den anderen nachrangigen Ansprüchen<br />

nach § 39 InsO (vgl. oben) gelten muss.<br />

Frage:<br />

Wie ist mit nachrangigen Insolvenzforderungen zu verfahren?<br />

So entspricht es gefestigter Rechtsprechungs- und Literaturmeinung, dass auch nachrangige Insolvenzforderungen,<br />

soweit sie durch ein Absonderungsrecht gesichert sind, aus dem Erlös der abgesonderten<br />

Befriedigung vorrangig zu bedienen sind und demnach zur Vorbereitung derselben dem bereits<br />

begründeten Sicherungspfandrecht lediglich der vollziehbare Ausspruch in der Hauptsache, hier die<br />

Feststellung des Auffangrechtserwerbs nach § 111i Abs. 5 und 6 StPO nachfolgen muss.<br />

Die These von Gleichensteins, hierüber würde die Nachrangigkeit des staatlichen Verfallsanspruchs<br />

umgangen, steht damit zumindest im Widerspruch zur herkömmlichen Rechtsprechungs- und Literaturmeinung.<br />

Auch sein zweites, auf den ersten Blick überzeugendes Argument, ein echtes Absonderungsrecht anlässlich<br />

eines vollzogenen StPO-Arrestes würde zu nicht zu rechtfertigenden unterschiedlichen Ergebnissen<br />

bei (Original-)Verfall einerseits und bei Verfall von Wertersatz andererseits führen, erweist sich<br />

bei näherer Betrachtung allenfalls als nur teilweise belastbar.<br />

Dies ist zurückzuführen auf die unterschiedlichen Arten von Vermögen, auf die im Rahmen der Vollziehung<br />

einer Beschlagnahmeanordnung einerseits und eines dinglichen Arrestes andererseits Zugriff<br />

genommen werden kann. Während die Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 1 111c StPO in Verzahnung<br />

mit den §§ 73, 73d Abs. 1, 74, 74a StGB voraussetzt, dass das Original des aus der Tat Erlangten<br />

bzw. dem gleichgestellte Surrogate (§ 73 Abs. 2 StGB) respektive das (Original-)Tatmittel noch vorhanden<br />

sind, erstreckt sich der dingliche Arrest gem. §§ 111b Abs. 2, 111d StPO i.V.m. §§ 73a, 73d<br />

Abs. 2, 74c StGB nur auf das Legalvermögen des Arrestbetroffenen.<br />

Diese Unterscheidung ist indes auch insolvenzrechtlich von nicht unerheblicher Bedeutung.<br />

Denn: Unabhängig davon, dass in der Praxis über 90% der ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen auf<br />

einen dinglichen StPO-Arrest gestützt sind, da sich häufig die nach §§ 73, 73d Abs. 1 notwendigen<br />

Feststellungen bezüglich des Originaltaterlöses nicht mehr treffen lassen, haben Verletzte aus Straftaten<br />

in derartigen Fällen, die der Beschlagnahme unterliegen, im Hinblick auf deren bevorrechtigte<br />

dingliche Rechtsposition regelmäßig Aussonderungsrechte nach §§ 47 ff. InsO, infolge dessen sich die<br />

diskutierte Problematik schon nicht stellt 525 .<br />

523<br />

Hierzu nur Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 5 ff.; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage<br />

2010, § 111b Rn. 19 ff.<br />

524<br />

Von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1159).<br />

525<br />

So im Übrigen auch von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1156) dort unter Fn. 42.<br />

147


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

Zudem: Wo liegt der Unterschied zwischen der nach der überwiegenden Rechtsprechung möglichen<br />

Absicherung originär staatlicher Ansprüche auf Verfall von Wertersatz und – wie vorliegend – der Absicherung<br />

eines dergestalt noch aufschiebend bedingten Anspruchs auf Auffangrechtswerb nach §<br />

111i Abs. 5 StPO?<br />

Konsequent zeigt sich hier Rönnau, der bei beiden Konstellationen die Ablehnung eines Absonderungsrechts<br />

favorisiert.<br />

Überhaupt scheint das Problem einer formaljuristischen Lösung wenig zugänglich zu sein, was m.E.<br />

auch die Entscheidung des Amtsgerichts Göttingen belegt. So ist schon die aufgestellte Behauptung,<br />

mit dem dort verfahrensgegenständlichen dinglichen Arrest seien nicht Ansprüche eines bestimmten<br />

Verletzten, sondern von „Verletzten aus Straftaten“ gesichert worden, weshalb ein insolvenzfestes<br />

Absonderungsrecht nicht entstanden sei, mit dem Sinn und Zweck der Bestimmungen der §§ 50, 80<br />

InsO kaum in Übereinstimmung zu bringen, zumal selbst in den Fällen der Rückgewinnungshilfe zu<br />

Gunsten nur von einem bekannten Verletzten aus nur einer Betrugstat ein Pfändungspfandrecht nicht<br />

zu dessen Gunsten, sondern zu Gunsten der jeweils sichernden Staatsanwaltschaft als Sicherungsgläubigerin<br />

entstehen würde 526 , ein Sicherungspfandrecht ohnehin noch nicht ein Absonderungsrecht<br />

zu begründen imstande ist und durch die spätere Feststellung des Auffangrechtserwerbs nach § 111i<br />

Abs. 5 StPO die Existenz eines bestimmten Gläubigers kaum zweifelhaft sein dürfte.<br />

Schlussendlich geht auch der Verweis des AG Göttingen 527 auf die Entscheidung des OLG Frankfurt<br />

vom 03.06.2009 – für einen Fall vor dem 01.01.2007 – ins Leere. Letzteres hat in der Entscheidung<br />

darauf verwiesen, dass der dingliche Arrest im Wege der Rückgewinnungshilfe gem. §§ 111d, 111g<br />

Abs. 3 StPO lediglich ein relatives Veräußerungsverbot im Sinne des § 136 BGB darstellt 528 . Dies erklärt<br />

sich indes mit dem Wortlaut des § 111g StPO (a.F.) in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung:<br />

Strafprozessordnung<br />

§ 111g<br />

(1) Die Beschlagnahme eines Gegenstandes nach § 111c wirkt nicht gegen eine Verfügung des Verletzten, die<br />

auf Grund eines aus der Straftat erwachsenen Anspruches im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung<br />

erfolgt.<br />

(2) Die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung nach Absatz 1 bedarf der Zulassung durch den Richter, der<br />

für die Beschlagnahme (§ 111c) zuständig ist. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss, der von der Staatsanwaltschaft,<br />

dem Beschuldigten und dem Verletzten mit sofortiger Beschwerde angefochten werden kann. Die<br />

Zulassung ist zu versagen, wenn der Verletzte nicht glaubhaft macht, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen<br />

ist. § 294 der Zivilprozessordnung ist anzuwenden.<br />

(3) Das Veräußerungsverbot nach § 111c Abs. 5 gilt vom Zeitpunkt der Beschlagnahme an auch zugunsten von<br />

Verletzten, die während der Dauer der Beschlagnahme in den beschlagnahmten Gegenstand die Zwangsvollstreckung<br />

betreiben oder den Arrest vollziehen. Die Eintragung des Veräußerungsverbotes im Grundbuch zugunsten<br />

des Staates gilt für die Anwendung des § 892 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches auch als Eintragung<br />

zugunsten solcher Verletzter, die während der Dauer der Beschlagnahme als Begünstigte aus dem Veräußerungsverbot<br />

in das Grundbuch eingetragen werden. Der Nachweis, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen<br />

ist, kann gegenüber dem Grundbuchamt durch Vorlage des Zulassungsbeschlusses geführt werden. Die<br />

Sätze 2 und 3 gelten sinngemäß für das Veräußerungsverbot bei den in § 111c Abs. 4 genannten Schiffen,<br />

Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen. Die Wirksamkeit des Veräußerungsverbotes zugunsten des Verletzten<br />

wird durch die Aufhebung der Beschlagnahme nicht berührt.<br />

(4) Unterliegt der beschlagnahmte Gegenstand aus anderen als den in § 73 Abs. 1 Satz 2 des Strafgesetzbuches<br />

bezeichneten Gründen nicht dem Verfall oder ist die Zulassung zu Unrecht erfolgt, so ist der Verletzte Dritten<br />

zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der ihnen dadurch entsteht, dass das Veräußerungsverbot nach Absatz 3<br />

zu seinen Gunsten gilt.<br />

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend, wenn der Verfall eines Gegenstandes angeordnet, die Anordnung<br />

aber noch nicht rechtskräftig ist. Sie gelten nicht, wenn der Gegenstand der Einziehung unterliegt.<br />

526 Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 12a.<br />

527 AG Göttingen, Beschluss vom 30.11.2010, 74 IN 236/09 Rn. 20 – zitiert nach juris -.<br />

528 OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.06.2009, 3 Ws 214/09 Rn. 12 – zitiert nach juris -; vgl. hierzu auch BGH,<br />

Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 41/05.<br />

148


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

Demgegenüber lautet der aktuelle § 111g StPO wie folgt:<br />

Strafprozessordnung<br />

§ 111g<br />

(1) Die Beschlagnahme eines Gegenstandes nach § 111c und die Vollziehung des Arrestes nach § 111d wirken<br />

nicht gegen eine Verfügung des Verletzten, die auf Grund eines aus der Straftat erwachsenen Anspruches im<br />

Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung erfolgt.<br />

(2) Die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung nach Absatz 1 bedarf der Zulassung durch das Gericht, das<br />

für die Anordnung der Beschlagnahme (§ 111c) oder des Arrestes (§ 111d) zuständig ist. Die Entscheidung ergeht<br />

durch Beschluss, der von der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem Verletzten mit sofortiger<br />

Beschwerde angefochten werden kann. Die Zulassung ist zu versagen, wenn der Verletzte nicht glaubhaft<br />

macht, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen ist. § 294 der Zivilprozessordnung ist anzuwenden.<br />

(3) Das Veräußerungsverbot nach § 111c Abs. 5 gilt vom Zeitpunkt der Beschlagnahme an auch zugunsten von<br />

Verletzten, die während der Dauer der Beschlagnahme in den beschlagnahmten Gegenstand die Zwangsvollstreckung<br />

betreiben oder den Arrest vollziehen. Die Eintragung des Veräußerungsverbotes im Grundbuch zugunsten<br />

des Staates gilt für die Anwendung des § 892 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches auch als Eintragung<br />

zugunsten solcher Verletzter, die während der Dauer der Beschlagnahme als Begünstigte aus dem Veräußerungsverbot<br />

in das Grundbuch eingetragen werden. Der Nachweis, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen<br />

ist, kann gegenüber dem Grundbuchamt durch Vorlage des Zulassungsbeschlusses geführt werden. Die<br />

Sätze 2 und 3 gelten sinngemäß für das Veräußerungsverbot bei den in § 111c Abs. 4 genannten Schiffen,<br />

Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen. Die Wirksamkeit des Veräußerungsverbotes zugunsten des Verletzten<br />

wird durch die Aufhebung der Beschlagnahme nicht berührt. Die Sätze 1 und 5 gelten entsprechend für die Wirkung<br />

des Pfandrechts, das durch die Vollziehung eines Arrestes (§ 111d) in das bewegliche Vermögen entstanden<br />

ist.<br />

(4) Unterliegt der Gegenstand, der beschlagnahmt oder aufgrund des Arrestes gepfändet worden ist, aus anderen<br />

als den in § 73 Abs. 1 Satz 2 des Strafgesetzbuches bezeichneten Gründen nicht dem Verfall oder ist die<br />

Zulassung zu Unrecht erfolgt, so ist der Verletzte Dritten zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der ihnen dadurch<br />

entsteht, dass das Veräußerungsverbot nach Absatz 3 zu seinen Gunsten gilt.<br />

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend, wenn der Verfall eines Gegenstandes angeordnet, die Anordnung<br />

aber noch nicht rechtskräftig ist. Sie gelten nicht, wenn der Gegenstand der Einziehung unterliegt.<br />

Die Unterschiede liegen auf der Hand und erklären sich darüber, dass § 111g StPO (a.F.) entgegen §<br />

111g StPO in der aktuellen Gesetzesfassung vom Wortlaut her bei der Mobiliarvollstreckung nur die<br />

Beschlagnahme nach § 111c StPO und – wohl aufgrund eines redaktionellen Versehens des Gesetzgebers<br />

- nicht auch die Arrestvollziehung erfasst hat, weswegen auch die Frage einer analogen Anwendung<br />

des § 111g StPO bei der Arrestvollziehung höchst umstritten war und deswegen vom Gesetzgeber<br />

im Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten<br />

vom 24.10.2006 entsprechend aufgelöst wurde 529 .<br />

Nunmehr stellt § 111g Abs. 3 Satz 5 StPO (n.F.) klar, dass die Sätze 1 bis 4 entsprechend für die Wirkung<br />

des Pfandrechts, welches durch die Vollziehung eines Arrestes (§ 111d StPO) in das bewegliche<br />

Vermögen entstanden ist, gelten. Damit ist nun nicht gemeint, dass der Arrestvollziehung nur ein relatives<br />

Veräußerungsverbot nachfolgt, sondern dass ein darüber begründetes Sicherungspfandrecht im<br />

Wege einer zeitlichen Rückwirkungsfiktion im Falle der Zulassung zur Zwangsvollstreckung desgleichen<br />

zu Gunsten eines Verletzten gilt.<br />

Schließlich hat bereits der BGH als obiter dictum die besondere Schutzwürdigkeit des Verletzten<br />

nicht nur bei der Einzelvollstreckung, sondern auch und gerade im Insolvenzverfahren über das Vermögen<br />

des Täters postuliert 530 .<br />

Wenn überhaupt wären daher vorliegend normativ motivierte Beschränkungen des Absonderungsrechts<br />

nach § 50 Abs. 1 InsO diskutabel 531 . So verfolgt die Rückgewinnungshilfe im Gewand des seit<br />

dem 01.01.2007 geltenden Verfahrensrechts neben dem originären Zweck eines verstärkten Opferschutzes<br />

- insbesondere auch im Hinblick auf § 111i StPO (n.F.) - das weitere Ziel, bereits gesicherte<br />

Vermögenswerte in Kenntnis ihrer ursprünglich inkriminierten Herkunft an den Beschuldigten oder<br />

529<br />

Vgl. hierzu BR-Drucks. 940/05, S. 12 und S. 23 ff.<br />

530<br />

BGH, Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 41/05 Rn. 18 – zitiert nach juris; hierzu kritisch von Gleichenstein, ZIP<br />

2008, 1151 (1155 und 1157).<br />

531<br />

Vgl. hierzu Ganter, Münchener Kommentar, InsO, 2. Auflage 2007, § 52 Rn. 43a; Rönnau, FS für Achenbach,<br />

2011, 385 (407).<br />

149


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

sonst Betroffenen nicht wieder herausgeben zu müssen. Wenn jedoch Tatverletzte aufgrund § 89<br />

