Arbeitshilfe - Justizakademie Nordrhein-Westfalen
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<strong>Arbeitshilfe</strong><br />
(Internationale) Vermögensabschöpfung<br />
in der staatsanwaltschaftlichen<br />
und gerichtlichen<br />
Praxis<br />
Materielles Recht der Vermögensab-<br />
schöpfung<br />
Verfahrensrecht<br />
Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von<br />
Verletzten aus Straftaten<br />
Internationale Vermögensabschöpfung<br />
1
IMPRESSUM<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Justizakademie</strong> NRW<br />
Autor:<br />
Matthias Rhode<br />
Didaktisierung:<br />
Transfer GmbH<br />
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung<br />
und Verbreitung, vorbehalten. Die<br />
Schrift darf in keiner Form – auch nicht auszugsweise<br />
– ohne schriftliche Genehmigung<br />
der JAK reproduziert oder unter Verwendung<br />
elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt<br />
oder verbreitet werden.<br />
2. Auflage März 2013<br />
A r b e i t s h i l f e<br />
(Internationale) Vermögensabschöpfung<br />
in der<br />
staatsanwaltschaftlichen<br />
und gerichtlichen Praxis<br />
2
Inhalt<br />
Inhalt<br />
Ein Wort zu Beginn 6<br />
Einleitung 8<br />
Teil I: Materielles Recht der Vermögensabschöpfung 9<br />
1. Verfallsvorschriften nach dem Strafgesetzbuch 13<br />
1.1 Rechtsnatur und Zweck 13<br />
1.2 Der Verfall nach § 73 StGB 15<br />
1.2.1 Übersicht und Einleitung 15<br />
1.2.2 Der Verfall nach § 73 Abs. 1 StGB 16<br />
1.2.3 Dem (Original-)Verfall unterliegende mittelbare Tatvorteile nach § 73 Abs. 2<br />
StGB 30<br />
1.2.4 Der dritteigentümerbezogene Verfall gem. § 73 Abs. 4 StGB 31<br />
1.2.5 Der Verfall nach § 73 Abs. 3 StGB 32<br />
1.2.6 Erlangen Mehrerer 44<br />
1.3 Der Verfall von Wertersatz gemäß § 73a StGB 49<br />
1.3.1 Übersicht 49<br />
1.3.2 Fallgruppen 50<br />
1.4 Der erweiterte Verfall nach § 73d StGB 52<br />
1.4.1 Der erweiterte (Original-)Verfall nach § 73d Abs. 1 StGB 53<br />
1.4.2 Der erweiterte Verfall von Wertersatz nach § 73d Abs. 2 StGB 55<br />
1.4.3 § 73d Abs. 3 StGB 56<br />
1.5 Die Schätzung nach § 73b StGB 57<br />
1.5.1 Übersicht 57<br />
1.5.2 Verfahrensrecht 58<br />
1.5.3 Anwendungsvoraussetzungen 58<br />
1.5.4 Vornahme der Schätzung 58<br />
1.6 Die Härtefallregelung des § 73c StGB 59<br />
1.6.1 Übersicht 59<br />
1.6.2 Voraussetzungen 61<br />
1.7 Rechtsfolgen der Anordnung des (erweiterten) Verfalls (von Wertersatz) 63<br />
2. Einziehungsvorschriften nach dem Strafgesetzbuch 66<br />
2.1 Rechtsnatur und Zweck 66<br />
2.2 Anwendungsvoraussetzungen 68<br />
2.2.1 (Original-)Einziehung nach §§ 74, 74a StGB 68<br />
2.2.2 Wertersatzeinziehung nach § 74c StGB 69<br />
2.3 Wirkung der Einziehung und Entschädigungsverfahren (§§ 74e und 74f StGB) 70<br />
3. Verfahrensarten – Objektives und Subjektives Verfahren (§ 76a StGB) /<br />
Nachträgliche Anordnung nach § 76 StGB 71<br />
3.1 Objektives Verfahren nach § 76a StGB 71<br />
3.1.1 Tatbestände 71<br />
3.1.2 Staatlicher Auffangrechtserwerb zu Gunsten des Staates nach § 111i StPO im<br />
Rahmen des objektiven Verfahren (§ 111i Abs. 8 StPO) 72<br />
3.2 Nachträgliche Anordnung nach § 76 StGB 73<br />
4. Vermögensabschöpfung im Ordnungswidrigkeitenrecht 74<br />
4.1 Systematik der Bestimmungen 75<br />
4.2 (Rechts-)Folgen 76<br />
4.2.1 Verhängung einer Geldbuße 76<br />
4.2.2 Verfall nach § 29a OWiG 78<br />
Teil II Verfahrensrecht 80<br />
5. Einführung in die Gesetzessystematik 80<br />
5.1 Systematik der einschlägigen Verfahrensvorschriften 80<br />
5.2 Systematik der §§ 111b – 111n StPO 81<br />
6. Vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO 82<br />
6.1 Gemeinsame Voraussetzungen 82<br />
6.1.1 Verfassungsrechtliche Vorgaben 82<br />
3
Inhalt<br />
6.1.2 Anordnungsvoraussetzungen 83<br />
6.1.3 Darlegungserfordernisse 86<br />
6.1.4 Anordnungs- und Vollstreckungskompetenzen 87<br />
6.1.5 § 111b Abs. 4 StPO 87<br />
6.1.6 Rechtliches Gehör 87<br />
6.2 Die Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 2, 111c StPO 88<br />
6.2.1 Durchführung 88<br />
6.2.2 Rechtsfolgen 88<br />
6.2.3 Rückgabe und Überlassung 88<br />
6.2.4 Beendigung der Beschlagnahme 89<br />
6.3 Der dingliche Arrest nach §§ 111b Abs. 2, 111d StPO 90<br />
6.3.1 Arrestforderungen 90<br />
6.3.2 Durchführung und Verfahren bei Aufhebung des dinglichen Arrestes 90<br />
6.3.3 Rechtsfolgen 90<br />
6.3.4 Besonderheiten 91<br />
6.4 (Versehentlich) unterbliebene Verfallsanordnung 94<br />
7. Sonstiges Verfahrensrecht 95<br />
7.1 Rechtsschutz 95<br />
7.2 Notveräußerung (§ 111l StPO) 96<br />
7.2.1 Anwendungsbereich 96<br />
7.2.2 Notveräußerungsgründe 96<br />
7.2.3 Verfahren 96<br />
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten 97<br />
8. Einleitung 97<br />
9. Materielles Recht 99<br />
9.1 Grundlagen 99<br />
9.2 Anspruch des Verletzten aus der Tat 100<br />
10. Verfahrensrecht 105<br />
10.1 Voraussetzungen der Rückgewinnungshilfe 106<br />
10.2 Verfahren nach ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen 109<br />
10.2.1 „Kleine“ Rückgewinnungshilfe nach § 111k StPO 109<br />
10.2.2 Zwangsvollstreckung durch Verletzten und Zulassungsverfahren nach §§<br />
111g, 111h StPO 110<br />
10.3 § 111i StPO 120<br />
10.3.1 Anwendungsbereich 120<br />
10.3.2 Verlängerung der Sicherungstitel nach § 111i Abs. 1 StPO 121<br />
10.3.3 „Opferanspruchsbescheidung“ nach § 111i Abs. 2 – 8 StPO 122<br />
10.4 Weitere Lösungsansätze außerhalb des Anwendungsbereichs des § 111i Abs. 2 –<br />
8 StPO 133<br />
10.4.1 Einführung 133<br />
10.4.2 Fundversteigerung und Maßnahmen nach Polizeirecht 133<br />
10.4.3 Verzicht durch Beschuldigten 133<br />
10.5 Schlussübersicht zu Anwendungsmöglichkeiten bei § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB 135<br />
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO und<br />
eröffnetem Insolvenzverfahren 137<br />
11. Kurze Einführung in das Insolvenzrecht 138<br />
12. Kollisionsfälle 140<br />
12.1 Absicherung originär staatlicher Ansprüche auf Verfall (von Wertersatz) etc. 141<br />
12.2 Sicherungsmaßnahmen im Wege der Rückgewinnungshilfe 143<br />
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung 152<br />
13. Rechtshilfe in Strafsachen 154<br />
14. Institutionelle Unterstützung 155<br />
15. Wichtige internationale Gesetzesquellen 156<br />
15.1 Bi- und multilaterale Übereinkommen im Sinne des § 1 Abs. 3 IRG 156<br />
15.2 Wichtige (Rahmen-)Beschlüsse des Europäischen Rates 158<br />
4
Inhalt<br />
16. Für die internationale Vermögensabschöpfung bedeutsame (Rahmen-)<br />
Beschlüsse 159<br />
17. Internationale Vermögensabschöpfung nach dem IRG bzw. bi- und<br />
multilateralen Übereinkommen i.S.d. § 1 Abs. 3 IRG 162<br />
17.1 (Verdeckte) Finanzermittlungen im Rahmen der Sonstigen Rechtshilfe 162<br />
17.2 Vermögensabschöpfung i.e.S. 163<br />
17.2.1 Herausgabe von Gegenständen und vorläufige Sicherungsmaßnahmen i.S.d.<br />
§§ 111b ff. StPO im Rahmen der Sonstigen Rechtshilfe bei eingehenden<br />
Ersuchen 163<br />
17.2.2 Vermögensabschöpfung im Rahmen der (vertraglosen) Vollstreckungshilfe<br />
bei eingehenden Ersuchen 168<br />
17.2.3 Ausgehende Ersuchen 171<br />
17.2.4 Offene Probleme 172<br />
18. Internationale Rückgewinnungshilfe in der Diktion der §§ 73 Abs. 1 Satz<br />
2 StGB; 111b Abs. 5 StPO 173<br />
Fragen zum Verständnis 176<br />
Literatur & Links 188<br />
5
Ein Wort zu Beginn<br />
Ein Wort zu Beginn<br />
Das vorliegende Skript ist inhaltlich eng mit dem justiziellen und polizeilichen Fortbildungsangebot in<br />
NRW im Rahmen der zur (internationalen) Vermögensabschöpfung durchgeführten Seminare für Richter,<br />
Staatsanwälte, Rechtspfleger und polizeiliche Finanzermittler verknüpft. So richtet sich auch die<br />
zweite, in wesentlichen Bereichen überarbeitete Auflage, sowohl an den „Anfänger“ als auch an denjenigen,<br />
der an einer Vertiefung seiner Kenntnisse und praktischen Erfahrungen interessiert ist.<br />
Das Skript kann den Besuch eines Seminars nicht ersetzen und erfordert insbesondere in den Teilen<br />
zur internationalen Vermögensabschöpfung und zu insolvenzrechtlichen Fragestellungen vertieftes<br />
Wissen. Anhand zahlreicher Fallbeispiele soll zunächst ein erster Einblick sowohl in das materielle<br />
Recht als auch in das Verfahrensrecht gegeben werden. Dabei werden die gängigen Themen und<br />
Problemstellungen angesprochen und bei Bedarf auch vertieft. Die Inhalte orientieren sich überwiegend<br />
an der – nach juris zitierten – ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung, die bis Januar 2012<br />
Berücksichtigung gefunden hat.<br />
Neu aufgenommen wurden die in der Praxis bedeutsamen Themenbereiche „Spannungsverhältnis<br />
zwischen vorläufigen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO und (eröffnetem) Insolvenzverfahren“,<br />
„Einziehung“, „Vermögensabschöpfung im Ordnungswidrigkeitenrecht“ und „Internationale Vermögensabschöpfung“.<br />
Schließlich finden sich auch Antrags- und Tenorierungsbeispiele sowohl die staatsanwaltschaftliche<br />
Sitzungsvertretung als auch die Urteilstechnik betreffend. Verwandte Fälle und Übersichten sind teilweise<br />
den diesbezüglichen Darstellungen im Lehrbuch von Podolsky/Brenner 1 angelehnt, deren Verfassern<br />
mein besonderer Dank gilt.<br />
Ganz herzlich bedanken möchte ich mich zudem bei Herrn EKHK Christian Veith vom LKA NRW, der<br />
das gesamte Skript nicht nur Korrektur gelesen und wertvolle Änderungshinweise gegeben hat, sondern<br />
überdies auch maßgeblich die polizeiliche, in Teilbereichen aber auch die justizielle Fortbildung<br />
mit geprägt, begleitet und gefördert hat, bei Herrn OStA Wehrland, der mit der ihm eigenen Sorgfalt<br />
den 5. Teil „Internationale Vermögensabschöpfung“ redigiert hat und schließlich bei den Mitarbeitern<br />
der Transfer GmbH, die für die Formatierung und Didaktisierung der <strong>Arbeitshilfe</strong> verantwortlich gezeichnet<br />
haben.<br />
Die folgenden Piktogramme sollen Ihnen die Orientierung erleichtern:<br />
besonders wichtig Beispiel<br />
Aufgabe<br />
Kaffeepause<br />
Dieses Symbol kennzeichnet<br />
mögliche Diskussionen, die sich<br />
ergeben oder in Zukunft relevant<br />
werden z.B. durch gesetzliche<br />
Neuregelungen.<br />
Zusammenfassung<br />
Praxistipp<br />
Falls Sie sich noch intensiver<br />
mit dem Thema auseinander<br />
setzen wollen: Hinter diesem<br />
Symbol finden Sie nützliche<br />
Zusatzinformationen.<br />
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und viele Erfolge bei der Anwendung<br />
in der Praxis.<br />
Matthias Rhode, März 2013<br />
1 Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010.<br />
6
Ein Wort zu Beginn<br />
Zum Verfasser:<br />
Der Verfasser ist Staatsanwalt in Bochum und Dezernent in der Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität<br />
und Korruption.<br />
Seine Aufgabenfelder liegen in der Bearbeitung von Verfahren aus dem Bereich der (international) organisierten<br />
Wirtschafts- und Steuerkriminalität, in der Vermögensabschöpfung und in der Rechtshilfe.<br />
7
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Einleitung<br />
Die Vermögensabschöpfung ist aktueller denn je. Dies zeigt sich nicht nur an der Vielzahl diesbezüglicher<br />
gerichtlicher Entscheidungen, sondern auch an diversen (anwaltlichen) Publikationen. Nachdem<br />
die Materie nach längerem „Dornröschenschlaf“ zunächst durch polizeiliche Anstrengungen und später<br />
auch durch ein „Aufrüsten“ der Justiz, etwa im Rahmen der Ausbildung von polizeilichen Finanzermittlern<br />
und Staatsanwälten, die teilweise auch als Sonderdezernenten Einsatz gefunden haben, wiederbelebt<br />
wurde, hat zunehmend auch die Anwaltschaft die besondere Bedeutung der Thematik erfasst,<br />
sei es im Rahmen der<br />
Strafverteidigung<br />
anwaltlichen Vertretung von Drittbetroffenen (i.S.d. § 73 Abs. 3 StGB)<br />
allgemeinen strafrechtlichen Präventivberatung als Teil des Risikomanagements zur Vermeidung<br />
entsprechender Sanktionen nach StGB oder aber nach §§ 30, 130 OWiG<br />
und schließlich auch bei der Begleitung von privaten und juristischen Personen als Verletzte aus<br />
Straftaten anlässlich der Rückgewinnungshilfe (§§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b Abs. 5 StPO).<br />
Anders ausgedrückt:<br />
„Der Verfall hat die Wirklichkeit des Strafverfahrens erreicht“ 2 .<br />
Diese Aussage ist zugleich Hypothese als auch Anspruch, was zudem gesetzgeberisch auf nationaler<br />
und internationaler Ebene Ausdruck gefunden hat.<br />
Zu nennen sind nicht nur das RückgVermabschStG (BGBl. I 2006, 2350), sondern auch eine Vielzahl<br />
von Rahmenbeschlüssen des Rats der Europäischen Kommission und zuletzt der Vorschlag der Europäischen<br />
Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sicherstellung<br />
und Einziehung von Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union 3 , die dieser Materie<br />
inhaltlich zuzuordnen sind 4 .<br />
Dieser Befund spiegelt sich naturgemäß ebenso in den Ermittlungs- und Strafverfahren wieder. Dies<br />
gilt natürlich besonders für die Abteilungen bzw. Spruchkörper, die sich mit organisierter (Wirtschafts-<br />
)Kriminalität und dementsprechend mit daraus resultierenden inkriminierten Erlösen zu befassen haben.<br />
Aber auch bei allgemeinen Eigentums- oder Vermögensdelikten sieht sich der Bearbeiter mit der<br />
Thematik konfrontiert.<br />
Die sachgerechte Behandlung der insoweit relevanten Fragestellungen erfordert allerdings neben<br />
Grundkenntnissen des einschlägigen materiellen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts sowie des<br />
Verfahrensrechts auch den Blick in entlegenere Rechtsgebiete.<br />
These:<br />
Eine wirksame Strafverfolgung erfordert nicht nur die Bestrafung i.e.S., sondern auch<br />
die Abschöpfung des illegitim Erlangten,<br />
zur Korrektur der dadurch illegitimen Vermögenssituation<br />
zur Gefahrenabwehr, um „Re-Investitionen“ des Taterlangten in kriminelle Strukturen<br />
zu verhindern 5 .<br />
Daher ist es wünschenswert, dass das gesamte Instrumentarium der Vermögensabschöpfung mit der<br />
gleichen Selbstverständlichkeit, wie es bei sonstigen prozessualen Maßnahmen üblich ist (z.B. bei Untersuchungshaft<br />
oder Telefonüberwachung), beherrscht und betrieben wird 6 .<br />
2<br />
Schilling, Aktuelles zur Vermögensabschöpfung oder: Der Verfall hat die Wirklichkeit des Strafverfahrens erreicht,<br />
StraFo 2011, 128.<br />
3<br />
Vgl. BR-Drucks. 135/12 vom 12. März 2012.<br />
4<br />
Vgl. hierzu Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vorbemerkung zu §§ 111b – 111p Rn. 12.<br />
5<br />
Vgl. insoweit auch BT-Drucks. 13/9742, S. 16.<br />
6<br />
Vgl. hierzu Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vorbemerkung zu §§ 111b – 111p Rn. 2, der die<br />
These vertritt, die Vorschriften zur Vermögensabschöpfung würden mittlerweile zum Standardprogramm in<br />
Ermittlungsverfahren zählen, was m.E. in dieser Form (noch) nicht zutrifft.<br />
8
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Teil I: Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Das materielle Recht der Vermögensabschöpfung (§§ 73 ff. und 74 ff. StGB; §§ 17 Abs. 4, 22 ff., 29a<br />
ff. und 130 OWiG) und die insoweit zugrundeliegenden Begrifflichkeiten sind auf engste verknüpft mit<br />
den §§ 111b ff. und 430 ff. StPO, die über § 46 Abs. 1 OWiG auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren<br />
Anwendung finden können.<br />
Anhand der nachfolgenden Übersichten soll hier ein erster Überblick gegeben werden:<br />
9
Abs. 1<br />
Bewegliche Sachen<br />
StA od. Ermittlungspersonen<br />
Abs. 1<br />
Bewegliche Sachen<br />
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Beschlagnahme:<br />
werden in Gewahrsam genommen,<br />
versiegelt oder in anderer Weise<br />
kenntlich gemacht durch StA oder<br />
Ermittlungspersonen<br />
§§ 73, 73d Abs.1, 74, 74a, 75 StGB<br />
Beschlagnahme<br />
§ 111b Abs. 1 StPO<br />
Beschlagnahme<br />
§ 111e Abs. 1 StPO<br />
Gericht<br />
StA: bei Gefahr im Verzug<br />
Ermittlungsperson: bei beweglichen Sachen<br />
und Gefahr im Verzug<br />
Abs. 2<br />
Grundstücke und grundstücksgleiche<br />
Rechte<br />
StA od. Gericht<br />
Abs. 2<br />
Grundstücke und grundstücksgleiche<br />
Rechte<br />
Eintragung eines Beschlagnahmevermerks<br />
in<br />
Abteilung II –<br />
Eintragungsersuchen stellt Gericht<br />
oder StA<br />
§ 111f StPO<br />
§ 111c StPO<br />
Abs. 1<br />
Forderungen und andere Vermögensrechte<br />
StA<br />
Abs. 3<br />
Forderungen und andere Vermögensrechte<br />
Geldforderungen - §§ 829, 840<br />
ZPO: Pfändungsbeschluss / Zustellung<br />
an Drittschuldner durch StA<br />
(z.B. Sparbuch, Festgeldkonto)<br />
Herausgabeansprüche bei beweglichen<br />
Sachen - §§ 829, 840,<br />
846, 847 ZPO: Pfändungsbeschluss<br />
und Anordnung, dass Sache an<br />
Gerichtsvollzieher herauszugeben<br />
ist<br />
Beachte:<br />
im Übrigen gelten für diese Rechte<br />
die Ausführungen zum dinglichen<br />
Arrest zur Sicherung von Forderungen<br />
u. anderen Vermögensrechten<br />
ohne Anführung von §§ 928, 930<br />
ZPO!<br />
Materielle Anspruchsgrundlagen<br />
Sicherstellung der materiellen Ansprüche<br />
auf Grund vorläufig<br />
vollstreckbaren Titels<br />
Anordnungskompetenz für<br />
vorläufigen Vollstreckungstitel<br />
Einleitungs- u. Vollstreckungskompetenz<br />
des vorläufig vollstreckbaren<br />
Titels<br />
Abs. 2<br />
Schiffe/Luftfahrzeuge, die ins<br />
Register einzutragen sind<br />
StA od. Gericht<br />
Durchführung der<br />
Zwangsvollstreckung<br />
Abs. 4<br />
Schiffe/Luftfahrzeuge<br />
Nicht eingetragene:<br />
Beschlagnahme wie bewegliche<br />
Sachen durch StA<br />
oder Ermittlungspersonen<br />
Eingetragene:<br />
Eintragung des Beschlagnahmevermerks<br />
ins<br />
Schiffsregister bzw. Register<br />
für Pfandrechte an<br />
Luftfahrzeugen –<br />
Eintragungsersuchen stellt<br />
Gericht oder StA<br />
Die vollzogene Beschlagnahme nach § 111c Abs. 1 bis 4 StPO hat nach § 111c Abs. 5 StPO ein Veräußerungsverbot<br />
i.S. des § 136 BGB zur Folge.<br />
10
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Dinglicher Arrest:<br />
Inhalt des dinglichen Arrestes<br />
§ 111d Abs. 2 StPO<br />
§ 920 ZPO § 923 ZPO § 917 ZPO<br />
Abs. 3 Satz 1<br />
Bewegliche Sachen<br />
StA<br />
§ 934 ZPO<br />
Bewegliche Sachen<br />
§§ 928, 930, 808, 809 ZPO<br />
werden durch Gerichtsvollzieher/<br />
Vollziehungsbeamten, StA oder<br />
Ermittlungsperson in Gewahrsam<br />
genommen<br />
Besonderheiten für bewegliche<br />
Sachen<br />
- Inhaberpapiere, Aktien, Inhaberschuldverschreibungen,<br />
Schecks<br />
- Orderpapiere: Wechsel, Scheck<br />
mit Orderklausel<br />
(vgl. § 831 ZPO)<br />
Diese Gegenstände bzw. das<br />
Recht wird durch Ingewahrsamnahme<br />
der Papiere gepfändet.<br />
Nach § 111 f Abs. 3 Satz 1<br />
stopp steht die Kompetenz zur<br />
Vollstreckung in bewegliche<br />
Gegenstände neben dem Gerichtsvollzieher/Vollziehungsbeamten<br />
auch der StA oder deren<br />
Ermittlungsperson zu.<br />
Abs. 2<br />
Grundstücke und grundstücksgleiche<br />
Rechte<br />
StA od. Gericht<br />
Grundstücke und grund-<br />
stücksgleiche Rechte<br />
§§ 928, 932 ZPO<br />
Eintragung einer<br />
Sicherungshypothek in Abt. III<br />
Eintragsersuchen stellt StA od.<br />
Gericht<br />
Buchhypothek, Buchgrundschuld<br />
§§ 928, 930, 829, 830, 857<br />
Abs. 6 ZPO<br />
Pfändungsbeschluss + Eintragung<br />
stellt StA od. Gericht<br />
GmbH-Anteil: §§ 928, 930, 829,<br />
851, 857 ZPO: Pfändungsbeschluss,<br />
Zustellung an Drittschuldner<br />
(Geschäftsführer)<br />
GbR-, OHG-, KG-Anteil: §§ 928,<br />
930, 829, 859 Abs. 1 ZPO: Pfändungsbeschl.,<br />
Zustellung an Drittschuldner<br />
(Gesellschafter)<br />
Erbanteil: §§ 928, 930, 829, 859<br />
Abs. 2 ZPO: Pfändungsbeschluss,<br />
Zustellung an Drittschuldner (Miterben)<br />
Anwartschaftsrecht bei Eigentumsvorbehalt<br />
u. Sicherungsübereignung:<br />
§§ 928, 930, 829,<br />
857 Abs. 1 u. 2, 808 ZPO: Pfändungsbeschluss<br />
+ Sachpfändung<br />
(durch Gerichtsvollzieher)<br />
Sonstige Rechte: §§ 928, 930,<br />
857 Abs. 1, 852 Abs. 1 ZPO z.B.<br />
Miteigentum an beweglicher Sache,<br />
Zugangsrecht Banksafe<br />
§§ 73a, 73d Abs. 2, 74c StGB<br />
Dinglicher Arrest<br />
§ 111b Abs. 2 StPO<br />
Dinglicher Arrest<br />
§ 111e Abs. 1 StPO<br />
Gericht<br />
StA: bei Gefahr im Verzug<br />
§ 111f StPO<br />
Forderungen und andere<br />
Vermögensrechte<br />
Geldforderungen: §§ 928, 930, 829, 840<br />
ZPO: Pfändungsbeschluss / Zustellung an<br />
Drittschuldner (z.B. Sparbuch, Festgeldkonto)<br />
Briefhypothek, Briefgrundschuld: .<br />
§§ 928, 930, 829, 830, 857 Abs. 6 ZPO:<br />
Pfändungsbeschluss + Briefübergabe<br />
§ 883 ZPO<br />
Isolierte Grundschuld: §§ 928, 930, 829,<br />
851, 857 ZPO: Pfändungsbeschluss über<br />
den Rückübertragungs- u. Auszahlungsanspruch<br />
Auflassungsvormerkung: §§ 928, 930,<br />
829, 851, 857 ZPO – Pfändungsbeschluss<br />
und Zustellung an Drittschuldner, Zustellungsurkunde<br />
+ Pfändungsbeschluss an<br />
Grundbuchamt zur Eintragung der Pfändung<br />
Übereignungsansprüche bei Grundstücken:<br />
§§ 928, 930, 829, 846, 848 ZPO:<br />
Pfändungsbeschluss mit Anordnung, dass<br />
die Herausgabe od. Auflassung an einen<br />
vom Gericht zu bestellenden Sequester zu<br />
erfolgen hat<br />
Herausgabeansprüche b. Grundstücken:<br />
§§ 928, 930, 829, 846, 848 ZPO: Pfändungsbeschluss<br />
m. Anordnung, dass die<br />
Herausgabe oder Auflassung an einen vom<br />
Gericht zu bestellenden Sequester zu erfolgen<br />
hat.<br />
Herausgabeansprüche bei bewegl. Sachen:<br />
§§ 928, 930, 829, 846, 847 ZPO:<br />
Pfändungsbeschluss u. Anordnung, dass<br />
Sache an GVZ herauszugeben ist<br />
Materielle Anspruchsgrundlagen<br />
Sicherstellung der materiellen Ansprüche<br />
auf Grund vorläufig<br />
vollstreckbaren Titels<br />
Anordnungskompetenz für<br />
vorläufigen Vollstreckungstitel<br />
Einleitung u. Vollstreckungskompetenz<br />
des vorläufig vollstreckbaren Titels<br />
Abs. 3 Satz 3<br />
Abs. 3 Satz 1<br />
Abs. 3 Satz 3<br />
Forderungen und andere Vermö- nicht eingetragene Schif- eingetragene Schifgensrechtefe/Luftfahrzeugefe/Schiffsbauwerke/<br />
StA oder auf deren Antrag das<br />
StA<br />
Luftfahrzeuge<br />
Gericht<br />
StA oder auf deren Antrag<br />
das Gericht<br />
Durchführung der<br />
§ 111d Abs. 2 StPO<br />
Zwangsvollstreckung<br />
Schiffe/Schiffsbauwerke/<br />
Luftfahrzeuge* Gericht<br />
§§ 928, 930, 931 ZPO<br />
nicht eingetragene Schiffe/Luftfahrzeuge<br />
§§ 928, 930, 808 ZPO<br />
Siegel od. Kenntlichmachung<br />
der Pfändung od. Wegnahme<br />
der beweglichen Sache durch<br />
Gerichtsvollzieher<br />
eingetragene Schiffe<br />
§§ 928, 930, 931 ZPO<br />
- Inbesitznahme durch Gerichtsvollzieher<br />
- Anordnungsbeschluss<br />
- Eintragungsersuchen<br />
*vgl.: § 99 Gesetz über Recht<br />
an Luftfahrzeugen<br />
11
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Der materiell-rechtliche Anspruch des Staates bzw. des Tatverletzten bestimmt die Sicherungsart 7 :<br />
Institut Normen Zugriffsobjekt Vorläufige Sicherungsmaßnahme<br />
(Original-<br />
)Verfall<br />
(Original-<br />
)Einziehung<br />
(Erweiterter)<br />
Verfall von<br />
Wertersatz<br />
Einziehung<br />
von Wertersatz<br />
§§ 73, 73d Abs.<br />
1 StGB<br />
§§ 74, 74a<br />
StGB; 22, 23<br />
OWiG<br />
§ 73a und 73d<br />
Abs. 2 StGB<br />
Erlangtes Etwas, Nutzungen oder<br />
Surrogate (i.S.d. § 73 Abs. 2<br />
StGB).<br />
Beschlagnahme des inkriminierten<br />
Vermögens nach<br />
§§ 111b Abs.1, 111c StPO<br />
Tatmittel im Original Beschlagnahme des Tatmittels<br />
nach §§ 111b Abs.1,<br />
111c StPO<br />
Zugriff auf das Legalvermögen Dinglicher Arrest + Pfändung<br />
(§§ 111b Abs. 2, 111d<br />
StPO)<br />
§ 74c StGB Zugriff auf das Legalvermögen Dinglicher Arrest + Pfändung<br />
(§§ 111b Abs. 2,<br />
111d StPO)<br />
Dies gilt auch im Ordnungswidrigkeitenrecht, wo der Verfall nur in Form eines Geldbetrages angeordnet<br />
werden kann (vgl. § 29a Abs. 1 OWiG).<br />
Verfahrensrechtlich ist die Anordnung von Verfall und Einziehung sowohl im subjektiven Verfahren<br />
als auch im objektiven Verfahren (§§ 76a StGB; 430 ff., 442 StPO) denkbar.<br />
7 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vorbemerkung zu §§ 111b – 111p Rn. 13.<br />
12
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
1. Verfallsvorschriften nach dem Strafgesetzbuch<br />
1.1 Rechtsnatur und Zweck<br />
Beim Verfall, der auch im Jugendstrafrecht gilt 8 , handelt es sich um eine Maßnahme sui generis<br />
(i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB), die der Beseitigung einer objektiven Unrechtsfolge in Gestalt einer<br />
deliktischen Vermögenszuordnung dient, deren Fortbestand unter dem Gesichtspunkt materieller Gerechtigkeit<br />
nicht hingenommen werden kann 9 , mithin um eine kondiktionsähnliche Ausgleichsmaßnahme<br />
spezial- und generalpräventiver Art im Hinblick auf gewinnorientierte Straftaten 10 .<br />
Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH hat sich an dieser Einordnung auch nach Einführung<br />
des Bruttoprinzips im Jahre 1992 nichts geändert.<br />
Etwaige Härten können nur über § 73c StGB ausgeglichen werden.<br />
Da der Verfall weder eine Strafe noch eine strafrechtliche Nebenfolge darstellt 11 , wird er bei der Strafzumessung<br />
konsequenterweise nicht strafmildernd berücksichtigt.<br />
Prüfungsreihenfolge:<br />
Nach wohl mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des BGH 12 ist innerhalb des Normengebildes der §§<br />
73 ff. StGB eine bestimmte Prüfungsreihenfolge zu beachten.<br />
8<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 2.<br />
9<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 8.<br />
10<br />
Wiedner, a.a.O.<br />
11<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 4.<br />
12<br />
So zuletzt BGH, Urteil vom 07.07.2011, 3 StR 144/11 m.w.N.<br />
13
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Frage:<br />
In welchem Konkurrenzverhältnis steht § 73d StGB gegenüber den §§ 73, 73a StGB?<br />
Der Tatrichter hat in der Regel nicht die Wahl zwischen Verfall und erweitertem Verfall13 .<br />
Grundsätzlich kommt die Anwendung der Maßnahme nach § 73d StGB erst dann in Betracht,<br />
wenn nach Ausschöpfung aller prozessual zulässigen Mittel ausgeschlossen ist,<br />
dass die Voraussetzungen der §§ 73, 73a StGB erfüllt sind 14 .<br />
Dies lässt sich schon dem Wortlaut der Normen entnehmen.<br />
Während der Verfall (von Wertersatz) das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat (i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 5<br />
StGB), die aber noch nicht verjährt sein darf (zu vgl. § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB), voraussetzt, erfordert §<br />
73d StGB zwar eine im Rahmen der Anklage bzw. des Urteils hinreichend konkretisierte „Anknüpfungstat“,<br />
verlangt aber im Übrigen lediglich die sichere Überzeugung, dass die Gegenstände für oder aus<br />
rechtswidrigen Taten, die im Einzelnen hingegen nicht näher bestimmt werden können, erlangt worden<br />
sind.<br />
Im Kern ist § 73d StGB daher beweisrechtlicher Natur 15 , so dass schon der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />
einen derartigen Spezialitätsvorbehalt erfordert, zumal § 78 StGB auf die Herkunftstat nicht<br />
anwendbar ist 16 .<br />
Auf einige Besonderheiten wird an späterer Stelle noch ausführlicher einzugehen sein 17 .<br />
13 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73, Rn. 5.<br />
14 BGH, Urteil vom 07.07.2011, 3 StR 144/11.<br />
15 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73d Rn. 3.<br />
16 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 13.<br />
17 Vgl. BGH, Beschluss vom 31.03.2004, 1 StR 482/03, und Urteil vom 07.07.2011, 3 StR 144/11; im Ansatz wohl<br />
auch BGH, Urteil vom 19.10.2011, 1 StR 336/11.<br />
14
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
1.2 Der Verfall nach § 73 StGB<br />
1.2.1 Übersicht und Einleitung<br />
Verfall - § 73 StGB<br />
Abs. 1 Abs. 2 Abs. 3 Abs. 4<br />
Muss-Vorschrift<br />
Erlangtes<br />
Etwas<br />
Gericht ordnet den Verfall an<br />
Wirkung des Verfalls<br />
§ 73 e StGB<br />
Satz 1<br />
Rechtswidrige Tat<br />
Täter oder Teilnehmer hat für<br />
die Tat oder aus der Tat etwas<br />
erlangt<br />
Das verfallene „Etwas“ geht mit<br />
Rechtskraft des Urteils kraft<br />
Gesetzes ins Eigentum/Vermögen<br />
des Staates<br />
über, wenn es dem von der<br />
Anordnung Betroffenen zu diesem<br />
Zeitpunkt gehört oder zusteht.<br />
Satz 1<br />
Muss-Vorschrift<br />
Nutzungen<br />
Satz 2<br />
Kann-Vorschrift<br />
Surrogate<br />
„Drittempfänger“<br />
Muss-Vorschrift<br />
Vertreter-<br />
klausel<br />
„Dritteigentümer“<br />
Muss-Vorschrift<br />
Drittverfallsklausel<br />
Satz 2<br />
Rechtswidrige Tat<br />
Täter oder Teilnehmer hat aus<br />
der Tat etwas erlangt<br />
Gericht ordnet keinen Verfall<br />
an, soweit Verletzten aus der<br />
Tat Ansprüche zustehen<br />
Ansprüche der Geschädigten<br />
können gem. § 111 b Abs. 5<br />
StPO gesichert werden<br />
Geschädigte können in der Frist<br />
des § 111 i StPO auf das gesicherte<br />
„Etwas“ zurückgreifen<br />
15
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
§ 73 StGB behandelt den (Original-)Verfall und richtet sich nach § 73 Abs. 1 StGB gegen den Täter<br />
oder Teilnehmer, nach § 73 Abs. 3 StGB gegen den Drittempfänger und nach § 73 Abs. 4<br />
StGB gegen den Dritteigentümer.<br />
Während die Merkmale einerseits des Eigentums bzw. der Rechtsinhaberschaft und andererseits des<br />
Gewahrsams in den Fällen des § 73 Abs. 1 StGB sowie des § 73 Abs. 3 StGB zusammenfallen, hat der<br />
Dritte i.S.d. § 73 Abs. 4 StGB Eigentum oder das betreffende Recht an dem Gegenstand, wohingegen<br />
der Täter oder Teilnehmer nur Gewahrsamsinhaber ist.<br />
Im Übrigen ist die Anordnung des Verfalls grundsätzlich obligatorisch. Eine Ausnahme hat der Gesetzgeber<br />
nur bei Surrogaten i.S.d. § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB zugelassen. Wird hier vom Verfall abgesehen,<br />
ist der Verfall von Wertersatz nach § 73a Satz 1 Alt. 3 StGB aber zwingend anzuordnen.<br />
1.2.2 Der Verfall nach § 73 Abs. 1 StGB<br />
I Tatbestandlicher Aufbau<br />
a. Rechtswidrige Tat<br />
Fall 1<br />
Der 13-jährige Schüler M. hat mit Betäubungsmitteln in nicht geringem Umfang gehandelt<br />
und aus den Taten Erlöse in Höhe von ungefähr 5.000,- Euro erzielt.<br />
Allerdings sind die Taten verjährt.<br />
Unter einer rechtswidrigen Tat ist nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB eine solche zu verstehen,<br />
die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, also vorsätzlich oder fahrlässig<br />
begangen wurde 18 , und die rechtswidrig ist.<br />
Auf ein Verschulden kommt es nicht an. Persönliche Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe<br />
oder ein Rücktritt vom Versuch sind ebenso unschädlich 19 .<br />
Auch Taten Jugendlicher oder Heranwachsender, bei denen das Jugendgerichtsgesetz (JGG) Anwendung<br />
findet, sind dem Grunde nach verfallsbedroht 20 .<br />
Schließlich ist auch der strafbewehrte Versuch taugliche Anknüpfungstat 21 .<br />
Lösung Fall 1<br />
Im Ausgangsfall liegt eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB<br />
vor. Allerdings ist M. persönlich nicht verfolgbar (§ 19 StGB). Möglich wäre daher nur<br />
die Durchführung des objektiven Verfahrens nach § 76a StGB 22 . Infolge der Verjährung<br />
der Taten kommt aber die Anordnung des Verfalls grundsätzlich nicht in Betracht<br />
(§§ 78 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB).<br />
Hätte M. im Ausgangsfall zur Tatbegehung einziehungsfähige Tatmittel (im Sinne des<br />
§ 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StGB) genutzt, könnten diese hingegen eingezogen werden<br />
(§§ 78 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 76a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB).<br />
Fortführung folgt!<br />
Wie bei der Verjährung, die als endgültiges Verfahrenshindernis (im Sinne des § 260 Abs. 3<br />
StPO) anzusehen ist, ist der Verfall auch bei sonstigen – nicht behebbaren – Verfahrenshindernissen<br />
ausgeschlossen 23 . Dies gilt sowohl für das subjektive als auch für das objektive Verfahren, da §<br />
76a Abs. 1 und Abs. 3 StGB nur auf Hindernisse im Tatsächlichen rekurriert, die also die faktische<br />
18<br />
BGH, Urteil vom 19.01.2012, 3 StR 343/11.<br />
19<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 11.<br />
20<br />
BGH, Urteil vom 17.06.2010, 4 StR 20/10.<br />
21<br />
BGH, Urteil vom 29.06.2010, 1 StR 245/09; krit. Rübenstahl, HRRS 2010, 505 ff.; Schlösser, NStZ 2011, 121<br />
ff., Bauer, NStZ 2011, 396 ff.<br />
22<br />
Vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 05.05.2011, 3 StR 458/10.<br />
23<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 13.<br />
16
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Sanktionierung einer Straftat unmöglich machen, hingegen die materielle Strafbarkeit der Tat als solche<br />
ebenso wie ihre verfahrensrechtliche Verfolgbarkeit unberührt lassen 24 .<br />
b. Etwas aus der oder für die Tat (unmittelbar) erlangen<br />
(1) Tauglicher Gegenstand des Verfalls<br />
Abzuschöpfen sind alle Vermögensbestandteile, die der Verfallsbetroffene durch die gegenständliche<br />
Tat tatsächlich erlangt hat. Umfasst ist der gesamte Tatablauf vom Vorbereitungs- bis zum Beendigungsstadium<br />
25 . Das bedeutet, dass auch solche Vermögenswerte, die der Verfallsbetroffene in der<br />
eigentlich noch straflosen Vorbereitungsphase erlangt hat, der Abschöpfung unterliegen, sofern später<br />
wenigstens die Schwelle zum Versuch überschritten wird. In diesem Zusammenhang sind Fallgestaltungen<br />
denkbar, bei denen beispielsweise „Schwarzumsätze“ inklusive darin enthaltener ersparter<br />
Aufwendungen zum Zwecke der späteren Steuerhinterziehung beiseite geschafft werden 26 .<br />
Um an die oben bereits erwähnten Kriterien zum einen des Eigentums resp. der Rechtsinhaberschaft<br />
und zum anderen des Gewahrsams wieder anzuknüpfen, ist es daneben erforderlich, dass der Erwerbsvorgang<br />
zivilrechtlich beurteilt selbst wirksam ist 27<br />
Fortführung der Lösung des Falls 1<br />
Im Fall 1 ist M. nicht wirksam Eigentümer des ihm übergebenen Bargeldes geworden.<br />
Insoweit liegt ein im Zivilrecht eher seltener „Doppelmangel“ vor. Sowohl das obligatorische<br />
als auch das Erfüllungsgeschäft sind gem. §§ 134, 138 BGB nichtig 28 . Möglich<br />
wäre daher eine dritteigentumsbezogene Verfallsanordnung nach § 73 Abs. 4<br />
StGB gegen M. unter Verfahrensbeteiligung des Käufers der Betäubungsmittel.<br />
(Weitere) Fortführung folgt!<br />
Im Übrigen kommt es nicht darauf an, ob das ursprünglich Erlangte später noch im Vermögen des<br />
Täters oder Teilnehmers vorhanden ist.<br />
Etwaige Härten können hier nur über § 73c Abs. 1 StGB ausgeglichen werden.<br />
Unter „Etwas“ sind alle vermögenswerten Positionen zu verstehen. Darunter fallen bewegliche Sachen<br />
aller Art, Grundstücke, dingliche und obligatorische Rechte und Erlangtes ohne Substrat wie<br />
ersparte Aufwendungen oder Nutzungen 29 .<br />
Schließlich sollen sogar hinreichend konkretisierte Gewinnchancen – infolge einer korruptiv erlangten<br />
Auftragserteilung – und danach<br />
die konkrete Chance auf Abschluss von Wartungsverträgen für eine errichtete Anlage<br />
oder sonstige Folgegeschäfte durch Aufbau einer Geschäftsbeziehung<br />
die Chance zur Erlangung weiterer Aufträge für vergleichbare Anlagen<br />
die Steigerung des wirtschaftlich wertvollen „Goodwill“ eines Unternehmens durch Errichtung eines<br />
Prestigeobjekts<br />
die Vermeidung von Verlusten durch Auslastung bestehender Kapazitäten<br />
oder die Verbesserung der Marktposition durch Ausschalten von (Mit-)Wettbewerbern<br />
potentiell dem Verfall unterliegen 30 . Es bleibt dennoch immer anzuknüpfen am tatsächlich Erlangten<br />
und einem dementsprechenden Vermögenszuwachs. Die Bestimmung des Erlangten steht unter der<br />
Maßgabe des Bruttoprinzips, das seit dem 07.03.1992 gilt. Hierdurch sollten dem Tatgericht Beweisschwierigkeiten<br />
bei der Ermittlung des Gewinns erspart werden. Gegenleistungen oder Kosten des<br />
24<br />
BGH, Beschluss vom 05.05.2011, 3 StR 458/10.<br />
25<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 14.<br />
26<br />
Vgl. Teil I, 1.2, 1.2.5, Fall 16.<br />
27<br />
Vgl. BGH, Beschluss vom 26.05.1995, 4 StR 266/95 zum Fall von markiertem Drogengeld für Drogeneinkäufe.<br />
28 BGH, Urteil vom 04.11.1982, 4 StR 451/82.<br />
29 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 9.<br />
30 BGH, Urteil vom 02.12.2005, 5 StR 119/05.<br />
17
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Täters bei der Tatdurchführung sind nicht in Abzug zu bringen und müssen daher auch nicht ermittelt<br />
werden 31 .<br />
Fortführung der Lösung des Falls 1<br />
M. könnte daher – losgelöst von den sonstigen Voraussetzungen – nicht einwenden,<br />
er hätte für den Einkauf der Betäubungsmittel 2.500,- Euro aufgewandt oder im<br />
Rahmen der Abwicklung der Taten noch weitere Kosten gehabt.<br />
Differenzierung im Ordnungswidrigkeitenrecht:<br />
§ 29a OWiG stellt auf das Bruttoprinzip ab<br />
§ 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG orientiert sich am Nettoprinzip, wobei die Geldbuße vorrangig die<br />
Funktion der Gewinnabschöpfung übernimmt 32 .<br />
(2) Aus oder für die Tat<br />
„Aus der Tat erlangt" sind alle Vermögenswerte, die dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des<br />
Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs u.U. nur kurzfristig 33 zufließen, insbesondere<br />
also die Beute; „für die Tat erlangt" sind demgegenüber Vermögenswerte, die dem Täter als Gegenleistung<br />
für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, aber – wie etwa ein Lohn für die Tatbegehung<br />
– nicht auf der Tatbestandsverwirklichung selbst beruhen 34 .<br />
Die Unterscheidung kann zu nicht unbeträchtlichen Schwierigkeiten führen, wenn nicht genau festgestellt<br />
werden kann, ob an verschiedene Beteiligte weitergeleitete Gelder aus dem Taterlangten stammten<br />
35 .<br />
(3) (Unmittelbares) Erlangen<br />
Weiter bedarf es des (unmittelbaren) Erlangens auf Seiten des Täters oder Teilnehmers.<br />
Fall 236<br />
Der Angeklagte, der als Zwischenhändler auftrat, erhielt von seinem Lieferanten auf<br />
Kommissionsbasis 67 kg Marihuana. Davon lieferte er 62,244 kg an seine Endabnehmer<br />
aus.<br />
Aus diesem Geschäft erzielte der Angeklagte einen Gesamterlös von 161.000, - EUR,<br />
den er absprachegemäß – ohne Abzug seines vereinbarten Gewinnanteils von 200,-<br />
EUR/kg, mithin ca. 12.500,- EUR - an seinen Lieferanten weitergab.<br />
Das LG ordnete daraufhin den Verfall von Wertersatz in Höhe von 12.500,- EUR an.<br />
Erlangt ist ein Gegenstand oder Wert, sobald er unmittelbar in die eigene Verfügungsgewalt des Verfallsbetroffenen<br />
übergegangen ist und ihm hierdurch wirtschaftlich messbar etwas zugutekommt 37 .<br />
Dabei handelt es sich um einen tatsächlichen Vorgang 38 .<br />
Insoweit maßgeblich ist die gesamte Phase des Tatablaufs; spätere Mittelabflüsse sind dagegen –<br />
vorbehaltlich der Regelung des § 73c StGB – unschädlich.<br />
31<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 7; zur Verfassungsmäßigkeit des Bruttoprinzips: BVerfG, Beschluss<br />
vom 28.01.2004, 2 BvR 152/04.<br />
32<br />
Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 1. Auflage 2006, 5. Teil Rn. 1273.<br />
33<br />
Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11.<br />
34<br />
Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73 Rn. 25 ff.; BGH, Beschluss vom<br />
19.10.2010, 4 StR 277/10 mit einer Abgrenzung zum Erlangen zur „Durchführung der Tat“, das nicht verfallsbewehrt<br />
ist.<br />
35<br />
Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 19.10.2011, 1 StR 336/11 Rn. 11 ff.<br />
36<br />
BGH, Urteil vom 16.05.2006, 1 StR 46/06; so auch BGH, Beschluss vom 10.09.2002, 1 StR 281/02.<br />
37<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 28.<br />
38<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 28.<br />
18
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Lösung Fall 2<br />
Die Anordnung des LG war an diesen Maßstäben gemessen rechtsfehlerhaft. Der Angeklagte<br />
hat vielmehr den Gesamterlös von 161.000,- EUR erlangt. Dieser Betrag befand<br />
sich zumindest kurzfristig in der Verfügungsgewalt des Angeklagten. Auf die zivilrechtlichen<br />
Eigentums- und Besitzverhältnisse zwischen den Beteiligten kommt es<br />
dabei nicht an. Aufwendungen sind wegen des Bruttoprinzips nicht abzugsfähig. Damit<br />
könnte lediglich über § 73c StGB eine Korrektur dieser Lösung erfolgen.<br />
Frage:<br />
Erläutern Sie die Unterschiede zwischen Unmittelbarkeit und Bruttoprinzip.<br />
Unmittelbarkeit und Bruttoprinzip sind streng voneinander zu trennen. In einem ersten Prüfungsschritt<br />
ist festzustellen, worin genau der Vorteil besteht, wofür das Bruttoprinzip nicht herangezogen<br />
werden kann. Die Bestimmung des Vorteils ist nämlich der Bestimmung seines Umfangs als zweiter<br />
Prüfungsschritt (und hier gilt das Bruttoprinzip) logisch vorgelagert 40 .<br />
Anders ausgedrückt: Das Bruttoprinzip bezieht sich nur auf Kosten, die in Zusammenhang der rechtswidrigen<br />
Vorteilserlangung stehen, und nicht auf Abzugsposten, die dem Erlangten selbst immanent<br />
sind und seinen Wert bestimmen, oder auf Vorteile, die in rechtlich nicht zu beanstandender Weise<br />
erzielt wurden 41 . Dieses Abgrenzungsproblem ist ein „Dauerbrenner“ und hat in den letzten Jahren zu<br />
ungewöhnlich heftigen Kontroversen geführt, denen letztlich zugrunde liegt, ob normativ gebotene<br />
Beschränkungen des Erlangten schon auf tatbestandlicher Ebene oder erst im Rahmen der Härtefallprüfung<br />
vorzunehmen sind 42 . Dies zeigt sich insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht bei die Bestimmung<br />
des (unmittelbar) Erlangten erschwerenden mehraktigen Geschehensabläufen.<br />
(aa) BtM-Fälle<br />
Der Anwendungsbereich des Verfalls erfährt durch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal<br />
der Unmittelbarkeit eine weitere Einschränkung.<br />
Der BGH hat dieses Merkmal über einen Vergleich der Absätze 1 und 2 des § 73 StGB<br />
hergeleitet.<br />
Während sich § 73 Abs. 1 StGB auf das eigentliche „Etwas“, das der Täter aus der Tat<br />
erlangt hat, bezieht, erweitert § 73 Abs. 2 StGB den Anwendungsbereich des Verfalls<br />
auf mittelbare Tatvorteile, namentlich auf Nutzungen und Surrogate, weshalb im Umkehrschluss<br />
die unmittelbaren Vermögenszuwächse nur von § 73 Abs. 1 StGB erfasst<br />
werden 39 .<br />
Von daher dürfte eine in Anlehnung an die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung<br />
mehr kasuistische Betrachtungsweise angezeigt sein, sich der Gesamtproblematik<br />
zu nähern.<br />
Beim Verkauf von Drogen ist der gesamte Erlös ohne Abzug von Einkaufspreis, Transportkosten,<br />
Kurierlohn usw. für verfallen zu erklären 43 .<br />
39<br />
BGH, Urteil vom 21.03.2002, 5 StR 138/01; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 07.07.2006, 2 BvR 527/06.<br />
40<br />
BGH, a.a.O.<br />
41<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 25.<br />
42<br />
Vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 19.01.2012, 3 StR 343/11 Rn. 20.<br />
43<br />
BGH, Urteil vom 05.04.2000, 2 StR 500/99 (Ständige Rspr.).<br />
19
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
(bb) Verletzung von Dienstgeheimnissen<br />
Fall 344<br />
Der Angeklagte A. erhielt von dem gesondert verfolgten B., einem Beamten des Kultusministeriums<br />
in Niedersachsen, auf sein Verlangen zweimal jährlich die Anschriften<br />
und weitere persönliche Daten der zur Einstellung in den Vorbereitungsdienst als<br />
Lehramtsreferendare vorgesehenen Bewerber. Er zahlte dafür jeweils zum Jahresende<br />
einen Geldbetrag. Das Anschriftenmaterial nutzte der Angeklagte in seiner beruflichen<br />
Tätigkeit als Versicherungsvertreter dazu, den Lehramtsreferendaren – mit erheblichem<br />
Erfolg – den Abschluss von Krankenversicherungsverträgen anzudienen.<br />
Daraus folgten Provisionszahlungen an A. in Höhe von 128.700,- Euro.<br />
Der Wert vergleichbarer Anschriftenlisten belief sich auf ungefähr 20.000,- Euro.<br />
Lösung:<br />
A hat sich wegen Bestechung und Anstiftung zur Verletzung des Dienstgeheimnisses<br />
strafrechtlich zu verantworten.<br />
Unmittelbar erlangt hat er aus den Taten die Listen mit den Anschriften der künftigen<br />
Lehramtsreferendare, deren Wert deshalb auch die Höhe des als Wertersatz für verfallen<br />
zu erklärenden Betrages bestimmt. Rechtsfehlerhaft ist es hingegen, auf bloß<br />
mittelbare Tatvorteile wie die aus den Taten erlangte Gewinnchance resp. im Fall ihrer<br />
Realisierung die erhaltenen Provisionen abzustellen.<br />
Gegen A. wäre somit dem Grunde nach vorbehaltlich etwaiger Abzüge nach § 73c<br />
StGB der Verfall von Wertersatz in Höhe von 20.000,- Euro anzuordnen.<br />
44 Angelehnt an BGH, Urteil vom 03.11.2005, 3 StR 183/05; kritisch Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und<br />
Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 25.<br />
20
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
(cc) Strafbare Vertragsanbahnung<br />
Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz<br />
Fall 445<br />
Der Angeklagte war leitender Angestellter der Papierfabrik S. GmbH, die technische<br />
Spezialpapiere herstellte. Auf sein Betreiben hin hat die S. GmbH trotz eines verhängten<br />
Handelsembargos Tabakpapier an ein in Serbien geschäftsansässiges Unternehmen<br />
geliefert. Die daraus resultierenden Umsatzerlöse beliefen sich auf 4.466.000,-<br />
Euro.<br />
Lösung:<br />
Der Angeklagte hat sich wegen Verstoßes gegen §§ 34 Abs. 4 AWG i.V.m. 69h Abs. 1<br />
Nr. 2 AWV strafrechtlich zu verantworten. Die S. GmbH hat als nebenbeteiligte Dritte<br />
im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB – es liegt ein Vertreterfall i.w.S. vor – den gesamten<br />
Erlös, mithin 4.466.000,- Euro erlangt. Korrekturen sind nur noch über § 73c StGB<br />
möglich. In anderen Entscheidungen des BGH, so u.a. in einem Urteil des 5. Senats,<br />
wird zur Begründung, bezogen auf diesen Fall, aber auch auf die Rechtslage bei BtM-<br />
Geschäften, ausgeführt, bei derartigen Sachverhalten sei auch das Erfüllungsgeschäft<br />
strafrechtlich bemakelt, weshalb die Verfallsanordnung in Bezug auf den gesamten<br />
Erlös gerechtfertigt sei 46 .<br />
Fallabwandlung 47 :<br />
Die S. GmbH hat in 47 Fällen Jagd- und Sportselbstladeflinten in Drittländer ausgeführt<br />
und aus den Verkäufen insgesamt 1.100.000,- Euro erzielt. Die für die Exporte<br />
erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen, die auf Antrag durch das Bundesamt für Wirtschaft<br />
und Ausfuhrkontrolle hätten erteilt werden müssen, lagen nicht vor.<br />
Lösung:<br />
Der angeklagte Geschäftsführer der S. GmbH hat sich wegen fahrlässigen Verstoßes<br />
gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 7 AWG strafbar gemacht. Die S. GmbH hat indes<br />
entgegen der Auffassung des LG nur den durch die Nichtausführung des Genehmigungsverfahrens<br />
erwachsenen (Sonder-)Vorteil (= Ersparnis der Aufwendungen,<br />
die für die Erteilung der Genehmigung hätten erbracht werden müssen) unmittelbar<br />
erlangt.<br />
Der BGH hat hierzu weiter ausgeführt:<br />
„(...) Es werden nur solche Vorteile erfasst, die der Tatteilnehmer oder Dritte nach dem Schutzzweck der<br />
Norm nicht erlangen und behalten dürfen soll, weil sie von der Rechtsordnung – einschließlich der verletzten<br />
Strafvorschrift – als Ergebnis einer rechtswidrigen Vermögensverschiebung bewertet werden. (…)“<br />
Der dem Verfall unterliegende Vorteil ist deshalb danach zu bestimmen, was letztlich<br />
strafbewehrt ist. Hat sich der Tatbeteiligte im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen<br />
Tätigkeit – (...) – strafbar gemacht, so ist demgemäß bei der Bestimmung dessen,<br />
was er aus der Tat erlangt hat, in den Blick zu nehmen, welchen geschäftlichen<br />
Vorgang die Vorschrift nach ihrem Zweck verhindern will; nur der aus diesem Vorgang<br />
gezogene Vorteil ist dem Täter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erwachsen.<br />
Soweit das Geschäft bzw. seine Abwicklung an sich verboten und strafbewehrt<br />
ist, unterliegt danach grundsätzlich der gesamte hieraus erlangte Erlös dem Verfall.<br />
Ist dagegen strafrechtlich nur die Art und Weise bemakelt, in der das Geschäft ausgeführt<br />
wird, so ist nur der hierauf entfallende Sondervorteil erlangt.<br />
Hatte der Täter einen Anspruch auf Genehmigung, so bemakelt die Rechtsordnung<br />
nicht den Abschluss oder die Erfüllung des Vertrages; vielmehr soll durch die Strafbewehrung<br />
allein die Umgehung der Kontrollbefugnis der Genehmigungsbehörde<br />
sanktioniert werden.<br />
45 Angelehnt an BGH, Urteil vom 21.08.2002, 1 StR 115/02.<br />
46 BGH, Urteil vom 02.12.2005, 5 StR 119/05; kritisch dazu BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR 166/07; Burghart,<br />
wistra 2011, 241 ff.; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 27.<br />
47 Angelehnt an BGH, Urteil vom 19.01.2012, 3 StR 343/11.<br />
21
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Bestechung und bestechungsähnliche Fälle<br />
Fall 548<br />
Das Verfahren richtete sich gegen die Angeklagten J. und S.<br />
J. war Immobilienkaufmann und S. Bauamtsleiter der Stadt Hemmingen.<br />
J. hatte im Vorfeld der angeklagten Taten Ackerland, das im betreffenden Bebauungsplan<br />
als Bauerwartungsland ausgewiesen war, für damals 6,5 Millionen DM<br />
(einschließlich Nebenkosten) erworben. Um die Grundstücke möglichst gewinnbringend<br />
veräußern zu können, wandte er sich an S., um diesen gegen Zahlungen von<br />
Schmiergeld zu bewegen, sich für die Ausweisung als allgemeines Wohngebiet einzusetzen.<br />
In Umsetzung des Tatplans wandte J. dem S. insgesamt 215.000,- DM zu. S. wirkte<br />
daraufhin im Planungsverfahren maßgeblich auf die betreffende Änderung des Bebauungsplans<br />
hin.<br />
Infolgedessen konnte J. erhebliche Wiederverkaufsgewinne in einer Größenordnung<br />
von 6,5 Millionen DM realisieren.<br />
Lösung:<br />
J. und S. haben sich wegen Bestechung bzw. Bestechlichkeit strafrechtlich zu verantworten.<br />
S. hat insoweit 215.000,- DM erlangt.<br />
Bei J. ist fraglich, ob auf den gesamten Verkaufserlös in Höhe von 13 Mio. DM oder<br />
nur auf den erzielten Gewinn in Höhe von 6,5 Mio. DM abzustellen ist.<br />
Der BGH hat dazu unter Hervorhebung der notwendigen Differenzierung zwischen<br />
einerseits der Bestimmung des unmittelbar Erlangten und andererseits dem Bruttoprinzip<br />
(vgl. oben) sinngemäß ausgeführt, J. habe bestechungsbedingt im Ergebnis<br />
die diesbezügliche Änderung des Bebauungsplans und damit die Gewinnchance, einen<br />
erheblichen Spekulationsgewinn zu realisieren, erlangt. Da J. diese Gewinnchance<br />
realisiert habe, durfte das Landgericht den Spekulationsgewinn als den aus der<br />
Tat gezogenen Vorteil im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB werten.<br />
Bei der Bemessung des Spekulationsgewinns sei der Ankaufs- vom Verkaufspreis zu<br />
subtrahieren und auch die bei dem Ankauf zwangsläufig verbundenen Nebenkosten<br />
in Abzug zu bringen. Gleiches gelte auch für die Erschließungskosten.<br />
J. habe daher 6,5 Millionen DM erlangt.<br />
48 Angelehnt an BGH, Urteil vom 21.03.2002, 5 StR 138/01; teilweise kritisch Hohn, wistra 2003, 321 ff.<br />
22
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Fall 649<br />
Der – vereinfacht wiedergegebene – Fall entstammt dem Komplex „Trienekens“ und<br />
steht im Zusammenhang mit dem Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage.<br />
An der A. GmbH, einer Abfallverwertungsgesellschaft – Geschäftsführer war E. -,<br />
waren die Stadt Köln als Mehrheitsgesellschafterin und ferner die B. GmbH – Geschäftsführer:<br />
T. – und die C. GmbH – Geschäftsführer war ebenfalls der T. – beteiligt.<br />
Es war geplant, dass die A. GmbH den Bau einer Müllverbrennungsanlage öffentlich<br />
ausschreiben sollte. An diesem Projekts war u.a. die D. GmbH – Geschäftsführer: M.;<br />
Unternehmensberater: W. – interessiert. T., E. und W. schlossen eine Unrechtsabrede<br />
dergestalt, dass für den Fall der Auftragsvergabe an die D. GmbH 3 % des Auftragswerts<br />
zu gleichen Teilen an E. , T. und W. zu zahlen sind. So wurde in der Folgezeit<br />
auch verfahren.<br />
Nach Manipulation des Auftragsverfahrens durch E. und M. gab die D. GmbH, vertreten<br />
durch M., in Kenntnis der Angebote der übrigen Mitbewerber das günstigste Angebot<br />
– Festpreis in Höhe von 792 Mio. DM – ab und erhielt daraufhin den Zuschlag<br />
für den Bau der Müllverbrennungsanlage. In diesen Festpreis war der Schmiergeldanteil<br />
in Höhe von ca. 24 Mio. DM miteinkalkuliert. Auf Seiten der D. GmbH bestand eine<br />
Gewinnerwartung von ca. 8 Mio. DM.<br />
Der vereinbarte Werklohn wurde fast vollständig an die D. GmbH transferiert.<br />
Die folgende Lösung orientiert sich ausschließlich an der Frage, was die D. GmbH<br />
bestechungsbedingt i.S.d. § 73 StGB erlangt hat.<br />
Nach Auffassung des 5. Senats ist bei einer korruptiven Manipulation der Auftragsvergabe<br />
zunächst der gesamte wirtschaftliche Wert des Auftrags im Zeitpunkt des<br />
Vertragsabschlusses und nicht der vereinbarte Werklohn im Sinne von § 73 Abs. 1<br />
Satz 1 StGB unmittelbar erlangt 50 .<br />
Bei der Auftragserlangung (im geschäftlichen Verkehr) führe die „Tat“ als solche unmittelbar<br />
nur zu dem Vorteil des schuldrechtlichen Vertragsabschlusses; die Vorteile<br />
aus der Ausführung des Auftrags, die – anders als bei der Erlangung – selbst nicht<br />
strafrechtlich bemakelt seien, wären hingegen nicht mehr unmittelbar aus der „Tat“<br />
erlangt. Der wirtschaftliche Wert des Auftrags zum Zeitpunkt der Auftragserlangung<br />
bemesse sich vorrangig nach dem zu erwartenden Gewinn und ggf. weiteren wirtschaftlichen<br />
Vorteilen.<br />
Neben den 24 Millionen DM, die als Untreueschaden im Rahmen der Kick-Back-<br />
Abrede wegen § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aber ohnehin dem Verfall nicht unterliegen<br />
können, hat die D. GmbH darüber hinaus ca. 8 Mio. DM erlangt.<br />
Fortführung folgt!<br />
49 Angelehnt an BGH, Urteil vom 02.12.2005, 5 StR 119/05 (str.).<br />
50 Krit. BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR 166/07; Hohn, wistra 2006, 321 ff.; a.A. OLG Köln, Beschluss vom<br />
08.08.2003, 2 Ws 433/03.<br />
23
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Insidergeschäfte<br />
Fall 751<br />
Die Angeklagten S. und J. waren Vorstände der börsennotierten F. AG, die sich als<br />
Internet-Telekommunikationsunternehmen schwerpunktmäßig mit ca. 60% des Gesamtumsatzes<br />
im Bereich des Internets – hiervon zu etwa 96% auf das Schmalbandsegment<br />
und nur zu etwa 3% auf das Breitbandsegment orientiert – betätigte.<br />
Der Umsatz der F. AG stieg nach Übernahme des Festnetzgeschäfts im Jahre 2003<br />
gegenüber dem Vorjahr um 766% auf 365 Mio. Euro. Der Zuwachs hielt auch im ersten<br />
Quartal 2004 (Gesamtumsatz: 119 Mio. Euro) noch an. Im zweiten Quartal des<br />
Jahres 2004 ging der Umsatz zurück und belief sich nur noch auf 109 Mio. Euro; das<br />
Konzernergebnis vor Steuern sank in diesem Quartal von 31,7 Mio. Euro auf knapp<br />
20 Mio. Euro. Maßgebend für diesen Rückgang war ein deutlich schlechteres Ergebnis<br />
im Schmalbandbereich.<br />
S. und J. sind als Sondervergütungen Aktienoptionen (199.500) eingeräumt worden,<br />
für die eine zweijährige Wartezeit, die am 11.07.2004 ablief, bestand und deren<br />
Laufzeit auf sechs Jahre ab Ausgabetag festgelegt war.<br />
Der Aktienkurs entwickelte sich im Frühjahr und Sommer 2004 wie folgt:<br />
Mai 2004: 27,73 Euro<br />
15. Juli 2004: 18,36 Euro<br />
30. Juli 2004 15,05 Euro<br />
Die Angeklagten begannen nach Ablauf der Wartefrist und der Ausübung ihrer Optionen<br />
damit, die Aktien zu veräußern und erzielten aus dem Verkauf von jeweils etwa<br />
32.000 Stück knapp 1,2 Mio. Euro pro Person.<br />
Obwohl ihnen die Umsatzentwicklung schon vorher bekannt war, warteten sie zu, um<br />
den gewinnbringenden Verkauf ihrer Aktienpakte nicht zu gefährden, und veröffentlichten<br />
erst am 09.08.2004 eine ad-hoc-Mitteilung, worin sie den rückläufigen Umsatz<br />
und den gesunkenen Gewinn für das zweite Quartal 2004 bekanntgaben.<br />
Lösung:<br />
S. und J. haben sich wegen verbotenen Insiderhandels nach §§ 38 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m.<br />
14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. strafrechtlich zu verantworten.<br />
Unmittelbar erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB haben die Angeklagten S<br />
und J. jedoch nicht den jeweils von ihnen erzielten Gesamtverkaufserlös der Aktien,<br />
sondern den realisierten und nach § 73b zu schätzenden Sondervorteil, der hier in<br />
der Verschonung von dem Wertverlust liegt, den uninformierte Marktteilnehmer infolge<br />
verspäteter Veröffentlichung der aktienkursrelevanten (negativen) Tatsachen<br />
erleiden.<br />
Der BGH bezieht sich bei der Begründung wieder auf das Merkmal der Bemakelung.<br />
Im vorliegenden Fall sei der Erwerb der Aktien – außerhalb des Tatgeschehens - legal<br />
gewesen; lediglich die Art und Weise der Ausführung des Geschäfts sei als strafrechtlich<br />
bemakelt zu beanstanden.<br />
51 Angelehnt an BGH, Beschluss vom 27.01.2010, 5 StR 224/09.<br />
24
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Strafbare Werbung nach UWG<br />
Fall 852<br />
Die Angeklagten hatten über von ihnen eingerichtete (ausländische) Gesellschaften,<br />
so u.a. die AAA Mail Ltd., Katalogangebote unter Beifügung irreführend gestalteter<br />
und sachlich unzutreffender Geschenkversprechen an vornehmlich ältere Personen<br />
mit geringem Bildungsniveau lanciert. Dabei waren die in Aussicht gestellten Gewinnchancen<br />
vielfach an den Erwerb der angebotenen Waren gekoppelt. Wie von Anfang<br />
geplant wurden die versprochenen Gewinne nicht ausgekehrt und anstelle der in<br />
Aussicht gestellten wertvollen Geschenke erhielten die Besteller lediglich wertlosen<br />
Plunder.<br />
Auf diese Weise flossen der für den Zahlungsverkehr zuständigen inländischen Gesellschaft<br />
Cash GmbH Zahlungen von Kundenseite in Höhe von insgesamt<br />
113.000.000,- Euro zu; der Gewinn belief sich auf 5,34 % des Gesamtumsatzes.<br />
Lösung:<br />
(Unmittelbar) erlangt hat die Cash GmbH nicht (nur) einen Wettbewerbsvorteil, der<br />
zunächst nur in einer Chance auf Warenbestellungen bestanden hat (so das LG<br />
Mannheim in der ersten Instanz), bzw. die Vertragsschlüsse, sondern auch die von<br />
den Kunden in Erfüllung der Kaufverträge geleisteten (Gesamt-)Zahlungen, mithin<br />
113.000.000,- Euro.<br />
In der weiteren Begründung hält der 1. Strafsenat zunächst an den bisher zu der<br />
Problematik entwickelten Differenzierungskriterien der „Unmittelbarkeit“ und der<br />
„strafrechtlichen Bemakelung“ fest, sieht in der vorliegend zu beurteilenden Konstellation<br />
jedoch keine Notwendigkeit, zwischen Kausal- und Erfüllungsgeschäft zu differenzieren,<br />
zumal die Durchführung der Kaufverträge strafrechtlich bemakelt sei.<br />
Im Folgenden setzt sich der Senat kritisch mit der Rechtsprechung des 5. Senats<br />
auseinander. Schon der Vergleich mit durch (Eingehungs-)Betrug zustande gekommenen<br />
Verträgen im Rahmen von „Alltagsgeschäften“ zeige, dass es nicht darauf ankomme,<br />
dass die Durchführung eines Vertrages für sich betrachtet strafbar sein müsse.<br />
Im Übrigen sei es nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Ermittlung des<br />
Werts des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts durch Saldierung – also gleichsam<br />
nach dem Nettoprinzip – erfolge, während sich der Wert des „dinglichen“ Erfüllungsgeschäfts<br />
nach dem Bruttoprinzip richten solle 53 .<br />
52 Angelehnt an BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR 166/07.<br />
53 Kritisch auch Hohn, wistra 2006, 321 ff.; Saliger, NJW 2006, 3377 ff.; Lohse, JR 2009, 188 ff.; Schlösser, NStZ<br />
2011, 121 ff.; Burghart, wistra 2011, 241 ff.; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht,<br />
2011, § 73 StGB Rn. 27.<br />
25
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Betrug<br />
Fall 954<br />
Der Angeklagte F. wurde wegen (versuchten) Betrugs in Tateinheit mit strafbewehrten<br />
Verstößen gegen das AktG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Hintergrund der<br />
Verurteilung waren zunächst Bilanzmanipulationen namentlich der Umsatz- und Ertragszahlen<br />
der I. AG angesichts des geplanten Verkaufs der Mehrheitsanteile von F.<br />
an dem Aktienpaket. Zu diesem Zweck wurden insgesamt 8 Rechnungen über tatsächlich<br />
von der I. AG nicht erbrachte Leistungen mit einem Gesamtvolumen von<br />
rund 12 Mio. DM aktiviert, um so über die tatsächliche wirtschaftliche Situation der<br />
AG zu täuschen und potentielle Käufer zur Zahlung eines überhöhten Kaufpreises zu<br />
veranlassen.<br />
Der Mehrheitsanteil des F. an der I. AG wurde schließlich über die zwischengeschaltete<br />
D.-H. GmbH an die englische Gesellschaft E. plc. zum Gesamtkaufpreis von 762<br />
Mio. Euro übertragen. Im Gegenzug zahlte die E. plc. 210 Millionen Euro und übertrug<br />
ferner 62 Millionen neu herauszugebende Aktien der Gesellschaft – Bewertung<br />
im Kaufvertrag: 552 Mio. Euro.-<br />
F. war sich darüber bewusst, dass der Kaufpreis um mindestens 30 Millionen Euro<br />
den tatsächlichen Marktwert des Aktienpakets überstieg.<br />
Lösung:<br />
Unter Fortführung der Senats-Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 30.05.2008, 1 StR<br />
166/07) ist vorliegend bei der Berechnung des durch einen Kauf Erlangten vom gesamtem<br />
Verkaufserlös auszugehen. Der Senat verweist dabei zudem auf eine nicht<br />
veröffentlichte Entscheidung des BVerfG 55 , wonach in Abgrenzung zu den vom 5.<br />
Strafsenat entschiedenen Fällen die vom Beschwerdeführer eingesetzten Vermögenswerte<br />
selbst Gegenstand der mutmaßlichen Tathandlung gewesen seien.<br />
(dd) Straftaten nach §§ 92 ff. AuslG (a.F.) und 95 ff. AufenthG<br />
In diesem Bereich können dem Verfall die gezahlten Provisionen für die eigentliche Schleusertätigkeit<br />
unterliegen; nicht mehr unmittelbar erlangt sind hingegen Zuflüsse aus der illegalen Beschäftigung<br />
der eingeschleusten Ausländer 56 .<br />
Gleiches soll im Übrigen auch bei erzielten Erlösen aus erzwungener Prostitution gelten 57 .<br />
(ee) Illegales Glückspiel<br />
Auch beim illegalen Glückspiel dürfte der Gesamterlös dem Grunde nach dem Verfall unterliegen<br />
58 .<br />
(ff) Straftaten gegen die Umwelt (§§ 324 ff. StGB)<br />
Im Bereich der Umweltdelikte sind ober- und höchstrichterliche Verfallsentscheidungen – soweit<br />
ersichtlich – bisher kaum ergangen.<br />
Hier kann an ggf. ersparte Aufwendungen angeknüpft werden, die den Verfallsadressaten rechnerisch<br />
erfassbar besser gestellt haben. Hat z.B. ein Unternehmer, der nach §§ 324, 326 StGB<br />
bestraft wird, giftige Abfallstoffe in ein Gewässer eingeleitet und dadurch die Kosten für die Sondermüllbeseitigung<br />
erspart, kann dieser Vermögensvorteil über die Verfallsbestimmungen abgeschöpft<br />
werden 59 .<br />
54 Angelehnt an den „Falk-Fall“, BGH, Urteil vom 29.06.2010, 1 StR 245/09 (vereinfacht dargestellt); hierzu kri-<br />
tisch Bauer, NStZ 2011, 396 ff.<br />
55 BVerfG, Beschluss vom 11.12.2008, 2 BvR 1871/08; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 07.07.2006, 2 BvR<br />
527/06.<br />
56 Lohse, JR 2009, 189 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 28.01.2004, 2 BvR 152/04; vgl. auch LG Kleve,<br />
Urteil vom 17.03.2005, 211 Ns 300 Js 262/04 (1/05).<br />
57 Lohse a.a.O.<br />
58 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 26; a.A. Fischer, StGB, 58.<br />
Auflage 2011, § 73 Rn 9; Odenthal, NStZ 2006, 14.<br />
59 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 1. Auflage 2006, 3. Teil Rn. 422; Schmidt,<br />
Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73 Rn. 22; Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73<br />
Rn. 9.<br />
26
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Nicht einheitlich ist hingegen die Rechtsprechung bei Vergehen nach § 327 StGB.<br />
Nach einer Entscheidung des Landgerichts Münster sollen bei einem Unternehmer, der ohne die<br />
erforderliche Genehmigung eine an sich genehmigungsfähige Anlage strafbewehrt im Sinne des §<br />
327 StGB betrieben hat, nur die ersparten Aufwendungen für die erforderliche Genehmigung und<br />
die Durchführung des dafür vorgesehenen Verfahrens als unmittelbar Erlangtes abgeschöpft werden<br />
können 60 .<br />
Unter Bezugnahme auf den Beschluss des BGH vom 27.01.2010, 5 StR 224/09, führt das Landgericht<br />
zur Begründung aus, dass strafrechtlich bemakelt lediglich der Betrieb der grundsätzlich genehmigungsfähigen<br />
Anlage ohne die notwendige Genehmigung gewesen sei 61 . Im Wesentlichen<br />
wird daher auf die Figur des rechtmäßigen Alternativverhaltens rekurriert 62 .<br />
Demgegenüber kommt das OLG Hamburg bei einem vergleichbaren Sachverhalt zum Verfall des<br />
gesamten Erlöses (abzüglich der Umsatzsteuer) 63 .<br />
Zuletzt sei noch auf eine weitere bemerkenswerte Entscheidung des OLG Hamburg 64 verwiesen,<br />
der Verstöße gegen § 303 StGB und §§ 2 und 5 Baumschutzverordnung i.V.m. 49 Abs. 1 Nr. 1<br />
des Hamburgischen Naturschutzgesetzes zugrundelagen. Neben der Frage, ob ein Vorteil im Sinne<br />
der Verfallsvorschriften auch in der Möglichkeit liegen kann, eine Gewinnchance zu realisieren,<br />
sieht das OLG Hamburg im vorliegenden Fall den Vermögensvorteil darin, dass durch das rechtswidrige<br />
Abholzen der Bäume eine Wohnsituation mit direktem „Elbblick“ geschaffen worden ist,<br />
was sich als wertsteigernder Faktor darstellt.<br />
(gg) Steuerhehlerei (§ 374 AO)<br />
Der Steuerhehler, der Zigaretten aufkauft oder sich sonst verschafft, erlangt (unmittelbar) im<br />
Sinne des § 73 Abs. 1 StGB zunächst die Zigaretten und durch den anschließenden Weiterverkauf<br />
den hieraus erzielten Erlös. Er erlangt indes weder aus der Tat noch für die Tat hinterzogene<br />
Steuern und Abgaben; dies gilt trotz der gesamtschuldnerischen Haftung des Steuerhehlers für<br />
(zuvor) verkürzte Steuern (§ 71 AO). Getätigte Aufwendungen für den Ankauf der Zigaretten<br />
bleiben wegen des Bruttoprinzips außer Ansatz. Ist der Steuerhehler auch Empfänger im Sinne<br />
des § 19 TabStG a.F., hat er daneben die Aufwendungen für die beim Verbringen der Zigaretten<br />
in das deutsche Steuergebiet entstandene Tabaksteuer erspart 65 .<br />
(hh) Eigene Anmerkungen<br />
Gerade der Bereich der strafbewehrten Anbahnung von (Austausch-)Verträgen insbesondere infolge<br />
korruptiver Einflussnahmen ist besonders problematisch und scheint dogmatisch nur schwer<br />
in den Griff zu bekommen zu sein.<br />
Während Hohn die Auffassung vertritt, das Erlangte läge in der Chance auf die Auftragserteilung<br />
66 , gehen die in der Rechtsprechung vertretenen Meinungen zumindest einen Schritt weiter<br />
und orientieren sich am Vertragsschluss 67 .<br />
Die frühere obergerichtliche Rechtsprechung hatte den vollständigen Zahlungsanspruch, auch<br />
unabhängig von dessen Fälligkeit und Durchsetzbarkeit, als erlangt angesehen 68 , während sich<br />
der 5. Senat (vgl. oben) am Wert des erlangten Auftrags und damit in erster Linie am Gewinn<br />
orientiert hat.<br />
Schließlich scheint der 1. Senat die vollständige, als (weitere) Folge des Vertragsschlusses vereinnahmte<br />
Summe zu präferieren (vgl. oben).<br />
60<br />
LG Münster, Beschluss vom 09.03.2011, 9 Qs 6/11.<br />
61<br />
Vgl. auch OLG Koblenz, Beschluss vom 28.09.2006, 1 Ss 247/06.<br />
62<br />
Vgl. insoweit zu § 29a OWiG: OLG Celle, Beschluss vom 30.08.2011, 322 SsBs 175/11.<br />
63<br />
OLG Hamburg, Beschluss vom 12.08.2011, 3 Ws 93/11; vgl. auch Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB<br />
Band 2/1 §§ 52-79b, 2005, § 73c Rn. 12.<br />
64<br />
OLG Hamburg, Beschluss 06.10.2009, 3 Ws 118/09.<br />
65<br />
BGH, Beschluss vom 28.06.2011, 1 StR 37/11.<br />
66<br />
Hohn, wistra 2006, 321 ff.; zust. Bauer, NStZ 2011, 396 ff.<br />
67<br />
Zust. Saliger, NJW 2006, 3377 ff.<br />
68<br />
OLG Köln, Beschluss vom 08.08.2003, 2 Ws 433/03; Thüringer OLG, Beschluss vom 27.07.2004, 1 Ws 234<br />
236/04.<br />
27
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Fortführung der Lösung Fall 6<br />
Während – vorbehaltlich etwaiger Abzüge nach § 73c StGB – nach der Auffassung<br />
von Hohn die D. GmbH 24 Mio. DM – dieser Betrag entspricht als Bestechungsgeld<br />
dem Wert der Chance, den Zuschlag für das Projekt zu erhalten – erlangt hätte,<br />
kommen 1. Strafsenat und die Oberlandesgerichte Köln und Thüringen, wenn auch<br />
mit unterschiedlichem Ansatz, zu dem wirtschaftlich betrachtet gleichen Ergebnis,<br />
dass die Gesellschaft 792 Mio. DM erlangt hätte, wohingegen nach der Rechtsprechung<br />
des 5. Senats nur auf ein Erlangtes in Höhe von 24 Mio. DM + 8 Mio. DM (als<br />
Gewinn) abgestellt werden kann.<br />
Diese auf den ersten Blick erheblichen Meinungsunterschiede relativieren sich aber<br />
bei näherer Analyse des Falls sofort wieder.<br />
Die D. GmbH, die sich in Insolvenz befand, hatte nämlich erhebliche Verluste erzielt,<br />
weshalb das LG Köln – wenn auch nicht mit zutreffender Begründung – im Ergebnis<br />
jedoch zu Recht – vom BGH bestätigt - einen Härtefall nach § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1<br />
StGB angenommen hat.<br />
Neben dem 5. Strafsenat wären somit auch die übrigen Auffassungen zu dem Ergebnis<br />
gekommen, dass eine Verfallsanordnung insgesamt ausscheidet.<br />
Dieses Ergebnis bestätigt die eingangs formulierte These, dass eine (normative) Begrenzung des<br />
Verfallsausspruchs entweder schon tatbestandlich bei der Bestimmung des (unmittelbar) Erlangten<br />
im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB oder aber später im Rahmen der Prüfung des § 73c<br />
StGB möglich ist.<br />
Unterschiede können sich indes daraus ergeben, dass eine Begrenzung auf tatbestandlicher Ebene<br />
des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB zwingend zum (anteiligen) Ausschluss des Verfalls führt, während<br />
die tatbestandliche Annahme der Entreicherung i.S.d. § 73c Abs. 1 Satz Alt. 1 StGB lediglich Ermessen<br />
eröffnet, von einer solchen Anordnung (teilweise) abzusehen.<br />
Losgelöst davon ist die Rechtsprechung des 5. Strafsenats dogmatisch betrachtet zweifelhaft.<br />
Bereits Saliger hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Senat bei der konkreten Bestimmung<br />
des wirtschaftlichen Auftragswerts mit dem Bruttoprinzip bricht. Der BGH lasse nämlich mit dem<br />
vorrangigen Abstellen auf den „Nettogewinn“ genau jenes Verrechnen von Leistung und Gegenleistung<br />
zu, das das Bruttoprinzip an sich ausschließt 69 . Davon losgelöst erscheinen aber auch die<br />
von den beiden Strafsenaten – teilweise ohne nähere Begründung – als maßgeblich anerkannten<br />
Prinzipien der „Unmittelbarkeit“ und der „(Nicht-)Bemakelung“ von schuldrechtlichem<br />
Vertrag und Erfüllungsvertrag nicht unbedingt geeignet zu sein, zu unterscheidungskräftigen Differenzierungen<br />
zu gelangen 70 . Vieles spricht daher dafür, sich in derartigen Fällen nicht von einem<br />
engen Unmittelbarkeitserfordernis leiten zu lassen und die versprochene oder erlangte Leistung,<br />
auf die die Tat jedenfalls nach ihrem Fernziel ausgerichtet ist, als erlangt anzusehen. Korrekturen<br />
können dann über § 73c StGB vorgenommen werden 71 .<br />
a. Kein Fall des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB 72<br />
Der Verfall ist in den Fällen des Erlangens aus der Tat ausgeschlossen, wenn Ansprüche von Verletzten<br />
aus der Straftat (abstrakt) vorhanden sind.<br />
Diese Regelung bezweckt, dass zum einen Ansprüche von Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2<br />
StGB gegenüber sonstigen Gläubigern privilegiert behandelt werden; zum anderen soll eine zweifache<br />
Inanspruchnahme des Täters oder Teilnehmers ausgeschlossen werden 73 .<br />
69<br />
Saliger, a.a.O.; zust. Lohse, a.a.O.; so auch BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR 166/07, Rn. 108.<br />
70<br />
Vgl. Burghart, wistra 2011, 241 ff.; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73<br />
StGB Rn. 27.<br />
71<br />
Wiedner a.a.O.<br />
72<br />
Vgl. hierzu die Ausführungen im 3. Teil „Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten“.<br />
73<br />
Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB Band 2/1 §§ 52-79b, 2005, § 73 Rn. 36.<br />
28
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
II Rechtsfolge<br />
Beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB ist der Verfall zwingend<br />
anzuordnen.<br />
Mit Rechtskraft der Entscheidung geht das Eigentum an der Sache oder das verfallene Recht auf den<br />
Staat über, wenn es dem von der Anordnung Betroffenen zu dieser Zeit zusteht (§ 73e Abs. 1 Satz 1<br />
StGB). Rechte Dritter an dem Gegenstand bleiben bestehen (§ 73e Abs. 1 Satz 2 StGB).<br />
29
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
1.2.3 Dem (Original-)Verfall unterliegende mittelbare Tatvorteile nach § 73 Abs. 2<br />
StGB<br />
I Übersicht<br />
Satz 1<br />
Verfall erstreckt sich auf<br />
gezogene Nutzung<br />
Begriff Nutzungen ist in<br />
§ 100 BGB definiert.<br />
Es sind demnach die Früchte<br />
einer Sache oder eines Rechtes<br />
sowie die Vorteile, die der<br />
Gebrauch der Sache oder des<br />
Rechts gewährt<br />
Beispiele:<br />
Miet-, Pachtzins,<br />
Dividenden, Kapitalzinsen<br />
II Anwendungsbereich<br />
Fall 10<br />
§ 73 Abs. 2 StGB<br />
Satz 2<br />
Verfall kann sich erstrecken auf Gegenstände, die Täter/Teilnehmer<br />
durch Veräußerung<br />
eines erlangtenGegenstandes<br />
erworben<br />
hat<br />
Beispiel:<br />
Veräußerungs-<br />
erlös<br />
auf Grund eines<br />
erlangten Rechts<br />
erworben hat<br />
Beispiele:<br />
Realisierung<br />
eines erschwindelten<br />
Anspruchs,<br />
Taterlangtes wird<br />
bei einer Bank<br />
angelegt<br />
(Rechts-<br />
forderung)<br />
als Ersatz für die<br />
Zerstörung,<br />
Beschädigung<br />
oder Entziehung<br />
des Originalgegen-<br />
standes<br />
erworben hat<br />
Beispiele:<br />
Ersatzwagen,<br />
Versicherungsleistung<br />
Beachte: § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB ist eine Kann-Vorschrift. Allerdings<br />
ergibt sich aus § 73 a StGB, dass die Anordnung<br />
des Wertersatzes zwingend ist, falls vom Verfall des Ersatzgegenstandes<br />
Abstand genommen wird.<br />
A., B. und C. erzielten aus einem Rauschmittelgeschäft insgesamt 150.000,- Euro in<br />
bar, die anteilig untereinander aufgeteilt wurden.<br />
A. legt seinen Anteil in Höhe von 50.000,- Euro auf einem Festgeldkonto an und erzielt<br />
eine Rendite von 6% p.a. B. kauft eine Gaststätte, die er anschließend für<br />
5.000,- Euro verpachtet, während C. einen Mercedes im Wert von 60.000,- Euro für<br />
nur 50.000,- erwirbt. Infolge eines Unfalls wird der Pkw total beschädigt, woraufhin<br />
die Versicherung den C. mit 55.000,- Euro entschädigt.<br />
Die Falllösung soll täterbezogen – zunächst ohne Berücksichtigung der Figur der „gesamtschuldnerischen<br />
Haftung“ – vorgenommen werden.<br />
§ 73 Abs. 2 StGB ist eng angelehnt an die Regelung des § 818 Abs. 1 BGB. Wie im zivilrechtlichen<br />
Bereicherungsrecht, wo der Kondiktionsgläubiger neben der Herausgabe des Bereicherungsgegenstandes<br />
selbst, was direkt aus § 812 Abs. 1 BGB folgt, auch Nutzungen und ggf. bestimmte Surrogate<br />
heraus verlangen kann, ist dies auch für den Verfallsgläubiger möglich.<br />
30
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Demnach erstreckt § 73 Abs. 2 Satz 1 StGB den Verfall zwingend auf tatsächlich gezogene Nutzungen<br />
(im Sinne der §§ 99, 100 BGB), also etwa auf Zinsen oder sonstige Dividenden, während § 73 Abs. 2<br />
Satz 2 StGB insoweit Ermessen einräumt, auch auf Surrogate (Ersatzgegenstände) Zugriff zu nehmen.<br />
Sicherungsmaßnahmen im Wege der Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 1 und 111c StPO und der<br />
Verfallsausspruch auch gestützt auf § 73 Abs. 2 StGB sind indes nur dann möglich, wenn Nutzungen<br />
resp. Surrogate ihrerseits im Original noch vorhanden sind. Ist dies hingegen nicht (mehr) feststellbar,<br />
kommt nur noch der Verfall von Wertersatz nach § 73a StGB in Betracht.<br />
Entgegen dem Wortlaut ist der Verfall gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 StGB auch dann möglich und zwingend<br />
anzuordnen, wenn nach dem Untergang des zunächst unmittelbar Erlangten Nutzungen aus dem<br />
angefallenen Surrogat (im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB) erzielt worden sind 74 . Anderenfalls würde<br />
der Täter gemessen an seiner Vermögenssituation vor der Tat besser gestellt.<br />
Sieht das Gericht im Rahmen fehlerfrei ausgeübten Ermessens vom (Surrogat-)Verfall ganz oder teilweise<br />
ab, so kommt § 73a Satz 1 Alt. 3 StGB (anteilig) zum Tragen.<br />
Lösung Fall 10<br />
A. und B. haben die ursprünglich in bar vereinnahmten (Original-)Erlöse von jeweils<br />
50.000,- Euro investiert, A. auf einem Festgeldkonto und B. über den Kauf der Gaststätte,<br />
und damit Surrogate (im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB) erlangt, nämlich<br />
bei A. die Forderung auf Auszahlung des Guthabenbetrages und bei B. die Gaststätte.<br />
Die darüber hinaus jeweils erzielten Nutzungen unterliegen gleichfalls dem Verfall.<br />
Bei beiden Tätern kann daher die Verfallsanordnung ausschließlich auf § 73 Abs. 2<br />
StGB gestützt werden, sofern diese mittelbaren Tatvorteile insgesamt noch vorhanden<br />
sind. Sollte die Gaststätte dagegen an Wert verloren haben und ggf. nur schwer<br />
veräußerbar sein, wäre es aber auch möglich, neben dem Verfall der erzielten Pachtzinsen<br />
anteilig den Verfall von Wertersatz in Höhe von 50.000,- Euro anzuordnen.<br />
Unter taktischen Gesichtspunkten macht dies aber nur dann Sinn, wenn B. noch über<br />
weitere legale Vermögenswerte verfügt.<br />
Bei C. ist der Verfall nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB gleichfalls unmöglich geworden.<br />
Auch der Verfall des ersatzhalber erworbenen Pkws im Wert von 60.000,- Euro scheidet<br />
aus. Rückgriff kann vielmehr genommen werden auf die von der Versicherung<br />
gewährte Entschädigungszahlung in Höhe von 55.000,- Euro als Surrogat des Surrogates.<br />
Der weitergehende auf § 73a Satz 2 StGB gestützte Verfall von Wertersatz in<br />
Höhe von 5.000,-Euro als Differenz zwischen dem ursprünglichen Verkehrswert des<br />
Mercedes und der Versicherungsleistung dürfte dagegen ausscheiden, da der Wortlaut<br />
der Norm diesen Fall nicht erfasst und ansonsten der Täter ungerechtfertigt belastet<br />
würde. Wäre dagegen im Ausgangsfall der Mercedes nur 40.000,- Euro wert<br />
gewesen und nicht untergegangen, so käme neben dem Verfall des Mercedes nach §<br />
73 Abs. 2 Satz 2 StGB der anteilige Verfall von Wertersatz gem. § 73a Satz 2 StGB<br />
über 10.000,- Euro infrage.<br />
1.2.4 Der dritteigentümerbezogene Verfall gem. § 73 Abs. 4 StGB<br />
Nach § 73 Abs. 4 StGB wird der Verfall eines Gegenstandes auch dann angeordnet, wenn er einem<br />
Dritten gehört oder zusteht, der ihn für die Tat oder sonst in Kenntnis der Tatumstände gewährt hat.<br />
Anders als bei § 73 Abs. 1, 2 und 3 StGB fallen hier Gewahrsam und dingliche Position resp. Rechtsinhaberschaft<br />
an dem Gegenstand insofern auseinander, dass Täter, Teilnehmer oder Andere (im Sinne<br />
des § 73 Abs. 3 StGB) Gewahrsam an dem Verfallsgegenstand haben, während ein Dritter dinglich<br />
berechtigt bzw. Rechtsinhaber ist.<br />
Erfasst sind somit – wie oben im Fall 1 – Konstellationen, in denen eine nicht notwendig tatbeteiligte<br />
dritte Person dem Täter einen Gegenstand zugewendet hat, dieser aber – wegen Nichtigkeit des<br />
Übereignungsgeschäfts nach §§ 134, 138 BGB – nicht Eigentümer geworden ist, so dass der Verfall<br />
nach § 73 Abs. 1 StGB ausscheidet 75 ; lediglich eine Gebrauchsüberlassung seitens des Dritten ist aber<br />
74 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 26.<br />
75 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 39.<br />
31
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
nicht ausreichend 76 . Die Anordnung richtet sich insoweit gegen den Tatbeteiligten, der den Gegenstand<br />
erlangt hat 77 , wobei der Dritte gem. §§ 442 Abs. 1, 431 StPO am Verfahren zu beteiligen ist.<br />
1.2.5 Der Verfall nach § 73 Abs. 3 StGB<br />
Frage:<br />
Worin liegt die besondere Bedeutung des Drittempfängerverfalls?<br />
Im Rahmen der Vermögensabschöpfung kommt § 73 Abs. 3 StGB, der den so genannten „Drittempfängerverfall“<br />
normiert, nicht nur materiell-, sondern auch verfahrensrechtlich eine zentrale Bedeutung<br />
zu.<br />
Das hängt zum einen damit zusammen, dass bei einer Vielzahl von Fallgestaltungen zunächst nicht die<br />
strafbewehrt handelnden Organe etc., sondern die hinter ihnen stehenden bzw. von ihnen vertretenen<br />
juristischen Personen u.a. verfallsrelevant etwas erlangt haben.<br />
Zum anderen ist vermehrt festzustellen, dass insbesondere Täter aus dem Kreis der organisierten<br />
(Wirtschafts-)Kriminalität teilweise auch schon im Vorfeld der eigentlichen Straftaten und mitunter bei<br />
Zuhilfenahme anwaltlicher Beratung auf vielfältige Weise vermögensrelevante Dispositionen vornehmen,<br />
um sich – jedenfalls nach außen hin – (vermeintlich) zu entreichern und damit den staatlichen<br />
Zugriff zu erschweren oder zu vereiteln. Derartige Bemühungen zeigen sich beispielsweise in der Weitergabe<br />
inkriminierter Vermögenswerte an nahe Angehörige, in der Durchführung von Scheingeschäften<br />
oder in der Begründung komplexer Treuhandverhältnisse.<br />
Vor diesem Hintergrund hat sich hierzu in den letzten Jahren eine umfangreiche Judikatur entwickelt.<br />
Im Kern geht es dabei in erster Linie um den Anwendungsbereich des § 73 Abs. 3 StGB und andere<br />
materiell-rechtliche Lösungsansätze außerhalb des Drittempfängerverfalls, etwa über das Anfechtungsgesetz<br />
78 . Daneben werden aber auch Fragen zu den Möglichkeiten des Organdurchgriffs, der<br />
gesamtschuldnerischen Haftung oder eines Härtefalls nach § 73c StGB behandelt. Schließlich können<br />
sich bei vorläufig sichernden Maßnahmen nach §§ 111b ff. StPO auch spezifisch verfassungsrechtliche<br />
Probleme im Zusammenhang mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art.<br />
13 GG) und mit der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) stellen.<br />
76 Fischer a.a.O.<br />
77 Fischer a.a.O.<br />
78 Vgl. Rhode, wistra 2012, 85 ff.<br />
32
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
II Anwendungsbereich des § 73 Abs. 3 StGB<br />
a. Übersicht<br />
b. Systematische Stellung<br />
Handeln für einen Anderen<br />
In den Fällen Faktisches Verschiebungsfälle Sonderfall<br />
des § 14 StGB Handeln des<br />
Täters/Teilnehmers 1. Täter überträgt inkrimi- Übertragung von (ursprünglich)<br />
- Organvertretung auch im Interesse niertes Vermögen unent- legalem Vermögen auf Dritte<br />
eines Dritten geltlich auf Dritten<br />
und der §§ 164 ff. 1. bei drohender Zwangsvoll-<br />
BGB 2. Täter überträgt inkrimi- streckung (BVerfG, Beschluss<br />
niertes Vermögen entgelt- vom 12.11.2002, 2 BvR 1513/02)<br />
- Offene Stellvertretung lich auf Dritten, dem die<br />
Herkunft des Vermögens 2. im Rahmen infolge einer<br />
bekannt ist. Straftat ersparter Aufwendungen<br />
(OLG Düsseldorf, Beschluss vom<br />
3. Täter überträgt inkrimi- 02.04.2009, III-1 Ws 119/09;<br />
niertes Vermögen entgelt- OLG Köln, Beschluss vom<br />
lich auf Dritten, der leicht- 23.09.2009, 2 Ws 440/09)<br />
fertig die Herkunft nicht<br />
kennt.<br />
Rechtsfolge<br />
Inanspruchnahme des Dritten<br />
gem. § 73 Abs.3 StGB<br />
Erfüllungsfall<br />
- Täter wendet gutgläubigem Dritten<br />
Tatvorteile zu<br />
- in Erfüllung einer nicht bemakelten<br />
entgeltlichen Forderung<br />
- deren Inhalt und Entstehung in keinem<br />
Zusammenhang mit der Tat stehen<br />
(BGH, Urt. vom 19.10.1999,<br />
Az. 5 StR 336/99)<br />
§ 73 Abs. 3 StGB ist in die Regelung des (Original-)Verfalls eingebettet und erlaubt den Zugriff beim<br />
Drittempfänger, der über den Vermögensvorteil sowohl tatsächlich als auch rechtlich wirksam verfügen<br />
muss 79 . Ein „erweiterter Drittempfängerverfall“ in der Diktion des § 73d StGB ist hingegen von<br />
Gesetzes wegen ausgeschlossen.<br />
Aus der Gesetzessystematik ergibt sich weiter, dass der Andere – im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB –<br />
nicht Täter oder Teilnehmer sein kann 80 .<br />
79 Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 158 ff. und 262.<br />
80 BGH, Urteil vom 06.11.1990, 1 StR 718/89.<br />
33
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Schließlich darf infolge der im Verhältnis zu § 73 Abs. 1 und Abs. 2 StGB strengen Akzessorietät des §<br />
73 Abs. 3 StGB der Drittempfängerverfall nicht weitergehen als beim Tatbeteiligten selbst 81 .<br />
c. Adressatenkreis<br />
Der Andere im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB kann zunächst jede natürliche oder juristische Person (des<br />
öffentlichen Rechts), aber auch eine Personengesellschaft oder Vereinigung ohne eigene Rechtsfähigkeit<br />
sein, sofern sie Träger eines Vermögens sein können, das vom Privatvermögen der einzelnen<br />
Gesellschafter bzw. Mitglieder zu unterscheiden ist 82 .<br />
d. Drittempfängerverfall nach BGHSt 45, 235 ff. 83<br />
Bei dem Urteil handelt es sich um die Grundsatzentscheidung des BGH zu § 73 Abs. 3 StGB; die zentralen<br />
Leitsätze entsprechen der ständigen Rechtsprechung aller Senate.<br />
Zum besseren Verständnis sollte zwischen Fällen des Erlangens beim Drittempfänger ohne und nach<br />
(Durchgangs-)Erwerb beim Tatbeteiligten differenziert werden 84 .<br />
(1) Vertreterfälle i.e.S. und i.w.S. (ohne Durchgangserwerb beim Tatbeteiligten)<br />
Fall 11<br />
A. ist (Allein-)Geschäftsführer und Gesellschafter der A. GmbH. Infolge von Betrugstaten<br />
des A. gehen auf dem Geschäftskonto der A. GmbH insgesamt 100.000,- Euro<br />
ein. Noch vor der Entdeckung der Taten fällt die Gesellschaft in Insolvenz.<br />
Fall 12<br />
A. besticht den Kommunalbeamten B., um Kenntnis von den Angeboten der übrigen<br />
Mitbewerber zu bekommen und auf diese Weise über ein günstigeres Angebot den<br />
Zuschlag für ein von der Körperschaft ausgeschriebenes Projekt zu erhalten. Entsprechend<br />
ihrer Vereinbarung wendet A. direkt der Ehefrau des B. einen Pkw als Bestechungslohn<br />
zu, der anschließend auf sie zugelassen wird.<br />
Zu den Vertretungsfällen (im engen Sinne) gehört das strafbewehrte Handeln als Organ, Vertreter<br />
oder Beauftragter im Sinne des § 14 StGB, das zu einem Vermögenszuwachs unmittelbar bei dem<br />
Dritten geführt hat.<br />
Darüber hinaus erfasst die Vorschrift auch das Handeln sonstiger Angehöriger einer Organisation, die<br />
im Organisationsinteresse tätig werden, etwa leitender Angestellter 85 .<br />
Fließt in solchen Fällen dem Dritten der Vorteil zu, so hat der Täter oder Teilnehmer (zumindest faktisch)<br />
für den Dritten gehandelt 86 .<br />
Der Organdurchgriff (vgl. die Lösung zu Fall 11) bleibt auf Ausnahmefälle beschränkt.<br />
81<br />
Rönnau, Münchener Anwaltshandbuch, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2006, § 12 Rn.<br />
110 ff.<br />
82<br />
Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 265 ff.<br />
83<br />
BGH, Urteil vom 19.10.1999, 5 StR 336/99.<br />
84<br />
Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 270 ff.<br />
85<br />
Vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 21.08.2002, 1 StR 115/02.<br />
86<br />
Vgl. auch OLG Hamburg, Beschluss vom 06.10.2009, 3 Ws 118/09.<br />
34
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Lösung zu Fall 11<br />
Hier hat ausschließlich die A. GmbH 100.000,- Euro erlangt. Da das Erlangte im Original<br />
nicht mehr vorhanden ist, kommt die Anordnung des Verfalls von Wertersatz<br />
gem. § 73a Satz 1 Alt. 2 StGB infrage, die grundsätzlich trotz des anhängigen Insolvenzverfahrens<br />
noch möglich ist 87 . Allerdings bleibt zu prüfen, ob nicht ein Härtefall<br />
nach § 73c StGB gegeben ist, der den Verfall (anteilig) ausschließt.<br />
Trotz Vorliegens einer so genannten „Ein-Mann-GmbH“ ist der Durchgriff auf A. als<br />
Organ ausgeschlossen. Die Vermögenssphären des handelnden Organs und der Gesellschaft,<br />
die den Vermögenszuwachs unmittelbar erzielt hat, sind streng voneinander<br />
zu trennen. Die Rechtsprechung lässt nur in besonderen Ausnahmefällen den<br />
Rückgriff auf den Täter oder Teilnehmer zu. Voraussetzung dafür wäre, dass sich<br />
dessen Vermögensbilanz selbst geändert hat; die nur rein faktische Möglichkeit, über<br />
das Geschäftskonto der Gesellschaft zu verfügen, reicht indes nicht aus.<br />
Derartige, einen Rückgriff rechtfertigende Umstände können etwa darin liegen, dass<br />
der Täter die Gesellschaft nur als einen formalen Mantel seiner Tat nutzt, eine Trennung<br />
zwischen der eigenen Vermögenssphäre und derjenigen der Gesellschaft aber<br />
nicht vornimmt, oder darin, dass jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die<br />
Gesellschaft zugleich an den Täter weitergeleitet wird 88 .<br />
Lösung Fall 12<br />
Vorliegend hat A. im faktischen Interesse seiner Ehefrau gehandelt, bei der sich ein<br />
Vermögenszuwachs eingestellt hat. § 73 Abs. 3 StGB ist unmittelbar anwendbar. 89 .<br />
(2) Verschiebungsfall (mit Durchgangserwerb beim Tatbeteiligten)<br />
Fall 13<br />
A. und B. haben den Verkauf von 1 Kg Heroin gewinnbringend abgewickelt und daraus<br />
einen Gesamterlös von 100.000,- Euro erzielt, den sie anteilig untereinander aufteilen.<br />
A., der aufgrund einschlägiger Vorerfahrungen mit Finanzermittlungen der Polizei<br />
rechnet, bittet seinen Freund C., das Geld für ihn treuhänderisch anzulegen. C.<br />
kommt der Bitte nach und deponiert den Betrag auf einem von ihm eigens neu begründeten<br />
Konto bei der S-Bank. B. hingegen wendet 25.000,- Euro unentgeltlich<br />
seiner gutgläubigen Freundin F. zu; die übrigen 25.000,- Euro deponiert er bei D.,<br />
der eine ungefähre Ahnung von der Herkunft der Gelder hat. D. erhält absprachegemäß<br />
im Vorhinein 1.000,- Euro Honorar für seine Tätigkeit.<br />
Nach der Rechtsprechung des BGH werden auch die so genannten Verschiebungsfälle vom Anwendungsbereich<br />
des § 73 Abs. 3 StGB erfasst 90 .<br />
87<br />
Vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2005, 5 StR 119/05.<br />
88<br />
BVerfG, Beschluss vom 29.05.2006, 2 BvR 820/06, Rn. 27; BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR 166/07, Rn. 126<br />
- zitiert nach juris -.<br />
89<br />
Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 4. Auflage, S. 72.<br />
90<br />
BGH, Urteil vom 19.10.1999, 5 StR 336/99; vgl. hierzu auch Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12.<br />
Auflage, 2010, Bd. 3, § 73 Rn. 54 ff.; Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB, 2005, Bd. 2/1, § 73 Rn. 52<br />
ff.; Hofmann, wistra 2008, 401 ff.; Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren,<br />
4. Aufl., 2010, S. 70 ff.; Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 284 ff.<br />
35
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Frage:<br />
Was sind Verschiebungsfälle?<br />
Diese zeichnen sich dadurch aus, dass der Täter oder Teilnehmer einem Dritten die Tatvorteile unentgeltlich<br />
oder aufgrund eines bemakelten Rechtsgeschäfts zukommen lässt, um sie dem Zugriff des<br />
Gläubigers zu entziehen oder um die Tat zu verschleiern. Der BGH sieht den Dritten hier in der Nähe<br />
zur Tatbeteiligung, wenngleich der Täter die Tat und auch die spätere Vermögensverschiebung regelmäßig<br />
primär im eigenen Interesse und allenfalls faktisch (auch) im Interesse des Dritten begehen<br />
wird. Diese Konstruktion ähnelt somit § 822 BGB, der – als Ausnahmefall im Zivilrecht – im Wege der<br />
Durchgriffskondiktion die allerdings nur subsidiäre Inanspruchnahme des unentgeltlich Erlangenden<br />
erlaubt, wohingegen strafrechtlich der zuerst erlangende Täter und (nach Durchgangserwerb) der<br />
Drittempfänger gesamtschuldnerisch haften 91 .<br />
Lösung Fall 13<br />
Zunächst können A. und B. gesamtschuldnerisch haftend gemäß § 73a StGB in Anspruch<br />
genommen werden, da der ursprünglich erlangte Erlös in Höhe von 100.000,-<br />
Euro im Original nicht mehr vorhanden ist 92 .<br />
Ferner erlaubt § 73 Abs. 3 StGB den Zugriff bei C. und bei F., die jeweils unentgeltlich<br />
inkriminiertes Vermögen im Wege eines Verschiebungsfalls erlangt haben. Infolge<br />
der unentgeltlichen Weitergabe schadet ihr guter Glaube insoweit nicht (Rechtsgedanke<br />
des § 822 BGB). Gleiches gilt auch für D., der allerdings auch wegen Geldwäsche<br />
tatverdächtig ist, so dass über § 261 Abs. 7 Satz 1 StGB i.V.m. §§ 74 Abs. 2<br />
Nr. 1 und Nr. 2, 74a Nr. 1 StGB auch die Einziehung des Geldes erwogen werden<br />
könnte. Der Umstand, dass weder A. und B. noch D. Eigentum daran erworben haben,<br />
wäre insoweit unbeachtlich. Ein echtes Konkurrenzverhältnis zwischen § 73 Abs.<br />
3 StGB und den vorgenannten Einziehungsnormen dürfte aber – anders als im Verhältnis<br />
der §§ 73 Abs. 1 und 73 Abs. 3 StGB – nicht bestehen.<br />
Daneben unterliegt sein Honorar in Höhe von 1.000,- Euro, das er für seine Tat erhalten<br />
hat, direkt dem Verfall (§ 73 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB).<br />
Fortführung folgt!<br />
Die Rechtsprechung des BGH wird gerade auch vor dem Hintergrund des angedeuteten Konkurrenzverhältnisses<br />
zwischen dem täter- oder teilnehmerbezogenen Verfall (von Wertersatz) nach §§ 73<br />
Absätze 1 und 2, 73a StGB und dem Drittempfängerverfall (von Wertersatz) nach §§ 73 Abs. 3, 73a<br />
StGB nicht unkritisch gesehen:<br />
Während Joecks den diesbezüglichen praxisrelevanten Anwendungsbereich auf die Fälle der<br />
Befriedigung eines Bösgläubigen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 261 StGB beschränkt<br />
sieht 93 , da der Bösgläubige als Dritter nicht Täter oder Teilnehmer sein darf, wendet<br />
Rönnau ein, dass – abgesehen davon, dass noch nicht geklärt ist, was unter einem bemakelten<br />
Rechtsgeschäft genau zu verstehen ist – die im Rahmen der Rechtsfortbildung vom BGH<br />
entwickelten beiden Untergruppen der so genannten Verschiebungsfälle im Ergebnis vom Gesetz<br />
nicht vorgesehene Beweiserleichterungen darstellen würden. Bezüglich der Fallgruppe<br />
der bemakelten Rechtsgeschäfte liege der Mangel wohl in dem Verdacht der verdeckten<br />
Unentgeltlichkeit oder in der Durchführung eines Scheingeschäfts, was im Ergebnis auf die<br />
Variante der unentgeltlichen Weitergabe von inkriminierten Vermögenswerten hinauslaufen<br />
91<br />
BGH, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 09.12.2005, 3 BGs 173/05; BGH, Urteil vom 30.05.2008, 1 StR<br />
166/07.<br />
92<br />
Fragen nach einer möglichen (teilweisen) Surrogation (Ansprüche von A und B aus §§ 667, 675 BGB) sollen<br />
zunächst außer Betracht bleiben.<br />
93<br />
Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB, 2005, Bd. 2/1, § 73 Rn. 68.<br />
36
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
würde, wobei auch dort die Vermutung nahe liege, dass die Übertragung nur auf Zeit oder<br />
nur zum Schein erfolgt sei 94 .<br />
(3) Erfüllungsfall<br />
Fortführung der Lösung Fall 13<br />
Der Ansicht von Rönnau folgend käme es im Verhältnis von A. und C. zu nicht ungefährlichen<br />
Sicherungslücken. Sollte A. ansonsten über kein pfändbares Vermögen<br />
mehr verfügen, läge nur noch in seinem (Herausgabe-)Anspruch gegenüber C. nach<br />
§ 667 BGB (als etwaiges Surrogat im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB) die einzige<br />
pfändbare Vermögensposition. Bei einer Forderungspfändung würde demnach C. als<br />
Drittschuldner nur verboten, an A. zu leisten, wohingegen er selbst weiterhin faktisch<br />
über sein Konto bei der S-Bank verfügen könnte. Daneben bestünde die weitere Gefahr,<br />
dass im Falle des kollusiven Zusammenwirkens C. eine falsche Drittschuldnererklärung<br />
abgibt.<br />
Eine effektive Sicherung würde demnach auch dessen Inanspruchnahme über einen<br />
gegen ihn selbst gerichteten (Sicherungs-)Titel erfordern.<br />
Fall 1495 :<br />
A. und B., Inhaber der A & B GbR, haben über Scheinrechnungen der B. GmbH zu<br />
Unrecht Vorsteuerbeträge generiert und im Rahmen der Umsatzsteuerjahreserklärung<br />
für das Jahr 2010 insoweit falsche Angaben gemacht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO);<br />
dementsprechend wurden ihnen zu Unrecht Vorsteuererstattungen in Höhe von<br />
500.000,- Euro auf das Geschäftskonto der GbR ausgezahlt. A,. der für Geschäftsverbindlichkeiten<br />
seiner Ehefrau im Rahmen eines Darlehens bei der S. Bank persönlich<br />
gebürgt hatte, wurde in dieser Eigenschaft in Anspruch genommen und überwies<br />
vom Konto der GbR 150.000,- Euro an die S. Bank.<br />
Kann nunmehr die S. Bank gestützt auf § 73 Abs. 3 StGB in Anspruch genommen<br />
werden?<br />
Nach der Rechtsprechung des BGH liegt ein § 73 Abs. 3 StGB nicht unterliegender<br />
Erfüllungsfall vor, wenn der Täter oder Teilnehmer einem gutgläubigen Dritten Tatvorteile<br />
zuwendet, und zwar in Erfüllung einer nicht bemakelten entgeltlichen Forderung,<br />
deren Entstehung und Inhalt in keinem Zusammenhang mit der Tat stehen.<br />
Zwar mag der Täter auch hier – zumindest faktisch – im Interesse des Dritten, seines Gläubigers,<br />
handeln, denn er begeht die Tat zumeist, weil er in finanziellen Schwierigkeiten ist und von seinen<br />
Gläubigern bedrängt wird. Das (isolierte) Kriterium des faktischen Interesses kann aber bei dieser<br />
Fallgestaltung nicht bedeuten, dass damit bereits der Anwendungsbereich des § 73 Abs. 3 StGB eröffnet<br />
ist 96 .<br />
Lösung Fall 14:<br />
Die Inanspruchnahme der S. Bank über § 73 Abs. 3 StGB ist vorliegend ausgeschlossen.<br />
Anders als in den Fällen, die § 822 BGB (analog) unterfallen, ist die S. Bank<br />
schutzwürdig, die im Übrigen den Betrag auch nicht unmittelbar (im Sinne des § 73<br />
Abs. 3 StGB), sondern im Rahmen eines durch eine Zäsur getrennten und damit von<br />
der Tat unabhängigen Rechtsgeschäfts erlangt hat.<br />
94 Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 284 ff.<br />
95 Angelehnt an BGH, Urteil vom 19.10.1999, 5 StR 336/99.<br />
96 BGH a.a.O.<br />
37
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
e. Weitere Fallgestaltungen<br />
Die systematische Stellung des § 73 Abs. 3 StGB in das Normgefüge des (Original-)Verfalls und dessen<br />
Wortlaut legen es zunächst nahe, dass zur Begründung eines Verschiebungsfalls die Weitergabe des<br />
originär inkriminierten Vermögens im Sinne des § 73 Abs. 1 und Abs. 2 StGB erforderlich ist. Bei verschiedenen,<br />
eher atypischen Fallgestaltungen ergeben sich daher Zweifel, ob der Zugriff bei einem<br />
Dritten gestützt auf § 73 Abs. 3 StGB noch möglich ist.<br />
(1) Vermischung von inkriminiertem mit legalem Vermögen<br />
Fall 1597 :<br />
Auch die Entscheidung des OLG Hamburg steht in Zusammenhang mit dem „Falk-<br />
Komplex“; der relevante Sachverhalt ist bereits im Rahmen des Falls 9 verkürzt wiedergeben<br />
worden.<br />
Im Rahmen der Weiterleitung des gezahlten Kaufpreises wurden verschiedene Gesellschaften<br />
eingebunden, so u.a. auch die DSF AG und die AFH GmbH.<br />
Nachdem zunächst auf einem Konto der DSF AG ein Teil des Kaufpreises in Höhe von<br />
rund 52.500.000,- Euro verbucht worden war, überwies der Geschäftsführer der AG<br />
einen Betrag in dieser Höhe an die AFH GmbH, wo einige Tage später 52.500.000,-<br />
Euro dem Geschäftskonto dieser Gesellschaft gutgeschrieben wurden. Die Besonderheit<br />
des Falls lag darin, dass auf dem Konto der DSF AG vor Eingang der Zahlung bereits<br />
ein Guthabensaldo von ebenfalls ungefähr 52.000.000,- Euro, aus nicht strafbewehrten<br />
Quellen herrührend, bestand.<br />
Kann daher unter Annahme eines Verschiebungsfalls die AFH GmbH in Anspruch genommen<br />
werden?<br />
Frage:<br />
Warum erscheint der Fall problematisch?<br />
Unproblematisch wäre der Fall dann zu beurteilen gewesen, wenn der inkriminierte Erlös entweder<br />
Schritt für Schritt in bar weitergegeben worden wäre oder aber sich der Stand des Geschäftskontos<br />
der DSF AG zum Zeitpunkt der Verbuchung der Überweisung auf 0,- Euro belaufen hätte. In beiden<br />
Varianten wäre klar gewesen, dass originär Erlangtes im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB weitergereicht<br />
wurde.<br />
Im Fall 15 ist es demgegenüber in der Sphäre der DSF AG zu einer Vermischung von inkriminierten<br />
mit legalem (Buch-)Geld gekommen. Dies dürfte wohl keine Surrogation im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz<br />
2 StGB bewirkt haben, da auf Seiten der DSF AG kein neues Recht, sondern nur ein entsprechend<br />
erhöhter Auszahlungsanspruch gegenüber dem kontoführenden Institut begründet wurde, sondern es<br />
stellt vielmehr eine „vertikale Kontamination“ dar 98 . Vor diesem Hintergrund haben die anwaltlichen<br />
Vertreter in diesem Verfahren auch eingewandt, es könne nicht eindeutig festgestellt werden, ob inkriminiertes<br />
Vermögen oder aber aus dem legalen Vermögensbestand („Bodensatztheorie“) verfügt<br />
worden sei, weshalb von einem „Erfüllungsfall“ auszugehen sei.<br />
97 Der abgewandelt wiedergegebene Sachverhalt ist angelehnt an Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom<br />
10.12.2004, 1 Ws 216/04; vgl. auch OLG Thüringen, Beschluss vom 27.07.2004, 1 Ws 234-236/04.<br />
98 Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 261 Rn. 8 und 29.<br />
38
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Lösung Fall 15:<br />
Das OLG Hamburg hat einen Verschiebungsfall angenommen.<br />
Für wirtschaftsstrafrechtliche Großverfahren ist es typisch, dass von den Tätern ein<br />
komplexer, schwer zu durchschauender Geldkreislauf in Gang gesetzt wird, um den<br />
Tatumfang und den Verbleib der Tatbeute zu verschleiern. Im Wege einer Gesamtschau<br />
bleibt es aber ausschließlich festzustellen, ob zwischen dem ursprünglichen Taterlös<br />
und dem bei dem Dritten im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB zu sichernden Betrag<br />
der vom BGH (BGHSt 45, 235 ff.) geforderte Bereicherungszusammenhang – wie hier<br />
vorliegend der Fall - besteht, oder ob durch nicht bemakelte Forderungen eine Zäsurwirkung<br />
zu dessen Gunsten eingetreten ist.<br />
(2) Weitergabe von Legalvermögen im Rahmen vorab ersparter und darin enthaltener<br />
Aufwendungen<br />
Fall 1699 :<br />
A., der ein Taxiunternehmen betreibt, ist verdächtig, in der Zeit von Januar 2000 bis<br />
Oktober 2007 Arbeitnehmeranteile nicht an die jeweils zuständige Einzugsstelle abgeführt<br />
zu haben (§ 266a StGB). Der diesbezügliche Schaden beläuft sich auf rund<br />
260.000,- Euro.<br />
Da er mit (vorläufigen) Sicherungsmaßnahmen seitens der Einzugsstellen, aber auch<br />
sonstiger staatlicher Stellen gerechnet hat, ist er beginnend im Januar 2007 dazu<br />
übergegangen, seine gesamten Einnahmen aus seiner Tätigkeit umzuleiten. Zu diesem<br />
Zweck hat er seinen Vater V. gebeten, eigens hierfür ein Konto einzurichten. Der<br />
V., der Bitte nachkommend, eröffnete daher am 04.01.2007 zwei Konten, für die seinem<br />
Sohn am 28.03.2007 auch Kontovollmacht eingeräumt wurde. Auf den zwei<br />
Konten gingen alle im Jahr 2007 erzielten Betriebseinnahmen von ungefähr 189.000,-<br />
Euro ein.<br />
Der zuständige Ermittlungsrichter erließ später gegen V. einen auf § 73 Abs. 3 StGB<br />
gestützten dinglichen Arrest über 189.000,- Euro.<br />
Zu Recht?<br />
Dieser Sachverhalt unterscheidet sich von den übrigen dadurch, dass zu keinem Zeitpunkt inkriminiertes<br />
Vermögen im herkömmlichen Sinne vorhanden war. Zwar erlangt der Täter beispielsweise einer<br />
Steuerhinterziehung oder einer Beitragsvorenthaltung ersparte Aufwendungen und somit auch ein<br />
Etwas im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB 100 , das aber infolge der Beschaffenheit des Erlangten dem<br />
Verfall nicht unterliegen kann (§ 73a Satz 1 Alt. 1 StGB). Fraglich ist daher, ob auch die Weitergabe<br />
von Legalvermögen, in dem die ersparten Aufwendungen mit enthalten sind, geeignet ist, einen Verschiebungsfall<br />
zu begründen. Ohne Zweifel besteht hierfür jedenfalls ein kriminalpolitisches Interesse.<br />
99 In Anlehnung an; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.04.2009 n.v.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 13.07.2010,<br />
1 StR 239/10; OLG Köln, Beschluss vom 25.09.2007, 2 Ws 469/07; OLG Köln, Beschluss vom 23.09.2009, 2 Ws<br />
440/09; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.10.2007, 3 Ws 308/07.<br />
100 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 9 m.w.N.<br />
39
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Lösung Fall 16:<br />
Das OLG Düsseldorf hat die Inanspruchnahme des V. bestätigt und unter Verweis auf<br />
BGHSt 45, 235 ff. einen Verschiebungsfall angenommen.<br />
Infolge des unentgeltlichen, ggf. auch primär dem Interesse des Beschuldigten dienenden<br />
Transfers sei es zu einem Vorteilseintritt auf Seiten des Arrestbeteiligten gekommen.<br />
Der für die Annahme eines Verschiebungsfalls notwendige Bereicherungszusammenhang<br />
sei ebenfalls gegeben, da mit der Transaktion beabsichtigt gewesen<br />
war, den Zugriff der deliktisch geschädigten Gläubiger zu vereiteln.<br />
Fortführung folgt!<br />
(3) Begehung einer weiteren Straftat infolge der Weitergabe von legalen Vermögenswerten<br />
an Dritte<br />
Fortführung der Lösung Fall 16:<br />
In der oben beschrieben Konstellation hätte ein Verschiebungsfall nach § 73 Abs. 3<br />
StGB auch über eine andere dogmatische Figur, die in der Rechtsprechung anerkannt<br />
ist, hergeleitet werden können 101 .<br />
A. dürfte sich nämlich auch zumindest wegen Vereitelung der Zwangsvollstreckung<br />
nach § 288 StGB strafbar gemacht haben, sofern der erforderliche Strafantrag rechtzeitig<br />
gestellt wird 102 .<br />
Hierdurch wäre zeitgleich zum Transfer selbst eine Inkriminierung der ursprünglich<br />
aus legaler Quelle stammenden Betriebseinnahmen bewirkt worden, welcher nunmehr<br />
als Verschiebungsfall hätte bewertet werden können. Bei derartigen Konstellationen<br />
bietet es sich daher an, den Sachverhalt nach weiteren, der „Anlasstat“ zeitlich<br />
nachfolgenden Straftaten wie etwa auch Bankrott, Gläubigerbegünstigung oder<br />
Geldwäsche zu untersuchen.<br />
(Weitere) Fortführung folgt!<br />
Wichtig ist zunächst aber, dass § 288 StGB nur die Vereitelung der Zwangsvollstreckung von Ansprüchen<br />
des Verletzten i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB erfasst; demgegenüber lehnt die h.M. die Erstreckung<br />
des Tatbestandes auf Forderungen zur Zahlung von Maßnahmen i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB,<br />
mithin von Verfall und Einziehung ab 103 .<br />
Weiter bleibt zu beachten, dass es sich bei dem Vergehen nach § 288 StGB um ein so genanntes Antragsdelikt<br />
handelt (§ 288 Abs. 2 StGB). Fehlt ein solcher Antrag und kann er auch nicht mehr im<br />
Rahmen der 3-Monats-Frist nachgeholt werden bzw. wurde ein bereits gestellter Strafantrag wirksam<br />
zurückgenommen, so liegt ein nicht behebbares Verfahrenshindernis im Sinne der §§ 206a, 260 Abs. 3<br />
StPO vor. Abhängig vom Stand des Verfahrens müsste es entweder nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt<br />
oder aber entweder im Zwischenverfahren nach § 206a StPO oder durch Prozessurteil nach § 260 Abs.<br />
3 StPO – jeweils in materielle Rechtskraft erwachsend – beendet werden. In einer solchen Konstellation<br />
wären aber Maßnahmen nach §§ 73 ff., 74 ff. StGB ausgeschlossen; auch das objektive Verfahren<br />
wäre dann nicht mehr durchführbar (vgl. oben).<br />
Sollten im Rahmen eines „Rückgewinnungshilfefalls“ die zum Strafantrag berechtigten originär Verletzten<br />
hiervon Abstand nehmen, so wäre zu erwägen, ob nicht die jeweilige Generalstaatsanwaltschaft in<br />
Vertretung der StA als Sicherungsgläubigerin der nach §§ 111b StPO ausgebrachten Maßnahmen 104<br />
101<br />
Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 4. Auflage, S. 77 unter<br />
Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 12.11.2002, 2 BvR 1513/02; so auch LG Münster, Urteil vom 12. April<br />
2010, 7 KLs 44 Js 67/09 (10/10).<br />
102<br />
Vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 21.09.2011, 4 StR 172/11.<br />
103<br />
Putzke, AnwaltKommentar StGB, 2010, § 288 StGB Rn. 4 m.w.N.; LG Bielefeld, Beschluss vom 17.01.1992, Qs<br />
22/92 II (7), Qs 22/92 II.<br />
104<br />
Die jeweilige Staatsanwaltschaft ist auch im Fall der Rückgewinnungshilfe Sicherungsgläubigerin.<br />
40
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
einen solchen Antrag stellt 105 , was freilich voraussetzen dürfte, dass auch die Zwangsvollstreckung<br />
gedroht hat.<br />
Eigene Stellungnahme<br />
Sowohl der Wortlaut des § 73 Abs. 3 StGB als auch eine Auslegung unter historischen und<br />
systematischen Gesichtspunkten sowie nach Sinn und Zweck stehen der Annahme von<br />
Verschiebungsfällen anlässlich der vorgenannten „atypischen“ Sachverhalte“ nicht entgegen.<br />
Im Rahmen der historischen Auslegung ist zu beachten, dass der Gesetzgeber im<br />
Vorfeld des 2. Strafrechtsreformgesetzes das Ziel verfolgt hat, eine weitgehende Abschöpfbarkeit<br />
illegitimer und unmittelbar auf eine rechtswidrige Tat sich gründender Vermögensverschiebungen<br />
zu gewährleisten 106 , und in diesem Kontext auch Parallelen zum<br />
Bereicherungsrecht nach §§ 812 ff. BGB und insbesondere § 822 BGB in den Blick genommen<br />
hat 107 .<br />
Vor diesem Hintergrund zeigt eine nähere Untersuchung, dass die nach § 822 BGB eröffnete<br />
Durchgriffskondiktion gegenüber dem Dritten nicht nur in den Fällen der unentgeltlichen<br />
Weitergabe des ursprünglich rechtsgrundlos Erlangten im Sinne des § 812 Abs. 1<br />
BGB und darüber hinaus auch gezogener Nutzungen und Surrogate nach § 818 Abs. 1<br />
BGB, sondern sogar auch im Rahmen des Transfers eines adäquaten Wertersatzes nach<br />
zuvor rechtsgrundlos erlangten Nutzungen beim Erstempfänger eröffnet ist 108 . Die zuletzt<br />
genannte Fallgruppe ist insoweit vergleichbar mit dem der Entscheidung des OLG Düsseldorf<br />
vom 02.04.2009 zugrunde liegenden Sachverhaltes, so dass nach dem Willen des historischen<br />
Gesetzgebers ein Verschiebungsfall angenommen werden könnte. Diesem Ergebnis<br />
steht auch nicht die Regelung des § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB entgegen, da diese<br />
Norm mit § 73 Abs. 3 StGB nicht hinreichend vergleichbar erscheint 109 . Etwaige Härten<br />
können schließlich über die Härtefallregelung des § 73c StGB Ausgleich finden 110 .<br />
Die Grenze ist allerdings dann zu ziehen, wenn entweder schon vor der Tatbegehung oder<br />
danach „echtes Legalvermögen“, also Vermögen ohne (Teil-)Kontamination etwa im Rahmen<br />
darin enthaltener ersparter Aufwendungen, weitertransferiert wurde.<br />
Bei der ersten Fallgruppe ist dies offensichtlich, da es an dem erforderlichen Konnex resp.<br />
dem Bereicherungszusammenhang schon in zeitlicher Hinsicht fehlt.<br />
105<br />
So im Fall des LG Münster, Urteil vom 12. April 2010, 7 KLs 44 Js 67/09m (10/10).<br />
106<br />
Vgl. Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 278.<br />
107<br />
Lieckfeldt, Die Verfallsanordnung gegen den Drittbegünstigten, 2008, S. 390 und S. 407 ff.<br />
108<br />
Schwab, Münchener Kommentar (MK), BGB, 2009, § 812 Rn. 16, und § 818 Rn. 61 und 82 ff.; vgl. auch BGH,<br />
Urteil vom 03.12.1998, III ZR 288/96.<br />
109<br />
So schon BGH, Urteil vom 19.10.1999, 5 StR 336/99.<br />
110<br />
Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 278.<br />
41
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Fall 17:<br />
A. ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten; zuletzt wurde er wegen gewerbsmäßigen<br />
Betrugs zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Nach<br />
seiner Entlassung trat er überraschend eine Erbschaft an. Das hieraus resultierende<br />
(Bar-)Vermögen in Höhe von 500.000,- Euro investierte er daraufhin in eine Immobile.<br />
Um sich rein vorsorglich zu entreichern, übertrug er das zunächst in seinem Alleineigentum<br />
stehende Grundstück im Rahmen einer ehebedingten Zuwendung<br />
unentgeltlich an seine Ehefrau E., die im Grundbuch in Abteilung 1 als Eigentümerin<br />
eingetragen wurde. Zugleich wurde zu seinen Gunsten eine beschränkte persönliche<br />
Dienstbarkeit (Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht) eingetragen. Ebenfalls wurde zu<br />
seinen Gunsten zur Sicherung seines sich aus dem notariellen Vertrag mit seiner<br />
Ehefrau ergebenden bedingten Anspruchs auf Rückübertragung des Eigentums – für<br />
den Fall von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen seine Ehefrau und der Anhängigkeit<br />
einer Scheidungsklage – eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen.<br />
1 Jahr später ging er dazu über, weitere Betrugstaten im Rahmen eines Anlagemodells<br />
zu begehen. Die ihm zur Verfügung gestellten Gelder verwandte er in unterschiedlicher<br />
Form entweder zur Finanzierung seines Lebensunterhalts oder zur Investition<br />
in hochriskante Anlageformen resp. zur Rückzahlung der versprochenen Renditen<br />
(„Schneeballsystem“). Der Gesamtschaden beläuft sich auf 1 Mio. Euro. Die Finanzermittlungen<br />
haben ergeben, dass A. über nennenswerte Vermögenswerte nicht<br />
mehr verfügt, da auch die von ihm getätigten Anlagegeschäfte zu Totalverlusten geführt<br />
haben.<br />
Lösung:<br />
Grundsätzlich kämen hier vorläufige Sicherungsmaßnahmen im Wege der Rückgewinnungshilfe<br />
zugunsten der geschädigten Anleger in Betracht. Dabei dürfte jedoch<br />
der Rückgriff auf die Ehefrau des Beschuldigten ausgeschlossen sein. Ein Verschiebungsfall<br />
nach § 73 Abs. 3 StGB liegt nicht vor, da ein Bereicherungszusammenhang<br />
zwischen den Betrugstaten und der Übertragung des Grundstücks vorliegend nicht<br />
festgestellt werden kann. Infolge des zeitlichen Abstands zwischen der ehebedingten<br />
Zuwendung und den Taten dürfte auch die Annahme eines Tatverdachts wegen Vereitelung<br />
der Zwangsvollstreckung eher fernliegend sein.<br />
Zwar mag die Übertragung – isoliert betrachtet – den Tatbestand des § 4 Anfechtungsgesetz<br />
(AnfG) erfüllen. Allerdings können nur die Verletzten und nicht die<br />
Staatsanwaltschaft als etwaige Sicherungsgläubigerin (von Maßnahmen nach §§ 111b<br />
ff. StPO) anfechtungsberechtigte Gläubiger i.S.d. § 2 AnfG sein; daran ändert auch<br />
die (abstrakte) Möglichkeit des aufschiebend bedingten Auffangrechtserwerbs nach §<br />
111i StPO nichts 111 . Die Verletzten sind daher gehalten, ausschließlich selbst entsprechend<br />
tätig zu werden.<br />
Auch bei der zweiten Fallgruppe, der Weitergabe von echtem Legalvermögen nach der Tatbegehung,<br />
nachdem zuvor der inkriminierte Erlös aus der Straftat beispielsweise verbraucht wurde, ist die Annahme<br />
eines Verschiebungsfalls rechtsdogmatisch ausgeschlossen. Dies zeigt schon ein Vergleich mit<br />
§ 822 BGB, dessen Anwendungsbereich ebenfalls nicht eröffnet wäre.<br />
111 Vgl. Huber, AnfG, 12. Aufl. 2006, § 2 Rn. 11.<br />
42
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Fortführung der Lösung Fall 16:<br />
Der Beschuldigte hat nur die Betriebseinnahmen des Jahres 2007 (inklusive der ebenfalls<br />
nur in diesem Jahr ersparten Arbeitnehmeranteile) an den Verfallsbeteiligten<br />
weitergeleitet, so dass es zunächst unter Annahme eines Verschiebungsfalls nur gerechtfertigt<br />
gewesen wäre, den in dieser Höhe bemakelten Teil des Legalvermögens<br />
als verschiebungstauglich anzusehen. Bezüglich der ersparten Aufwendungen aus<br />
den in den Vorjahren begangenen Taten ist dies jedoch gerade nicht der Fall, da diese<br />
jedenfalls nicht in den dem Drittempfänger zugewandten 189.000,- Euro enthalten<br />
waren. Infolge der tatbestandlichen Vereitelung der Zwangsvollstreckung – den rechtzeitig<br />
gestellten Strafantrag unterstellt - ist indes der gesamte Betrag inkriminiert<br />
worden, so dass die Annahme eines Verschiebungsfalls in toto gerechtfertigt war.<br />
Wie oben bereits angedeutet können sich in den Fällen, bei denen ein Zugriff beim Drittempfänger<br />
nach §§ 73 ff. StGB (zunächst) nicht möglich ist, Sicherungslücken ergeben, wenn Anhaltspunkte dafür<br />
bestehen, dass der Dritte Vermögenswerte des Täters oder Teilnehmers (verdeckt) treuhänderisch<br />
verwaltet o.ä.<br />
Fall 18:<br />
Im Jahre 2009 hat A. seinem Freund B. sein gesamtes Barvermögen in Höhe von<br />
100.000,- Euro überlassen, das B. treuhänderisch für ihn verwaltet. Zu diesem Zweck<br />
hat B. ein Konto eröffnet, über welches ausschließlich er verfügungsberechtigt ist.<br />
Im Jahr 2011 begann A. mit Betäubungsmitteln zu handeln; den Gesamterlös in Höhe<br />
von 50.000,- Euro verspielte er in diversen illegalen „Spielhöllen“.<br />
Im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung werden verschiedene handschriftliche Aufzeichnungen<br />
des A. gefunden, aus denen sich Hinweise auf seine Vermögenssituation<br />
im Jahre 2009 und die diesbezüglich relevanten Kontakte zu B. ergeben.<br />
Bei seiner zeugenschaftlichen Anhörung gibt B. an, A. hätte über die Zuwendung private<br />
Schulden beglichen.<br />
Welche vermögenssichernden Maßnahmen sollten im Ermittlungsverfahren getroffen<br />
werden?<br />
Lösung:<br />
Zunächst ist zu erwägen, gegen A. einen dinglichen Arrest in Höhe von 50.000,- Euro<br />
zu erwirken (§§ 73 Abs. 1 Satz 1, 73a StGB; 111b Abs. 2, 111d StPO). Sicherungsmaßnahmen<br />
gegen B. dürften hingegen nicht in Betracht kommen; insbesondere<br />
scheidet die Annahme eines Verschiebungsfalls aus.<br />
Alles Weitere hängt von den bis dahin durchgeführten Finanzermittlungen ab. Sollte<br />
A. neben den 100.000,- Euro nicht über weitere legale Vermögenswerte verfügen, so<br />
könnte dessen Forderung gegenüber B. auf Herausgabe der von ihm verwalteten<br />
100.000,- Euro gepfändet werden. Wie im Rahmen der Lösung des Falles 13 bereits<br />
dargelegt, könnte im Anschluss an eine solche Pfändung der Drittschuldner B. aber<br />
weiterhin über das Vermögen verfügen, da ihm lediglich verboten ist, an den A. zu<br />
leisten. Das weitere Vorgehen muss daher von dem Ziel getragen sein, B. selbst als<br />
Schuldner und die kontoführende Bank als Drittschuldner zu positionieren. Hierfür<br />
bieten sich zwei Optionen an. Zum einen wäre es möglich, die Übertragung der<br />
100.000,- Euro im Wege der Anfechtungsklage anzufechten 112 . Anders als bei der<br />
Rückgewinnungshilfe (vgl. oben) wäre die hierfür zuständige Generalstaatsanwaltsschaft<br />
auch taugliche Anfechtungsgläubigerin i.S.d. § 2 AnfG. Im Rahmen des Anfechtungsverfahrens<br />
könnten ferner auch vorläufige Sicherungsmaßnahmen im Wege<br />
der Vollziehung eines zivilprozessualen dinglichen Arrestes erfolgen 113 .<br />
Desweiteren könnte zudem erwogen werden, zur Absicherung des Anspruchsverhältnisses<br />
zwischen A. und B. gegen B. direkt einen ZPO-Arrest zu erwirken und zu vollziehen.<br />
112 Vgl. Huber, AnfG, 10. Auflage 2006, § 2 Rn. 17.<br />
113 Huber, AnfG, 10. Auflage 2006, § 2 Rn. 40 ff.<br />
43
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
1.2.6 Erlangen Mehrerer<br />
I Einführung<br />
In der staatsanwaltschaftlichen Praxis überwiegen Fallgestaltungen, bei denen nicht nur ein, sondern<br />
mehrere Täter und/oder Teilnehmer ggf. auch neben Dritten (im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB) entweder<br />
zeitgleich – etwa im Rahmen der gemeinsamen Aufbewahrung der Tatbeute – oder zeitlich sukzessive<br />
nacheinander – beispielsweise bei einem arbeitsteilig abgewickelten BtM-Geschäft – strafbewehrt<br />
(gemeinschaftlich) erlangt haben. Vergleichbare Konstellationen im Zivilrecht werden auf<br />
Rechtsfolgenseite über die Figur der gesamtschuldnerischen Haftung (§§ 823, 830, 840 i.V.m. 422 ff.<br />
BGB) gelöst.<br />
Im Strafrecht ist es umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen eine an § 426<br />
BGB angelehnte gesamtschuldnerische Haftung im Verhältnis von Tätern, Teilnehmern<br />
und Drittempfängern zum Tragen kommt und welche Folgen daraus für bereits im Ermittlungsverfahren<br />
nach §§ 111b ff. StPO veranlasste vorläufige Sicherungsmaßnahmen<br />
oder den staatlichen Auffangrechtserwerb nach § 111i StPO zu ziehen sind.<br />
II Voraussetzungen der gesamtschuldnerischen Haftung<br />
Fall 19:<br />
A. und B. haben gemeinsam den Verkauf von 1 kg Heroin, das sie zuvor in den Niederlanden<br />
erworben hatten, geplant. Die eigentliche Tat ist entsprechend der gemeinsam<br />
erfolgten Absprache dergestalt arbeitsteilig durchgeführt worden, dass B.<br />
zunächst mögliche Kaufinteressenten eruierte, im Anschluss daran jedoch A. den<br />
Verkauf vornahm und den Gesamterlös in Höhe von 100.000,- Euro in bar vereinnahmte.<br />
Danach lieferte A. den Betrag an B. ab, der ihn in einem Schließfach deponierte.<br />
Ob und in welchem Umgang später eine Aufteilung erfolgt ist, konnte nicht<br />
geklärt werden.<br />
Fall 20114 :<br />
A., B. und C. haben geplant, einen Spielclub zu überfallen, von dem sie wussten,<br />
dass dort illegales Glückspiel betrieben wird. Entsprechend dieses gemeinsam gefassten<br />
Tatplans betraten A., B. und C. die Lokalität, wobei der A. die Gäste unter Vorhalt<br />
einer Schusswaffe resp. eines einer Schusswaffe täuschend ähnlich aussehenden Gegenstandes<br />
aufforderte, sich hinzulegen. Nachdem die Anwesenden dem nachgekommen<br />
waren, durchsuchten B. und C. die am Boden Liegenden und nahmen einem<br />
Gast 22.000,- Euro, einem weiteren 3.500,- Euro und dem Betreiber des Cafés 500,-<br />
Euro ab. Danach flüchteten sie vom Tatort und fuhren gemeinsam zwei Orte in <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong><br />
an. Nicht geklärt werden konnte, ob und gegebenenfalls wie die Angeklagten<br />
das erbeutete Geld im Einzelnen untereinander aufgeteilt haben; es konnte<br />
lediglich festgestellt werden, dass der B. davon mindestens 5.500,- Euro erhalten<br />
hatte, die er zum Kauf eines Pkw Audi A3 verwandte.<br />
114 Angelehnt an BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />
44
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Entgegen vereinzelter Stimmen im Schrifttum115 halten das wohl überwiegende Schrifttum<br />
und der BGH die Figur der gesamtschuldnerischen Haftung im Verfallsrecht grundsätzlich<br />
für anwendbar 116 . Dies gilt nicht nur im Verhältnis der Tatbeteiligten untereinander, sondern<br />
auch gegenüber Drittempfängern nach § 73 Abs. 3 StGB 117 .<br />
Die Anwendungsvoraussetzungen und einige atypische Fallgestaltungen sind jedoch noch umstritten.<br />
Größere Einigkeit scheint aber zunächst dahin zu bestehen, dass eine solche Anordnung nur dann in<br />
Betracht kommt, wenn bei mehreren Tätern jeder von ihnen (wenigstens zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />
118 ) zumindest wirtschaftliche resp. faktische (Mit-)Verfügungsgewalt über den Vermögensgegenstand<br />
gehabt hat und sie sich einig waren, dass jedem die (Mit-)Verfügungsgewalt hierüber<br />
zukommen sollte 119 .<br />
Die (Mit-)Verfügungsgewalt muss dabei einen bestimmen Grad der Festigung dergestalt aufweisen,<br />
dass die Position der anderen Beteiligten nicht derart überwiegt und auf einen jederzeitigen Entzug<br />
des Gegenstandes ausgerichtet ist 120 .<br />
Nicht ausreichend ist es demgegenüber, wenn nur eine derartige Vereinbarung bestand, ohne dass<br />
tatsachlich jeder (Tat-)Beteiligte die Möglichkeit gehabt hat, über die jeweilige Vermögensposition<br />
faktisch zu verfügen 121 .<br />
Unter diesen Voraussetzungen spielt es für die Bestimmung des Erlangten keine Rolle, welchem Tatbeteiligten<br />
welcher Anteil letztlich verbleiben sollte; vielmehr ist gegenüber jedem Einzelnen der Verfall<br />
des (insgesamt) Erlangten mit der Folge der gesamtschuldnerischen Haftung anzuordnen.<br />
Somit geht Spillecke 122 mit ihrer Auffassung fehl, der Entscheidung des 3. (Straf-)Senats vom<br />
27.04.2010 123 könne eine Abkehr des Senats von dieser Figur entnommen werden 124 .<br />
Allerdings können auch bei der Haftung mehrerer als Gesamtschuldner etwaige Härten durch die Anwendung<br />
von § 73c StGB ausgeglichen werden, was – abhängig insbesondere von den jeweiligen<br />
persönlichen Verhältnissen der Verfallsbetroffenen – zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann 125 .<br />
115 Vgl. Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 259 ff.; Rönnau, Vermögensabschöpfung<br />
in der Praxis, 2003, 231 ff.; Spillecke, NStZ 2010, 568 ff. mit Anm. zu BGH, Beschluss vom<br />
27.04.2010, 3 StR 112/10; Bach, StV 2006, 446 ff.; Wehnert/Mosiek, StV 2005, 568 (573).<br />
116 BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 m.w.N.; Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 16; Joecks,<br />
Münchener Kommentar (MK), StGB Band 2/1 §§ 52-79b, 2005, § 73 Rn. 32; Rübenstahl, AnwaltKommentar<br />
StGB, 2011, § 73 Rn. 25; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. 2011, § 73 StGB<br />
Rn. 29 ff.; da Rosa, NJW 2009, 1702 ff.<br />
117 Vgl. etwa BGH, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 09.12.2005, 3 BGs 173/05.<br />
118 Vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27.04.2010, 3 StR 112/10; Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11.<br />
119 BGH, Beschluss vom 27.04.2010, 3 StR 112/10 m.w.N.; da Rosa, NJW 2009, 1702 ff. m.w.N.<br />
120 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. 2011, § 73 StGB Rn. 29.<br />
121 So aber BGH, Beschluss vom 13.11.1996, 3 StR 482/96 (aufgegeben); OLG Zweibrücken, Beschluss vom<br />
27.08.2002, 1 Ws 407/02; offen gelassen in BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />
122 Vgl. oben Fn. 113.<br />
123 BGH, Beschluss vom 13.12.2006, 4 StR 421/06, und Beschluss vom 27.04.2010, 3 StR 112/10.<br />
124 So i. E. auch BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />
125 BGH a.a.O.<br />
45
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Lösung Fall 19126 :<br />
Wenn auch zeitlich sukzessive haben sowohl A. als auch B. – getragen von ihrer gemeinsam<br />
gefassten Abrede – die Möglichkeit gehabt, über den Barbetrag wenigstens<br />
faktisch zu verfügen. Unschädlich ist es daher, dass A. den Erlös kurze Zeit später an<br />
B. weitergab. Insoweit hat lediglich eine Prüfung des § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB<br />
zu erfolgen. Die (Verfahrens-)Beteiligung des Käufers (Rechtsgedanke des § 73 Abs.<br />
4 StGB) ist nicht erforderlich, da es hierbei nicht um den (Original-)Verfall nach §§<br />
73, 73e StGB, sondern um den Wertersatzverfall geht, der sich auf das Legalvermögen<br />
der Angeklagten erstreckt.<br />
Im Falle der Anordnung des Verfalls (von Wertersatz) gegen A. und B. könnte der<br />
diesbezügliche Urteilstenor wie folgt lauten:<br />
„Der Verfall von Wertersatz in Höhe von 100.000,- Euro wird gegen A. und B. unter<br />
der Maßgabe ihrer gesamtschuldnerischen Haftung angeordnet“.<br />
Lösung Fall 20:<br />
Der 4. (Straf-)Senat ging ohne weitere Begründung – entgegen den vom GBA in seiner<br />
Antragsschrift erhobenen Zweifeln – davon aus, dass die Angeklagten A., B. und<br />
C. noch am Tatort an der gesamten Beute (Mit-)Verfügungsmacht erlangt hatten.<br />
Schließlich bedarf es bei der Anordnung von Wertersatzverfall nach § 73a StGB des Ausspruchs über<br />
die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Täter oder Teilnehmer schon im Tenor des tatrichterlichen<br />
Urteils, der – wie eine Geldstrafe – nach § 459g Abs. 2 StPO vollstreckbar ist 127 .<br />
III Atypische Fallgestaltungen/Abgrenzungen<br />
a. Handelsketten/(Neben-)Täterschaft<br />
Fall 21128 :<br />
A. bezog von seinen Lieferanten in sieben Fällen insgesamt 67 kg Marihuana mit unterschiedlichem<br />