InsO innerhalb der 3-Jahres-Frist des § 111i Abs. 3 StPO ohnehin gehindert sind, ihre Interessen<br />

wahrzunehmen, und demzufolge nur die Möglichkeit haben, ihre Ansprüche im Insolvenzverfahren<br />

anzumelden, so würde die Realisierung eines Absonderungsrechts des Staates dazu führen, die Insolvenzmasse<br />

zu Lasten dieses Personenkreises zu schmälern, der aber durch die staatliche Rückgewinnungshilfe<br />

primär geschützt werden sollte.<br />

Ein auf den ersten Blick widersinniges Ergebnis 532 .<br />

Fraglich bleibt dann, ob Verletzte, die lange Zeit während des Ermittlungs- und Strafverfahrens untätig<br />

geblieben sind, gleichwohl dann noch willens und in der Lage sind, ihre Ansprüche im Insolvenzverfahren<br />

geltend zu machen, was bei Verfahren mit einer Vielzahl von teilweise unbekannten Geschädigten<br />

und relativ kleinen Schadenssummen mehr als nur zweifelhaft ist.<br />

Lösung Fall 34:<br />

Den obigen Ausführungen folgend ist es vertretbar, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

beschlossene Zulassung des C. zur Zwangsvollstreckung nach § 111g<br />

StPO als unschädlich aufzufassen .<br />

Im Übrigen erscheint die Verteidigung gegen die vom Insolvenzverwalter angestrengte<br />

gerichtliche Entscheidung durchaus erfolgsversprechend.<br />

Die weitere Rechtsentwicklung bleibt abzuwarten.<br />

Sollte sich die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung den vorgenannten Literaturmeinungen<br />

anschließen, so wäre dies sicherlich kein Anreiz für die Staatsanwaltschaften, in Ermittlungsverfahren,<br />

in denen Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arrestbetroffenen drohen, überhaupt noch Rückgewinnungshilfe<br />

zu leisten, was andererseits die erhebliche Gefahr in sich birgt, dass etwa Beschuldigte<br />

etc. nach Übergang in die offene Phase der Ermittlungen beginnen könnten, Vermögenswerte beiseitezuschaffen.<br />

532 So auch Greier, ZInsO 2007, 953 ff.<br />

150


Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />

Zusammenfassung<br />

Staatliche Ansprüche auf Verfall und Einziehung von Wertersatz stellen nachrangige Insolvenzforderungen<br />

gem. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO dar!<br />

Sollten derartige Ansprüche aber über ein Absonderungsrecht nach § 49 InsO gesichert<br />

sein, sind diese aus dem Erlös der abgesonderten Befriedigung vorrangig zu bedienen.<br />

Die Kollisionsproblematik zwischen vollzogenen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff.<br />

StPO und Insolvenzrecht stellt sich erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens; vorher<br />

sind gesicherte Vermögenswerte nicht freizugeben!<br />

Im Übrigen ist weiter zu differenzieren zwischen Sicherungsart und Sicherungsziel, nämlich<br />

zwischen Beschlagnahme- oder Arrestvollzug und zwischen der Absicherung staatlicher<br />

Ansprüche auf Verfall etc. oder dem Schutz von Verletztenansprüchen.<br />

In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob sich die staatliche Maßnahme als insolvenzfest<br />

i.S. der §§ 88 ff., 129 ff. InsO erweist.<br />

Anschließend sind die Rechtsfolgen von Beschlagnahme- und Arrestvollzug ihren Fortbestand<br />

im Insolvenzverfahren betreffend in den Blick zu nehmen.<br />

Das über eine wirksame Beschlagnahme gem. § 111c Abs. 5 StPO begründete relative<br />

Veräußerungsverbot hat im eröffneten Insolvenzverfahren nach h.M. keine Wirkung (§ 80<br />

Abs. 2 Satz 1 InsO); demgegenüber unterliegen im Wege des Arrestvollzugs begründetes<br />

(Sicherungs-)Pfandrecht oder Hypothek dem Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Satz 2<br />

InsO und bestehen daher fort.<br />

Das bedeutet Folgendes: Bei der Absicherung originär staatlicher Ansprüche auf Verfall<br />

oder Einziehung hat der Beschlagnahmevollzug im Insolvenzverfahren keine Wirkung;<br />

demgegenüber führen (Sicherungs-)Pfandrecht oder Hypothek, die im Wege des Arrestvollzugs<br />

begründet worden sind, nach h.M. zu einem (aufschiebend bedingten) Absonderungsrecht,<br />

das mit der Rechtskraft des Urteils geltend gemacht werden kann.<br />

Beim Arrestvollzug im Wege der Rückgewinnungshilfe ist umstritten, ob insolvenzfest<br />

vorläufig gesicherte Vermögenswerte auch dann dem Auffangrechtserwerb nach § 111i<br />

Abs. 2 – 7 StPO unterliegen (können), wenn in der Zwischenzeit das eigentliche Rückgewinnungshilfeverfahren<br />

wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtlich unmöglich<br />

geworden ist.<br />

151


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Teil V Internationale Vermögensabschöpfung 533<br />

Die Notwendigkeit effektiver bi- und multilateraler Strafverfolgung sowie (verdeckter) Finanzermittlungen<br />

und Vermögensabschöpfung liegt im Besonderen im Bereich der international organisierten (Wirtschafts-)Kriminalität,<br />

da deren Hauptmotiv im Erzielen von wirtschaftlichem Gewinn liegt 534 .<br />

Das bei der Staatsanwaltschaft Bochum geführte und im Zusammenhang mit weltweit manipulierten<br />

(Fußball-)Wetten stehende Ermittlungsverfahren u.a. gegen Ante Sapina hat genau dies bestätigt.<br />

Sowohl Wetteinsätze als auch mutmaßlich inkriminierte Wetterlöse sind über zahlreiche Banken im<br />

europäischen und asiatischen Raum transferiert worden; das Vermögen der Beschuldigten war dementsprechend<br />

weltweit angelegt und verteilt, so dass rein nationale Finanzermittlungen und Vermögensabschöpfung<br />

eindeutig zu kurz gegriffen hätten.<br />

Bei dergestalt komplexen Verfahren sehen sich die Strafverfolgungsbehörden mit einer Vielzahl von<br />

Schwierigkeiten konfrontiert, die zum einen in taktischen Fragestellungen liegen und zum anderen in<br />

unterschiedlichen Rechts- und Rechtshilfesystemen und damit einhergehend divergierenden Begrifflichkeiten<br />

begründet sind.<br />

Frage:<br />

Über welchen Maßnahmenkatalog sollte der europäische Rechtshilfeverkehr insbesondere<br />

bei der internationalen Vermögensabschöpfung verbessert werden?<br />

Vor diesem Hintergrund verfolgen die europäischen Gremien insbesondere seit der Sondertagung des<br />

Europäischen Rates im finnischen Tampere das Ziel, den europäischen Rechtshilfeverkehr über bestimmte<br />

einheitliche Standards zu verbessern 535 . Dazu zählen<br />

der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen<br />

der Grundsatz der gegenseitigen Verfügbarkeit (von Informationen).<br />

Diese Begrifflichkeiten sind allerdings irreführend. Sie bedeuten nicht, dass beispielsweise bei einem in<br />

Deutschland eingehenden Rechtshilfeersuchen um Vollstreckung einer ausländischen Verfallsentscheidung<br />

im Rahmen der Exequaturentscheidung das Anerkenntnis ohne jede Prüfung in einen deutschen<br />

Titel umgesetzt und anschließend vollzogen würde. Vielmehr entfällt in bestimmten Bereichen lediglich<br />

das Erfordernis der Beiderseitigkeit der Strafbarkeit als historisch gewachsene Ausprägung des Gegenseitigkeitsprinzips<br />

536 .<br />

Grundsätzlich hängen im herkömmlichen Rechtshilfeverkehr insbesondere Auslieferung<br />

(vgl. § 3 Abs. 1 IRG) und Vollstreckungshilfe (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG) davon ab, dass<br />

die Tat nach dem Recht beider Staaten strafbar und aktuell noch verfolgbar ist 537 . Hierfür<br />

genügt es, wenn die Tat „bei sinngemäßer Umstellung“ des Sachverhalts den Anforderungen<br />

des Rechts des ersuchten Staats entspricht 538 .<br />

533<br />

Die nachfolgende Darstellung ist angelehnt an einen Vortrag zum Thema „Internationale Vermögensabschöpfung“,<br />

den der Verfasser im Rahmen der einmal im Jahr stattfindenden gemeinsamen Herbsttagung von Polizei<br />

und Justiz „Finanzermittlungen – Neuerungen, Polizei und Justiz“ am 16. November 2011 in der <strong>Justizakademie</strong><br />

NRW in Recklinghausen gehalten hat.<br />

534<br />

Vgl. Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, Rn. 238 ff.<br />

535<br />

Vgl. hierzu auch Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5.<br />

Auflage 2011, HT Einführung Rn. 53-57.<br />

536<br />

Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, Rn. 25.<br />

537<br />

Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, Rn. 25.<br />

538<br />

Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, Rn. 26; Schomburg/Hackner,<br />

Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011,<br />

§ 49 IRG Rn. 8 ff.<br />

152


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Bei der sonstigen „kleinen“ Rechtshilfe spielt der Grundsatz dagegen nur noch eine untergeordnete<br />

Rolle und kommt lediglich bei Ersuchen um Herausgabe von Gegenständen zum Tragen (vgl. § 66<br />

Abs. 2 Nr. 1 IRG).<br />

Das erste Rechtsinstrument, das eine Durchbrechung des Erfordernisses der Beiderseitigkeit der<br />

Strafbarkeit hin zum Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen beinhaltete,<br />

lag im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vom 13. Juni 2002, 2002/584/JI,<br />

welcher per Gesetz vom 20. Juli 2006 (BGBl. 2006 I S. 1721) in nationales Recht umgesetzt wurde<br />

(vgl. §§ 80 ff. und insbesondere 81 Nr. 4 IRG). Es folgten weitere Rahmenbeschlüsse u.a. zur internationalen<br />

Vermögensabschöpfung, welche sich an der Struktur des Rahmenbeschlusses über den<br />

Europäischen Haftbefehl orientiert haben.<br />

Schließlich hat die Bundesregierung am 17.03.2011 (BT-Drucks. 17/5096) einen Gesetzentwurf vorgelegt,<br />

mit dem der Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung<br />

des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden<br />

der Mitgliedstaaten der Europäischen Union umgesetzt werden soll.<br />

Jener Rahmenbeschluss, der auf eine Initiative Schwedens zurückgeht, ist der erste vom<br />

Rat verabschiedete Rechtsakt zur Umsetzung des sogenannten Grundsatzes der Verfügbarkeit.<br />

Er besagt, dass unionsweit in einem Mitgliedstaat Strafverfolgungsbeamtinnen<br />

und –beamte, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben Informationen benötigen, diese aus einem<br />

anderen Mitgliedstaat erhalten können und dass die Strafverfolgungsbehörde des<br />

anderen Mitgliedstaats, die über diese Informationen verfügt, sie – unter Berücksichtigung<br />

des Erfordernisses in diesem Staat anhängiger Ermittlungen – für den erklärten Zweck bereitstellt<br />

539 .<br />

539 BT-Drucks. 17/5096, S. 14.<br />

153


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

13. Rechtshilfe in Strafsachen<br />

Um sich der justiziellen Rechtshilfe im Zusammenhang mit internationalen/er Finanzermittlungen und<br />

Vermögensabschöpfung zu nähern, ist es zunächst notwendig, sich mit den wichtigsten Grundprinzipien<br />

des strafrechtlichen Rechtshilfeverkehrs zu befassen. Das gilt insbesondere für die Implementierungstechnik<br />

der diesbezüglichen Rahmenbeschlüsse des Europäischen Rates in das IRG selbst, die<br />

von Lagodny als „gesetzestechnische Unzumutbarkeit“ oder an anderer Stelle als „kafkaesk“ bezeichnet<br />

werden 540 .<br />

Gemäß § 1 Abs. 1 IRG richtet sich der (vertraglose) Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen<br />

Angelegenheiten 541 (vgl. auch § 1 Abs. 2 IRG) grundsätzlich nach eben diesem Gesetz.<br />

Ihm obliegen traditionell drei Gebiete:<br />

3. Auslieferung<br />

4. Vollstreckungshilfe und<br />

5. sonstige („kleine“) Rechtshilfe.<br />

Relevant für die Vermögensabschöpfung sind nur die beiden zuletzt genannten Bereiche der Rechtshilfe.<br />

Demgemäß fallen internationale Finanzermittlungen und vorläufige Sicherungsmaßnahmen i.S.d.<br />

§§ 111b ff. StPO grundsätzlich in den Bereich der sonstigen Rechtshilfe respektive die internationale<br />

Vollstreckung von Verfalls- und Einziehungsentscheidungen in den Bereich der Vollstreckungshilfe,<br />

wobei zur Absicherung eines solchen (ausländischen) Vollstreckungstitels bereits im Vorfeld Sicherungsmaßnahmen<br />

als zulässig anzusehen sind (vgl. §§ 58 Abs. 3, 89 IRG).<br />

Der in § 1 Abs. 1 und 2 IRG bezeichnete Grundsatz erfährt über die Bestimmung des § 1 Abs. 3 IRG<br />

jedoch eine wesentliche Einschränkung. Danach gehen Regelungen in völkerrechtlichen (bi- oder multilateralen)<br />

Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht als lex specialis<br />

geworden sind, den Vorschriften des IRG vor. Für die Praxis bedeutet dies, dass in jedem Fall geprüft<br />

werden muss, ob eine solch vorrangige Spezialregelung existiert 542 .<br />

Eine Rückausnahme davon ist in § 1 Abs. 4 IRG enthalten.<br />

Soweit es um Unterstützung bei einem Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit mit einem<br />

Mitgliedstaat der Europäischen Union geht, richtet sich die Rechtshilfe nach dem IRG.<br />

Eine allgemeine quasi vor die Klammer gezogene Grenze der Rechtshilfe ergibt sich schließlich aus<br />

dem in § 73 IRG normierten „ordre public“-Vorbehalt: Danach ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig,<br />

wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung respektive den in Artikel 6<br />

des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen zuwiderlaufen würde.<br />

Bezüglich weiterer Einzelheiten wird verwiesen auf die ausführliche Darstellung in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner<br />

543 .<br />

540 Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 1<br />

IRG Rn. 31.<br />

541 Zur Begrifflichkeit: Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5.<br />

Auflage 2011, § 1 IRG Rn. 2.<br />

542 Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 1<br />

IRG Rn. 7.<br />

543 Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, HT<br />

Einführung.<br />

154


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

14. Institutionelle Unterstützung<br />

Im Bereich der internationalen Vermögensabschöpfung ist institutionelle Unterstützung fast „überlebensnotwendig“.<br />

Dabei geht es nicht nur darum, Informationen zu den diesbezüglichen Rechtssystemen oder dem Ratifizierungsstand<br />

der maßgeblichen internationalen Übereinkommen der ausländischen Staaten zu erhalten,<br />

sondern darüber hinaus um die Durchführung von Finanzermittlungen und vorläufigen Sicherungsmaßnahmen<br />

auf der Basis von belastbaren Auslandskontakten und justiziellen Arbeitsplattformen<br />

wie etwa Eurojust oder einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe i.S.d. §§ 61b, 93 IRG.<br />

Der Rahmen würde gesprengt, die einzelnen Institutionen und ihre Aufgabenbereiche im Einzelnen<br />

darstellen zu wollen.<br />

Daher beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Aufzählung der wichtigsten nationalen<br />

sowie internationalen Einrichtungen:<br />

Bundesamt für Justiz, Referat III 1:<br />

Auslieferung; Vollstreckungs- und Rechtshilfe in Strafsachen; nationale Stelle des Europäischen<br />

Justiziellen Netzwerks (EJN); Sitz des nationalen Asset Recovery Office (ARO)<br />

Bundeskriminalamt (BKA), SO 32 und SO 35:<br />

Sitz der nationalen Financial Intelligent Unit (FIU) und Sitz des nationalen Asset Recovery Office<br />

(ARO); Verbindungsbeamte des BKA im (europäischen) Ausland<br />

Landeskriminalämter<br />

Eurojust<br />

Europol<br />

OLAF<br />

Ausländische ARO’s und FIU’s<br />

Ausländische EJN-Einheiten<br />

CARIN (Camden Asset Recovery Interagency-Network)<br />

155


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

15. Wichtige internationale Gesetzesquellen<br />

Die folgenden Gesetzesquellen, die teilweise direkt oder im Wege der Transformation in das IRG nationales<br />

Recht geworden sind und dementsprechend unter § 1 Abs. 3 oder § 1 Abs. 4 IRG fallen, sind<br />

nicht nur für Rechtshilfe im Allgemeinen, sondern auch für internationale Vermögensabschöpfung von<br />

Bedeutung.<br />

Auch hier beschränkt sich die Darstellung im Wesentlichen auf eine mehr numerische Auflistung.<br />

15.1 Bi- und multilaterale Übereinkommen im Sinne des § 1 Abs. 3 IRG<br />

Europäisches Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen – EuRhÜbk<br />

– (BGBl. 1976 II S. 1799) und dessen Zusatzprotokolle vom 17. März 1978 und vom 08. November<br />

2001<br />

Schengener Übereinkommen (SÜ) vom 14. Juni 1985 (GMBl. 1986 S. 79 ff.) und Schengener<br />

Durchführungsübereinkommen (SDÜ) vom 19. Juni 1990 (BGBl. II 1993 S. 1013 ff.)<br />

Im SDÜ sind unter dem Titel III „Polizei und Sicherheit“ sowohl Regeln zur polizeilichen Zusammenarbeit<br />

insbesondere zum Informationsaustausch (Artikel 39 ff. SDÜ) als auch zum Rechtshilfeverkehr in<br />

Strafsachen (Artikel 48 ff. SDÜ) enthalten.<br />

Artikel 39 SDÜ stellt bei der polizeilichen Zusammenarbeit die Generalklausel dar, die eine umfassende<br />

Verpflichtung der Polizeidienste zur gegenseitigen Hilfeleistung bei der präventiven Bekämpfung und<br />

der Verfolgung von Straftaten nach Maßgabe des nationalen Rechts statuiert. Im Kreise der Vertrags-<br />

und assoziierten Staaten sind daher auch gegenseitige Finanzermittlungen möglich, soweit hierfür kein<br />

Erledigungsvorbehalt der Justizbehörden besteht und keine Zwangsmaßnahmen erforderlich sind (Artikel<br />

39 Abs. 1 SDÜ).<br />

Im Übrigen dürfen schriftliche Auskünfte der ersuchten Partei als Beweismittel in einem justiziellen<br />

Ermittlungsverfahren des ersuchenden Staates nur dann verwertet werden, wenn die zuständige Justizbehörde<br />

des ersuchten Landes dem zustimmt; insoweit besteht ein justizieller Zustimmungsvorbehalt<br />

(Artikel 39 Abs. 2 SDÜ). Weiter ist auch hier der ordre public - Vorbehalt (§ 73 Satz 1 IRG) zu<br />

beachten.<br />

Neben dem Vertrag von Prüm vom 27. Mai 2005 - „Vertrag über die Vertiefung der grenzüberschreitenden<br />

Zusammenarbeit, insbesondere bei der Bekämpfung von Terrorismus, der grenzüberschreitenden<br />

Kriminalität und illegalen Migration“ (BGBl. 2006 II S. 626) - und dem diesen Vertrag weitgehend<br />

in Unionsrecht überführenden Beschluss 2008/615/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der<br />

grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung von Terrorismus und der<br />

grenzüberschreitenden Kriminalität (Abl. L 210 vom 06.08.2008 S. 1) soll der Rahmenbeschluss<br />

2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen<br />

und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen<br />

Union Artikel 39 SDÜ abschaffen.<br />

Zentral ist dabei das in Artikel 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses verankerte Gebot, ein<br />

Auskunftsersuchen einer Behörde eines Mitgliedstaates nicht anders zu behandeln als das<br />

einer innerstaatlichen Behörde (Diskriminierungsverbot) 544 .<br />

Daher darf die Übermittlung der erbetenen Informationen auch nur dann von einer justiziellen Entscheidung<br />

abhängig gemacht werden, wenn dies dergestalt für den Informationsaustausch im Inland<br />

ebenfalls vorgesehen ist 545 .<br />

Die in Artikel 48 ff. SDÜ enthaltenen Bestimmungen ergänzen das EuRhÜbk.<br />

Von besonderer Relevanz sind Artikel 51 Buchstabe a SDÜ, der am Erfordernis der Beiderseitigkeit der<br />

Strafbarkeit i.S.d. Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a EuRhÜbk allerdings mit gewissen Einschränkungen<br />

festhält, und § 53 Abs. 1 SDÜ, der den Rechtshilfeverkehr unmittelbar zwischen den Justizbehörden,<br />

also beispielsweise zwischen den Staatsanwaltschaften Bochum und Mailand erlaubt.<br />

Weitere relevante Übereinkommen i.S.d. § 1 Abs. 3 IRG sind nachfolgend:<br />

Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr<br />

mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (BGBl. 1993 II S. 1137):<br />

544 Keber/Trautmann, Kriminalistik 2011, 355 (358).<br />

545 Keber/Trautmann, Kriminalistik 2011, 355 (358).<br />

156


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Die Bestimmung in Article 5 „confiscation“ hat zur Neugestaltung der §§ 48 ff. IRG dergestalt geführt,<br />

dass Vollstreckungshilfe nunmehr auch in Bezug auf ausländische Verfalls- und Einziehungsentscheidungen<br />

möglich ist.<br />

Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen<br />

Union vom 29. Mai 2000 (BGBl. 2005 II S. 650)<br />

Übereinkommen des Europarats (Nr. 141) vom 08. November 1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung,<br />

Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (BGBl. 1998 II S. 519) –<br />

EuGeldwäscheÜbk –<br />

Übereinkommen des Europarats (Nr. 198) vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung<br />

sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (in<br />

Deutschland noch nicht ratifiziert)<br />

157


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

15.2 Wichtige (Rahmen-)Beschlüsse des Europäischen Rates<br />

2001/500/JHA vom 26. Juni 2001 (Geldwäscheübereinkommen)<br />

2003/577/JI vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung<br />

von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der EU (Rb „Sicherstellung“)<br />

2005/212/JI vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen<br />

Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten (Rb „Einziehung“)<br />

2005/214/JI vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen<br />

Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen<br />

2006/783/JI vom 06. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen<br />

Anerkennung von Einziehungsentscheidungen (Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“)<br />

2006/960/JI vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen<br />

und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen<br />

Union<br />

2007/845/JI vom 06. Dezember 2007 (Stichwort: Asset Recovery Offices)<br />

2008/615/JI und 2008/616/JI vom 23. Juni 2008 (Stichwort: Prüm-Beschlüsse)<br />

2009/299/JHA vom 26. Februar 2009 (Stichwort: Behandlung von Abwesenheitsentscheidungen)<br />

158


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

16. Für die internationale Vermögensabschöpfung bedeutsame<br />

(Rahmen-) Beschlüsse<br />

Die nachfolgende Darstellung orientiert sich vorwiegend an den Rahmenbeschlüssen 2003/577/JI vom<br />

22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen<br />

oder Beweismitteln in der EU (Rb „Sicherstellung“) sowie 2006/783/JI vom 06. Oktober<br />

2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Einziehungsentscheidungen<br />

(Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“), welche beide in das IRG implementiert worden sind.<br />

Der Rahmenbeschluss 2005/212/JI vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen<br />

und Vermögensgegenständen aus Straftaten (Rb „Einziehung“) bedurfte hingegen keiner weiteren<br />

Umsetzung, da die Bestimmungen des nationalen materiellen Rechts dessen Vorgaben entsprechen<br />

und daher kein darüber hinausgehender Gesetzesbedarf bestand.<br />

Die Rahmenbeschlüsse „Sicherstellung“ und „Einziehung Gegenseitigkeit“ sind sowohl für eingehende<br />

ausländische Rechtshilfeersuchen als auch um umgekehrt für ausgehende Ersuchen an ein Mitgliedstaat<br />

der Europäischen Union um vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO sowie die<br />

Vollstreckung von Verfalls- und Einziehungsentscheidungen von Relevanz.<br />

Eine Übersicht zum Stand der Ratifizierung der beiden Rahmenbeschlüsse innerhalb der EU kann der<br />

Internetseite des Bundesamts für Justiz entnommen werden.<br />

Erfasst sind darin alle Arten des Verfalls und der Einziehung im Sinne der §§ 73 ff., 74 ff. StGB.<br />

Dies ergibt sich aus der in den Rahmenbeschlüssen „Sicherstellung“ (vgl. Artikel 2) und „Einziehung<br />

Gegenseitigkeit“ (vgl. Artikel 2) jeweils weit gefassten Definition des Begriffs „Vermögensgegenstand“.<br />

Wesentliche Grundprinzipien der Rb’e „Sicherstellung“ und „Einziehung Gegenseitigkeit“<br />

Beide Rahmenbeschlüsse sind in das IRG implementiert worden, der Rb „Sicherstellung“ durch Gesetz<br />

vom 06. Juni 2008 (BGBl. I. 2008 Nr. 23 S. 995) und der Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ durch Gesetz<br />

vom 08.10.2009 (BGBl. I 2009 Nr. 66 S. 3214).<br />

Um die im Neunten Teil des IRG „Vollstreckungshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen<br />

Union“ im Abschnitt 3 „Einziehung und Verfall“ mit den §§ 88 ff. IRG und ferner die im Zehnten Teil<br />

dieses Gesetzes „Sonstiger Rechtshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ mit<br />

den §§ 91 ff. IRG eingefügten Bestimmungen bei isolierter Betrachtung und insbesondere in ihrer<br />

Wechselwirkung zum Vierten und Fünften Teil des IRG verstehen zu können, sind nicht nur profunde<br />

Kenntnisse der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und der Vermögensabschöpfung, sondern<br />

daneben auch der Rahmenbeschlüsse selbst und der diese implementierenden nationalen Gesetzesmaterialien<br />

notwendig 546 .<br />

Nicht umsonst spricht in diesem Zusammenhang Lagodny von einem Konstrukt von Ausnahmen, Unterausnahmen,<br />

Gegenausnahmen, Verweisungen, Rückverweisungen und mehrfachen Rückrückverweisungen,<br />

was die Grenze des rechtsstaatlich Tolerablen erreicht hat 547 .<br />

Die Rahmenbeschlüsse „Sicherstellung“ und „Einziehung Gegenseitigkeit“ stehen - wie auch alle anderen<br />

Rahmenbeschlüsse - unter dem Vorbehalt des europäischen „ordre public“, der innerstaatlich in §<br />

73 IRG Ausdruck findet.<br />

Zentral ist der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen, wie<br />

er erstmals im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl zur Anwendung gekommen<br />

ist.<br />

Dieser Grundsatz gilt quasi als Herzstück der Rahmenbeschlüsse. Er ist beschrieben in der Präambel<br />

unter Absatz 4 und in Artikel 1, Artikel 3 Abs. 2 und Artikel 5 des Rb „Sicherstellung“ und in der<br />

Präambel unter Absatz 4 und Absatz 9 und in Artikel 1, Artikel 6 Abs. 1 und Artikel 7 Abs. 1 des Rb<br />

„Einziehung Gegenseitigkeit“.<br />

546 Vgl. insoweit BT-Drucks. 16/6563 und BR-Drucks. 553/07 bzgl. des Rb „Sicherstellung“ und BT-Drucks.<br />

16/12320 und BR-Drucks. 67/09 bzgl. des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“.<br />

547 Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />

2011, § 1 IRG Rn. 31.<br />

159


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Zur normtechnischen Umsetzung dieses Grundsatzes hat sich der Europäische Rat für die sogenannte<br />

„Listendeliktslösung“ entschieden, die strukturell etwa mit dem Katalogtatensystem in der StPO bei<br />

besonders eingriffsintensiven strafprozessualen Maßnahmen (vgl. etwa § 100a StPO) vergleichbar ist.<br />

Bei Vorliegen bestimmter besonders schwerwiegender (Listen-)Delikte, wie etwa Beteiligung an einer<br />

kriminellen Vereinigung, Terrorismus, Menschenhandel, illegaler Handel mit Drogen, illegaler Waffenhandel,<br />

Korruption, Betrug, Geldwäsche etc., die im Entscheidungsstaat mit einer Freiheitsstrafe im<br />

Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sein müssen, führt die (ausländische) Verfalls- und<br />

Einziehungsentscheidung bzw. die vorläufige ausländische Sicherstellungsentscheidung auch ohne<br />

Überprüfung des Vorliegens beiderseitiger Strafbarkeit der Handlungen zu deren Anerkennung und zu<br />

einer zeitnahen Vollstreckung.<br />

Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen Entscheidungen entsprechen daher dem Regel-<br />

und die Ablehnung dem Ausnahmefall.<br />

Die Prüfung der beiderseitigen Voraussetzungen der §§ 73 ff., 74 StGB, welche vom Erfordernis der<br />

Beiderseitigkeit der Strafbarkeit gedanklich zu trennen ist, ist dagegen obligatorisch 548 .<br />

Weitere wichtige Grundprinzipien der beiden Rahmenbeschlüsse sind:<br />

Definition von einheitlichen Begrifflichkeiten, die nicht in allen Fällen mit denen des deutschen<br />

Rechts übereinstimmen 549<br />

Direkter und unmittelbarer Geschäftsweg<br />

Möglichkeit des Vollstreckungsaufschubs<br />

Rechtsmittelgarantien<br />

Frage:<br />

Welche fakalutativen Ablehnungsgründe sehen die beiden Rahmenbeschlüsse „Sicherstellung“<br />

und „Einziehung Gegenseitigkeit“ vor und worin liegt insoweit die Leitidee<br />

des Normgebers?<br />

Die Rahmenbeschlüsse sehen allerdings auch verschiedene fakultative Ablehnungsgründe vor, bei<br />

deren Vorliegen vom Grundsatz der Anerkennung und Vollstreckung abgewichen werden kann (vgl.<br />

Artikel 7 Rb „Sicherstellung“ und Artikel 8 Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“).<br />

Die wichtigsten fakultativen Ablehnungsgründe, die beiden Rahmenbeschlüssen gemein sind, stellen<br />

sich wie folgt dar:<br />

kein Listendelikt<br />

ne bis in idem (Artikel 103 Abs. 3 GG; Artikel 54 SDÜ)<br />

Vollstreckungsverjährung<br />

Abwesenheitsentscheidungen<br />

Vorliegen bestimmter Inlandstaten<br />

Unzureichende oder unvollständige Bescheinigung<br />

Ferner bedarf es der Einhaltung bestimmter verfahrensrechtlicher Vorgaben.<br />

So sind Sicherstellungs- bzw. Verfalls- und Einziehungsentscheidungen auf dem unmittelbaren Geschäftsweg<br />

zusammen mit einer von der jeweils im ersuchenden Staat (= Entscheidungsstaat) zuständigen<br />

Behörde auszufüllenden Bescheinigung im Sinne der Artikel 9 Rb „Sicherstellung“ und 4 Rb<br />

„Einziehung Gegenseitigkeit“ an die zuständige Behörde im ersuchten Staat (= Vollstreckungsstaat) zu<br />

übersenden.<br />

548 BR-Drucks. 67/09, S. 44 ff.<br />

549 So erfasst der Begriff „confiscation order“ (=(Einziehungs-)Entscheidung) nicht nur die Einziehung, sondern<br />

jede auf §§ 73 ff., 74 ff. StGB gestützte Sanktion (vgl. hierzu auch Art. 11 Abs. 1 EuGeldwäscheÜbk).<br />

160


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Die Bescheinigungen sind den Rahmenbeschlüssen als Anlagen beigefügt und können als beschreibbare<br />