Wirkstoffgehalt auf „Kommission“. Etwa 62 kg hiervon veräußerte<br />
dieser an verschiedene Abnehmer, von denen er insgesamt 161.000,- Euro erhielt.<br />
Seinen Erlös lieferte A. – ohne Abzug seines nach der getroffenen Vereinbarung ihm<br />
hieraus zustehenden Gewinnanteils in Höhe von 200,- Euro je Kilogramm – an seine<br />
Lieferanten ab.<br />
Liegt ein Fall gesamtschuldnerischer Haftung ggf. in welchem Umfang vor?<br />
Dieser Fall scheint bei oberflächlicher Betrachtung die gesamtschuldnerische Haftung des A. zusammen<br />
mit seinen Lieferanten zu eröffnen. Bei näherer Analyse zeigt sich jedoch, dass eigenständige<br />
Straftaten nach § 29a BtMG im Rahmen einer Handelskette und nicht nur eine Tat, die zur Bereicherung<br />
mehrerer Tatbeteiligter geführt hat, begangen wurden.<br />
126<br />
Instruktiv zum gemeinsamen Erlangen bei BtM-Geschäften: Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und<br />
Steuerstrafrecht, 1. 2011, § 73 StGB Rn. 30 ff.<br />
127<br />
BGH, Beschluss vom 23.11.2011, 4 StR 516/11; zur insoweit abweichenden Handhabung bei der Feststellung<br />
nach § 111i Abs. 2 StPO: BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />
128<br />
Angelehnt an BGH, Urteil vom 16.05.2006, 1 StR 46/06.<br />
46
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Lösung Fall 21:<br />
Der BGH 129 hat hierzu ausgeführt:<br />
„(…) Vielmehr ist jeder Täter, jeder Teilnehmer einer Handelskette, in der ein und<br />
dieselbe Menge an Betäubungsmitteln mehrfach umgesetzt und der entsprechende<br />
Kaufpreis jeweils bezahlt und vom Verkäufer im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB<br />
erlangt wird, für sich zu betrachten und allein daran zu messen, was er konkret erhalten<br />
hat. Anderes gilt nur dann, wenn – dabei – (Anm. des Verfassers: im Rahmen<br />
einer Tat) mehrere Tatbeteiligte etwas gemeinsam erlangten, (…). Ziel der aus Verfallsanordnungen<br />
gemäß §§ 73, 73a StGB resultierenden Zahlungsansprüche ist nicht<br />
die einmalige Abschöpfung des – regelmäßig beim Endabnehmer schließlich erreichten<br />
– höchsten Handelspreises. Vielmehr soll bei jedem Einzelnen, der aus einer<br />
rechtswidrigen Tat etwas erlangt hat, dieses weggenommen werden und zwar, da es<br />
sich um eine präventive Maßnahme eigener Art handelt, nach dem Bruttoprinzip. Bei<br />
einer Handelskette kann deshalb die Summe der Beträge, hinsichtlich derer gegen<br />
die verschiedenen Händler der Verfall angeordnet wurde, den maximalen Handelspreis<br />
des umgesetzten Betäubungsmittels um ein mehrfaches übersteigen. Dies dann<br />
über das Rechtsinstitut der Gesamtschuldnerschaft zu begrenzen und auszugleichen,<br />
widerspräche dem Zweck des Verfalls gemäß §§ 73, 73a StGB. (…)“<br />
Erst recht gelten diese Überlegungen auch in Fällen der Nebentäterschaft, beispielsweise bei einem<br />
Diebstahl mit sich anschließenden mehrfachen Hehlereien 130 .<br />
b. Erlangen einzelner Tatbeteiligter nur gelegentlich der Tat<br />
Fall 22131 :<br />
A. übergab im Auftrag des B., der das eigentliche Verkaufsgeschäft ohne Mitwirkung<br />
des A. akquiriert und im Einzelnen vorbereitet hatte, an den Käufer C. 200g Crack,<br />
wofür er von diesem 2.200,- Euro erhielt. Nach Abzug seines Anteils von 50,- Euro<br />
lieferte er die restlichen 2.150,- Euro in bar bei B. ab.<br />
A. wurde vom LG wegen Beihilfe zum unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln in<br />
nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt; gleichzeitig ist der<br />
Verfall von Wertersatz in Höhe von 2.200,- Euro angeordnet worden.<br />
Zu Recht?<br />
Lösung:<br />
Der BGH hat im vorliegenden Fall das Urteil dahin abgeändert, dass gegen A. der<br />
Verfall eines Betrages von lediglich 200,- Euro angeordnet wurde.<br />
Der kurzfristige Besitz des Gehilfen, dem die Tatherrschaft über die Geschäftsabwicklung<br />
fehlt und der das Entgelt aus dem Rauschgiftgeschäft unverzüglich an den Verkäufer<br />
weiterleiten soll, reicht grundsätzlich nicht aus, um das Geld als an ihn zugeflossen<br />
anzusehen. Er erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB den Besitz nur<br />
„gelegentlich“ seiner Tat und übt ihn von Anfang an nur für den Verkäufer aus, an<br />
den er den Erlös absprachegemäß übergeben will.<br />
Diese bisher nur vom 3. und vom 5. Strafsenat des BGH vorgenommene normative Beschränkung<br />
des Anwendungsbereichs der Rechtsfigur der gesamtschuldnerischen Haftung ist wohl von dem Versuch<br />
getragen, bereits auf der Tatbestandsebene des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB zu einer Begrenzung zu<br />
129<br />
BGH a.a.O.<br />
130<br />
Vgl. Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage<br />
2010, S. 42 ff.<br />
131<br />
Angelehnt an BGH, Beschluss vom 27.10.2009, 5 StR 242/09; vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom<br />
27.04.2010, 3 StR 112/10, und Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11, im Hinblick auf einen Mittäter, der nur<br />
kurzfristig und transitorisch erlangt hat.<br />
47
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
gelangen, die – im Ansatz – auch bei der Prüfung eines Härtefalls insbesondere nach § 73c Abs. 1<br />
Satz 2 Alt. 1 StGB mit denselben Erwägungen möglich wäre, allerdings unter Maßgabe der revisionsrechtlich<br />
nur eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit derartiger Ermessensentscheidungen der Tatsachengerichte.<br />
Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum auf Widerspruch gestoßen 132 . Der Hauptvorwurf<br />
geht dahin, dass unterschiedliche und voneinander abzugrenzende Kriterien, einerseits die Notwendigkeit<br />
nach faktischer (Mit-)Verfügungsgewalt und andererseits andere Tatumstände wie fraglicher<br />
Zeitraum, Abreden der Tatbeteiligten und ihrer jeweiligen Täterschaft, unzulässig eine Vermischung<br />
erfahren haben 133 .<br />
IV Konsequenzen<br />
Sowohl im materiellen als auch im (Verfahrens-)Recht ergeben sich aus der Existenz dieser Rechtsfigur<br />
vielfältige Konsequenzen.<br />
Die gesamtschuldnerische Haftung dient zum einen dem nicht zu vernachlässigenden Schutz der dergestalt<br />
Verfallsbetroffenen, da der Zugriff des Staates auf das im Rahmen einer Tat Erlangte begrenzt<br />
ist. Dies gilt dem Grunde nach gleicherweise für im Ermittlungsverfahren nach §§ 111b ff. StPO veranlasste<br />
vorläufige Sicherungsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt der nicht zulässigen Übersicherung.<br />
Hierauf wird an späterer Stelle noch ausführlich einzugehen sein.<br />
Zum anderen werden die Zugriffsmöglichkeiten rein personell betrachtet erweitert, da der Staat als<br />
(Sicherungs-)Gläubiger die (taktische) Wahl hat, auf wen und welche Vermögenswerte in welcher<br />
Höhe Rückgriff genommen wird. Die hiermit zugewiesenen wirtschaftlichen Verlustrisiken werden dadurch<br />
verringert, dass dem Betroffenen die Durchführung eines Gesamtschuldnerausgleichs nach §<br />
426 BGB mit den weiteren Tätern, Teilnehmern oder Drittempfängern offensteht 134 .<br />
Schließlich ergeben sich beim staatlichen Auffangrechtserwerb spezifische Fragestellungen, etwa in<br />
Bezug auf die Gestaltung des Feststellungstenors nach § 111i Abs. 2 StPO. Dies wird ebenfalls später<br />
erörtert werden.<br />
132 Vgl. Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. 2011, § 73 StGB Rn. 31 m.w.N.<br />
133 Wiedner a.a.O. m.w.N.<br />
134 BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />
48
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
1.3 Der Verfall von Wertersatz gemäß § 73a StGB<br />
1.3.1 Übersicht<br />
wegen Beschaffenheit<br />
des<br />
Erlangten<br />
Beispiele:<br />
Ersparen von<br />
Aufwendungen<br />
Nutzung von<br />
Gebrauchsvorteilen<br />
Erlangtes wird<br />
mit anderer<br />
Sache fest verbunden<br />
Verfall nicht möglich<br />
Aus anderen<br />
Gründen<br />
Beispiele:<br />
Erlangtes ist<br />
verbraucht,<br />
verloren oder<br />
unauffindbar<br />
Verfall von Wertersatz § 73a StGB<br />
Voraussetzungen<br />
vom Verfall<br />
eines Ersatzgegenstandes<br />
wird abgesehen<br />
Beispiel:<br />
Tausch<br />
(Täter tauscht<br />
erlangten Mercedes<br />
gegen<br />
BMW)<br />
Verfall des Wertersatzes entspricht dem Wert des ursprünglich<br />
Erlangten<br />
Schätzung des Umfangs des Erlangten und dessen<br />
Wert gem. § 73b StGB<br />
Neben dem Verfall<br />
soweit Wert hinter dem<br />
Wert des zunächst Erlangten<br />
zurückbleibt<br />
Beispiel:<br />
Täter erlangt aus der<br />
Tat Mercedes 500 im<br />
Wert von 50.000 Euro.<br />
Nach einem Jahr ist<br />
Pkw noch 35.000 Euro<br />
wert. 15.000 Euro sind<br />
nach § 73a StGB abzuschöpfen.<br />
49
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
In den Fällen der Unmöglichkeit respektive des Absehens vom Originalverfall eröffnet § 73a StGB die<br />
Zugriffsmöglichkeit auf das Legalvermögen des Verfallsbetroffenen, im Falle der rechtskräftigen<br />
Anordnung per Urteil oder Beschluss über einen wie bei einer Geldstrafe beizutreibenden staatlichen<br />
Zahlungsanspruch bzw. im Ermittlungsverfahren über den Vollzug eines strafprozessualen dinglichen<br />
Arrestes nach §§ 111b Abs. 2, 111d, 111e, 111f StPO.<br />
Da § 73a StGB systematisch an § 73 StGB anknüpft, ist es notwendig, dass der Täter/Tatbeteiligte/Drittempfänger<br />
zunächst etwas im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erlangt hat, das aber<br />
nicht mehr vorhanden ist und daher von § 73 Abs. 1 StGB nicht (mehr) erfasst wird 135 .<br />
1.3.2 Fallgruppen<br />
Fall 23:<br />
A. hat sowohl Schwarzumsätze in erheblichem Umfang verschwiegen als auch Vorsteuererstattungen<br />
im Zusammenhang mit Scheinrechnungen (§ 14c UStG) zu Unrecht<br />
für sich in Anspruch genommen. Infolge der von ihm abgegebenen unrichtigen<br />
Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuerjahreserklärungen für das Jahr 2009 ist es<br />
zu einer Steuerverkürzung von insgesamt 1 Mio. Euro gekommen. Darin sind nicht<br />
nur ersparte Aufwendungen im Kontext seiner Schwarzumsätze, sondern auch Vorsteuererstattungen<br />
in Höhe von 350.000,- Euro, die seinem Geschäftskonto, das<br />
nach der Einrichtung noch den Saldo von 0,- Euro aufweist, gutgeschrieben wurden,<br />
enthalten.<br />
Von diesen 350.000,- Euro hat er 50.000,- verspielt, 80.000,- Euro in den Kauf eines<br />
Gemäldes investiert, das ihm aber auf dem Weg nach Hause entwendet wurde, mit<br />
20.000,- Euro unerwartet günstig einen Oldtimer erworben und den restlichen Betrag<br />
zum Kauf einer überteuerten Immobilie verwandt, die vermietet werden soll.<br />
Ausweislich eines eingeholten Wertgutachtens weist das erworbene Objekt einen<br />
Verkehrswert von (noch) 170.000,- Euro auf.<br />
Auf welche materiell-rechtlich Grundlagen sind die im Wege der Rückgewinnungshilfe<br />
(§§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b Abs. 5 StPO) zu Gunsten des geschädigten Finanzamts<br />
zu veranlassenden vorläufigen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO zu<br />
stützen?<br />
I § 73a Satz 1 Alt. 1 StGB<br />
Wegen der Beschaffenheit des Erlangten ist die Anordnung nicht möglich, wenn das Erlangte in der<br />
Ersparnis sonst notwendiger Aufwendungen oder in Gebrauchsvorteilen bestand, aber auch, wenn das<br />
Erlangte mit einer anderen Sache vermischt oder verbunden oder verarbeitet worden ist (§§ 946, 947,<br />
950 BGB) 136 .<br />
II § 73a Satz 1 Alt. 2 StGB<br />
Die Unmöglichkeit des Verfalls aus einem anderen Grund ist gegeben, wenn der Täter/Teilnehmer/Drittempfänger<br />
den Gegenstand verbraucht, verloren, unauffindbar beiseite geschafft<br />
oder an eine andere, nicht tatbeteiligte dritte Person rechtswirksam übertragen hat 137 .<br />
III § 73a Satz 1 Alt. 3 StGB<br />
Schließlich kann vom (Original-)Verfall eines Surrogats nach § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB auch abgesehen<br />
werden, so dass stattdessen der Wertersatzverfall anzuordnen ist. Dies bietet sich insbesondere dann<br />
an, wenn die spätere Verwertung des Surrogats Schwierigkeiten aufwirft und der Betroffene noch<br />
über weitere Vermögenswerte verfügt, die in der Vollstreckung einfacher zu handhaben sind.<br />
IV § 73a Satz 2 StGB<br />
Daneben kann parallel zum (Original-) zudem der (Wertersatz-)Verfall Anwendung finden, wenn der<br />
ursprüngliche Wert eines Gegenstandes zum Zeitpunkt der Verfallsanordnung niedriger ist.<br />
135 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73a Rn. 2.<br />
136 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73a Rn. 4.<br />
137 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73a Rn. 5.<br />
50
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Lösung Fall 23:<br />
A. hat sich wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ggf. auch in besonders<br />
schweren Fällen nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO strafrechtlich zu verantworten.<br />
Da genauso der Steuerfiskus Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB sein<br />
kann 138 , kommen dem Grunde nach Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO<br />
wie folgt infrage (§ 111b Abs. 5 StPO):<br />
1. Beschlagnahmeanordnung gem. 111b Abs. 1 und 5, 111c StPO:<br />
a. § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB: Pkw als Surrogat<br />
b. § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB: Immobilie als Surrogat<br />
2. Dinglicher Arrest nach §§ 111b Abs. 2 und Abs. 5, 111d StPO über insge-<br />
samt 810.000,- Euro<br />
a. § 73a Satz 1 Alt. 1 StGB: 650.000,- Euro im Hinblick auf die insoweit er-<br />
sparten Aufwendungen<br />
b. § 73a Satz 1 Alt. 2 StGB: Untergang der verspielten 50.000,- Euro und<br />
des Gemäldes im Wert von 80.000,- Euro<br />
c. § 73a Satz 2 StGB: Wertdifferenz von 30.000,- Euro (Immobilie)<br />
Daneben wäre auch der Erlass nur eines dinglichen Arrestes über 1 Mio. Euro möglich,<br />
sofern auf den Verfall der Surrogate verzichtet würde.<br />
Dies hängt davon ab, ob die Surrogate relativ einfach veräußert werden können<br />
bzw. noch sonst legale Vermögenswerte vorhanden sind.<br />
138 Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73 Rn. 21.<br />
51
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
1.4 Der erweiterte Verfall nach § 73d StGB<br />
Frage:<br />
Erklären Sie die Aussage: § 73d StGB ist im Kern beweisrechtlicher Natur.<br />
§ 73d StGB ist im Kern beweisrechtlicher Natur (vgl. oben) 139 .<br />
Dies hängt wiederum mit der systematischen Stellung der Vorschrift im Normengefüge der §§ 73 ff.<br />
StGB und ihrer Funktion als „Auffangtatbestand“ zusammen. Wie oben bereits dargelegt hat die<br />
Anordnung des Verfalls (von Wertersatz) nach §§ 73, 73a StGB grundsätzlich Vorrang vor einer auf §<br />
73d StGB gestützten Entscheidung. Erst wenn unter Ausschöpfung aller prozessual zulässigen Mittel<br />
ausgeschlossen ist, dass die Voraussetzungen der §§ 73, 73a StGB erfüllt sind, wird die Frage nach<br />
der Anordnung des erweiterten Verfalls (von Wertersatz) regelmäßig überhaupt relevant 140 .<br />
So gesehen ermöglicht die Vorschrift insbesondere bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität<br />
und vor allen Dingen der Rauschgiftkriminalität die neben dem Anwendungsbereich der §§ 73, 73a<br />
StGB subsidiär ergänzende Abschöpfung von Gegenständen, die der dem subjektiven/objektiven Verfahren<br />
zugrunde liegenden Anlass- resp. Katalogtat(en) nicht hinreichend sicher zugeordnet werden<br />
können, von denen aber zur sicheren Überzeugung des Gerichts feststeht, dass sie aus anderen<br />
rechtswidrigen, im Einzelnen aber nicht näher konkretisierbaren Herkunftstaten herrühren.<br />
Auf diese Weise ist sowohl die täterbezogene Abschöpfung entsprechend inkriminierter Erlöse, die<br />
anderenfalls dem Täter oder Teilnehmer belassen werden müssten, als auch der Entzug des Kapitals<br />
zur Begehung weiterer gewinnorientierter Straftaten in diesem Bereich gewährleistet 141 .<br />
Wie im Falle des herkömmlichen Verfalls handelt es sich auch beim erweiterten Verfall um eine allein<br />
der Gewinnabschöpfung dienende Maßnahme ohne Straf- oder strafähnlichen Charakter 142 unter Beachtung<br />
des Bruttoprinzips 143 .<br />
Von Gesetzes wegen ist der drittempfängerbezogene erweiterte Verfall in Anlehnung an die Vorschrift<br />
des § 73 Abs. 3 StGB ausgeschlossen.<br />
Die §§ 73b und 73c StGB finden sinngemäße Anwendung.<br />
Den insbesondere von Teilen des Schrifttums erhobenen verfassungsrechtlichen Einwänden gegen die<br />
Bestimmung sind der BGH, der zu einer verfassungskonformen Auslegung der Anwendungsvoraussetzungen<br />
gelangt ist, und ihm folgend das BVerfG entgegengetreten 144 .<br />
Allerdings hat der Gesetzgeber nach Hinweis des BVerfG zur Stärkung der Rechte von Verletzten aus<br />
Straftaten § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB, der auf § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB verweist, mit Wirkung zum<br />
01.01.2007 neu eingefügt. Hierauf wird in einem eigenständigen Teil zur Rückgewinnungshilfe zu<br />
Gunsten von Verletzten aus Straftaten näher einzugehen sein.<br />
139<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73d Rn. 3; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht,<br />
2011, § 73d StGB Rn. 24 ff.<br />
140<br />
BGH, Beschluss vom 02.10.2002, 2 StR 294/02; Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73d Rn. 9 m.w.N.<br />
141<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 5; BGH, Urteil vom<br />
07.07.2011, 3 StR 144/11.<br />
142<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 3.<br />
143<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 17.<br />
144<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73d Rn. 5 m.w.N.<br />
52
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
1.4.1 Der erweiterte (Original-)Verfall nach § 73d Abs. 1 StGB<br />
I Tatbestandlicher Aufbau<br />
Fall 24145 :<br />
Der ausbildungs- und in Bezug auf einen „ordentlichen Beruf“ auch beschäftigungslose<br />
zurzeit 40 Jahre alte A. begeht seit seinem 20. Lebensjahr gewinnorientierte Straftaten<br />
insbesondere aus dem Betäubungsmittelbereich, weswegen er bereits mehrfach<br />
verurteilt wurde und mehrjährige Freiheitstrafen verbüßte. A. bezieht daher<br />
auch keine Einkünfte (i.S.d. § 2 EStG), sondern Sozialleistungen nach Hartz IV. Aufgrund<br />
der Aussage des gesondert verfolgten B., der für sich die Kronzeugenregelung<br />
des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtM in Anspruch genommen hat, können ihm weitere Straftaten<br />
nach dem BtMG nachgewiesen werden, nämlich in sieben Fällen das gewerbsmäßige<br />
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringem Umfang (§ 29a Abs. 1 Nr. 2<br />
BtMG). Über die Höhe der daraus erzielten Erlöse verhält sich hingegen dessen Aussage<br />
nicht. Die von der Polizei durchgeführten (verdeckten) Finanzermittlungen haben<br />
ergeben, dass der A. in den letzten beiden Jahren „Einkünfte“ in Höhe von insgesamt<br />
1 Mio. Euro erzielt hat, welche über einen Vergleich der marktüblich erzielbaren<br />
Erlöse in Bezug auf die festgestellten sieben Taten darauf hindeuten, dass A.<br />
im Tatzeitraum noch weitere gleichartige Straftaten begangen haben muss. Trotz<br />
aufwendiger Ermittlungen war es nicht möglich, diesen Komplex weiter aufzuklären;<br />
ferner konnte – A. hat sich zu den Tatvorwürfen nicht eingelassen – auch nicht festgestellt<br />
werden, welche Erlöse A. aus den 7 Taten erlangt hat und ob seine „Einkünfte“<br />
überhaupt aus jenen Taten „gespeist“ worden sind.<br />
a. Rechtswidrige Anknüpfungstat<br />
Wie beim herkömmlichen Verfall verlangt § 73d StGB eine rechtswidrige, nicht notwendig schuldhaft<br />
begangene Anknüpfungs-/Katalogtat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, die nicht verjährt sein darf<br />
und bezüglich derer auch sonstige, nicht behebbare Verfahrenshindernisse nicht bestehen dürfen (vgl.<br />
oben). In solchen Fällen kommt auch die Durchführung des objektiven Verfahrens nicht in Betracht 146 .<br />
Da es sich bei § 73d StGB um einen Blanketttatbestand handelt, ist weiter ein Strafgesetz erforderlich,<br />
das auf § 73d StGB ausdrücklich verweist.<br />
b. Umstände für die Annahme, dass Gegenstände aus oder für rechtswidrige(n) (Herkunfts-)Taten<br />
(unmittelbar) erlangt worden sind<br />
(1) Gegenstand<br />
Anders als bei § 73 StGB, der jedes „Etwas“ dem Verfall unterwirft und daher weiter gefasst ist, knüpft<br />
§ 73d StGB am Gegenstandsbegriff des BGB an. Demnach können Sachen und Rechte dem erweiterten<br />
Verfall unterliegen, nicht hingegen ersparte Aufwendungen.<br />
Grundsätzlich ist es nach § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlich, dass dem Täter oder Teilnehmer der<br />
jeweilige Gegenstand gehört oder i.S. einer Rechtsinhaberschaft zusteht (Umkehrschluss aus § 73d<br />
Abs. 1 Satz 2 StGB); § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB – die Bestimmung ist sinngemäß an die Vorschrift des §<br />
73 Abs. 4 StGB angelehnt – erweitert den Anwendungsbereich des erweiterten Verfalls darüber hinaus<br />
auf Fälle, bei denen dem Täter/Teilnehmer der Gegenstand nur deswegen nicht gehört oder zusteht,<br />
weil er diesen für eine rechtswidrige Tat oder aus einer solchen Tat erlangt hat.<br />
Erfasst sind somit - wie bei § 73 Abs. 4 StGB - Übereignungsgeschäfte, die nach §§ 134, 138 BGB<br />
nichtig sind.<br />
Feststellungen zur Person des Eigentümers resp. Inhabers des Rechts und dessen Motivation müssen<br />
jedoch – anders als bei § 73 Abs. 4 StGB – nicht getroffen werden. Dies hängt damit zusammen, dass<br />
die Herkunftstaten und somit auch ggf. tatbeteiligte Personen, etwa Aufkäufer von BtM, typischerweise<br />
nicht näher aufgeklärt bzw. ermittelt werden können und bei einem anderen Verständnis in der<br />
145 Angelehnt an BGH, Urteil vom 07.07.2011, 3 StR 144/11.<br />
146 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 13.<br />
53
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
genauen Diktion des § 73 Abs. 4 StGB die eigentliche Zielrichtung des § 73d StGB insbesondere bei<br />
Betäubungsmittelstraftaten ins Leere laufen würde.<br />
(2) Nutzungen und Surrogate analog § 73 Abs. 2 StGB<br />
§ 73d Abs. 1 Satz 3 StGB verweist u.a. auf § 73 Abs. 2 StGB, der entsprechend anzuwenden ist. Sofern<br />
dem erweiterten Verfall unterliegend zunächst ein Gegenstand dem Täter- oder Teilnehmervermögen<br />
zugefallen ist, können auch Surrogate des Gegenstands (fakultativ) und Nutzungen (obligatorisch)<br />
für (erweitert) verfallen erklärt werden. Wichtig ist, dass sich die Anordnung insoweit nicht am<br />
Gegenstandsbegriff des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB orientiert, sondern sich auf das nachgewiesenermaßen<br />
Erlangte („Etwas“) bezieht; die zeitliche Beschränkung des § 73d Abs. 2 StGB (vgl. unten) gilt<br />
ebenfalls nicht 147 .<br />
(3) Aus oder für Herkunftstat (unmittelbar) erlangt<br />
Ausführungen sind hier nur zum Tatbestandsmerkmal der so genannten Herkunftstat erforderlich.<br />
Entgegen dem Wortlaut des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB „(…), wenn Umstände die Annahme rechtfertigen,<br />
dass diese Gegenstände (…)“, der insoweit auf einen (verdichteten) Anfangsverdacht hindeutet,<br />
verlangt der BGH in verfassungskonformer Auslegung des Tatbestandes …<br />
… dass der Tatrichter im Rahmen des Strengbeweises aufgrund erschöpfender Beweiserhebung<br />
und –würdigung insbesondere unter Berücksichtigung der Einkommensund<br />
Vermögensverhältnisse des Tatbeteiligten die uneingeschränkte Überzeugung von<br />
der deliktischen Herkunft der Gegenstände gewonnen haben muss, ohne dass die<br />
Herkunftstaten selbst im Einzelnen festgestellt werden müssen 148 .<br />
Das durch das Tathandeln jeweils ausgefüllte Strafgesetz muss allerdings weder eine Katalogtat im<br />
obigen Sinne noch muss die Tat selbst, schuldhaft begangen worden sein. In dem Zusammenhang<br />
reicht eine beliebige rechtswidrige (Herkunfts-)Tat aus; anders als bei § 73 StGB ist § 78 StGB hier<br />
nicht anwendbar 149 . Anderenfalls würde die Norm faktisch entwertet, da Feststellungen zu Zeit, Ort<br />
und den genauen Modalitäten der Tat regelmäßig nicht möglich und – nach der Vorstellung des Gesetzgebers<br />
– nicht erforderlich sind; vielmehr soll in den für die Organisierte Kriminalität spezifischen<br />
Deliktsbereichen der Verfall unter erweiterten Voraussetzungen Anwendung finden (vgl. oben) 150 .<br />
Unerheblich ist weiter, ob die Herkunftstat vor oder nach der Anknüpfungstat begangen wurde, da der<br />
Wortlaut der Norm insoweit keine Einschränkungen vorgibt.<br />
Im Übrigen gilt das Gleiche wie beim (einfachen) Verfall: Der Gegenstand muss aus<br />
oder für eine(r) rechtswidrige(n) (Herkunfts-)Tat unmittelbar erlangt worden sein (vgl.<br />
oben).<br />
(4) Ausschluss des erweiterten Verfalls nach § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB<br />
Aufgrund des Verweises des § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB auf § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB hindern etwaige<br />
(abstrakte) Ansprüche von Verletzten aus Straftaten den erweiterten Verfall. Da indes die Umstände<br />
der Anknüpfungstat regelmäßig „im Dunklen“ liegen und dementsprechend etwaige Verletzte respektive<br />
zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen und etwaige Einwendungen/Einreden im Tatsächlichen kaum<br />
ermittelbar/aufzuklären sein dürften, ist bei der gebotenen Prüfung allenfalls nur eine Typisierung<br />
nach Tatbeständen möglich 151 .<br />
Gleichwohl kann über Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO auch der staatliche Auffangrechtserwerb<br />
nach § 111i StPO Anwendung finden.<br />
(5) (Anteiliger) Ausschluss des erweiterten Verfalls gem. § 73d Abs. 4 i.V.m. § 73c StGB<br />
Schließlich kann es aufgrund der entsprechenden Anwendung des § 73c StGB (§ 73d Abs. 4 StGB) zu<br />
einem Ausschluss der Anordnung kommen.<br />
147 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 20.<br />
148 BGH, Beschluss vom 22.11.1994, 4 StR 516/04; BVerfG, Beschluss vom 14.01.2004, 2 BvR 564/95; zu vgl.<br />
auch Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73d Rn. 12.<br />
149 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 13.<br />
150 Wiedner a.a.O.; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73d Rn. 39.<br />
151 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 34; vgl. hierzu auch<br />
Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73d Rn. 51.<br />
54
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Umstritten ist indes, ob die tatbestandliche Beweislockerung für sich betrachtet geeignet sein kann,<br />
eine besondere Härte darzustellen 152 .<br />
II Rechtsfolge<br />
Lösung Fall 24:<br />
Das Problem des vorliegenden Falls liegt weniger im Bereich des Tatbestands des §<br />
73d StGB als vielmehr im Konkurrenzverhältnis der §§ 73, 73a StGB und des § 73d<br />
StGB (vgl. oben).<br />
Vorliegend ist nicht mehr sicher feststellbar, ob jedenfalls ein Teilbetrag der 1 Mio.<br />
Euro aus den festgestellten 7 Anknüpfungs-/Katalogtaten (vgl. §§ 29a Abs. 1 Nr. 2,<br />
33 Abs. 1 Nr. 2 BtMG) oder aber der Gesamtbetrag aus den übrigen (Herkunfts-<br />
)Taten herrühren.<br />
Der BGH 153 hat in einer vergleichbaren Konstellation den erweiterten Verfall (von<br />
Wertersatz) zugelassen. In erster Linie sei maßgeblich, dass nach Ausschöpfung aller<br />
prozessual zulässigen Mittel die deliktische Herkunft der Vermögensgegenstände<br />
festgestellt sei. Es sei hingegen unschädlich, wenn sich das Gericht außer Stande sehe,<br />
das dergestalt Erlangte eindeutig den Anknüpfungs- oder den Herkunftstaten zuzuordnen.<br />
Bei einer anderen Betrachtung würde der gesetzgeberische Zweck des erweiterten<br />
Verfalls, nämlich die Verhinderung gewinnorientierter Straftaten, verfehlt.<br />
Bei Straftaten unter Beteiligung von Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB<br />
stelle im Übrigen § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB sicher, dass deren Interessen gewahrt<br />
blieben.<br />
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73d Abs. 1 StGB liegen im Übrigen vor.<br />
Insbesondere bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass die 1 Mio. Euro deliktischen<br />
Ursprungs sind. In derartigen Fällen ist es – kurz ausgedrückt – genügend,<br />
dass sich dann, wenn sich rechtmäßige Quellen nicht feststellen lassen, die Herkunft<br />
aus rechtswidrigen Taten im Hinblick auf die Situation des Täters und sein Vorleben<br />
einem objektiven Betrachter geradezu aufdrängt 154 .<br />
Sofern die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, ist der erweiterte Verfall zwingend anzuordnen. Die<br />
Rechtsfolge des erweiterten Verfalls ergibt sich aus § 73e StGB (vgl. oben).<br />
1.4.2 Der erweiterte Verfall von Wertersatz nach § 73d Abs. 2 StGB<br />
Ist der Verfall eines bestimmten Gegenstandes gemäß § 73d Abs. 1 StGB nach der Tat ganz oder teilweise<br />
unmöglich geworden, so finden insoweit die §§ 73a und 73b StGB sinngemäß Anwendung.<br />
Abwandlung Fall 24:<br />
Im Rahmen der Ermittlungen konnte geklärt werden, dass 300.000,- Euro aus den<br />
Anknüpfungstaten und 700.000,- Euro aus im Einzelnen nicht mehr näher aufzuklärenden<br />
Herkunftstaten herrühren. Der A. hat aber vor Begehung der ihm konkret zur<br />
Last gelegten sieben Taten die 700.000,- Euro im Rahmen seiner aufwendigen Lebensführung<br />
verbraucht.<br />
Wie ist die Rechtslage zu beurteilen?<br />
§ 73d Abs. 2 StGB setzt voraus, dass zunächst Gegenstände respektive Surrogate/Nutzungen im Vermögen<br />
des Tatbeteiligten angefallen und diese noch zum Zeitpunkt der Begehung der Anknüpfungstat(en)<br />
vorhanden sind (vgl. Wortlaut der Norm). Erst der zeitlich später erfolgte Verlust erlaubt den<br />
Zugriff auf das Legalvermögen des Betroffenen.<br />
152<br />
Vgl. Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73d Rn. 56; Wiedner,<br />
Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 23 m.w.N.<br />
153<br />
BGH, Urteil vom 07.07.2011, 3 StR 144/11; zust. Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht,<br />
2011, § 73d StGB Rn. 9.<br />
154<br />
Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73d Rn. 45; ausführlich Wiedner,<br />
Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73d StGB Rn. 31.<br />
55
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Lösung Fall 24:<br />
Vorliegend scheidet der erweiterte Verfall von Wertersatz gegen A. nach § 73d Abs. 2<br />
StGB aus, da die Gegenstände schon vor Begehung der Anknüpfungstaten untergegangen<br />
sind.<br />
300.000,- Euro unterliegen hingegen dem Verfall gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB.<br />
Im Übrigen ist vorliegend § 73c StGB sinngemäß anzuwenden.<br />
Wenn die Voraussetzungen nach § 73d Abs. 2 StGB vorliegen, ist die (anteilige) Anordnung des erweiterten<br />
Verfalls von Wertersatz zwingend.<br />
1.4.3 § 73d Abs. 3 StGB<br />
§ 73d Abs. 3 StGB verpflichtet das Gericht, bei einer Verfallsanordnung eine bereits ergangene Anordnung<br />
zu berücksichtigen.<br />
56
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
1.5 Die Schätzung nach § 73b StGB<br />
1.5.1 Übersicht<br />
Schätzung<br />
§ 73 b StGB<br />
Voraussetzungen<br />
Nachzuweisen ist, "ob" der Täter/<br />
Teilnehmer für etwas oder aus der Tat<br />
etwas erlangt hat<br />
Schätzung<br />
Umfang des Erlangten Wert des Erlangten<br />
Ausmaß und Art der<br />
Vermögensvorteile z.B.<br />
Art und Nutzung<br />
und<br />
danach<br />
Maßgebend für die Wertermittlung<br />
ist der Zeitpunkt der jeweiligen<br />
richterlichen Entscheidung<br />
Höhe des Anspruchs, dessen<br />
Erfüllung im Falle von § 73<br />
Abs. 1 S. 2 den Vorteil<br />
beseitigen oder mindern<br />
würde<br />
Hier ist insbesondere das<br />
Ausmaß der zu erwartenden<br />
Realisierung derartiger<br />
Ansprüche mit zu berücksichtigen.<br />
Im Bereich des Verfalls eröffnet § 73b StGB zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens die<br />
Möglichkeit, den Umfang des Erlangten und dessen Wert sowie die Höhe des Anspruchs im Sinne des<br />
§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB zu schätzen. § 73b StGB hat vornehmlich prozessuale Wirkungen und befreit<br />
den Tatrichter vom Strengbeweisverfahren und von der Amtsaufklärungspflicht nach § 244 StPO 155 .<br />
Von der Schätzung unberührt sind die Voraussetzungen für die grundsätzliche Zulässigkeit des Verfalls.<br />
Eine Schätzung kommt demnach immer nur hinsichtlich des Umfangs, nicht hingegen des „Ob“<br />
des Verfalls in Betracht 156 .<br />
155<br />
Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 2010, Bd. 3 § 73b Rn. 2 ff.; Fischer, StGB, 54. Auflage 2011, § 73b<br />
Rn. 5.<br />
156<br />
Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73b Rn. 4.<br />
57
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
1.5.2 Verfahrensrecht<br />
Die Voraussetzungen des Verfalls nach §§ 73 ff. StGB sind stets im Rahmen des Strengbeweisverfahrens<br />
festzustellen; für eine Schätzung nach § 73b StGB ist hier kein Raum.<br />
Gleichwohl muss auch für eine Schätzung ein (verfahrensrechtliches) Bedürfnis bestehen; die Beweiserleichterung<br />
ist daher nur anwendbar auf Fälle, in denen im Strengbeweisverfahren nicht mit hinreichender<br />
Sicherheit oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand festgestellt werden kann, in welchem<br />
Umfang oder Wert ein Verfallgegenstand angefallen ist 157 .<br />
Im Übrigen muss das Urteil erkennen lassen, dass eine Schätzung vorgenommen wurde 158 .<br />
1.5.3 Anwendungsvoraussetzungen<br />
Zum einen kann der Umfang des erlangten Vermögensvorteils (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB) sowie der<br />
gezogenen Nutzungen und Surrogate (§ 73 Abs. 2 StGB) auf Seiten des Tatbeteiligten oder des Drittempfängers<br />
geschätzt werden, beispielsweise die Höhe vereinnahmter Geldbeträge aus Betäubungsmittelgeschäften,<br />
wenn hierzu nur die Menge der umgesetzten Drogen bekannt ist 159 .<br />
Zum anderen ist die Schätzung des Werts des Erlangten möglich, was insbesondere beim Verfall von<br />
Wertersatz nach § 73a StGB relevant werden kann, etwa wenn nicht eine Sache oder ein Recht übertragen<br />
wurde, sondern der Vorteil in der Ersparnis von Aufwendungen oder Gebrauchsvorteilen besteht<br />
160 . Denkbar in diesem Bereich sind auch Schätzungen von Werteinbußen (im Sinne des § 73a<br />
Satz 2 StGB) 161 .<br />
Schließlich kann auch die Höhe des Anspruchs des Verletzten (im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB)<br />
geschätzt werden. Erleichtert wird v.a. die Bestimmung, in welcher Höhe der Täter dem Dritten Schadensersatz<br />
schuldet, und somit indirekt auch, welcher Wert einer dem geschädigten Dritten entzogenen<br />
Sache zukommt 162 .<br />
1.5.4 Vornahme der Schätzung<br />
Das Gericht darf auch bei einer Schätzung nicht willkürlich oder ohne zureichende tatsächliche Anhaltspunkte<br />
vorgehen. Einzelheiten sind zumindest soweit zu ermitteln und festzustellen, dass eine hinreichend<br />
sichere Schätzgrundlage gegeben ist, die im Urteil darzustellen ist 163 . Dabei können die von<br />
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu § 287 ZPO herangezogen werden 164 .<br />
Ggf. mag auch die Hinzuziehung eines Sachverständigen angezeigt sein 165 .<br />
Im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität können für die Schätzung von Verkaufserlösen der Einkaufspreis<br />
und der üblicherweise für Betäubungsmittel der festgestellten Art und Qualität erzielbare<br />
Preis herangezogen werden 166 .<br />
157<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 7; Schmidt, Leipziger<br />
Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73b Rn. 3.<br />
158<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 10 m.w.N. zu Rügemöglichkeiten<br />
in der Revision unter Rn. 11.<br />
159<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 3.<br />
160<br />
Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73b Rn. 7.<br />
161<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 4.<br />
162<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 5.<br />
163<br />
Rübenstahl a.a.O.<br />
164<br />
Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73b Rn. 2.<br />
165<br />
Vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27.01.2010, 5 StR 224/09, und Urteil vom 29.06.2010, 1 StR 245/09.<br />
166<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73b StGB Rn. 8.<br />
58
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
1.6 Die Härtefallregelung des § 73c StGB<br />
1.6.1 Übersicht<br />
Abs. 1 Satz 1 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1<br />
Abs. 1 Satz 2 Alt. 2<br />
Kein Verfall,<br />
soweit unbillige Härte<br />
Hohe Anforderungen an<br />
unbillige Härte. Die<br />
Anordnung muss sich<br />
unbillig auf die aktuelle<br />
Vermögenslage auswirken.<br />
(BGH, NStZ 95, 495;<br />
BGH, StV 95, 635;<br />
BGH, Az.: 3 StR 296/94;<br />
BGH Az.: 4 StR 153/08)<br />
Kein Ermessen Ermessen<br />
Solange der Verfallsbetroffene über Aktivvermögen verfügt,<br />
ist in der Regel davon auszugehen, dass das Taterlangte<br />
in seinem vorhandenem Vermögen aufgegangen<br />
ist<br />
(BGH, NStZ 2000, 480).<br />
Andere Auslegung des 1. Strafsenates:<br />
Kein Ermessen, solange der Täter über Vermögen verfügt.<br />
Es kommt nicht darauf an, ob das vorhandene<br />
Vermögen einen Bezug zu der rechtswidrigen Tat hat<br />
(BGH, NStZ 2006, 2500).<br />
Soweit das Taterlangte für Luxus ausgegeben wurde<br />
(BGH, NStZ-RR 2005, 104).<br />
Soweit Taterlangtes bewusst an Dritte weitergegeben<br />
wird, um es dem Verfall zu entziehen<br />
(BGH, wistra 2003, 424).<br />
Grundsätzlich, soweit der Verbleib des Taterlangten<br />
unklar ist und der Verfallsbetroffene darüber schweigt<br />
(BGH, NStZ 2005, 232).<br />
Soweit Angeklagter sein unbemakeltes Vermögen schont<br />
(BGH, Urteil v. 2.10.2008, 4 StR 153/08).<br />
§ 73 c StGB<br />
Verfall kann unterbleiben,<br />
soweit Erlangtes nicht<br />
mehr im Vermögen vorhanden<br />
ist<br />
Falls von vornherein vorhandenes Vermögen<br />
erkennbar in keinem Zusammenhang zur Tat<br />
steht (geerbtes Grundstück)<br />
(BGH, wistra 2003, 58).<br />
Soweit das Taterlangte in Fällen der Not ausgegeben<br />
wurde<br />
(BGH NStZ-RR 2005, 104).<br />
Bei nachgewiesener Weitergabe des Taterlangten<br />
an Mittäter<br />
(BGH NStZ 2004, 440).<br />
Verfall kann unterbleiben,<br />
soweit Erlangtes von<br />
geringem Wert ist<br />
50,- bis 100,- Euro<br />
Setzt Feststellungen voraus, ob und aus welchen<br />
Gründen der Angeklagte entreichert ist<br />
oder das Erlangte noch in seinem Vermögen<br />
vorhanden ist (BGH Beschluss vom<br />
21.05.2005, 3 StR 119/05).<br />
59
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
§ 73c StGB hat für die strafrechtliche Praxis enorme Bedeutung.<br />
Dies zeigt sich nicht zuletzt an der Vielzahl von diesbezüglichen revisionsrechtlichen Entscheidungen<br />
167 . Einzelheiten insbesondere im Hinblick auf § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB sind zwischen einzelnen<br />
BGH-Senaten durchaus umstritten 168 . Deshalb soll es bei den nun folgenden Ausführungen vorrangig<br />
darum gehen, die maßgeblichen Grundstrukturen darzustellen.<br />
Frage:<br />
Was sind die maßgeblichen Grundstrukturen des § 73c StGB?<br />
§ 73c StGB ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie des Übermaßverbotes 169 . Übermäßige<br />
Härten, etwa infolge des Umstands, dass der Verfall grundsätzlich auch dann anzuordnen ist,<br />
wenn sich das Erlangte oder dessen Wert im Tätervermögen nicht mehr befinden (Umkehrschluss aus<br />
§§ 73a Satz 2; 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB) 170 , oder der Inanspruchnahme von Drittempfängern,<br />
sollen darüber relativiert werden können.<br />
Wie oben bereits dargelegt sind auch Konstellationen denkbar, die entweder schon auf tatbestandlicher<br />
Ebene oder aber erst bei der Prüfung des § 73c StGB entsprechende Regulation erfahren können,<br />
so etwa bei der Bestimmung des (unmittelbar) Erlangten im Rahmen synallagmatischer Vertragsgestaltungen<br />
oder in den Fällen des Erlangens bei Gehilfen (vgl. oben).<br />
Bei diesem Verständnis hat § 73c StGB somit nicht erst Auswirkungen im eigentlichen Hauptverfahren,<br />
sondern bereits im Ermittlungsverfahren. Zwar ist die Härteklausel bei letzterem nicht unmittelbar<br />
anwendbar; ihre Wertungen sind jedoch zu berücksichtigen 171 .<br />
Im Übrigen ist § 73c StGB auch bei der Anwendung des § 111i StPO zu beachten 172 .<br />
Neben dem eher unbedeutenden § 73c Abs. 2 StGB ist § 73c Abs. 1 StGB zweigeteilt.<br />
Der speziellere Tatbestand ist § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB, wiederum in zwei Alternativen unterteilt, zu<br />
entnehmen. § 73c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB regelt die „Entreicherung“ und § 73c Abs. 1 Satz 2 2. Alt.<br />
StGB die Fälle des geringen Werts des Erlangten.<br />
§ 73c Abs. 1 Satz 1 StGB ist dagegen als Generalklausel ausgestaltet.<br />
Aufgrund dieser Systematik 173 ist bei der Prüfung mit § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB zu beginnen. Erst wenn<br />
kein spezieller Fall vorliegt, kann § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB überhaupt Anwendung finden. Aus dieser<br />
Gesetzesordnung folgt weiter, dass ein allgemeiner Härtefall nicht schon deswegen vorliegt, wenn der<br />
Wert des Erlangten zur Zeit der Anordnung im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden ist.<br />
Denn Umstände, die (nur) ein Absehen von der Verfallsanordnung nach pflichtgemäßem Ermessen<br />
zulassen, können nicht zugleich einen zwingenden Ausschlussgrund bilden 174 .<br />
Sind schließlich die Voraussetzungen eines allgemeinen Härtefalls (im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1<br />
StGB) gegeben, so ist die Anordnung des Verfalls ganz oder teilweise zwingend ausgeschlossen, während<br />
§ 73c Abs. 1 Satz 2 StGB insoweit Ermessen einräumt. Denkbar ist auch die kumulative Annahme<br />
eines fakultativen Härtefalls nach § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB und eines obligatorischen Härtefalls<br />
entsprechend der Generalklausel des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB, sofern neben der (anteiligen) Entreicherung<br />
weitere, den Betroffenen im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB privilegierende Umstände<br />
167 Vgl. hierzu Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73c Rn. 5; Wiedner,<br />
Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73c StGB Rn. 22 ff. mit Hinweisen zum Verfahrensrecht<br />
und der Überprüfbarkeit erstinstanzlicher Entscheidungen in der Revision.<br />
168 Vgl. hierzu Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 4.<br />
169 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73c StGB Rn. 1 m.w.N.<br />
170 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73c Rn. 2.<br />
171 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, vor §§ 111b ff. Rn. 9.<br />
172 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 9 m.w.N.<br />
173 Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12.07.2000, 2 StR 43/00.<br />
174 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73c Rn. 7.<br />
60
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
hinzutreten, denn beide Vorschriften (vgl. den Wortlaut „soweit“) erlauben auch das anteilige Absehen<br />
des Verfalls 175 .<br />
§ 73c StGB gilt nicht nur beim Verfall (von Wertersatz) nach §§ 73, 73a StGB, sondern sinngemäß<br />
auch bei § 73d StGB (§ 73d Abs. 4 StGB).<br />
Überdies können sich nicht nur die originär Tatbeteiligten, sondern ebenfalls(Dritt-)Empfänger oder<br />
Eigentümer, was bei letzteren auch im Zusammenhang mit § 73d StGB zu beachten ist (zu vgl. § 73d<br />
Abs. 1 Satz 2 StGB), auf einen Härtefall berufen 176 .<br />
1.6.2 Voraussetzungen<br />
Fall 25:<br />
A. und B. haben gemeinsam den Verkauf von 1 kg Heroin geplant, das für 50.000,-<br />
Euro in den Niederlanden eingekauft wurde. A. übergab das Heroin an den Käufer C.<br />
und erhielt im Gegenzug den vereinbarten Kaufpreis in Höhe von 100.000,- Euro.<br />
Den Erlös händigte er anschließend B. aus, der sich damit absetzte. Nach längeren<br />
Ermittlungen konnten A. und B. schließlich festgenommen werden. Die Finanzermittlungen<br />
haben ergeben, dass A. noch über Legalvermögen aus einer Jahre vorher angetretenen<br />
Erbschaft im Gesamtumfang von 1 Mio. Euro verfügt. Bezüglich des B.<br />
konnten hingegen inländische Vermögenswerte – gleich welcher Herkunft – nicht<br />
aufgespürt werden; der Verbleib der 100.000,- Euro bleibt ungeklärt, zumal B. zu den<br />
Tatvorwürfen und zum Schicksal des Geldes schweigt.<br />
I § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB<br />
§ 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB, der in der Praxis kaum Bedeutung hat, betrifft Bagatellfälle; die Wertgrenze<br />
ist in Anlehnung an §§ 243 Abs. 2, 248a StGB zurzeit bei etwa 50,- Euro zu ziehen 177 . Nach<br />
dem Wortlaut ist bei der Bestimmung des Werts des Erlangten auf den Zeitpunkt des Zuflusses in das<br />
Vermögen des (Verfalls-)Betroffenen abzustellen.<br />
II § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB<br />
a. Grundsätze<br />
Der (anteilige) Ausschluss des Verfalls erfordert zunächst die gesicherte Feststellung, dass der Wert<br />
des Erlangten zur Zeit der Anordnung in dem (Netto-)Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden<br />
ist. Die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB hat<br />
demnach in zwei Schritten zu erfolgen. Zunächst ist der Wert des ursprünglich Erlangten zu ermitteln<br />
und im Anschluss daran das (Netto-)Vermögen. Sodann sind beide Positionen gegenüberzustellen.<br />
Grundsätzlich ist daher die Ermessensentscheidung nicht eröffnet, wenn der Betroffene noch über<br />
Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem Wert des Erlangten zurückbleibt, wobei es regelmäßig<br />
unbeachtlich ist, ob das noch vorhandene Vermögen einen konkreten oder unmittelbaren Bezug<br />
zu den Straftaten hat 178 . Allerdings soll Letzteres nach der Auffassung des 3., des 4. und nunmehr<br />
auch des 5. Strafsenats nur eine widerlegbare Vermutung sein 179 . Steht demnach unzweifelhaft fest,<br />
dass die verbliebenen Vermögenspositionen nicht strafbewehrt erworben wurden und demnach auch<br />
keinen Zusammenhang mit den gegenständlichen Straftaten aufweisen, soll die Anwendung von § 73c<br />
Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB noch möglich sein.<br />
Demgegenüber geht der 1. Strafsenat von einer nicht widerlegbaren Vermutung aus, so dass in derartigen<br />
Fällen die Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB nicht eröffnet wäre 180 .<br />
Der Senat begründet dies neben einem Wortlautargument mit verfahrensökonomischen Erwägungen,<br />
da anderenfalls u.U. aufwendige Finanzermittlungen durchzuführen wären, und mit der Zielsetzung<br />
der präventiv ausgerichteten Verfallsvorschriften, die bei einer anderen Betrachtung gefährdet wäre<br />
181 .<br />
175<br />
Vgl. Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73c StGB Rn. 2 ff.<br />
176<br />
Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 3.<br />
177<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73c StGB Rn. 20.<br />
178<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 4; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1.<br />
Auflage 2011, § 73c StGB Rn. 10 ff.<br />
179<br />
Fischer a.a.O.; Wiedner a.a.O.; BGH, Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11.<br />
180<br />
BGH, Urteil vom 16.05.2006, 1 StR 46/06 (vgl. oben Fall 2).<br />
181<br />
BGH a.a.O; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73c StGB Rn. 11 ff.<br />
61
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Doch selbst wenn eine Entreicherung im erforderlichen Sinne festgestellt werden kann, heißt dies<br />
nicht automatisch, dass vom Verfall (anteilig) abzusehen ist. Vielmehr sind im Rahmen der Ermessensentscheidung<br />
unterschiedliche Aspekte zu würdigen. Besondere Bedeutung kommen hierbei den<br />
Gründen zu, die für die Entreicherung maßgeblich waren. 182 . So können beispielsweise Aufwendungen<br />
in einer wirtschaftlichen Notsituation es rechtfertigen, vom Verfall (anteilig) abzusehen, während die<br />
Befriedigung eher luxuriöser Bedürfnisse mittels des aus der Tat Erlangten nicht privilegierungswürdig<br />
sein dürfte.<br />
Weiter zu berücksichtigende Umstände können vorliegen 183 :<br />
Gefährdung der Resozialisierung<br />
Einlassungsverhalten speziell im Hinblick auf die für die Verhängung von Maßnahmen nach §§ 73<br />
ff. StGB relevanten Umstände<br />
Wirtschaftliche Belastungen des Verfahrens namentlich infolge langer Untersuchungshaft<br />
Schonung unbemakelten Vermögens<br />
Freiwillig geleistete Kompensationszahlungen (vor Tatentdeckung) etc.<br />
Irrelevant sind hingegen Einwände bzgl. getätigter Aufwendungen anlässlich der Straftat. Derartige<br />
Ausgaben finden aufgrund des Bruttoprinzips keine Berücksichtigung. Zwar mag sich die Bedeutung<br />
des § 73c Abs. 1 StGB durch den Wechsel vom Netto- auf das Bruttoprinzip geändert haben 184 . Dies<br />
führt jedoch nicht dazu, dass die hierfür maßgeblichen gesetzgeberischen Erwägungen durch die „Hintertür“<br />
des § 73c Abs. 1 StGB wieder ausgehebelt werden können 185 .<br />
b. Sonderfälle<br />
In diesem Themenkreis können insbesondere bei Sachverhalten, die dem Wirtschaftsstrafrecht zuzuordnen<br />
sind, Sonderprobleme anfallen, auf die in der gebotenen Kürze einzugehen ist.<br />
Bei der Gewinnabschöpfung bei juristischen Personen als (Dritt-)Empfänger eingebunden in Konzerne<br />
oder konzernähnliche Gebilde sieht sich der Rechtsanwender des Öfteren mit (faktischen) Beherrschungs-<br />
und Gewinnabführungsverträgen zwischen (Konzern-)Mutter und Töchtern und Entreicherungseinwänden<br />
der Letzteren konfrontiert. Hier ist zu beachten, dass das Konzernrecht entsprechende<br />
Freistellungsansprüche (analog) § 302 AktG als zu berücksichtigender Vermögensbestandteil der<br />
Konzerntochter vorsieht und dementsprechend eine Entreicherung nicht vorliegt 186 .<br />
Ein weiteres Sonderproblem bildet die mögliche – und zu vermeidende – Doppelbelastung durch Verfall<br />
des Erlangten sowie dessen gleichzeitige Besteuerung 187 .<br />
Hier spielen mehrere, miteinander in Verbindung stehende Aspekte eine Rolle, zum einen die (ggf.<br />
schon bestandskräftige) Besteuerung des strafbewehrt Erlangten sowie der Umstand, dass der anzuordnende<br />
Verfall (von Wertersatz) selbst gewinnmindernd steuerlich Ansatz findet 188 , zum anderen<br />
der Stand des steuerlichen Verfahrens in zeitlicher Hinsicht, demgemäß die Frage nach der Bestandskraft<br />
etwaiger Steuerbescheide bezüglich des maßgeblichen Veranlagungszeitraums.<br />
Infolgedessen ist vorab zu prüfen, ob der zu verhängende Verfall (von Wertersatz) noch steuerlich<br />
Berücksichtigung finden kann, entweder weil das Steuerverfahren noch nicht abgeschlossen ist oder<br />
zumindest Steuerbescheide noch anfechtbar sind. Ist dies der Fall, so wären die Einkünfte des Betroffenen,<br />
durch den Verfallsbetrag entsprechend reduziert, zu versteuern, so dass eine Berücksichtigung<br />
im Rahmen des § 73c StGB unterbliebe. Anderenfalls hat das Strafgericht die Doppelbelastung durch<br />
Anrechnung im Rahmen des Verfalls auszugleichen 189 .<br />
182 Fischer, StGB, 54. Auflage 2011, § 73c Rn. 5; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd.<br />
3 § 73c Rn. 12.<br />
183 Zu vgl. Fischer a.a.O.; Schmidt a.a.O.; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, , § 73c<br />
StGB Rn. 17.<br />
184 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73c Rn. 4.<br />
185 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73c Rn. 7.<br />
186 Zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31.03.2009, 2 Ws 69/09; LG Bochum, Beschluss vom 09.02.2009, 13 Qs<br />
1/09 – W – (n.v.).<br />
187 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 4a.<br />
188 Das steuerliche Abzugsverbot nach § 12 Nr. 4 EStG bezieht sich nur auf Geldstrafen und ähnliche Sanktionen<br />
und damit nicht auf Maßnahmen mit präventiver Ausrichtung.<br />
189 Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21.03.2002, 5 StR 138/01 (vgl. oben Fall 5); Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11;<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 4a m.w.N.; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht,<br />
2011, § 73c StGB Rn. 18 m.w.N.<br />
62
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
III Härtefall nach § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB<br />
Der unbestimmte Rechtsbegriff der „unbilligen Härte“ setzt voraus, dass die Anordnung<br />
Grundsätze der Billigkeit und des Übermaßverbotes verletzen würde; die Anordnung<br />
muss im Einzelfall als vom Zweck des Verfalls nicht mehr getragen und schlechterdings<br />
ungerecht erscheinen 190 .<br />
Bei folgenden Konstellationen könnte daher die Annahme einer „unbilligen Härte“ naheliegend sein:<br />
Von Reue getragene Zuwendung des Bestechungsgeldes an gemeinnützige Einrichtung<br />
Finanzielle Einbußen infolge beamtenrechtlicher Auswirkungen des Verfahrens (vgl. hierzu auch §<br />
71 Abs. 2 Satz 1 BBG)<br />
(Existenz-)Gefährdung eines (ansonsten legal operierenden) Unternehmens<br />
Unentgeltliche Weitergabe des Erlangten an Dritten außerhalb des Anwendungsbereichs des § 73<br />
Abs. 3 und Abs. 4 StGB<br />
Gutgläubigkeit des Drittempfängers (§ 73 Abs. 3 StGB)<br />
Lösung Fall 25:<br />
IV § 73c Abs. 2 StGB<br />
Zeitlich sukzessive haben A. und B. zunächst den (Original-)Erlös von 100.000,- Euro<br />
erlangt; die Voraussetzungen für deren gesamtschuldnerische Haftung im Rahmen<br />
des Verfalls (von Wertersatz) liegen vor. Selbst wenn man vorliegend zur Eröffnung<br />
der Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB käme (so 3., 4. und<br />
5. Strafsenat des BGH; vgl. oben), dürften doch die Umstände im Zusammenhang<br />
mit der Weitergabe der Gelder A. nicht privilegieren. Auch B. dürfte sich nicht mit Erfolg<br />
auf eine Entreicherung berufen können, da grundsätzlich dann nicht von einem<br />
Wegfall auszugehen ist, wenn Erlöse aus BtM-Verkäufen nicht mehr vorhanden sind,<br />
indes der Verbleib aber ungeklärt ist 191 . Die Annahme einer unbilligen Härte im Sinne<br />
des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB dürfte bei beiden ebenfalls fernliegend sein.<br />
Nach § 73c Abs. 2 StGB kann das erkennende Gericht (und später auch die Vollstreckungsbehörde)<br />
entsprechend § 42 StGB Zahlungserleichterungen bewilligen.<br />
1.7 Rechtsfolgen der Anordnung des (erweiterten) Verfalls (von Wertersatz)<br />
Bei der Betrachtung der Rechtsfolgen einer Verfallsanordnung (i.w.S.) muss die Unterscheidung zwischen<br />
(erweitertem) (Original-)Verfall und (erweitertem) Wertersatzverfall respektive inkriminiertem<br />
und (Legal-)Vermögen erneut betrachtet werden 192 . § 73e StGB regelt nämlich nur die Wirkungen des<br />
(Original-)Verfalls nach §§ 73, 73d Abs. 1 StGB; für § 73a und § 73d Abs. 2 StGB ist die Norm ohne<br />
Bedeutung.<br />
Im Falle einer rechtskräftigen Verfallsentscheidung nach §§ 73, 73d Abs. 1 StGB geht das Eigentum<br />
an der Sache oder das Recht – kraft Gesetzes – auf den Staat über, wenn der Gegenstand zum Zeitpunkt<br />
der gerichtlichen Entscheidung dem jeweils Betroffenen, also dem Tatbeteiligten oder dem<br />
Drittempfänger oder Eigentümer gehört oder zusteht (vgl. auch § 60 StVollstrO); Rechte Dritter bleiben<br />
bestehen. Die Zeit zwischen Anordnung und Rechtskraft wird über § 73e Abs. 2 StGB im Rahmen<br />
eines gesetzlichen Veräußerungsverbotes nach § 136 BGB mit der Wirkung eines relativen Verbots<br />
zugunsten des Fiskus gemäß § 135 BGB geschützt; vom Wirkungskreis her ist dies identisch mit der<br />
Rechtsfolge einer wirksamen Beschlagnahme nach § 111c StPO (vgl. § 111c Abs. 5 StPO).<br />
Hat das Gericht demgegenüber die Eigentumsverhältnisse bzw. die Rechtsinhaberschaft irrtümlich<br />
falsch beurteilt, ist also beispielsweise eine dritte Person Eigentümer der für verfallen erklärten Sache,<br />
so bleibt dieser Eigentümer daran und kann weiterhin frei darüber verfügen 193 .<br />
190<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 3; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd.<br />
3 § 73c Rn. 6 ff. m.w.N.<br />
191<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73c Rn. 4a.<br />
192<br />
Vgl. auch Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73e Rn. 2 ff.<br />
193<br />
Vgl. Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 73e Rn. 7.<br />
63
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
§ 73e Abs. 2 StGB ist genauso zu verstehen wie die Regelung des § 74e Abs. 2 Satz 1 StGB; allerdings<br />
ist streitig, ob dem Anwendungsbereich neben beschränkt dinglichen Rechten auch Vorbehalts- und<br />
Sicherungseigentum unterliegen 194 .<br />
Demgegenüber erwirbt der Staat bei der Anordnung des Wertersatzverfalls nach §§ 73a, 73d Abs. 2<br />
StGB einen Zahlungsanspruch, der wie eine Geldstrafe beigetrieben wird 195 .<br />
Zusammenfassung 1<br />
Eine wirksame Strafverfolgung erfordert neben der Bestrafung i.e.S., auch die Abschöpfung<br />
des illegitim Erlangten.<br />
Der materiell-rechtliche Anspruch des Staates bzw. des Tatverletzten bestimmt dabei die<br />
Sicherungsart.<br />
Der Verfall i.w.S. ist eine Maßnahme sui generis, die der Beseitigung einer objektiven Unrechtsfolge<br />
in Gestalt einer deliktischen Vermögenszuordnung dient. Da der Verfall weder<br />
eine Strafe noch eine strafrechtliche Nebenfolge darstellt, wird er bei der Strafzumessung<br />
auch nicht strafmildernd berücksichtigt.<br />
Die Anordnung des Verfalls gem. §§ 73 ff. StGB erfordert eine rechtswidrige Tat i.S.d. §<br />
11 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Verschulden ist somit nicht erforderlich. Verjährung oder sonstige<br />
nicht behebbare Verfahrenshindernisse schließen den Verfall hingegen aus. Die Anwendung<br />
der Maßnahme nach § 73d StGB kommt in diesem Zusammenhang erst dann in Betracht,<br />
wenn nach Ausschöpfung aller prozessual zulässigen Mittel ausgeschlossen ist,<br />
dass die Voraussetzungen der §§ 73, 73a StGB erfüllt sind.<br />
Die Bestimmung des Erlangten steht schließlich unter der Maßgabe des Bruttoprinzips<br />
(gültig seit 07.03.1992). Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der „Unmittelbarkeit“<br />
(§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB) ist insoweit vom Bruttoprinzip streng zu trennen. Die Bestimmung<br />
des „unmittelbar Erlangten“ ist nämlich der Bestimmung seines Umfangs logisch<br />
vorgelagert.<br />
Der Verfall ist im Übrigen in den Fällen des Erlangens aus der Tat ausgeschlossen, wenn<br />
Ansprüche von Verletzten aus der Straftat (abstrakt) vorhanden sind.<br />
Abgesehen von der Regelung des § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB handelt es sich bei den übrigen<br />
Normen der §§ 73, 73a, 73d StGB um ius cogens.<br />
Der so genannte Drittempfängerverfall nach § 73 Abs. 3 StGB erfasst neben „Vertreterfällen“<br />
auch „Verschiebungsfälle“. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt ein § 73 Abs. 3<br />
StGB nicht unterliegender Erfüllungsfall vor, wenn der Täter oder Teilnehmer einem gutgläubigen<br />
Dritten Tatvorteile zuwendet, und zwar in Erfüllung einer nicht bemakelten entgeltlichen<br />
Forderung, deren Entstehung und Inhalt in keinem Zusammenhang mit der Tat<br />
stehen.<br />
Der Verfall eines Gegenstandes wird auch dann angeordnet, wenn er einem Dritten gehört<br />
oder zusteht, der ihn für die Tat oder sonst in Kenntnis der Tatumstände gewährt<br />
hat.<br />
Mehrere Täter und/oder Teilnehmer können gesamtschuldnerisch haften, wenn jeder von<br />
ihnen – ggf. auch zeitlich sukzessive – zumindest wirtschaftliche oder faktische (Mit-)<br />
Verfügungsgewalt über den Vermögensgegenstand gehabt haben und sie sich einig waren,<br />
dass jedem die (Mit-)Verfügungsgewalt hierüber zukommen sollte.<br />
In der Praxis sind zumeist die nach § 73 Abs. 1 und 2 StGB erforderlichen Feststellungen<br />
nicht zu treffen, so dass gem. § 73a StGB Zugriff auf das Legalvermögen des Täters oder<br />
Teilnehmers etc. genommen wird.<br />
194<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74e Rn. 4; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010,<br />
Bd. 3 § 73e Rn. 8.<br />
195<br />
Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 73a Rn. 8; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage<br />
2010, Bd. 3 § 73a Rn. 8.<br />
64
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Zusammenfassung 2<br />
§ 73d StGB ist im Kern beweisrechtlicher Natur und stellt einen Auffangtatbestand dar.<br />
Nur die „Anlasstat“ muss eine auf § 73d StGB verweisende Katalogtat sein; im Übrigen<br />
muss zur sicheren Überzeugung des Gerichts feststehen, dass die abzuschöpfenden Gegenstände<br />
aus anderen rechtswidrigen, im Einzelnen aber nicht näher konkretisierbaren<br />
Herkunftstaten herrühren.<br />
Eine Schätzung nach § 73b StGB kommt immer nur hinsichtlich des Umfangs, nicht hingegen<br />
bezüglich des „Ob“ des Verfalls in Betracht, und erfordert eine hinreichend sichere<br />
Schätzgrundlage.<br />
§ 73c StGB hat in der (revisionsgerichtlichen) Praxis eine enorme Bedeutung. Es besteht<br />
ein Prüfungsvorrang des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB gegenüber der Generalklausel des §<br />
73c Abs. 1 Satz 1 StGB. Daraus folgt u.a., dass eine unbillige Härte nicht alleine deswegen<br />
angenommen werden kann, wenn das Erlangte im Vermögen des Verfallsbetroffenen<br />
nicht mehr vorhanden ist.<br />
65
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
2. Einziehungsvorschriften nach dem Strafgesetzbuch<br />
2.1 Rechtsnatur und Zweck<br />
Genau wie der Verfall ist auch die Einziehung (§§ 74 ff. StGB) eine Maßnahme nach § 11 Abs. 1 Nr. 8<br />
StGB. Allerdings bestehen zwischen Verfall und Einziehung, die kein einheitliches Rechtsinstitut darstellt<br />
196 , maßgebliche Unterschiede.<br />
Während der Verfall eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB voraussetzt, knüpft §<br />
74 StGB grundsätzlich an eine vorsätzliche, mithin schuldhaft begangene Tat an, wovon § 74 Abs. 3<br />
StGB eine Ausnahme zulässt.<br />
Anders als beim Verfall nach § 73 StGB, der sich auf alle vermögenswerten Positionen ggf. auch ohne<br />
Substrat bezieht (vgl. oben), sind die Anwendungsvoraussetzungen bei § 74 StGB wiederum enger, so<br />
dass nur die Einziehung von Gegenständen und dies nur fakultativ eröffnet ist. Schließlich ist die<br />
Anordnung der Einziehung auch in bestimmten Fällen trotz Verjährung der Tat möglich (vgl. §§ 78<br />
Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 76a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB).<br />
Gewisse Parallelen bestehen zwischen §§ 73 Abs. 4, 73d Abs. 1 Satz 2 StGB und 74a StGB; demgegenüber<br />
lässt § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB die Einziehung unter präventiven Gesichtspunkten auch dann zu,<br />
wenn Täter oder Teilnehmer nicht Eigentümer oder Rechtsinhaber bezüglich des Gegenstandes sind.<br />
Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Vorschriften der Einziehung weder unmittelbar noch über<br />
einen Verweis die (entsprechende) Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB vorsehen, was im Fall der<br />
fakultativ möglichen Einziehung des Beziehungsgegenstands einer Geldwäsche (vgl. § 261 Abs. 7<br />
StGB) bei einer entsprechenden Vortat, etwa einem Betrug, zu Wertungswidersprüchen führen<br />
kann 197 .<br />
Demzufolge finden sich in den §§ 74 ff. StGB Maßnahmen unterschiedlichen Normcharakters, zum Teil<br />
als Strafe oder strafähnliche Regelung (§§ 74 Abs. 2 Nr. 1 oder 74a StGB) und zum Teil in den Fällen<br />
des § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB oder des § 74 Abs. 3 StGB als reine Sicherungsmaßnahme ausgestaltet 198 ;<br />
so geartet kann die Einziehung nach §§ 74 Abs. 2 Nr. 1 oder 74a StGB – anders als beim Verfall – im<br />
Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden 199 .<br />