Word- oder pdf.-Dateien von der Internetseite des Bundesamtes für Justiz heruntergeladen werden<br />

resp. sind im Programm „AbschöpferArchiv“ in allen EU-Sprachen enthalten.<br />

161


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

17. Internationale Vermögensabschöpfung nach dem IRG bzw.<br />

bi- und multilateralen Übereinkommen i.S.d. § 1 Abs. 3 IRG<br />

17.1 (Verdeckte) Finanzermittlungen im Rahmen der Sonstigen Rechtshilfe<br />

In Deutschland gehört es mittlerweile zum Standardrepertoire, bei vermögensbezogenen und gewinnorientierten<br />

Straftaten neben den eigentlichen Sachermittlungen auch (verdeckte) Finanzermittlungen<br />

durchzuführen, um zum einen die notwendigen tatsächlichen Grundlagen, die u.a. zur Subsumtion<br />

unter das maßgebliche materielle Recht (§§ 73 ff., 74 ff. StGB) erforderlich sind, und zum anderen die<br />

Vermögenssituation potentiell betroffener Täter und Dritter aufzuklären.<br />

Neben Artikel 39 SDÜ und verschiedenen bilateralen Polizeiverträgen zwischen Deutschland und seinen<br />

Nachbarländern bestehen auf der Grundlage des Vertrags von Prüm vom 27. Mai 2005 (vgl.<br />

oben), der es u.a. erlaubt, auf DNA-Profile und Fingerabdrücke im sogenannten hit/no-hit Verfahren<br />

und ferner auf Eigentümer- und Halterdaten von Kraftfahrzeugen Zugriff zu nehmen, sowie schließlich<br />

von zentralen Informationssystemen (EUCARIS und EUROPOL-Informationssysteme) verschiedene<br />

Möglichkeiten des (polizeilichen) Informationsaustauschs 550 .<br />

Sofern derartige Erkenntnisse jedoch verwertbar in ein Ermittlungs- und Strafverfahren eingeführt<br />

werden sollen, sind zwei Vorbehalte zu beachten.<br />

1. Sind im Rahmen der Informationsgewinnung Zwangsmaßnahmen erforderlich, so ist ein<br />

Ersuchen auf Grundlage polizeilicher Amtshilfe unzulässig<br />

2. Gleiches gilt für den Fall, dass die jeweilige Erledigung ohnehin der Justiz vorbehalten ist<br />

(vgl. Artikel 39 Abs. 1 SDÜ).<br />

Aber auch sonst ist im Regelfall die Bewilligung der Verwertung gewonnener Erkenntnisse durch die<br />

zuständige Justizbehörde im ersuchten Staat erforderlich (Artikel 39 Abs. 2 SDÜ).<br />

Viele Staatsanwaltschaften sind daher dazu übergegangen, von Beginn an über ein justizielles<br />

Ersuchen vorzugehen.<br />

Des Weiteren gilt es zu berücksichtigen, dass die nationalen Auskunftssysteme in Bezug auf die vermögensrelevanten<br />

Daten unterschiedlich ausgestaltet sind. So besteht in den meisten EU-Staaten –<br />

anders als in Deutschland – nicht die Möglichkeit, etwa Datenbestände i.S.d. § 24c KWG differenziert<br />

nach Kontoinhaber sowie Verfügungs- und wirtschaftlich Berechtigtem abzurufen.<br />

Bei notwendig werdenden justiziellen Ersuchen, beispielsweise um Durchsuchung und Beschlagnahme<br />

von Beweismitteln, sind § 67 IRG bei eingehenden Ersuchen und Nr. 114 ff. RiVASt bei ausgehenden<br />

Ersuchen zu beachten.<br />

550 Vgl. Keber/Trautmann, Kriminalistik 2011, 355 (356 ff.).<br />

162


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

17.2 Vermögensabschöpfung i.e.S.<br />

Die nachfolgende Darstellung orientiert sich zunächst an den Regelungen im IRG, insbesondere im<br />

Hinblick auf eingehende Rechtshilfeersuchen.<br />

Im Bereich der Vollstreckungshilfe sind zwei Ebenen zu unterscheiden:<br />

1. Die Vollstreckung ausländischer Verfalls- und Einziehungsentscheidungen, im Rahmen der<br />

EU gemäß §§ 1 Abs. 4, 88 ff. IRG 551 , ansonsten nach §§ 48 ff. IRG.<br />

2. Zur Absicherung bzw. Vorbereitung derartiger Ersuchen können allerdings parallel oder<br />

sogar schon im Vorfeld auf Antrag hin Sicherungsmaßnahmen ausgebracht werden (vgl. §<br />

89 IRG für den Rechtshilfeverkehr mit den Mitgliedstaten der EU und § 58 Abs. 3 IRG in<br />

den sonstigen Fällen).<br />

Bei der sonstigen Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten der EU sieht § 94 IRG unter Anwendung<br />

der §§ 58 Abs. 3 und 67 IRG die Vollziehung von Titeln nach §§ 111b ff. StPO vor.<br />

Im Fünften Teil des IRG ist dies nach §§ 66, 67 IRG auch für den (vertragslosen) Rechtshilfeverkehr<br />

außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 4 IRG statthaft, wobei § 66 IRG vom Wortlaut her<br />

die Herausgabe von Positionen aus dem Legalvermögen nicht erfasst 552 und somit der Vollzug dinglicher<br />

Arreste ausscheidet.<br />

17.2.1 Herausgabe von Gegenständen und vorläufige Sicherungsmaßnahmen i.S.d. §§<br />

111b ff. StPO im Rahmen der Sonstigen Rechtshilfe bei eingehenden Ersuchen<br />

I (Vertragsloser) Rechtshilfeverkehr nach §§ 66, 67 IRG<br />

Die §§ 66, 67 IRG kommen uneingeschränkt im vertragslosen Rechtshilfeverkehr zur Anwendung,<br />

beanspruchen aber neben bi- und multilateralen Abkommen wie etwa dem EuRhÜbk und dem Eu-<br />

GeldwäscheÜbk auch (subsidiäre) Geltung 553 .<br />

Wichtig in diesem Zusammenhang sind insbesondere die in Artikel 18 EuGeldwäscheÜbk zusammengefassten<br />

fakultativen Ablehnungsgründe u.a. auch für vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach Artikel<br />

11 EuGeldwäscheÜbk.<br />

Fall 35:<br />

Die französischen Behörden ermitteln u.a. gegen den flüchtigen E. wegen des Verdachts<br />

des internationalen BtM-Handels. Die dort geführten Ermittlungen haben ergeben,<br />

dass die Tätergruppe die Erlöse aus ihren Verkäufen weltweit angelegt hat, so<br />

u.a. auch auf einem Konto des E. bei der Commerzbank Düsseldorf. Im Wege der<br />

Rechtshilfe bittet das zuständige französische Gericht um „Einfrieren“ der Buchgelder<br />

auf dem betreffenden Konto und um Herausgabe sowohl der E. betreffenden Kontounterlagen<br />

als auch der beschlagnahmten Gelder.<br />

a. § 66 Abs. 1 Nr. 1 – 4 IRG<br />

Nach § 66 IRG kommt die Herausgabe von Gegenständen fakultativ in Betracht, sofern<br />

diesen entweder Beweismittelbedeutung zukommt (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 IRG) oder aber sie<br />

dem Anwendungsbereich der §§ 73 Abs. 1 und 2, 74, 74a StGB unterfallen (§ 66 Abs. 1<br />

Nr. 2 – 4 IRG), wobei zum Kreis der „Betroffenen“ und „Beteiligten“ i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr.<br />

2 – 4 IRG (Mit-)Täter, Anstifter und Gehilfen zu zählen sind 554 .<br />

Die Fälle des Verfalls bzw. der Einziehung von Wertersatz nach §§ 73a, 74c StGB sind hingegen nicht<br />

erfasst 555 .<br />

551<br />

In diesen Bereich fällt auch die Vollstreckung von Geldbußen (§§ 86 ff. IRG), da diesen auch eine Gewinnabschöpfungsfunktion<br />

zukommt (vgl. § 17 Abs. 4 OWiG).<br />

552<br />

Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, 5. Kapitel Grenzüberschreitende<br />

Vermögensabschöpfung Rn. 240.<br />

553<br />

Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 504 ff.<br />

554<br />

Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 17.<br />

555 BT-Drucks. 16/6563, S. 13 ff.<br />

163


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Weitere Grenzen werden dem Anwendungsbereich des § 66 Abs. 1 Nr. 2 – 4 IRG über die Regelung<br />

des § 59 Abs. 3 IRG gesetzt, wonach (sonstige) Rechtshilfe nur geleistet werden darf, wenn die Voraussetzungen<br />

vorliegen, unter denen deutsche Gerichte oder Behörden einander in entsprechenden<br />

Fällen Rechtshilfe leisten können 556 .<br />

Bezieht sich das Herausgabeersuchen beispielsweise auf einen Beziehungsgegenstand und wäre dessen<br />

Einziehung nach innerstaatlichen Vorschriften nicht möglich (vgl. § 74 Abs. 4 StGB), so führte dies<br />

zur Unzulässigkeit der erbetenen Rechtshilfe 557 .<br />

Andererseits soll nach dem einschlägigen Regierungsentwurf bei dem Erlangten i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr.<br />

2 – 4 IRG – abgesehen von etwaigen grundrechtlichen Grenzen (Artikel 14 GG) – nicht geprüft werden,<br />

ob auch nach deutschem Recht eine spätere Einziehungs- oder Verfallserklärung oder die Aushändigung<br />

der Tatbeute an den Geschädigten zulässig wäre 558 .<br />

Dies ist nicht unzweifelhaft, da im Zusammenhang mit den Rahmenbeschlüssen „Sicherstellung“ und<br />

„Einziehung Gegenseitigkeit“ die Prüfung der Voraussetzungen der §§ 73 ff., 74 StGB, vom Erfordernis<br />

der Beiderseitigkeit der Strafbarkeit gedanklich zu trennen, obligatorisch ist (vgl. oben) 559 , also beispielsweise<br />

ein Ersuchen, das auf die Einziehung eines Gegenstandes, den ein schuldlos handelnder<br />

Täter im Sinne des § 74 Abs. 1 StGB verwandt hat, als unzulässig zurückzuweisen wäre.<br />

Die sich daraus ergebende unterschiedliche Behandlung zwischen Ersuchen von Mitgliedstaaten der<br />

EU im Sinne der vorgenannten Rahmenbeschlüsse einerseits und Ersuchen im Rahmen des (vertragslosen)<br />

Rechtshilfeverkehrs im Sinne der §§ 66, 67 IRG andererseits dürfte daher nicht gerechtfertigt<br />

sein.<br />

b. § 66 Abs. 2 und 3 IRG<br />

Die Zulässigkeit der Herausgabe ist darüber hinaus an weitere Voraussetzungen geknüpft (§ 66 Abs. 2<br />

und 3 IRG).<br />

Erforderlich ist zunächst, dass die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat auch nach deutschem Recht –<br />

ggf. nach sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts – wenigstens eine rechtswidrige Tat (i.S.d. §§ 11<br />

Abs. 1 Nr. 5 StGB; 1 OWiG) darstellt (Erfordernis der Beiderseitigkeit der Strafbarkeit) 560 .<br />

Während nach deutschem Recht das Vorliegen eines endgültigen Verfahrenshindernisses grundsätzlich<br />

die Anordnung von Verfall und Einziehung ausschließt, gilt dies bei § 66 Abs.1 und 2 Nr. 1 IRG<br />

nicht 561 . Dies hängt mit den Besonderheiten der Rechtshilfe zusammen und kann insbesondere der<br />

Ausnahmeregelung des § 9 Nr. 2 IRG die Auslieferung betreffend bei Verfolgungs- oder Vollstreckungsverjährung<br />

entnommen werden.<br />

Ferner bedarf es der Beschlagnahmeanordnung einer ausländischen Stelle. Überdies muss gewährleistet<br />

sein, dass etwaige dingliche und Vermögensschutz-, Urheber- oder Geheimhaltungsrechte eines<br />

Dritten, der vom Betroffenen bzw. Beteiligten i.S.d. § 66 Abs. 1 IRG abzugrenzen ist, unberührt bleiben<br />

562 .<br />

Schließlich ist ein Ersuchen um Herausgabe eines Gegenstands nach § 66 Abs. 1 Nr. 2 – 4 IRG nur<br />

dann zulässig, wenn noch kein rechtskräftiges und vollstreckbares ausländisches Erkenntnis vorliegt (§<br />

66 Abs. 3 IRG).<br />

Liegt demgegenüber eine derartige Entscheidung vor, richtet sich die Zulässigkeit ausschließlich nach<br />

den Vorschriften des Vierten Teils des IRG (§§ 48 ff.).<br />

Die Herausgabe nach § 66 IRG erfolgt im Grundsatz immer an die zuständigen Stellen des ersuchenden<br />

Staates und nicht an Private 563 .<br />

556<br />

BT-Drucks. 16/6563, S. 14.<br />

557<br />

BT-Drucks. 16/6563, S. 14.<br />

558<br />

Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 66<br />

IRG Rn. 23 unter Verweis auf BT-Drucks 9/1338, S. 87, 59.<br />

559<br />

BR-Drucks. 67/09, S. 44 ff.<br />

560<br />

Vgl. hierzu auch Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5.<br />

Auflage 2011, § 3 IRG Rn. 11 ff.<br />

561<br />

Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 29 m.w.N.<br />

562<br />

Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 39.<br />

563<br />

Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 10.<br />

164


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Der Gesetzeswortlaut des § 66 Abs. 1 Nr. 2 - 4 IRG stellt jedoch nur auf die Beziehung der Gegenstände<br />

zur Tat ab, verlangt indes nicht, dass die Gegenstände auch im ausländischen Verfahren dem<br />

Verfall oder der Einziehung unterliegen. Demzufolge ist es dem ersuchenden Staat nach deutschem<br />

Recht unbenommen, die herausgegebenen Gegenstände auch dem Geschädigten oder Eigentümer<br />

auszuhändigen 564 .<br />

c. § 67 IRG<br />

Nach § 67 IRG können neben einer Durchsuchung auch prozessuale Maßnahmen nach §§ 94, 98,<br />

111b Abs. 1, 111c angeordnet und vollzogen werden, gem. § 67 Abs. 1 IRG entweder nach oder sogar<br />

vor Eingang eines Ersuchens nach § 66 IRG und nach § 67 Abs. 2 IRG unter den Voraussetzungen des<br />

§ 66 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 IRG auch dann, wenn dies zur Erledigung eines nicht auf Herausgabe<br />

der Gegenstände gerichteten Ersuchens erforderlich ist.<br />

d. Weiteres Verfahren<br />

Nach § 66 Abs. 4 Satz 1 IRG bereitet die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht die Entscheidung<br />

über die Herausgabe vor und führt die bewilligte Herausgabe durch; Bewilligungsbehörde ist vorliegend<br />

die Generalstaatsanwaltschaft 565 .<br />

Vorlage- und Rechtsschutzmöglichkeiten richten sich nach § 61 IRG.<br />

Maßnahmen nach § 67 IRG werden von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht beantragt (RiVASt<br />

Nr. 75) und von dem Amtsgericht angeordnet, in dessen Bezirk die Handlungen vorzunehmen sind (§<br />

67 Abs. 3 Satz 1 IRG).<br />

Bei Gefahr im Verzug gilt § 67 Abs. 4 IRG.<br />

Bei seiner Prüfung hat das Amtsgericht nicht nur die innerstaatliche Vornahmeermächtigung, sondern<br />

ebenfalls die der Leistungsermächtigung zu prüfen 566 . Hält das Amtsgericht allerdings die Voraussetzungen<br />

der Leistungsermächtigung für nicht erfüllt, so muss es die Sache nach § 61 Abs. 1 Satz 1 IRG<br />

dem OLG vorlegen.<br />

Die Entscheidung des Amtsgerichts, die auf dem Beschlussweg erfolgt, kann mit der Beschwerde nach<br />

§ 304 StPO angegriffen werden. Bei Einwendungen gegen den Vollzug der Beschlagnahme nach §<br />

111c StPO ist gem. § 111f Abs. 5 die gerichtliche Entscheidung herbeizuführen (vgl. hierzu insgesamt<br />

§ 77 Abs. 1 IRG).<br />

Abgesehen vom Ausnahmefall des § 10 Abs. 2 IRG, der lediglich das Auslieferungsrecht betrifft, bleibt<br />

es bei dem Grundgedanken im Rechtshilferecht, dass eine Überprüfung der einem Rechtshilfeersuchen<br />

zugrundeliegenden Entscheidung bezogen auf die innerstaatlichen Voraussetzungen des Entscheidungsstaates<br />

insbesondere hinsichtlich des Tatverdachtes nicht vorgesehen ist 567 .<br />

Bewilligungsbehörde ist die Staatsanwaltschaft jedenfalls dann, wenn noch kein Herausgabeersuchen<br />

nach § 66 IRG vorliegt.<br />

564<br />

Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 19 ff.<br />

565<br />

§ 74 Abs. 2 IRG i.V.m. Zuständigkeitsvereinbarung vom 28. April 2004 (BAnz. S. 11494) und RdErl. d. JM NRW<br />

und des IM NRW vom 1. Juli 2004 in der Fassung vom 22. August 2007 (JMBl. NRW S. 171), Eingehende Ersuchen<br />

Ziff. 3.<br />

566<br />

Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 67<br />

IRG Rn. 14.<br />

567<br />

Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, Vor<br />

§ 94 IRG Rn. 8.<br />

165


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Lösung Fall 35:<br />

Dem Rechtshilfeersuchen ist zu entsprechen .<br />

Das Bankguthaben ist im Wege der Forderungspfändung vorläufig zu beschlagnahmen<br />

(Artikel 11 ff. EuGeldwäscheÜbk; §§ 66 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 67 Abs. 1 Satz 1,<br />

Abs. 3 Satz 1, 77 IRG; 111b Abs. 1, 111c Abs. 3 Satz 1; 111f StPO).<br />

Die Herausgabe der beweisrelevanten Kontounterlagen (in der Regel als Kopie 568 )<br />

richtet sich nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 IRG; u.U. sind insoweit Durchsuchung und Beschlagnahme<br />

entbehrlich.<br />

Im Übrigen könnte die Überweisung der gepfändeten Forderungen zur Einziehung<br />

und die anschließende Herausgabe des Buchgeldes durch einfache (Bank-<br />

)Überweisung erfolgen (str. 569 ).<br />

II. Rechtshilfeverkehr gemäß §§ 91, 94 IRG<br />

§ 94 IRG steht im Zusammenhang mit dem Rb „Sicherstellung“ und ist Bestandteil des Zehnten Teils<br />

des IRG „Sonstiger Rechtshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“.<br />

Neben § 1 Abs. 4 IRG (vgl. oben) ist hier § 91 IRG von Bedeutung.<br />

Nach Absatz 1 finden die übrigen Bestimmungen des IRG auf den sonstigen Rechtshilfeverkehr mit<br />

den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Anwendung, wenn der Zehnte Teil keine besonderen<br />

Regelungen enthält.<br />

Nach Absatz 2 geht der Zehnte Teil des IRG den in § 1 Abs. 3 IRG genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen<br />

vor, soweit er abschließende Regelungen enthält; § 91 Abs. 2 IRG ist mithin eine Rückausnahme<br />

von § 1 Abs. 4 IRG bzw. Rückrückausnahme von § 1 Abs. 3 IRG.<br />

Das bedeutet aber auch, dass ein i.S.d. §§ 94, 95 IRG unzulässiges Ersuchen nicht nach den Bestimmungen<br />

des EuRhÜbk oder gem. §§ 59 ff. IRG bewilligt werden kann 570 .<br />

b. Anwendungsbereich des § 94 IRG<br />

Fall 36:<br />

Die österreichische Staatsanwaltschaft in F. ermittelt gegen die Deutsche E. wegen<br />

des Verdachts des Betruges und ersucht unter Beifügung einer in eigener Zuständigkeit<br />

erlassenen „Sicherstellungsanordnung“ über 50.000,- Euro, die durch das Landgericht<br />

in K. richterlich bestätigt worden ist, und einer Bescheinigung i.S.d. Art. 9 Rb<br />

„Sicherstellung“ um Pfändung des Bankguthabens der E. aus sämtlichen Geschäftsverbindungen<br />

mit der in Bochum geschäftsansässigen Stadtsparkasse (§ 110 Abs. 1<br />

Ö-StPO), um den späteren Verfalls nach § 20 Abs. 1 Ö-StGB abzusichern. Dem Ersuchen<br />

ist nicht zu entnehmen, dass die österreichischen mutmaßlich Geschädigten die<br />

erschwindelten Gelder auf Konten der E. bei der SSK Bochum überwiesen haben.<br />

Wie ist hier zu verfahren?<br />

(1) Grundsätzlicher Anwendungsbereich<br />

Der Anwendungsbereich des Rb „Sicherstellung“ ist auf vorläufige Maßnahmen beschränkt. Erfasst<br />

sind letztlich die Ermittlungsmaßnahmen der Beschlagnahme, der sonstigen Sicherstellung sowie der<br />

Durchsuchung.<br />

Die Herausgabe der sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenstände ist dagegen ausdrücklich<br />

nicht Gegenstand dieses Rahmenbeschlusses, sondern richtet sich gemäß Artikel 10 Abs. 2 „nach den<br />

Regeln für die Rechtshilfe in Strafsachen und nach den Regeln für die internationale Zusammenarbeit<br />

im Bereich der Einziehung“, also beispielsweise nach dem EuRhÜbk 571 .<br />

568 Vgl. hierzu Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 13 ff.<br />

569 Vgl. hierzu Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 9 m.w.N.; Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf,<br />

internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, 5. Kapitel Grenzüberschreitende<br />

Vermögensabschöpfung Rn. 243; Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 503 m.w.N.<br />

570 BT-Drucks. 16/6563, S. 10.<br />

571 BT-Drucks. 16/6563, S. 10.<br />

166


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Aufgrund der in Artikel 10 Abs. 1 Rb „Sicherstellung“ getroffenen Vorgaben ist der ersuchende Staat<br />

aber verpflichtet, parallel dazu entweder bereits ein weiteres Ersuchen um Herausgabe bzw. Einziehung<br />

beizufügen oder zumindest ein Datum zu nennen, wann ein entsprechendes Ersuchen übersandt<br />

werden wird 572 .<br />

Denkbar sind daher Ersuchen i.S.d. § 94 IRG sowohl in einem ausländischen Ermittlungsverfahren zur<br />

Absicherung des späteren Verfalls etc. als auch zur Vollstreckung einer schon rechtskräftigen Verfallsentscheidung<br />

durch Sicherung einer hiervon erfassten Vermögensposition 573 .<br />

(2) Bewilligungspflicht bei zulässigem Ersuchen<br />

Sofern ein nach Maßgabe der §§ 94, 95 IRG zulässiges Ersuchen gestellt worden ist, besteht nach §<br />

96 IRG die Verpflichtung, die Rechtshilfe zu bewilligen, wobei § 94 Abs. 3 IRG in den beschriebenen<br />

Fällen die Möglichkeit des Aufschubs der Bewilligung einräumt.<br />

(3) Zulässigkeitsvoraussetzungen<br />

Neben der Verpflichtung des ersuchenden Staates, eine justizielle Sicherstellungsentscheidung und<br />

eine vollständig ausgefüllte Bescheinigung entsprechend der Vorgaben der Artikel 4 Abs. 1, 7 Abs. 1<br />

lit. a) und 9 des Rb „Sicherstellung“ vorzulegen, ist die Zulässigkeit weiter daran geknüpft, dass ein<br />

„Listendelikt“ i.S.d. Artikel 3 Abs. 2 des Rb „Sicherstellung“ vorliegt (§ 94 Abs. 1 Nr. 1 IRG); in einem<br />

solchen Fall erfolgt keine Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit. Eine Gegenausnahme dazu ist<br />

in § 94 Abs. 1 Nr. 2 IRG normiert. Ein Ersuchen in Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Währungsangelegenheiten<br />

ist auch dann zulässig, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder<br />

keine gleichartigen Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie im Gegenzug<br />

das Recht des Entscheidungsstaates (= ersuchender Staat).<br />

Die Prüfung, ob ein Listendelikt, das nach dem Recht des ersuchenden Staates mit einer Freiheitstrafe<br />

im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist, vorliegt, ist somit im Ergebnis auf den ersuchenden<br />

Staat (= Entscheidungsstaat) übertragen, der dazu in der nach Artikel 9 des Rb „Sicherstellung“<br />

zu übersendenden Bescheinigung unter lit. i) 1. ein Kreuz zu setzen hat 574 .<br />

Weitere Unzulässigkeitsgründe sind § 94 Abs. 2 IRG zu entnehmen. Die Bewilligung eines Ersuchens<br />

ist danach unzulässig, wenn entweder ein Beschlagnahmeverbot nach §§ 77 Abs. 1 IRG i.V.m. 97<br />

StPO (§ 94 Abs. 2 Nr. 1 IRG) oder aber – ausgenommen die Möglichkeit des selbständigen Verfalls-<br />

und Einziehungsverfahrens entsprechend der Bestimmung des § 76a StGB – das endgültige Verfahrenshindernis<br />

„ne bis in idem“ (vgl. Artikel 103 Abs. 3 GG und Artikel 54 SDÜ) besteht (§ 94 Abs. 2 Nr.<br />

2 IRG).<br />

(4) Verfahren<br />

Die weitere Umsetzung eines zulässigen Ersuchens nach Maßgabe des Rb „Sicherstellung“ richtet sich<br />

gem. § 94 Abs. 1 IRG nach §§ 58 Abs. 3 und 67 IRG. Das bedeutet zunächst, dass - anders als bei<br />

Ersuchen im Rahmen der (vertraglosen) Rechtshilfe nach § 67 Abs. 1 IRG - neben der Beschlagnahme<br />

nach §§ 77 Abs. 1 IRG i.V.m. 111b Abs. 1, 111c StPO auch der Vollzug von dinglichen Arresten in das<br />

Legalvermögen des Betroffenen nach §§ 77 Abs. 1 IRG i.V.m. 111b Abs. 2, 111d StPO möglich ist.<br />

Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 94 Abs. 1 IRG „...nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses<br />

2003/577/JI des Rates vom 22. Juli 2003...“ i.V.m. Artikel 2 „Begriffsbestimmungen“ lit. c) und lit. d)<br />

des Rb „Sicherstellung“, wonach Sicherstellungsentscheidungen auch in Vermögensgegenstände, die<br />

ganz oder teilweise dem Wert des ursprünglich aus einer Straftat herrührenden Ertrags entsprechen,<br />

vollzogen werden können.<br />

Erfasst sind mithin auch die materiell-rechtlich in §§ 73a, 73d Abs. 2, 74c StGB geregelten Fälle des<br />

(erweiterten) Verfalls von Wertersatz sowie der Einziehung von Wertersatz 575 .<br />

Bezüglich der Rechtsschutzmöglichkeiten und Bewilligungskompetenzen gilt das zu §§ 66, 67 IRG<br />

Gesagte (vgl. § 91 Abs. 1 IRG) 576 .<br />

572 Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, Vor<br />

§ 94 IRG Rn. 2.<br />

573 Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, Vor<br />

§ 94 IRG Rn. 2.<br />

574 Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, §<br />

94 IRG Rn. 3.<br />

575 Vgl. auch BR-Drucks. 553/07, S. 16.<br />

576 Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, Vor<br />

§ 94 IRG Rn. 8 ff.<br />

167


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Einzig zweifelhaft erscheint, ob bei Maßnahmen nach §§ 111b ff. StPO, welche in die Rechte Dritter<br />

eingreifen, tatsächlich auch die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO und die Drittwiderspruchsklage<br />

nach § 771 ZPO statthafte Rechtsmittel sind 577 , hat der Gesetzgeber doch mit § 111f Abs. 5<br />

StPO eine Regelung geschaffen, welche den Rechtsschutz insoweit ausschließlich auf die nach der<br />

StPO statthaften Rechtsmittel beschränken sollte 578 .<br />

Lösung Fall 36:<br />

Die Voraussetzungen des § 94 IRG liegen vor. Da es sich bei Betrug um ein Listendelikt<br />

i.S.d. § 94 Abs. 1 Nr. 1 IRG handelt, ist die Beiderseitigkeit der Strafbarkeit nicht<br />

zu prüfen; im Übrigen könnte(n) auch nach deutschem Recht vorbehaltlich der Regelung<br />

des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB der Verfall von Wertersatz resp. entsprechende Sicherungsmaßnahmen<br />

nach §§ 111b ff. StPO angeordnet werden. Gem. §§ 94 Abs. 1,<br />

58 Abs. 3, 67 Abs. 3, 77 Abs. 1 IRG; 111b, 111d StPO kann daher beim zuständigen<br />

Amtsgericht der Erlass eines dinglichen Arrestes und etwaiger Kontopfändungsbeschlüsse<br />

erwirkt werden.<br />

Dass die Republik Österreich insoweit entgegen der Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2<br />

StGB den Verfall anstrebt, ist unschädlich (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG).<br />

17.2.2 Vermögensabschöpfung im Rahmen der (vertraglosen) Vollstreckungshilfe bei<br />

eingehenden Ersuchen<br />

I Verfahren<br />

Bei der Umsetzung eines Ersuchens um Vollstreckung einer ausländischen Verfallsentscheidung sind<br />

mehrere „Stationen“ zu unterscheiden.<br />

Nach Eingang eines solchen Rechtshilfeersuchens bereitet die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft<br />

beim Landgericht die Exequaturentscheidung vor (vgl. §§ 50 Satz 2, 51, 88d Abs. 1 IRG), wobei die<br />

Prüfung von Zulässigkeit und etwaiger Bewilligungshindernisse im Vordergrund steht (vgl. §§ 48, 49,<br />

88d Abs. 1 IRG).<br />

Diese Überprüfung kann zudem – abhängig vom Einzelfall – auch die Frage nach ggf. notwendigen<br />

Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO beinhalten (vgl. §§ 58 Abs. 3, 88d Abs. 1 IRG).<br />

Die Staatsanwaltschaft hat schließlich die Sache verbunden mit einem zu begründenden Antrag dem<br />

Landgericht zur Entscheidung vorzulegen.<br />

Kommt das Landgericht gem. §§ 50 und 55 IRG dazu, das ausländische Erkenntnis für vollstreckbar zu<br />

erklären (§§ 54, 88d Abs. 3 IRG), und ist die Entscheidung rechtskräftig geworden (vgl. §§ 42, 55<br />

Abs. 2, 88 IRG), bedarf das Ersuchen gem. §§ 56, 88, 88c IRG der Bewilligung durch die zuständige<br />

Bewilligungsbehörde, vorliegend durch das jeweilige Landesjustizministerium 579 .<br />

Vorher hat die Staatsanwaltschaft entsprechend zu berichtigen (vgl. Nr. 69 Abs. 2 RiVASt und Nr. 188<br />

Abs. 1 E-RiVASt).<br />

Nachfolgend ergehen die Vollstreckung der landgerichtlichen Exequaturentscheidung (vgl. §§ 57, 88e<br />

IRG), das ggf. notwendig werdende Verfahren über die Entschädigung einer durch die zugrunde liegende<br />