196 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 2.<br />
197 Vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25.03.2010, 5 StR 518/09; nähere Ausführungen zu dieser Entscheidung<br />
finden sich im 5. Teil „Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten“.<br />
198 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 2; Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB Band 2/1 §§ 52-79b,<br />
1. Auflage 2005, § 74 Rn. 2 ff.<br />
199 BGH, Beschluss vom 20.07.2011, 5 StR 234/11.<br />
66
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Zusammenfassende Darstellung der Struktur der Vorschriften:<br />
Einziehung und Einziehung des Wertersatzes nach §§ 74 ff. StGB<br />
§ 74 StGB § 74b StGB § 74a StGB § 74c StGB § 75 StGB<br />
§ 74 Abs. 1 Verhältnis- Fall der Drittein- Einziehung des Organmäßigkeit<br />
ziehung Wertersatzes Handeln<br />
Voraussetzungen:<br />
- Vorsätzlich und<br />
(schuldhaft) begangene<br />
Straftat<br />
- Gegenstände als Kann-Vorschriften<br />
producta sceleris o.<br />
instrumenta sceleris<br />
(keine Beziehungsgegenstände)<br />
Abs. 2 Abs. 4 Abs. 3<br />
Nr.1: Täter/Teilnehmer Im Fall des<br />
steht Recht an Gegenstand Verweis über bes. Abs. 2 Nr. 2<br />
zu Vorschrift schuldhaftes<br />
Handeln nicht<br />
Nr.2: Gefährdungstatbestand erforderlich<br />
Rechtsfolge nach<br />
§ 74e StGB<br />
67
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
2.2 Anwendungsvoraussetzungen<br />
Anders als beim Verfall bereiten die Vorschriften der Einziehung in der Praxis kaum Probleme. Daher<br />
wird auf eine vertiefende Darstellung verzichtet.<br />
2.2.1 (Original-)Einziehung nach §§ 74, 74a StGB<br />
Die §§ 74, 74a StGB ermöglichen die Einziehung sowohl gegenüber dem Täter oder Teilnehmer (§ 74<br />
Abs. 2 Nr. 1 StGB) als auch gegenüber dem Dritteigentümer (§§ 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 und 74a<br />
StGB), während § 75 StGB den Durchgriff auf juristische Personen etc. erlaubt.<br />
Über die von § 74 Abs. 1 StGB erfassten producta sceleris und instrumenta sceleris hinausgehend<br />
lässt ferner § 74 Abs. 4 StGB die Einziehung so genannter „Beziehungsgegenstände“, etwa Waffen,<br />
Betäubungsmittel oder verschleierte Geldmittel bei der Geldwäsche 200 , zu.<br />
I Vorsätzliche Straftat<br />
Der Täter oder Teilnehmer muss grundsätzlich zumindest vermindert schuldfähig gehandelt haben<br />
(Ausnahme: § 74 Abs. 3 StGB unter den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Wie bereits<br />
beim Verfall darf auch hier die Tat nicht verjährt sein (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB). Allerdings besteht bei<br />
der Einziehung nach § 74 StGB die Besonderheit, dass § 78 Abs. 1 Satz 2 StGB i.V.m. § 76a Abs. 2<br />
Satz 1 Nr. 1 StGB unter den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StGB und des § 74d StGB<br />
die Einziehung im Rahmen des objektiven Verfahrens trotz Verjährung ermöglicht.<br />
II Gegenstände, die durch die Straftat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vor-<br />
bereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind<br />
a. § 74 Abs. 1, 1. Variante StGB<br />
Die 1. Variante des § 74 Abs. 1 StGB bezieht sich auf Gegenstände, also Sachen und Rechte (vgl.<br />
oben) 201 , die durch die Tat hervorgebracht wurden („producta sceleris“), beispielsweise gefälschte<br />
Urkunden oder Geldscheine. Hiervon abzugrenzen sind Taterlöse.<br />
b. § 74 Abs. 1, 2. Variante StGB<br />
c.<br />
Frage:<br />
Was sind „Tatmittel“ und „Beziehungsgegenstände“?<br />
Bei § 74 Abs. 1, 2. Variante StGB werden die so genannten „Tatmittel“, also Gegenstände, die bei der<br />
Begehung der Tat – also während des gesamten Stadiums bis hin zur Beendigung 202 - verwendet<br />
wurden oder verwendet werden sollten sowie die Tat gefördert haben oder fördern sollten, erfasst.<br />
„Tatmittel“ sind von den „Beziehungsgegenständen“ (vgl. oben) abzugrenzen; bei letzteren handelt es<br />
sich um notwendige Gegenstände der Tat selbst 203 .<br />
III § 74 Abs. 2 StGB<br />
a. § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB<br />
Nach § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB muss dem Täter oder Teilnehmer der Gegenstand gehören oder zustehen,<br />
was sich nach dem bürgerlichen Recht beurteilt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen<br />
Entscheidung. Hat der Betroffene vor der Entscheidung über den Gegenstand verfügt, so<br />
dass die Anordnung der (Original-)Einziehung nach § 74 StGB ausscheidet, kommt die Einziehung des<br />
Wertersatzes nach § 74c StGB infrage.<br />
200 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 5 ff. und 10.<br />
201 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 3.<br />
202 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 9.<br />
203 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 10.<br />
68
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
b. § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB<br />
Sofern die in Betracht kommenden Gegenstände nach ihrer Art und den Umständen die Allgemeinheit<br />
gefährden oder die Gefahr besteht, dass sie der Begehung rechtswidriger Taten dienen werden, ist die<br />
Einziehung auch gegenüber (Dritt-)Eigentümern resp. Inhabern – sogar beim schuldlos handelnden<br />
Tatbeteiligten (§ 74 Abs. 3 StGB) – möglich 204 . Auf § 74a StGB muss in diesen Fällen nicht zurückgegriffen<br />
werden.<br />
IV § 74a StGB<br />
Die Vorschrift des § 74a StGB zielt ab auf einen nicht tatbeteiligten Drittbetroffenen und zwar über<br />
den Anwendungsbereich des § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB (ggf. auch in Verbindung mit § 74 Abs. 3 StGB)<br />
hinausgehend. Von der Struktur her ähnelt § 74a Nr. 1 StGB daher § 73 Abs. 4 StGB und § 73d Abs. 1<br />
Satz 2 StGB.<br />
Die Voraussetzungen sind wie folgt:<br />
Verweis auf Vorschrift, etwa in § 261 Abs. 7 Satz 2 StGB<br />
(Dritt)Eigentum oder Inhaberschaft beim Nichttatbeteiligten<br />
(Quasi-)Beihilfe im Rahmen des § 74a Nr. 1 StGB oder verwerflicher Erwerb im Sinne des § 74a<br />
Nr. 2 StGB<br />
V (Ermessens-)Entscheidung<br />
Liegen die Anwendungsvoraussetzungen vor, steht die Einziehung nach § 74 Abs. 1 bis Abs. 3 StGB, §<br />
74a StGB im Ermessen des Tatgerichts.<br />
§ 74b StGB ist zu beachten.<br />
Im Urteil ist der einzuziehende Gegenstand über geeignete Individualisierungsmerkmale so genau wie<br />
möglich zu bezeichnen; Bezugnahmen auf Sicherstellungsverzeichnisse etc. sind unzulässig.<br />
Ggf. nicht tatbeteiligte dritte Personen als (Dritt-)Eigentümer etc. sind am Verfahren nach §§ 431 ff.<br />
StPO zu beteiligen.<br />
2.2.2 Wertersatzeinziehung nach § 74c StGB<br />
§ 74c StGB, der in der Praxis relativ unbekannt zu sein scheint, ist strukturell mit § 73a StGB vergleichbar;<br />
in den Fällen der Unmöglichkeit der Originaleinziehung kann stattdessen ein Geldbetrag,<br />
der dem Wert des Gegenstandes entspricht, eingezogen werden.<br />
Die Anwendungsvoraussetzungen sind eng gezogen 205 : Die Einziehung des Wertersatzes nach § 74c<br />
StGB ist nur möglich gegen den Täter oder Teilnehmer, dem der Gegenstand zum Zeitpunkt der Tat<br />
gehört hat oder zustand, und nicht gegen den Dritten i.S.d. § 74a StGB.<br />
§ 74c Abs. 1 StGB betrifft eine die spätere (Original-)Einziehung vereitelnde tatsächliche oder rechtliche<br />
Verhaltensweise des Tatbeteiligten vor einer möglichen Einziehungsentscheidung, namentlich die<br />
Zerstörung, den Verbrauch oder die Veräußerung eines Gegenstands, wobei die Anwendungsmöglichkeit<br />
nach § 74a StGB die Einziehung des Wertersatzes ausschließt 206 .<br />
Nach § 74c Abs. 2 StGB tritt schließlich Wertersatz an die Stelle der Einziehung respektive neben sie,<br />
wenn der Tatbeteiligte dadurch der Einziehung ganz oder teilweise die Wirkung genommen hat, indem<br />
er den Gegenstand nach der Tat und vor der Entscheidung mit dem dinglichen Recht eines Tatunbeteiligten<br />
so belastet hat, dass das Gericht das Erlöschen dieses Rechts nicht entschädigungslos anordnen<br />
könnte 207 .<br />
204 Fischer; StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 14.<br />
205 Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74c Rn. 1 ff.<br />
206 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74c Rn. 3.<br />
207 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74c Rn. 4.<br />
69
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
2.3 Wirkung der Einziehung und Entschädigungsverfahren (§§ 74e und 74f StGB)<br />
Mit Rechtskraft der (Einziehungs-)Entscheidung geht das Eigentum oder das Recht an dem Gegenstand<br />
gem. § 74e Abs. 1 StGB auf den Staat über; der Schutz gutgläubiger Erwerber richtet sich nach<br />
den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts.<br />
Sonstige Rechte Dritter – Sicherungs- und Vorbehaltseigentum (str.; vgl. oben) und beschränkt dingliche<br />
Rechte – werden unter gewissen Ausnahmen über § 74e Abs. 2 StGB geschützt.<br />
§ 74e Abs. 3 StGB i.V.m. § 73e Abs. 2 StGB gewährleistet ein Veräußerungsverbot nach § 136 BGB für<br />
die Zeit zwischen Entscheidung und Rechtskraft.<br />
§ 74f StGB ermöglicht in den dort bestimmten Fällen ein Entschädigungsverfahren zugunsten von<br />
Dritten, denen am Gegenstand zum Zeitpunkt der Rechtskraft der (Einziehungs-)Entscheidung entsprechende<br />
Rechte zustanden.<br />
Zusammenfassung<br />
Die Einziehung ist eine Maßnahme nach § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB.<br />
Der Verfall nach § 73 StGB bezieht sich auf alle vermögenswerten Positionen ggf. auch<br />
ohne Substrat. Aufgrund engerer Anwendungsvoraussetzungen bei § 74 StGB ist demgegenüber<br />
nur die Einziehung von Gegenständen und dies auch nur fakultativ eröffnet.<br />
Die Einziehung ist möglich sowohl gegenüber dem Täter oder Teilnehmer als auch gegenüber<br />
dem Dritteigentümer und in bestimmten Konstellationen sogar trotz Verjährung<br />
der Tat.<br />
Der Täter oder Teilnehmer muss grundsätzlich zumindest vermindert schuldfähig gehandelt<br />
haben.<br />
In den Fällen der Unmöglichkeit der Originaleinziehung kann stattdessen ein Geldbetrag,<br />
der dem Wert des Gegenstandes entspricht, eingezogen werden, allerdings nur gegen<br />
den Täter oder Teilnehmer, dem der Gegenstand zum Zeitpunkt der Tat gehört hat oder<br />
zustand, und nicht gegen den Dritten.<br />
Mit Rechtskraft der (Einziehungs-)Entscheidung geht das Eigentum oder das Recht an<br />
dem Gegenstand auf den Staat über.<br />
70
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
3. Verfahrensarten – Objektives und Subjektives Verfahren (§<br />
76a StGB) / Nachträgliche Anordnung nach § 76 StGB<br />
3.1 Objektives Verfahren nach § 76a StGB<br />
Die Anordnung des Verfalls und der Einziehung im subjektiven Verfahren entspricht dem Regelfall.<br />
Die Durchführung des selbständigen Verfalls-/Einziehungsverfahrens nach §§ 76a StGB i.V.m. 440 –<br />
442 StPO kommt dagegen in der Praxis ausgesprochen selten vor.<br />
Schmidt 208 führt zum Grundgedanken des § 76a StGB Folgendes aus:<br />
„(…) Es wurde nunmehr unterschieden zwischen dem Verfall und der Einziehung und<br />
bei der Einziehung zwischen dieser Maßnahme als nebenstrafähnlicher Maßnahme, die<br />
im selbständigen Verfahren angeordnet werden kann, auch wenn tatsächliche Hindernisse<br />
der Verfolgung oder Verurteilung entgegenstehen (§ 76a Abs. 1), und der Einziehung<br />
(Unbrauchbarmachung) als Sicherungsmaßnahme, bei der auch rechtliche Gründe,<br />
die eine subjektive Verfolgung hindern, die selbständige Einziehung nicht ausschließen,<br />
es sei denn, dass a) ein besonderes Gesetz Abweichendes bestimmt oder<br />
dass b) ein Strafverlangen oder eine gleichgestellte Erklärung fehlt, von der das Gesetz<br />
die subjektive Verfolgung abhängig macht (§ 76a Abs. 2 StGB). Der Vorschlag, die<br />
selbständige Anordnung von Verfall und Einziehung bei Straftaten auch im Falle des<br />
Absehens von Strafe oder der Verfahrenseinstellung im Rahmen des Opportunitätsprinzips<br />
zuzulassen, wurde beibehalten (§ 76a Abs. 3 StGB)“.<br />
Daraus folgt, dass § 76a StGB in erster Linie die Verbindung von Verfall und Einziehung vom subjektiven<br />
Verfahren löst, hingegen deren Anwendungsvoraussetzungen unberührt lässt. Die Norm bietet<br />
daher einen anderen prozessualen Weg 209 . Dies steht in Einklang mit der übrigen Gesetzessystematik.<br />
Wenn die Verjährung der Tat als Verfahrenshindernis (zu vgl. § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB) und demgemäß<br />
auch die übrigen – nicht behebbaren – Verfahrenshindernisse den Verfall und die Einziehung<br />
grundsätzlich ausschließen (Ausnahme: §§ 78 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 76a Abs. 2 Satz 1 StGB in den Fällen<br />
der Sicherungseinziehung) 210 , so können diese Maßnahmen im Rahmen des § 76a Abs. 1 und Abs.<br />
3 StGB nur dann selbständig angeordnet werden, wenn wegen einer Straftat aus tatsächlichen Gründen<br />
keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann. Dabei kommen infolgedessen auch<br />
nur solche Hinderungsgründe in Betracht, welche die materielle Strafbarkeit der Tat als solche wie<br />
auch ihre verfahrensrechtliche Verfolgbarkeit unberührt lassen und lediglich ihre faktische Sanktionierung<br />
unmöglich machen 211 . Dementsprechend ist § 76a Abs. 2 StGB, der auf die Voraussetzungen der<br />
§§ 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 und 74d StGB als Maßnahmen mit ausschließlich sicherndem Charakter<br />
abstellt und rechtliche Hinderungsgründe abbildet, als Ausnahmevorschrift ausgestaltet, um aus Gründen<br />
der Gefahrenabwehr die Unbrauchbarmachung betreffender Gegenstände zu gewährleisten.<br />
3.1.1 Tatbestände<br />
I § 76a Abs. 1 StGB<br />
Erforderlich ist zunächst, dass eine Straftat begangen wurde, in den Fällen des Verfalls eine rechtswidrige,<br />
nicht notwendigerweise schuldhafte Tat (im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB), und bei der Einziehung<br />
mit nebenstrafähnlichem Charakter (§ 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB, 74a StGB) eine vorsätzliche Tat,<br />
die mithin Verschulden voraussetzt.<br />
Zwar steht, wenn der Täter – den Verfall gleichwohl eröffnend – schuldlos handelt, seiner Verurteilung<br />
kein tatsächliches, sondern ein rechtliches Hindernis entgegen, so dass es nach dem Wortlaut des §<br />
76a Abs. 1 StGB nahe liegen könnte, dass ein selbständiges Verfallsverfahren ausscheidet. Dies widerspräche<br />
indes dem Regelungsgehalt des § 76a Abs. 1 StGB, der die Anordnung des Verfalls beim Vorliegen<br />
der Voraussetzungen der Maßnahme ohne Rücksicht auf die persönliche Verfolgbarkeit des<br />
208 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 76a Rn. 2.<br />
209 Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 76a Rn. 4.<br />
210 Vgl. hierzu Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 73 StGB Rn. 13; Schmidt,<br />
Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010, Bd. 3 § 76a Rn. 9.<br />
211 BGH, (Vorlage-)Beschluss vom 05.05.2011, 3 StR 458/10.<br />
71
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Täters ermöglichen will; deshalb steht beim Verfall das schuldlose Handeln des Täters einem tatsächlichen<br />
Verfolgungshindernis gleich 212 .<br />
Frage:<br />
Was ist in der Praxis der wohl häufigste Anwendungsfall für das objektive Verfahren<br />
nach § 76a StGB und welche Verfahrensvorschriften sind dabei zu beachten?<br />
Eine weitere Voraussetzung ist, dass aus tatsächlichen Gründen keine bestimmte Person verfolgt oder<br />
verurteilt werden kann, was in den folgenden Fällen gegeben ist 213 :<br />
Täter hat sich ins Ausland abgesetzt und eine Auslieferung verspricht keinen Erfolg<br />
Flucht/sich verborgen halten<br />
Tat steht fest, Identität des Täters kann aber nicht ermittelt werden<br />
Nicht aber bei Tod oder dauernder Verhandlungsunfähigkeit<br />
In diesem Rahmen können die Maßnahmen auch gegen (Dritt-)Empfänger im Sinne des § 73 Abs. 3<br />
StGB 214 oder juristische Personen unter Anwendung des § 75 StGB 215 respektive unter Beteiligung<br />
sonstiger Dritter 216 (§§ 73 Abs. 4 StGB; 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB bei Dritteigentum etc.; 74a StGB) angeordnet<br />
werden.<br />
II § 76a Abs. 2 StGB<br />
Hier ist weder schuldhaftes Handeln erforderlich noch schaden – unter gewissen Ausnahmen allerdings<br />
– rechtliche Hindernisse 217 .<br />
Ausnahmen hierzu ergeben sich aus § 76a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB und aus § 76a Abs. 2 Satz 2<br />
StGB 218 .<br />
III § 76a Abs. 3 StGB<br />
Der Wortlaut der Norm spricht für sich; einer weiteren Erörterung bedarf es daher an dieser Stelle<br />
nicht.<br />
3.1.2 Staatlicher Auffangrechtserwerb zu Gunsten des Staates nach § 111i StPO im<br />
Rahmen des objektiven Verfahren (§ 111i Abs. 8 StPO)<br />
Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass nach § 111i Abs. 8 StPO in den Fällen des § 76a<br />
Abs. 1 und Abs. 3 StGB die Absätze 2 bis 7 des § 111i StPO auf das Verfahren nach §§ 440 und 441 in<br />
Verbindung mit § 442 Abs. 1 StPO entsprechend anzuwenden sind 219 .<br />
Eine ausführliche Darstellung des Auffangrechtserwerbs folgt im Teil „Rückgewinnungshilfe zu Gunsten<br />
von Verletzten aus Straftaten“.<br />
212<br />
BGH a.a.O. m.w.N.; so auch Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76a Rn. 10.<br />
213<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76a Rn. 6 ff.; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010,<br />
Bd. 3 § 76a Rn. 8; Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 011, § 76a StGB Rn. 5.<br />
214<br />
Vgl. BGH, (Vorlage-)Beschluss vom 05.05.2011, 3 StR 458/10.<br />
215<br />
Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76a Rn. 5.<br />
216<br />
Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 74 Rn. 21.<br />
217<br />
Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76a Rn. 8; Schmidt, Leipziger Kommentar (LK), StGB, 12. Auflage 2010,<br />
Bd. 3 § 76a Rn. 11: Immunität; Amnestie; dauernde Verhandlungsunfähigkeit; „ne bis in idem“, wenn in dem<br />
freisprechenden Urteil über die Einziehung nicht entschieden wurde; Verjährung; persönliche Strafausschließungsgründe;<br />
Tod des Beschuldigten.<br />
218<br />
Vgl. Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76a Rn. 9.<br />
219<br />
Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 19; Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage<br />
2008, § 111i StPO Rn. 26.<br />
72
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
3.2 Nachträgliche Anordnung nach § 76 StGB<br />
Wenn die Umsetzung des/der angeordneten (Original-)Verfalls und/oder Einziehung nachträglich unmöglich<br />
geworden ist, ermöglicht § 76 StGB die Umwandlung in den Verfall resp. die Einziehung von<br />
Wertersatz. Dies führt zur Durchbrechung der Rechtskraft 220 . Das Gericht des ersten Rechtszugs, dem<br />
insoweit Ermessen eingeräumt ist, entscheidet darüber ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss<br />
gemäß § 462 StPO 221 .<br />
Über § 76 Alt. 1 StGB „Nichtausführbarkeit der Anordnung“ werden Fallgestaltungen erfasst, wenn das<br />
ursprüngliche Objekt dem staatlichen Zugriff entzogen ist. Beispiele 222 :<br />
Verbrauch des Einziehungsgegenstandes<br />
Wirksame Veräußerung des Einziehungsgegenstandes vor der gerichtlichen Entscheidung<br />
Verbrauch oder Beiseiteschaffen des Verfallsgegenstandes<br />
Unter § 76 Alt. 2 StGB „Unzureichende Anordnung“ fallen hingegen Konstellationen, bei denen der<br />
Gegenstand mit Rechten belastet worden ist, welche bei der Einziehung eine Entschädigungspflicht<br />
nach § 74f StGB auslösen würden 223 .<br />
Eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung ist nur dann angezeigt, wenn die betreffenden Umstände<br />
nach der letzten tatrichterlichen Entscheidung bekannt geworden sind, wobei die sonstigen Voraussetzungen<br />
für den Verfall oder die Einziehung des Wertersatzes vorliegen müssen 224 .<br />
Zusammenfassung<br />
Die Anordnung des Verfalls und der Einziehung im subjektiven Verfahren entspricht dem<br />
Regelfall.<br />
§ 76a StGB eröffnet lediglich einen anderen prozessualen Weg für Verfall und Einziehung,<br />
lässt aber deren Anwendungsvoraussetzungen unberührt.<br />
§ 76a StGB stellt grundsätzlich auf tatsächliche Verfolgungshindernisse ab.<br />
Darüber hinaus ist die Anordnung des Verfalls im objektiven Verfahren auch beim schuldlos<br />
Handelnden möglich, da aus normativen Gründen das schuldlose Handeln einem tatsächlichen<br />
Verfolgungshindernis gleicht.<br />
Wenn die Umsetzung des/der angeordneten (Original-)Verfalls und/oder Einziehung<br />
nachträglich unmöglich geworden ist, ermöglicht § 76 StGB die Umwandlung in den Verfall<br />
resp. die Einziehung von Wertersatz.<br />
220 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 76 StGB Rn. 1.<br />
221 Fischer, StGB, 58. Auflage 2011, § 76 Rn. 2.<br />
222 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 76 StGB Rn. 2.<br />
223 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 76 StGB Rn. 3.<br />
224 Joecks, Münchener Kommentar (MK), StGB Band 2/1 §§ 52-79b, 2005, § 76 Rn. 6 ff.<br />
73
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
4. Vermögensabschöpfung im Ordnungswidrigkeitenrecht<br />
Die Bedeutung der Verfalls- und Einziehungsvorschriften im Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) dürfte<br />
bei abstrakter Betrachtung nicht zu unterschätzen sein, die Bestimmungen spielen jedoch in der<br />
justiziellen Praxis nicht zuletzt infolge ihres nur geringen Bekanntheitsgrades lediglich eine untergeordnete<br />
Rolle.<br />
Frage:<br />
Was ist das Ziel der Gewinnabschöpfung im Strafgesetzbuch und im Ordnungswidrigkeitenrecht?<br />
Im Rahmen der Verhängung eines einheitlichen Geldbetrages bezweckt § 17 Abs. 4 OWiG, den Täter<br />
einer Ordnungswidrigkeit so zu stellen, dass er aus seiner Handlung nicht nur keinen Vorteil für sich<br />
behält, sondern über das Maß der gezogenen Vorteile hinaus eine Einbuße in Form der Geldbuße hinzunehmen<br />
hat 225 .<br />
Über die Geldbuße sind daher auch die aus der Ordnungswidrigkeit gezogenen wirtschaftlichen<br />
Vorteile abzuschöpfen. Ist dies geschehen, verbleibt für die Anordnung<br />
des Verfalls kein Raum (vgl. § 29a Abs. 1 und § 30 Abs. 5 OWiG).<br />
Davon losgelöst kommt den Bestimmungen der §§ 30, 130 OWiG, welche die Verhängung einer Unternehmensgeldbuße<br />
– unter Umständen auch im selbständigen Verfahren (§ 30 Abs. 4 OWiG) – fakultativ<br />
zulassen, insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht größere praktische Relevanz zu.<br />
Infolgedessen liegt der Schwerpunkt der nachfolgenden Darstellung, die sich ansonsten auf die Vermittlung<br />
der Grundstrukturen und der Systematik beschränkt, in diesem Bereich. Somit wird auch auf<br />
die Mehrerlösabführung nach §§ 8, 10 Abs. 2 Wirtschaftsstrafgesetz (WiStG) nicht näher eingegangen.<br />
Verweis auf die einschlägigen Kommentare, Leitfäden etc., so etwa auf das Handbuch<br />
des LKA NRW zur verfallsorientierten Ahndung von Ordnungswidrigkeiten oder die entsprechenden<br />
Ausführungen von Schmidt 226 .<br />
225 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1242.<br />
226 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil „Gewinnabschöpfung nach dem<br />
OWiG“.<br />
74
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
4.1 Systematik der Bestimmungen<br />
Die kriminalpolitischen Ziele der Gewinnabschöpfung im Strafgesetzbuch sowie im Ordnungswidrigkeitenrecht<br />
sind identisch: Dem Täter sollen die Früchte seiner kriminellen Handlungen nicht belassen<br />
und darüber hinaus das Investitionskapital für die künftige Begehung von Straftaten präventiv entzogen<br />
werden 227 .<br />
Im Rahmen dreier „Instrumente“,<br />
1. der Geldbuße (§§ 17 Abs. 4, 30, 130 OWiG)<br />
2. der Einziehung (§§ 22 ff. OWiG) und<br />
3. des Verfalls (§ 29a OWiG)<br />
können diese Ziele jedenfalls mittelbar erreicht werden.<br />
Die Geldbuße kombiniert Ahndungs- und Abschöpfungsteil, wobei § 17 Abs. 4 Satz 1 an § 1 Abs. 1<br />
OWiG anknüpft. Anders als beim Verfall nach dem StGB und dem OWiG ist eine tatbestandliche,<br />
rechtswidrige und vorwerfbare Handlung erforderlich. Im Übrigen kommt nur die Abschöpfung des<br />
„wirtschaftlichen Vorteils“, den der Täter oder die juristische Person etc. aus der Ordnungswidrigkeit<br />
gezogen hat, in Betracht; es gilt insofern das Nettoprinzip. Ist eine Geldbuße entsprechend verhängt<br />
worden, kommt nachfolgend die Anordnung des Verfalls nicht (mehr) infrage (§ 29a Abs. 1 OWiG).<br />
Die Instrumente stehen somit in einem echten Exklusivitätsverhältnis.<br />
Der Verfall nach § 29a OWiG erfordert demgegenüber lediglich eine rechtswidrige Handlung, welche<br />
den Tatbestand eines Gesetzes im Sinne des § 1 Abs. 1 OWiG verwirklicht (§§ 29a Abs. 1 i.V.m. 1<br />
Abs. 2 OWiG). Analog zum Verfall nach § 73 Abs. 1 StGB kann auch beim Verfall im Ordnungswidrigkeitenrecht<br />
das erlangte „Etwas“, mithin jeder Gegenstand mit wirtschaftlichem Wert, unter Maßgabe<br />
des Bruttoprinzips abgeschöpft werden, allerdings – aus Gründen der Vereinfachung der Rechtsanwendung<br />
– nur in Form eines Geldbetrages, entsprechend dem Wert des Erlangten, und nicht im<br />
Rahmen des Originalverfalls des erlangten „Etwas“ selbst 228 . (Dritt-)Empfängerverfall (§ 29a Abs. 2<br />
OWiG), Schätzung (§ 29a Abs. 3 OWiG) und selbständiges Verfahren (§ 29a Abs. 4 OWiG) sind in<br />
einer Norm zusammengefasst.<br />
Schließlich sind die Vorschriften der Einziehung gem. §§ 22 ff. OWiG eng an die §§ 74 ff. StGB angelehnt.<br />
Diese drei Instrumente stehen sämtlich im Ermessen der Behörden, wobei die Abschöpfung des wirtschaftlichen<br />
Vorteils im Rahmen des § 17 Abs. 4 OWiG als „Soll-Vorschrift“ ausgestaltet ist; insoweit<br />
weicht § 29a OWiG von den Regelungen der §§ 73, 73a StGB ab.<br />
Unterschiede bestehen auch im Verfahrensrecht: Während beim Verfall nach § 29a OWiG vorläufig<br />
sichernde Maßnahmen über einen dinglichen Arrest möglich sind (§§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 111b Abs.<br />
2, 111d StPO), werden im Vorfeld der Verhängung einer Geldbuße Sicherungsmaßnahmen von Gesetzes<br />
wegen ausgeschlossen, da der Bußgeldbescheid im Rahmen des Anhörungs- und Einspruchsverfahrens<br />
(vorläufig) nicht vollstreckt werden darf 229 .<br />
227 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1241.<br />
228 Vgl. hierzu Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1283.<br />
229 Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010, Teil<br />
IV Kap. 2.3 S. 193.<br />
75
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
4.2 (Rechts-)Folgen<br />
4.2.1 Verhängung einer Geldbuße<br />
Fall 26230 :<br />
A. und B., Vorstandsmitglieder der ausländischen C. AG, haben ein Gebilde geschaffen,<br />
welches von in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Personen, die insoweit<br />
als Haupttäter anzusehen sind, zur Steuerhinterziehung u.a. im Zusammenhang<br />
mit steuerpflichtigen Einkünften genutzt wurde. Vor diesem Hintergrund wurde eine<br />
Vielzahl von Stiftungen und anderen Rechtsgebilden errichtet. Gleichzeitig wurde bewusst<br />
der Kapitaltransfer über eigens zu diesem Zweck gegründete („Omnibus“-<br />
)Gesellschaften, die den eigentlichen Empfänger schützten, verschleiert, mit denen<br />
im Übrigen gezielt als Anreiz zur Gründung einer Stiftung geworben wurde. Das Verfahren<br />
gegen A. und B. wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung<br />
wurde gegen Zahlung hoher Geldbußen gem. § 153a StPO eingestellt.<br />
Über Domizilgebühren, Stiftungsratsvergütungen und Gebühren für Vermögensverwaltung<br />
hat die C. AG wirtschaftliche Vorteile in Höhe von schätzungsweise 15 Mio.<br />
Euro erlangt.<br />
I Geldbuße nach § 17 Abs. 4 OWiG<br />
Die Verhängung einer Geldbuße unter Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils erfordert<br />
zunächst die Begehung einer Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 OWiG, mithin<br />
eine tatbestandliche, rechtswidrige und vorwerfbare Handlung.<br />
Als Bezugstaten kommen sowohl vorsätzliche als auch fahrlässige Zuwiderhandlungen (vgl. § 10<br />
OWiG) in Betracht. Ist die Ordnungswidrigkeit verjährt, so scheidet auch eine Abschöpfung des wirtschaftlichen<br />
Vorteils aus (§ 31 Abs. 1 OWiG) 231 .<br />
Ferner ist der wirtschaftliche Vorteil zu ermitteln, den der Täter unmittelbar 232 aus der Ordnungswidrigkeit<br />
gezogen hat. Insoweit gilt das Nettoprinzip. Das Gesetz stellt daher – anders als beim Verfall –<br />
nicht davon frei, teilweise aufwendige (Saldierungs-)Ermittlungen anzustellen, weswegen hier die<br />
Hauptprobleme begründet liegen.<br />
Wirtschaftlicher Vorteil ist gleichzusetzen mit tatsächlich erzieltem Gewinn oder Nutzen; es sind daher<br />
nicht nur in Geld bestehende Gewinne relevant, sondern darüber hinaus sonstige Vorteile, wie etwa<br />
eine Verbesserung der Marktlage, ersparte Aufwendungen oder sonstige Gebrauchsvorteile 233 .<br />
Die Ermittlung eines solchen wirtschaftlichen Vorteils erfordert grundsätzlich einen Vergleich der wirtschaftlichen<br />
Position des Betroffenen vor und nach Begehung der Tat. Im Rahmen dieser Saldierung<br />
sind von den durch die begangene Tat erlangten wirtschaftlichen Zuwächsen die Kosten und sonstigen<br />
Aufwendungen des Betroffenen abzuziehen 234 .<br />
Zum Zeitpunkt der Entscheidung 235 ist somit der (Rein-)Gewinn festzustellen, wobei der nachträgliche<br />
Wegfall des zunächst erlangten Vorteils, etwa infolge der Versteuerung oder der Befriedigung von aus<br />
der Tat resultierenden Schadensersatzansprüchen, Berücksichtigen zu finden hat 236 .<br />
230<br />
Das Fallbeispiel ist angelehnt an ein (Groß-)Verfahren der Staatsanwaltschaft Bochum im Bereich Steuerhinterziehung<br />
im Zusammenhang mit der liechtensteinischen LGT-Gruppe. Sämtliche Zahlen etc. sind abgewandelt.<br />
231<br />
Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1246.<br />
232<br />
Bär, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 17 OWiG Rn. 12.<br />
233<br />
Bär, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 17 OWiG Rn. 12; Schmidt, Gewinnabschöpfung<br />
im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1247.<br />
234<br />
Bär a.a.O.<br />
235<br />
Schmidt a.a.O.<br />
236<br />
Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1250.<br />
76
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
II („Unternehmens“-)Geldbuße gem. §§ 30, 130 OWiG<br />
a. Einleitung<br />
Die häufig als „Ablasshandel“ bezeichnete Möglichkeit, eine (selbständige) „Verbandsgeldbuße“ zu<br />
verhängen, spielt insbesondere bei Verfahren aus dem Wirtschaftsstrafrecht eine Rolle. Als prominente<br />
Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit gelten (Verbands-)Geldbußen, die in Millionenhöhe im Zusammenhang<br />
mit „Schmiergeldskandalen“ gegenüber dem Maschinenbau- und Nutzfahrzeugkonzern<br />
MAN (über 150 Mio. Euro) und Siemens (ca. 201 Mio. Euro) verhängt worden sind. Zu derartigen<br />
Maßnahmen kommt es darüber hinaus im Kartellrecht, bei welchem die als Blankettgesetz ausgestaltete<br />
Norm des § 81 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) einschlägig ist 237 .<br />
Dementsprechend haben auch die in diesem Bereich tätigen (Unternehmens-)Anwälte<br />
die Thematik aufgegriffen, was sich in zahlreichen Publikationen u.a. zur (präventiven)<br />
Beratung von Unternehmen niederschlägt 238 .<br />
Der Hauptzweck des § 30 Abs. 3 OWiG liegt in der Abschöpfung der durch die Straftat oder Ordnungswidrigkeit<br />
zu Gunsten der juristischen Person oder Personenvereinigung gezogenen Gewinne.<br />
Der Norm kommt zudem auch Präventivwirkung zu, als jene den diesbezüglichen Mitgliedern Veranlassung<br />
geben soll, bei der Auswahl ihrer Organe die im Geschäftsleben notwendige Vorsicht walten<br />
zu lassen 239 .<br />
b. Anwendungsvoraussetzungen<br />
(1) Täterkreis<br />
Der mögliche Täterkreis wird in § 30 Abs. 1 OWiG abschließend beschrieben.<br />
Infolge des Merkmals „vertretungsberechtigt“ in § 30 Abs. 1 Nr.1, 3 OWiG muss der Täter zum Zeitpunkt<br />
der Zuwiderhandlung als Organ, Vorstand, Vertreter oder Bevollmächtigter gehandelt haben.<br />
Erforderlich ist demgemäß, dass der Täter in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Unternehmens<br />
oder Verbands tätig geworden ist. Hierbei kommt es allerdings weder auf den Umfang der Vertretungsmacht<br />
innerhalb der jeweiligen Gesellschaft an noch darauf, ob der Täter in Wahrnehmung seiner<br />
Befugnisse gehandelt hat oder seine Bestellung als Organ wirksam ist 240 .<br />
Besteht in einem Personenverband ein Leitungsgremium, so kann jedes aktive Tun eines einzelnen<br />
Mitglieds des Leitungsorgans den Tatbestand erfüllen; das einzelne Mitglied handelt für das Organ als<br />
Ganzes. Darüber hinaus kommt jedem betreffenden Mitglied insoweit eine Garantenpflicht zur Abwehr<br />
der nach § 30 OWiG tatbestandsmäßigen Handlungen zu 241 .<br />
(2) Straftat oder Ordnungswidrigkeit als Bezugstat<br />
§ 30 OWiG ist streng akzessorisch: notwendig ist darüber hinaus die vorsätzliche oder fahrlässige Begehung<br />
einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, mithin eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und<br />
individuell zurechenbare und damit schuldhafte oder vorwerfbare Zuwiderhandlung 242 .<br />
Allerdings sollen Handlungen nach § 30 OWiG nicht der Verfolgungsverjährung nach § 31 OWiG unterliegen,<br />
da die Vorschrift keinen eigenen Bußgeldtatbestand bildet; vielmehr muss sich die Verjährung<br />
akzessorisch nach jenen für die Verjährung der Bezugstat geltenden Verjährungsvorschriften richten<br />
243 .<br />
(3) Die Pflichtverletzung nach § 30 Abs. 1 Alt. 1 OWiG<br />
Ferner ist erforderlich, dass durch die begangene Straftat oder Ordnungswidrigkeit, welche nicht notwendigerweise<br />
vermögensrechtlicher Art sein müssen, eine spezifische unternehmens- oder verbandsbezogene<br />
Pflicht verletzt worden ist. Damit sind nur solche Pflichten gemeint, die sich für die juristi-<br />
237 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1268.<br />
238 Vgl. Verjans, Münchener Anwalts Handbuch, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2006, § 8<br />
„Strafrechtliche Präventivberatung“ Rn. 15; Britz, Münchener Anwalts Handbuch, Verteidigung in Wirtschafts-<br />
und Steuerstrafsachen, 2006, § 5 „Rechtsfolgen gegen das Unternehmen“.<br />
239 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1300.<br />
240 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1320.<br />
241 Niesler, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 30 OWiG Rn. 28.<br />
242 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1321.<br />
243 Rogall, Karlsruher Kommentar, OWiG, 3. Auflage 2006, § 30 Rn. 227a.<br />
77
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
sche Person oder Personenvereinigung aus deren besonderen Wirkungskreis ergeben. Die Betriebsbezogenheit<br />
ist daher besonders sorgfältig zu prüfen 244 .<br />
Zu unterscheiden ist wie folgt:<br />
Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) 245<br />
Betriebsbezogene Pflichten<br />
Allgemeinpflichten<br />
(4) Bereicherung<br />
§ 30 Abs. 1 Alt. 2 OWiG betrifft die Fälle, in welchen durch die Handlung des Organs das Unternehmen<br />
entweder bereichert worden ist oder bereichert werden sollte.<br />
(5)Wirtschaftlicher Vorteil im Sinne des § 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG.<br />
Nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG soll der wirtschaftliche Vorteil (im Sinne der obigen Ausführungen)<br />
abgeschöpft werden. Eine Schätzung ist möglich.<br />
c. Sonstiges<br />
Lösung Fall 26:<br />
Vorliegend haben die Organe der C. AG eine Straftat namentlich Beihilfe zur Steuerhinterziehung<br />
begangen und hierdurch kausal - unabhängig von der Frage nach der<br />
Verletzung einer betriebsbezogenen Pflicht - das Unternehmen bereichert. Dass die<br />
Anknüpfungstat im Ausland begangen wurde, ist unschädlich, da deutsches Recht<br />
anzuwenden ist 246 . Auf § 130 OWiG muss daher nicht zurückgegriffen werden. Angesichts<br />
der Gesamtumstände kann folglich beim Ahndungsteil der Geldbuße der<br />
Höchstbetrag von 1 Mio. Euro in Ansatz gebracht werden. Daneben ist der wirtschaftliche<br />
Vorteil „abzuschöpfen“; insoweit kann das gesetzliche Höchstmaß des § 30 Abs.<br />
2 Satz 1 Nr. 1 OWiG überschritten werden (§ 17 Abs. 4 Satz 2 OWiG).<br />
Die Anordnung gegen die C. AG kann im selbständigen Festsetzungsverfahren nach §<br />
30 Abs. 4 OWiG erfolgen, da das Verfahren gegen A. und B. gem. § 153a StPO eingestellt<br />
wurde.<br />
Die Verhängung einer Verbandsgeldbuße schließt den Verfall (von Wertersatz) nach §§ 73, 73a StGB<br />
bzw. 29a Abs. 2 OWiG aus. Im Falle der Begehung einer Straftat wäre der Verfall nach § 73 Abs. 3<br />
StGB gegenüber der Maßnahme nach § 29a Abs. 2 OWiG vorrangig 247 .<br />
4.2.2 Verfall nach § 29a OWiG<br />
Abgesehen von den oben bereits skizzierten Unterschieden bestehen im Hinblick auf die Anwendungsvoraussetzungen<br />
des § 29a Abs. 1 und 2 OWiG gegenüber § 73 Abs. 1 und Abs. 3 StGB keine wesentlichen<br />
Unterschiede.<br />
Die Ermessensentscheidung ist eröffnet, sofern Täter oder Dritter eine mit Geldbuße bedrohte Handlung<br />
im Sinne des § 1 Abs. 2 OWiG begangen und entweder für die Tat oder aus ihr unmittelbar ein<br />
vermögenswertes „Etwas“ im Rahmen einer zumindest faktischen Verfügungsbefugnis erlangt hat.<br />
Mittelbare Vorteile sind nicht erfasst, was schon am Fehlen einer mit § 73 Abs. 2 StGB vergleichbaren<br />
Regelung ersichtlich wird.<br />
Auf der Rechtsfolgenseite scheidet der (Original-)Verfall aus, da die Nebenfolge auf die Verhängung<br />
eines Geldbetrages, der dem Wert des (ursprünglich) Erlangten entspricht, ausgerichtet ist.<br />
Bezüglich des im Rahmen der Anwendung des § 29a Abs. 2 OWiG gebotenen Zurechnungsverhältnisses<br />
zwischen Täter und Drittem – „Handeln für einen anderen“ – dürften die von der Rechtsprechung<br />
zu § 73 Abs. 3 StGB entwickelten Fallgruppen in entsprechender Anwendung heranzuziehen sein 248 .<br />
244 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1322.<br />
245 § 130 OWiG ermöglicht insoweit einen Durchgriff unmittelbar auf den Unternehmensträger, wenn diesbezüglich<br />
ein nach § 30 OWiG tauglicher Repräsentant seine Aufsichtspflicht verletzt hat.<br />
246 Niesler, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 30 OWiG Rn. 36.<br />
247 Niesler, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 30 OWiG Rn. 70.<br />
78
Teil I Materielles Recht der Vermögensabschöpfung<br />
Während bei der Verhängung einer Geldbuße nach § 17 Abs. 4 OWiG die gesamtschuldnerische Haftung<br />
mehrerer Handelnder nach einhelliger Auffassung ausgeschlossen ist 249 , ist deren Anwendung<br />
beim Verfall nach § 29a OWiG umstritten 250 .<br />
Zusammenfassung<br />
Im Rahmen des OWi-Rechts soll die Gewinnabschöpfung über drei Instrumente, die<br />
Geldbuße, den Verfall und die Einziehung, erreicht werden.<br />
Verhängung eines einheitlichen Geldbetrages im Rahmen der Geldbuße: Der Täter einer<br />
Ordnungswidrigkeit soll aus seiner Handlung nicht nur keinen Vorteil für sich behalten,<br />
sondern auch über das Maß der gezogenen Vorteile hinaus eine Einbuße in Form der<br />
Geldbuße hinnehmen. Die Geldbuße kombiniert mithin Ahndungs- und Abschöpfungsteil.<br />
Insoweit ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und vorwerfbare Handlung erforderlich.<br />
Bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Vorteils im Sinne des § 17 Abs. 4 OWiG gilt das<br />
Nettoprinzip. Ist eine Geldbuße verhängt worden, kommt danach die Anordnung des Verfalls<br />
nicht (mehr) infrage.<br />
Der Hauptzweck des § 30 Abs. 3 OWiG liegt in der Abschöpfung der durch die Straftat<br />
oder Ordnungswidrigkeit zu Gunsten der juristischen Person oder Personenvereinigung<br />
gezogenen Gewinne. Während § 30 OWiG an die Verletzung einer spezifischen unternehmens-<br />
oder verbandsbezogenen Pflicht durch Organe oder Vertreter anknüpft, erweitert<br />
§ 130 OWiG den Anwendungsbereich auf Aufsichtspflichtverletzungen.<br />
248 Vgl. LG Stuttgart, Beschluss vom 28.02.2008, 19 Qs 110/05 OWi; Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung<br />
im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010, Teil IV Kap. 2.3 S. 199; Schmidt, Gewinnabschöpfung<br />
im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1436.<br />
249 Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1395 m.w.N.<br />
250 Abl. Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 5. Teil Rn. 1396; zust. Podolsky/Brenner,<br />
Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010, Teil IV<br />
Kap. 2.3 S. 199.<br />
79
Teil II Verfahrensrecht<br />
Teil II Verfahrensrecht<br />
5. Einführung in die Gesetzessystematik<br />
5.1 Systematik der einschlägigen Verfahrensvorschriften<br />
Im Mittelpunkt der nachfolgenden Darstellung stehen die Regelungen der §§ 111b – 111n StPO, die<br />
dazu dienen, die Ansprüche auf Einziehung und Verfall resp. Verletztenansprüche durch einen vorläufigen<br />
Zugriff auf das Vermögen des insoweit Betroffenen, namentlich des Beschuldigten, und anderer<br />
Beteiligter zu sichern 251 . Entsprechend flankiert wird dieses Vorhaben durch die Vorschriften der §§<br />
430 ff. StPO, die die Interessen Dritter sowohl natürlicher als auch juristischer Personen oder Personenvereinigungen<br />
außerhalb der unmittelbar Tatbeteiligten im subjektiven wie auch im objektiven<br />
Verfahren prozessual gewährleisten sollen.<br />
Die §§ 111b ff. und 430 ff. StPO haben dabei nicht nur im Straf-, sondern auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren<br />
Bedeutung: So kommen gem. § 46 Abs. 1 OWiG vorläufige Maßnahmen nach §§ 111b,<br />
111d StPO zur Absicherung des Anspruchs auf Verfall gem. § 29a OWiG in Betracht, während § 444<br />
StPO die Beteiligung einer juristischen Person etc., gegen die im Strafverfahren ggf. auch selbständig<br />
eine Geldbuße nach § 30 OWiG verhängt werden soll, anordnet.<br />
Zu nennen ist weiter zum einen § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO, welcher die weitere Beschwerde, die Anordnung<br />
eines dinglichen Arrests über einen Betrag von mehr als 20.000,- Euro betreffend, erlaubt 252 ,<br />
und zum anderen die Regelung des § 257c StPO, welche die Verständigung zwischen Gericht und<br />
Verfahrensbeteiligten über die Rechtsfolgen und damit auch über Nebenfolgen wie Einziehung und<br />
Verfall normiert 253 .<br />
Außerhalb des Strafprozessrechts kommen schließlich noch den im 8. Buch der ZPO enthaltenen Bestimmungen<br />
Bedeutung zu.<br />
251 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vorbemerkung zu §§ 111b – 111p Rn. 1.<br />
252 Im Übrigen gelten die allgemeinen Rechtsmittel der StPO, was bzgl. der Vollziehung von Beschlagnahme und<br />
Arrest in § 111f Abs. 5 StPO ausdrücklich klargestellt wird.<br />
253 Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 257c Rn. 10.<br />
80
Teil II Verfahrensrecht<br />
5.2 Systematik der §§ 111b – 111n StPO<br />
Die §§ 111b – 111d StPO regeln die prozessualen Voraussetzungen der in Betracht kommenden (Sicherungs-)Titel<br />
entweder zu Gunsten des Staates oder aber zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten.<br />
Sie bestimmen zusätzlich die Art des Zugriffs auf das (Legal-)Vermögen des Betroffenen im Wege von<br />
Beschlagnahme bzw. Pfändung.<br />
Anordnungs- und Vollstreckungskompetenzen sind in den §§ 111e und 111f StPO geregelt, während<br />
die §§ 111b Abs. 5, 111g, 111h, 111i und 111k StPO bestimmte Verfahrensregeln im Zusammenhang<br />
mit der Rückgewinnungshilfe vorgeben.<br />
Schließlich enthält § 111l StPO Bestimmungen zur Durchführung der Notveräußerung. Demgegenüber<br />
spielen die §§ 111m – 111n in der Praxis so gut wie keine Rolle und können daher unberücksichtigt<br />
bleiben.<br />
81
Teil II Verfahrensrecht<br />
6. Vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO<br />
6.1 Gemeinsame Voraussetzungen<br />
Verknüpft mit dem materiellen Recht sieht § 111b Abs. 1 und Abs. 2 StPO fakultativ die Möglichkeit<br />
vor, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes den staatlichen Anspruch auf Verfall und Einziehung<br />
über Beschlagnahme und Arrestvollziehung abzusichern.<br />
(Erweiterte(r) (Original-)Verfall und (Original-)Einziehung nach §§ 73, 73d Abs. 1, 74, 74a StGB korrespondieren<br />
mit der Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 1, 111c StPO, während erweiterte(r) Verfall<br />
und Einziehung von Wertersatz nach §§ 73a, 73d Abs. 2, 74c StGB mit der Arrestvollziehung nach §§<br />
111b Abs. 2, 111d StPO verzahnt sind.<br />
An dieser Systematik hält auch § 111b Abs. 5 StPO fest, welcher die Rückgewinnungshilfe in verfahrensrechtlicher<br />
Hinsicht normiert und entsprechende Sicherungsmaßnahmen erlaubt.<br />
Von besonderer Relevanz ist die Differenzierung zwischen Beschlagnahmeanordnung und dinglichem<br />
Arrest im Insolvenzrecht.<br />
Während das über eine Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 1, 111c Abs. 5 StPO begründete gesetzliche<br />
Veräußerungsverbot im Sinne des § 136 BGB im Insolvenzverfahren keine Wirkung hat (§ 80 Abs.<br />
2 Satz 1 InsO), bleiben die Vorschriften über die Wirkungen einer Pfändung oder einer Beschlagnahme<br />
im Wege der Zwangsvollstreckung unberührt (§ 80 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das über die Vollziehung<br />
eines dinglichen Arrestes entstandene Pfändungspfandrecht (vgl. § 111d Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 928,<br />
930 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. 804 Abs. 1 ZPO) hat daher weiterhin Gültigkeit.<br />
Ansonsten ist innerhalb eines Titels, gleich ob Beschlagnahmeanordnung oder dinglicher Arrest, der<br />
Wechsel des Sicherungszwecks, also etwa vom zu sichernden staatlichen Anspruch auf Verfall (von<br />
Wertersatz) hin zur Rückgewinnungshilfe, möglich 254 .<br />
Sollte sich darüber hinaus herausstellen, dass die Beschlagnahmeanordnung geändert werden muss<br />
(z.B. andere Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme, Änderung in einen dinglichen Arrest), so wird<br />
das Veräußerungsverbot i.S.d. § 111c Abs. 5 StPO nicht unterbrochen 255 . Da die Beschlagnahme nach<br />
§§ 111b Abs. 1, 111c StPO jedoch nicht zur Begründung eines Pfändungspfandrechts führt, dürfte zur<br />
ununterbrochenen Absicherung der (Neu-)Erlass eines dinglichen Arrestes mit anschließendem Vollzug<br />
jedoch unabdingbar sein.<br />
6.1.1 Verfassungsrechtliche Vorgaben<br />
Neben den Entscheidungen des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 73 ff. StGB 256 hat sich die<br />
zuständige 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG seit 2004 in einer Reihe von zeitlich eng aufeinander<br />
folgenden Entscheidungen insbesondere mit dem von Verfassungs wegen gebotenen Anforderungsprofil<br />
vorläufiger Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO beschäftigt und für eine entsprechende<br />
Konturierung gesorgt 257 .<br />
Die zentralen Aussagen können wie folgt zusammengefasst werden:<br />
Der von einer strafprozessualen Eingriffsmaßnahme betroffene Beschuldigte erhält spätestens<br />
nachträglich Gelegenheit, sich im gerichtlichen Verfahren in Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen<br />
gegen die Eingriffsmaßnahme sowie den zu Grunde liegenden Vorwurf zur verteidigen. Dem<br />
folgend ist dem Betroffenen unter vorheriger Gewährung von Akteneinsicht (§ 147 StPO) bereits<br />
zu dem Rechtseingriff im Arrestverfahren rechtliches Gehör zu gewähren 258 (Rechtsstaatsgedanke).<br />
Dies bedeutet, dass unter Beachtung der §§ 33, 33a, 147 StPO nach Vollzug eines dinglichen Arrestes<br />
Akteneinsicht in die angelegten Finanzermittlungsakten zu gewähren ist, soweit dies zur<br />
254 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 6.<br />
255 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vorbemerkung zu § 111c Rn. 11; Schmidt, Gewinnabschöpfung<br />
im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, 4. Teil Rn. 593 m.w.N.<br />
256 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.01.2004, 2 BvR 564/95; Beschluss vom 05.05.2004, 2 BvR 1012/02.<br />
257 BVerfG, Beschluss vom 14.06.2004, 2 BvR 1136/03; Beschluss vom 03.05.2005, 2 BvR 1378/04; Beschluss<br />
vom 29.05.2006, 2 BvR 820/06; Beschluss vom 07.06.2005, 2 BvR 1822/04; Beschluss vom 19.01.2006, 2 BvR<br />
1075/05; Beschluss vom 07.07.2006, 2 BvR 527/06; Beschluss vom 11.01.2007, 2 BvR 1997/04; Beschluss<br />
vom 17.07.2008, 2 BvR 2182/06; hierzu instruktiv auch Kempf/Schilling, Vermögensabschöpfung, 2007, § 2<br />
Rn. 19 ff.<br />
258 BVerfG, Beschluss vom 05.05.2004, 2 BvR 1012/02; Beschluss vom 19.01.2006, 2 BvR 1075/05.<br />
82
Teil II Verfahrensrecht<br />
Verteidigung notwendig und erforderlich erscheint. Es gelten hier die auch für Haftfälle entwickelten<br />
Grundsätze 259 .<br />
Der Gewährleistungsgehalt des Eigentumsrechts schließt den Anspruch auf eine faire Verfahrensführung<br />
ein. Das Gericht ist gehalten, die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine<br />
rechtliche Auffassung unabhängig von der Exekutive zu gewinnen und begründen 260 .<br />
An die Zumutbarkeit von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen und dem Verfahren ihrer Anordnung<br />
sind besondere Anforderungen zu stellen, da zu berücksichtigen ist, dass das möglicherweise<br />
strafrechtlich erlangte Vermögen zu einem Zeitpunkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht<br />
besteht und noch nicht über die Strafbarkeit entschieden worden ist.<br />
Wird im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu gesamte Vermögen<br />
der Verfügungsbefugnis des Einzelnen entzogen, müssen gemäß des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />
die dabei maßgeblich tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung besonders<br />
sorgfältig geprüft und dargelegt werden, um dem Betroffenen Rechtsschutz zu ermöglichen<br />
261 .<br />
Lediglich eine Vermutung, dass es sich um strafrechtlich erlangtes Vermögen handelt, ist nicht<br />
ausreichend 262 .<br />
Im Hinblick darauf, dass es sich bei einem unter Maßgabe der §§ 111b ff. StPO erlassenen Titel<br />
um eine lediglich vorläufige Maßnahme auf Grund eines Tatverdachts handelt, steigen die Anforderungen<br />
mit der Dauer der Nutzungs- und Verfügungsbeschränkung. Dies gilt umso mehr, da<br />
anders als bei der Untersuchungshaft das Gesetz den Arrest als vorläufige Sicherungsmaßnahme,<br />
sofern „dringende Gründe“ im Sinne des § 111b Abs. 3 StPO vorliegen, keiner zeitlichen Beschränkung<br />
unterwirft.<br />
In diesem Kontext ist auch das (Prozess-)Verhalten eines etwaigen Verletzten aus einer Straftat,<br />
etwa im Rahmen einer längeren Untätigkeit, zu würdigen 263 .<br />
In den Fällen der Rückgewinnungshilfe (§§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b Abs. 5 StPO) ist das Vorliegen<br />
eines Sicherstellungsbedürfnisses nach einhelliger Auffassung zwingend geboten. Die Gerichte<br />
haben daher dieses Interesse etwaiger Geschädigter im jeweiligen Einzelfall zu prüfen und<br />
die besonderen Umstände erkennbar zu berücksichtigen 264 .<br />
Der konkrete, auf Täuschung angelegte Tatvorwurf mag geeignet sein, die Besorgnis einer Vereitelung<br />
oder wesentlichen Erschwerung der Vollstreckung und damit einen Arrestgrund im Sinne<br />
des § 111d Abs. 2 StPO zu begründen 265 .<br />
6.1.2 Anordnungsvoraussetzungen<br />
I Beschlagnahme-/ Arrestanspruch<br />
Es bedarf zunächst eines Beschlagnahme- oder Arrestanspruchs unter Maßgabe des materiellen<br />
Rechts der §§ 73 ff. und 74 ff. StGB. Dementsprechend ist zu prüfen, ob entweder staatliche Ansprüche<br />
auf Verfall oder Einziehung oder aber entsprechende Ansprüche von Verletzten im Sinne des § 73<br />
Abs. 1 Satz 2 StGB bestehen, welche gem. § 111b Abs. 5 StPO ebenfalls Anlass für vorläufige Sicherungsmaßnahmen<br />
geben können.<br />
Es ist ausreichend, dass zunächst einfacher Tatverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO vorliegt (§<br />
111b Abs. 1 und Abs. 2 StPO: „Gründe für die Annahme“). Die Verdachtslage bedarf jedoch gem. §<br />
111b Abs. 3 Satz 1 StPO im Regelfall binnen 6 Monaten der Verdichtung hin zum dringenden Tatverdacht,<br />
da das Gericht anderenfalls den betreffenden Sicherungstitel aufhebt. Unter den Voraussetzungen<br />
des § 111b Abs. 3 Satz 2 StPO kann allerdings die zuständige Staatsanwaltschaft bei Gericht die<br />
Verlängerung der Maßnahme beantragen, wobei weder eine Beschlagnahmeanordnung noch ein dinglicher<br />
Arrest ohne Vorliegen dringender Gründe über 12 Monate hinaus Bestand haben können (§<br />
111b Abs. 3 Satz 3 StPO).<br />
259 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.07.1994, 2 BvR 777/94; EGMR, NJW 2002, 2013 ff.<br />
260 BVerfG, Beschluss vom 14.06.2004, 2 BvR 1136/03.<br />
261 BVerfG, Beschluss vom 14.06.2004, 2 BvR 1136/03; Beschluss vom 03.05.2005, 2 BvR 1378/04.<br />
262 BVerfG, Beschluss vom 07.06.2005, 2 BvR 1822/04.<br />
263 BVerfG, ebd.<br />
264 BVerfG, ebd.<br />
265 BVerfG, ebd.<br />
83
Teil II Verfahrensrecht<br />
Spätestens nach 12 Monaten muss demgemäß die endgültige Anordnung von Einziehung, Verfall,<br />
Verfall von Wertersatz oder erweitertem Verfall in hohem Maße wahrscheinlich sein bzw. darf nur<br />
wegen der Ansprüche Tatverletzter unterbleiben 266 .<br />
Eine Vorlagepflicht besteht somit nicht generell, sondern partiell in den von § 111b Abs. 3 StPO ausdrücklich<br />
erfassten Fällen des Antrags auf Fortdauerentscheidung unter den Vorgaben des § 111b<br />
Abs. 3 Satz 2 StGB oder auf Aufhebung des Sicherungstitels, sofern ein dringender Tatverdacht nicht<br />
festgestellt werden kann resp. die Voraussetzungen des § 111b Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vorliegen.<br />
Sollte dagegen beispielsweise ein dinglicher Arrest auf Grundlage eines einfachen Tatverdachts erlassen<br />
worden sein und die Staatsanwaltschaft binnen 6 Monaten von einem dringenden Tatverdacht<br />
ausgehen, bedarf es der erneuten Vorlage beim (Ermittlungs-)Richter 267 . Anders dürfte der Fall zu<br />
beurteilen sein, wenn bereits beim Erlass eines Sicherungstitels dringender Tatverdacht wegen der<br />
zugrundeliegenden Straftaten besteht.<br />
Maßgeblich für die Berechnung der Fristen ist der Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme 268 .<br />
Frage:<br />
Was setzt eine Verlängerung nach § 111b Abs. 3 Satz 2 StPO voraus?<br />
Das Gericht kann andererseits auf Antrag der Staatsanwaltschaft gem. § 111b Abs. 3 Satz 2 StPO, der<br />
strukturell § 121 Abs. 1 StPO nachgebildet ist 269 , Beschlagnahmeanordnung oder dinglichen Arrest um<br />
höchstens 6 Monate verlängern, wobei das Gericht auch kürzere Prüfungsintervalle vorsehen kann,<br />
namentlich bei Sicherungsmaßnahmen über besonders hohe Beträge 270 .<br />
Eine Verlängerung setzt zweierlei voraus:<br />
1. Es muss ein Verlängerungsgrund vorliegen (z.B. besonders schwierige Ermittlungen, ein besonderer<br />
Umfang der Ermittlungen oder ein sonst wichtiger Grund)<br />
2. Es bedarf eines Tatverdachts aufgrund „bestimmter Tatsachen“, eine Gesetzesformulierung, die<br />
sich auch in § 100a Abs. 1 Nr. 1 StPO oder in § 112 Abs. 2 StPO wiederfindet und den Anforde-<br />
rungen an die Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt 271 .<br />
Unabhängig von der Regelung des § 76a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB steht das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen<br />
Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO nicht entgegen, sofern tatsächliche<br />
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese noch geschaffen werden können 272 .<br />
266<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 2.<br />
267<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 7.<br />
268<br />
Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111b Rn. 9.<br />
269<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 8.<br />
270<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 9.<br />
271<br />
Lohse, ebd.<br />
272<br />
Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 10.<br />
84
Teil II Verfahrensrecht<br />
II Beschlagnahme-/ Arrestgrund<br />
Fall 27:<br />
Die Ermittlungen richten sich gegen eine Tätergruppe, die im Rahmen eines international<br />
agierenden Umsatzsteuerkarussells mit dem Handel hochwertiger Pkw betreffend<br />
gewerbs- und bandenmäßig (Umsatz-)Steuern in großem Ausmaß verkürzt hat.<br />
Strukturell betrachtet haben die Täter über ein Netz von Scheinfirmen im In- und<br />
Ausland unter Verwendung teilweise verfälschter Belege Rechnungs- und Lieferwege<br />
fingiert.<br />
Der Schaden beläuft sich auf einen achtstelligen Millionenbetrag in Euro, der im<br />
Rahmen unrechtmäßiger Vorsteuererstattungen zur Auszahlung gelangt ist. Die Gelder<br />
wurden teilweise dafür benutzt, zum einen bestimmte Funktionsträger innerhalb<br />
der Täterorganisation, beispielsweise die Ersteller von Scheinrechnungen im Sinne<br />
des § 14c UStG, zu entlohnen und zum anderen die tatsächlich vorhandene Ware, die<br />
überwiegend exportiert wurde, zu verbilligen. Der übrige Verbleib der Erlöse konnte<br />
hingegen noch nicht eruiert werden.<br />
Bei einem der Haupttäter wurde zudem ermittelt, dass er im Rahmen eines früheren<br />
Ermittlungsverfahrens versucht hatte, Zeugen zu beeinflussen.<br />
Es bedarf ferner eines Beschlagnahme- bzw. Arrestgrundes.<br />
Während beim Arrestvollzug über § 111d Abs. 2 StPO i.V.m. § 917 ZPO diesbezüglich eine besondere<br />
Regelung besteht, wird bei der Beschlagnahme im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ein<br />
„Sicherstellungsbedürfnis“ verlangt 273 .<br />
Erforderlich ist danach die Besorgnis, dass ohne die Beschlagnahme- oder Arrestanordnung die künftige<br />
Vollstreckung vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Für diese Annahme reicht die bloße Begehung<br />
einer eigentumsbezogenen, bzw. vermögensbezogenen Straftat trotz der entsprechend herrschenden<br />
Meinung im Zivilprozessrecht nicht aus 274 , da eine derartige Verknüpfung auf eine unzulässige<br />
Gesetzesvermutung hinausliefe. Vielmehr sind weitere konkrete Umstände darzulegen, dass die<br />
Beschlagnahme- oder Arrestforderung anderenfalls nicht mehr beigetrieben werden kann 275 .<br />
Derartige Gründe können folgend sein 276 :<br />
(Gefahr der) Verschleierung der Vermögensverhältnisse<br />
(Gefahr der) Verschleuderung von Vermögenswerten<br />
(Gefahr von) Vermögensverschiebungen (ins Ausland)<br />
(Gefahr der) Flucht<br />
Das private/geschäftliche Verhalten war insgesamt oder in Teilbereichen auf Verdunkelung angelegt<br />
Unzulässiges verdunkelndes Verteidigungsverhalten in anderen Ermittlungsverfahren<br />
Auslandsvollstreckungen i.S.d. § 917 Abs. 2 Satz 1 ZPO außerhalb des Anwendungsbereichs des §<br />
917 Abs. 2 Satz 2 ZPO 277<br />
Nicht ausreichend: Möglichkeit des Verbrauchs oder schlechte Vermögensverhältnisse<br />
273<br />
Für die Beschlagnahme: Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 13; Nack, Karlsruher Kommentar,<br />
StPO, 6. Auflage 2008, § 111b Rn. 13.<br />
274<br />
Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 344 m.w.N. auch für die gegenteilige Auffassung;<br />
Wehnert/Mosiek, StV 2005, 568 ff. (570 ff.).<br />
275<br />
Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 8; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, §<br />
111d Rn. 8; Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111d Rn. 6 mit jeweils w.N.; OLG Hamm,<br />
Beschluss vom 31.03.2009, 2 Ws 69/09; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.04.2009, III – 1 Ws 119/09; OLG<br />
Köln, Beschluss vom 06.01.2010, 2 Ws 636/09, m.w.N.<br />
276<br />
Vgl. Quellen unter Fn. 264.<br />
277<br />
Vgl. hierzu auch Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111d Rn. 6.<br />
85
Teil II Verfahrensrecht<br />
Lösung Fall 27:<br />
Ein Beschlagnahme- oder Arrestgrund dürfte unproblematisch anzunehmen sein. Dafür<br />
spricht vor allen Dingen, dass die konkrete Tatausführung auf Verdunkelung angelegt<br />
war. Zum anderen dürfte bei einem der Haupttäter auch sein früheres Prozessverhalten<br />
entsprechend gewürdigt werden können.<br />
III Abwendungsbefugnis<br />
Sowohl bei der Beschlagnahme als auch beim dinglichen Arrest besteht eine rechtliche Befugnis, die<br />
Beschlagnahme oder die Pfändung im Wege der Zwangsvollstreckung abzuwenden.<br />
Anders als bei der Beschlagnahmeanordnung (zu vgl. § 111c Abs. 6 StPO) ist dieses Recht unter Bezifferung<br />
eines konkreten Geldbetrages in den Tenor des dinglichen Arrestes mit aufzunehmen (§§ 111d<br />
Abs. 2 StPO i.V.m. § 923 ZPO) 278 .<br />
IV Verhältnismäßigkeitsprüfung/Qualifiziertes Sicherstellungsbedürfnis<br />
Da die Sicherstellung die Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeiten des hiervon (möglicherweise sogar<br />
gutgläubigen) Betroffenen beschränkt und deshalb an Artikel 14 GG zu messen ist, bedarf es einer<br />
sorgfältigen Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Dies gilt in besonderem Maße für den<br />
Erlass eines in das Gesamtvermögen vollstreckbaren dinglichen Arrestes 279 .<br />
Neben den oben bereits skizzierten Vorgaben des BVerfG, wonach bei betreffender Prüfung auch Besonderheiten<br />
der Verdachtslage Bedeutung erlangen können 280 , sind hier desweiteren die Härteklausel<br />
nach § 73c StGB und die Regelung des § 74b StGB von Bedeutung 281 .<br />
In den Fällen der Rückgewinnungshilfe ist zudem bei Prüfung des qualifizierten Sicherstellungsbedürfnisses<br />
gesondert darzulegen, warum im Einzelfall die Geschädigten nicht ausschließlich eigenständig<br />
tätig werden können.<br />
Die diesbezügliche Rechtsprechung wird ausführlich an anderer Stelle behandelt.<br />
V Ausübung von Ermessen<br />
§ 111b StPO räumt Ermessen ein. Damit trägt das Gesetz der Tatsache Rechnung, dass Verfall und<br />
Einziehung, selbst wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, nicht zwingend vorgeschrieben<br />
sind (§ 430 StPO) 282 . Sofern diese erfüllt sind, dürfte in der Regel hingegen eine Ermessensreduktion<br />
gegeben sein 283 , wobei der Umstand, dass es sich bei den §§ 74, 74a und 74c StGB selbst<br />
um Ermessensnormen handelt, zu einer Einschränkung führt 284 . In den Fällen der Rückgewinnungshilfe<br />
dürfte den Ermittlungsbehörden allerdings ein weitergehendes Ermessen zuzubilligen sein 285 .<br />
6.1.3 Darlegungserfordernisse<br />
Die Voraussetzungen für einen Beschlagnahme- oder Arrestbeschluss sind in den schriftlichen Gründen<br />
im Einzelnen darzulegen, wofür leerformelartige Formulierungen und die bloße Wiederholung der<br />
einschlägigen Gesetze nicht ausreichen 286 . Es kann aber zunächst dahinstehen, ob staatliche Ansprüche<br />
auf Verfall (von Wertersatz) zu sichern sind oder ob es sich um eine Maßnahme nach §111b Abs.<br />
5 StPO handelt (str.) 287 . Im Übrigen ist bei einer Beschlagnahmeanordnung der zu sichernde Gegenstand<br />
so hinreichend wie möglich und bei einem Arrest der genaue Geldbetrag anzugeben.<br />
278<br />
Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 10.<br />
279<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 4 und § 111d Rn. 5 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 54.<br />
Auflage 2011, § 111d Rn 15.<br />
280<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111d Rn. 5.<br />
281<br />
Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 14; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, §<br />
111d Rn. 5 und 15; Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111b Rn. 11 ff.<br />
282<br />
Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111b Rn. 10.<br />
283<br />
Lohse, AnwaltKommentar, StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 5.<br />
284<br />
Vgl. Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111b Rn. 12.<br />
285<br />
Lohse, AnwaltKommentar, StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 6 und 20.<br />
286<br />
Lohse, AnwaltKommentar, StPO, 2. Auflage 2010, § 111d Rn. 9.<br />
287<br />
Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 7 m.w.N.<br />
86