Straftat verletzten Person (vgl. §§ 56a, 88 IRG) und das „Verteilungsverfahren“ (vgl. §§ 56b,<br />

88f IRG).<br />

II. (Vertragslose) Rechtshilfe nach §§ 48 ff. IRG<br />

Vollstreckt werden kann jede rechtskräftige ausländische Sanktion, wobei es bei Übernahme der<br />

Vollstreckung einer Anordnung des (erweiterten) Verfalls oder der Einziehung (des Wertersatzes) nicht<br />

auf den Entscheidungsträger, sondern allein darauf ankommt, ob der Anordnung eine mit Strafe bedrohte<br />

Handlung zu Grunde liegt 580 .<br />

577 So Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011,<br />

Vor § 94 IRG Rn. 11; vgl. auch BT-Drucks. 16/6563, S. 12 und BR-Drucks. 553/07, S. 19.<br />

578 Vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111f Rn. 15.<br />

579 § 74 Abs. 2 IRG i.V.m. Zuständigkeitsvereinbarung vom 28. April 2004 (BAnz. S. 11494) und RdErl. d. JM NRW<br />

und des IM NRW vom 1. Juli 2004 in der Fassung vom 22. August 2007 (JMBl. NRW S. 171).<br />

580 Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />

2011, § 48 IRG Rn. 5.<br />

168


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Die weitere Zulässigkeit richtet sich im Rahmen einer kumulativen Prüfung nach § 49 IRG:<br />

Es bedarf zunächst eines entsprechenden Ersuchens unter Beifügung einer rechtskräftigen und<br />

vollstreckbaren ausländischen Entscheidung (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG).<br />

Weiter ist erforderlich, dass im ausländischen (Straf-)Verfahren rechtliche (Mindest-)Standards wie die<br />

Gewährung rechtlichen Gehörs, eine angemessene Verteidigung etc. Beachtung gefunden haben (§ 49<br />

Abs. 1 Nr. 2 IRG).<br />

§ 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG nimmt darüber hinaus den Grundsatz der beiderseitigen Sanktionierbarkeit aus<br />

§ 3 Abs. 1 IRG auf. An den Maßstäben des hiesigen Rechts sind daher zu messen: Tatbestand,<br />

Rechtswidrigkeit, Schuld oder das Nichtvorliegen sonstiger Straffreistellungsgründe 581 .<br />

Ausreichend wäre es in diesem Zusammenhang auch, wenn die Tat als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße<br />

hätte geahndet werden können 582 . Ein derart großzügiger Maßstab gilt auch für die gesetzgeberische<br />

Bezugnahme auf Verfall und Einziehung 583 , die im Übrigen nicht zu eng zu begreifen ist. Erfasst<br />

sind sämtliche Fälle des/der (erweiterten) Verfalls und Einziehung (von Wertersatz) 584 . Insoweit unbeachtlich<br />

sind – entgegen der nationalen Rechtslage - etwaige Verfahrenshindernisse (i.S.d. § 260<br />

Abs. 3 StPO) und etwaige Ansprüche von Verletzten aus Straftaten i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB.<br />

Weitere Vorbehalte ergeben sich aus § 49 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 IRG.<br />

Sofern bereits eine Entscheidung der in § 9 Nr. 1 IRG genannten Art ergangen ist, gilt es, ein derartiges<br />

Ersuchen als unzulässig zurückzuweisen, es sei denn, unter den Voraussetzungen des § 76a StGB<br />

könnte das selbständige Verfalls-/Einziehungsverfahren durchgeführt werden (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG).<br />

Ferner darf die Vollstreckung nicht nach deutschem Recht verjährt sein (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG). Dies<br />

gilt in den Fällen der Vollziehung einer Verfalls- oder Einziehungsentscheidung jedoch nicht, wenn<br />

entweder für die der Anordnung zugrunde liegende Tat nicht deutsches Strafrecht gilt (vgl. §§ 3 – 7, 9<br />

StGB) oder aber eine Anordnung nach § 76a Abs. 2 Nr. 1 StGB erfolgen könnte.<br />

Hinzuweisen bleibt schließlich noch auf die Regelung des § 49 Abs. 4 IRG, welche die ausländische<br />

Verfalls- oder Einziehungsentscheidung die Rechte Dritter betreffend grundsätzlich für bindend erklärt<br />

und nur ausnahmsweise (lit. a) – c)) durchbricht.<br />

Wie an anderer Stelle bereits hervorgehoben eröffnet u.a. § 58 Abs. 3 IRG im Zusammenhang mit der<br />

Vollstreckung u.a. einer ausländischen Verfalls- oder Einziehungsentscheidung (vgl. hierzu auch § 89<br />

IRG) die Möglichkeit, parallel zu einem derartigen Ersuchen (§ 58 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 IRG) oder aber<br />

auf gesonderten Antrag hin unter Angabe des Verdächtigen, der Zuwiderhandlung, wegen derer das<br />

Strafverfahren geführt wird, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung schon vorher (§ 58 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2<br />

IRG) die Sicherungsmaßnahmen der Beschlagnahme oder des dinglichen Arrestes gem. den §§ 111b<br />

bis 111d StPO unter entsprechender Anwendung des § 67 Abs. 1 IRG auszubringen.<br />

Es handelt sich um eine Rechtsgrundverweisung, weshalb die Voraussetzungen für eine Herausgabe<br />

daher auch im Übrigen vorliegen müssen (vgl. oben) 585 .<br />

Ausweislich § 58 Abs. 3 Satz 2 IRG können darüber hinaus unter den Voraussetzungen der §§ 66 Abs.<br />

2 Nr. 1 und Nr. 2 IRG Sicherstellungsmaßnahmen nach den §§ 111b bis 111d StPO auch zur Vorbereitung<br />

einer Einziehungs- oder Verfallsentscheidung im ersuchenden Staat getroffen werden.<br />

III. Rechtshilfe mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gem. den §§ 88 ff. IRG<br />

Die Rechtshilfe mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei Vollstreckung ausländischer Verfalls-<br />

und Einziehungsentscheidungen unter Maßgabe des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ richtet sich<br />

gem. §§ 1 Abs. 4, 88 IRG nach den §§ 88a bis 88f IRG. Sofern diese Bestimmungen keine besonderen<br />

Regeln enthalten, sind die Vorschriften des Vierten Teils sowie die allgemeinen Bestimmungen des<br />

Ersten und Siebenten Teils des IRG anzuwenden; Gleiches gilt für den Fall, dass das Ersuchen nicht<br />

nach Maßgabe des vorgenannten Rahmenbeschlusses gestellt wurde (§ 88 IRG).<br />

581 Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />

2011, § 49 IRG Rn. 10.<br />

582 Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />

2011, § 49 IRG Rn. 8.<br />

583 Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />

2011, § 49 IRG Rn. 13a.<br />

584 Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />

2011, § 49 IRG Rn. 13c.<br />

585 BT-Drucks. 16/6563, S. 13.<br />

169


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Der Vollstreckungshilfe sind hier alle Arten des Verfalls und der Einziehung gem. §§ 73, 73a, 73d, 74,<br />

74a, 74c StGB zugänglich, mithin neben dem/der täter- oder teilnehmerbezogenen Verfall und Einziehung<br />

auch der Drittempfänger- und Dritteigentümerverfall nach § 73 Abs. 3 und Abs. 4 StGB und die<br />

Einziehung beim Dritteigentümer gem. § 74a und gegenüber juristischen Personen etc. nach § 75<br />

StGB 586 .<br />

Aus der Formulierung des § 88a Abs. 1 Nr. 2 IRG lässt sich herleiten, dass der Gesetzgeber am Erfordernis<br />

der beiderseitigen Strafbarkeit unter Maßgabe des § 3 Abs. 1 IRG dem Grunde nach festhält, in<br />

Umsetzung der in Artikel 6 Abs. 1 des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ enthaltenen Vorgaben bei der<br />

vollstreckungsrechtlichen Behandlung der dort aufgeführten „Listendelikte“, die im Entscheidungsstaat<br />

mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind, aber in Nr. 2. a) eine<br />

Ausnahme vorsieht, wobei die Fälle der Vollstreckung von Maßnahmen nach §§ 73d, 74a StGB als<br />

Gegenausnahmen wiederum der Prüfung der Beiderseitigkeit der Strafbarkeit unterfallen.<br />

Letzteres hängt damit zusammen, dass zur Anwendung dieser Maßnahmen eine Anknüpfungstat notwendig<br />

ist, deren Tatbestand besonders auf sie verweist 587 .<br />

a. Zulässigkeitsvoraussetzungen und Bewilligungshindernisse<br />

Fall 37:<br />

Unter Vorlage der Bescheinigung i.S.d. Artikel 4 des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“<br />

ersuchen die niederländischen Strafverfolgungsbehörden um Vollstreckung einer Verfallsentscheidung<br />

im Zusammenhang mit gewerbs- und bandenmäßig begangenen<br />

Betrugstaten, die nach deutschem Recht der Verfolgungsverjährung unterlegen hätten.<br />

Aus den Gründen des niederländischen Urteils ergibt sich weiter, dass der insoweit<br />

Verfallsbetroffene einen Härtefall nach § 73c Absatz 1 Satz 1 StGB für sich in<br />

Anspruch hätte nehmen können.<br />

(1) Obligatorische Voraussetzungen der Zulässigkeit bzw. Zulässigkeitshindernisse gem.<br />

§ 88a IRG<br />

(aa) § 88a Abs. 1 IRG<br />

Neben einer rechtskräftigen und vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung hat der ersuchende Staat<br />

eine Bescheinigung nach Artikel 4 des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ vorzulegen (Nr. 1 i.V.m. § 88b<br />

IRG).<br />

Die der Entscheidung zugrunde liegende Tat unterliegt dem Grunde nach der Prüfung der Beiderseitigkeit<br />

der Strafbarkeit (Nr. 2), die entfällt, wenn entweder wegen eines Listendelikts i.S.d. Artikel 6<br />

Abs. 1 des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ die betreffende Anordnung ergangen ist (Nr. 2 Buchstabe<br />

a) oder aber eine Steuer-, Abgaben-, Zoll- oder Währungsangelegenheit vollstreckt werden soll und<br />

das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern oder Abgaben vorschreibt respektive keine gleichartigen<br />

Steuer-, Abgaben-, Zoll- oder Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden<br />

Mitgliedstaates (Nr. 2 Buchstabe b).<br />

Bei Maßnahmen nach §§ 73d, 74a StGB verbleibt es hingegen bei der Notwendigkeit, die Beiderseitigkeit<br />

der Strafbarkeit zu prüfen.<br />

Wie bereits bei den Erläuterungen zu § 49 IRG betont, ist die Prüfung der Beiderseitigkeit der Strafbarkeit<br />

von der gebotenen Überprüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Verfalls und<br />

der Einziehung gem. §§ 73 ff., 74 ff. StGB zu unterscheiden 588 .<br />

Notwendig ist daher die Begehung einer rechtswidrigen Tat beim Verfall und einer vorsätzlichen, mithin<br />

schuldhaften Tat bei der Einziehung.<br />

Einschränkungen ergeben sich nur dadurch, dass etwaige rechtliche Verfahrenshindernisse (vgl. §§<br />

76a und 78 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) und Ansprüche von Verletzten aus Straftaten<br />

i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB bei der Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse unschädlich sind.<br />

586<br />

Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 88a<br />

IRG Rn. 4.<br />

587<br />

Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 88a<br />

IRG Rn. 7.<br />

588<br />

BR-Drucks. 67/09, S. 45; BT-Drucks. 16/12320, S. 30.<br />

170


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Die Tatgeschädigten haben nach §§ 88, 56a IRG eine Entschädigungsmöglichkeit (vgl. oben).<br />

Im Umkehrschluss sind demgegenüber jedoch die Rechte Dritter i.S.d. §§ 73 Abs. 4, 73d Abs. 1 Satz<br />

2, 73e Abs. 1 Satz 2 StGB etc. zu beachten.<br />

(bb) § 88a Abs. 2 IRG<br />

§ 88a Abs. 2 IRG enthält eine Reihe von Gründen, die im Falle ihres Vorliegens zur Unzulässigkeit<br />

eines Rechtshilfeersuchens führen:<br />

Nr. 1: Nicht nach deutschem Recht mit Strafe bedrohte Inlandstat<br />

Nr. 2: Abwesenheitsentscheidung ohne Verteidiger, es sei denn:<br />

o Unterrichtung der verurteilten Person oder des Verteidigers über das Verfahren<br />

o Rechtsmittelverzicht<br />

Nr. 3: ne bis in idem + anhängige oder bereits erfolgte Vollstreckung oder Unmöglichkeit der<br />

Vollstreckung im Parallelverfahren;<br />

o Rückausnahme: Möglichkeit der Durchführung des objektiven Verfahrens nach § 76a StGB<br />

Nr. 4: Vollstreckungsverjährung bei Straftaten, für die das deutsche Strafrecht gilt (vgl. §§ 3 – 7,<br />

9 StGB);<br />

o Rückausnahme: Möglichkeit der Durchführung des objektiven Verfahrens nach § 76a StGB<br />

(2) § 88c IRG<br />

§ 88c IRG beinhaltet schließlich im Falle der Zulässigkeit des gestellten Rechtshilfeersuchens weitere<br />

fakultative Ablehnungsgründe, auf die im Einzelnen verwiesen wird.<br />

Lösung Fall 37:<br />

Anders als bei der Verfolgungsverjährung, die als Verfahrenshindernis i.S.d. § 260<br />

Abs. 3 StPO vorliegend unschädlich wäre (vgl. § 88a Abs. 1 Nr. 2 IRG), könnte das<br />

Vorliegen eines Härtefalls nach § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB rahmenbeschlusskonform<br />

zur Zurückweisung des Ersuchens als unverhältnismäßig führen 589 . Daran ändert<br />

auch das Vorliegen eines „Listendelikts“ nichts. Denn: Die Vollstreckung würde die<br />

Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze nach Artikel 6 des Vertrages über<br />

die Europäische Union verletzen (vgl. Artikel 1 Abs. 2 Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“<br />

und § 73 IRG).<br />

17.2.3 Ausgehende Ersuchen<br />

Der Themenkreis der ausgehenden Ersuchen ist im IRG nur unvollständig abgebildet.<br />

Für die Vollstreckungshilfe finden sich insoweit Bestimmungen in den §§ 71, 71a IRG für die vertraglose<br />

Rechtshilfe und in § 90 IRG bzgl. des Rechtshilfeverkehrs mit den Mitgliedstaaten der Europäischen<br />

Union in Bezug auf die Vollstreckung einer Anordnung des Verfalls oder der Einziehung nach Maßgabe<br />

des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ und schließlich flankierend in den Nr. 105 ff. RiVASt.<br />

Im Rahmen der sonstigen Rechtshilfe sind die Nr. 114 ff. RiVASt einschlägig.<br />

Erfahrungen mit der Behandlung von ausgehenden Rechtshilfeersuchen entweder um Vollstreckung<br />

von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen i.S.d. §§ 111b ff. StPO nach Maßgabe des Rb „Sicherstellung“<br />

oder um Vollstreckung einer deutschen Verfalls- oder Einziehungsanordnung nach Maßgabe des Rb<br />

„Einziehung Gegenseitigkeit“ liegen soweit bekannt kaum vor.<br />

Gleichwohl dürften die meisten EU-Mitgliedstaaten die Rb’e „Sicherstellung“ und „Einziehung Gegenseitigkeit“<br />

in innerstaatliches Recht transformiert haben. Eine diesbezügliche Übersicht zum Stand der<br />