Teil II Verfahrensrecht<br />
6.1.4 Anordnungs- und Vollstreckungskompetenzen<br />
Die Anordnung der Beschlagnahme sowie des Arrestes unterliegt dem Richtervorbehalt (§ 111e Abs. 1<br />
Satz 1 StPO). Bei Gefahr im Verzug haben jedoch auch die Staatsanwaltschaft und bei Beschlagnahme<br />
einer beweglichen Sache nach § 111c Abs. 1 StPO die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§<br />
152 GVG) eine entsprechende Anordnungskompetenz (§ 111e Abs. 1 StPO). Bei einer Eilanordnung<br />
durch die Staatsanwaltschaft hat diese stets und zwar unabhängig davon, ob der Betroffene Widerspruch<br />
eingelegt hat, binnen einer Woche die gerichtliche Bestätigung der Anordnung zu beantragen<br />
(§ 111e Abs. 2 Satz 1 StPO), was demgegenüber bei der Beschlagnahme einer beweglichen Sache (§<br />
111c Abs. 1 StPO) gemäß § 111e Abs. 2 Satz 2 StPO nicht gilt.<br />
Hiervon unberührt bleibt jedoch das Recht des Betroffenen, in allen Fällen jederzeit die Entscheidung<br />
des Gerichts zu beantragen (§ 111e Abs. 2 Satz 3 StPO).<br />
Von der Anordnungskompetenz zu unterscheiden ist die Befugnis, Beschlagnahme- und Arrestbeschluss<br />
im Wege der Beschlagnahme nach § 111c StPO oder bei der Arrestvollziehung im Wege der<br />
Pfändung nach den Vorschriften der ZPO zu vollstrecken.<br />
Nach § 111f StPO liegt die Vollstreckung grundsätzlich in Händen der Staatsanwaltschaft, bei der funktionell<br />
der Rechtspfleger zuständig ist (§§ 22, 31 RPflG). § 111f StPO erweitert allerdings abhängig<br />
von der Art des Sicherungstitels sowie des Vermögenswertes die Durchführung der Vollstreckung auf<br />
andere Funktionsträger. So obliegt die Durchführung der Beschlagnahme einer beweglichen Sache<br />
nach § 111c Abs. 1 auch den Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 111f Abs. 1 Satz 1 2.<br />
Halbsatz StPO). Darüber hinaus erlangen neben der Staatsanwaltschaft noch die in § 2 Justizbeitreibungsordnung<br />
bezeichnete Behörde, der Gerichtsvollzieher und die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft<br />
die Befugnis, einen dinglichen Arrest in das bewegliche Vermögen eines Betroffenen zu<br />
vollziehen (§ 111f Abs. 3 Satz 1 StPO). Schließlich hat die Staatsanwaltschaft in den in § 111f Abs. 3<br />
Satz 3 StPO bezeichneten Fällen die Möglichkeit, das Gericht insoweit auf Antrag einzubinden.<br />
Daneben ist zu verweisen auf die speziellen Bestimmungen in § 111f Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StPO im<br />
Zusammenhang mit der Immobiliarvollstreckung.<br />
6.1.5 § 111b Abs. 4 StPO<br />
Die Bestimmung des § 111b Abs. 4 StPO räumt den Ermittlungsbehörden die Möglichkeit ein, einen<br />
Durchsuchungsbeschluss ausschließlich zum Zwecke der (Vermögens-) Aufspürung und Abschöpfung<br />
zu erwirken.<br />
6.1.6 Rechtliches Gehör<br />
Frage:<br />
Warum darf die Akteneinsicht in Finanzermittlungsakten nicht beschränkt werden?<br />
Beschlagnahme- und Arrestbeschluss werden in der Regel ohne vorherige Anhörung erlassen, was<br />
unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 4 StPO statthaft ist. Die nicht nach § 929 Abs. 2 ZPO befristete<br />
Bekanntgabe des betreffenden Titels erfolgt erst mit dessen abgeschlossenem Vollzug 288 .<br />
Um eine angemessene nachträgliche Verteidigung des Betroffenen gegen die Maßnahme zu gewährleisten,<br />
hat dieser Anspruch auf Einsichtnahme in die Aktenteile, die das Gericht für den Erlass der<br />
Anordnung ausgewertet hat; in Anlehnung an das Haftrecht darf daher die Akteneinsicht in Bezug auf<br />
die entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweismittel nicht nach § 147 Abs. 2 StPO beschränkt<br />
werden. Anderenfalls wäre der Bestand des Titels gefährdet 289 .<br />
288<br />
Lohse, AnwaltKommentar, 2. Auflage 2010, § 111c Rn. 5 und 111d Rn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage<br />
2011, § 111d Rn. 11.<br />
289<br />
Lohse, AnwaltKommentar, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 5 und § 111d Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom<br />
05.05.2004, 2 BvR 1012/02.<br />
87
Teil II Verfahrensrecht<br />
6.2 Die Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 2, 111c StPO<br />
6.2.1 Durchführung<br />
Die Form der Beschlagnahme richtet sich nach der Art der Vermögensposition. § 111c Abs. 1 – 4 StPO<br />
differenziert zwischen beweglichen Sachen (Abs. 1), Grundstücken (Abs. 2), Forderungen und anderen<br />
Vermögenswerten (Abs. 3) sowie Schiffen, Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen (Abs. 4).<br />
Wegen der Einzelheiten wird auf die einschlägige Kommentierung verwiesen 290 , wobei in diesem Zusammenhang<br />
der Hinweis wichtig erscheint, dass die Rechtsfolge des § 111c Abs. 5 StPO bei der bloßen<br />
Beschlagnahme eines Gegenstandes als Beweismittel nach § 94 StPO nicht eintritt 291 .<br />
Die für die Beschlagnahme, aber auch die Vollziehung des dinglichen Arrestes erforderlichen Zustellungen<br />
richten sich infolge des Verweises in § 111f Abs. 4 StPO auf § 37 Abs. 1 StPO nach §§ 166-195<br />
ZPO und zwar unter der Maßgabe, dass auch Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft mit der<br />
Ausführung beauftragt werden können. Für die Praxis stellt dies einen erheblichen Wert dar, da insbesondere<br />
in Eilfällen auf die Hinzuziehung eines Gerichtsvollziehers verzichtet werden kann. Diese Möglichkeit<br />
ist überdies in taktischer Hinsicht bedeutsam, da Zustellungen nicht nur auf einen bestimmten<br />
Zeitpunkt hin, sondern überdies in Verbindung mit anderen Ermittlungen, etwa mit der vorherigen<br />
Vernehmung eines Drittschuldners, vorgenommen werden können.<br />
6.2.2 Rechtsfolgen<br />
Mit der Beschlagnahme wird ein (relatives) Veräußerungsverbot im Sinne des § 136 BGB zu Gunsten<br />
des Staates begründet. Dieses ist – anders als beim Pfändungspfandrecht – nicht insolvenzfest (§ 80<br />
Abs. 2 Satz 1 InsO). Bei der Erlegung nach § 111c Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StPO tritt der erlegte Betrag an<br />
die Stelle der Sache, so dass das Veräußerungsverbot daran fortwirkt (§ 111c Abs. 6 Satz 2 StPO).<br />
Vor diesem Hintergrund ist beschlagnahmtes Geld abgesondert aufzubewahren und nicht über Einzahlung<br />
zu hinterlegen.<br />
Bei § 111c Abs. 1 StPO fehlt es zum einen an der Verweisung auf § 930 Abs. 2 ZPO, der bestimmt,<br />
dass im Wege der Arrestvollziehung gepfändetes Geld zu hinterlegen ist, zum anderen würde die Einzahlung<br />
beschlagnahmten Geldes zur konkludenten Aufhebung des Verfügungsverbotes im Sinne des<br />
§ 136 BGB führen, so dass andere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vorrangig zu behandeln wären<br />
292 .<br />
6.2.3 Rückgabe und Überlassung<br />
Die Regelung des § 111c Abs. 6 StPO ist im Ansatz mit § 923 ZPO vergleichbar und trägt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz<br />
Rechnung. Danach kann eine bewegliche Sache dem Betroffenen entweder<br />
gegen sofortige Erlegung des Wertes zurückgegeben (§ 111c Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StPO) oder aber<br />
unter Vorbehalt zur vorläufigen weiteren Benutzung bis zum Abschluss des Verfahrens überlassen<br />
werden (§ 111c Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StPO).<br />
Desgleichen kann die Bestimmung auch bei der Notveräußerung Bedeutung erlangen, da bei der Prüfung<br />
der Notveräußerungsgründe vorrangig u.a. auf § 111c Abs. 6 StPO abzustellen sein wird 293 .<br />
In den Fällen der Rückgewinnungshilfe, bei denen der Betroffene nicht Eigentümer des beschlagnahmten<br />
beweglichen Gegenstandes ist, dürfte indes dessen Überlassung bzw. Rückgabe ausgeschlossen<br />
sein.<br />
290 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111c Rn. 7 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, §<br />
111c Rn. 2 ff.; Savini, Handbuch zur Vermögensabschöpfung im Ermittlungsverfahren und Verfall und Einziehung,<br />
1. Auflage 2005, S. 21 ff.<br />
291 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111c Rn. 1.<br />
292 GStA Hamm, Schreiben an alle Staatsanwaltschaften vom 09.12.2011, 4000 GStA. 1. 716.<br />
293 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111l Rn. 5.<br />
88
Teil II Verfahrensrecht<br />
6.2.4 Beendigung der Beschlagnahme<br />
Abgesehen vom nachträglichen Wegfall der Anordnungsvoraussetzungen endet die Beschlagnahme<br />
mit Rechtskraft des Urteils, mit der bei Anordnung des Verfalls der staatliche Rechtserwerb nach § 73e<br />
Abs. 1 StGB eintritt 294 . Sofern das Gericht eine derartige Anordnung nicht trifft, sollte zumindest deklaratorisch<br />
die Maßnahme durch Gerichtsbeschluss aufgehoben werden 295 . Sollte dagegen das Gericht<br />
entgegen der Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren den Verfall oder die Einziehung von Wertersatz<br />
anordnen, so wäre der Beschlagnahmetitel gleichfalls aufzuheben, wenn nicht die Maßnahme durch<br />
eine Vollstreckungsmaßnahme i.S.d. § 459g Abs. 2 StPO abgelöst würde 296 .<br />
294 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111c Rn. 6.<br />
295 Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111e Rn. 12.<br />
296 Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111e Rn. 14.<br />
89
Teil II Verfahrensrecht<br />
6.3 Der dingliche Arrest nach §§ 111b Abs. 2, 111d StPO<br />
6.3.1 Arrestforderungen<br />
Neben dem Kernbereich des StPO-Arrestes darf dieser unter den Einschränkungen des § 111d Abs. 1<br />
Satz 2 und 3 StPO desgleichen wegen einer Geldstrafe oder voraussichtlich entstehender Kosten des<br />
Verfahrens angeordnet werden.<br />
Dieser (spezielle) Regelungsbereich ist abschließend; aufgrund anderer Forderungen darf das Arrestverfahren<br />
nicht betrieben werden. Da bilden auch §§ 916 ff. ZPO keine Ausnahme 297 .<br />
6.3.2 Durchführung und Verfahren bei Aufhebung des dinglichen Arrestes<br />
Für die Vollziehung eines dinglichen Arrestes gelten mit gewissen Einschränkungen die Regelungen<br />
des 8. Buchs der ZPO (§ 928 ZPO) vorbehaltlich hiervon abweichender Vorschriften nach §§ 930 ff.<br />
ZPO 298 .<br />
Gepfändetes Geld ist demnach zu hinterlegen (§ 930 Abs. 2 ZPO).<br />
Im Übrigen ist nur die Pfändung und nicht auch die Einziehung einer Forderung – entgegen einer gelegentlich<br />
in der Praxis anzutreffenden Verfahrensweise – zulässig.<br />
Auf die in der Praxis durchaus bedeutsamen Bestimmungen der §§ 1362 BGB; 739 ZPO, die Eigentums-<br />
sowie Gewahrsamsvermutungen zu Gunsten eines (Vollstreckungs-)Gläubigers eines Ehegatten<br />
normieren, sei der Vollständigkeit halber ebenfalls hingewiesen.<br />
Im Gegensatz zur Sicherung von Grundstücken im Wege der Beschlagnahme, die gem. § 111c Abs. 2<br />
Satz 1 StPO über den Eintrag eines Beschlagnahmevermerks in Abteilung 2 des Grundbuchs realisiert<br />
wird, wird bei der Vollziehung eines Arrestes in das Immobiliarvermögen eine Arresthöchstbetragssicherungshypothek<br />
in Abteilung 3 eingetragen (§ 932 Abs. 1 ZPO).<br />
Sofern mehrere Grundstücke des Arrestbetroffenen mit der Hypothek belastet werden sollen, ist die<br />
Forderung nach §§ 932 Abs. 2 i.V.m. 867 Abs. 2 ZPO auf die einzelnen Grundstücke zu verteilen.<br />
Der staatsanwaltschaftliche Antrag an das Grundbuchamt ist als Behördenersuchen zu qualifizieren<br />
und richtet sich mithin nach § 38 GBO. Der dingliche Arrest ist daher nicht mit zu übersenden, da die<br />
Eintragung nur „auf Grund des Ersuchens der Behörde“ erfolgt.<br />
Das Ersuchen ist zu unterschreiben und zu siegeln (§ 29 Abs. 3 GBO); bei mehrseitigen Eintragungsersuchen<br />
ist die Verbindung kenntlich zu machen.<br />
Die Übersendung des Ersuchens per Telefax ist somit nicht ausreichend, hat aber in Eilfällen rangwahrende<br />
Wirkung i.S.d. § 17 GBO 299 .<br />
Die anfallenden Kosten werden dem Grundbuchamt nicht erstattet, sondern sind stattdessen durch die<br />
Staatsanwaltschaft als Verfahrenskosten gemäß § 464a StPO anzufordern.<br />
Bei der Aufhebung des dinglichen Arrestes ist dem Eigentümer lediglich eine Löschungsbewilligung zu<br />
erteilen, deren Nutzung in seinem Ermessen liegt.<br />
Der Staatsanwaltschaft ist es demgegenüber weder möglich, die Löschung der Arresthypothek zu<br />
beantragen, noch einen Verzicht im Grundbuch eintragen zu lassen, da bei Arrestaufhebung aus der<br />
Arresthypothek eine Eigentümergrundschuld entsteht und die Staatsanwaltschaft im Übrigen nicht<br />
mehr antragsberechtigt ist (str.).<br />
6.3.3 Rechtsfolgen<br />
Folgen der wirksamen Pfändung in bewegliches Vermögen sind Verstrickung und Pfändungspfandrecht<br />
(vgl. § 111d Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 928, 930 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. 804 Abs. 1 ZPO). Ein solches<br />
(Sicherungs-)Pfandrecht stellt sich wie die Arresthypothek dem Grunde nach als insolvenzfest dar (§<br />
80 Abs. 2 Satz 2 InsO).<br />
297 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 1.<br />
298 Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 12 ff.<br />
299 Vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2001, V ZB 49/00.<br />
90
Teil II Verfahrensrecht<br />
6.3.4 Besonderheiten<br />
I Nachträgliche Erhöhung des Arrestbetrags<br />
Ergibt sich im Nachhinein, dass der Geldbetrag im Arrest zu niedrig bemessen wurde, da etwa eine<br />
ursprünglich vorgenommene Schätzung neu konkretisiert werden konnte oder aber weitere Taten<br />
unter Erhöhung des Gesamtschadens ermittelt werden konnten, ist ein zweiter dinglicher Arrest zu<br />
bewirken. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass der bisherige dingliche Arrest bestehen bleibt und<br />
lediglich im Rahmen des zweiten Arrestes um den hinzukommenden Differenzbetrag erweitert wird.<br />
Auf diese Weise ist sichergestellt, dass bisher ausgebrachte Pfändungsmaßnahmen nicht in Wegfall<br />
geraten.<br />
Beim zweiten Arrest könnte wie folgt formuliert werden:<br />
1.<br />
Der dingliche Arrest des Amtsgerichts Bochum vom 04.05.2011, 64 Gs 1245/11, in Höhe von<br />
1.245.637,- Euro wird gem. den §§ 111b Abs. 2, 111d, 111e Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 73 Abs. 1,<br />
73a StGB, 29, 29a BtMG – ohne vorherige Anhörung des Schuldners gem. § 33 Abs. 4 StPO –<br />
zur Sicherung des staatlichen Anspruchs auf Verfall von Wertersatz für<br />
das Land <strong>Nordrhein</strong>-<strong>Westfalen</strong>,<br />
vertreten durch den Leitenden Oberstaatsanwalt der<br />
Staatanwaltschaft Bochum<br />
– Gläubiger –<br />
um den Betrag von 100.000,- Euro auf die Gesamtsumme von<br />
erweitert und in das Vermögen des<br />
angeordnet.<br />
1.345.637,- Euro<br />
Beschuldigten Hans Meier (weitere Personalien<br />
– Schuldner –<br />
2. Durch Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe von 1.345.637,- Euro wird die Vollziehung<br />
des Arrestes gehemmt und der Beschuldigte berechtigt, die Aufhebung des vollzogenen Arres-<br />
tes zu beantragen (§ 111d Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 923, 934 Abs. 1 ZPO).<br />
…<br />
Gründe:<br />
II Anwendbarkeit der Härteklausel (§ 73c StGB)<br />
Die Härteklausel nach § 73c StGB und die Bestimmung des § 74b StGB sind auch bei vorläufigen Sicherungsmaßnahmen<br />
nach §§ 111b ff. StPO zum Schutz staatlicher Ansprüche auf Verfall und Einziehung<br />
anzuwenden 300 .<br />
Demgegenüber ist es obergerichtlich noch nicht geklärt, ob und inwieweit § 73c StGB bei Sicherungsmaßnahmen,<br />
die im Wege der Rückgewinnungshilfe getroffen wurden, Anwendung findet 301 .<br />
Während nach Auffassung des LG Hildesheim die Gesetzessystematik die Anwendung der Härtevorschrift<br />
gebiete 302 , sprechen m.E. Sinn und Zweck der Vorschriften der Rückgewinnungshilfe gegen<br />
eine solche Interpretation.<br />
300 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 5 und § 111d Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom<br />
28.01.2004, 2 BvR 152/04; OLG Rostock, Beschluss vom 19.06.2002, I Ws 261/02; OLG Stuttgart, Beschluss<br />
vom 11.04.2007, 2 Ws 41/07; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.04.2009, III – 1 Ws 119/09; LG Hildesheim,<br />
Beschluss vom 23.04.2007, 25 Qs 2/07.<br />
301 Vgl. aber LG Hildesheim, Beschluss vom 23.04.2007, 25 Qs 2/07.<br />
91
Teil II Verfahrensrecht<br />
Zwar ist es richtig, dass bei der Anordnung eines dinglichen Arrestes zum Zwecke der Wahrnehmung<br />
von Rechten von Verletzten aus Straftaten gesetzliche Sonderregeln nicht bestehen. Indes entspricht<br />
es dem Willen des Gesetzgebers, über die Rechtsfigur der Rückgewinnungshilfe nicht nur den Täter<br />
vor einer zweifachen Inanspruchnahme zu schützen, sondern auch den Opferschutz dergestalt zu<br />
stärken, dass nicht nur ein Gläubigerwettlauf zwischen Staat und Verletztem vermieden werden, sondern<br />
überdies der Tatgeschädigte im Hinblick auf eigene Zwangsvollstreckungen nach §§ 111g, 111h<br />
StPO verfahrensrechtlich privilegiert werden soll.<br />
Eine derart bevorzugte Behandlung in rechtlicher Hinsicht würde aber eingeschränkt, wenn staatliche<br />
Sicherungsmaßnahmen infolge der Anwendung des § 73c StGB entsprechend limitiert würden, während<br />
die Vollstreckung des Tatverletzten davon losgelöst möglich ist.<br />
Anderenfalls würde dem Tatgeschädigten ohne sachlichen Grund Vermögen als Zugriffsmasse entzogen.<br />
Vor diesem Hintergrund ist die Anwendung des § 73c StGB erst dann geboten, wenn der staatliche<br />
Auffangrechtserwerb über § 111i Abs. 2 und 3 StPO vorbereitet wird, was im Übrigen auch der ständigen<br />
Rechtsprechung des BGH entspricht 303 .<br />
III Übersicherungen<br />
Die Thematik „übersicherter“ dinglicher Arreste spielt in der justiziellen Praxis keine überragende Rolle,<br />
da in den meisten Ermittlungsverfahren der Gesamtwert der gepfändeten Vermögenswerte - selbst<br />
bei einer rein nominellen Berechnungsmethode - nicht einmal ansatzweise das aus den rechtswidrigen<br />
Taten Erlangte abzudecken vermag. Gleichwohl kann sich in bestimmten Bereichen insbesondere der<br />
organisierten Wirtschaftskriminalität das Problem stellen und zwar sowohl auf den einzelnen Betroffenen<br />
bezogen als auch im Verhältnis Mehrerer, die als Gesamtschuldner im Verbund haften (vgl. oben).<br />
Im Grundsatz gilt wie auch im Zivilprozessrecht, dass Übersicherungen nicht statthaft sind 304 . Es besteht<br />
ein Verbot der Überpfändung, wie es sich etwa in § 803 Abs. 1 Satz 2 ZPO oder in den §§ 932<br />
Abs. 2 i.V.m. 867 Abs. 2 ZPO wiederfindet, und zwar für jede Pfändungsart 305 .<br />
Im Ansatz ist daher die titulierte Arrestforderung zu vergleichen mit dem bei einer späteren Verwertung<br />
der gepfändeten Vermögenswerte voraussichtlich zu erzielenden (Gesamt-)Erlös 306 , was nicht<br />
unerhebliche Widrigkeiten und mitunter auch die Hinzuziehung eines Sachverständigen mit sich bringt,<br />
etwa bei der Ermittlung des Werts von Immobilien oder Kostbarkeiten.<br />
Die Problematik potenziert sich dementsprechend beim Erlangen Mehrerer und ihrer Haftung als Gesamtschuldner<br />
307 .<br />
Auch dort gilt, dass grundsätzlich nur bis zur Höhe des Gesamtanspruchs Sicherungsmaßnahmen getroffen<br />
werden können 308 . Neben Schwierigkeiten bei der Ermittlung des späteren Erlöses aus der<br />
Verwertung bestimmter Vermögenswerte, insbesondere von Immobiliarpositionen, führt die Haftung<br />
mehrerer Täter, bei denen u.U. sogar unterschiedliche Verdachtsgrade bestehen, ggf. sogar zusammen<br />
mit (gutgläubigen) Drittempfängern i.S.d. § 73 Abs. 3 StGB, zu einer weiteren Verschärfung der<br />
Thematik.<br />
Solche Fälle entziehen sich einem generellen Lösungsansatz.<br />
Stattdessen sind Individuallösungen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Verdachtsgrade und<br />
der Schutzbedürftigkeit vorwiegend von gutgläubigen Drittempfängern zu suchen 309 .<br />
302<br />
LG Hildesheim, Beschluss vom 23.04.2007, 25 Qs 2/07.<br />
303<br />
BGH, Beschluss vom 10.11.2009, 4 StR 443/09; Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10.<br />
304<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111d Rn. 17; Park, StraFo 2002, 73, 76; Bach, StV 2006,<br />
446, 448; Barreto da Rosa, NJW 2009, 1702, 1704.<br />
305<br />
Vgl. hierzu Stöber, Zöller, ZPO, 28. Auflage 2010, § 803 Rn. 5.<br />
306<br />
Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 9. Auflage 2011, § 13 Rn. 348.<br />
307<br />
Vgl. hierzu Barreto da Rosa, NJW 2009, 1702, 1704.<br />
308<br />
BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 Rn. 27; Barreto da Rosa, ebd; a.A. Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung,<br />
4. Auflage 2010, S. 44.<br />
309<br />
So auch Barreto da Rosa, NJW 2009, 1702, 1704; Park, StraFo 2002, 73, 76.<br />
92
Teil II Verfahrensrecht<br />
IV Pfändungsschutzbestimmungen<br />
Auch die Anwendbarkeit der zivilprozessualen Pfändungsschutzbestimmungen ist in Rechtsprechung<br />
und Literatur bisher eher stiefmütterlich behandelt worden. In den einschlägigen Kommentierungen<br />
finden sich dazu entweder keine oder aber nur allgemein gehaltene Hinweise, dass die zivilrechtlichen<br />
Schutzbestimmungen einzuhalten seien 310 .<br />
Folgende Bestimmungen in der ZPO dürften insoweit neben der Regelung des § 111d Abs. 3 StPO zu<br />
beachten sein, was sich über den Verweis in § 111d Abs. 2 StPO auf § 928 ZPO ergibt 311 :<br />
§ 765a ZPO<br />
Übersicherungsverbot gem. § 803 Abs. 1 Satz 2 StPO (vgl. oben)<br />
Verbot der nutzlosen Pfändung (§ 803 Abs. 2 ZPO)<br />
§ 811 ZPO<br />
§§ 850 ff. ZPO insbesondere P-Konto nach § 850k StPO<br />
§§ 54, 55 SGB I<br />
V Beendigung des dinglichen Arrestes<br />
Neben der vorzeitigen Aufhebung des dinglichen Arrestes, bedingt durch den Wegfall der Voraussetzungen<br />
des § 111b Abs. 2 und 3 StPO oder die Unverhältnismäßigkeit des Fortbestandes, bedarf es<br />
der formellen Aufhebung – vorbehaltlich der Verlängerung des Arrestes nach § 111i Abs. 1 und 3 StPO<br />
– auch bei Rechtskraft des Urteils und zwar auch dann, wenn eine Verfalls- oder Einziehungsentscheidung<br />
getroffen wurde 312 .<br />
310 So etwa Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111d Rn. 17.<br />
311 Kempf/Schilling, Vermögensabschöpfung, 2007, § 3 Rn. 412.<br />
312 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 15.<br />
93
Teil II Verfahrensrecht<br />
6.4 (Versehentlich) unterbliebene Verfallsanordnung<br />
Problematisch stellt sich die weitere Behandlung sichergestellter inkriminierter Vermögenswerte dar,<br />
wenn im rechtskräftigen Urteil Maßnahmen nach §§ 73 ff.; 74 ff. StGB (versehentlich) nicht getroffen<br />
wurden. Nach Meinung des OLG Celle kommt die Herausgabe sichergestellter Gegenstände an den<br />
letzten Gewahrsamsinhaber nicht in Betracht, wenn diese durch strafbare Handlungen in den Besitz<br />
des Betreffenden gelangt sind, denn es wäre mit einem geordneten Strafverfahren nicht zu vereinbaren,<br />
wenn der Staat sich anderenfalls am Aufrechterhalten eines rechtswidrigen Zustands beteiligen<br />
und „Rechtsbrechern die Früchte ihrer Tat sichern“ müsste 313 .<br />
Zusammenfassung<br />
Verknüpft mit dem spezifischen materiellen Recht sieht § 111b Abs. 1 und Abs. 2 StPO im<br />
Wege des einstweiligen Rechtsschutzes fakultativ die Möglichkeit vor, den staatlichen<br />
Anspruch auf Verfall und Einziehung über Beschlagnahme oder Arrestvollziehung abzusichern.<br />
Voraussetzungen für eine Beschlagnahmeanordnung resp. einen dinglichen Arrest sind<br />
Beschlagnahme-/Arrestanspruch, Beschlagnahme-/Arrestgrund und beim dinglichen Arest<br />
die Abwendungsbefugnis nach §§ 111d Abs. 2 StPO i.V.m. 923 ZPO.<br />
Bei der Darlegung des Beschlagnahme-/Arrestgrundes reicht die leerformelartige Wiederholung<br />
des Gesetztestextes des § 917 ZPO nicht aus; vielmehr bedarf es insoweit der<br />
Darlegung konkreter Gründe. Die Anordnung der Beschlagnahme oder des Arrestes unterliegt<br />
grundsätzlich dem Richtervorbehalt (§ 111e StPO), während für den Vollzug der<br />
Maßnahmen u.a. die Staatsanwaltschaft verantwortlich zeichnet (§ 111f StPO).<br />
Mit der Beschlagnahme nach § 111c StPO wird ein relatives – nicht insolvenzfestes (vgl.<br />
§ 80 Abs. 2 Satz 1 InsO) - Veräußerungsverbot i.S.d. § 136 BGB begründet; grundsätzlich<br />
i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO insolvenzfeste Rechtsfolgen des Arrestvollzugs sind demgegenüber<br />
Verstrickung und Pfändungspfandrecht.<br />
313 OLG Celle, Beschluss vom 10.01.2012, 1 Ws 7/12 m.w.N.; mit Anmerkungen von Schröder, FD-StrafR 2012,<br />
327687.<br />
94
Teil II Verfahrensrecht<br />
7. Sonstiges Verfahrensrecht<br />
7.1 Rechtsschutz<br />
Die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Sicherungen nach §§ 111b ff. StPO kommen auf zwei Ebenen in<br />
Betracht.<br />
1. Statthaftes Rechtsmittel gegen die Beschlagnahmeanordnung respektive den dinglichen Arrest ist<br />
grundsätzlich die einfache Beschwerde nach § 304 StPO.<br />
2. Betrifft die Beschwerdeentscheidung die Anordnung des dinglichen Arrestes über einen Betrag von<br />
20.000,- Euro, ist die weitere Beschwerde nach § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO statthaft.<br />
Die Einzelheiten dazu sind umstritten.<br />
Nach einer Auffassung ist die weitere Beschwerde nur in dem Fall zulässig, wenn<br />
durch die vorangegangene erste Beschwerdeentscheidung der dingliche Arrest entweder<br />
erstmals angeordnet oder ein bereits zuvor angeordneter Arrest richterlich bestätigt<br />
wurde 314 .<br />
Nach Auslegung des OLG Celle und des KG Berlin ist demgegenüber die Beschwerdebefugnis<br />
auch dann eröffnet, wenn ein zunächst angeordneter dinglicher Arrest durch<br />
die erste Beschwerdeentscheidung wieder aufgehoben oder die Ablehnung des Arrestantrages<br />
bestätigt wurde 315 .<br />
Im Hinblick auf Einwendungen gegen die Vollziehung der Titel ist nach § 111f Abs. 5 StPO ausschließlich<br />
der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft 316 und zwar auch im Hinblick auf gerichtliche<br />
Vollziehungsakte (str.) 317 . Dabei ist umstritten, ob die Vorschrift nach Sinn und Zweck lediglich die<br />
Verfahrensabschnitte bis zur Rechtskraft des Urteils erfasst 318 oder darüber hinausreicht 319 .<br />
314 OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.03.2007, 3 Ws 240/07; OLG München, Beschluss vom 12.11.2007, 2 Ws<br />
942/07; OLG Oldenburg, Beschluss vom 17.05.2011, 1 Ws 227/11.<br />
315 OLG Celle, Beschluss vom 20.05.2008, 2 Ws 155/08; KG Berlin, Beschluss vom 16.04.2010, 1 Ws 171/09.<br />
316 Vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111f Rn. 15 m.w.N.<br />
317 Meyer-Goßner a.a.O.; a.A. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.11.2008, 4 Ws 590/08.<br />
318 So OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.11.2008, 4 Ws 590/08.<br />
319 So OLG Celle, Beschluss vom 06.07.2010, 2 Ws 236/10; Beschluss vom 10.01.2012, 1 Ws 7/12.<br />
95
Teil II Verfahrensrecht<br />
7.2 Notveräußerung (§ 111l StPO)<br />
7.2.1 Anwendungsbereich<br />
Dem Wortlaut nach erfasst § 111l StPO Vermögenswerte (aller Art), die nach § 111c StPO beschlagnahmt<br />
oder aufgrund eines dinglichen Arrestes gepfändet worden sind. Die Notveräußerung ist nicht<br />
nur bis zur Rechtskraft des Urteils, sondern beim vollzogenen Arrest auch danach innerhalb der 3-<br />
Jahres-Frist des § 111i Abs. 3 StPO möglich (vgl. § 111l Abs. 1 Satz 2 StPO). Dies soll auch bei einer<br />
nach § 111i Abs. 3 StPO verlängerten Beschlagnahme gelten 320 . Nach § 111c Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StPO<br />
zurückgegebene Sachen werden nicht notveräußert, nach § 111c Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 StPO überlassene<br />
Sachen erst nach Widerruf 321 .<br />
7.2.2 Notveräußerungsgründe<br />
Die Notveräußerung einer Vermögensposition kommt in Betracht, wenn ihr Verderb oder eine wesentliche<br />
Minderung ihres Wertes droht oder aber ihre Aufbewahrung, Pflege oder Erhaltung mit unverhältnismäßigen<br />
Kosten oder Schwierigkeiten verbunden ist, respektive bei einem vollzogenen dinglichen<br />
Arrest in den Fällen des § 111i Abs. 2 StPO die Veräußerung zweckmäßig erscheint 322 .<br />
7.2.3 Verfahren<br />
Für die Durchführung zuständig sind im vorbereitenden Verfahren und nach Rechtskraft des Urteils die<br />
Staatsanwaltschaft (§ 111l Abs. 2 Satz 1 StPO) bzw. in Eilfällen bei drohendem Verderb des Gegenstandes<br />
auch ihre Ermittlungspersonen (§ 111l Abs. 2 Satz 2 StPO) und schließlich nach Erhebung der<br />
öffentlichen Klage das mit der Hauptsache befasste Gericht (§ 111l Abs. 3 Satz 1 StPO) bzw. in Eilfällen<br />
bei drohendem Verderb des Gegenstandes wiederum die Staatsanwaltschaft (§ 111l Abs. 3 Satz 2<br />
StPO). Funktionell ist jeweils der Rechtspfleger zuständig (vgl. §§ 22 Nr. 2 und 31 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6<br />
RPflG). Mitteilungspflichten ergeben sich aus § 111l Abs. 4 StPO; das Verfahren selbst ist in § 111l<br />
Abs. 5 StPO normiert. Der Rechtsschutz gegen die angeordnete Notveräußerung ist in § 111l Abs. 6<br />
StPO verankert.<br />
320 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111l Rn. 3.<br />
321 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111l Rn. 1.<br />
322 Zu den Einzelheiten: Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111l Rn. 2 ff. m.w.N.<br />
96
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten<br />
aus Straftaten<br />
8. Einleitung<br />
Die Rückgewinnungshilfe ist vom Adhäsionsverfahren (§§ 403 – 406d StPO) zu unterscheiden:<br />
Während das Adhäsionsverfahren dem Verletzten ermöglicht, seine bürgerlich-rechtlichen Ersatzansprüche<br />
gegen den Straftäter bereits im Strafverfahren geltend zu machen 323 , werden mit der Rückgewinnungshilfe,<br />
welche materiell-rechtlich in § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB und verfahrensrechtlich im Kern<br />
jedenfalls in § 111b Abs. 5 StPO vertyptist, andere Zwecke verfolgt.<br />
Nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, der ausweislich § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB auch beim erweiterten Verfall<br />
gilt, ist der (erweiterte) Verfall (von Wertersatz) dann ausgeschlossen, wenn dem Verletzten aus der<br />
Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der<br />
Tat Erlangten entziehen würde.<br />
Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB zweierlei beabsichtigt.<br />
1. Zum einen werden Ansprüche von Verletzten gegenüber staatlichen Ansprüchen gem. §§<br />
73 ff. StGB privilegiert, um einen „Gläubigerwettlauf“, den zumeist der Staat gewinnen<br />
dürfte, zu vermeiden.<br />
2. Zum anderen wird der Verfallsbetroffene vor einer zweifachen Inanspruchnahme sowohl<br />
durch den Staat als auch durch den Verletzten geschützt 324 .<br />
Nach dieser Bestimmung scheidet demnach eine Verfallsanordnung bereits dann aus, wenn ein derartiger<br />
Anspruch rein abstrakt besteht. Auf die tatsächliche Geltendmachung kommt es dagegen nicht<br />
an 325 .<br />
Der hierüber gewährleistete Opferschutz erfährt verfahrensrechtlich durch die speziellen Bestimmungen<br />
der §§ 111b Abs. 5, 111e Abs. 3 und 4, 111g, 111h, 111i und 111k StPO eine Vertiefung. Danach<br />
können nicht nur vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO zur Absicherung von Ansprüchen<br />
von Verletzten aus Straftaten ausgebracht werden (§ 111b Abs. 5 StPO). Vielmehr erfahren<br />
die Tatgeschädigten über die Regelungen der §§ 111g, 111h StPO auch eine Besserstellung gegenüber<br />
(Allgemein-)Gläubigern. Ihre eigenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen werden nämlich nach<br />
erfolgreicher Zulassung zur Zwangsvollstreckung vom Rang her so behandelt, als ob diese zum Zeitpunkt<br />
der staatlichen Sicherungsmaßnahmen bereits ausgebracht gewesen wären.<br />
Hieraus wird deutlich, dass Verletzte nicht davon freigestellt sind, in eigener Sache zivilrechtlich<br />
vorzugehen, also über eigene (Zivil-)Titel die Zwangsvollstreckung zu betreiben.<br />
Die insbesondere nach altem Recht entsprechend bis zum 31.12.2006 bestehende Problematik, dass<br />
zwar im Wege der Rückgewinnungshilfe Sicherungsmaßnahmen vollzogen wurden, die Verletzten<br />
jedoch bis zum Urteil bzw. bis zu dessen Rechtskraft gleich aus welchen Gründen zivilrechtlich untätig<br />
geblieben sind und deswegen sichergestellte Vermögenswerte infolge der rechtlichen Unmöglichkeit<br />
der Verfallsanordnung wieder an den Täter oder Teilnehmer herausgegeben werden mussten 326 , ist<br />
zwischenzeitlich über die Einfügung des § 111i Abs. 2 – 8 StPO entschärft worden. Mit dieser Norm<br />
wurde im Rahmen einer prozessualen Lösung eine materiell-rechtliche Bestimmung (auch im Sinne<br />
des § 2 Abs. 3 und Abs. 5 StGB) getroffen 327 , die mittels einer Fristenregelung den staatlichen Auffangrechtserwerb<br />
im Hinblick auf bereits sichergestellte Vermögenswerte des Verfallsbetroffenen erlaubt.<br />
Die Stimmen im Gesetzgebungsverfahren, welche sich für eine Streichung des § 73 Abs. 1 Satz<br />
2 StGB eingesetzt haben, konnten sich demgegenüber nicht durchsetzen 328 . Auf die Unterschiede zwischen<br />
beiden Modellen wird an anderer Stelle noch ausführlicher einzugehen sein 329 .<br />
323 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, Vor § 403 Rn. 1.<br />
324 Fischer, StGB, 59. Auflage 2012 § 73 Rn. 17.<br />
325 Fischer, StGB, 59. Auflage 2012 § 73 Rn. 18.<br />
326 Vgl. hierzu Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 61.<br />
327 Vgl. hierzu BR-Drucks. 940/05, S. 2; BGH, Urteil vom 07.02.2008, 4 StR 502/07.<br />
328 Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 13/9742 vom 03. Februar 1998 als diesbezüglicher Gesetzentwurf der Fraktionen<br />
der CDU/CSU, SPD und F.D.P.<br />
329 Teil III, 3. 3.3.<br />
97
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Die nach dem altem Recht vor Einführung des § 111i Abs. 2 – 8 StPO (n.F.) mitunter aus der Not geborenen<br />
Lösungsansätze, welche das von vielen als unbillig empfundene Ergebnis, vorläufig gesicherte<br />
Vermögenswerte an den Täter trotz des Wissens um deren inkriminierte Herkunft wieder auskehren<br />
zu müssen, vermeiden wollten 330 , haben zwar nicht jede Bedeutung verloren 331 , sind aber teilweise<br />
nur noch mit Vorsicht anzuwenden. Ausführungen hierzu werden später ebenfalls noch erfolgen.<br />
330<br />
Vgl. hierzu nur Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4.<br />
Auflage 2010, S. 47 ff.<br />
331<br />
Vgl. hierzu Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 3 ff.<br />
98
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
9. Materielles Recht<br />
9.1 Grundlagen<br />
§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB schließt den Verfall aus, wenn dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen<br />
ist, dessen Erfüllung Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen<br />
würde; dies gilt gem. § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB auch für den erweiterten Verfall.<br />
Darüber hinaus ist § 73 Abs. 1 Satz 2 nicht nur beim Drittempfänger- und Dritteigentümerverfall, sondern<br />
auch beim (erweiterten) Verfall von Wertersatz zu beachten 332 .<br />
Dem Einziehungsrecht (§§ 74 ff. StGB) ist demgegenüber eine solche Regelung fremd.<br />
In bestimmten Konstellationen, im Besonderen bei der Konkurrenz von Verfalls- und Einziehungsansprüchen,<br />
wenn das Geld als Beziehungsgegenstand der Geldwäsche (i.S.d. § 261 Abs. 7 StGB) zugleich<br />
das Erlangte etwa aus einer Betrugstat im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB darstellt, ist die Einziehung<br />
allerdings vor dem Hintergrund der „vorrangigen Wertentscheidung“ des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB<br />
beim „Geldwäscher“ gehindert, da anderenfalls diese Vorschrift zu Ungunsten der Verletzten aus der<br />
Vortat umgangen würde 333 .<br />
Im Übrigen schließt § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB den Verfallsausspruch nur dann aus, wenn der von der<br />
Maßnahme Betroffene aus der Tat etwas erlangt hat, das heißt ihm in irgendeiner Phase des Tatablaufs<br />
unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst Vermögenswerte zugeflossen sind.<br />
Sofern er hingegen Vermögenswerte als Gegenleistung für sein rechtswidriges Tun, demzufolge für<br />
die Tat erhalten hat, unterliegt das Erlangte schon nach dem Gesetzeswortlaut dem Verfall ohne<br />
Rücksicht auf Ansprüche Verletzter 334 .<br />
Die Abgrenzung kann in Einzelfällen allerdings schwierig sein 335 .<br />
332 Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 59.<br />
333 BGH, Beschluss vom 25.03.2010, 5 StR 518/09.<br />
334 BGH, Urteil vom 19.10.2011, 1 StR 336/11.<br />
335 Vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 23.04.2009, 5 StR 401/08; BGH, Urteil vom 19.10.2011, 1 StR 336/11.<br />
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Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
9.2 Anspruch des Verletzten aus der Tat<br />
I Anspruchsarten<br />
Dem § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB lassen sich keine Beschränkungen hinsichtlich der Art und der Rechtsgrundlage<br />
der vorrangigen Ansprüche entnehmen 336 . Neben deliktischen Schadensersatzansprüchen<br />
(§§ 823 ff. StGB) kommen mithin auch vertragliche Schadensersatz- oder Erfüllungsansprüche und<br />
sonstige Forderungen, etwa aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder aus ungerechtfertigter Bereicherung,<br />
in Betracht 337 . Schließlich sind auch steuerfiskalische Ansprüche geschützt.<br />
II Rechtlicher Bestand des Anspruchs<br />
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH und der wohl überwiegenden Auffassung in der Literatur<br />
stellt § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB auf den abstrakten Bestand des Anspruchs ab, wohingegen dessen tatsächliche<br />
Geltendmachung nicht erforderlich ist 338 . Daher rührt auch die Bezeichnung „Totengräber<br />
des Verfalls“ her.<br />
Der Bundesgerichtshof hat in historischer Auslegung hierzu ausgeführt 339 :<br />
„Diese in § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB getroffene Regelung beruht auf einem Kompromiss<br />
zwischen verschiedenen im Entstehungsstadium der Vorschrift zutage getretenen Gestaltungsmöglichkeiten.<br />
Dieser Kompromiss (...) beinhaltet, dass der Verfall nur in solchen<br />
Fällen anzuordnen ist, „wo von vorneherein überhaupt keine Ansprüche vorhanden<br />
seien, und zwar in der Erwägung, dass die Verfallserklärung nur in den Fällen<br />
notwendig sei, weil sonst ein zivilrechtlich Berechtigter da sei, der sich um die Geltendmachung<br />
der Ansprüche kümmern könne. Dabei werde in Kauf genommen, dass<br />
es Fälle gebe, in denen sich die Verletzten nicht um die Geltendmachung der Ansprüche<br />
kümmern würden“ (Protokolle der 53. Sitzung des Sonderausschusses für die<br />
Strafrechtsreform in der 5. Wahlperiode S. 1004).“<br />
Insofern kommt es nicht darauf an, ob Verletzte bekannt sind oder nicht oder aber trotz Kenntnis des<br />
Verfahrens längere Zeit untätig bleiben 340 . Insbesondere liegt in einem derartigen Unterlassen auch<br />
kein (konkludenter) Verzicht 341 .<br />
§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB verhält sich im Übrigen streng zivilakzessorisch 342 . Der Tatrichter muss daher<br />
prüfen, ob Ansprüche entstanden und im Hinblick auf etwaige Einwendungen und Einreden auch<br />
durchsetzbar sind. Im Fall von nicht wirksam entstandenen, untergegangenen oder nicht durchsetzbaren<br />
Ansprüchen greift § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht ein 343 , da eine zweifache Inanspruchnahme des<br />
Verfallsbetroffenen nicht droht.<br />
Dies ist bei folgenden Fällen anerkannt:<br />
(Konkludenter) Verzicht des Verletzten 344<br />
Verjährung des Anspruchs, wobei die Erhebung der Einrede nicht erforderlich ist 345<br />
Ausschluss nach § 814 BGB oder § 817 Satz 2 BGB 346<br />
Faktische Unmöglichkeit der Geltendmachung 347<br />
336<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 67.<br />
337<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 67.<br />
338<br />
Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 18 m.w.N.<br />
339<br />
BGH, Beschluss vom 15.03.1984, 1 StR 819/83.<br />
340<br />
BGH, Beschluss vom 15.03.1984, 1 StR 819/83; BGH, Beschluss vom 01.12.2005, StR 382/05; BGH, Beschluss<br />
vom 21.11.2006, 3 StR 380/06; a.A. OLG München, Beschluss vom 19.04.2004, 2 Ws 167/04, 2 Ws 168/04;<br />
OLG Hamm, Beschluss vom 30.11.2005, 3 Ws 526/05; vgl. hierzu auch Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts-<br />
und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 62 m.w.N.<br />
341<br />
BGH, Beschluss vom 11.05.2006, 3 StR 41/06; a.A. OLG München, Beschluss vom 19.04.2004, 2 Ws 168/04;<br />
OLG Hamm, Beschluss vom 30.11.2005, 3 Ws 526/05.<br />
342<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 64.<br />
343 Wiedner a.a.O.<br />
344 BGH, Beschluss vom 30.10.2003, 3 StR 276/03; Beschluss vom 31.03.2004, 1 StR 482/03.<br />
345 BGH, Urteil vom 11.05.2006, 3 StR 41/06.<br />
346 Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 20.<br />
347 Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010, S.<br />
53 ff., unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 21.09.1983, 3 StR 271/83.<br />
100
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Sonstige zivilrechtliche Verwirkungstatbestände (venire contra factum proprium) 348<br />
Hiervon ist die (teilweise) Erfüllung des Verletztenanspruchs durch Täter, Teilnehmer oder Drittempfänger<br />
zu unterscheiden, welche die erneute, mithin zweifache Inanspruchnahme im Rahmen des<br />
Verfallsausspruchs (anteilig) hindert.<br />
Vor diesem Hintergrund müssen die Anspruchsvoraussetzungen im tatrichterlichen Urteil auf Grundlage<br />
eindeutiger Belege festgestellt sein, sofern sie sich nicht schon aus der Anlasstat ergeben. Auf diese<br />
Weise soll sichergestellt sein, dass der Angeklagte ein grundsätzlich verfallbares, nicht sicher den<br />
Ansprüchen Dritter ausgesetztes Erlangtes behalten kann 349 .<br />
III Verletzter<br />
Fall 28350 :<br />
Der Angeklagte Hu. war angestellter Elektrotechnikingenieur im Klärwerk D., das zur<br />
Hamburger Stadtentwässerung gehörte. Der Angeklagte R. war auf selbständiger Basis<br />
als Ingenieur tätig und hatte in der Vergangenheit häufiger für die Hamburger<br />
Stadtentwässerung gearbeitet.<br />
Im Zuge der geplanten Umstellung der elektrotechnischen Dokumentation für das<br />
Klärwerk wurde der Beschluss gefasst, die gesamte Elektrotechnik elektronisch zu<br />
erfassen. Infolge einer Abrede mit R. verschwieg Hu. seinem Vorgesetzten, dass er<br />
nicht nur einen Großteil der Arbeiten selbst zu erledigen imstande gewesen wäre,<br />
sondern daneben auch den Umstand, dass er mit der Firma S. ein Unternehmen gefunden<br />
hatte, das für einen Stundenlohn von 50,- DM eine entsprechende Datenerfassung<br />
vornehmen würde. Stattdessen veranschlagte er den Kostenumfang entsprechend<br />
überhöht auf insgesamt 250.000,- DM und schlug weiterhin vor, R. bei der<br />
Vergabe zu berücksichtigen. Teil der Abrede zwischen Hu. und R. war ferner, dass<br />
Hu. 25% der von der Stadtentwässerung an R. gezahlten Gelder als „Schmiergeld“<br />
erhalten sollte, wobei dieser Teil vereinbarungsgemäß in den kalkulierten Gesamtkosten<br />
enthalten war. R. gab schließlich ein Angebot über 250.000,- DM ab, in welchem<br />
sowohl Techniker- und Ingenieurkosten als auch 100 weitere Ingenieurstunden für<br />
nicht vorgesehene Arbeiten à 96,- DM einkalkuliert waren. Das Angebot leitete der<br />
Angeklagte Hu. verbunden mit seiner Empfehlung zugunsten des R. über seinen Vorgesetzten<br />
an den Leiter des Klärwerks weiter, der daraufhin dem Angeklagten R. den<br />
Zuschlag erteilte. Von den an R. ausgekehrten 250.000,- DM erhielt Hu. 67.000,- DM<br />
als seinen Anteil.<br />
Ist der Verfall bei Hu. möglich?<br />
Verletzter i.S. des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist eine durch die Tat individuell geschädigte Person 351 .<br />
Bei der Verletzung von Allgemeinrechtsgütern gilt § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht 352 .<br />
Zum geschützten Personenkreis zählen nicht nur natürliche und juristische Personen, sondern auch<br />
Personenvereinigungen, die Träger von Rechten und Pflichten sein können 353 .<br />
Vom Verletztenbegriff umfasst sind etwa Steuerfiskus sowie Rechtsnachfolger des originär Verletzten,<br />
nicht aber der Insolvenzverwalter 354 . Die Frage, ob Letzterer als Partei kraft Amtes im Zulassungsverfahren<br />
nach §§ 111g und 111h StPO antragsberechtigt ist, wird an anderer Stelle behandelt 355 .<br />
348<br />
Vgl. hierzu Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 63.<br />
349<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 66.<br />
350<br />
Angelehnt an BGH, Urteil vom 06.02.2001, 5 StR 571/00.<br />
351<br />
Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 21.<br />
352<br />
Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 22.<br />
353<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 71.<br />
354<br />
Fischer, StGB, 59. Auflage 2012 § 73 Rn. 21 und 23.<br />
355 Vgl. Teil III, 3., 3.2, 3.2.2, II. b. bb.<br />
101
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Einschränkungen sind des Weiteren nach Sinn und Zweck der Vorschrift bei einem Tatbeteiligten zu<br />
machen, welcher, gesamtschuldnerisch haftend, den Verletzten entschädigt hat und nunmehr im Innenverhältnis<br />
einen Mittäter in Anspruch nimmt 356 .<br />
Ferner steht § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB der Anordnung von Verfall von Wertersatz bei eingesetztem<br />
Scheinkaufgeld nicht entgegen, da der öffentlichen Hand eigenständige Ersatzansprüche, die eine<br />
Kompensation ihrer verletzten Interessen gewährleisten sollen, nicht zur Verfügung stehen 357 .<br />
Im Bereich der Korruption ist die Rechtslage komplexer 358 .<br />
Frage:<br />
Warum scheidet der Dienstherr als Verletzter aus?<br />
Grundsätzlich ist der Dienstherr des Amtsträgers, gleich ob Beamter oder Angestellter im öffentlichen<br />
Dienst, nicht Verletzter i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, da die §§ 331 ff. StGB nicht das Vermögensinteresse<br />
der Anstellungskörperschaft, sondern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit des<br />
öffentlichen Dienstes unter Schutz stellen 359 .<br />
Desgleichen gilt, wenn der bestochene Amtsträger sich daneben noch wegen Untreue zu verantworten<br />
hat, weil dieser beispielsweise im Rahmen der Vergabe überteuerte Verträge zuließ 360 . So wäre vorliegend<br />
der Verfall des erhaltenen Bestechungsgeldes anzuordnen. Zwar hat der Amtsträger aus der<br />
Bestechlichkeit etwas erlangt, jedoch scheidet der Dienstherr aus den vorgenannten Gründen als Verletzter<br />
aus. Soweit der Bestochene desweiteren eine Untreue verwirklicht hat, erlangte er nicht „aus<br />
der Tat“, sondern nur „für die Tat“. Dies unterfällt aber schon vom Wortlaut her nicht dem Anwendungsbereich<br />
des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB.<br />
Im Übrigen steht dem Dienstherrn gegenüber dem Beamten auch kein (vorbehaltloser) Anspruch auf<br />
Herausgabe des von diesem erlangten Bestechungslohns zu, da es für einen solchen Anspruch in den<br />
Beamtengesetzen der Länder an einer Rechtsgrundlage fehlt 361 und ein auf § 71 Abs. 2 Satz 1 BBG<br />
i.d.F. vom 05. Februar 2009 (BGBl. I 160) gestützter Anspruch auf Herausgabe eines Vermögensvorteils,<br />
den ein Bundesbeamter in Bezug auf sein Amt angenommen hat, nur dann auch tatsächlich realisiert<br />
werden kann, wenn der Verfall nicht angeordnet worden ist 362 .<br />
Sofern allerdings erhaltene Bestechungsgelder nicht versteuert wurden, gehen in Anwendung des § 73<br />
Abs. 1 Satz 2 StGB die Ansprüche des Fiskalfiskus dem Justizfiskus vor 363 , welche bei der Bemessung<br />
des korruptiv Erlangten indessen auszunehmen sind 364 .<br />
Macht aber schließlich der Bestechungslohn zugleich den Schaden bzw. den Nachteil im Rahmen der<br />
Betrugs- und Untreuehandlung aus, das heißt korrespondiert der Betrugs- und Untreueschaden des<br />
Dienstherrn spiegelbildlich mit dem aus der Tat erlangten Vermögenszuwachs des Täters, so steht<br />
wegen des Grundsatzes des Verbots der Doppelinanspruchnahme der Schadensersatzanspruch des<br />
Dienstherrn einer Verfallsanordnung entgegen 365 .<br />
356<br />
Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 21.<br />
357<br />
BGH, Urteil vom 04.02.2009, 2 StR 504/08.<br />
358<br />
Vgl. Schmidt, wistra 2011, 321 (322 ff.)<br />
359<br />
Ständige Rspr. des BGH, so beispielsweise BGH, Urteil vom 24.06.2010, 3 StR 84/10 m.w.N.<br />
360<br />
BGH, Urteil vom 08.06.1999, 1 StR 210/99; BGH, Urteil vom 24.06.2010, 3 StR 84/10.<br />
361<br />
Vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12.07.2000, 2 StR 43/00<br />
362<br />
BGH, Urteil vom 24.06.2010, 3 StR 84/10.<br />
363<br />
BGH, Beschluss vom 31.03.2008, 5 StR 631/07.<br />
364<br />
Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 22.<br />
365<br />
BGH, Urteil vom 06.02.2001, 5 StR 571/00; Urteil vom 11.05.2001, 3 StR 549/00.<br />
102
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Lösung Fall 28:<br />
Der Verfallsausspruch gegenüber Hu. ist vorliegend ausgeschlossen, da § 73 Abs. 1<br />
Satz 2 StGB einschlägig ist. Da der Schmiergeldanteil in das Gesamtprojektvolumen<br />
mit einkalkuliert war und damit die Hamburger Stadtentwässerung das Bestechungsgeld<br />
quasi finanziert hat, korrespondiert der Untreueschaden mit dem Zuwachs auf<br />
Täterseite, den dieser aus der Bestechlichkeit erlangt hat. Dies verdeutlicht auch die<br />
folgende Überlegung 366 : „Entschiede man nämlich hier die beiden - wirtschaftlich<br />
unmittelbar verknüpften – Sachverhaltsteile getrennt, dann würde dies zu einem mit<br />
dem Normzweck des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht zu vereinbarenden Ergebnis führen.<br />
Bei getrennter Würdigung hätte der Angeklagte Hu. zwar aus dem vorgelagerten<br />
Tatkomplex von Betrug und Untreue zu Lasten seiner Arbeitgeberin nichts erlangt,<br />
wäre aber seiner Arbeitgeberin nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 266 StGB zum<br />
Schadensersatz verpflichtet. Die spätere Annahme der Bestechungsgelder würde hingegen<br />
seine Arbeitsgeberin nicht schädigen. (...)“<br />
Die Anordnung des Verfalls würde daher – rechtswidrig - dazu führen, dass Hu. sowohl<br />
staatlicherseits als auch durch die Arbeitgeberin in Anspruch genommen werden<br />
könnte.<br />
Anders sind hingegen ähnlich gelagerte Konstellationen der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr<br />
nach § 299 StGB zu bewerten.<br />
Dem Arbeitgeber, der als Geschäftsherr des Bestochenen Verletzter der gewerblichen Bestechung ist,<br />
steht ein Anspruch auf Herausgabe der erlangten Bestechungsgelder nach §§ 687 Abs. 2, 681 Satz 2,<br />
667 BGB zu 367 .<br />
IV (Verletztenanspruch) aus der Tat<br />
Nicht nur die Ansprüche des originär Verletzten, sondern auch dessen Rechtsnachfolgers fallen unter<br />
das Tatbestandsmerkmal „ (...) dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, (...)“.<br />
Innerhalb des BGH ist der dabei zugrundezulegende Tatbegriff umstritten. Während der 5. Strafsenat<br />
sich vom prozessualen Tatbegriff löst und für entscheidend hält, ob eine zwingende innere Verknüpfung<br />
zwischen dem erlangten Vorteil und dem ersatzfähigen Schaden eines Dritten vorliegt 368 , orientiert<br />
sich der 3. Strafsenat am Tatbegriff i.S.d. § 264 StPO 369 .<br />
Der Streit ist jedoch eher unter akademischen Gesichtspunkten zu verstehen.<br />
Im Regelfall knüpft die Entstehung des Anspruches an die Verwirklichung des Straftatbestandes selbst<br />
an; der Anspruch muss aber nicht notwendigerweise durch die Straftat entstanden sein, sondern kann<br />
bereits vor der strafbaren Handlung bestanden und den Gegenstand der Straftat gebildet haben 370 .<br />
366<br />
Nach: BGH, Urteil vom 06.02.2001, 5 StR 571/00.<br />
367<br />
BGH, Beschluss vom 31.03.2008, 5 StR 631/07; vgl. hierzu auch Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und<br />
Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 74.<br />
368<br />
BGH, Urteil vom 06.02.2001, 5 StR 571/00.<br />
369<br />
BGH, Urteil vom 11.05.2001, 3 StR 549/00; so auch Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73 Rn. 21; Schmidt,<br />
Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage 2008, Bd. 3, § 73 Rn. 40.<br />
370<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2010, § 73 StGB Rn. 69.<br />
103
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Zusammenfassung<br />
Die Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, die nur die Konstellation des Erlangens aus<br />
der Tat erfasst, verfolgt die folgenden Zwecke:<br />
1. Ansprüche von Verletzten werden gegenüber staatlichen Ansprüchen privilegiert, um<br />
einen „Gläubigerwettlauf“ zu vermeiden.<br />
2. Der Verfallsbetroffene wird vor einer zweifachen Inanspruchnahme sowohl durch den<br />
Staat als auch durch den Verletzten geschützt.<br />
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und der wohl überwiegenden Auffassung in der<br />
Literatur stellt § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, der sich streng zivilakzessorisch verhält, auf den<br />
abstrakten Bestand des Anspruchs und nicht auf dessen tatsächliche Geltendmachung<br />
ab.<br />
Verletzter i.S. des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist eine durch die Tat individuell geschädigte<br />
natürliche oder juristische Person oder Personenvereinigung.<br />
Auch Rechtsnachfolger des unmittelbar Verletzten, wie etwa (Hausrat-)Versicherungen<br />
etc., sind Verletzte im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB.<br />
Grundsätzlich ist der Dienstherr des Amtsträgers, gleich ob Beamter oder Angestellter im<br />
öffentlichen Dienst, nicht Verletzter i.S.d, § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, da die §§ 331 ff. StGB<br />
nicht das Vermögensinteresse der Anstellungskörperschaft, sondern das Vertrauen der<br />
Allgemeinheit in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes schützen. Dies ist nur dann anders<br />
zu beurteilen, wenn das Schmiergeld in die Gesamtkosten mit einkalkuliert war.<br />
104
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
10. Verfahrensrecht<br />
Die §§ 111b Abs. 5, 111g, 111h und § 111i StPO bilden im Rahmen des Verfahrensrechts<br />
das „Herzstück“ der Rückgewinnungshilfe.<br />
Während § 111b Abs. 5 StPO als Ermessensnorm Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO zu<br />
Gunsten des Tatverletzten erlaubt, wird dieser zudem über die §§ 111g, 111h StPO gegenüber sonstigen<br />
Gläubigern des Betroffenen in bestimmter Weise privilegiert. Schließlich lässt § 111i Abs. 2 – 8<br />
StPO sowohl im subjektiven als auch objektiven Verfahren den staatlichen Auffangrechtserwerb fakultativ<br />
zu, wenn trotz erfolgter Beschlagnahmen oder Arretierungen der Verletzte untätig geblieben ist<br />
oder aber Sicherung in nicht hinreichender Weise erfahren hat, da anderenfalls die Vermögenswerte<br />
wieder herausgegeben werden müssten.<br />
Hieraus ergeben sich vielfältige Fragestellungen, die nicht nur am Willen des nationalen Gesetzgebers<br />
insbesondere vor dem Hintergrund des zuletzt verabschiedeten Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe<br />
und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24.10.2006, sondern auch an den<br />
diesbezüglich relevanten Rechtsetzungsakten des Rates der Europäischen Union zu messen sind 371 .<br />
371 Vgl. hierzu die Ausführungen unter dem 6. Teil „Internationale Vermögensabschöpfung“; vgl. auch Lohse,<br />
AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 20 im Zusammenhang mit dem Gebot der rahmenbeschlusskonformen<br />
Auslegung der europarechtlichen Vorgaben.<br />
105
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
10.1 Voraussetzungen der Rückgewinnungshilfe<br />
Fall 29:<br />
Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die von einer örtlichen Steuerfahndungsstelle<br />
und der Polizei unterstützt werden, richten sich gegen eine international agierende<br />
Tätergruppe, welche dringend tatverdächtig ist, im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells<br />
zu Unrecht Vorsteuererstattungen in Millionenhöhe realisiert zu haben.<br />
Hiervon betroffen sind sowohl in- als auch ausländische Finanzämter in Frankreich,<br />
Belgien und Luxemburg.<br />
Die auch im Wege der justiziellen Rechtshilfe im EU-Raum durchgeführten Finanzermittlungen<br />
haben Hinweise auf Legalvermögen der Haupttäter sowohl im In- als auch<br />
im EU-Ausland ergeben.<br />
Sind vor diesem Hintergrund Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO geboten?<br />
Frage:<br />
Wann ist die Ermessensentscheidung anhand des Einzelfalls eröffnet?<br />
§ 111b Abs. 5 StPO bestimmt, dass die Absätze 1 bis 4 entsprechend gelten, soweit der Verfall nur<br />
deshalb nicht angeordnet werden kann, weil die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB vorliegen.<br />
Die Ermessensentscheidung anhand der Umstände des Einzelfalls 372 ist daher ausschließlich dann<br />
eröffnet, wenn eine natürliche oder juristische Person oder sonst geschützte Personenvereinigung<br />
durch eine Straftat individuell verletzt ist und daneben die sonstigen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1<br />
Satz 2 StGB erfüllt sind.<br />
Bei der Ermessensausübung sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die Belange des Opferschutzes,<br />
aber auch die tatsächlichen respektive rechtlichen Möglichkeiten des Verletzten zur Durchsetzung<br />
seiner Ansprüche, ferner die Höhe des Schadens, die Zahl der Verletzten und deren bisheriges Verhalten<br />
und darüber hinaus der (Verfolgungs-)Aufwand, die Möglichkeiten der Verfahrensbeschränkung<br />
nach §§ 154 ff. StPO und die Option des späteren Auffangrechtserwerbs nach § 111i Abs. 2 – 8 StPO<br />
– unter differenzierender Gewichtung der einzelnen Aspekte - in den Blick zu nehmen 373 .<br />
Bei einem dinglichen Arrest, der den Zugriff auf das Legalvermögen des Arrestbetroffenen erlaubt und<br />
daher als besonders eingriffsintensiv aufzufassen ist, bestehen dabei erhöhte Anforderungen insbesondere<br />
in verfassungsrechtlicher Hinsicht 374 . Die neben der Inzidenterprüfung der maßgeblichen<br />
Normen des materiellen Rechts notwendige Abwägung der ermessensleitenden Umstände ist somit<br />
komplex. Sie verlangt ein genaue Analyse der relevanten Faktoren sowohl in tatsächlicher als auch<br />
rechtlicher Hinsicht unter Abkehr gängiger Klischees und Vorurteile.<br />
Die Notwendigkeit einer solch umfassenden Ermessensausübung kommt insbesondere bei Verfahren<br />
unter Beteiligung von „starken Verletzten“ wie Finanzämtern oder großen Unternehmen mit eigener<br />
Rechtsabteilung zum Tragen.<br />
372 Schlachetzki, wistra 2011, 41 (47).<br />
373 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111b Rn. 19 ff. und § 111d Rn. 6 m.w.N.; Malitz, NStZ<br />
2002, 337 (338 ff.); Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; Schlachetzki, wistra 2011, 41 (44 ff.).<br />
374 Vgl. Teil II, 2., 2.1, 2.1.1<br />
106
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Nach einer Mindermeinung scheiden Sicherungsmaßnahmen zugunsten der Finanzverwaltung<br />
bereits deswegen aus, weil der Fiskus rein abstrakt betrachtet über die<br />
Möglichkeit verfügt, im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes über dingliche Arreste<br />
nach §§ 324 ff. AO eigene Ansprüche zu verfolgen 375 .<br />
Dieses Argument trifft indes auf jeden beliebigen Verletzten zu und verschließt des<br />
Weiteren den Blick vor rechtlichen Unterschieden zwischen StPO- und AO-Arrest.<br />
Die gewichtigste Divergenz liegt diesbezüglich darin begründet, dass der StPO-Arrest<br />
gegenüber dem Arrest nach der AO, welcher die überwiegende Wahrscheinlichkeit<br />
der späteren Fälligkeit des Fiskalanspruchs voraussetzt 376 , mithin geringere Anforderungen<br />
an den Verdachtsgrad stellt 377 .<br />
Weitere Abweichungen ergeben sich daraus, dass der Titel nach §§ 324 ff. AO zwingend<br />
schriftlich abzufassen ist (§ 324 Abs. 2 Satz 2 AO) und für den Erlass des Arrestes<br />
nur ein Organ funktionell zuständig ist, nämlich der Vorsteher des für die Steuerfestsetzung<br />
zuständigen Finanzamtes 378 , während im Strafverfahrensrecht in Eilfällen<br />
die Anordnung nicht nur mündlich, sondern neben dem Richter auch durch Beamte<br />
der Staatsanwaltschaft vorgenommen werden kann.<br />
Rechtlich relevante Abweichungen lassen sich schließlich auch bei der Vollziehung der<br />
Titel konstatieren. So gibt § 324 Abs.2 Satz 1 AO die Zustellung der Arrestanordnung<br />
als Regelfall vor und zwar gem. § 324 Abs. 3 Satz 1 AO binnen eines Monats nach<br />
der Unterzeichnung des Titels. Sollte demgegenüber von der Option des § 324 Abs. 3<br />
Satz 2 StPO, der die Vollziehung des Arrestes vor dessen Zustellung erlaubt, Gebrauch<br />
gemacht worden sein, so ist die Vollstreckung ohne Wirkung, wenn die Zustellung<br />
nicht innerhalb einer Woche nach der Vollziehung und innerhalb eines Monats<br />
seit der Unterzeichnung erfolgt (§ 324 Abs. 3 Satz 2 AO). Darüber hinaus sind<br />
Besonderheiten beim Rechtsschutz gegen einen AO-Arrest dergestalt denkbar, dass<br />
divergierende Rechtsmittel, zum einen bei den Finanz- und zum anderen bei den Zivilgerichten<br />
statthaftsein können 379 .<br />
Neben diesen rechtlichen Erwägungen sind auch die Gründe des Einzelfalls im Tatsächlichen<br />
nicht unberücksichtigt zu lassen. Man denke etwa an Fälle von Auslandsvollstreckungen<br />
insbesondere entsprechend Artikel 16 und 17 der Richtlinie<br />
2010/24/EU des Rates vom 16. März 2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von<br />
Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen 380<br />
bei einem länderübergreifend aufgebauten Umsatzsteuerkarussell unter Einbindung<br />
mehrerer nationaler Finanzämter, infolgedessen ein erhöhter Koordinierungsbedarf<br />
besteht.<br />
375 So etwa LG Mannheim, Beschluss vom 21.12.2006, 25 Qs 14/06; ähnlich auch LG Berlin, Beschluss vom<br />
06.03.2006, 526 Qs 47-49/06; vgl. hierzu auch Zöllner, Pahlke/König, AO, 2. Auflage 2009, § 324 Rn. 8 m.w.N.<br />
376 Zöllner, Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage 2009, § 324 Rn. 8.<br />
377 Vgl. hierzu OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.09.2010, 1 Ws 504/10; Theile, StV 2009, 161 ff.<br />
378 Zöllner, Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage 2009, § 324 Rn. 16.<br />
379 Vgl. Zöllner, Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage 2009, §§ 281 Rn. 20, § 322 Rn. 29 ff. und § 324 Rn. 31 ff.<br />
380 EU-Amtsblatt Nr. L 084 vom 31/03/2010 S. 0001 – 0012; vgl. hierzu auch Artikel 1 des BeitrRLUmsG vom<br />
07.12.2011 (BGBl. Teil I 2011 Nr. 64 13.12.2011 S. 2592) und BMF-Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe<br />
bei der Steuererhebung (Beitreibung); Stand: 1. Juli 2011, vom 29. Februar 2012, GZ IV B 6 – S<br />
1320/07/10011: 010.<br />
107
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Es gilt daher nach herrschender Meinung,<br />
das Konkurrenzverhältnis einzelfallabhängig in der Weise aufzulösen, dass Sicherungsmaßnahmen<br />
nach §§ 111b ff. StPO nur dann ausscheiden, wenn sowohl tatsächlich<br />
als auch rechtlich betrachtet Verletzte aus Straftaten aufgrund ihres eigenen<br />
Kenntnisstandes selbst in der Lage sind, ebenso zeitnah zu eigenen wenigstens vorläufig<br />
vollstreckbaren Titeln zu gelangen sowie darauf basierend gleich effektive Sicherungsmaßnahmen<br />
durchzuführen 381 , mithin ohne Gefahr zu laufen, dass ihr Zugriff<br />
durch vorheriges Täterhandeln vereitelt oder wesentlich erschwert würde.<br />
Um Missverständnissen vorzubeugen: Diese Konkurrenzproblematik ist nur ein, wenn auch besonders<br />
zu gewichtender Aspekt in der gebotenen Gesamtbetrachtung. Selbst wenn also ein Verletzter gleich<br />
aus welchen Gründen nicht die Möglichkeit zu eigenen gleich effektiven Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />
hat, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass Rückgewinnungshilfe nach §§ 111b ff. StPO zu<br />
leisten wäre.<br />
Hat aber umgekehrt ein Verletzter bereits einen eigenen Titel erwirkt und daraus die Zwangsvollstreckung<br />
betrieben, fehlt es an dem erforderlichen qualifizierten Sicherstellungsbedürfnis 382 .<br />
Die aus dem Jahre 2005 stammende Entscheidung des BVerfG 383 , die insoweit auch die Untätigkeit<br />
des Geschädigten während des Ermittlungsverfahrens berücksichtigt, dürfte infolge der Einführung<br />
des § 111i StPO zum 01.01.2007 entsprechend zu relativieren sein.<br />
381 So etwa OLG Oldenburg, Beschluss vom 26.11.2007, 1 Ws 554/07; OLG Celle, Beschluss vom 20.05.2008, 2<br />
Ws 155/08; OLG Hamm, Beschluss vom 31.03.2009, 2 Ws 69/09; ähnlich auch Schmidt, Gewinnabschöpfung<br />
im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 1154 f.<br />
382 Vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 13.11.2003, 620 Qs 99/103; so auch Webel, wistra 2004, 249 ff.<br />
383 BVerfG, Beschluss vom 07.06.2005, 2 BvR 1822/04.<br />
108
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Fall 29:<br />
Lösung Fall 29:<br />
Der vorliegende Fall verdeutlicht noch einmal die Notwendigkeit, die im Rahmen der<br />
Ermessensausübung relevanten Aspekte zunächst voneinander getrennt zu prüfen<br />
und sodann eine Gesamtabwägung vorzunehmen.<br />
Grundsätzlich verfügt die Finanzverwaltung über die Möglichkeit, mittels von Arresten<br />
nach §§ 324 ff. AO eigene Ansprüche gegen den originären Steuerschuldner sowie<br />
den Haftungsschuldner (vgl. auch § 219 Satz 2 AO) im Wege der Zwangsvollstreckung<br />
zu verfolgen.<br />
Da gegen die Tätergruppe dringender Tatverdacht besteht und der Finanzverwaltung<br />
infolge der überwiegend durch die Steuerfahndung durchgeführten Sachermittlungen<br />
insoweit auch der für das Arrestverfahren erforderliche Kenntnisstand zugerechnet<br />
werden kann, dürften die für den Erlass dinglicher Arreste nach §§ 324 ff. AO notwendigen<br />
tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen zunächst vorliegen.<br />
Dies gilt desgleichen für den Fall im Vorfeld durchgeführter TKÜ-Maßnahmen, deren<br />
Erkenntnisse nach neuer Rechtslage nach § 393 Abs. 3 AO nunmehr auch im Fiskalverfahren<br />
verwertet werden dürfen.<br />
Demgegenüber ist hier das „Wie“, also die Frage nach der Effektivität von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />
der Finanzverwaltung im In- und Ausland problematisch.<br />
So stellt sich die Frage, ob die im Wege der justiziellen Rechtshilfe gewonnenen Erkenntnisse<br />
zum Verbleib von Vermögenswerten im Ausland überhaupt im Fiskalverfahren<br />
nach §§ 324 ff. AO verwendet werden dürfen. Dies erscheint nicht zuletzt infolge<br />
des „Spezialitätsgrundsatzes“ (vgl. § 59 Abs. 2 IRG) zweifelhaft, da die Rechtshilfe<br />
nur in strafrechtlichen Angelegenheiten vorgenommen wurde und aufgrund dessen<br />
die Erkenntnisse lediglich im Ermittlungs- bzw. Strafverfahren unmittelbar verwertet<br />
werden dürfen.<br />
Vor allem aber dürfte über Maßnahmen nach §§ 111b ff. StPO in einer Hand eine<br />
bessere Koordination der Sicherungsmaßnahmen sowie eine zeitnahe Verwertung<br />
von Erkenntnissen, die im Rahmen anderer prozessualer Maßnahmen am Einsatztag<br />
zuvor aktuell gewonnen werden, gewährleistet sein.<br />
10.2 Verfahren nach ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen<br />
10.2.1 „Kleine“ Rückgewinnungshilfe nach § 111k StPO<br />
Die Regelung des § 111k StPO beschränkt sich auf bewegliche Sachen, welche nach § 94 StPO beschlagnahmt<br />
bzw. sonst sichergestellt oder nach § 111c Abs. 1 StPO beschlagnahmt worden sind und<br />
für das Strafverfahren nicht mehr benötigt werden.<br />
Darüber hinaus soll eine Herausgabe der durch die Straftat entzogenen Sache an den Verletzten nur<br />
dann erfolgen, wenn dieser bekannt ist und Ansprüche Dritter, wozu auch Täter oder Teilnehmer zählen<br />
können, nicht entgegenstehen. Die nach § 111f StPO rechtsmittelfähige Entscheidung obliegt<br />
grundsätzlich der Staatsanwaltschaft; ist das Recht des Verletzten nicht offenkundig, kann diese damit<br />
aber auch das Gericht befassen.<br />
Der Anwendungsbereich der Vorschrift liegt damit in erster Linie bei einfach gelagerten Eigentumsdelikten.<br />
Problematisch sind hingegen Konstellationen, dass zugleich Dritte(r) und Verletzter als (berechtigte)<br />
Empfänger der sichergestellten Gegenstände in Frage kommen, ohne dass deren Ansprüche offensichtlich<br />
begründet sind<br />
109
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
10.2.2 Zwangsvollstreckung durch Verletzten und Zulassungsverfahren nach §§ 111g,<br />
111h StPO<br />
Fall 30:<br />
In einem Ermittlungsverfahren werden A. sowohl Einkommens-, Gewerbe- sowie Umsatzsteuerhinterziehung<br />
infolge der Falschabgabe der betreffenden Erklärungen für<br />
das Jahr 2009 als auch Betrug zur Last gelegt. Die Steuerhinterziehung beläuft sich<br />
auf insgesamt 100.000,- Euro; der aus den Betrugstaten resultierende Schaden, verteilt<br />
auf zehn Geschädigte (à 10.000,- Euro), beträgt ebenfalls 100.000,- Euro.<br />
Die Staatsanwaltschaft entschließt sich nach polizeilichen Finanzermittlungen dazu,<br />
gegen A. einen dinglichen Arrest über 200.000,- Euro zu erwirken, der vom Amtsgericht<br />
antragsgemäß erlassen wird.<br />
Im Zuge der Vollziehung des Arrestes können bei A. Vermögenswerte im Umfang von<br />
150.000,- Euro sichergestellt werden.<br />
Nach Benachrichtigung der Verletzten erlässt zunächst das Finanzamt vorläufig<br />
vollstreckbare Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuerbescheide für das Jahr<br />
2009, die sich neben der Hauptforderung auf insgesamt 115.000,- Euro inklusive<br />
Säumniszuschläge und Hinterziehungszinsen 384 belaufen. Nachfolgend betreibt das<br />
Finanzamt nicht nur aus diesen Bescheiden, sondern desgleichen aus dem ESt-<br />
Bescheid des Jahres 2008 in Höhe von 50.000,- Euro die Zwangsvollstreckung in die<br />
vorläufig bei A. gesicherten Vermögenswerte.<br />
Während vier der (Betrugs-)Geschädigten (G7 – G10) aus Angst, ihre investierten<br />
Anlagesummen könnten als „Schwarzgeld“ identifiziert werden, zunächst untätig bleiben,<br />
werden die übrigen sechs Tatverletzten (G1 – G6) aktiv, indem sie gegen A.<br />
Versäumnisurteile erwirken.<br />
Auf anwaltlichen Rat hin beantragt G1 zunächst die Zulassung zur Zwangsvollstreckung,<br />
während G2, G3, G4, G5 und G6 hingegen die Versäumnisurteile in die Sicherungsmasse<br />
vollstrecken. Erst danach beauftragt auch G1 einen Gerichtvollzieher, der<br />
dessen Versäumnisurteil entsprechend vollzieht. Schließlich werden auch G2, G3, G4,<br />
G5 und G6 zur Zwangsvollstreckung zugelassen.<br />
Gegen den Beschluss des Amtsgerichts, auch dem Zulassungsantrag des Finanzamtes<br />
zu entsprechen, hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde eingelegt.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
I Benachrichtigung nach § 111e Abs. 3 und 4 StPO<br />
Der Tatverletzte selbst ist gehalten, eigene Titel zu erwirken und diese in die durch die Staatsanwaltschaft<br />
im Wege der Rückgewinnungshilfe vorläufig gesicherten Vermögenswerte des Beschlagnahme-<br />
oder Arrestbetroffenen zu vollstrecken.<br />
Um dies zu ermöglichen, ist der Geschädigte zunächst über den Vollzug der Beschlagnahme oder des<br />
Arrestes zu informieren.<br />
Die dementsprechend in § 111e Abs. 3 und 4 StPO normierte Pflicht der Benachrichtigung, welche<br />
unverzüglich nach Vollzug der Sicherungstitel zu erfolgen hat, kann auf unterschiedliche Art umgesetzt<br />
werden, entweder individuell (§ 111e Abs. 3 StPO) oder generell-abstrakt (§ 111e Abs. 4 StPO), wenn<br />
Verletzte nicht bekannt sind oder aber die individuelle Benachrichtigung mit einem unverhältnismäßig<br />
hohen Aufwand verbunden wäre.<br />
In der Praxis wird bei § 111e Abs. 4 StPO entsprechend der fakultativen Vorgabe des § 111e Abs. 4<br />
Satz 1 StPO üblicherweise der elektronische Bundesanzeiger eingesetzt, wobei alternativ 385 oder ku-<br />
384 Vgl. hierzu Koenig, Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage 2009, § 240 AO Rn. 4.<br />
385 Vgl. Wortlaut des § 111e Abs. 4 Satz 1 StPO: „(...) kann (...)“.<br />
110
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
mulativ 386 , abhängig von den Umständen des Einzelfalls, auch andere Medien verwandt werden können,<br />
beispielsweise lokale respektive überregionale Zeitungen oder polizeilich aufgebaute Internetseiten,<br />
zugänglich nur den Verletzten im Zusammenhang mit einem bestimmten Ermittlungsverfahren.<br />
Sinn und Zweck des § 111e Abs. 3 und 4 StPO erlauben eine großzügige Auslegung der gesetzlichen<br />
Vorgabe der unverzüglichen Benachrichtigung dergestalt, dass zumindest der Eingang von Drittschuldnererklärungen<br />
oder Eintragungsmitteilungen von Grundbuchämtern, ggf. sogar die Beantwortung<br />
von Rechtshilfeersuchen um vorläufige Sicherungsmaßnahmen im Ausland abgewartet werden<br />
können 387 .<br />
Für die Benachrichtigung verantwortlich ist ausschließlich die Staatsanwaltschaft; die funktionelle Zuständigkeit<br />
obliegt dem staatsanwaltschaftlichen Dezernenten des Verfahrens und nicht dem Rechtspfleger,<br />
da § 31 RPflG hierfür keine ausdrückliche Zuweisung enthält.<br />
Neben einer hinlänglich konkreten Beschreibung des Verfahrensgegenstandes in sachlicher, personeller<br />
und zeitlicher Hinsicht sollte die Benachrichtigung inhaltlich vor allen Dingen eine Auflistung der bis<br />
dahin ausgebrachten Beschlagnahmen respektive Pfändungen enthalten, welche dem Verletzten die<br />
zielgerichtete, kostenadäquate Zwangsvollstreckung gestattet.<br />
Eine diesbezügliche Aufstellung sollte nicht weniger als die folgenden Angaben bzw. Differenzierungen<br />
aufweisen:<br />
Hinweis auf vollzogene Beschlagnahmeanordnung oder vollzogenen dinglichen Arrest<br />
Zeitpunkt der staatlichen Maßnahme<br />
Personenbezogene Aufschlüsselung nach Täter, Teilnehmer, Drittempfänger etc. (= Schuldner)<br />
unter Beachtung der Vorgaben des § 111e Abs. 4 Satz 3 StPO<br />
Differenzierung nach Art des beschlagnahmten oder gepfändeten Vermögens: Mobiliar- oder<br />
Immobiliarvermögen; Sachpfändung, Forderungspfändung, Eintragung einer Arresthypothek etc.<br />
Genaue Bezeichnung der Vermögensposition, etwa Pkw nach Marke, Baujahr, FIN, amtliches<br />
Kennzeichen, oder Arresthypothek in Höhe von in Abt. III, Grundbuch beim AG, Gemarkung,<br />
Blatt etc.<br />
Benennung des Drittschuldners mit Anschrift<br />
(Nomineller) Wert der einzelnen Vermögensposition (ggf. in Verbindung mit abgegebener Drittschuldnererklärung)<br />
Verbleib der einzelnen Vermögenspositionen (Asservatenraum, Einzahlung bei Gerichtskasse oder<br />
Hinterlegung unter Angabe von Buchungsnummer bzw. Aktenzeichen der Hinterlegungsstelle;<br />
Verwahrer; dem Beschuldigten belassen etc.)<br />
Darüber hinaus können Aktualisierungen angebracht sein, etwa bei der Sicherung weiterer, erst später<br />
entdeckter Vermögenswerte oder nach erfolgreichen Auslandsvollstreckungen, die erfahrungsgemäß<br />
durch den ersuchten Staat erst im Nachgang mitgeteilt werden, ferner bei erfolgten Notveräußerungen<br />
nach § 111l StPO im Hinblick auf Erfolg der Maßnahme und die näheren Modalitäten des zu hinterlegenden<br />
Erlöses sowie in Bezug auf den Stand der Aktivitäten der Verletzten selbst und des Zulassungsverfahrens,<br />
um dem geschützten Personenkreis zu ermöglichen, die Vollstreckungsaussichten<br />
beurteilen zu können 388 .<br />
Neben einer derart spezifizierten Vermögensaufstellung sollte die Benachrichtigung darüber hinaus<br />
ggf. im Rahmen eines eigenständigen Merkblatts grundsätzliche Angaben zum Ablauf des Rückgewinnungshilfeverfahrens<br />
dergestalt enthalten,<br />
dass der Verletzte selbst zivilprozessual tätig werden muss,<br />
dass eine Verteilung der gesicherten Vermögenswerte nach insolvenzrechtlichen Maßstäben nicht<br />
stattfindet,<br />
dass keine Garantie auf Seiten der Staatsanwaltschaft für die Werthaltigkeit des gesicherten<br />
Vermögens übernommen wird,<br />
dass die zivilprozessualen Regularien nicht außer Kraft gesetzt sind,<br />
386 Vgl. § 111e Abs. 4 Satz 2 StPO.<br />
387 Vgl. hierzu auch Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111e Rn. 4.<br />
388 Vgl. hierzu auch Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111e Rn. 4.<br />
111
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
und schließlich zum rechtlichen Rahmen und der Bedeutung des Zulassungsverfahrens nach §§<br />
111g, 111h StPO.<br />
Die Benachrichtigung könnte beispielhaft folgendermaßen aufgebaut sein:<br />
„Ermittlungsverfahren gegen… wegen…<br />
hier: Vorläufige Sicherung von Vermögenswerten zugunsten von Tatverletzten nach §§ 111b ff. StPO<br />
Anlagen:<br />
Auflistung der vorläufig sichergestellten Vermögenswerte<br />
Merkblatt „Wichtige verfahrenstechnische Hinweise für Tatverletzte“<br />
Sehr geehrte Damen und Herren!<br />
Bei der Staatsanwaltschaft …. ist unter dem vorgenannten Aktenzeichen ein Ermittlungsverfahren gegen<br />
die o.a. Beschuldigten wegen des Verdachts des/der … anhängig.<br />
Dem Verfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:<br />
…<br />
Möglicherweise wurden auch Sie entsprechend geschädigt, weshalb Ihnen zivilrechtliche Schadensersatz-<br />
/Rückzahlungsansprüche zustehen könnten.<br />
Vor diesem Hintergrund hat auf Betreiben der Staatsanwaltschaft …. das Amtsgericht … am … einen Beschlagnahmebeschluss/Dinglichen<br />
Arrest, Aktenzeichen …, gegen den Beschuldigten … /Drittempfänger …<br />
etc. erlassen, in dessen Vollziehung die in der/den Anlage(n) bezeichneten Vermögenswerte vorläufig gesichert<br />
wurden.<br />
Beachten Sie in diesem Zusammenhang bitte, dass eine Garantie zu den Angaben das gesicherten Vermögen<br />
bzw. dessen Werthaltigkeit nicht übernommen werden kann, da diese zum Teil lediglich auf den Erklärungen<br />
der Drittschuldner beruhen. Ebenso verhält es sich für die tatsächliche Zugehörigkeit von sichergestellten<br />
Gegenständen, Forderungen und anderen Rechten.<br />
Die anliegende Benachrichtigung dient nach § 111e Abs. 3 StPO dem Zweck, Ihnen und weiteren Tatgeschädigten<br />
die Möglichkeit zu eröffnen, etwaige zivilrechtliche Ansprüche gegen den Beschuldigten …<br />
/Drittempfänger … etc. (Schuldner) zu prüfen und ggf. auf die sichergestellten, in der/den Anlage(n) bezeichneten<br />
Vermögenswerte im Rahmen der zivilrechtlichen Zwangsvollstreckung Zugriff zu nehmen.<br />
Zur Vorgehensweise im Einzelnen darf ich auf das beigefügte Hinweisblatt verweisen.<br />
Hochachtungsvoll<br />
…“<br />
112
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Zur Auflistung der sichergestellten Vermögenswerte:<br />
A. Bewegliche Gegenstände<br />
Lfd. Nr. Gegenstand Eigentümer Ort der Aufbewahrung (Schätz-)Wert<br />
Genaue Beschreibung Hälftiges Eigentum ist Staatsanwaltschaft, Polizei, - Gutachten bei Pkw,<br />
ggf. unter Angabe einer auch aufzuführen! GV, sonstige (Privat-)Stellen Kostbarkeiten<br />
Individualnummer mit genauer Anschrift! - (Kauf-)Belege<br />
- Bargeld<br />
B. Forderungen und andere Vermögensrechte<br />
Lfd. Nr. Drittschuldner Forderung/Recht Nähere Bezeichnung Höhe Drittschuldnererklärung<br />
(Privat-) oder juristische Forderungs-/Rechts- - Herausgabeanspruch Gepfändet am … - DSE ja/nein<br />
Person, Firma, Bank, inhaber - Rückübertragungsanspruch in Höhe von … - Anerkennung in Höhe von ?<br />
Versicherung, Gerichts- - Ansprüche aus Lebensvers.<br />
kasse, Hinterlegungsstelle - Forderung aus Geschäftsmit<br />
Anschrift und Akten- verbindung<br />
zeichen o.ä. (Konto-, Versicherungs-<br />
Nr.; BLZ)<br />
C. Schiffe / Luftfahrzeuge<br />
Lfd. Nr. Lage/Anschrift Beschreibung Eigentümer Register/Sicherungsort (Schätz-)Wert<br />
Adresse Gegenstand, Marke, Typ, Eigentümer laut Schiffsregister/ Registereintragung, - (Geschätzter) Wert<br />
Kennzeichen Registerpfandrecht für Luft- Belastungen - Arresthypothek in Höhe von …<br />
fahrzeuge<br />
D. Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte<br />
Lfd. Nr. Lage/Anschrift/Art des Grundstücks Eigentümer in Abt. I Vorgenommene Sicherungen in Abt. II/III (Schätz-)Wert<br />
Grundbuch von … , - Eigentümer - Beschlagnahmevermerk in Abt. II<br />
Amtsgericht … , - Belastungen in Abt. II/III - Arresthöchstbetragssicherungshypothek in<br />
Blatt … unter lfd. Nr. …, Abt. III in Höhe von …<br />
Gemarkung … , Flur … , Flurstück …<br />
113
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Zum Merkblatt: Wichtige verfahrenstechnische Hinweise für Geschädigte:<br />
Die Staatsanwaltschaft … hat in der vorliegenden Strafsache neben den Strafverfolgungsermittlungen<br />
zugunsten der Tatverletzten auch die in der Anlage aufgeführten<br />
Vermögenswerte gemäß §§ 111 b ff StPO vorläufig gesichert, um Vermögensverschiebungen<br />
zu verhindern. Die staatlichen Sicherungsmaßnahmen sollen den Tatverletzten<br />
die Möglichkeit eröffnen, ihre Ansprüche in das gesicherte Vermögen vollstrecken zu<br />
können.<br />
Bitte beachten Sie, dass Sie als Tatverletzter selbst aktiv werden müssen!<br />
Auf die von der Staatsanwaltschaft … vorläufig gesicherten Vermögenswerte können<br />
Sie lediglich im Wege der zivilrechtlichen Zwangsvollstreckung Zugriff nehmen.<br />
Voraussetzung für jegliche Zwangsvollstreckungsmaßnahme ist, dass Sie einen<br />
vollstreckbaren zivilrechtlichen Titel gegen den Schuldner erwirken. Als solcher kommen<br />
Urteile, Vergleiche oder auch ein notarielles Schuldanerkenntnis in Betracht. Ausreichend<br />
ist auch ein dinglicher Arrest gem. §§ 916 ff. ZPO als vorläufig vollstreckbarer<br />
Titel.<br />
Auf Grundlage eines solchen Titels können Sie in das bereits durch die Staatsanwaltschaft<br />
vorläufig gesicherte Vermögen die Zwangsvollstreckung betreiben.<br />
Das in der Zwangsvollstreckung gemäß § 804 Abs. 3 ZPO herrschende Prioritätsprinzip<br />
gilt auch in diesem Verfahren ohne Einschränkung. Dies bedeutet, dass das durch eine<br />
frühere Pfändung begründete Pfandrecht demjenigen vorgeht, das durch eine spätere<br />
Pfändung begründet wird. Eine Besonderheit ergibt sich aus §§ 111g, 111h StPO. Sie<br />
eröffnen ausschließlich den Tatverletzten nach durchgeführter Zwangsvollstreckung<br />
die Möglichkeit, in die Rangposition des Staates (der Staatsanwaltschaft) einzutreten.<br />
Hierzu ist es erforderlich, dass Sie nach vollzogener Pfändung gem. §§ 111g / h StPO<br />
beim zuständigen Gericht den Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung stellen.<br />
Mit der gerichtlichen Zulassung der Zwangsvollstreckung treten Sie in die Rangposition<br />
der Staatsanwaltschaft ein. Stellen mehrere Tatverletzte den Zulassungsantrag, so findet<br />
wiederum § 804 Abs. 3 ZPO mit der Konsequenz Anwendung, dass das früher begründete<br />
Pfandrecht dem späteren vorgeht.<br />
Die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen, verbunden mit dem Kostenrisiko,<br />
liegt stets im Ermessen der Tatverletzten. Die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen<br />
Verfahrens zur Durchsetzung Ihres Schadensersatzanspruches oder Rückzahlungsanspruches<br />
sowie die damit verbundene Kosten-Nutzen-Frage können Sie ggf. mit einem<br />
Rechtsanwalt Ihrer Wahl erörtern. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass weder<br />
Staatsanwaltschaft noch Polizei Ratschläge zum Verfahren oder Auskünfte zu den Erfolgsaussichten<br />
geben können. Bitte sehen Sie daher von entsprechenden Rückfragen<br />
ab.<br />
Nicht ausreichend ist die bloße Anmeldung der Forderung bei der Staatsanwaltschaft.<br />
Ein solches Vorgehen entfaltet keinerlei Rechtswirkung!<br />
Wenden Sie sich daher bitte ggf. an einen Rechtsanwalt!<br />
Wichtig ist dabei, dass die Individualbenachrichtigung mehrerer Verletzter zeitgleich erfolgt, um die<br />
Chancengleichheit zu wahren 389 , denn im Verhältnis der Verletzten untereinander gilt das Prioritätsprinzip<br />
390 .<br />
II Zulassungsverfahren nach §§ 111g, 111h StPO<br />
a. Einleitung<br />
Die §§ 111g, 111h StPO sind für die Rückgewinnungshilfe von besonderer Bedeutung, privilegieren sie<br />
doch den Tatverletzten gegenüber dem sonstigen Gläubiger, indem vollstreckungsrechtlich gesehen<br />
der Verletzte nach erfolgreicher Zulassung vom Rang her an die Stelle des Staates rückt. Auf diese<br />
Weise können nicht nur etwaige in der Zwischenzeit vom Täter oder sonst Beschlagnahme- oder Ar-<br />
389 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111e Rn. 4.<br />
390 BGH, Urteil vom 06.04.2000, IX ZR 442/98.<br />
114
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
restbetroffenen vorgenommene Verfügungen, sondern auch Pfändungen von Allgemeingläubigern<br />
keine zum Nachteil des geschützten Personenkreises betreffende Wirkung entfalten.<br />
Die gesetzliche Formulierung „Zulassung zur Zwangsvollstreckung“ bzw. „Rangänderung“ in §§ 111g<br />
Abs. 2 Satz 1 und 111h Abs. 2 Satz 1 StPO ist dabei nicht in der Weise auszulegen, dass die Zwangsvollstreckung<br />
des Tatverletzten vom Zulassungsbeschluss abhängig wäre.<br />
Ganz im Gegenteil: Da im Verhältnis der Tatgeschädigten untereinander das Prioritätsprinzip gilt (vgl.<br />
oben), kann jedem Verletzten nur angeraten sein, schnellstmöglich entsprechende Schritte einzuleiten,<br />
da die Sicherungsmasse in der Regel nicht ausreicht, um alle Ansprüche zu befriedigen 391 .<br />
Maßgeblich für das interne Rangverhältnis mehrerer Tatgeschädigter ist nach der wohl<br />
überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur der Zeitpunkt des jeweils begründeten<br />
Pfändungspfandrechts 392 .<br />
Aus insolvenzrechtlicher Sicht kann jedoch ein zu spät gestellter Zulassungsantrag Probleme aufwerfen,<br />
wenn vor Antragstellung das Insolvenzverfahren bereits eröffnet ist, denn nach einer in der Literatur<br />
vertretenen Auffassung unterfiele die Zulassung dem Anwendungsbereich des § 91 Abs. 1 InsO<br />
und wäre deswegen unwirksam. Einzelheiten dazu folgen an anderer Stelle 393 .<br />
Frage:<br />
Welches Reformvorhaben hatte der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang?<br />
Systematisch betrachtet behandelt § 111g StPO den Vollzug einer Beschlagnahmeanordnung nach §<br />
111c StPO sowie den Vollzug eines dinglichen Arrestes in das Mobiliarvermögen, während § 111h<br />
StPO die Zulassung nach vollzogenem dinglichen Arrest in das Immobiliarvermögen erfasst.<br />
Es war ein wesentliches Reformvorhaben des Gesetzgebers, den nach alter Rechtslage in Rechtsprechung<br />
und Literatur bestehenden Streit die analoge Anwendung des § 111g StPO beim Vollzug eines<br />
dinglichen Arrestes betreffend zu beseitigen 394 . Deshalb bestimmt § 111g Abs. 1 und 3 Satz 6 StPO<br />
(n.F.), dass auch der Arrest § 111g StPO unterfällt.<br />
Die Bestimmungen der §§ 111g, 111h StPO stoßen im Übrigen in der Praxis auf diverse Schwierigkeiten,<br />
insbesondere bei einer Vielzahl von Geschädigten, die in unterschiedlicher Reihenfolge entweder<br />
zuerst die Zwangsvollstreckung betreiben oder aber zuerst zur Zwangsvollstreckung nach den vorgenannten<br />
Bestimmungen zugelassen werden, in Kombination mit dem in der Praxis in der Regel anzutreffenden<br />
Fall, dass die Sicherungsquote Unterdeckung aufweist.<br />
Mögliche Friktionen können sich insoweit aus dem Prioritätsprinzip, das innerhalb der Gemeinschaft<br />
der Verletzten gilt, und der Reihenfolge der erfolgten Zulassungen nach §§ 111g, 111h StPO dergestalt<br />
ergeben, dass ein dem Grunde nach im Sinne des Prioritätsprinzips nachrangiger Verletzter unter<br />
Vorlage des zeitlich frühesten Zulassungsbeschlusses die (anteilige) Auskehr der gesicherten Vermögenswerte<br />
resp. Rangtausch begehrt. Diese Problematik, die an dieser Stelle indes nicht vertieft werden<br />
soll, kommt besonders im Bereich der Immobiliarvollstreckung im Rahmen des Zulassungsverfahrens<br />
nach § 111h StPO zum Tragen.<br />
b. Die Zulassung nach § 111g StPO<br />
(1) Zulassungsvoraussetzungen<br />
391<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111g Rn. 12.<br />
392<br />
Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 1185 ff. m.w.N.; OLG Stuttgart,<br />
Beschluss vom 06.11.2000, 1 Ws 210/00.<br />
393<br />
Vgl. Teil IV, 2., 2.2<br />
394<br />
Vgl. BR-Drucks. 940/05, S. 10 und 23 ff. m.w.N. zur damaligen Rechtsprechung.<br />
115
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Die Zulassung nach § 111g StPO setzt zunächst voraus, dass nach § 111b Abs. 5 StPO im Wege der<br />
Rückgewinnungshilfe Sicherungsmaßnahmen über den Vollzug entweder einer Beschlagnahmeanordnung<br />
nach § 111c StPO oder aber eines dinglichen Arrest in das bewegliche Vermögen erfolgreich<br />
durchgeführt worden sind.<br />
Im Übrigen ist das Verfahren grundsätzlich nur bis zur Rechtskraft des Urteils 395 bzw. der selbständigen<br />
Verfallsentscheidung i.S.d. §§ 76a StGB; 440, 441, 442 StPO, die in der Regel auf dem Beschlusswege<br />
ergeht 396 , möglich, es sei denn, das Gericht macht vom § 111i Abs. 2 – 8 StPO Gebrauch<br />
397 .<br />
In einem solchen Fall kann die Zulassung noch bis zum Fristende i.S.d. § 111i Abs. 5 StPO<br />
erfolgen.<br />
Zur Fristwahrung maßgeblich ist der Eingang des Zulassungsantrags zur Zeit des Bestands des Sicherungstitels.<br />
Sollte dieser später wegfallen, ist dies unschädlich 398 .<br />
Darüber hinaus ist die Zulassung wie folgt an weitere Voraussetzungen geknüpft:<br />
(aa) Vollstreckungstitel<br />
Zur Zulassung bedarf es eines wenigstens vorläufig vollstreckbaren Titels, etwa i.S.d. §§ 704, 708,<br />
794 ZPO. Daneben erfasst § 111g StPO auch die Vollziehung eines ZPO-Arrestes.<br />
Bei Letzterem steht einem Arrestgrund nach § 917 ZPO nicht entgegen, dass in das Vermögen des<br />
Arrestgegners bereits der dingliche Arrest der strafprozessualen Rückgewinnungshilfe gemäß §§<br />
111d ff. StPO angeordnet und vollzogen ist 399 .<br />
(bb) Tatverletzter<br />
Der Antragsteller muss ferner „Verletzter“ aus einer Straftat (i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB) sein.<br />
Neben dem unmittelbar Tatgeschädigten und dessen Rechtsnachfolger 400 steht auch dem Insolvenzverwalter<br />
als Partei kraft Amtes ein derartiges Antragsrecht zu 401 . Eine andere Betrachtung<br />
würde die Rückgewinnungshilfe zu Gunsten der Masse eines Insolvenzverfahrens, welche durch<br />
Straftaten droht geschmälert zu werden, ohne sachlichen Grund zweckwidrig einschränken 402 .<br />
(cc) Anspruch des Verletzten aus der Tat<br />
Der (titulierte) Anspruch des Verletzten muss aus der Tat (i.S.d. § 264 StPO) herrühren, die Gegenstand<br />
des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens ist 403 .<br />
Dies ist durch den jeweils Antragsberechtigten nach § 111g Abs. 2 Satz 3 StPO glaubhaft zu machen.<br />
Es gilt das Freibeweisverfahren im Sinne des § 294 ZPO (§ 111g Abs. 2 Satz 4 StPO) und<br />
damit auch § 294 Abs. 2 ZPO, wonach eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, etwa<br />
weil benannte Zeugen nicht präsent sind 404 , unstatthaft ist. In der Praxis wird diese Bestimmung<br />
überaus großzügig ausgelegt, um die Zulassung nicht zu gefährden.<br />
Häufig reicht für die Glaubhaftmachung bereits der Vollstreckungstitel aus, wenn sich die notwendigen<br />
Informationen daraus ergeben.<br />
§ 111g Abs. 2 Satz 3 StPO bestimmt nicht nur die Substantiierungslast auf Seiten des Verletzten, sondern<br />
auch den Prüfungsumfang des gerichtlichen Verfahrens, was häufig zu Schwierigkeiten führt.<br />
395<br />
OLG Köln, Beschluss vom 07.05.2003, 2 Ws 170/03.<br />
396<br />
Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 441 Rn. 4.<br />
397<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111g Rn. 2; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage<br />
2011, § 111i Rn. 19.<br />
398<br />
OLG Hamm, Beschluss vom 06.06.2002, 2 Ws 107/02.<br />
399<br />
OLG Frankfurt, Beschluss vom 09.11.2009, 19 W 71/09.<br />
400<br />
Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.10.2007, 3 Ws 560/07.<br />
401<br />
OLG Celle, Beschluss vom 08.10.2007, 2 Ws 296/07; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111g<br />
Rn. 3; a.A. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 15.05.2006, 3 Ws 466/06; wohl auch OLG Thüringen, Beschluss<br />
vom 27.06.2011, 1 Ws 237/11.<br />
402<br />
So etwa auch AG Bochum, Beschluss des Ermittlungsrichters vom 22.06.2011, 64 Gs 1880/11 – n.v. -.<br />
403<br />
OLG Hamm, Beschluss vom 25.02.1999, 4 Ws 7271/98.<br />
404<br />
Geimer/Greger, Zöllner, ZPO, 28. Auflage 2010, § 294 Rn. 3.<br />
116
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Im Ergebnis ist nur darzulegen bzw. zu prüfen, dass der titulierte Anspruch des Verletzten aus der Tat<br />
erwachsen ist, die Anlass für die Sicherungsanordnung war. Ob der Beschlagnahme- oder Arrestbetroffene<br />
der Tat (dringend) verdächtig ist oder nicht oder die sonstigen Anordnungsvoraussetzungen<br />
vorliegen, findet dagegen keine Berücksichtigung. Derartige Einwände können nur im Rahmen der<br />
zulässigen Rechtsmittel geltend gemacht werden.<br />
Vor dem Hintergrund der Gesetzesformulierung „Anspruch aus der Tat“ ist die Zulassung nicht nur auf<br />
den unmittelbaren strafrechtlich relevanten Schaden als Erlangtes im Sinne des § 73 StGB beschränkt,<br />
sondern erstreckt sich desweiteren auf die zur Beschaffung eines vollstreckbaren Titels aufgewandten<br />
Kosten und Zinsen 405 .<br />
Da der Sicherungstitel nur das im Rahmen der §§ 73 ff. StGB Abschöpfbare erfasst, führt die Zulassung<br />
derartiger Anspruchspositionen zwangsläufig zu einer Vertiefung der ohnehin meist gegebenen<br />
Unterdeckung der vollzogenen Sicherungen.<br />
Angesichts des Vorgenannten versteht es sich von selbst, dass Gläubigeransprüche im Zusammenhang<br />
von Taten, die nicht Gegenstand des Verfahrens bzw. des Sicherungstitels sind, oder die generell<br />
keinen strafbewehrten Hintergrund erkennen lassen, nicht zulassungsfähig sind (vgl. hierzu Fall 30) 406 .<br />
In der Praxis kann dieser Problembereich mittelbar berührt sein, wenn das Verfahren entweder vor<br />
oder nach Erlass eines dinglichen Arrestes nach §§ 154, 154a StPO beschränkt wird.<br />
Irreführend ist die diesbezüglich im Schrifttum meist unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des<br />
OLG Hamm 407 geäußerte Ansicht, dass die Zulassung trotz Teileinstellung (generell) statthaft sei 408 .<br />
Es ist zwar zutreffend, dass verfahrensökonomisch motivierte Rechtshandlungen nicht den privilegierten<br />
Zugriff etwaiger Verletzter vereiteln sollten.<br />
Andererseits erfolgt die Zulassung unter der Maßgabe, dass die betreffenden Taten in der Beschlagnahmeanordnung<br />
oder dem dinglichen Arrest enthalten sind. Ist dies hingegen nicht der Fall, da die<br />
Teileinstellung bereits vor Erlass des Titels verfügt wurde, scheidet m.E. aufgrund dessen eine Zulassung<br />
zur Zwangsvollstreckung aus.<br />
Schwierigkeiten für den Tatverletzten können sich ferner bei der Verlängerung der Sicherungen nach<br />
§ 111i Abs. 3 StPO ergeben.<br />
Sollte das Gericht erwägen, im subjektiven Verfahren nach § 111i Abs. 2 und 3 StPO vorzugehen, so<br />
sind Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO im Hinblick auf Taten, die nicht zur Aburteilung gelangt<br />
sind, unzulässig 409 .<br />
Ohne die Aufnahme der nach § 154 StPO ausgeklammerten Taten in ein objektives Verfahren nach §§<br />
76a StGB; 111i Abs. 8, 440, 441, 442 StPO erscheint es daher fraglich, ob die Zulassung nach §§<br />
111g, 111h StPO im Rahmen des weiteren Verfahrens des § 111i StPO (noch) erfolgen kann 410 .<br />
Verfahrensrechtlich jedenfalls ist der (Teil-)Wechsel vom subjektiven hin zum objektiven Verfahren<br />
zwar nicht vorgesehen, jedoch von der Rechtsprechung anerkannt 411 .<br />
(2) Gerichtliche Entscheidung<br />
Das Gericht entscheidet über die Zulassung durch Beschluss, der gemäß § 35 Abs. 2 StPO dem Beschuldigten,<br />
etwaigen Verfallsbeteiligten, dem Tatverletzten und der Staatsanwaltschaft zuzustellen<br />
ist.<br />
Im Vorfeld sind diese Beteiligten zu hören.<br />
Statthaftes Rechtsmittel dagegen ist nach § 111g Abs. 2 Satz 2 StPO die sofortige Beschwerde.<br />
Die Wirkungen der Zulassung ergeben sich aus § 111g Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 2, 4 und 6 StPO und<br />
kommen auf zwei Ebenen zum Tragen:<br />
405 OLG Hamm, Beschluss vom 06.07.2010, III – 4 Ws 158 und 167/10 m.w.N.<br />
406 Vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 23.02.2012, III – 2 Ws 46/12.<br />
407 OLG Hamm, Beschluss vom 25.02.2000, 2 Ws 312/01.<br />
408 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111g Rn. 1; Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis,<br />
2003, Rn. 432; Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 1176.<br />
409 BGH, Urteil vom 19.10.2011, 1 StR 336/11.<br />
410 Vgl. hierzu auch OLG Köln, Beschluss vom 23.08.2011, 2 Ws 519/11; KG, Beschluss vom 15.01.2010, 3 Ws<br />
6/10; Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 4.<br />
411 Vgl. Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 76a Rn. 3; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, 440 Rn. 19.<br />
117
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Zunächst bestimmt § 111g Abs. 1 StPO, dass die vom Tatgeschädigten betriebene Zwangsvollstreckung<br />
oder Arrestvollziehung nicht gegen den staatlichen Beschlagnahme- und Arrestvollzug<br />
wirkt, mithin gegenüber der Staatsanwaltschaft als Sicherungsgläubigerin nicht relativ unwirksam<br />
ist.<br />
Um den Schutz und die Privilegierung des von § 111b Abs. 5 StPO umfassten Personenkreises<br />
abzurunden, führt § 111g Abs. 3 Satz 1 StPO ferner zu einer zeitlichen Rückwirkungsfiktion derart,<br />
dass der Verletzte so behandelt wird, als ob er seine Pfändungen bereits zum Zeitpunkt der<br />
staatlichen Sicherungsmaßnahmen ausgebracht hätte.<br />
Auf diese Weise ist sichergestellt, dass etwaige Verfügungen des Beschlagnahme- oder Arrestbetroffenen<br />
über das sichergestellte Vermögen oder Pfändungen nicht privilegierter (Allgemein-<br />
)Gläubiger, die staatsanwaltschaftlichen Beschlagnahmen und Pfändungen nachgefolgt sind, gegenüber<br />
dem Verletzten nicht wirksam sind.<br />
Schließlich ergibt sich aus § 111g Abs. 3 Satz 5 StPO, dass diese Rechtsfolgen von der zwischenzeitlichen<br />
Aufhebung der Sicherungstitel unberührt bleiben.<br />
Zum Zulassungstenor:<br />
Nicht rechtmäßig ist die folgende Tenorierung:<br />
„Die Zwangsvollstreckung des Finanzamts Düsseldorf in das Vermögen des Beschuldigten<br />
A. wird zugelassen“.<br />
Stattdessen muss es heißen 412 :<br />
„Die Zwangsvollstreckung des Finanzamts Düsseldorf in das von der Staatsanwaltschaft<br />
Düsseldorf gesicherte Vermögen des Beschuldigten A. wird zugelassen“.<br />
Ob zusätzlich noch eine Einzelaufstellung des bis zum Zeitpunkt der Zulassung gesicherten Vermögens<br />
erforderlich ist, ist umstritten 413 .<br />
Einerseits mag eine derartige Konkretisierung für den Drittschuldner hilfreich sein, andererseits müsste<br />
bei nachträglich erfolgten Sicherungen ein ergänzender Beschluss folgen, was nicht unbedingt verfahrensökonomisch<br />
wäre.<br />
Da sich die Rechtsfolgen der Zulassung aus dem Gesetz ergeben, dürfte es prinzipiell ausreichen,<br />
wenn der Verletzte nach eigener Pfändung und unter Vorlage des rechtskräftigen Zulassungsbeschlusses<br />
gegenüber dem Drittschuldner beispielsweise die Überweisung einer gepfändeten Forderung begehrt.<br />
(3) Sonstiges<br />
In der Praxis verlangen dagegen insbesondere Banken und Versicherungen zusätzlich<br />
die Freigabe der staatsanwaltschaftlichen Pfändung, welche dann deklaratorisch auch<br />
vorgenommen werden sollte, um das Verfahren abzuschließen.<br />
Zum Schluss bleibt der Hinweis auf § 111g Abs. 4 StPO, der eine Schadensersatzpflicht des Verletzten<br />
für jene Fälle vorsieht, in denen entweder die rechtskräftige Zulassung zu Unrecht erfolgt ist oder der<br />
Verfall aus anderen als in § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB liegenden Gründen ausscheidet 414 .<br />
412 Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23.06.2010, III – 2 Ws 177/10.<br />
413 Vgl. Land Niedersachsen, Vermögensabschöpfung – Leitfaden zur Rückgewinnungshilfe, 2010, Anlage 11.<br />
414 Vgl. hierzu Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111g Rn. 12.<br />
118
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Lösung Fall 30:<br />
Die von der Staatsanwaltschaft gegen den Zulassungsbeschluss des Amtsgerichts<br />
eingelegte sofortige Beschwerde hat teilweise Aussicht auf Erfolg.<br />
Allerdings ist die Zulassung im Hinblick auf die Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuerbescheide<br />
für das Jahr 2009 rechtlich nicht zu beanstanden. Denn der „Anspruch<br />
aus der Tat“ im Sinne des § 111g StPO bezieht sich nicht nur auf die Hauptforderung<br />
(= Erlangtes aus der Tat), sondern darüber hinaus auch auf die Zinsen und<br />
Säumniszuschläge.<br />
Demgegenüber ist der Steueranspruch bezüglich des Veranlagungszeitraums 2008<br />
nicht im Sinne des § 111g StPO privilegiert. Es ist insoweit weder ein strafrechtlicher<br />
Hintergrund zu erkennen noch war eine etwaige diesbezügliche Steuerstraftat Gegenstand<br />
des Ermittlungsverfahrens respektive des dinglichen Arrestes 415 . Die Pfändungsmaßnahme<br />
des Finanzamtes in Vollziehung ihres ESt-Bescheides 2008 ist mithin<br />
gegenüber dem staatlichen Arrestvollzug relativ unwirksam.<br />
Da es desweiteren für das Verhältnis mehrerer Tatverletzter untereinander nicht auf<br />
den Zeitpunkt der Zulassung, sondern auf den Zeitpunkt der Begründung des Pfändungspfandrechts<br />
ankommt, kann i.E. G1 als erster der Gläubiger keine privilegierte<br />
Befriedigung mehr erfahren, da das gesicherte Restvermögen in Höhe von 35.000,-<br />
Euro G2, G3, G4, G5 und G6, die zeitlich vor G1 die Zwangsvollstreckung betrieben<br />
haben, vorrangig eröffnet ist.<br />
Alles Weitere ist dann davon abhängig, zu welchem Zeitpunkt diese Gläubiger ihr jeweiliges<br />
Pfändungspfandrecht erworben haben.<br />
c. Die Zulassung nach § 111h StPO<br />
§ 111h StPO ist strukturell ähnlich wie § 111g StPO aufgebaut, erfasst vom Anwendungsbereich her<br />
jedoch nur die Arrestvollziehung des Staates in Grundstücke bzw. - in Analogie - in grundstücksgleiche<br />
Rechte 416 und - dem gleichgestellt - in Schiffe, Schiffsbauwerke sowie Luftfahrzeuge (§ 111h Abs. 4<br />
StPO).<br />
Antrags- und Prüfungsumfang werden bestimmt durch § 111h Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 111g Abs. 2 Satz<br />
2 bis 4 und Abs. 3 Satz 3 StPO. Insoweit kann auf die diesbezüglichen Ausführungen zur Zulassung<br />
nach § 111g StPO verwiesen werden.<br />
Folge der Zulassung ist, dass der hiervon Privilegierte unter Vorlage des Zulassungsbeschlusses<br />
gegenüber dem Grundbuchamt eine Rangänderung nach § 880 BGB mit<br />
der Folge verlangen kann, dass jene durch den Vollzug des StPO-Arrestes begründete<br />
Sicherungshypothek hinter seinem Recht im Rang zurücktritt.<br />
Im Übrigen gilt – parallel zur Regelung des § 111g Abs. 3 Satz 5 StPO – nach § 111h Abs. 1 Satz 2<br />
StPO, dass der dem vortretenden Recht eingeräumte Rang nicht dadurch verloren geht, dass der Arrest<br />
aufgehoben wird.<br />
Die Option des Schadensersatzes durch den Verletzten ist in § 111h Abs. 3 StPO geregelt.<br />
Es versteht sich ferner von selbst, dass im Zulassungsbeschluss – anders als bei § 111g StPO – das<br />
betreffende Grundstück individualisiert zu bezeichnen ist.<br />
415 Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23.02.2012, III – 2 Ws 46/12<br />
416 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111h Rn. 1.<br />
119
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
10.3 § 111i StPO<br />
Das Meinungsbild zu der von Struktur und Regelungsdichte her komplexen Bestimmung des § 111i<br />
StPO ist, um es vorsichtig auszudrücken, wenigstens ambivalent.<br />
An der neuen Gesetzeslage ist positiv zu sehen, dass der „Wildwuchs“ der mitunter dogmatisch zweifelhaften<br />
Lösungsansätze, welche von dem Versuch getragen waren, das sich nach alter Rechtslage<br />
häufig ergebende Dilemma, mit der Rechtskraft des Urteils gesicherte Vermögenswerte infolge der<br />
Untätigkeit oder der nicht hinreichend gesicherten Rechtsposition etwaiger Verletzter wieder an den<br />
Täter herausgeben zu müssen, aufzulösen, im Sinne einer klaren und bei isolierter Betrachtung auch<br />
rechtssicheren Konzeption Eindämmung erfahren hat.<br />
Dennoch war das der Bestimmung des § 111i StPO zugrunde liegende Lösungsmodell bereits im Gesetzgebungsverfahren<br />
und ebenso später vielfältigen Einwänden gerade auch in rechtspolitischer Hinsicht<br />
ausgesetzt.<br />
Die Kritikpunkte hierzu sind vielfältig:<br />
Neben der häufig monierten Anwendungsunfreundlichkeit sowie dem angeblich deutlich<br />
erhöhten Bearbeitungsaufwand wird vor allem der eingeschränkte Regelungsbereich des §<br />
111i StPO, welcher ohne sachlichen Grund zu einer unberechtigten Privilegierung bestimmter<br />
Täterkreise führen soll, als misslich empfunden 417 .<br />
Denn der Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO setzt inzidenter voraus, dass bis zur Rechtskraft<br />
der erstinstanzlichen Entscheidung Maßnahmen nach §§ 111b ff. StPO veranlasst wurden 418 . Ist<br />
dies hingegen nicht der Fall, beispielsweise weil der Vollzug der Titel nicht von Erfolg getragen war,<br />
kommt § 111i StPO der Zielsetzung nach nicht zur Anwendung 419 .<br />
Zudem erstreckt sich der Auffangrechtserwerb lediglich auf die gesicherten Vermögenswerte, da mit<br />
der Verwertung der nach § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO entstandene Zahlungsanspruch auch insoweit<br />
erlischt, als der Verwertungserlös hinter der Höhe des Anspruchs (i.S.d. § 111i Abs. 2 StPO) zurückbleibt<br />
(§ 111i Abs. 5 Satz 4 StPO).<br />
Da schließlich auch der nach § 111i Abs. 3 StPO um drei Jahre verlängerte dingliche Arrest im Falle<br />
der Unterdeckung nur bis zur Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils weiter vollstreckbar ist 420 , liegt<br />
es auf der Hand, dass im Einzelfall diese Regelung gegenüber des Alternativ-Modells, § 73 Abs. 1 Satz<br />
2 StGB unter gleichzeitiger Installation einer den Tatverletzten zugutekommenden Ersatzpflicht des<br />
Staates ersatzlos zu streichen, zu Einschränkungen bei der Abschöpfung inkriminierter Vermögenswerte<br />
führen kann 421 .<br />
10.3.1 Anwendungsbereich<br />
Frage:<br />
Was ist der Anwendungsbereich des § 111i Abs. 2 – 8 StPO?<br />
Dem fakultativ eröffneten Anwendungsbereich des § 111i Abs. 2 – 8 StPO entzogen sind zunächst<br />
Taten, die bis zum 01.01.2007 bereits beendet waren.<br />
Zwar hat sich der Gesetzgeber für eine prozessuale Lösung entschieden. Rechtsdogmatisch stellt der<br />
Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 StPO jedoch eine Modifizierung der materiellrechtlichen<br />
Regelung zum Ausschluss des Verfalls nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB dar und unterliegt<br />
aufgrund dessen den Grundsätzen des Rückwirkungsverbotes nach § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB;<br />
417<br />
Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 1 m.w.N.<br />
418<br />
Vgl. BR-Drucks. 940/05 S. 13; Bohne/Boxleitner, NStZ 2007, 552 ff.; Greier, ZInsO 2007, 953 ff.<br />
419<br />
Vgl. Mosbacher/Claus, wistra 2008, 1 (2).<br />
420<br />
Vgl. BR-Drucks. 940/05, S. 30; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 10.<br />
421<br />
Hierzu auch Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111i Rn. 2.<br />
120
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
seiner Rechtsnatur nach stellt daher auch die Feststellungsentscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO keine<br />
ausschließlich verfahrensrechtliche Regelung, sondern vor allem eine materiell-rechtliche Grundentscheidung<br />
für eine aufschiebend bedingte Verfallsanordnung zu Gunsten des Staates dar, welche dann<br />
zum Tragen kommt, wenn die vorrangigen Ansprüche der Verletzten nicht innerhalb der Frist des §<br />
111i Abs. 3 StPO geltend gemacht werden 422 .<br />
Da Feststellungstenor sowie Verlängerung des Sicherungstitels inhaltlich miteinander verknüpft und<br />
voneinander abhängig sind, scheidet auch die isolierte Verlängerung der Sicherungsmaßnahmen ohne<br />
Tenorierung nach § 111i Abs. 2 StPO aus, so dass bei einem Altfall lediglich die Verlängerung der<br />
Maßnahme nach § 111i Abs. 1 StPO erwogen werden kann 423 .<br />
Ferner kann es nur dann zum Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO kommen, wenn entweder<br />
zuvor im Ermittlungsverfahren oder aber danach spätestens bis zur Rechtskraft des Urteils Sicherungstitel<br />
nach §§ 111b ff. StPO wenigstens teilweise erfolgreich vollzogen worden sind 424 .<br />
Der Streit, ob die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO im Vorfeld ausgebrachte Sicherungsmaßnahmen<br />
voraussetzt 425 oder ob es ausreichend ist, zeitgleich dazu erstmals Beschlagnahmeanordnung<br />
oder dinglichen Arrest zu erwirken und zu vollstrecken 426 , ist mehr theoretischer Natur und auf absolute<br />
Ausnahmefälle beschränkt, denn es macht kaum Sinn, einen dinglichen Arrest in dieser Phase des<br />
Strafverfahrens erst zu erwirken, aber nur bis zur Rechtskraft des Urteils vollstrecken zu können 427 .<br />
Schließlich ist bei §111i StPO auf unterschiedliche strukturelle Ebenen hinzuweisen.<br />
Zum einen ist die Anwendung nicht nur auf das subjektive Verfahren beschränkt, sondern kann<br />
auch im objektiven Verfahren zum Tragen kommen (vgl. § 111i Abs. 8 StPO).<br />
Zum anderen beinhaltet § 111i StPO zwei unterschiedliche Vorgehensweisen:<br />
o entweder nach § 111i Abs. 1 StPO die Verlängerung der Sicherungstitel um nur drei Monate<br />
im Fall der Beschränkung nach §§ 430, 442 Abs. 1 StPO oder<br />
o aber das Verfahren nach § 111i Abs. 2 bis 7 StPO zur Vorbereitung und späteren Realisierung<br />
des staatlichen Auffangrechtserwerbs.<br />
Innerhalb des § 111i Abs. 2 – 7 StPO ist desweiteren nach den einzelnen Abschnitten des Verfahrens<br />
zu differenzieren.<br />
Beide Varianten des § 111i StPO, die Verlängerung nach Abs. 1 und die „Anspruchsopferbescheidung<br />
428 “ nach Abs. 2 bis 8, stehen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wobei dem Verfahren<br />
nach § 111i Abs. 2 – 8 StPO grundsätzlich der Vorzug zu geben sein dürfte, da es den Interessen des<br />
Opferschutzes, aber auch einer möglichst effektiven Abschöpfung von Hoher Hand eher gerecht wird<br />
als der reinen Verlängerung der Titel um nur drei Monate 429 bzw. der Verlagerung der Verpflichtung<br />
zur Schadenswiedergutmachung auf die Bewährungsebene 430 . Ausnahmen hierzu können sich jedoch<br />
bei komplexen Wirtschaftsstrafsachen aus dem Beschleunigungsgrundsatz ergeben 431 , der ausnahmsweise<br />
gebieten mag, nur nach Abs. 1 zu verfahren.<br />
10.3.2 Verlängerung der Sicherungstitel nach § 111i Abs. 1 StPO<br />
Die Verlängerung der Beschlagnahme oder des dinglichen Arrestes nach § 111i Abs. 1 StPO setzt zunächst<br />
voraus, dass die Maßnahme des Verfalls nach §§ 430, 442 StPO, im Ermessen der Staatsanwaltschaft<br />
bzw. des Gerichts stehend, aus dem Verfahren ausgeklammert ist, und ferner, dass die<br />
sofortige Aufhebung gegenüber dem Verletzten unbillig wäre. Letzteres ist – unter Anwendung eines<br />
eher großzügigen Maßstabs 432 - der Fall, wenn der bekannte Verletzte das ihm Mögliche und Zumutba-<br />
422<br />
BGH, Urteil vom 07.02.2008, 4 StR 502/07; Beschluss vom 19.02.2008, 1 StR 503/07; Beschluss vom<br />
16.12.2008, 3 StR 402/08.<br />
423<br />
BGH, Urteil vom 07.02.2008, 4 StR 502/07; a.A. Mosbacher/Claus, wistra 2008, 1 ff.<br />
424<br />
Vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 07.02.2008, 4 StR 502/07 Rn. 13 ff. – zitiert nach juris -.<br />
425<br />
Mosbacher/Claus, wistra 2008, 1 (2).<br />
426<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111i Rn. 17 und Fn. 29.<br />
427<br />
Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 10.<br />
428<br />
Begrifflichkeit nach Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 2.<br />
429<br />
So etwa Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 3; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2.<br />
Auflage 2010, § 111i Rn. 5.<br />
430<br />
Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 3.<br />
431<br />
Nack a.a.O.<br />
432<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2.Auflage 2010, § 111i Rn. 7.<br />
121
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
re getan hat, um sich einen Titel zu verschaffen 433 ; bei unbekannten Verletzten ist im Regelfall ohnehin<br />
Unbilligkeit anzunehmen 434 .<br />
Sollte hingegen der Verletzte – sicher absehbar – innerhalb der 3-Monats-Frist keine Möglichkeit mehr<br />
haben, erfolgreich auf das sichergestellte Vermögen zurückzugreifen, fehlt es an dem für die Verlängerung<br />
notwendigen Sicherstellungsbedürfnis 435 .<br />
Bei der Würdigung der abhängig vom Einzelfall durchaus komplexen Feststellungen sollte es sich der<br />
Rechtsanwender nicht zu einfach machen. So kann es aus Sicht eines Verletzten vertretbar gewesen<br />
sein, aus prozessökonomischen Erwägungen, etwa im Hinblick auf schwierige Beweisfragen, das Ergebnis<br />
des Strafverfahrens zunächst abzuwarten.<br />
Die Entscheidung selbst ergeht per Beschluss, welcher mit der Beschwerde anfechtbar ist.<br />
10.3.3 „Opferanspruchsbescheidung“ nach § 111i Abs. 2 – 8 StPO<br />
Fall 31:<br />
Im Rahmen eines Verfahrens wegen Betrugs zum Nachteil von wenigstens 20.000<br />
namentlich zumeist unbekannten Geschädigten bei Einzelschäden von maximal 100,-<br />
Euro im Zusammenhang mit 0190-Nummern konnten mehrere gegen die Tätergruppe<br />
erwirkte dingliche Arreste im In- und Ausland nicht vollzogen werden, da die Finanzermittlungen<br />
keine Hinweise auf Vermögenswerte der Arrestbetroffenen ergeben<br />
haben.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
433<br />
Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 3.<br />
434<br />
Meyer-Goßner a.a.O.<br />
435<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2.Auflage 2010, § 111i Rn. 6.<br />
122
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Fall 32:<br />
A. und B. werden Betrugstaten zum Nachteil von 10 Geschädigten zur Last gelegt;<br />
der Gesamtschaden beläuft sich auf insgesamt 100.000,- Euro (pro Geschädigten auf<br />
10.000,- Euro). Die erschwindelten Gelder gingen zunächst auf einem von A. eigens<br />
zu diesem Zweck gegründeten Konto ein, über das A. und B. verfügungsberechtigt<br />
waren.<br />
Absprachegemäß überwies anschließend A. dem B. dessen Anteil in Höhe von<br />
50.000,- Euro.<br />
Der Verbleib bzw. die weitere Verwendung der Gelder konnte im Einzelnen nicht<br />
mehr näher aufgeklärt werden.<br />
Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen A. und B. hat die zuständige Staatsanwaltschaft<br />
daher dingliche Arreste gegen beide in Höhe von jeweils 100.000,- Euro<br />
unter Maßgabe ihrer gesamtschuldnerischen Haftung erwirkt.<br />
Die Vollziehung der Arreste hat zu den folgenden Vermögenssicherungen geführt:<br />
Bei A:<br />
- 10.000,- Euro in bar, die anschließend hinterlegt wurden.<br />
-30.000,- Euro im Rahmen von Forderungspfändungen.<br />
Bei B:<br />
- 30.000,- in bar, die ebenfalls hinterlegt wurden.<br />
Fünf Geschädigte sind bekannt.<br />
G1, G2 und G3 sind bereits im Ermittlungsverfahren tätig geworden, indem sie gegen<br />
A. und B. entsprechende Titel erworben und in die bei A. sichergestellten Vermögenswerte<br />
vollzogen haben; G1 und G2 sind zudem gem. § 111g StPO zur Zwangsvollstreckung<br />
zugelassen worden.<br />
Nach Anklageerhebung und Durchführung der Beweisaufnahme berät nunmehr das<br />
LG über das Urteil.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
123
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
I Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO<br />
a. Übersicht<br />
§ 111i Abs. 2 StPO § 111i Abs. 8 StPO<br />
Analoge Anwendung<br />
Zuständigkeit: des § 111i II - VII StPO in den<br />
(Erkennendes) Gericht Fällen des § 76a I o. III StGB;<br />
Form: Verfahren: §§ 440 u.441<br />
Urteil i.V.m. 442 I StPO<br />
auf dem Beschlussweg<br />
Voraussetzungen:<br />
Keine Anordnung des<br />
- Verfalls<br />
- Verfalls von Wertersatz<br />
- Erw. Verfalls (von Wertersatz)<br />
(§§ 73, 73a, 73d StGB) möglich,<br />
da Fall des § 73 Abs.1 Satz 2 StGB<br />
vorliegt<br />
(§ 111i Abs. 2 Satz 1 StPO).<br />
Rechtsfolge (Kann-Vorschrift):<br />
Feststellung des obigen Falls<br />
und Bezeichnung des Erlangten<br />
bzw. des Werts des Erlangten<br />
(§ 111i Abs. 2 Satz 1 - 3 StPO)<br />
Abzüglich<br />
(§ 111i Abs. 2 Satz 4 StPO):<br />
§ 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 StPO § 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 StPO § 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 3 StPO<br />
Verfügung des Verletzten im Wege Nachweisliche Befriedigung des Herausgabe nach § 111k StPO<br />
der Zwangsvollstreckung oder Verletzten über anderweitige<br />
Arrestvollziehung Erfüllung<br />
124
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
b. Voraussetzungen<br />
§ 111i Abs. 2 Satz 1 StPO erfordert eine zweistufige Prüfung, zum einen der §§ 73, 73a und 73d StGB<br />
und zum anderen des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, der gem. § 73d Abs. 1 Satz 3 StGB auch beim erweiterten<br />
Verfall gilt 436 .<br />
Flankierend dazu sind die §§ 73b und 73c StGB anzuwenden, welches häufig übersehen wird 437 .<br />
Wird unter Beachtung des § 73c Abs. 1 StGB daher teilweise von der Anordnung des Verfalls abgesehen,<br />
hat dies zur Folge, dass der in der Urteilsformel allein zu bezeichnende Vermögensgegenstand<br />
bzw. Geldbetrag, den der Staat bei Vorliegen des Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO unmittelbar<br />
oder als Zahlungsanspruch erwirbt, hinter dem Erlangten bzw. dessen Wert zurückbleibt 438 .<br />
In personeller Hinsicht können derartige Feststellungen nicht nur täter- respektive teilnehmerbezogen,<br />
sondern darüber hinaus in den Fällen des Drittempfängerverfalls (§ 73 Abs. 3 StGB) getroffen werden<br />
439 .<br />
Feststellungen i.S.d. § 111i Abs. 2 StPO auch gegen den Dritteigentümer (§ 73 Abs. 4 StGB) sind hingegen<br />
nahezu ausgeschlossen.<br />
Abschließend gilt es zu prüfen, ob Täter, Teilnehmer oder Drittempfänger – ggf. auch unter Berücksichtigung<br />
des § 73c StGB – im Verbund gesamtschuldnerisch haften, was zu individuell unterschiedlich<br />
hohen Beträgen führen kann 440 .<br />
(Teil-)Fazit:<br />
Regelungsgehalt und Rechtsfolgen der Maßnahmen sind einerseits nach §§ 73, 73a, 73d<br />
StGB und andererseits nach § 111i Abs. 2 und 5 StPO dem Grunde nach identisch. Deshalb<br />
kann materiell-rechtlich betrachtet bei § 111i Abs. 2 StPO kein anderer Maßstab, als<br />
bei §§ 73 ff. StGB geboten, angezeigt sein.<br />
c. Ermessensentscheidung<br />
Die Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO, der gegenüber der bloßen Verlängerung des Sicherungstitels<br />
nach § 111i Abs. 1 StPO in der Regel der Vorrang gebührt, unterliegt dem tatrichterlichen Ermessen.<br />
Ein Ermessen steht dem Gericht desweiteren bei der Frage zu, ob von dem Verfahren nach § 111i<br />
Abs. 2 – 7 StPO aus sonstigen Gründen abgesehen werden soll, was allerdings auf absolute Ausnahmefälle<br />
beschränkt sein dürfte 441 . Dem Beschleunigungsgrundsatz, welcher bereits bei der Prüfung<br />
einer Verfahrensbeschränkung nach §§ 430, 442 StPO Berücksichtigung findet, kann jedenfalls bei der<br />
Ausübung des nachgelagerten Ermessens nach § 111i Abs. 2 StPO keine weitere Bedeutung mehr<br />
zukommen 442 .<br />
Ob und inwieweit darüber hinaus das Spannungsverhältnis zwischen ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen<br />
nach §§ 111b ff. StPO und dem eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beschlagnahme-<br />
oder Arrestbetroffenen ermessensleitend zu berücksichtigen ist, wird an anderer Stelle<br />
ausführlich behandelt 443 .<br />
436 Vgl. hierzu auch Eschelbach, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 111i StPO Rn. 6.<br />
437 BGH, Beschluss vom 18.12.2008, 3 StR 460/08; Beschluss vom 07.01.2009, 5 StR 451/08; Beschluss vom<br />
18.02.2009, 1 StR 731/08; Beschluss vom 10.11.2009, 4 StR 443/09; Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10<br />
m.w.N.<br />
438 BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10; Beschluss vom 01.03.2011, 4 StR 30/11.<br />
439 BGH, Beschluss vom 08.02.2011, 1 StR 651/10; vorgehend LG Münster, Urteil vom 12.04.2010, 7 KLs 44 Js<br />
67/09 (10/10) – n.v. -; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111i Rn. 13; so wohl auch Nack,<br />
Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 2 und 18.<br />
440 BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10; Beschluss vom 08.12.2010, 2 StR 372/10; Beschluss vom<br />
13.07.2011, 1 StR 42/11; offen gelassen im Urteil vom 27.10.2011, 5 StR 14/11.<br />
441 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 8 m.w.N.<br />
442 Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2.Auflage 2010, § 111i Rn. 13.<br />
443 Vgl. Teil IV „Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO und eröffnetem<br />
Insolvenzverfahren.<br />
125
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
d. Inhalt der Feststellungen<br />
Beim (erweiterten) (Original-)Verfall hat das Gericht nach § 111i Abs. 2 Satz 2 StPO das Erlangte zu<br />
bezeichnen, und zwar so genau wie möglich 444 . In den Fällen des (erweiterten) Verfalls von Wertersatz<br />
nach §§ 73a, 73d Abs. 2 StGB ist dagegen im Urteil der Geldbetrag festzustellen, welcher dem<br />
Wert des Erlangten entspricht (§ 111i Abs. 2 Satz 3 StPO).<br />
Neben einer etwaigen über § 73c StGB obligatorisch oder fakultativ gebotenen Reduktion des Erlangten<br />
bzw. des Werts des Erlangten sieht § 111i Abs. 2 Satz 4 StPO weitere Abzugsgründe zwingend<br />
vor. Diese tragen dem Zweck des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB Rechnung, einen Gläubigerwettlauf zwischen<br />
Staat und Verletztem zu verhindern sowie eine zweifache Inanspruchnahme des Verfallsbetroffenen<br />
auszuschließen.<br />
Denn wenn der Verletzte eine nicht mehr angreifbare Schadenskompensation bzw. adäquate Sicherung<br />
erfahren hat, so besteht kein Grund mehr dafür, den Auffangrechtserwerb über Feststellungen<br />
nach § 111i Abs. 2 StPO zu initiieren 445 .<br />
Während § 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 und 3 StPO insoweit aus sich heraus verständlich ist, bedarf es<br />
bezüglich § 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 StPO der ergänzenden Erläuterung. „Verfügung des Verletzten im<br />
Wege der (eigenen) Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung“ ist nicht wortwörtlich zu interpretieren,<br />
sondern nach Sinn und Zweck dergestalt, dass der Verletzte neben der zu eigenen Zwangsvollstreckung<br />
auch rechtskräftig zur Zwangsvollstreckung gem. §§ 111g, 111h StPO zugelassen worden<br />
sein muss.<br />
Lösung Fall 31:<br />
Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO und die Verlängerung der Titel nach § 111i<br />
Abs. 3 StPO sind zwar theoretisch möglich, machen aber, da mit der Entdeckung von<br />
Vermögenswerten, die den Arrestbetroffenen zugeordnet werden können, nicht zu<br />
rechnen ist, und die Arreste zudem nur noch bis zur Rechtskraft der Entscheidung<br />
vollstreckbar sind, kaum Sinn, denn eine Verwertung i.S.d. § 111i Abs. 5 Satz 2 StPO<br />
ist ausgeschlossen.<br />
Zudem hätten bei dieser Situation auch die Verletzten keine Möglichkeit, während der<br />
3-Jahres-Frist das Rückgewinnungshilfeverfahren zu betreiben.<br />
Lösung Fall 32:<br />
A. und B. haben – gesamtschuldnerisch haftend – jeweils 100.000,- Euro erlangt.<br />
Aufgrund der Gesamtumstände – fünf unbekannte Tatgeschädigte, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />
von G1, G2 und G3, werthaltige Vermögenssicherungen etc. –<br />
dürfte eine Ermessensreduzierung auf null in der Weise gegeben sein, für das Verfahren<br />
nach § 111i Abs. 2 – 7 StPO zu optieren. Im Rahmen der nach § 111i Abs. 2<br />
Satz 1 und 3 StPO zu treffenden Feststellungen hat das Gericht auch zu prüfen, ob<br />
Abzüge nach § 111i Abs. 2 Satz 4 StPO vorzunehmen sind.<br />
Anders als bei G3, der noch nicht zur Zwangsvollstreckung zugelassen wurde, verfügen<br />
G1 und G2 über entsprechende Anerkenntnisse und haben zudem bereits die<br />
Zwangsvollstreckung betrieben.<br />
Folglich sind gem. § 111i Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 StPO 20.000,- Euro in Abzug zu bringen.<br />
Insofern beläuft sich der Wert des Erlangten bei A. und B. auf derzeit noch 80.000,-<br />
Euro.<br />
Fortführung folgt!<br />
444 Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 14.<br />
445 Vgl. BGH, Beschluss vom 22.06.2011, 5 StR 109/11.<br />
126
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
e. Tenorierung und Urteilsgründe<br />
Auch hier gilt der Grundsatz, dass der Urteilstenor von allem freizuhalten ist, was nicht unmittelbar der<br />
Erfüllung seiner Aufgaben dient 446 . Bei einer Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO gegen nur einen<br />
Teil der Angeklagten oder gegen mehrere Angeklagte in unterschiedlicher Höhe ist es daher geboten,<br />
im Urteilstenor die von der Feststellung betroffenen Angeklagten und – ihnen zugeordnet – den oder<br />
die Vermögenswerte zu bezeichnen, welche gemäß § 111i Abs. 5 StPO dem Auffangrechtserwerb des<br />
Staates unterliegen können 447 .<br />
Eine nähere Bezeichnung des oder der Verletzten und der ihnen zustehenden Ansprüche 448 ist im Urteilstenor<br />
dagegen nicht geboten; auch eine Haftung des oder der Angeklagten als Gesamtschuldner<br />
erfordert nicht die Aufnahme im Urteilstenor. Es genügt vielmehr, dass sich diese (soweit möglich) aus<br />
den Urteilsgründen ergibt 449 .<br />
Fortführung der Lösung Fall 32:<br />
Es könnte daher wie folgt tenoriert werden 450 :<br />
„Es wird festgestellt, dass gegen die Angeklagten A. und B. wegen eines Geldbetrages<br />
in Höhe von 80.000,- Euro lediglich deshalb nicht auf Verfall erkannt wird, da<br />
Ansprüche Verletzter entgegenstehen“.<br />
II Verlängerung der Sicherungstitel nach § 111i Abs. 3 StPO<br />
§ 111i Abs. 3 StPO<br />
Zuständigkeit:<br />
(Erkennendes) Gericht<br />
Form:<br />
Beschluss<br />
Voraussetzungen:<br />
Verfahrensweise nach<br />
§ 111i Abs. 2 StPO<br />
Rechtsfolgen:<br />
Aufrechterhaltung von (Anteilige) Aufhebung von BS/DA, § 111i Abs. 4 StPO:<br />
BS und DA bis zur Höhe des Erlangten sofern innerhalb der Frist Qualifizierte Mitteilung an Verletzte<br />
bzw. des Werts des Erlangten anderweitige Erfüllung entweder persönlich oder<br />
für drei Jahre eingetreten ist. im Rahmen des § 111e Abs. 4 StPO<br />
- Fristbeginn mit RK des Urteils<br />
- Arrestgrund nicht erf.<br />
- Sichergestellte Verm.werte sollen<br />
bezeichnet werden<br />
446<br />
Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, §<br />
260 Rn. 20.<br />
447<br />
BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 Rn. 34 – zitiert nach juris -.<br />
448<br />
Vgl. dazu etwa LG Stralsund, Urteil vom 16.06.2008, 22 KLs 51/07.<br />
449<br />
BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 Rn. 35 – zitiert nach juris -.<br />
450<br />
Vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 Rn. 34 – zitiert nach juris -.<br />
127
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Sofern das Gericht Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO trifft, hat es die Beschlagnahme des im<br />
Sinne des § 111i Abs. 2 Satz 2 und 4 Erlangten bzw. den dinglichen Arrest bis zur Höhe des nach §<br />
111i Abs. 2 Satz 3 und 4 StPO festgestellten Betrages für drei Jahre durch Beschluss aufrechtzuerhalten.<br />
Die Frist beginnt gem. § 111i Abs. 3 Satz 2 StPO mit der Rechtskraft des Urteils. Sichergestellte<br />
Vermögenswerte sollen bezeichnet werden (§ 111i Abs. 3 Satz 3 StPO) 451 , wobei zweifelhaft ist, ob die<br />
unstreitig nicht mehr „freien“ Positionen mit aufzunehmen sind. Bei der Verlängerung eines dinglichen<br />
Arrestes bedarf es im Übrigen eines Arrestgrundes nicht mehr (§ 111i Abs. 3 Satz 4 StPO).<br />
Sofern Tatgeschädigte innerhalb der 3-Jahres-Frist i.S.d. § 111i Abs. 3 Satz 5 „freie“ Kompensation<br />
erfahren haben, gilt es, die Sicherungsmaßnahme auf Antrag des Betroffenen (anteilig) aufzuheben.<br />