Ratifizierungen kann über die Internetseite der EU oder aber über die polizeilichen Finanzermittler<br />

unter Rückgriff auf Extrapol beim BKA abgerufen werden.<br />

Im Übrigen gilt bei der Abwicklung entsprechender ausgehender Ersuchen im Grundsatz nichts anderes<br />

als bei der Behandlung eingehender Ersuchen.<br />

Bei ausgehenden Ersuchen nach Maßgabe des Rb „Sicherstellung“ sind im Regelfall zwei „Sicherstellungsentscheidungen“<br />

beizufügen, zum einen der generell-abstrakte Sicherungstitel, d.h. eine Beschlagnahmeanordnung<br />

nach § 111b Abs. 1 StPO oder ein dinglicher Arrest gemäß §§ 111b Abs. 2,<br />

589 BT-Drucks. 16/12320, S. 30.<br />

171


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

111d Abs. 2 StPO, und zum anderen – sofern notwendig – der diesen Titel umsetzende gerichtliche<br />

oder staatsanwaltschaftliche Pfändungsbeschluss im Hinblick auf den vorläufig zu sichernden konkreten<br />

Vermögensgegenstand.<br />

17.2.4 Offene Probleme<br />

Im Bereich der internationalen Vermögensabschöpfung sind einige Konstellationen rechtlich belastbar<br />

noch nicht hinreichend geklärt.<br />

Dazu zwei Beispiele:<br />

In Italien etwa besteht bei bestimmten Anlasstaten, beispielsweise beim Verdacht der Beteiligung an<br />

einer mafiaartigen Vereinigung, im Rahmen der der Anwendung des erweiterten Verfalls nach § 240<br />

Abs. 2 codice penale eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Legalität des einzuziehenden Vermögens,<br />

welche mit deutschen Recht und der Auslegung des § 73d StGB durch BVerfG und BGH nicht vereinbar<br />

ist.<br />

Nach der gegenwärtigen Gesetzeslage könnte daher ein ausländisches Ersuchen um Vollstreckung<br />

einer Verfallsentscheidung, die nach derartigen Grundsätzen zustande gekommen ist, als unzulässig<br />

abgelehnt werden dürfen (vgl. § 73 Satz 2 IRG) 590 .<br />

Ein anderer vergleichbarer Problemkreis betrifft die „civil confiscation“/ „non-conviction based confiscation“,<br />

die von einigen Staaten eingeführt wurden 591 .<br />

Danach hat ein Zivilgericht die Möglichkeit, aufgrund der im Rahmen einer Beweislastumkehr getroffenen<br />

Vermutung, dass Vermögenswerte aus einer kriminellen Handlung herrühren, die Einziehung<br />

der vermögenswerten Gegenstände anzuordnen.<br />

Hier stellt sich ebenfalls die Frage nach der Behandlung derartiger Ersuchen, insbesondere dann,<br />

wenn aus Beweisgründen eine strafrechtliche Verurteilung nicht möglich wäre.<br />

Hier sind mehrere Ebenen der Rechtshilfe berührt.<br />

Zum einen ist zweifelhaft, ob es sich überhaupt um Rechtshilfeverkehr in einer strafrechtlichen Angelegenheit<br />

i.S.d. § 1 Abs. 1 und 2 IRG handelt.<br />

Zum anderen könnte der (europäische) ordre public-Grundsatz (§ 73 Satz 2 IRG) wegen Verstoßes<br />

gegen das Schuldprinzip und die Unschuldsvermutung verletzt sein.<br />

Soweit ersichtlich wurden solche Ersuchen noch nicht an Deutschland herangetragen. Die weitere<br />

Entwicklung bleibt daher abzuwarten.<br />

590 Vgl. hierzu aber EGMR, Urteil Raimondo gegen Italien vom 22. Februar 1994; BR-Drucks. 135/12, S. 10 ff.<br />

591 UK: „Proceeds of Crime Act“; vgl. hierzu BR-Drucks. 135/12, S. 12 ff.<br />

172


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

18. Internationale Rückgewinnungshilfe in der Diktion der §§<br />

73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b Abs. 5 StPO<br />

Fall 38:<br />

Die Staatsanwaltschaft Bochum führt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts<br />

u.a. des (schweren) Bankrotts.<br />

Im Zuge prozessualer Maßnahmen u.a. auch in der Schweiz konnte zunächst ermittelt<br />

werden, dass einer der Beschuldigten Bestandteile seines Vermögens in die<br />

Schweiz geschafft hat, um diese der Masse in dem gegen ihn eröffneten Privatinsolvenzverfahren<br />

zu entziehen. Anlässlich einer weiteren Durchsuchung in der Schweiz<br />

ergaben sich dann Hinweise darauf, dass sich Vermögenswerte des Beschuldigten in<br />

einem Schließfach bei einer schweizerischen Kantonalbank befinden sollten. Die daraufhin<br />

erwirkte Öffnung und Durchsuchung des Schließfachs ergab schließlich einen<br />

Bestand von ungefähr 750.000,- Euro Bargeld und 40 kg Gold.<br />

Wie ist weiter zu verfahren?<br />

Den meisten ausländischen (EU-)Staaten ist das deutsche Modell der Rückgewinnungshilfe nicht geläufig.<br />

Dies könnte theoretisch zu Schwierigkeiten führen, zum einen bei ausländischen Ersuchen um<br />

Vollstreckung einer Verfallsentscheidung, die nach deutschem Recht im Hinblick auf § 73 Abs. 1 Satz 2<br />

StGB nicht möglich wäre, und zum anderen bei ausgehenden deutschen Ersuchen um vorläufige Sicherungsmaßnahmen<br />

von Vermögenswerten im Wege der Rückgewinnungshilfe, welche wiederum<br />

dem ausländischen Verfahrensrecht fremd ist.<br />

Die einschlägigen europäischen Rahmenbeschlüsse behandeln die Rückgewinnungshilfe nicht ausdrücklich,<br />

schließen sie aber auch nicht aus. Dies gilt zudem für die diesbezüglich relevanten bi- und<br />

multilateralen Übereinkommen im Sinne des § 1 Abs. 3 IRG.<br />

Im Rahmenbeschluss 2006/783/JI vom 06. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der<br />

gegenseitigen Anerkennung von Einziehungsentscheidungen (Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“) wird in<br />

Absatz 15 der Präambel lediglich klargestellt, dass er die Rückgabe von Vermögensgegenständen an<br />

ihren rechtmäßigen Eigentümer nicht behandelt.<br />

Im IRG selbst ist eine mit § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB vergleichbare Regelung nicht enthalten 592 .<br />

Das bedeutet zunächst, dass ausländische Verfallsentscheidungen auch in den Fällen der Rückgewinnungshilfe<br />

uneingeschränkt vollstreckt werden können, was in den §§ 49 Abs. 1 Nr. 3; 88a Abs. 1 Nr.<br />

2 IRG – „ (...) ungeachtet des Absatzes 73 Absatz 1 Satz 2 StGB (...)“ – ausdrücklich klargestellt wird.<br />

Im Gegenzug sieht § 56a IRG, der gemäß §§ 88 Satz 2 IRG auch für den Rechtshilfeverkehr mit den<br />

Mitgliedstaaten der Europäischen Union anwendbar ist, ein Entschädigungsverfahren von Verletzten<br />

aus Straftaten vor, sofern diesen durch die Vollstreckung der ausländischen Anordnung Haftungsmasse<br />

entzogen wurde 593 .<br />

Bei eingehenden Ersuchen um Sicherungsmaßnahmen i.S.d. §§ 111b ff. StPO im Rahmen der sonstigen<br />

Rechtshilfe bedurfte es hingegen einer derartigen Klarstellung nicht, da innerstaatlich Beschlagnahme<br />

und Vollziehung eines dinglichen Arrestes der Absicherung sowohl entsprechender staatlicher<br />

als auch (Verletzten-)Ansprüche dienen.<br />

Allerdings sollen im Falle der Rückgewinnungshilfe zu Gunsten ausländischer Geschädigter als Ermächtigungsgrundlage<br />

nicht die §§ 58 Abs. 3, 67, 94 IRG, sondern die §§ 111b ff. StPO direkt herangezogen<br />

werden können 594 .<br />

Dies dürfte jedoch für entsprechende Ersuchen im Sinne der §§ 66 Abs. 1 Nr. 2 – 4 IRG respektive 67<br />

Abs. 1 IRG nicht mehr gelten, da der ersuchende Staat insoweit frei darin ist, den Gegenstand auch<br />

an den Verletzten herauszugeben (vgl. oben).<br />

592<br />

Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />

2011, § 49 IRG Rn. 13b.<br />

593<br />

Vgl. BT-Drucks. 16/12320, S. 22 ff.<br />

594<br />

Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, 5. Kapitel Grenzüber-<br />

schreitende Vermögensabschöpfung Rn. 248.<br />

173


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Schwieriger stellt sich die Situation bei deutschen Ersuchen um Sicherungsmaßnahmen im Ausland zu<br />

Gunsten von Verletzten aus Straftaten dar.<br />

Um zu vermeiden, dass ein derartiges Rechtshilfeersuchen unter Hinweis auf das etwaige Fehlen einer<br />

mit § 111b Abs. 5 StPO vergleichbaren Regelung abgelehnt wird (vgl. insoweit auch § 59 Abs. 3 IRG –<br />

Vornahmeermächtigung: Zulässigkeit innerstaatlicher Rechtshilfe 595 ), kann es ratsam sein, auf die<br />

Option des aufschiebend bedingten Auffangrechtserwerbs des Staates nach § 111i StPO hinzuweisen.<br />

Sollten allerdings vorläufige Sicherungsmaßnahmen im Ausland im Rahmen der Rückgewinnungshilfe<br />

ausgebracht worden sein, so gilt in derartigen Fällen nichts anderes als umgekehrt bei der inländischen<br />

Rückgewinnungshilfe (ggf. auch auf ein ausländisches Ersuchen hin).<br />

Die Verletzten sind grundsätzlich gehalten, (ggf. im Ausland) eigene Ziviltitel zu erwirken und auch<br />

dort zu vollstrecken.<br />

Kommt es hingegen zur Anwendung des § 111i Abs. 2 und 3 StPO ist ein asset sharing i.S.d. §§ 56b,<br />

88f IRG erst dann möglich, wenn das Gericht gem. § 111i Abs. 6 StPO Eintritt und Umfang des Auffangrechtserwerbs<br />

rechtskräftig festgestellt hat.<br />

Lösung Fall 38:<br />

Ziel des noch zu stellenden Ersuchens ist es, zu einer vorläufigen Sicherung der in<br />

dem Schließfach befindlichen Vermögensgegenstände dergestalt zu kommen, dass<br />

etwaige Verfügungen des Eigentümers, hier des Beschuldigten zunächst gegenüber<br />

dem Sicherungsgläubiger relativ unwirksam sind.<br />

Zunächst ist daher abzuklären, welche bi- und multilateralen Übereinkommen i.S.d. §<br />

1 Abs. 3 IRG, denen die Schweiz und Deutschland beigetreten sind, bestehen.<br />

Dies sind vorliegend in erster Linie das EuRhÜbk in Verbindung mit den Artikeln 40<br />

und 48 – 53 SDÜ und das EuGeldwäscheÜbk (Artikel 7 ff.).<br />

Im Rahmen eines ad-hoc-Ersuchens ist daher die in der Schweiz zuständige justizielle<br />

Stelle zunächst darum zu ersuchen, nach dortigem Recht die aufgefundenen Vermögenswerte<br />

mit Beschlag zu belegen. Dies sollte unter Hinweis darauf erfolgen, dass<br />

die Herbeiführung einer Beschlagnahmeanordnung in internationaler Form durch den<br />

zuständigen deutschen Ermittlungsrichter aus Zeitgründen (noch) nicht möglich ist.<br />

Letztere ist allerdings nachzuholen und die Schweiz anschließend im Rahmen eines<br />

weiteren Ersuchens um Vollstreckung der erwirkten Beschlagnahmeanordnung zu bitten.<br />

595 Vgl. auch Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />

2011, § 59 IRG Rn. 31 ff.<br />

174


Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />

Zusammenfassung<br />

Im Bereich der (international) organisierten Vermögensabschöpfung erweisen sich grenzüberschreitende<br />

Finanzermittlungen und Vermögensabschöpfung als besonders bedeutungsvoll.<br />

In diesem Zusammenhang sind die Rahmenbeschlüsse „Sicherstellung“, „Einziehung Gegenseitigkeit“<br />

und „Informationsaustausch“, deren Regelungsgehalt jeweils in innerdeutsches<br />

Recht implementiert worden ist, von besonderem Gewicht.<br />

Der polizeiliche Informationsaustausch in der Diktion des Rahmenbeschlusses „Informationsaustausch“<br />

orientiert sich an einen Diskriminierungsverbot dergestalt, dass ausländische<br />

Ersuchen nicht anders als inländische Ersuchen zu behandeln sind, allerdings unter<br />

der Voraussetzung, dass die betreffende Information vorhanden ist oder verfügbar wäre;<br />

im Übrigen ist die Verwendung der übermittelten Information in einem justiziellen Verfahren<br />

davon abhängig, dass der übermittelnde Staat dem zustimmt.<br />

Die Rahmenbeschlüsse „Sicherstellung“ und „Einziehung Gegenseitigkeit“ beinhalten als<br />

wichtigstes Element die so genannte „Listendeliktslösung“: Beim Vorliegen eines solchen<br />

Listendelikts entfällt die Prüfung der „Beiderseitigkeit der Strafbarkeit“. Hiervon unberührt<br />

bleibt aber die Notwendigkeit, die Beiderseitigkeit des Verfalls etc. festzustellen.<br />

Abgesehen von den Bestimmungen der §§ 66 ff. IRG können somit international sowohl<br />

dingliche Arreste als auch erstinstanzliche Entscheidungen über Verfall von Wertersatz in<br />

das Legalvermögen des jeweils Betroffenen vollzogen werden.<br />

Das Rückgewinnungshilfeverfahren in der Diktion der §§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b<br />

Abs.1, 2 und 5, 111c, 111d, 111g, 111h, 111i StPO bereitet international erhebliche<br />

Schwierigkeiten.<br />

175


Fragen zum Verständnis<br />

Fragen zum Verständnis<br />

Die folgenden Fragen dienen zur Wiederholung und Vertiefung des Gelernten. Nehmen Sie sich zur<br />

Beantwortung dieser Fragen genügend Zeit.<br />

TEIL I<br />

1a<br />

1b<br />

1c<br />

1d<br />

Erläutern Sie bitte die inhaltliche Verknüpfung der §§ 73 ff, 74 ff. StGB und der §§ 111b<br />

ff. StPO anhand der insoweit zentralen Begrifflichkeiten.<br />

Legen Sie die Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB dar.<br />

Grenzen Sie bitte im Rahmen dieser Prüfung „Unmittelbarkeit“ und „Bruttoprinzip“ voneinander<br />

ab und schildern Sie mehrere Deliktsfelder, in denen die Unterscheidung<br />

Relevanz entfaltet.<br />

An welche Voraussetzungen knüpft der BGH die Inanspruchnahme mehrerer Täter etc.<br />

als „Gesamtschuldner“?<br />

176


Fragen zum Verständnis<br />

1e Skizzieren Sie bitte die für den Drittempfängerverfall nach § 73 Abs. 3 StGB bedeutsamen<br />

Fallgruppen.<br />

1f<br />

1g<br />

2a<br />

2b<br />

Welche Prüfungsreihenfolge ist innerhalb des § 73c StGB zu beachten und schildern Sie<br />

in Grundzügen die einzelnen Alternativen.<br />

Bitte erläutern Sie die Aussage: „Im Kern ist § 73d StGB beweisrechtlicher Natur“.<br />

Erklären Sie die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten zwischen Verfall und Einziehung.<br />

Wem gegenüber kann was eingezogen werden?<br />

177


Fragen zum Verständnis<br />

3a Skizzieren Sie den Grundgedanken, der dem objektiven Verfahren nach § 76a StGB<br />

zugrunde liegt.<br />

3b<br />

3c<br />

4a<br />

4b<br />

In welchen Fällen kommt die Einziehung trotz Verjährung der Tat infrage?<br />

Warum steht im Rahmen des objektiven Verfahrens das schuldlose Handeln des<br />

Täters einem tatsächlichen Verfolgungshindernis gleich?<br />

Welche drei Instrumente zur Vermögensabschöpfung stehen im Ordnungswidrigkeitenrecht<br />

zur Verfügung und welche Ziele verfolgen sie?<br />

Können Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB und nach §§ 30, 130 OWiG nebeneinander<br />

verhängt werden?<br />

178


Fragen zum Verständnis<br />

TEIL II<br />

1a<br />

1b<br />

2a<br />

2b<br />

Erläutern Sie bitte die Gesetzessystematik der §§ 111b ff. StPO.<br />

Welchen verfassungsrechtlichen Vorgaben unterliegt der einstweilige Rechtschutz nach<br />

§§ 111b ff. StPO?<br />

Beschreiben Sie die Voraussetzungen von Beschlagnahmeanordnung und dinglichem<br />

Arrest.<br />

In welchen in § 111b Abs. 3 StPO skizzierten Fällen ist die erneute Vorlage an das beschlussfassende<br />

Gericht veranlasst?<br />

179


2c<br />

2d<br />

3a<br />

3b<br />

Fragen zum Verständnis<br />

Was sind die Rechtsfolgen von Beschlagnahme nach § 111c StPO und Arrestvollzug<br />

nach § 111d Abs. 2 StPO und welche Unterschiede bestehen diesbezüglich?<br />

Was ist zu beachten, wenn ein bereits bestehender dinglicher Arrest im Arrestbetrag<br />

erhöht werden soll?<br />

Kann bei der Inanspruchnahme mehrerer Täter als „Gesamtschuldner“ im Wege vorläufiger<br />

Sicherungsmaßnahmen bei jedem der volle Arrestbetrag gesichert werden oder<br />

sind etwaige Einschränkungen ggf. welcher Art geboten?<br />

Welche Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen, wenn Sicherungsmaßnahmen gem. §§<br />

111b ff. StPO ausgebracht werden?<br />

180


Fragen zum Verständnis<br />

TEIL<br />

III<br />

1a<br />

1b<br />

1c<br />

2a<br />

Beschreiben Sie die Zielsetzung, die der Gesetzgeber mit § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB verfolgt.<br />

Erläutern und untermauern Sie die folgende Aussage: „§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB verhält<br />

sich streng zivilakzessorisch!“<br />

Wann ist der Dienstherr bei Bestechungsdelikten Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1<br />

Satz 2 StGB?<br />

Versuchen Sie die einzelnen verfahrensrechtlichen Schritte bei der Rückgewinnungshilfe<br />

abstrakt zu beschreiben.<br />

181


Fragen zum Verständnis<br />

2b Wann sind Rückgewinnungshilfemaßnahmen verfahrensrechtlich nicht veranlasst?<br />

2c<br />

3a<br />

3b<br />

Wie sollte die (Verletzten-)Benachrichtigung nach § 111e Abs. 3 und 4 StPO aufgebaut<br />

sein und welche Möglichkeiten der Benachrichtigung gibt es?<br />

Beschreiben Sie den Prüfungsumfang im Rahmen des Zulassungsverfahrens nach §§<br />

111g, 111h StPO.<br />

Benennen Sie die zentralen Rechtsfolgen der erfolgreichen Zulassung zur Zwangsvollstreckung<br />

nach §§ 111g, 111h StPO.<br />

182


Fragen zum Verständnis<br />

4a Was sind die Hauptkritikpunkte an der Bestimmung des § 111i StPO?<br />

4b<br />

4c<br />

4d<br />

Schildern Sie – in Phasen – den Ablauf bis zum eigentlichen Auffangrechtserwerb.<br />

Ordnen Sie die Norm des § 111i StPO dogmatisch ein.<br />

Versuchen Sie, die Entscheidungen des Gerichts nach § 111i Abs. 2 und 3 StPO zu tenorieren<br />

bzw. entsprechende Anträge zu formulieren.<br />

183


Fragen zum Verständnis<br />

4e Warum sind nach der Verlängerung des Sicherungstitels weitere Sicherungsmaßnahmen<br />

nur noch bis zur Rechtskraft des Urteils zulässig, selbst wenn etwa der Arrest noch nicht<br />

erschöpfend vollzogen werden konnte?<br />

4f<br />

4g<br />

4h<br />

Wie kann im Rahmen des Verfahrens nach § 111i StPO weiter vorgegangen werden,<br />

wenn zuvor das Gericht (Teil-)Einstellungen nach § 154 Abs. 2 StPO vorgenommen hat?<br />

Was bedeutet „Verfügung des Verletzten“ im Sinne des § 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 und<br />

Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StPO?<br />

Kann der Teil des nach § 111i Abs. 2 StPO festgestellten Anspruchs, der über den Verwertungserlös<br />

noch keine Befriedigung erfahren hat, nach Beendigung des Verfahrens<br />

weiter vollstreckt werden?<br />

184


Fragen zum Verständnis<br />

TEIL<br />

IV<br />

1a Benennen und erläutern Sie diejenigen insolvenzrechtlichen Bestimmungen, anhand<br />

deren zunächst die Insolvenzfestigkeit staatlicher Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b<br />

ff. StPO zu messen sind.<br />

1b<br />

1c<br />

1d<br />

Haben Beschlagnahme im Sinne des § 111c StPO und Arrestvollzug nach § 111d StPO –<br />

ihre Insolvenzfestigkeit i.e.S. unterstellt – darüber hinaus gleichermaßen im Insolvenzverfahren<br />

Bestand und welche Schlussfolgerungen ergeben sich hieraus?<br />

Schildern Sie bitte die besonderen Probleme des Spannungsverhältnisses zwischen im<br />

Wege der Rückgewinnungshilfe ausgebrachten vorläufigen Sicherungsmaßnahmen nach<br />

§§ 111b ff. StPO und dem eröffneten Insolvenzverfahren.<br />

In welcher Phase des Insolvenzverfahrens ist über die etwaige Freigabe bereits sichergestellter<br />

Vermögenswerte zu entscheiden und warum?<br />

185


Fragen zum Verständnis<br />

TEIL V<br />

1a<br />

1b<br />

1c<br />

1d<br />

Nennen Sie bitte die wichtigsten Rahmenbeschlüsse des Europäischen Rats im Bereich<br />

der internationalen Finanzermittlungen und Vermögensabschöpfung und legen Sie deren<br />

zentrale Strukturprinzipien dar.<br />

Können im internationalen Rechtshilfeverkehr auch (Sicherungs-)Titel in das Legalvermögen<br />

des Betroffenen vollzogen werden?<br />

Welche (Kontakt-)Behörden und Organisationen kennen Sie, die im erörterten Kontext<br />

unterstützen können?<br />

Können die Erkenntnisse, die im Rahmen des internationalen polizeilichen Informationsaustausches<br />

gewonnen werden, auch im Strafverfahren verwendet werden oder ist dies<br />

an weitere Voraussetzungen gebunden?<br />

186


Fragen zum Verständnis<br />

1e Ist es möglich, im Rahmen der Rückgewinnungshilfe getroffene Sicherungsmaßnahmen<br />

auch im Ausland zu vollstrecken?<br />

187


Vermögensabschöpfung Literatur und Links<br />

Literatur & Links<br />

AbschöpferArchiv, Gemeinsame Redaktion von LKA BW, BLKA München und LKA NRW, Computerprogramm<br />

unter lfd. Fortschreibung<br />

Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/Kirsch/Rosenthal, Internationales Strafrecht in der Praxis, 2008<br />

Barreto da Rosa, Gesamtschuldnerische Haftung bei der Vermögensabschöpfung, NJW 2009, 1702 ff.<br />

Barreto da Rosa, Zum Verfall von Bestechungsgeld und Tatlohn, wistra 2012, 334 ff.<br />

Barreto das Rosa, Gnadenstoß für einen Totengräber – ein Plädoyer für die Abschaffung von § 73 I 2<br />

StGB, ZRP 2012, 39 ff.<br />

Bittmann/Kühn, Der Arrestgrund beim strafprozessualen dinglichen Arrest, wistra 2002, 248 ff.<br />

Bohne/Boxleitner, Eins vor und zwei zurück – Wie das deutsche Recht Straftätern weiterhin die Tatbeute<br />

belässt – Anmerkung zum Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und Vermögensabschöpfung<br />

bei Straftaten, NStZ 2007, 552 ff.<br />

Brenner, Das Bruttoprinzip gilt für den Einzeltäter und für Unternehmen, nicht nur für den unschuldigen<br />

Täter oder Dritten, NStZ 2004, 256 ff.<br />

Burghart, Das erlangte „Etwas“ (§ 73 I S. 1 StGB) nach strafbarer Vertragsanbahnung, wistra 2011,<br />

241 ff.<br />

Eschelbach, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 111i StPO, 2011<br />

Fischer, StGB, 60. Auflage 2013<br />

Gleichenstein, Die Rückgewinnungshilfe gem. §§ 111b ff. StPO in der Insolvenz des Täters, ZIP 2008,<br />

1151 ff.<br />

Greeve, Verstärkte Rückgewinnungshilfe und Vermögensabschöpfung seit dem 1.1.2007, NJW 2007,<br />

14 ff.<br />

Greier, Zum Spannungsverhältnis zwischen Insolvenzrecht und strafprozessualer Vermögensabschöpfung,<br />

ZInsO 2007, 953 ff.<br />

Hecker, Europäisches Strafrecht, 3. Auflage 2010<br />

Hees, Beschlagnahme und arretierte Vermögenswerte in der Insolvenz des Straftäters, ZIP 204, 298<br />

ff.<br />

Hellerbrand, Der dingliche Arrest zur Sicherung des Verfalls von Wertersatz im Ermittlungsverfahren,<br />

wistra 203, 201 ff.<br />

Hofmann, Verfallsanordnung gegen tatunbeteiligte Unternehmen, wistra 2008, 401 ff.<br />

Hofmann/Riedel, Verteidungsmöglichkeiten gegen den im Ermittlungsverfahren angeordneten dinglichen<br />

Arrest, wistra 2005, 405 ff.<br />

Hohn, Die Bestimmung des erlangten Etwas i.S.d. § 73 StGB durch den BGH, wistra 2003, 321 ff.<br />

Hohn, Abschöpfung der Steigerung des Firmenwerts als Bruttowertersatzverfall?, wistra 2006, 321 ff.<br />

Janssen, Gewinnabschöpfung im Strafverfahren, 2007<br />

Joecks, Münchener Kommentar StGB, Band 2/1 §§ 52 – 79b, dort §§ 73 ff., 2005<br />

Kempf/Schilling, Vermögensabschöpfung – Strategien bei (drohendem) Verfall von Grundrechten,<br />

2007<br />

Kraul, Strafprozessualer Arrest (§ 111d StPO) und dinglicher Arrest (§ 324 AO), ZFN 2007, 217 ff.<br />

Land Niedersachsen, Vermögensabschöpfung - Leitfaden zur Rückgewinnungshilfe, 2010<br />

Leipold, Der dingliche Arrest im Strafverfahren, NJW-Spezial 2006, 39 ff.<br />

Lieckfeldt, Die Verfallsanordnung gegen den Drittbegünstigten, 2008<br />

Lohse, AnwaltKommentar StPO, §§ 111b ff., 2. Auflage 2010<br />

Lohse, Verfall (von Wertersatz) bei Vertragsschluss aufgrund Korruption, JR 2009, 188 ff.<br />

Malitz, Die Berücksichtigung privater Interessen bei vorläufigen strafprozessualen Maßnahmen gem.<br />

§§ 111b ff. StPO, NStZ 2002, 337 ff.<br />

Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage 2012<br />

Mosbacher, Auffangrechtserwerb in Altfällen, wistra 2008, 1 ff.<br />

Nack, Karlsruher Kommentar StPO, §§ 111b ff., 6. Auflage 2008<br />

188


Vermögensabschöpfung Literatur und Links<br />

Niesler, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, OWiG 30, 2011<br />

OFD Münster, Praxishandbuch zur Vermögensabschöpfung, 2008<br />

Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage<br />

2010<br />

Rhode, Der Verfall nach § 73 Abs. 3 StGB, wistra 2012, 85 ff.<br />

Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003<br />

Rönnau, Münchener Anwaltshandbuch Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, Teil B § 12<br />

Vermögensabschöpfung und Zurückgewinnungshilfe, 2006<br />

Rönnau, Zum Konkurrenzverhältnis von strafprozessualer Vermögens- und insolvenzrechtlicher Massesicherung,<br />

Festschrift für Hans Achenbach, 2011<br />

Roth, Der StPO-Arrest im Steuerstrafverfahren – Ausschluss des Steuerfiskus von der Rückgewinnhilfe<br />

nach § 111b Abs. 2 und 5 StPO?, wistra 2010, 335 ff.<br />

Rübenstahl, AnwaltKommentar StGB, §§ 73 ff. StGB, 2010<br />

Rübenstahl, Die Verschärfung der Rechtsprechung zum Verfall am Beispiel der Vermögensabschöpfung<br />

bei unvollendeten Vermögensdelikten, HRRS 2010, 505 ff.<br />

Saliger, Kick-Back – Verfall – Korruptionsbekämpfung im „Kölner Müllfall“, NJW 2006, 3377 ff.<br />

Satzger, Die Berücksichtigung von Opferinteressen bei der Verfallsanordnung aus materiellrechtlicher<br />

wie prozessualer Sicht, wistra 2003, 401 ff.<br />

Savini, Handbuch zur Vermögensabschöpfung in Ermittlungsverfahren und Verfall und Einziehung, 2.<br />

Auflage 2010<br />

Schilling, Aktuelles zur Vermögensabschöpfung oder: Der Verfall hat die Wirklichkeit des Strafverfahrens<br />

erreicht, StraFo 2011, 128<br />

Schlachetzki, Das Ermessen bei der Zurückgewinnhilfe, wistra 2011, 41 ff.<br />

Schlösser, Die Bestimmung des erlangten Etwas i.S.d. § 73 I 1 StGB bei in Folge von Straftaten abgeschlossenen<br />

gegenseitigen Verträgen, NStZ 2011, 121 ff.<br />

W. Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006<br />

W. Schmidt, Leipziger Kommentar StGB, Band 3 §§ 56 -79b, dort §§ 73 ff. StGB, 12. Auflage 2008<br />

W. Schmidt, Leipziger Kommentar StGB, Band 8 §§ 242 - 262, dort §§ 261 StGB, 12. Auflage 2008<br />

C. Schmidt, Möglichkeiten und Grenzen der Vermögensabschöpfung bei Bestechlichkeit im geschäftlichen<br />

Verkehr (§ 299 Abs. 1 StGB), wistra 2011, 321 ff.<br />

Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2012<br />

Spillecke mit Anm. zu BGH, Beschluss vom 27.04.2010, 3 StR 112/10, NStZ 2010, 568 ff.<br />

Webel, Rückgewinnungshilfe im Steuerstrafverfahren – unzulässig oder unverzichtbar und zwingend?,<br />

wistra 2004, 249 ff.<br />

Wehnert/Mosiek, Untiefen der Vermögensabschöpfung in Wirtschaftsstrafsachen aus Sicht des Strafverteidigers,<br />

StV 2005, 568 ff.<br />

Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, §§ 73 ff. StGB, 2011<br />

189

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