Der Beschluss wird regelmäßig zusammen mit dem Urteil verkündet 452 und ist nicht isoliert, sondern<br />
nur über die Beanstandung der Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO anfechtbar 453 .<br />
Fortführung der Lösung Fall 32:<br />
Einer der Verlängerungsbeschlüsse könnte wie folgt lauten:<br />
„Der durch Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 01.03.2010, Aktenzeichen 64 Gs<br />
567/10, gegen A. angeordnete dingliche Arrest wird in Höhe von 80.000,- Euro für<br />
drei Jahre unter der Maßgabe der gesamtschuldnerischen Haftung von A. und B. aufrechterhalten.<br />
Die folgenden Vermögenswerte wurden sichergestellt:<br />
…“<br />
Gründe:<br />
…<br />
III Mitteilungs- und Belehrungspflichten nach § 111i Abs. 4 StPO<br />
§ 111i Abs. 4 StPO sieht die erneute Mitteilung an die Verletzten vor und zwar im Hinblick auf die über<br />
§ 111i Abs. 2 und 3 StPO geschaffene Rechtssituation, selbigen während der 3-Jahres-Frist im Wege<br />
der Rückgewinnungshilfe den Zugriff auf sichergestellte Vermögenswerte des Betroffenen auch weiterhin<br />
zu erlauben. Um diesen möglichst effektiv zu gewährleisten, ist der geschützte Personenkreis –<br />
unter entsprechender Geltung des § 111e Abs. 4 Satz 1 – 3 StPO – nicht nur über die nach § 111i<br />
Abs. 3 StPO erfolgte Anordnung sowie den Beginn der 3-Jahres-Frist unverzüglich zu informieren,<br />
sondern desweiteren auf die in § 111i Abs. 5 StPO genannten Rechtsfolgen und ihre Rechtsmöglichkeiten<br />
hinzuweisen.<br />
Da der spätere Auffangrechtserwerb kraft Gesetzes nach § 111i Abs. 5 StPO eintritt, ist die unterlassene<br />
Benachrichtigung allerdings unschädlich 454 .<br />
451 Vgl. BR-Drucks. 940/05, S. 30 ff.<br />
452 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 10.<br />
453 Nack, Karlsruher Kommentar StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 18.<br />
454 OLG Celle, Beschluss vom 16.08.2011, 1 Ws 322/11.<br />
128
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
IV Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO<br />
§ 111i Abs.5 StPO<br />
Auffangrechtserwerb<br />
des Staates Zugleich (§ 111i V 2 StPO)<br />
Verwertung des<br />
Pf.pfandrechts;<br />
Folge:<br />
BS: Rechtsfolge nach Ablauf DA: Diesbzgl. Erlös und<br />
Eigentumsübergang der Drei-Jahresfrist Erwerb eines hinterlegtes Geld fallen<br />
analog § 73e StGB im Sinne des § 111i III StPO Zahlungsanspruchs dem Staat zu.<br />
Weitere Folge:<br />
Erlöschen des Zahlungsanspr.<br />
im Sinne des<br />
§ 111i Abs.5 Satz 1 StPO<br />
"soweit nicht"<br />
innerhalb der 3-Jahresfrist<br />
(§ 111i Abs. 5 Satz 1 StPO)<br />
§ 111i V 1 Nr.1 StPO § 111i V 1 Nr. 2 StPO § 111i V 1 Nr. 3 StPO § 111i V 1 Nr. 4 StPO<br />
Verfügung des Verl. Anderweitige Herausgabe d. Sache Option der Herausgabe<br />
im Wege der ZV oder Erfüllung gem. § 111k StPO gem. § 111k StPO und<br />
Arrestvollziehung d. Verletzten oder Hinterlegung entspr. Antrag d. Verl.<br />
Verfahren<br />
Zust.: Gericht<br />
Form: Beschluss bei vorheriger<br />
Anhörung analog § 111l IV StPO<br />
Inhalt: Feststellung des Eintritts<br />
u. des Umfangs d. Rechtserw.<br />
RM: Sof. Beschwerde<br />
129
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Fortführung Fall 32:<br />
Kurz vor Ablauf der 3-Jahres-Frist wird auch G3 zur Zwangsvollstreckung zugelassen.<br />
Ferner ist G4 aus „freiem“ Vermögen des B. entschädigt worden.<br />
Mit Ablauf der 3-Jahres-Frist realisiert sich schlussendlich - kraft Gesetzes - der staatliche Auffangrechtserwerb<br />
dergestalt, dass der Staat entweder die nach § 111i Abs. 2 StPO bezeichneten Vermögenswerte<br />
entsprechend § 73e Abs. 1 StGB oder aber in Höhe des nach § 111i Abs. 2 StPO festgestellten<br />
Betrages einen Zahlungsanspruch erwirbt, jedoch abzüglich etwaiger (anteiliger) Kompensationen<br />
des Tatverletzten nach § 111i Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 – 4 StPO.<br />
Zugleich kann der Staat nach § 111i Abs. 5 Satz 2 in Vollziehung dinglicher Arreste erworbene Pfändungspfandrechte<br />
bzw. Arresthypotheken verwerten, wobei Erlös und hinterlegtes Geld dem Staat<br />
zufallen. (Sicherungs-)Pfandrecht bzw. Hypothek wandeln sich mithin um in ein Vollstreckungspfandrecht<br />
bzw. in eine auf Antrag hin einzutragende Zwangshypothek, aus Letzterer die Zwangsversteigerung<br />
betrieben werden kann 455 .<br />
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Vorschrift des § 111i Abs. 5 Satz 4 StPO:<br />
Mit der Verwertung erlischt der nach § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO begründete Zahlungsanspruch<br />
auch insoweit, als der Verwertungserlös hinter der Höhe des Anspruchs<br />
zurückbleibt.<br />
Gemäß § 111i Abs. 6 StPO ist der Eintritt und Umfang des Auffangrechtserwerbs nach § 111i Abs. 5<br />
Satz 1 StPO durch das Gericht des ersten Rechtszugs mittels Beschluss deklaratorisch festzustellen 456 ,<br />
wobei im Tenor die Kennzeichnung gesamtschuldnerisch haftender Täter etc. in diesem Fall geboten<br />
ist 457 .<br />
Vorher sind hiervon Betroffene unter entsprechender Anwendung des § 111l Abs. 4 Satz 1 StPO nach<br />
§ 111i Abs. 6 Satz 2 StPO anzuhören.<br />
Gegen diesen Beschluss ist die sofortige Beschwerde statthaft (§ 111i Abs. 6 Satz 3 StPO).<br />
Lösung der Fortführung Fall 32:<br />
Infolge der Entschädigung von G3 und G4 sind nach § 111i Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2<br />
StPO weitere Abzüge in Höhe von insgesamt 20.000,- Euro vorzunehmen.<br />
Der Staat hat mithin einen Zahlungsanspruch in Höhe von jeweils 60.000,- Euro gegen<br />
A. und B. unter Maßgabe ihrer gesamtschuldnerischen Haftung erworben.<br />
Die Verwertung der Pfändungspfandrechte der noch freien Vermögenssicherungen<br />
kann insoweit zu einem Maximalerlös von 40.000,- Euro führen, deren Realisierung<br />
den dann noch offenen Anspruch von 20.000,- Euro erlöschen lässt.<br />
Der Beschlusstenor nach § 111i Abs. 6 Satz 1 StPO könnte daher wie folgt lauten:<br />
„Es wird festgestellt, dass der Staat nach § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO gegen A. und B.<br />
einen Zahlungsanspruch in Höhe von 60.000,- Euro unter Maßgabe ihrer gesamtschuldnerischen<br />
Haftung erworben hat“.<br />
V Ausgleichsanspruch nach § 111i Abs. 7 StPO<br />
§ 111i Abs. 7 StPO sieht einen Ausgleichsanspruch des vom Auffangrechtserwerb Betroffenen gegen<br />
den Staat unter der Voraussetzung vor, dass er über Beschlagnahme oder dinglichen Arrest die gesicherten<br />
Ansprüche des Verletzten nach Ablauf der 3-Jahres-Frist (anteilig) befriedigt hat. Ansonsten<br />
käme es zu einer zweifachen Inanspruchnahme des Täters, Teilnehmers oder Drittempfängers, die mit<br />
Sinn und Zweck des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht zu vereinbaren wäre (vgl. oben).<br />
Ausschlussgründe sind in § 111i Abs. 7 Satz 2 StPO normiert.<br />
455 Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 15.<br />
456 Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 17 m.w.N.<br />
457 Vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2010, 4 StR 215/10 Rn.<br />
130
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
VI Objektives Verfahren nach § 76a Abs. 1 und 3 StGB unter entsprechender Anwendung<br />
des § 111i Abs. 2 bis 7 StPO<br />
Um nicht sachgerechte Beschränkungen bei der Vermögensabschöpfung zu vermeiden, sind in den<br />
Fällen des § 76a Abs. 1 und 3 StGB die Absätze 2 bis 7 des § 111i StPO auf das Verfahren nach §§<br />
440 und 441 in Verbindung mit § 442 Abs. 1 StPO entsprechend anzuwenden.<br />
In einem ersten Schritt ist folglich durch das Gericht zu prüfen, ob die Durchführung des subjektiven<br />
Verfahrens (nachträglich) unmöglich (geworden) ist 458 .<br />
In den Fällen des Freispruchs, weil – sei es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen – keine Straftat<br />
begangen wurde, ist für die Vorschrift kein Raum; steht hingegen fest, dass eine Straftat begangen<br />
wurde, der Angeklagte aber aus tatsächlichen Gründen nicht verurteilt werden kann, ist die<br />
selbständige Anordnung im objektiven Verfahren möglich 459 .<br />
Im Übrigen kann § 111i Abs. 8 StPO auch bei Einstellungen aus Opportunitätsgründen zum Tragen<br />
kommen 460 . Bei (Teil-)Einstellungen nach §§ 154, 154a StPO 461 ist jedoch zu bedenken, dass diese<br />
Taten ebenfalls in die Sicherungstitel nach §§ 111b ff. StPO mit aufzunehmen sind 462 .<br />
458 Vgl. hierzu die Ausführungen: Teil I, 3.<br />
459 Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 5.<br />
460 Nack, Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 111i Rn. 4.<br />
461 Vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 28.09.2011, 5 StR 343/11.<br />
462 Vgl. hierzu die Ausführungen unter: 5. Teil, 3. Kapitel, C. 2. b. (3).<br />
131
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Fazit:<br />
§ 111i Abs. 2 – 8 StPO stellt trotz seiner Implementierung im Verfahrensrecht eine im<br />
Kern materiell-rechtliche Bestimmung dar, die § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB dergestalt modifiziert,<br />
dass Verletztenansprüche den Verfall zugunsten des Staates unter der Bedingung<br />
nicht hindern, dass Tatgeschädigte während der 3-Jahres-Frist i.S.d. § 111i Abs. 3 StPO<br />
untätig geblieben sind.<br />
Wie oben bereits dargelegt ist der Gesetzgeber insoweit vor dem Hintergrund der Regelung<br />
des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB der den Anwendungsbereich des § 111i StPO begrenzenden<br />
Leitidee gefolgt, zu verhindern, bereits gesicherte Vermögenswerte an den Täter<br />
oder sonst Betroffenen in Kenntnis der strafbewehrten Herkunft wieder herausgeben zu<br />
müssen.<br />
Daraus folgt zunächst, dass es nur dann zum Auffangrechtserwerb kommt, wenn bis zur<br />
Rechtskraft des Urteils Vermögenssicherungen ausgebracht wurden. Darüber hinaus begrenzt<br />
§ 111i Abs. 5 Satz 4 StPO den Auffangrechtserwerb in der Weise, dass mit der<br />
Verwertung der nach § 111i Abs. 5 Satz 1 StPO entstandene Zahlungsanspruch auch insoweit<br />
erlischt, als der Verwertungserlös hinter der Höhe des Anspruchs zurückbleibt.<br />
Sollten mithin bisher unbekannte, nicht gesicherte Vermögenswerte des Täters innerhalb<br />
der 3-Jahres-Frist oder danach „auftauchen“ 463 , hätten die Strafverfolgungsbehörden keine<br />
rechtliche Möglichkeit mehr, darauf Zugriff zu nehmen, um eine bis dahin bestehende<br />
Unterdeckung aufzulösen. Staatdessen wäre der Tatverletzte, der noch keine hinreichende<br />
Kompensation erfahren hat, selbst gehalten, die Zwangsvollstreckung zu betreiben.<br />
Gerade bei Verfahren mit einer Vielzahl von Geschädigten und geringen Individualschäden,<br />
die laut der Gesetzesbegründung Anlass für die Gesetzesänderung gegeben haben<br />
464 , erscheint es mehr als zweifelhaft, dass Tatverletzte willens und in der Lage sind,<br />
eigene Titel zu erwirken und daraus effektiv die Vollstreckung zu betreiben.<br />
In bestimmten Deliktsbereichen ergeben sich somit Anwendungsdefizite, die durch das<br />
Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten<br />
gerade vermieden werden sollten.<br />
Es bleibt auch vor dem Hintergrund der Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene abzuwarten,<br />
wie darauf der nationale Gesetzgeber reagieren wird. Ein bereits im Jahre 1998<br />
eingebrachter Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. vom 03.<br />
Februar 1998 465 würde m.E. diese Problematik vermeiden und zu einer im Ansatz effektiveren<br />
und ebenso verfassungsgemäßen Vermögensabschöpfung führen 466 .<br />
Regelungsgehalt und Rechtsfolgen der Maßnahmen sind einerseits nach §§ 73, 73a, 73d<br />
StGB und andererseits nach § 111i Abs. 2 und 5 StPO dem Grunde nach identisch. Deshalb<br />
kann materiell-rechtlich betrachtet bei § 111i Abs. 2 StPO kein anderer Maßstab, als<br />
bei §§ 73 ff. StGB geboten, angezeigt sein.<br />
463<br />
Vgl. hierzu den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sicherstellung<br />
und Einziehung von Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union, BR-Drucks. 135/12, S. 14 ff. und<br />
25.<br />
464<br />
Vgl. BT-Drucks. 16/700, S. 8.<br />
465<br />
BT-Drucks. 13/9742.<br />
466<br />
Vgl. aber Lohse, AnwaltKommentar, StPO, 2. Auflage 2010, § 111i Rn. 2.<br />
132
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
10.4 Weitere Lösungsansätze außerhalb des Anwendungsbereichs des § 111i Abs. 2 –<br />
8 StPO<br />
10.4.1 Einführung<br />
Vor der Einführung des § 111i Abs. 2 – 8 StPO wurden in Rechtsprechung und im Schrifttum verschiedene<br />
Lösungsansätze entwickelt, um im Fall der Untätigkeit des Verletzten bereits sichergestellte Vermögenswerte<br />
nicht wieder an den letzten Gewahrsamsinhaber und damit häufig an den Beschuldigten<br />
herausgeben zu müssen.<br />
Diese Optionen sind nach wie vor aktuell, zum einen in Bezug auf „Altfälle“, also im Hinblick auf Taten,<br />
die zum 01.01.2007 beendet waren, und zum anderen bei Konstellationen, die vom Anwendungsbereich<br />
des § 111i StPO entweder gar nicht erfasst werden oder aber bei denen eine Verlängerung<br />
nach § 111i Abs. 1 StPO ergebnislos verlaufen ist 467 .<br />
Hierzu ein Fallbeispiel:<br />
Fall 33468 ::<br />
L. wird auf frischer Tat ertappt, als er eine Packung Rasierklingen entwendet.<br />
Bei der Wohnungsdurchsuchung werden bei ihm Gegenstände im Wert von 150.000,-<br />
Euro gesichert. Es handelt sich um verschiedene Gebrauchsgegenstände in 10- bis<br />
20-facher Ausfertigung, was den Schluss nahelegt, dass die Gegenstände ebenfalls<br />
aus Diebstahlstaten stammen.<br />
Im Laufe der Ermittlungen können L. vier weitere Diebstähle von Parfüm, Rasierklingen<br />
und Seife nachgewiesen werden.<br />
Wie ist die Rechtslage?<br />
10.4.2 Fundversteigerung und Maßnahmen nach Polizeirecht<br />
Da im Beispielsfall 33 die einzelnen Herkunftstaten – mit Ausnahme der 4 Taten - nicht mit dem für<br />
eine Anklageerhebung bzw. eine Antragsschrift notwendigen Grad an Sicherheit nach Zeit, Ort und<br />
den sonstigen Umständen konkretisiert werden können und es zudem an einer tauglichen Anknüpfungstat<br />
i.S.d. § 73d Abs. 1 StGB fehlt, kann weder im subjektiven im objektiven Verfahren unter Anwendung<br />
des § 111i Abs. 2 bis 8 StPO eine Abschöpfung der sichergestellten Gebrauchsgegenstände<br />
erfolgen.<br />
In einem solchen Fall bieten sich zwei Vorgehensweisen an:<br />
Einmal kann die entsprechende Anwendung von Nr. 75 RiStBV i.V.m. § 983 BGB erwogen werden 469 ;<br />
denkbar ist aber auch ein Vorgehen über § 43 PolG NW.<br />
Diese Vorschrift erlaubt die Sicherstellung einer Sache aus Gründen der Gefahrenabwehr, so beispielsweise<br />
zum Schutz des unbekannten Eigentümers oder des rechtmäßigen Inhabers der tatsächlichen<br />
Gewalt vor Verlust oder Beschädigung (§ 43 Nr. 2 PolG NW). Zu prüfen wäre, ob Umstände vorliegen,<br />
die das Eigentum eines Dritten wahrscheinlicher erscheinen lassen oder die vom (Eigen-<br />
)Besitzer behaupteten Tatsachen wiederlegen, und von daher die Eigentumsvermutung des § 1006<br />
BGB nicht eingreift 470 .<br />
10.4.3 Verzicht durch Beschuldigten<br />
Verzichtserklärungen bzw. Abtretungen etwa des Beschuldigten hinsichtlich beweglicher Sachen und<br />
Forderungen sind in der Praxis nicht selten, leider aber auch nicht unproblematisch, da beispielsweise<br />
die betroffenen beweglichen Sachen bim Protokoll im Einzelnen nicht genau bezeichnet wurden oder<br />
aber Abtretungsverbote bestehen 471 .<br />
467<br />
Vgl. auch Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111i Rn. 3.<br />
468<br />
Fall angelehnt an BGH, Beschluss vom 15.03.1984, 1 StR 819/83.<br />
469<br />
BGH a.a.O.; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, § 111i, Rn. 3; Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung<br />
im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage 2010, S. 50 ff.<br />
470<br />
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.08.2010, 5 A 298/09; vgl. auch BVerfG, (Kammer-)Beschluss vom<br />
24.10.2011, 1 BvR 732/11.<br />
471<br />
Vgl. hierzu Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Aufla-<br />
ge 2010, S. 183 ff.<br />
133
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Zu besonderer Vorsicht ist darüber hinaus zu raten, wenn zu Gunsten von Tatverletzten ein Verzicht<br />
angedacht ist und – wie zumeist – nicht genügend Vermögen gesichert wurde, um alle Ansprüche zu<br />
befriedigen. Da die strafrechtliche Rückgewinnungshilfe kein Verteilungsverfahren nach insolvenzähnlichen<br />
Verfahrensgrundsätzen kennt, führt ein derartiger Verzicht ins Leere, besonders dann, wenn<br />
Gelder hinterlegt wurden. Denn die Herausgabe des hinterlegten Betrages ergeht per Verfügung auf<br />
Antrag, sofern die Berechtigung des Empfängers nachgewiesen ist (§ 13 Abs. 1 HintO). Da eine quotenweise<br />
Auskehrung nicht vorgesehen ist, müsste daher die Legitimation eines Tatverletzten – mit<br />
Zustimmung der übrigen Verletzten – belegt werden, was praktisch ausgeschlossen ist.<br />
134
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
10.5 Schlussübersicht zu Anwendungsmöglichkeiten bei § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB<br />
Mögliche Verfahrensweisen in Bezug auf im Rahmen der Rückgewinnungshilfe gem. §§ 111b ff. StPO gesicherte Vermögenswerte vor dem Hintergrund<br />
der Sperrklausel des § 73 Abs.1 Satz 2 StPO:<br />
Verzicht/Freigabe Verzicht d. Anspr. d. Verl. § 111i StPO § 111i<br />
d. Besch. z.G. Verl. ./. verj. o. aus § 111k StPO aus tats. § 111i I StPO II - VIII StPO<br />
d. Verletzten Besch. and. Grund nt. Gründen nt.<br />
durchsetzbar anwendbar*<br />
Herausgabe an (Erw.) Verfall (Erw.) Verfall Herausgabe Grds.: Zugriffsmgl.keit Zugriff v.<br />
Verl., aber nur oder oder an Verl. Herausgabe d. Verl. inner- Verl. mgl.;<br />
bei wenigen Verl. (Erw.) Verfall (Erw.) Verfall an Besch. halb der Verl.; danach Auffangpraktikabel<br />
v. Wertersatz v. Wertersatz danach: rechtserwerb d.<br />
(zu vgl.§ 13 mgl. mgl. Herausgabe an Staates<br />
HintO) Besch.<br />
Aber:<br />
Ggf. Ggf.<br />
Fundverst. Maßn. nach<br />
Polizeirecht<br />
135
Teil III Rückgewinnungshilfe zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten<br />
Zusammenfassung<br />
Die §§ 111b Abs. 5, 111g, 111h und § 111i StPO bilden verfahrensrechtlich das „Herzstück“<br />
der Rückgewinnungshilfe.<br />
Im Rahmen der Rückgewinnungshilfe ist die anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmende<br />
Ermessensentscheidung gem. § 111b Abs. 5 StPO dann eröffnet, wenn eine<br />
natürliche oder juristische Person oder sonst geschützte Personenvereinigung durch eine<br />
Straftat individuell verletzt ist und daneben die sonstigen Voraussetzungen des § 73 Abs.<br />
1 Satz 2 StGB erfüllt sind.<br />
Bei der Ermessensausübung sind:<br />
Belange des Opferschutzes<br />
die tatsächlichen respektive rechtlichen Möglichkeiten des Verletzten zur Durchsetzung<br />
seiner Ansprüche<br />
die Höhe des Schadens<br />
die Zahl der Verletzten und deren bisheriges Verhalten und<br />
der (Verfolgungs-)Aufwand<br />
die Möglichkeiten der Verfahrensbeschränkung nach §§ 154 ff. StPO<br />
die Option des späteren Auffangrechtserwerbs<br />
in den Blick zu nehmen.<br />
Beim so genannten „starken Verletzten“ ist das Konkurrenzverhältnis zwischen<br />
Maßnahmen nach §§ 111b ff. StPO und den Rechtsschutzmöglichkeiten, die dem Verletzten<br />
zur Verfügung stehen, einzelfallabhängig so aufzulösen, dass Sicherungsmaßnahmen<br />
nach §§ 111b ff. StPO nur dann ausscheiden, wenn sowohl tatsächlich als auch rechtlich<br />
betrachtet Verletzte aus Straftaten aufgrund ihres eigenen Kenntnisstandes selbst in der<br />
Lage sind, ebenso zeitnah zu eigenen wenigstens vorläufig vollstreckbaren Titeln zu gelangen<br />
sowie darauf basierend gleich effektive Sicherungsmaßnahmen durchzuführen, mithin<br />
ohne Gefahr zu laufen, dass ihr Zugriff durch vorheriges Täterhandeln vereitelt oder<br />
wesentlich erschwert wird.<br />
Die Verletztenbenachrichtigung muss zeitgleich erfolgen und sollte neben allgemeinen<br />
rechtlichen Hinweisen vor allem eine detaillierte Aufstellung der bis dahin gesicherten<br />
Vermögenswerte enthalten.<br />
Im Rahmen des Zulassungsverfahrens (§§ 111g, 111h StPO) prüft das Gericht lediglich<br />
summarisch, ob der titulierte Anspruch des Verletzten aus der Tat erwachsen ist, die Anlass<br />
für die Sicherungsanordnung war.<br />
Die Rechtsfolgen der rechtskräftigen Zulassung des Verletzten zur Zwangsvollstreckung<br />
nach §§ 111g, 111h StPO liegen in erster Linie in Rückwirkungsfiktion bzw. im Rangtausch<br />
zu seinen Gunsten, wobei im (Rang-)Verhältnis mehrerer Verletzter nach h.M. das<br />
Prioritätsprinzip gilt.<br />
Entsprechende Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO vorausgesetzt erstreckt sich der<br />
Auffangrechtserwerb zu Gunsten des Staates nach § 111i Abs. 5 StPO auf die bis zur<br />
Rechtskraft des Urteils gesicherten Vermögenswerte; die Differenz zwischen der Höhe des<br />
Anspruchs nach § 111i Abs. 2 StPO und dem Verwertungserlös erlischt (§ 111 Abs. 5 Satz<br />
4 StPO)!<br />
136
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen<br />
nach §§ 111b ff. StPO und eröffnetem<br />
Insolvenzverfahren<br />
Die Thematik des Spannungsverhältnisses zwischen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO<br />
und eröffnetem Insolvenzverfahren ist in der Praxis von großer Bedeutung, nicht zuletzt auch angezeigt<br />
durch die zunehmende Zahl von diesbezüglichen Gerichtsentscheidungen und Publikationen.<br />
Sehr häufig folgen nämlich auf in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen<br />
(Fremd-)Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des<br />
Arrestbetroffenen, insbesondere dann, wenn das (nahezu) gesamte Vermögen arretiert wurde 472 .<br />
Insoweit sind zwei Ebenen zu unterscheiden.<br />
Zum einen geht es um die Frage nach der insolvenzrechtlichen Behandlung von Ansprüchen des<br />
Staates auf Verfall (von Wertersatz).<br />
Zum anderen ist das Verhältnis zwischen dem eröffneten (Privat-)Insolvenzverfahren, das von<br />
dem Grundsatz der Gläubigergleichheit („par conditio creditorum“) getragen ist, und ausgebrachten<br />
Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO im Wege der Vollziehung von Beschlagnahmeanordnungen<br />
oder dinglichen Arresten zu klären. Bei Letzteren ist weiter danach zu differenzieren,<br />
ob diese zur vorläufigen Absicherung originär staatlicher Ansprüche gem. §§ 73 ff., 74 ff.<br />
StGB oder aber anlässlich von Rückgewinnungshilfe (§§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b Abs. 5<br />
StPO) ausgebracht wurden.<br />
Gerade der zuletzt genannte Themenkreis wirft insbesondere seit der Einführung des § 111i StPO<br />
(n.F.) zum 01.01.2007 vielfältige Fragen auf, welche teilweise noch der ober- und höchstrichterlichen<br />
Klärung bedürfen 473 .<br />
Einen Schritt zurückgehend mag die Beantwortung dieser Fragen aber auch Einfluss haben auf die<br />
nach § 111b StPO und nach § 111i Abs. 2 StPO vorzunehmenden Ermessensentscheidungen, ob überhaupt<br />
Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen resp. Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffen<br />
sind 474 .<br />
Die nachfolgenden Ausführungen sollen daher einen ersten Überblick geben, sowohl im Hinblick auf<br />
die rechtlichen Rahmenbedingungen eines Insolvenzverfahrens und die in diesem Sachzusammenhang<br />
besonders relevanten Vorschriften als auch in Bezug auf verfahrenstypische Kollisionsfälle, die u.U. zur<br />
Aufhebung ausgebrachter Pfändungen zwingen.<br />
472 Hees, ZIP 2004, 298 (299); von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1152).<br />
473 Vgl. hierzu auch Markgraf, Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafpro-<br />
zessualen Vermögensabschöpfung (Diss.), 2008.<br />
474 Hierzu Greier, ZInsO 2007, 953 ff.<br />
137
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
11. Kurze Einführung in das Insolvenzrecht<br />
Ein Insolvenzverfahren kann nur auf Antrag entweder des Schuldners oder des Gläubigers eröffnet<br />
werden (§ 13 Abs. 1 InsO). Schuldner kann neben einer natürlichen oder juristischen Person auch<br />
eine in § 11 Abs. 2 InsO näher bezeichnete Gesellschaft oder Gütergemeinschaft sein.<br />
Eröffnungsgrund ist Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit sowie Überschuldung des<br />
Schuldners (§§ 16 ff. InsO). Weiter ist erforderlich, dass genügend Masse zur Verfügung steht; anderenfalls<br />
ist das Verfahrens mangels Masse abzuweisen (§ 26 InsO).<br />
Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens führt dazu, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis<br />
über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§§ 35, 36 InsO) vom Schuldner auf den Insolvenzverwalter<br />
übergeht (§ 80 Abs. 1 InsO; vgl. auch § 81 InsO).<br />
Im Vorfeld kann das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO treffen, etwa über die<br />
Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO) und/oder die Auferlegung<br />
eines allgemeinen Verfügungsverbotes (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO).<br />
Besonders für noch auszubringende bzw. schon ausgebrachte Beschlagnahmen und Pfändungen in<br />
Vollziehung der Sicherungstitel nach §§ 111b ff. StPO sind mehrere Bestimmungen in der InsO, welche<br />
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens inzidenter voraussetzen und in zeitlicher Hinsicht Fixpunkte<br />
darstellen, von Bedeutung.<br />
Im Mittelpunkt steht dabei das Vollstreckungsverbot nach § 89 InsO, welches Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />
in das Masse- und sonstige Schuldnervermögen während der Dauer des Insolvenzverfahrens<br />
verbietet.<br />
Frage:<br />
Was ist die Rückschlagsperre?<br />
Eine zeitlich rückwirkende Funktion kommt der sogenannten „Rückschlagsperre“ nach § 88 InsO zu:<br />
Hat ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder<br />
bereits nach Antrag durch Zwangsvollstreckung eine Sicherheit an dem zur Insolvenzmasse gehörenden<br />
Vermögen des Schuldners erlangt, so wird diese Sicherung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
unwirksam.<br />
Schließlich eröffnen die §§ 129 ff. InsO für den Insolvenzverwalter die Möglichkeit, Rechtshandlungen,<br />
die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger<br />
benachteiligen, anzufechten. Aus staatsanwaltschaftlicher Sicht ist hierbei die Anfechtbarkeit bei sogenannter<br />
inkongruenter Deckung von besonderer Relevanz (§ 131 InsO). Dieser Anfechtungsgrund ist<br />
erfüllt, wenn eine Rechtshandlung einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt<br />
oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art, etwa durch Zwangsvollstreckung im<br />
Rahmen der Vollziehung eines dinglichen Arrestes 475 , oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Im<br />
Übrigen wird zwischen verschiedenen Zeitpunkten, zu denen die Handlung vorgenommen wurde, differenziert.<br />
Auch die Klassifizierung der Insolvenzgläubiger ist vorliegend von Interesse.<br />
Die InsO differenziert zwischen allgemeinen Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO) und nachrangigen Insolvenzgläubigern<br />
(§ 39 InsO).<br />
Zwischenzeitlich ist höchstrichterlich geklärt, dass Ansprüche des Staates auf Verfall und Einziehung<br />
von Wertersatz gem. §§ 73a, 74c StGB nachrangige Insolvenzforderungen im Sinne des § 39 Abs. 1<br />
Nr. 3 InsO darstellen, da sie als Nebenfolgen einer Straftat zu einer Geldzahlung verpflichten 476 . Insofern<br />
ist es im Umkehrschluss folgerichtig, dass der Anordnung des Verfalls von Wertersatz grundsätz-<br />
475<br />
Markgraf, Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafprozessualen Vermögensabschöpfung<br />
(Diss.), 2008, S. 99 ff.<br />
476<br />
BGH, Urteil vom 11.05.2010, IX ZR 138/09; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.06.2009, 14 U 107/08; a.A. LG Of-<br />
fenburg, Urteil vom 22.07.2008, 2 O 155/07.<br />
138
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
lich nicht bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Verfallsbetroffenen<br />
unter dem Gesichtspunkt eines (angeblich) vorrangigen Schutzes der Geschädigten in der Insolvenz<br />
entgegensteht 477 .<br />
Desweiteren sind die Aussonderungsrechte nach §§ 47 ff. InsO und die Absonderungsrechte nach §§<br />
49 ff. InsO von Relevanz.<br />
Sofern jemand eine dingliche oder persönliche Rechtsposition geltend macht, aufgrund dessen der<br />
betreffende Gegenstand nicht dem Schuldner gehört und folglich auch nicht der Insolvenzmasse zufällt,<br />
kann derjenige Aussonderung des Gegenstands nach den Gesetzen außerhalb der InsO verlangen<br />
(§ 47 InsO), beispielsweise das Opfer eines Diebstahls bezüglich des ihm noch gehörenden Gegenstandes.<br />
Darüber hinaus sieht die InsO Absonderungsrechte nach §§ 49 ff. vor. Derartige Gläubiger, die entweder<br />
Insolvenzgläubiger sind oder aber auch nicht, haben in Bezug auf einen bestimmten Massegegenstand<br />
Ansprüche und können ihr Absonderungsrecht unabhängig vom eigentlichen Insolvenzverfahren<br />
geltend machen 478 .<br />
Während sich § 49 InsO auf die abgesonderte Befriedigung aus unbeweglichen Gegenständen bezieht,<br />
behandelt § 50 InsO die abgesonderte Befriedigung der Gläubiger aus rechtsgeschäftlichen, gesetzlichen<br />
und (Pfändungs-)Pfandrechten, so dass in diesem Zusammenhang auch die Vorschrift des § 80<br />
Abs. 2 InsO Bedeutung erlangen kann.<br />
Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 InsO hat ein gegen den Schuldner bestehendes (relatives) Veräußerungsverbot,<br />
das nur den Schutz bestimmter Personen bezweckt (§§ 135, 136 BGB), im Insolvenzverfahren<br />
keine Wirkung. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO bleiben indessen die Vorschriften über die Wirkungen<br />
einer Pfändung oder einer Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung unberührt 479 .<br />
Eine Arrestpfändung etwa (§ 930 Abs. 1 Satz 1 ZPO 480 ) hat grundsätzlich die Wirkung einer Beschlagnahme<br />
i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO 481 . Sie verschafft dem Gläubiger ein Pfändungspfandrecht mit<br />
den in § 804 ZPO bestimmten Wirkungen. Dieses Pfändungspfandrecht berechtigt indes noch nicht zur<br />
abgesonderten Befriedigung, sondern hat zunächst nur eine Sicherungsfunktion. Ein Vollstreckungspfandrecht<br />
erwirbt der Gläubiger erst, wenn er einen vollstreckbaren Titel zur Hauptsache erhält. Sobald<br />
also der gesicherte Anspruch durch Feststellung zur Insolvenztabelle Vollstreckbarkeit erlangt hat,<br />
kann der Gläubiger das Absonderungsrecht mit dem durch das Arrestpfandrecht erlangten Rang geltend<br />
machen 482 . Bei mehreren Pfändungspfandrechten ist insoweit für den Rang die zeitliche Priorität<br />
der Entstehung maßgebend 483 .<br />
Eine eingetragene Arresthypothek im Sinne des § 932 ZPO berechtigt demzufolge auch nicht zur abgesonderten<br />
Befriedigung nach § 49 InsO, da diese zwar ein vollständiges Sicherungspfandrecht begründet,<br />
hingegen nur als Vorstufe zur Zwangssicherungshypothek anzusehen ist 484 .<br />
Auch nachrangige Insolvenzforderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 4 InsO werden im Übrigen, soweit<br />
sie durch ein Absonderungsrecht gesichert sind, aus dem Erlös der abgesonderten Befriedigung vorrangig<br />
bedient 485 .<br />
Anders ausgedrückt: Der Nachrang des § 39 InsO wird im Rahmen der abgesonderten<br />
Befriedigung durch die §§ 49 ff. InsO verdrängt 486 .<br />
477<br />
BGH, Urteil vom 02.12.2005, 5 StR 119/05 Rn. 56.<br />
478<br />
Zimmermann, Insolvenzrecht, 4. Auflage 2001, 8. Abschnitt S. 51 ff.<br />
479<br />
Vgl. hierzu Ott/Vuia, Münchener Kommentar, InsO, 2. Auflage 2007, § 80 Rn. 158.<br />
480<br />
Auf diese Norm wird in § 111d Abs. 2 StPO ausdrücklich verwiesen.<br />
481<br />
BGHZ 87, 166.<br />
482<br />
Ganter, Münchener Kommentar, InsO, 2. Auflage 2007, § 50 Rn. 66a; so auch Stöber, Zöller, ZPO, 28. Auflage<br />
2010, § 804 Rn. 6.<br />
483<br />
Ganter, Münchener Kommentar, InsO, 2. Auflage 2007, § 50 Rn. 81.<br />
484<br />
Vollkommer, Zöllner, ZPO, 28. Auflage § 932 Rn. 1.<br />
485<br />
Ganter, Münchener Kommentar, InsO, 2. Auflage 2007, § 52 Rn. 43.<br />
486<br />
BGH, Urteil vom 17.07.2008, IX ZR 132/07; zuletzt LG Frankfurt, Urteil vom 09.11.2011, 2-16 S 69/11.<br />
139
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
12. Kollisionsfälle<br />
Es besteht Einigkeit darin, dass die Frage nach einer Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen<br />
den strafprozessualen Sicherungsmaßnahmen der §§ 111b ff. StPO und dem Grundsatz der par conditio<br />
creditorum nicht allgemeingültig, sondern kasuistisch beantwortet werden muss 487 . Es ist daher<br />
zunächst danach zu differenzieren, ob eine Beschlagnahmeanordnung nach §§ 111b Abs. 1, 111c<br />
StPO oder aber ein dinglicher Arrest nach §§ 111b Abs. 2, 111d StPO vollzogen worden ist, und in<br />
einem zweiten Schritt zu untersuchen, inwiefern ein originär staatlicher Anspruch auf Verfall (von<br />
Wertersatz) etc. oder aber ein Verletztenanspruch i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB über die Bestimmung<br />
des § 111b Abs. 5 StPO gesichert werden sollte.<br />
Darüber hinaus mag noch eine weitere Differenzierung dergestalt vorgenommen werden, ob ein sogenannter<br />
„Alt-Fall“, dem Taten zugrunde liegen, welche vor der Einführung des § 111i StPO (n.F.)<br />
mithin bis zum 01.01.2007 beendet waren, vorliegt oder nicht 488 .<br />
So gesehen sind derartige Beschlagnahmen und Pfändungen in Vollziehung von Sicherungstiteln nach<br />
§§ 111b ff. StPO in einem ersten Schritt daran zu messen, ob sie dem Grunde nach „insolvenzfest“<br />
sind, d.h. nicht gegen das Einzelzwangsvollstreckungsverbot (§ 89 InsO 489 ) verstoßend, der Rückfallsperre<br />
nach § 88 InsO nicht unterliegend und nicht i.S.d. §§ 129 ff. InsO anfechtbar ausgebracht<br />
worden sind.<br />
Ist die Frage nach der Insolvenzfestigkeit 490 , die sich nur dann stellt, wenn das Insolvenzverfahren<br />
auch eröffnet worden ist 491 , in diesem Sinne zu bejahen, gilt es im Anschluss zu prüfen, inwieweit das<br />
über die jeweilige Maßnahme begründete Sicherungsrecht, also das relative Veräußerungsverbot i.S.d.<br />
§ 111c Abs. 5 StPO bei einer vollzogenen Beschlagnahmeanordnung oder Verstrickung und Pfändungspfandrecht<br />
resp. Sicherungshypothek bei einem vollzogenen dinglichen Arrest im Insolvenzverfahren<br />
auch sonst Bestand hat bzw. u.U. gebotenen normativen Beschränkungen unterliegt. In den<br />
Fällen der Rückgewinnungshilfe wird zusätzlich zu berücksichtigen sein, ob eigene Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />
der Verletzten überhaupt noch möglich bzw. insolvenzfest ausgebracht sind.<br />
Können also – anders formuliert - Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Verletzten im Nachgang von<br />
staatsanwaltschaftlichen Pfändungen, die sich als insolvenzfest erweisen, allein aufgrund der Möglichkeit<br />
zur Zulassung der Zwangsvollstreckung nach §§ 111g, 111h StPO und den damit verbundenen<br />
Wirkungen trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und zuwider den Bestimmungen der §§ 88,<br />
89, 129 ff. InsO noch wirksam erfolgen 492 ?<br />
Sind dagegen die StPO-Sicherungstitel zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch<br />
nicht oder nicht vollständig vollzogen, so ist die darauf gestützte Beschlagnahme nach § 111c StPO<br />
oder die Arrestvollziehung im Wege der Zwangsvollstreckung aufgrund des Verbots nach § 89 InsO<br />
nicht mehr zulässig. Sie sind mithin (teilweise) aufzuheben und zwar unabhängig vom Vorliegen eines<br />
„Rückgewinnungshilfefalls“ 493 .<br />
Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass die Staatsanwaltschaft während des Eröffnungsverfahrens,<br />
in welchem die Existenz einer wenigstens die Verfahrenskosten deckenden<br />
Masse geprüft wird, von der Freigabe bereits gesicherter Vermögenspositionen<br />
absehen wird, um eine spätere Verwertung des Vermögens des Betroffenen durch<br />
den Staat oder die Tatgeschädigten selbst nicht zu gefährden 494 , da sich – wie bereits<br />
erwähnt – die Kollisionsproblematik lediglich im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
stellt.<br />
487 Markgraf, Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafprozessualen Vermögensabschöpfung<br />
(Diss.), 2008, S. 182; so im Ansatz auch von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 ff.; Greier, ZInsO<br />
2007, 953 ff.; Lohse, AnwaltKommentar, StPO, 2. Auflage 2010, Vor §§ 111b – 111p Rn. 17 ff.; Rönnau, Vermögensabschöpfung<br />
in der Praxis, 2003, Rn. 478 ff.; Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (388).<br />
488 Vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111i Rn. 20.<br />
489 Rönau, FS für Achenbach, 2011, 385 (389): Rönnau weist zutreffend darauf hin, dass insoweit ausreichend ist,<br />
dass der Staat einen Vermögensanspruch gegen den Schuldners auch erst während des laufenden Insolvenzverfahrens<br />
erlangt.<br />
490 Für eine weitergehende Differenzierung allerdings Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (391 ff.).<br />
491 Vgl. Greier, ZInsO 2007, 953 (955); Schäfer, Löwe/Rosenberg, StPO, Bd. 2, 25. Auflage 2004, § 111b Rn. 50d.<br />
492 Von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1153).<br />
493 Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (389).<br />
494 Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (387) m.w.N.<br />
140
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
12.1 Absicherung originär staatlicher Ansprüche auf Verfall (von Wertersatz) etc.<br />
Frage:<br />
Nach was ist weiter zu differenzieren und warum?<br />
Abgesehen davon, dass sich dem Vorgenannten entsprechend staatlich veranlasste vorläufige Sicherungsmaßnahmen<br />
gemessen an den Vorgaben der §§ 88, 89, 129 ff. InsO dem Grunde nach als insolvenzfest<br />
erweisen müssen, ist beim diesbezüglichen Schutz staatlicher Ansprüche auf Verfall (von<br />
Wertersatz) etc. nach den §§ 73 ff., 74 ff. StPO weiter zu differenzieren nach jeweiligem Sicherungstitel<br />
und unterschiedlichen Rechtswirkungen ihrer Vollziehung.<br />
Folge einer ausgebrachten Beschlagnahmeanordnung nach § 111b Abs. 1 StPO ist nach § 111c Abs. 5<br />
StPO ein Veräußerungsverbot i.S.d. § 136 BGB. Fraglich bleibt daher dessen rechtlicher Fortbestand<br />
im eröffneten Insolvenzverfahren. Dies richtet sich nach der Bestimmung des § 80 Abs. 2 InsO.<br />
Im Ergebnis verliert das Veräußerungsverbot gem. § 111c Abs. 5 StPO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
über das Vermögen des Schuldners seine Wirkung 495 .<br />
Nach Auffassung des BGH wirkt das Veräußerungsverbot nach § 111c Abs. 5 StPO nur relativ i.S.d. §<br />
80 Abs. 2 Satz 1 InsO. Im Übrigen folge die Insolvenzfestigkeit der Beschlagnahme auch nicht aus §<br />
80 Abs. 2 Satz 2 InsO. Die Beschlagnahme eines Rechts nach § 111c Abs. 3 Satz 1 StPO werde zwar<br />
durch „Pfändung“ bewirkt, indes gelten insoweit die Vorschriften der ZPO nur sinngemäß, nämlich für<br />
den Vorgang der Pfändung als solchen und nicht auch für die Rechtsfolgen, die sich allein aus § 111c<br />
Abs. 5 StPO ergeben. Folge einer Beschlagnahme sei daher – wie auch in den übrigen Fällen nach §<br />
111c Abs. 1, 2 und 4 StPO – kein Pfändungspfandrecht, sondern nur ein Veräußerungsverbot 496 .<br />
Soweit Greier auch bei einer vollzogenen Beschlagnahme für ein insolvenzfestes Absonderungsrecht<br />
eintritt, indes sich an anderer Stelle seines Beitrags der vorgenannten Entscheidung des BGH anschließt<br />
497 , dürfte es sich dabei um ein redaktionelles Versehen gehandelt haben.<br />
Auf Antrag des Insolvenzverwalters sind daher beschlagnahmte Gegenstände freizugeben, was freilich<br />
nicht bedeuten muss, dass diese der Masse zufallen. Soweit Aussonderungsrechte von Verletzten aus<br />
Straftaten nach § 47 InsO bestehen, wird dieser Personenkreis außerhalb des Insolvenzverfahrens<br />
bedient.<br />
Die Rechtslage stellt sich bei einem vollzogenen dinglichen StPO-Arrest anders dar.<br />
Unbestritten folgt dem Arrestvollzug ein echtes Pfandrecht bzw. im Falle der Immobiliarvollstreckung<br />
eine echte Sicherungshypothek am Grundstück des Arrestbetroffenen. Beides unterliegt dem Anwendungsbereich<br />
des § 80 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist damit dem Grunde nach auch insolvenzfest 498 .<br />
Umstritten ist hingegen, ob hieraus trotz der Nachrangigkeit staatlicher Ansprüche auf Verfall und<br />
Einziehung von Wertersatz i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO auch ein Absonderungsrecht des Staates folgen<br />
kann.<br />
Die überwiegende Rechtsprechung und Literatur bejaht dies und zwar unabhängig davon, ob schon<br />
über die Hauptsache entschieden wurde 499 , v.a. gestützt auf die vergleichbare Rechtslage bei der Voll-<br />
495 BGH, Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 41/05 m.w.N. auch für die ggt. Auffassung.<br />
496 BGH a.a.O.; so auch Malitz, NStZ 2002, 337 (341);Hees, ZIP 2004, 298 ff.; von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151<br />
(1155); Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111c Rn. 12a, allerdings mit unklarer Begründung.<br />
497 Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; vgl. hierzu auch von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1154).<br />
498 LG Saarbrücken, Beschluss vom 19.05.2003, 8 Qs 86/03; OLG Köln, Beschluss vom 08.08.2003, 2 Ws 433/03;<br />
Greier, ZinsO 2007, 953 ff.; von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1159).<br />
499 OLG Köln, Beschluss vom 08.08.2003, 2 Ws 433/03; KG, Beschluss vom 06.07.2005, 2 AR 85/05; KG, Beschluss<br />
vom 11.07.2008, 3 Ws 137/08; Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, §<br />
111d Rn. 15a; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2011, Vor §§ 111b – 111p Rn. 19; a.A. Markgraf,<br />
141
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
ziehung von ZPO-Arresten. Im Falle des rechtskräftigen Ausspruchs des Verfalls etc. könnte daher der<br />
Staat die Absonderungsrechte nach §§ 49, 50 InsO geltend machen.<br />
Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafprozessualen Vermögensabschöpfung<br />
(Diss.), 2008, S. 132; Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (400 ff.).<br />
142
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
12.2 Sicherungsmaßnahmen im Wege der Rückgewinnungshilfe<br />
Fall 34:<br />
Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen richten sich gegen A., der sich wegen einer<br />
Vielzahl von Betrugstaten aus dem Jahre 2009 strafrechtlich zu verantworten hat;<br />
sein diesbezüglicher Erlös beläuft sich auf insgesamt 500.000,- Euro.<br />
Im Rahmen der Vollziehung des in dieser Höhe vom zuständigen AG am 06.07.2009<br />
erlassenen dinglichen Arrestes konnten im Juli 2009 Vermögenswerte im nominellen<br />
Gesamtwert von 150.000,- Euro vorläufig gesichert werden, davon 50.000,- Euro in<br />
bar, die hinterlegt worden sind, ferner Forderungen in derselben Größenordnung und<br />
zuletzt 50.000,- Euro als Höchstbetragssicherungshypothek in eine dem A. gehörende<br />
Immobilie.<br />
Dem Geschädigten B. gelingt es, zeitnah im August 2009 einen Titel in Höhe von<br />
20.000,- Euro zu erwirken, im selben Monat im Wege der Forderungspfändung die<br />
Zwangsvollstreckung in das hinterlegte Geld zu betreiben und auf seinen Antrag hin<br />
im September 2009 gem. § 111g StPO zur Zwangsvollstreckung zugelassen zu werden.<br />
Der Geschädigte C. ist ebenfalls zivilprozessual tätig geworden und vollstreckt im Oktober<br />
2009 ein im September 2009 gegen A. erwirktes Versäumnisurteil über<br />
10.000,- Euro in der Weise, dass der Hinterlegungsstelle ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss<br />
zugestellt wird.<br />
Die übrigen Geschädigten bleiben hingegen untätig.<br />
Nachdem auf Fremdantrag hin am 02.06.2011 das (Privat-)Insolvenzverfahren über<br />
das Vermögen des A. eröffnet worden ist, beantragt C. beim zuständigen AG im Juli<br />
2011 mit Erfolg die Zulassung zur Zwangsvollstreckung.<br />
Schließlich stellt das LG in seinem am 01.11.2011 erlassenen Urteil gegen A. gem. §<br />
111i Abs. 2 StPO fest, dass gegen ihn wegen eines Geldbetrages in Höhe von<br />
470.000,- Euro lediglich deshalb nicht auf Verfall erkannt wird, weil Ansprüche Verletzter<br />
entgegen stehen. Taggleich wird deswegen auch der dingliche Arrest unter<br />
Reduzierung der ursprünglichen Arrestsumme auf nunmehr 470.000,- Euro um drei<br />
Jahre verlängert (§ 111 Abs. 3 StPO).<br />
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.<br />
Mittlerweile hat der Insolvenzverwalter gegen die Aufrechterhaltung der noch offenen<br />
Pfändungen gem. § 111f Abs. 5 StPO Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt,<br />
nachdem zuvor die Staatsanwaltschaft seinem Ansinnen, die Maßnahmen aufzuheben,<br />
nicht nachgekommen war.<br />
Die Rechtslage ist im Spannungsverhältnis von ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen zu Gunsten von<br />
Tatgeschädigten und eröffnetem Insolvenzverfahren noch komplexer als bei der Absicherung staatlicher<br />
Ansprüche auf Verfall.<br />
Zunächst nur auf der Ebene der staatlich veranlassten Sicherungen gedacht, ist auch hier wieder zwischen<br />
vollzogener Beschlagnahmeanordnung und vollzogenem dinglichen Arrest zu unterscheiden,<br />
wobei infolge der Einführung des § 111i StPO (n.F.) zum 01.01.2007 darüber hinaus Anlass besteht,<br />
zwischen Alt- und Neufällen eine weitere Differenzierung vorzunehmen.<br />
Ferner sind aber auch die durch den Tatverletzten bewirkten Pfändungen in die seitens der Staatsanwaltschaft<br />
vorläufig gesicherten Vermögenswerte des Arrestbetroffenen auf ihre Insolvenzfestigkeit<br />
hin zu untersuchen, was verschiedene Fragen insbesondere zu den insolvenzrechtlich zu ziehenden<br />
Folgen der Zulassung zur Zwangsvollstreckung nach §§ 111g, 111h StPO aufwirft 500 .<br />
Keine Probleme ergeben sich, wenn staatsanwaltschaftliche Pfändungen, die Zwangsvollstreckung der<br />
Verletzten und die Zulassung zur Zwangsvollstreckung jeweils „insolvenzfest“ erfolgt sind 501 .<br />
500 Vgl. hierzu Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (392 ff.).<br />
501 Vgl. Schäfer, Löwe/Rosenberg, StPO, Bd. 2, 25. Auflage 2004, § 111b Rn. 50d; Greier, ZInsO 2007, 953 ff.;<br />
OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.06.2009, 3 Ws 214/09.<br />
143
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
Fällt allerdings die Entscheidung über die Zulassung zur Zwangsvollstreckung nach §§ 111g, 111h<br />
StPO in die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, während sich die Vollstreckungsmaßnahmen<br />
durch Staatsanwaltschaft und Verletzte noch außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 88, 89, 129<br />
ff. InsO bewegt haben, stellt sich die umstrittene Frage nach den (insolvenz-)rechtlichen Wirkungen<br />
der Zulassung.<br />
Die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur misst der Zulassung zur Zwangsvollstreckung keine<br />
zwangsvollstreckungsrechtlich relevante Wirkung im Sinne der §§ 88, 89, 129 ff. InsO bei, weshalb es<br />
nicht darauf ankommen soll, ob diese noch vor oder erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
beschlossen wird 502 .<br />
Demgegenüber meint Rönnau, dass die Zulassung nach §§ 111g, 111h StPO die bis dato noch nicht<br />
vollwertige Sicherung der Tatverletzten erweitere, weshalb der Bescheid als Rechtserweiterung zum<br />
Nachteil der Masse gegen § 91 Abs. 1 InsO verstoße 503 .<br />
Weitaus problematischer hingegen ist die in der Praxis zumeist anzutreffende Konstellation,<br />
dass Verletzte entweder zunächst gänzlich untätig bleiben und nach der<br />
Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus Rechtsgründen gehindert sind, im Wege der<br />
Einzelzwangsvollstreckung gegen den Arrestbetroffenen vorzugehen, oder aber ihre<br />
vorherigen Maßnahmen sich als nicht insolvenzfest erweisen 504 .<br />
Insolvenzfest wäre dann hier allenfalls die staatsanwaltschaftlich veranlasste Beschlagnahme oder<br />
Pfändung.<br />
Unabhängig vom Vorliegen eines Alt- oder neuen, dem Anwendungsbereich des § 111i Abs. 2 – 8<br />
StPO (n.F.) zuzuordnenden Falls ist bei einer insolvenzfest erfolgten Beschlagnahme nach §§ 111b,<br />
111c StPO die weitere Aufrechterhaltung der Maßnahme nach h.M. nicht möglich 505 .<br />
Das Ergebnis ist von zweierlei Erwägungen getragen.<br />
Zum einen entfaltet ein Veräußerungsverbot nach § 136 BGB als Folge einer wirksamen Beschlagnahme<br />
nur eine relative Wirkung und damit im Insolvenzverfahren nach § 80 Abs. 2 Satz 1<br />
InsO keine Wirkung (vgl. oben).<br />
Zum anderen gilt die in § 111g Abs. 3 Satz 1 StPO angeordnete Rückwirkung nur für das (im Insolvenzverfahren<br />
unwirksame) Veräußerungsverbot gemäß § 111c Abs. 5 StPO und nicht auch<br />
für das im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Pfändungspfandrecht 506 .<br />
Bei der Arrestvollziehung ist demgegenüber zwischen Alt- und Neufällen zu differenzieren.<br />
Ein „Alt-Fall“, dem beispielsweise eine im Jahre 2006 beendete Straftat zugrunde liegt und der<br />
zwar Anlass zur insolvenzfesten Arrestvollziehung gegeben hat, ohne dass allerdings auch Verletzte<br />
im Insolvenzverfahren bestandskräftige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchgeführt<br />
haben, zwingt ebenso wie bei einer vollzogenen Beschlagnahmeanordnung zur Aufhebung der<br />
Sicherungen 507 .<br />
Neben Erwägungen zu §§ 111c Abs. 5, 111g Abs. 3 Satz 1 StPO (a.F.) wird mit dem kompensationslosen<br />
Wegfall des eigentlichen Sicherungsziels argumentiert, da Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />
durch Verletzte rechtlich unmöglich geworden sind und zudem originär staatliche Ansprüche aufgrund<br />
der Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht verfolgt werden können 508 .<br />
502 Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1154 Fn. 26); Schäfer, Löwe/Rosenberg,<br />
StPO, Bd. 2, 25. Auflage 2004, § 111b Rn. 50g; a.A. Hees, ZIP 2004, 298 (300); Rönnau, FS für Achenbach,<br />
2011, 385 (395 ff.).<br />
503 Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (395 ff.).<br />
504 Vgl. hierzu auch Rönnau, FS für Achenbach, 385 (395 ff.) m.w.N.<br />
505 BGH, Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 41/05, mit Anm. Cranshaw in jurisPraxisReport-InsR 19/2007 Anm. 1;<br />
Malitz, NStZ 2002, 337 (341); Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1155); Markgraf,<br />
Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafprozessualen Vermögensabschöpfung<br />
(Diss.), 2008, S. 154 ff. m.w.N. auch zur a.A.<br />
506 BGH, Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 41/05.<br />
507 OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.06.2009, 3 Ws 214/09; Greier, ZInsO 2007, 953 ff.; von Gleichenstein, ZIP<br />
2008, 1151 (1155 ff.); Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage 2010, Vor §§ 111b – 111p Rn. 19.<br />
508 Vgl. hierzu OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.06.2009, 3 Ws 214/09 Rn. 9 ff. und Rn. 14 zitiert nach juris -.<br />
144
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
Zweifelhaft ist indessen, ob Obiges auch dann gilt, wenn dem Ermittlungs-/Strafverfahren eine<br />
nach dem 31.12.2006 begangene Straftat („Neu-Fall“) zugrunde liegt und somit der Anwendungsbereich<br />
des § 111i StPO (n.F.) eröffnet wäre.<br />
Grundsätzlich würde durch die Arrestpfändung insofern auch ein Pfändungspfandrecht bzw. eine wirksame<br />
Arresthypothek im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO begründet 509 .<br />
Die Besonderheit liegt vorliegend jedoch darin, dass die Verletzten noch keine eigenen zivilprozessualen<br />
Schritte unternommen haben und nunmehr auch an eigenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in<br />
Vermögenswerte des Arrestbetroffenen (=Insolvenzschuldner) aufgrund des bestehenden Einzelvollstreckungsverbots<br />
(§ 89 Abs. 1 InsO) rechtlich gehindert sind. Der Zweck der über § 111i Abs. 3<br />
StPO eröffneten Verlängerung des dinglichen Arrestes um weitere drei Jahre, bekanntermaßen den<br />
Zugriff etwaiger Verletzte auf bereits von der Staatsanwaltschaft vorläufige gesicherte Vermögenswerte<br />
des Arrestbetroffenen im Wege eigener Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu ermöglichen, ist mithin<br />
rechtlich unmöglich geworden.<br />
Es ist daher fraglich, ob im eröffneten Insolvenzverfahren das wirksam begründete (Sicherungs-<br />
)Pfandrecht– weiterhin insolvenzfest – nunmehr auch der Absicherung des noch zu begründenden,<br />
aufschiebend bedingten (im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nachrangigen) Anspruchs des Staates<br />
auf Verfall im Wege des Auffangrechtserwerbs rechtlich zu dienen imstande ist, ohne indes schon zur<br />
Absonderung nach § 50 Abs. 1 InsO zu berechtigen (vgl. oben).<br />
Diese Fragestellung ist – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Literatur bislang<br />
kaum behandelt worden.<br />
Greier 510 , auf den auch in einer Entscheidung des AG Göttingen 511 Bezug genommen wird, vertritt die<br />
Ansicht, dass, sofern Verletzte nicht mehr die Möglichkeit haben, auf seitens der Staatsanwaltschaft<br />
vorläufig gesicherte Vermögenswerte insolvenzfest zuzugreifen, auch die insolvenzfest begründeten,<br />
letztlich sinnentleerten Pfändungspfandrechte freizugeben seien. Insoweit bestehe ein Vorrang des<br />
Insolvenzverfahrens; sei schon der Verletzte einer Straftat im Insolvenzverfahren nicht mehr privilegiert,<br />
erscheine es kaum vertretbar, den Staat gegenüber der Gemeinschaft der Gläubiger als bevorzugt<br />
anzusehen.<br />
Dieser Auffassung folgt im Ergebnis auch von Gleichenstein 512 , wenn er auch die Begründung Greiers<br />
als wenig konturiert und inhaltsleer kritisiert.<br />
In derartigen Fallgestaltungen könnten sich nämlich Staatsanwaltschaft und Gerichte routinemäßig,<br />
wären nun die staatlichen Maßnahmen der Arrestvollziehung weder anfechtbar noch wegen der Rückschlagsperre<br />
des § 88 InsO unwirksam, da rechtzeitig ergriffen, den nach der jetzigen Gesetzeslage<br />
subsidiär immer bestehenden Anspruch auf Verfall von Wertersatz vorsorglich, nämlich für den Fall,<br />
dass Verletzte sich nicht melden, durch Pfandrecht und Sicherungshypothek an Vermögensgegenständen<br />
des Täters sichern und damit, da die Geltendmachung von Ansprüchen von Verletzten die Ausnahme<br />
sei, die Folge der Nachrangigkeit ihrer Forderungen in der Insolvenz regelmäßig umgehen. Ein<br />
echtes Absonderungsrecht sei daher fraglich, zum einen weil es zu unterschiedlichen Ergebnissen bei<br />
Verfall einerseits und bei Verfall von Wertersatz andererseits führen würde, zum anderen, da es der<br />
grundsätzlichen Nachrangigkeit des staatlichen Anspruchs widerspräche.<br />
Der Wertungswiderspruch könne auf zweierlei Wegen aufgelöst werden:<br />
Zunächst mit der Auslegung des § 111i Abs. 5 Nr. 1 StPO, indem sie die Bedingung der Bestimmung<br />
als erfüllt ansehe.<br />
Zum anderen wäre ein Absonderungsrecht des Fiskus jedenfalls im Rang der normalen Absonderungsrechte<br />
der §§ 49 ff. InsO zu verneinen, da es sich bei den infrage stehenden Sicherungsrechten<br />
des Staates um solche handele, die im Wege der Arrestvollziehung erworben worden<br />
seien und deswegen per se kein Recht auf Befriedigung verschaffen, sondern ein solches nur sichern<br />
würden.<br />
509 So i.E. auch von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1159).<br />
510 Greier, ZInsO 2007, 953 ff.<br />
511 AG Göttingen, Beschluss vom 30.11.2010, 74 IN 236/09.<br />
512 Von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1158 ff.).<br />
145
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
Schließlich kommt auch das AG Göttingen 513 zu diesem Auslegungsergebnis, im Wesentlichen unter<br />
Bezugnahme auf die Argumentation Greiers, teilweise aber auch auf Rechtsprechungsnachweise, die<br />
sich indes nur bedingt als stichhaltig erweisen.<br />
Im entschiedenen Fall, der mit der vorliegenden Konstellation vergleichbar ist, ohne dass es zu einer<br />
Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO und einer Verlängerung des Sicherungstitels nach § 111i Abs. 3<br />
StPO gekommen ist 514 , führe der dingliche StPO-Arrest nicht zu einem absoluten Veräußerungsverbot<br />
und dem Entstehen eines insolvenzfesten Absonderungsrechtes. Denn: Die Anordnung sei nicht erfolgt<br />
zur Sicherung der Ansprüche eines bestimmten Verletzten, sondern vielmehr für die „den Verletzten<br />
aus den Straftaten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüchen“. Ein Absonderungsrecht nach § 50<br />
InsO sei daher schon in Ermangelung eines bestimmten begünstigten Gläubigers nicht entstanden.<br />
Markgraf 515 hat sich in seiner Dissertation mit dieser Fallgestaltung nicht befasst, dürfte aber wohl zu<br />
demselben Ergebnis kommen, im Übrigen gestützt auf eine (analoge) Anwendung des § 91 Abs. 1<br />
InsO, mit der sich bereits das OLG Köln auseinander gesetzt hat 516 .<br />
Rönnau 517 wendet sich desgleichen gegen die Konsequenz, dass der Fiskus aufgrund unanfechtbar<br />
erworbener Pfändungspfandrechte bzw. Sicherungshypotheken abgesonderte Befriedigung verlangen<br />
kann. Er begründet dies mit einem Widerspruch gegenüber der Wertung des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO,<br />
ferner mit der sich infolgedessen ergebenden Ungleichbehandlung staatlicher Ansprüche auf Verfall<br />
einerseits und Wertersatzverfall andererseits und schließlich mit dem Umstand, dass es bei der Vermögensabschöpfung<br />
nicht darum gehe, dem Staat Einnahmequellen zu verschaffen.<br />
Jeder mag sich hier eine eigene Meinung bilden. Gleichwohl sind aber einige Anmerkungen<br />
angezeigt.<br />
Den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung<br />
bei Straftaten vom 24.10.2006 518 , In-Kraft-Getreten am 01.01.2007, lässt sich insoweit<br />
nichts entnehmen 519 . Es findet sich dort lediglich der Hinweis, dass Ansprüche von Verletzten i.S.d. §§<br />
73 Abs. 1 Satz 2; 111b Abs. 5 StPO – anders als noch im Gesetzesentwurf vom 03.02.1998 520 - nicht<br />
umfassend, den Anwendungsbereich der §§ 88, 89, 129 ff. InsO insoweit ausklammernd, ausgestaltet<br />
werden sollten 521 .<br />
Im Übrigen stand damals vornehmlich die Problematik im Fokus, durch eine Neugestaltung des § 111i<br />
StPO die nach dem damaligen Recht missliche und von vielen als unbillig empfundene Situation zu<br />
lösen, nach erfolgten Sicherungsmaßnahmen zu Gunsten von Verletzten aus Straftaten gesicherte<br />
Vermögenswerte in Kenntnis der inkriminierten Herkunft der Werte wieder an den Täter oder Teilnehmer<br />
herausgeben zu müssen, da die Verletzten bis zur Rechtskraft des Urteils untätig geblieben<br />
sind und der Ausspruch des Verfalls (von Wertersatz) wegen § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB rechtlich nicht<br />
möglich war.<br />
Die nunmehr im Mantel des Prozessrechts getroffene, im Kern aber als materiell-rechtlich zu bewertende<br />
Lösung erlaubt daher den staatlichen Auffangrechtserwerb von bereits beim Verfalls- oder Einziehungsbetroffenen<br />
gesicherten Vermögenswerten 522 .<br />
Vor diesem Hintergrund indes zu behaupten, Staatsanwaltschaft oder Gerichte könnten derartige Situationen<br />
dazu (aus)nutzen, in der sicheren Erwartung, Verletzte würden untätig bleiben, quasi vorsorglich<br />
über die Vollziehung von dinglichen Arresten – die Formulierung von Greier aufgreifend –<br />
„sinnentleerte“ Pfändungspfandrechte als „Platzhalter“ in Umgehung der Nachrangigkeit der staatlichen<br />
Verfallsansprüche zu begründen, verkennt die rechtlichen Voraussetzungen für derartige Siche-<br />
513<br />
Greier, ZInsO 2007, 953 ff.<br />
514<br />
Vgl. AG Göttingen, AG Göttingen, Beschluss vom 30.11.2010, 74 IN 236/09 Rn. 4 und 21 zitiert nach juris -.<br />
515<br />
Markgraf, Der Grundsatz der par conditio creditorum im Spannungsverhältnis zu der strafprozessualen Vermögensabschöpfung<br />
(Diss.), 2008 S. 181 ff.<br />
516<br />
OLG Köln, Beschluss vom 08.08.2003, 2 Ws 433/03 Rn. 50 – zitiert nach juris -.<br />
517<br />
Rönnau, FS für Achenbach, 2011, 385 (407).<br />
518<br />
BGBl. Teil I 2006 Nr. 49, S. 2350.<br />
519<br />
Vgl. nur BR-Drucks. 940/05; BT-Drucks. 16/700; BT-Drucks. 16/2021.<br />
520<br />
BT-Drucks. 13/9742.<br />
521<br />
BR-Drucks. 940/05, S. 24 ff.; hierzu auch von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1156 ff.).<br />
522 BR-Drucks. 940/05, S. 13.<br />
146
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
rungsmaßnahmen, welche insbesondere ein qualifiziertes Sicherstellungsbedürfnis voraussetzen 523 und<br />
damit auch den Gesetzeszweck der betreffenden Bestimmungen. Diese Argumentation wirkt einseitig<br />
interessengeleitet und unternimmt den zweiten Schritt vor dem ersten, da am Anfang die Entscheidung<br />
über die Sicherungsmaßnahme zu Gunsten von Verletzten und nicht die Begründung eines Pfändungspfandrechts<br />
zur primären Vorbereitung des Auffangrechtserwerbs steht.<br />
So gesehen dürfte auch die vorgeschlagene Auslegung des § 111i Abs. 5 Nr. 1 StPO contra legem<br />
sein. Von Gleichenstein hat insoweit angeregt, die Bestimmung infolge des „Insolvenzbeschlags“ des<br />
gesicherten Vermögens als Verfügung hierüber als erfüllt anzusehen 524 , was aber schon mit dem<br />
Wortlaut nicht mehr in Einklang zu bringen sein dürfte.<br />
Im Übrigen bleibt zu fragen, ob für das Verhältnis zwischen dem i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nachrangigen<br />
staatlichen Wertersatzverfallsanspruch (auch auf Auffangrechtserwerb gem. § 111i Abs. 5<br />
StPO) gegenüber dem Recht auf Absonderung (§§ 49 ff. InsO) bzw. den dieses Recht vorbereitenden<br />
Pfändungsmaßnahmen zur Begründung eines insolvenzfesten Sicherungspfändungspfandrechts im<br />
Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO nichts anders als auch bei den anderen nachrangigen Ansprüchen<br />
nach § 39 InsO (vgl. oben) gelten muss.<br />
Frage:<br />
Wie ist mit nachrangigen Insolvenzforderungen zu verfahren?<br />
So entspricht es gefestigter Rechtsprechungs- und Literaturmeinung, dass auch nachrangige Insolvenzforderungen,<br />
soweit sie durch ein Absonderungsrecht gesichert sind, aus dem Erlös der abgesonderten<br />
Befriedigung vorrangig zu bedienen sind und demnach zur Vorbereitung derselben dem bereits<br />
begründeten Sicherungspfandrecht lediglich der vollziehbare Ausspruch in der Hauptsache, hier die<br />
Feststellung des Auffangrechtserwerbs nach § 111i Abs. 5 und 6 StPO nachfolgen muss.<br />
Die These von Gleichensteins, hierüber würde die Nachrangigkeit des staatlichen Verfallsanspruchs<br />
umgangen, steht damit zumindest im Widerspruch zur herkömmlichen Rechtsprechungs- und Literaturmeinung.<br />
Auch sein zweites, auf den ersten Blick überzeugendes Argument, ein echtes Absonderungsrecht anlässlich<br />
eines vollzogenen StPO-Arrestes würde zu nicht zu rechtfertigenden unterschiedlichen Ergebnissen<br />
bei (Original-)Verfall einerseits und bei Verfall von Wertersatz andererseits führen, erweist sich<br />
bei näherer Betrachtung allenfalls als nur teilweise belastbar.<br />
Dies ist zurückzuführen auf die unterschiedlichen Arten von Vermögen, auf die im Rahmen der Vollziehung<br />
einer Beschlagnahmeanordnung einerseits und eines dinglichen Arrestes andererseits Zugriff<br />
genommen werden kann. Während die Beschlagnahme nach §§ 111b Abs. 1 111c StPO in Verzahnung<br />
mit den §§ 73, 73d Abs. 1, 74, 74a StGB voraussetzt, dass das Original des aus der Tat Erlangten<br />
bzw. dem gleichgestellte Surrogate (§ 73 Abs. 2 StGB) respektive das (Original-)Tatmittel noch vorhanden<br />
sind, erstreckt sich der dingliche Arrest gem. §§ 111b Abs. 2, 111d StPO i.V.m. §§ 73a, 73d<br />
Abs. 2, 74c StGB nur auf das Legalvermögen des Arrestbetroffenen.<br />
Diese Unterscheidung ist indes auch insolvenzrechtlich von nicht unerheblicher Bedeutung.<br />
Denn: Unabhängig davon, dass in der Praxis über 90% der ausgebrachten Sicherungsmaßnahmen auf<br />
einen dinglichen StPO-Arrest gestützt sind, da sich häufig die nach §§ 73, 73d Abs. 1 notwendigen<br />
Feststellungen bezüglich des Originaltaterlöses nicht mehr treffen lassen, haben Verletzte aus Straftaten<br />
in derartigen Fällen, die der Beschlagnahme unterliegen, im Hinblick auf deren bevorrechtigte<br />
dingliche Rechtsposition regelmäßig Aussonderungsrechte nach §§ 47 ff. InsO, infolge dessen sich die<br />
diskutierte Problematik schon nicht stellt 525 .<br />
523<br />
Hierzu nur Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111b Rn. 5 ff.; Lohse, AnwaltKommentar StPO, 2. Auflage<br />
2010, § 111b Rn. 19 ff.<br />
524<br />
Von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1159).<br />
525<br />
So im Übrigen auch von Gleichenstein, ZIP 2008, 1151 (1156) dort unter Fn. 42.<br />
147
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
Zudem: Wo liegt der Unterschied zwischen der nach der überwiegenden Rechtsprechung möglichen<br />
Absicherung originär staatlicher Ansprüche auf Verfall von Wertersatz und – wie vorliegend – der Absicherung<br />
eines dergestalt noch aufschiebend bedingten Anspruchs auf Auffangrechtswerb nach §<br />
111i Abs. 5 StPO?<br />
Konsequent zeigt sich hier Rönnau, der bei beiden Konstellationen die Ablehnung eines Absonderungsrechts<br />
favorisiert.<br />
Überhaupt scheint das Problem einer formaljuristischen Lösung wenig zugänglich zu sein, was m.E.<br />
auch die Entscheidung des Amtsgerichts Göttingen belegt. So ist schon die aufgestellte Behauptung,<br />
mit dem dort verfahrensgegenständlichen dinglichen Arrest seien nicht Ansprüche eines bestimmten<br />
Verletzten, sondern von „Verletzten aus Straftaten“ gesichert worden, weshalb ein insolvenzfestes<br />
Absonderungsrecht nicht entstanden sei, mit dem Sinn und Zweck der Bestimmungen der §§ 50, 80<br />
InsO kaum in Übereinstimmung zu bringen, zumal selbst in den Fällen der Rückgewinnungshilfe zu<br />
Gunsten nur von einem bekannten Verletzten aus nur einer Betrugstat ein Pfändungspfandrecht nicht<br />
zu dessen Gunsten, sondern zu Gunsten der jeweils sichernden Staatsanwaltschaft als Sicherungsgläubigerin<br />
entstehen würde 526 , ein Sicherungspfandrecht ohnehin noch nicht ein Absonderungsrecht<br />
zu begründen imstande ist und durch die spätere Feststellung des Auffangrechtserwerbs nach § 111i<br />
Abs. 5 StPO die Existenz eines bestimmten Gläubigers kaum zweifelhaft sein dürfte.<br />
Schlussendlich geht auch der Verweis des AG Göttingen 527 auf die Entscheidung des OLG Frankfurt<br />
vom 03.06.2009 – für einen Fall vor dem 01.01.2007 – ins Leere. Letzteres hat in der Entscheidung<br />
darauf verwiesen, dass der dingliche Arrest im Wege der Rückgewinnungshilfe gem. §§ 111d, 111g<br />
Abs. 3 StPO lediglich ein relatives Veräußerungsverbot im Sinne des § 136 BGB darstellt 528 . Dies erklärt<br />
sich indes mit dem Wortlaut des § 111g StPO (a.F.) in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung:<br />
Strafprozessordnung<br />
§ 111g<br />
(1) Die Beschlagnahme eines Gegenstandes nach § 111c wirkt nicht gegen eine Verfügung des Verletzten, die<br />
auf Grund eines aus der Straftat erwachsenen Anspruches im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung<br />
erfolgt.<br />
(2) Die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung nach Absatz 1 bedarf der Zulassung durch den Richter, der<br />
für die Beschlagnahme (§ 111c) zuständig ist. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss, der von der Staatsanwaltschaft,<br />
dem Beschuldigten und dem Verletzten mit sofortiger Beschwerde angefochten werden kann. Die<br />
Zulassung ist zu versagen, wenn der Verletzte nicht glaubhaft macht, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen<br />
ist. § 294 der Zivilprozessordnung ist anzuwenden.<br />
(3) Das Veräußerungsverbot nach § 111c Abs. 5 gilt vom Zeitpunkt der Beschlagnahme an auch zugunsten von<br />
Verletzten, die während der Dauer der Beschlagnahme in den beschlagnahmten Gegenstand die Zwangsvollstreckung<br />
betreiben oder den Arrest vollziehen. Die Eintragung des Veräußerungsverbotes im Grundbuch zugunsten<br />
des Staates gilt für die Anwendung des § 892 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches auch als Eintragung<br />
zugunsten solcher Verletzter, die während der Dauer der Beschlagnahme als Begünstigte aus dem Veräußerungsverbot<br />
in das Grundbuch eingetragen werden. Der Nachweis, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen<br />
ist, kann gegenüber dem Grundbuchamt durch Vorlage des Zulassungsbeschlusses geführt werden. Die<br />
Sätze 2 und 3 gelten sinngemäß für das Veräußerungsverbot bei den in § 111c Abs. 4 genannten Schiffen,<br />
Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen. Die Wirksamkeit des Veräußerungsverbotes zugunsten des Verletzten<br />
wird durch die Aufhebung der Beschlagnahme nicht berührt.<br />
(4) Unterliegt der beschlagnahmte Gegenstand aus anderen als den in § 73 Abs. 1 Satz 2 des Strafgesetzbuches<br />
bezeichneten Gründen nicht dem Verfall oder ist die Zulassung zu Unrecht erfolgt, so ist der Verletzte Dritten<br />
zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der ihnen dadurch entsteht, dass das Veräußerungsverbot nach Absatz 3<br />
zu seinen Gunsten gilt.<br />
(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend, wenn der Verfall eines Gegenstandes angeordnet, die Anordnung<br />
aber noch nicht rechtskräftig ist. Sie gelten nicht, wenn der Gegenstand der Einziehung unterliegt.<br />
526 Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111d Rn. 12a.<br />
527 AG Göttingen, Beschluss vom 30.11.2010, 74 IN 236/09 Rn. 20 – zitiert nach juris -.<br />
528 OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.06.2009, 3 Ws 214/09 Rn. 12 – zitiert nach juris -; vgl. hierzu auch BGH,<br />
Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 41/05.<br />
148
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
Demgegenüber lautet der aktuelle § 111g StPO wie folgt:<br />
Strafprozessordnung<br />
§ 111g<br />
(1) Die Beschlagnahme eines Gegenstandes nach § 111c und die Vollziehung des Arrestes nach § 111d wirken<br />
nicht gegen eine Verfügung des Verletzten, die auf Grund eines aus der Straftat erwachsenen Anspruches im<br />
Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung erfolgt.<br />
(2) Die Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung nach Absatz 1 bedarf der Zulassung durch das Gericht, das<br />
für die Anordnung der Beschlagnahme (§ 111c) oder des Arrestes (§ 111d) zuständig ist. Die Entscheidung ergeht<br />
durch Beschluss, der von der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem Verletzten mit sofortiger<br />
Beschwerde angefochten werden kann. Die Zulassung ist zu versagen, wenn der Verletzte nicht glaubhaft<br />
macht, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen ist. § 294 der Zivilprozessordnung ist anzuwenden.<br />
(3) Das Veräußerungsverbot nach § 111c Abs. 5 gilt vom Zeitpunkt der Beschlagnahme an auch zugunsten von<br />
Verletzten, die während der Dauer der Beschlagnahme in den beschlagnahmten Gegenstand die Zwangsvollstreckung<br />
betreiben oder den Arrest vollziehen. Die Eintragung des Veräußerungsverbotes im Grundbuch zugunsten<br />
des Staates gilt für die Anwendung des § 892 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches auch als Eintragung<br />
zugunsten solcher Verletzter, die während der Dauer der Beschlagnahme als Begünstigte aus dem Veräußerungsverbot<br />
in das Grundbuch eingetragen werden. Der Nachweis, dass der Anspruch aus der Straftat erwachsen<br />
ist, kann gegenüber dem Grundbuchamt durch Vorlage des Zulassungsbeschlusses geführt werden. Die<br />
Sätze 2 und 3 gelten sinngemäß für das Veräußerungsverbot bei den in § 111c Abs. 4 genannten Schiffen,<br />
Schiffsbauwerken und Luftfahrzeugen. Die Wirksamkeit des Veräußerungsverbotes zugunsten des Verletzten<br />
wird durch die Aufhebung der Beschlagnahme nicht berührt. Die Sätze 1 und 5 gelten entsprechend für die Wirkung<br />
des Pfandrechts, das durch die Vollziehung eines Arrestes (§ 111d) in das bewegliche Vermögen entstanden<br />
ist.<br />
(4) Unterliegt der Gegenstand, der beschlagnahmt oder aufgrund des Arrestes gepfändet worden ist, aus anderen<br />
als den in § 73 Abs. 1 Satz 2 des Strafgesetzbuches bezeichneten Gründen nicht dem Verfall oder ist die<br />
Zulassung zu Unrecht erfolgt, so ist der Verletzte Dritten zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der ihnen dadurch<br />
entsteht, dass das Veräußerungsverbot nach Absatz 3 zu seinen Gunsten gilt.<br />
(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend, wenn der Verfall eines Gegenstandes angeordnet, die Anordnung<br />
aber noch nicht rechtskräftig ist. Sie gelten nicht, wenn der Gegenstand der Einziehung unterliegt.<br />
Die Unterschiede liegen auf der Hand und erklären sich darüber, dass § 111g StPO (a.F.) entgegen §<br />
111g StPO in der aktuellen Gesetzesfassung vom Wortlaut her bei der Mobiliarvollstreckung nur die<br />
Beschlagnahme nach § 111c StPO und – wohl aufgrund eines redaktionellen Versehens des Gesetzgebers<br />
- nicht auch die Arrestvollziehung erfasst hat, weswegen auch die Frage einer analogen Anwendung<br />
des § 111g StPO bei der Arrestvollziehung höchst umstritten war und deswegen vom Gesetzgeber<br />
im Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten<br />
vom 24.10.2006 entsprechend aufgelöst wurde 529 .<br />
Nunmehr stellt § 111g Abs. 3 Satz 5 StPO (n.F.) klar, dass die Sätze 1 bis 4 entsprechend für die Wirkung<br />
des Pfandrechts, welches durch die Vollziehung eines Arrestes (§ 111d StPO) in das bewegliche<br />
Vermögen entstanden ist, gelten. Damit ist nun nicht gemeint, dass der Arrestvollziehung nur ein relatives<br />
Veräußerungsverbot nachfolgt, sondern dass ein darüber begründetes Sicherungspfandrecht im<br />
Wege einer zeitlichen Rückwirkungsfiktion im Falle der Zulassung zur Zwangsvollstreckung desgleichen<br />
zu Gunsten eines Verletzten gilt.<br />
Schließlich hat bereits der BGH als obiter dictum die besondere Schutzwürdigkeit des Verletzten<br />
nicht nur bei der Einzelvollstreckung, sondern auch und gerade im Insolvenzverfahren über das Vermögen<br />
des Täters postuliert 530 .<br />
Wenn überhaupt wären daher vorliegend normativ motivierte Beschränkungen des Absonderungsrechts<br />
nach § 50 Abs. 1 InsO diskutabel 531 . So verfolgt die Rückgewinnungshilfe im Gewand des seit<br />
dem 01.01.2007 geltenden Verfahrensrechts neben dem originären Zweck eines verstärkten Opferschutzes<br />
- insbesondere auch im Hinblick auf § 111i StPO (n.F.) - das weitere Ziel, bereits gesicherte<br />
Vermögenswerte in Kenntnis ihrer ursprünglich inkriminierten Herkunft an den Beschuldigten oder<br />
529<br />
Vgl. hierzu BR-Drucks. 940/05, S. 12 und S. 23 ff.<br />
530<br />
BGH, Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 41/05 Rn. 18 – zitiert nach juris; hierzu kritisch von Gleichenstein, ZIP<br />
2008, 1151 (1155 und 1157).<br />
531<br />
Vgl. hierzu Ganter, Münchener Kommentar, InsO, 2. Auflage 2007, § 52 Rn. 43a; Rönnau, FS für Achenbach,<br />
2011, 385 (407).<br />
149
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
sonst Betroffenen nicht wieder herausgeben zu müssen. Wenn jedoch Tatverletzte aufgrund § 89<br />
InsO innerhalb der 3-Jahres-Frist des § 111i Abs. 3 StPO ohnehin gehindert sind, ihre Interessen<br />
wahrzunehmen, und demzufolge nur die Möglichkeit haben, ihre Ansprüche im Insolvenzverfahren<br />
anzumelden, so würde die Realisierung eines Absonderungsrechts des Staates dazu führen, die Insolvenzmasse<br />
zu Lasten dieses Personenkreises zu schmälern, der aber durch die staatliche Rückgewinnungshilfe<br />
primär geschützt werden sollte.<br />
Ein auf den ersten Blick widersinniges Ergebnis 532 .<br />
Fraglich bleibt dann, ob Verletzte, die lange Zeit während des Ermittlungs- und Strafverfahrens untätig<br />
geblieben sind, gleichwohl dann noch willens und in der Lage sind, ihre Ansprüche im Insolvenzverfahren<br />
geltend zu machen, was bei Verfahren mit einer Vielzahl von teilweise unbekannten Geschädigten<br />
und relativ kleinen Schadenssummen mehr als nur zweifelhaft ist.<br />
Lösung Fall 34:<br />
Den obigen Ausführungen folgend ist es vertretbar, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
beschlossene Zulassung des C. zur Zwangsvollstreckung nach § 111g<br />
StPO als unschädlich aufzufassen .<br />
Im Übrigen erscheint die Verteidigung gegen die vom Insolvenzverwalter angestrengte<br />
gerichtliche Entscheidung durchaus erfolgsversprechend.<br />
Die weitere Rechtsentwicklung bleibt abzuwarten.<br />
Sollte sich die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung den vorgenannten Literaturmeinungen<br />
anschließen, so wäre dies sicherlich kein Anreiz für die Staatsanwaltschaften, in Ermittlungsverfahren,<br />
in denen Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arrestbetroffenen drohen, überhaupt noch Rückgewinnungshilfe<br />
zu leisten, was andererseits die erhebliche Gefahr in sich birgt, dass etwa Beschuldigte<br />
etc. nach Übergang in die offene Phase der Ermittlungen beginnen könnten, Vermögenswerte beiseitezuschaffen.<br />
532 So auch Greier, ZInsO 2007, 953 ff.<br />
150
Teil IV Spannungsverhältnis zwischen Sicherungsmaßnahmen und eröffnetem Insolvenzverfahren<br />
Zusammenfassung<br />
Staatliche Ansprüche auf Verfall und Einziehung von Wertersatz stellen nachrangige Insolvenzforderungen<br />
gem. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO dar!<br />
Sollten derartige Ansprüche aber über ein Absonderungsrecht nach § 49 InsO gesichert<br />
sein, sind diese aus dem Erlös der abgesonderten Befriedigung vorrangig zu bedienen.<br />
Die Kollisionsproblematik zwischen vollzogenen Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff.<br />
StPO und Insolvenzrecht stellt sich erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens; vorher<br />
sind gesicherte Vermögenswerte nicht freizugeben!<br />
Im Übrigen ist weiter zu differenzieren zwischen Sicherungsart und Sicherungsziel, nämlich<br />
zwischen Beschlagnahme- oder Arrestvollzug und zwischen der Absicherung staatlicher<br />
Ansprüche auf Verfall etc. oder dem Schutz von Verletztenansprüchen.<br />
In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob sich die staatliche Maßnahme als insolvenzfest<br />
i.S. der §§ 88 ff., 129 ff. InsO erweist.<br />
Anschließend sind die Rechtsfolgen von Beschlagnahme- und Arrestvollzug ihren Fortbestand<br />
im Insolvenzverfahren betreffend in den Blick zu nehmen.<br />
Das über eine wirksame Beschlagnahme gem. § 111c Abs. 5 StPO begründete relative<br />
Veräußerungsverbot hat im eröffneten Insolvenzverfahren nach h.M. keine Wirkung (§ 80<br />
Abs. 2 Satz 1 InsO); demgegenüber unterliegen im Wege des Arrestvollzugs begründetes<br />
(Sicherungs-)Pfandrecht oder Hypothek dem Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 Satz 2<br />
InsO und bestehen daher fort.<br />
Das bedeutet Folgendes: Bei der Absicherung originär staatlicher Ansprüche auf Verfall<br />
oder Einziehung hat der Beschlagnahmevollzug im Insolvenzverfahren keine Wirkung;<br />
demgegenüber führen (Sicherungs-)Pfandrecht oder Hypothek, die im Wege des Arrestvollzugs<br />
begründet worden sind, nach h.M. zu einem (aufschiebend bedingten) Absonderungsrecht,<br />
das mit der Rechtskraft des Urteils geltend gemacht werden kann.<br />
Beim Arrestvollzug im Wege der Rückgewinnungshilfe ist umstritten, ob insolvenzfest<br />
vorläufig gesicherte Vermögenswerte auch dann dem Auffangrechtserwerb nach § 111i<br />
Abs. 2 – 7 StPO unterliegen (können), wenn in der Zwischenzeit das eigentliche Rückgewinnungshilfeverfahren<br />
wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtlich unmöglich<br />
geworden ist.<br />
151
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung 533<br />
Die Notwendigkeit effektiver bi- und multilateraler Strafverfolgung sowie (verdeckter) Finanzermittlungen<br />
und Vermögensabschöpfung liegt im Besonderen im Bereich der international organisierten (Wirtschafts-)Kriminalität,<br />
da deren Hauptmotiv im Erzielen von wirtschaftlichem Gewinn liegt 534 .<br />
Das bei der Staatsanwaltschaft Bochum geführte und im Zusammenhang mit weltweit manipulierten<br />
(Fußball-)Wetten stehende Ermittlungsverfahren u.a. gegen Ante Sapina hat genau dies bestätigt.<br />
Sowohl Wetteinsätze als auch mutmaßlich inkriminierte Wetterlöse sind über zahlreiche Banken im<br />
europäischen und asiatischen Raum transferiert worden; das Vermögen der Beschuldigten war dementsprechend<br />
weltweit angelegt und verteilt, so dass rein nationale Finanzermittlungen und Vermögensabschöpfung<br />
eindeutig zu kurz gegriffen hätten.<br />
Bei dergestalt komplexen Verfahren sehen sich die Strafverfolgungsbehörden mit einer Vielzahl von<br />
Schwierigkeiten konfrontiert, die zum einen in taktischen Fragestellungen liegen und zum anderen in<br />
unterschiedlichen Rechts- und Rechtshilfesystemen und damit einhergehend divergierenden Begrifflichkeiten<br />
begründet sind.<br />
Frage:<br />
Über welchen Maßnahmenkatalog sollte der europäische Rechtshilfeverkehr insbesondere<br />
bei der internationalen Vermögensabschöpfung verbessert werden?<br />
Vor diesem Hintergrund verfolgen die europäischen Gremien insbesondere seit der Sondertagung des<br />
Europäischen Rates im finnischen Tampere das Ziel, den europäischen Rechtshilfeverkehr über bestimmte<br />
einheitliche Standards zu verbessern 535 . Dazu zählen<br />
der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen<br />
der Grundsatz der gegenseitigen Verfügbarkeit (von Informationen).<br />
Diese Begrifflichkeiten sind allerdings irreführend. Sie bedeuten nicht, dass beispielsweise bei einem in<br />
Deutschland eingehenden Rechtshilfeersuchen um Vollstreckung einer ausländischen Verfallsentscheidung<br />
im Rahmen der Exequaturentscheidung das Anerkenntnis ohne jede Prüfung in einen deutschen<br />
Titel umgesetzt und anschließend vollzogen würde. Vielmehr entfällt in bestimmten Bereichen lediglich<br />
das Erfordernis der Beiderseitigkeit der Strafbarkeit als historisch gewachsene Ausprägung des Gegenseitigkeitsprinzips<br />
536 .<br />
Grundsätzlich hängen im herkömmlichen Rechtshilfeverkehr insbesondere Auslieferung<br />
(vgl. § 3 Abs. 1 IRG) und Vollstreckungshilfe (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG) davon ab, dass<br />
die Tat nach dem Recht beider Staaten strafbar und aktuell noch verfolgbar ist 537 . Hierfür<br />
genügt es, wenn die Tat „bei sinngemäßer Umstellung“ des Sachverhalts den Anforderungen<br />
des Rechts des ersuchten Staats entspricht 538 .<br />
533<br />
Die nachfolgende Darstellung ist angelehnt an einen Vortrag zum Thema „Internationale Vermögensabschöpfung“,<br />
den der Verfasser im Rahmen der einmal im Jahr stattfindenden gemeinsamen Herbsttagung von Polizei<br />
und Justiz „Finanzermittlungen – Neuerungen, Polizei und Justiz“ am 16. November 2011 in der <strong>Justizakademie</strong><br />
NRW in Recklinghausen gehalten hat.<br />
534<br />
Vgl. Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, Rn. 238 ff.<br />
535<br />
Vgl. hierzu auch Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5.<br />
Auflage 2011, HT Einführung Rn. 53-57.<br />
536<br />
Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, Rn. 25.<br />
537<br />
Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, Rn. 25.<br />
538<br />
Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, Rn. 26; Schomburg/Hackner,<br />
Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011,<br />
§ 49 IRG Rn. 8 ff.<br />
152
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Bei der sonstigen „kleinen“ Rechtshilfe spielt der Grundsatz dagegen nur noch eine untergeordnete<br />
Rolle und kommt lediglich bei Ersuchen um Herausgabe von Gegenständen zum Tragen (vgl. § 66<br />
Abs. 2 Nr. 1 IRG).<br />
Das erste Rechtsinstrument, das eine Durchbrechung des Erfordernisses der Beiderseitigkeit der<br />
Strafbarkeit hin zum Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen beinhaltete,<br />
lag im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vom 13. Juni 2002, 2002/584/JI,<br />
welcher per Gesetz vom 20. Juli 2006 (BGBl. 2006 I S. 1721) in nationales Recht umgesetzt wurde<br />
(vgl. §§ 80 ff. und insbesondere 81 Nr. 4 IRG). Es folgten weitere Rahmenbeschlüsse u.a. zur internationalen<br />
Vermögensabschöpfung, welche sich an der Struktur des Rahmenbeschlusses über den<br />
Europäischen Haftbefehl orientiert haben.<br />
Schließlich hat die Bundesregierung am 17.03.2011 (BT-Drucks. 17/5096) einen Gesetzentwurf vorgelegt,<br />
mit dem der Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung<br />
des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden<br />
der Mitgliedstaaten der Europäischen Union umgesetzt werden soll.<br />
Jener Rahmenbeschluss, der auf eine Initiative Schwedens zurückgeht, ist der erste vom<br />
Rat verabschiedete Rechtsakt zur Umsetzung des sogenannten Grundsatzes der Verfügbarkeit.<br />
Er besagt, dass unionsweit in einem Mitgliedstaat Strafverfolgungsbeamtinnen<br />
und –beamte, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben Informationen benötigen, diese aus einem<br />
anderen Mitgliedstaat erhalten können und dass die Strafverfolgungsbehörde des<br />
anderen Mitgliedstaats, die über diese Informationen verfügt, sie – unter Berücksichtigung<br />
des Erfordernisses in diesem Staat anhängiger Ermittlungen – für den erklärten Zweck bereitstellt<br />
539 .<br />
539 BT-Drucks. 17/5096, S. 14.<br />
153
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
13. Rechtshilfe in Strafsachen<br />
Um sich der justiziellen Rechtshilfe im Zusammenhang mit internationalen/er Finanzermittlungen und<br />
Vermögensabschöpfung zu nähern, ist es zunächst notwendig, sich mit den wichtigsten Grundprinzipien<br />
des strafrechtlichen Rechtshilfeverkehrs zu befassen. Das gilt insbesondere für die Implementierungstechnik<br />
der diesbezüglichen Rahmenbeschlüsse des Europäischen Rates in das IRG selbst, die<br />
von Lagodny als „gesetzestechnische Unzumutbarkeit“ oder an anderer Stelle als „kafkaesk“ bezeichnet<br />
werden 540 .<br />
Gemäß § 1 Abs. 1 IRG richtet sich der (vertraglose) Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen<br />
Angelegenheiten 541 (vgl. auch § 1 Abs. 2 IRG) grundsätzlich nach eben diesem Gesetz.<br />
Ihm obliegen traditionell drei Gebiete:<br />
3. Auslieferung<br />
4. Vollstreckungshilfe und<br />
5. sonstige („kleine“) Rechtshilfe.<br />
Relevant für die Vermögensabschöpfung sind nur die beiden zuletzt genannten Bereiche der Rechtshilfe.<br />
Demgemäß fallen internationale Finanzermittlungen und vorläufige Sicherungsmaßnahmen i.S.d.<br />
§§ 111b ff. StPO grundsätzlich in den Bereich der sonstigen Rechtshilfe respektive die internationale<br />
Vollstreckung von Verfalls- und Einziehungsentscheidungen in den Bereich der Vollstreckungshilfe,<br />
wobei zur Absicherung eines solchen (ausländischen) Vollstreckungstitels bereits im Vorfeld Sicherungsmaßnahmen<br />
als zulässig anzusehen sind (vgl. §§ 58 Abs. 3, 89 IRG).<br />
Der in § 1 Abs. 1 und 2 IRG bezeichnete Grundsatz erfährt über die Bestimmung des § 1 Abs. 3 IRG<br />
jedoch eine wesentliche Einschränkung. Danach gehen Regelungen in völkerrechtlichen (bi- oder multilateralen)<br />
Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht als lex specialis<br />
geworden sind, den Vorschriften des IRG vor. Für die Praxis bedeutet dies, dass in jedem Fall geprüft<br />
werden muss, ob eine solch vorrangige Spezialregelung existiert 542 .<br />
Eine Rückausnahme davon ist in § 1 Abs. 4 IRG enthalten.<br />
Soweit es um Unterstützung bei einem Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit mit einem<br />
Mitgliedstaat der Europäischen Union geht, richtet sich die Rechtshilfe nach dem IRG.<br />
Eine allgemeine quasi vor die Klammer gezogene Grenze der Rechtshilfe ergibt sich schließlich aus<br />
dem in § 73 IRG normierten „ordre public“-Vorbehalt: Danach ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig,<br />
wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung respektive den in Artikel 6<br />
des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen zuwiderlaufen würde.<br />
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird verwiesen auf die ausführliche Darstellung in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner<br />
543 .<br />
540 Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 1<br />
IRG Rn. 31.<br />
541 Zur Begrifflichkeit: Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5.<br />
Auflage 2011, § 1 IRG Rn. 2.<br />
542 Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 1<br />
IRG Rn. 7.<br />
543 Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, HT<br />
Einführung.<br />
154
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
14. Institutionelle Unterstützung<br />
Im Bereich der internationalen Vermögensabschöpfung ist institutionelle Unterstützung fast „überlebensnotwendig“.<br />
Dabei geht es nicht nur darum, Informationen zu den diesbezüglichen Rechtssystemen oder dem Ratifizierungsstand<br />
der maßgeblichen internationalen Übereinkommen der ausländischen Staaten zu erhalten,<br />
sondern darüber hinaus um die Durchführung von Finanzermittlungen und vorläufigen Sicherungsmaßnahmen<br />
auf der Basis von belastbaren Auslandskontakten und justiziellen Arbeitsplattformen<br />
wie etwa Eurojust oder einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe i.S.d. §§ 61b, 93 IRG.<br />
Der Rahmen würde gesprengt, die einzelnen Institutionen und ihre Aufgabenbereiche im Einzelnen<br />
darstellen zu wollen.<br />
Daher beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Aufzählung der wichtigsten nationalen<br />
sowie internationalen Einrichtungen:<br />
Bundesamt für Justiz, Referat III 1:<br />
Auslieferung; Vollstreckungs- und Rechtshilfe in Strafsachen; nationale Stelle des Europäischen<br />
Justiziellen Netzwerks (EJN); Sitz des nationalen Asset Recovery Office (ARO)<br />
Bundeskriminalamt (BKA), SO 32 und SO 35:<br />
Sitz der nationalen Financial Intelligent Unit (FIU) und Sitz des nationalen Asset Recovery Office<br />
(ARO); Verbindungsbeamte des BKA im (europäischen) Ausland<br />
Landeskriminalämter<br />
Eurojust<br />
Europol<br />
OLAF<br />
Ausländische ARO’s und FIU’s<br />
Ausländische EJN-Einheiten<br />
CARIN (Camden Asset Recovery Interagency-Network)<br />
155
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
15. Wichtige internationale Gesetzesquellen<br />
Die folgenden Gesetzesquellen, die teilweise direkt oder im Wege der Transformation in das IRG nationales<br />
Recht geworden sind und dementsprechend unter § 1 Abs. 3 oder § 1 Abs. 4 IRG fallen, sind<br />
nicht nur für Rechtshilfe im Allgemeinen, sondern auch für internationale Vermögensabschöpfung von<br />
Bedeutung.<br />
Auch hier beschränkt sich die Darstellung im Wesentlichen auf eine mehr numerische Auflistung.<br />
15.1 Bi- und multilaterale Übereinkommen im Sinne des § 1 Abs. 3 IRG<br />
Europäisches Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen – EuRhÜbk<br />
– (BGBl. 1976 II S. 1799) und dessen Zusatzprotokolle vom 17. März 1978 und vom 08. November<br />
2001<br />
Schengener Übereinkommen (SÜ) vom 14. Juni 1985 (GMBl. 1986 S. 79 ff.) und Schengener<br />
Durchführungsübereinkommen (SDÜ) vom 19. Juni 1990 (BGBl. II 1993 S. 1013 ff.)<br />
Im SDÜ sind unter dem Titel III „Polizei und Sicherheit“ sowohl Regeln zur polizeilichen Zusammenarbeit<br />
insbesondere zum Informationsaustausch (Artikel 39 ff. SDÜ) als auch zum Rechtshilfeverkehr in<br />
Strafsachen (Artikel 48 ff. SDÜ) enthalten.<br />
Artikel 39 SDÜ stellt bei der polizeilichen Zusammenarbeit die Generalklausel dar, die eine umfassende<br />
Verpflichtung der Polizeidienste zur gegenseitigen Hilfeleistung bei der präventiven Bekämpfung und<br />
der Verfolgung von Straftaten nach Maßgabe des nationalen Rechts statuiert. Im Kreise der Vertrags-<br />
und assoziierten Staaten sind daher auch gegenseitige Finanzermittlungen möglich, soweit hierfür kein<br />
Erledigungsvorbehalt der Justizbehörden besteht und keine Zwangsmaßnahmen erforderlich sind (Artikel<br />
39 Abs. 1 SDÜ).<br />
Im Übrigen dürfen schriftliche Auskünfte der ersuchten Partei als Beweismittel in einem justiziellen<br />
Ermittlungsverfahren des ersuchenden Staates nur dann verwertet werden, wenn die zuständige Justizbehörde<br />
des ersuchten Landes dem zustimmt; insoweit besteht ein justizieller Zustimmungsvorbehalt<br />
(Artikel 39 Abs. 2 SDÜ). Weiter ist auch hier der ordre public - Vorbehalt (§ 73 Satz 1 IRG) zu<br />
beachten.<br />
Neben dem Vertrag von Prüm vom 27. Mai 2005 - „Vertrag über die Vertiefung der grenzüberschreitenden<br />
Zusammenarbeit, insbesondere bei der Bekämpfung von Terrorismus, der grenzüberschreitenden<br />
Kriminalität und illegalen Migration“ (BGBl. 2006 II S. 626) - und dem diesen Vertrag weitgehend<br />
in Unionsrecht überführenden Beschluss 2008/615/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der<br />
grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung von Terrorismus und der<br />
grenzüberschreitenden Kriminalität (Abl. L 210 vom 06.08.2008 S. 1) soll der Rahmenbeschluss<br />
2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen<br />
und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen<br />
Union Artikel 39 SDÜ abschaffen.<br />
Zentral ist dabei das in Artikel 3 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses verankerte Gebot, ein<br />
Auskunftsersuchen einer Behörde eines Mitgliedstaates nicht anders zu behandeln als das<br />
einer innerstaatlichen Behörde (Diskriminierungsverbot) 544 .<br />
Daher darf die Übermittlung der erbetenen Informationen auch nur dann von einer justiziellen Entscheidung<br />
abhängig gemacht werden, wenn dies dergestalt für den Informationsaustausch im Inland<br />
ebenfalls vorgesehen ist 545 .<br />
Die in Artikel 48 ff. SDÜ enthaltenen Bestimmungen ergänzen das EuRhÜbk.<br />
Von besonderer Relevanz sind Artikel 51 Buchstabe a SDÜ, der am Erfordernis der Beiderseitigkeit der<br />
Strafbarkeit i.S.d. Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a EuRhÜbk allerdings mit gewissen Einschränkungen<br />
festhält, und § 53 Abs. 1 SDÜ, der den Rechtshilfeverkehr unmittelbar zwischen den Justizbehörden,<br />
also beispielsweise zwischen den Staatsanwaltschaften Bochum und Mailand erlaubt.<br />
Weitere relevante Übereinkommen i.S.d. § 1 Abs. 3 IRG sind nachfolgend:<br />
Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988 gegen den unerlaubten Verkehr<br />
mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (BGBl. 1993 II S. 1137):<br />
544 Keber/Trautmann, Kriminalistik 2011, 355 (358).<br />
545 Keber/Trautmann, Kriminalistik 2011, 355 (358).<br />
156
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Die Bestimmung in Article 5 „confiscation“ hat zur Neugestaltung der §§ 48 ff. IRG dergestalt geführt,<br />
dass Vollstreckungshilfe nunmehr auch in Bezug auf ausländische Verfalls- und Einziehungsentscheidungen<br />
möglich ist.<br />
Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen<br />
Union vom 29. Mai 2000 (BGBl. 2005 II S. 650)<br />
Übereinkommen des Europarats (Nr. 141) vom 08. November 1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung,<br />
Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (BGBl. 1998 II S. 519) –<br />
EuGeldwäscheÜbk –<br />
Übereinkommen des Europarats (Nr. 198) vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung<br />
sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (in<br />
Deutschland noch nicht ratifiziert)<br />
157
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
15.2 Wichtige (Rahmen-)Beschlüsse des Europäischen Rates<br />
2001/500/JHA vom 26. Juni 2001 (Geldwäscheübereinkommen)<br />
2003/577/JI vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung<br />
von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der EU (Rb „Sicherstellung“)<br />
2005/212/JI vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen<br />
Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten (Rb „Einziehung“)<br />
2005/214/JI vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen<br />
Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen<br />
2006/783/JI vom 06. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen<br />
Anerkennung von Einziehungsentscheidungen (Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“)<br />
2006/960/JI vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen<br />
und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen<br />
Union<br />
2007/845/JI vom 06. Dezember 2007 (Stichwort: Asset Recovery Offices)<br />
2008/615/JI und 2008/616/JI vom 23. Juni 2008 (Stichwort: Prüm-Beschlüsse)<br />
2009/299/JHA vom 26. Februar 2009 (Stichwort: Behandlung von Abwesenheitsentscheidungen)<br />
158
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
16. Für die internationale Vermögensabschöpfung bedeutsame<br />
(Rahmen-) Beschlüsse<br />
Die nachfolgende Darstellung orientiert sich vorwiegend an den Rahmenbeschlüssen 2003/577/JI vom<br />
22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen<br />
oder Beweismitteln in der EU (Rb „Sicherstellung“) sowie 2006/783/JI vom 06. Oktober<br />
2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Einziehungsentscheidungen<br />
(Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“), welche beide in das IRG implementiert worden sind.<br />
Der Rahmenbeschluss 2005/212/JI vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen<br />
und Vermögensgegenständen aus Straftaten (Rb „Einziehung“) bedurfte hingegen keiner weiteren<br />
Umsetzung, da die Bestimmungen des nationalen materiellen Rechts dessen Vorgaben entsprechen<br />
und daher kein darüber hinausgehender Gesetzesbedarf bestand.<br />
Die Rahmenbeschlüsse „Sicherstellung“ und „Einziehung Gegenseitigkeit“ sind sowohl für eingehende<br />
ausländische Rechtshilfeersuchen als auch um umgekehrt für ausgehende Ersuchen an ein Mitgliedstaat<br />
der Europäischen Union um vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO sowie die<br />
Vollstreckung von Verfalls- und Einziehungsentscheidungen von Relevanz.<br />
Eine Übersicht zum Stand der Ratifizierung der beiden Rahmenbeschlüsse innerhalb der EU kann der<br />
Internetseite des Bundesamts für Justiz entnommen werden.<br />
Erfasst sind darin alle Arten des Verfalls und der Einziehung im Sinne der §§ 73 ff., 74 ff. StGB.<br />
Dies ergibt sich aus der in den Rahmenbeschlüssen „Sicherstellung“ (vgl. Artikel 2) und „Einziehung<br />
Gegenseitigkeit“ (vgl. Artikel 2) jeweils weit gefassten Definition des Begriffs „Vermögensgegenstand“.<br />
Wesentliche Grundprinzipien der Rb’e „Sicherstellung“ und „Einziehung Gegenseitigkeit“<br />
Beide Rahmenbeschlüsse sind in das IRG implementiert worden, der Rb „Sicherstellung“ durch Gesetz<br />
vom 06. Juni 2008 (BGBl. I. 2008 Nr. 23 S. 995) und der Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ durch Gesetz<br />
vom 08.10.2009 (BGBl. I 2009 Nr. 66 S. 3214).<br />
Um die im Neunten Teil des IRG „Vollstreckungshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen<br />
Union“ im Abschnitt 3 „Einziehung und Verfall“ mit den §§ 88 ff. IRG und ferner die im Zehnten Teil<br />
dieses Gesetzes „Sonstiger Rechtshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ mit<br />
den §§ 91 ff. IRG eingefügten Bestimmungen bei isolierter Betrachtung und insbesondere in ihrer<br />
Wechselwirkung zum Vierten und Fünften Teil des IRG verstehen zu können, sind nicht nur profunde<br />
Kenntnisse der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und der Vermögensabschöpfung, sondern<br />
daneben auch der Rahmenbeschlüsse selbst und der diese implementierenden nationalen Gesetzesmaterialien<br />
notwendig 546 .<br />
Nicht umsonst spricht in diesem Zusammenhang Lagodny von einem Konstrukt von Ausnahmen, Unterausnahmen,<br />
Gegenausnahmen, Verweisungen, Rückverweisungen und mehrfachen Rückrückverweisungen,<br />
was die Grenze des rechtsstaatlich Tolerablen erreicht hat 547 .<br />
Die Rahmenbeschlüsse „Sicherstellung“ und „Einziehung Gegenseitigkeit“ stehen - wie auch alle anderen<br />
Rahmenbeschlüsse - unter dem Vorbehalt des europäischen „ordre public“, der innerstaatlich in §<br />
73 IRG Ausdruck findet.<br />
Zentral ist der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen, wie<br />
er erstmals im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl zur Anwendung gekommen<br />
ist.<br />
Dieser Grundsatz gilt quasi als Herzstück der Rahmenbeschlüsse. Er ist beschrieben in der Präambel<br />
unter Absatz 4 und in Artikel 1, Artikel 3 Abs. 2 und Artikel 5 des Rb „Sicherstellung“ und in der<br />
Präambel unter Absatz 4 und Absatz 9 und in Artikel 1, Artikel 6 Abs. 1 und Artikel 7 Abs. 1 des Rb<br />
„Einziehung Gegenseitigkeit“.<br />
546 Vgl. insoweit BT-Drucks. 16/6563 und BR-Drucks. 553/07 bzgl. des Rb „Sicherstellung“ und BT-Drucks.<br />
16/12320 und BR-Drucks. 67/09 bzgl. des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“.<br />
547 Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />
2011, § 1 IRG Rn. 31.<br />
159
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Zur normtechnischen Umsetzung dieses Grundsatzes hat sich der Europäische Rat für die sogenannte<br />
„Listendeliktslösung“ entschieden, die strukturell etwa mit dem Katalogtatensystem in der StPO bei<br />
besonders eingriffsintensiven strafprozessualen Maßnahmen (vgl. etwa § 100a StPO) vergleichbar ist.<br />
Bei Vorliegen bestimmter besonders schwerwiegender (Listen-)Delikte, wie etwa Beteiligung an einer<br />
kriminellen Vereinigung, Terrorismus, Menschenhandel, illegaler Handel mit Drogen, illegaler Waffenhandel,<br />
Korruption, Betrug, Geldwäsche etc., die im Entscheidungsstaat mit einer Freiheitsstrafe im<br />
Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sein müssen, führt die (ausländische) Verfalls- und<br />
Einziehungsentscheidung bzw. die vorläufige ausländische Sicherstellungsentscheidung auch ohne<br />
Überprüfung des Vorliegens beiderseitiger Strafbarkeit der Handlungen zu deren Anerkennung und zu<br />
einer zeitnahen Vollstreckung.<br />
Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen Entscheidungen entsprechen daher dem Regel-<br />
und die Ablehnung dem Ausnahmefall.<br />
Die Prüfung der beiderseitigen Voraussetzungen der §§ 73 ff., 74 StGB, welche vom Erfordernis der<br />
Beiderseitigkeit der Strafbarkeit gedanklich zu trennen ist, ist dagegen obligatorisch 548 .<br />
Weitere wichtige Grundprinzipien der beiden Rahmenbeschlüsse sind:<br />
Definition von einheitlichen Begrifflichkeiten, die nicht in allen Fällen mit denen des deutschen<br />
Rechts übereinstimmen 549<br />
Direkter und unmittelbarer Geschäftsweg<br />
Möglichkeit des Vollstreckungsaufschubs<br />
Rechtsmittelgarantien<br />
Frage:<br />
Welche fakalutativen Ablehnungsgründe sehen die beiden Rahmenbeschlüsse „Sicherstellung“<br />
und „Einziehung Gegenseitigkeit“ vor und worin liegt insoweit die Leitidee<br />
des Normgebers?<br />
Die Rahmenbeschlüsse sehen allerdings auch verschiedene fakultative Ablehnungsgründe vor, bei<br />
deren Vorliegen vom Grundsatz der Anerkennung und Vollstreckung abgewichen werden kann (vgl.<br />
Artikel 7 Rb „Sicherstellung“ und Artikel 8 Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“).<br />
Die wichtigsten fakultativen Ablehnungsgründe, die beiden Rahmenbeschlüssen gemein sind, stellen<br />
sich wie folgt dar:<br />
kein Listendelikt<br />
ne bis in idem (Artikel 103 Abs. 3 GG; Artikel 54 SDÜ)<br />
Vollstreckungsverjährung<br />
Abwesenheitsentscheidungen<br />
Vorliegen bestimmter Inlandstaten<br />
Unzureichende oder unvollständige Bescheinigung<br />
Ferner bedarf es der Einhaltung bestimmter verfahrensrechtlicher Vorgaben.<br />
So sind Sicherstellungs- bzw. Verfalls- und Einziehungsentscheidungen auf dem unmittelbaren Geschäftsweg<br />
zusammen mit einer von der jeweils im ersuchenden Staat (= Entscheidungsstaat) zuständigen<br />
Behörde auszufüllenden Bescheinigung im Sinne der Artikel 9 Rb „Sicherstellung“ und 4 Rb<br />
„Einziehung Gegenseitigkeit“ an die zuständige Behörde im ersuchten Staat (= Vollstreckungsstaat) zu<br />
übersenden.<br />
548 BR-Drucks. 67/09, S. 44 ff.<br />
549 So erfasst der Begriff „confiscation order“ (=(Einziehungs-)Entscheidung) nicht nur die Einziehung, sondern<br />
jede auf §§ 73 ff., 74 ff. StGB gestützte Sanktion (vgl. hierzu auch Art. 11 Abs. 1 EuGeldwäscheÜbk).<br />
160
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Die Bescheinigungen sind den Rahmenbeschlüssen als Anlagen beigefügt und können als beschreibbare<br />
Word- oder pdf.-Dateien von der Internetseite des Bundesamtes für Justiz heruntergeladen werden<br />
resp. sind im Programm „AbschöpferArchiv“ in allen EU-Sprachen enthalten.<br />
161
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
17. Internationale Vermögensabschöpfung nach dem IRG bzw.<br />
bi- und multilateralen Übereinkommen i.S.d. § 1 Abs. 3 IRG<br />
17.1 (Verdeckte) Finanzermittlungen im Rahmen der Sonstigen Rechtshilfe<br />
In Deutschland gehört es mittlerweile zum Standardrepertoire, bei vermögensbezogenen und gewinnorientierten<br />
Straftaten neben den eigentlichen Sachermittlungen auch (verdeckte) Finanzermittlungen<br />
durchzuführen, um zum einen die notwendigen tatsächlichen Grundlagen, die u.a. zur Subsumtion<br />
unter das maßgebliche materielle Recht (§§ 73 ff., 74 ff. StGB) erforderlich sind, und zum anderen die<br />
Vermögenssituation potentiell betroffener Täter und Dritter aufzuklären.<br />
Neben Artikel 39 SDÜ und verschiedenen bilateralen Polizeiverträgen zwischen Deutschland und seinen<br />
Nachbarländern bestehen auf der Grundlage des Vertrags von Prüm vom 27. Mai 2005 (vgl.<br />
oben), der es u.a. erlaubt, auf DNA-Profile und Fingerabdrücke im sogenannten hit/no-hit Verfahren<br />
und ferner auf Eigentümer- und Halterdaten von Kraftfahrzeugen Zugriff zu nehmen, sowie schließlich<br />
von zentralen Informationssystemen (EUCARIS und EUROPOL-Informationssysteme) verschiedene<br />
Möglichkeiten des (polizeilichen) Informationsaustauschs 550 .<br />
Sofern derartige Erkenntnisse jedoch verwertbar in ein Ermittlungs- und Strafverfahren eingeführt<br />
werden sollen, sind zwei Vorbehalte zu beachten.<br />
1. Sind im Rahmen der Informationsgewinnung Zwangsmaßnahmen erforderlich, so ist ein<br />
Ersuchen auf Grundlage polizeilicher Amtshilfe unzulässig<br />
2. Gleiches gilt für den Fall, dass die jeweilige Erledigung ohnehin der Justiz vorbehalten ist<br />
(vgl. Artikel 39 Abs. 1 SDÜ).<br />
Aber auch sonst ist im Regelfall die Bewilligung der Verwertung gewonnener Erkenntnisse durch die<br />
zuständige Justizbehörde im ersuchten Staat erforderlich (Artikel 39 Abs. 2 SDÜ).<br />
Viele Staatsanwaltschaften sind daher dazu übergegangen, von Beginn an über ein justizielles<br />
Ersuchen vorzugehen.<br />
Des Weiteren gilt es zu berücksichtigen, dass die nationalen Auskunftssysteme in Bezug auf die vermögensrelevanten<br />
Daten unterschiedlich ausgestaltet sind. So besteht in den meisten EU-Staaten –<br />
anders als in Deutschland – nicht die Möglichkeit, etwa Datenbestände i.S.d. § 24c KWG differenziert<br />
nach Kontoinhaber sowie Verfügungs- und wirtschaftlich Berechtigtem abzurufen.<br />
Bei notwendig werdenden justiziellen Ersuchen, beispielsweise um Durchsuchung und Beschlagnahme<br />
von Beweismitteln, sind § 67 IRG bei eingehenden Ersuchen und Nr. 114 ff. RiVASt bei ausgehenden<br />
Ersuchen zu beachten.<br />
550 Vgl. Keber/Trautmann, Kriminalistik 2011, 355 (356 ff.).<br />
162
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
17.2 Vermögensabschöpfung i.e.S.<br />
Die nachfolgende Darstellung orientiert sich zunächst an den Regelungen im IRG, insbesondere im<br />
Hinblick auf eingehende Rechtshilfeersuchen.<br />
Im Bereich der Vollstreckungshilfe sind zwei Ebenen zu unterscheiden:<br />
1. Die Vollstreckung ausländischer Verfalls- und Einziehungsentscheidungen, im Rahmen der<br />
EU gemäß §§ 1 Abs. 4, 88 ff. IRG 551 , ansonsten nach §§ 48 ff. IRG.<br />
2. Zur Absicherung bzw. Vorbereitung derartiger Ersuchen können allerdings parallel oder<br />
sogar schon im Vorfeld auf Antrag hin Sicherungsmaßnahmen ausgebracht werden (vgl. §<br />
89 IRG für den Rechtshilfeverkehr mit den Mitgliedstaten der EU und § 58 Abs. 3 IRG in<br />
den sonstigen Fällen).<br />
Bei der sonstigen Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten der EU sieht § 94 IRG unter Anwendung<br />
der §§ 58 Abs. 3 und 67 IRG die Vollziehung von Titeln nach §§ 111b ff. StPO vor.<br />
Im Fünften Teil des IRG ist dies nach §§ 66, 67 IRG auch für den (vertragslosen) Rechtshilfeverkehr<br />
außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 4 IRG statthaft, wobei § 66 IRG vom Wortlaut her<br />
die Herausgabe von Positionen aus dem Legalvermögen nicht erfasst 552 und somit der Vollzug dinglicher<br />
Arreste ausscheidet.<br />
17.2.1 Herausgabe von Gegenständen und vorläufige Sicherungsmaßnahmen i.S.d. §§<br />
111b ff. StPO im Rahmen der Sonstigen Rechtshilfe bei eingehenden Ersuchen<br />
I (Vertragsloser) Rechtshilfeverkehr nach §§ 66, 67 IRG<br />
Die §§ 66, 67 IRG kommen uneingeschränkt im vertragslosen Rechtshilfeverkehr zur Anwendung,<br />
beanspruchen aber neben bi- und multilateralen Abkommen wie etwa dem EuRhÜbk und dem Eu-<br />
GeldwäscheÜbk auch (subsidiäre) Geltung 553 .<br />
Wichtig in diesem Zusammenhang sind insbesondere die in Artikel 18 EuGeldwäscheÜbk zusammengefassten<br />
fakultativen Ablehnungsgründe u.a. auch für vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach Artikel<br />
11 EuGeldwäscheÜbk.<br />
Fall 35:<br />
Die französischen Behörden ermitteln u.a. gegen den flüchtigen E. wegen des Verdachts<br />
des internationalen BtM-Handels. Die dort geführten Ermittlungen haben ergeben,<br />
dass die Tätergruppe die Erlöse aus ihren Verkäufen weltweit angelegt hat, so<br />
u.a. auch auf einem Konto des E. bei der Commerzbank Düsseldorf. Im Wege der<br />
Rechtshilfe bittet das zuständige französische Gericht um „Einfrieren“ der Buchgelder<br />
auf dem betreffenden Konto und um Herausgabe sowohl der E. betreffenden Kontounterlagen<br />
als auch der beschlagnahmten Gelder.<br />
a. § 66 Abs. 1 Nr. 1 – 4 IRG<br />
Nach § 66 IRG kommt die Herausgabe von Gegenständen fakultativ in Betracht, sofern<br />
diesen entweder Beweismittelbedeutung zukommt (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 IRG) oder aber sie<br />
dem Anwendungsbereich der §§ 73 Abs. 1 und 2, 74, 74a StGB unterfallen (§ 66 Abs. 1<br />
Nr. 2 – 4 IRG), wobei zum Kreis der „Betroffenen“ und „Beteiligten“ i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr.<br />
2 – 4 IRG (Mit-)Täter, Anstifter und Gehilfen zu zählen sind 554 .<br />
Die Fälle des Verfalls bzw. der Einziehung von Wertersatz nach §§ 73a, 74c StGB sind hingegen nicht<br />
erfasst 555 .<br />
551<br />
In diesen Bereich fällt auch die Vollstreckung von Geldbußen (§§ 86 ff. IRG), da diesen auch eine Gewinnabschöpfungsfunktion<br />
zukommt (vgl. § 17 Abs. 4 OWiG).<br />
552<br />
Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, 5. Kapitel Grenzüberschreitende<br />
Vermögensabschöpfung Rn. 240.<br />
553<br />
Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 504 ff.<br />
554<br />
Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 17.<br />
555 BT-Drucks. 16/6563, S. 13 ff.<br />
163
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Weitere Grenzen werden dem Anwendungsbereich des § 66 Abs. 1 Nr. 2 – 4 IRG über die Regelung<br />
des § 59 Abs. 3 IRG gesetzt, wonach (sonstige) Rechtshilfe nur geleistet werden darf, wenn die Voraussetzungen<br />
vorliegen, unter denen deutsche Gerichte oder Behörden einander in entsprechenden<br />
Fällen Rechtshilfe leisten können 556 .<br />
Bezieht sich das Herausgabeersuchen beispielsweise auf einen Beziehungsgegenstand und wäre dessen<br />
Einziehung nach innerstaatlichen Vorschriften nicht möglich (vgl. § 74 Abs. 4 StGB), so führte dies<br />
zur Unzulässigkeit der erbetenen Rechtshilfe 557 .<br />
Andererseits soll nach dem einschlägigen Regierungsentwurf bei dem Erlangten i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr.<br />
2 – 4 IRG – abgesehen von etwaigen grundrechtlichen Grenzen (Artikel 14 GG) – nicht geprüft werden,<br />
ob auch nach deutschem Recht eine spätere Einziehungs- oder Verfallserklärung oder die Aushändigung<br />
der Tatbeute an den Geschädigten zulässig wäre 558 .<br />
Dies ist nicht unzweifelhaft, da im Zusammenhang mit den Rahmenbeschlüssen „Sicherstellung“ und<br />
„Einziehung Gegenseitigkeit“ die Prüfung der Voraussetzungen der §§ 73 ff., 74 StGB, vom Erfordernis<br />
der Beiderseitigkeit der Strafbarkeit gedanklich zu trennen, obligatorisch ist (vgl. oben) 559 , also beispielsweise<br />
ein Ersuchen, das auf die Einziehung eines Gegenstandes, den ein schuldlos handelnder<br />
Täter im Sinne des § 74 Abs. 1 StGB verwandt hat, als unzulässig zurückzuweisen wäre.<br />
Die sich daraus ergebende unterschiedliche Behandlung zwischen Ersuchen von Mitgliedstaaten der<br />
EU im Sinne der vorgenannten Rahmenbeschlüsse einerseits und Ersuchen im Rahmen des (vertragslosen)<br />
Rechtshilfeverkehrs im Sinne der §§ 66, 67 IRG andererseits dürfte daher nicht gerechtfertigt<br />
sein.<br />
b. § 66 Abs. 2 und 3 IRG<br />
Die Zulässigkeit der Herausgabe ist darüber hinaus an weitere Voraussetzungen geknüpft (§ 66 Abs. 2<br />
und 3 IRG).<br />
Erforderlich ist zunächst, dass die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat auch nach deutschem Recht –<br />
ggf. nach sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts – wenigstens eine rechtswidrige Tat (i.S.d. §§ 11<br />
Abs. 1 Nr. 5 StGB; 1 OWiG) darstellt (Erfordernis der Beiderseitigkeit der Strafbarkeit) 560 .<br />
Während nach deutschem Recht das Vorliegen eines endgültigen Verfahrenshindernisses grundsätzlich<br />
die Anordnung von Verfall und Einziehung ausschließt, gilt dies bei § 66 Abs.1 und 2 Nr. 1 IRG<br />
nicht 561 . Dies hängt mit den Besonderheiten der Rechtshilfe zusammen und kann insbesondere der<br />
Ausnahmeregelung des § 9 Nr. 2 IRG die Auslieferung betreffend bei Verfolgungs- oder Vollstreckungsverjährung<br />
entnommen werden.<br />
Ferner bedarf es der Beschlagnahmeanordnung einer ausländischen Stelle. Überdies muss gewährleistet<br />
sein, dass etwaige dingliche und Vermögensschutz-, Urheber- oder Geheimhaltungsrechte eines<br />
Dritten, der vom Betroffenen bzw. Beteiligten i.S.d. § 66 Abs. 1 IRG abzugrenzen ist, unberührt bleiben<br />
562 .<br />
Schließlich ist ein Ersuchen um Herausgabe eines Gegenstands nach § 66 Abs. 1 Nr. 2 – 4 IRG nur<br />
dann zulässig, wenn noch kein rechtskräftiges und vollstreckbares ausländisches Erkenntnis vorliegt (§<br />
66 Abs. 3 IRG).<br />
Liegt demgegenüber eine derartige Entscheidung vor, richtet sich die Zulässigkeit ausschließlich nach<br />
den Vorschriften des Vierten Teils des IRG (§§ 48 ff.).<br />
Die Herausgabe nach § 66 IRG erfolgt im Grundsatz immer an die zuständigen Stellen des ersuchenden<br />
Staates und nicht an Private 563 .<br />
556<br />
BT-Drucks. 16/6563, S. 14.<br />
557<br />
BT-Drucks. 16/6563, S. 14.<br />
558<br />
Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 66<br />
IRG Rn. 23 unter Verweis auf BT-Drucks 9/1338, S. 87, 59.<br />
559<br />
BR-Drucks. 67/09, S. 44 ff.<br />
560<br />
Vgl. hierzu auch Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5.<br />
Auflage 2011, § 3 IRG Rn. 11 ff.<br />
561<br />
Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 29 m.w.N.<br />
562<br />
Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 39.<br />
563<br />
Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 10.<br />
164
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Der Gesetzeswortlaut des § 66 Abs. 1 Nr. 2 - 4 IRG stellt jedoch nur auf die Beziehung der Gegenstände<br />
zur Tat ab, verlangt indes nicht, dass die Gegenstände auch im ausländischen Verfahren dem<br />
Verfall oder der Einziehung unterliegen. Demzufolge ist es dem ersuchenden Staat nach deutschem<br />
Recht unbenommen, die herausgegebenen Gegenstände auch dem Geschädigten oder Eigentümer<br />
auszuhändigen 564 .<br />
c. § 67 IRG<br />
Nach § 67 IRG können neben einer Durchsuchung auch prozessuale Maßnahmen nach §§ 94, 98,<br />
111b Abs. 1, 111c angeordnet und vollzogen werden, gem. § 67 Abs. 1 IRG entweder nach oder sogar<br />
vor Eingang eines Ersuchens nach § 66 IRG und nach § 67 Abs. 2 IRG unter den Voraussetzungen des<br />
§ 66 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 IRG auch dann, wenn dies zur Erledigung eines nicht auf Herausgabe<br />
der Gegenstände gerichteten Ersuchens erforderlich ist.<br />
d. Weiteres Verfahren<br />
Nach § 66 Abs. 4 Satz 1 IRG bereitet die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht die Entscheidung<br />
über die Herausgabe vor und führt die bewilligte Herausgabe durch; Bewilligungsbehörde ist vorliegend<br />
die Generalstaatsanwaltschaft 565 .<br />
Vorlage- und Rechtsschutzmöglichkeiten richten sich nach § 61 IRG.<br />
Maßnahmen nach § 67 IRG werden von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht beantragt (RiVASt<br />
Nr. 75) und von dem Amtsgericht angeordnet, in dessen Bezirk die Handlungen vorzunehmen sind (§<br />
67 Abs. 3 Satz 1 IRG).<br />
Bei Gefahr im Verzug gilt § 67 Abs. 4 IRG.<br />
Bei seiner Prüfung hat das Amtsgericht nicht nur die innerstaatliche Vornahmeermächtigung, sondern<br />
ebenfalls die der Leistungsermächtigung zu prüfen 566 . Hält das Amtsgericht allerdings die Voraussetzungen<br />
der Leistungsermächtigung für nicht erfüllt, so muss es die Sache nach § 61 Abs. 1 Satz 1 IRG<br />
dem OLG vorlegen.<br />
Die Entscheidung des Amtsgerichts, die auf dem Beschlussweg erfolgt, kann mit der Beschwerde nach<br />
§ 304 StPO angegriffen werden. Bei Einwendungen gegen den Vollzug der Beschlagnahme nach §<br />
111c StPO ist gem. § 111f Abs. 5 die gerichtliche Entscheidung herbeizuführen (vgl. hierzu insgesamt<br />
§ 77 Abs. 1 IRG).<br />
Abgesehen vom Ausnahmefall des § 10 Abs. 2 IRG, der lediglich das Auslieferungsrecht betrifft, bleibt<br />
es bei dem Grundgedanken im Rechtshilferecht, dass eine Überprüfung der einem Rechtshilfeersuchen<br />
zugrundeliegenden Entscheidung bezogen auf die innerstaatlichen Voraussetzungen des Entscheidungsstaates<br />
insbesondere hinsichtlich des Tatverdachtes nicht vorgesehen ist 567 .<br />
Bewilligungsbehörde ist die Staatsanwaltschaft jedenfalls dann, wenn noch kein Herausgabeersuchen<br />
nach § 66 IRG vorliegt.<br />
564<br />
Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 19 ff.<br />
565<br />
§ 74 Abs. 2 IRG i.V.m. Zuständigkeitsvereinbarung vom 28. April 2004 (BAnz. S. 11494) und RdErl. d. JM NRW<br />
und des IM NRW vom 1. Juli 2004 in der Fassung vom 22. August 2007 (JMBl. NRW S. 171), Eingehende Ersuchen<br />
Ziff. 3.<br />
566<br />
Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 67<br />
IRG Rn. 14.<br />
567<br />
Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, Vor<br />
§ 94 IRG Rn. 8.<br />
165
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Lösung Fall 35:<br />
Dem Rechtshilfeersuchen ist zu entsprechen .<br />
Das Bankguthaben ist im Wege der Forderungspfändung vorläufig zu beschlagnahmen<br />
(Artikel 11 ff. EuGeldwäscheÜbk; §§ 66 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 67 Abs. 1 Satz 1,<br />
Abs. 3 Satz 1, 77 IRG; 111b Abs. 1, 111c Abs. 3 Satz 1; 111f StPO).<br />
Die Herausgabe der beweisrelevanten Kontounterlagen (in der Regel als Kopie 568 )<br />
richtet sich nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 IRG; u.U. sind insoweit Durchsuchung und Beschlagnahme<br />
entbehrlich.<br />
Im Übrigen könnte die Überweisung der gepfändeten Forderungen zur Einziehung<br />
und die anschließende Herausgabe des Buchgeldes durch einfache (Bank-<br />
)Überweisung erfolgen (str. 569 ).<br />
II. Rechtshilfeverkehr gemäß §§ 91, 94 IRG<br />
§ 94 IRG steht im Zusammenhang mit dem Rb „Sicherstellung“ und ist Bestandteil des Zehnten Teils<br />
des IRG „Sonstiger Rechtshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“.<br />
Neben § 1 Abs. 4 IRG (vgl. oben) ist hier § 91 IRG von Bedeutung.<br />
Nach Absatz 1 finden die übrigen Bestimmungen des IRG auf den sonstigen Rechtshilfeverkehr mit<br />
den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Anwendung, wenn der Zehnte Teil keine besonderen<br />
Regelungen enthält.<br />
Nach Absatz 2 geht der Zehnte Teil des IRG den in § 1 Abs. 3 IRG genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen<br />
vor, soweit er abschließende Regelungen enthält; § 91 Abs. 2 IRG ist mithin eine Rückausnahme<br />
von § 1 Abs. 4 IRG bzw. Rückrückausnahme von § 1 Abs. 3 IRG.<br />
Das bedeutet aber auch, dass ein i.S.d. §§ 94, 95 IRG unzulässiges Ersuchen nicht nach den Bestimmungen<br />
des EuRhÜbk oder gem. §§ 59 ff. IRG bewilligt werden kann 570 .<br />
b. Anwendungsbereich des § 94 IRG<br />
Fall 36:<br />
Die österreichische Staatsanwaltschaft in F. ermittelt gegen die Deutsche E. wegen<br />
des Verdachts des Betruges und ersucht unter Beifügung einer in eigener Zuständigkeit<br />
erlassenen „Sicherstellungsanordnung“ über 50.000,- Euro, die durch das Landgericht<br />
in K. richterlich bestätigt worden ist, und einer Bescheinigung i.S.d. Art. 9 Rb<br />
„Sicherstellung“ um Pfändung des Bankguthabens der E. aus sämtlichen Geschäftsverbindungen<br />
mit der in Bochum geschäftsansässigen Stadtsparkasse (§ 110 Abs. 1<br />
Ö-StPO), um den späteren Verfalls nach § 20 Abs. 1 Ö-StGB abzusichern. Dem Ersuchen<br />
ist nicht zu entnehmen, dass die österreichischen mutmaßlich Geschädigten die<br />
erschwindelten Gelder auf Konten der E. bei der SSK Bochum überwiesen haben.<br />
Wie ist hier zu verfahren?<br />
(1) Grundsätzlicher Anwendungsbereich<br />
Der Anwendungsbereich des Rb „Sicherstellung“ ist auf vorläufige Maßnahmen beschränkt. Erfasst<br />
sind letztlich die Ermittlungsmaßnahmen der Beschlagnahme, der sonstigen Sicherstellung sowie der<br />
Durchsuchung.<br />
Die Herausgabe der sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenstände ist dagegen ausdrücklich<br />
nicht Gegenstand dieses Rahmenbeschlusses, sondern richtet sich gemäß Artikel 10 Abs. 2 „nach den<br />
Regeln für die Rechtshilfe in Strafsachen und nach den Regeln für die internationale Zusammenarbeit<br />
im Bereich der Einziehung“, also beispielsweise nach dem EuRhÜbk 571 .<br />
568 Vgl. hierzu Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 13 ff.<br />
569 Vgl. hierzu Johnson, Grützner/Pötz/Kreß, IRG, 3. Auflage 24. Lieferung 2011, § 66 Rn. 9 m.w.N.; Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf,<br />
internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, 5. Kapitel Grenzüberschreitende<br />
Vermögensabschöpfung Rn. 243; Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003, Rn. 503 m.w.N.<br />
570 BT-Drucks. 16/6563, S. 10.<br />
571 BT-Drucks. 16/6563, S. 10.<br />
166
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Aufgrund der in Artikel 10 Abs. 1 Rb „Sicherstellung“ getroffenen Vorgaben ist der ersuchende Staat<br />
aber verpflichtet, parallel dazu entweder bereits ein weiteres Ersuchen um Herausgabe bzw. Einziehung<br />
beizufügen oder zumindest ein Datum zu nennen, wann ein entsprechendes Ersuchen übersandt<br />
werden wird 572 .<br />
Denkbar sind daher Ersuchen i.S.d. § 94 IRG sowohl in einem ausländischen Ermittlungsverfahren zur<br />
Absicherung des späteren Verfalls etc. als auch zur Vollstreckung einer schon rechtskräftigen Verfallsentscheidung<br />
durch Sicherung einer hiervon erfassten Vermögensposition 573 .<br />
(2) Bewilligungspflicht bei zulässigem Ersuchen<br />
Sofern ein nach Maßgabe der §§ 94, 95 IRG zulässiges Ersuchen gestellt worden ist, besteht nach §<br />
96 IRG die Verpflichtung, die Rechtshilfe zu bewilligen, wobei § 94 Abs. 3 IRG in den beschriebenen<br />
Fällen die Möglichkeit des Aufschubs der Bewilligung einräumt.<br />
(3) Zulässigkeitsvoraussetzungen<br />
Neben der Verpflichtung des ersuchenden Staates, eine justizielle Sicherstellungsentscheidung und<br />
eine vollständig ausgefüllte Bescheinigung entsprechend der Vorgaben der Artikel 4 Abs. 1, 7 Abs. 1<br />
lit. a) und 9 des Rb „Sicherstellung“ vorzulegen, ist die Zulässigkeit weiter daran geknüpft, dass ein<br />
„Listendelikt“ i.S.d. Artikel 3 Abs. 2 des Rb „Sicherstellung“ vorliegt (§ 94 Abs. 1 Nr. 1 IRG); in einem<br />
solchen Fall erfolgt keine Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit. Eine Gegenausnahme dazu ist<br />
in § 94 Abs. 1 Nr. 2 IRG normiert. Ein Ersuchen in Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Währungsangelegenheiten<br />
ist auch dann zulässig, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder<br />
keine gleichartigen Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie im Gegenzug<br />
das Recht des Entscheidungsstaates (= ersuchender Staat).<br />
Die Prüfung, ob ein Listendelikt, das nach dem Recht des ersuchenden Staates mit einer Freiheitstrafe<br />
im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist, vorliegt, ist somit im Ergebnis auf den ersuchenden<br />
Staat (= Entscheidungsstaat) übertragen, der dazu in der nach Artikel 9 des Rb „Sicherstellung“<br />
zu übersendenden Bescheinigung unter lit. i) 1. ein Kreuz zu setzen hat 574 .<br />
Weitere Unzulässigkeitsgründe sind § 94 Abs. 2 IRG zu entnehmen. Die Bewilligung eines Ersuchens<br />
ist danach unzulässig, wenn entweder ein Beschlagnahmeverbot nach §§ 77 Abs. 1 IRG i.V.m. 97<br />
StPO (§ 94 Abs. 2 Nr. 1 IRG) oder aber – ausgenommen die Möglichkeit des selbständigen Verfalls-<br />
und Einziehungsverfahrens entsprechend der Bestimmung des § 76a StGB – das endgültige Verfahrenshindernis<br />
„ne bis in idem“ (vgl. Artikel 103 Abs. 3 GG und Artikel 54 SDÜ) besteht (§ 94 Abs. 2 Nr.<br />
2 IRG).<br />
(4) Verfahren<br />
Die weitere Umsetzung eines zulässigen Ersuchens nach Maßgabe des Rb „Sicherstellung“ richtet sich<br />
gem. § 94 Abs. 1 IRG nach §§ 58 Abs. 3 und 67 IRG. Das bedeutet zunächst, dass - anders als bei<br />
Ersuchen im Rahmen der (vertraglosen) Rechtshilfe nach § 67 Abs. 1 IRG - neben der Beschlagnahme<br />
nach §§ 77 Abs. 1 IRG i.V.m. 111b Abs. 1, 111c StPO auch der Vollzug von dinglichen Arresten in das<br />
Legalvermögen des Betroffenen nach §§ 77 Abs. 1 IRG i.V.m. 111b Abs. 2, 111d StPO möglich ist.<br />
Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 94 Abs. 1 IRG „...nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses<br />
2003/577/JI des Rates vom 22. Juli 2003...“ i.V.m. Artikel 2 „Begriffsbestimmungen“ lit. c) und lit. d)<br />
des Rb „Sicherstellung“, wonach Sicherstellungsentscheidungen auch in Vermögensgegenstände, die<br />
ganz oder teilweise dem Wert des ursprünglich aus einer Straftat herrührenden Ertrags entsprechen,<br />
vollzogen werden können.<br />
Erfasst sind mithin auch die materiell-rechtlich in §§ 73a, 73d Abs. 2, 74c StGB geregelten Fälle des<br />
(erweiterten) Verfalls von Wertersatz sowie der Einziehung von Wertersatz 575 .<br />
Bezüglich der Rechtsschutzmöglichkeiten und Bewilligungskompetenzen gilt das zu §§ 66, 67 IRG<br />
Gesagte (vgl. § 91 Abs. 1 IRG) 576 .<br />
572 Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, Vor<br />
§ 94 IRG Rn. 2.<br />
573 Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, Vor<br />
§ 94 IRG Rn. 2.<br />
574 Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, §<br />
94 IRG Rn. 3.<br />
575 Vgl. auch BR-Drucks. 553/07, S. 16.<br />
576 Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, Vor<br />
§ 94 IRG Rn. 8 ff.<br />
167
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Einzig zweifelhaft erscheint, ob bei Maßnahmen nach §§ 111b ff. StPO, welche in die Rechte Dritter<br />
eingreifen, tatsächlich auch die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO und die Drittwiderspruchsklage<br />
nach § 771 ZPO statthafte Rechtsmittel sind 577 , hat der Gesetzgeber doch mit § 111f Abs. 5<br />
StPO eine Regelung geschaffen, welche den Rechtsschutz insoweit ausschließlich auf die nach der<br />
StPO statthaften Rechtsmittel beschränken sollte 578 .<br />
Lösung Fall 36:<br />
Die Voraussetzungen des § 94 IRG liegen vor. Da es sich bei Betrug um ein Listendelikt<br />
i.S.d. § 94 Abs. 1 Nr. 1 IRG handelt, ist die Beiderseitigkeit der Strafbarkeit nicht<br />
zu prüfen; im Übrigen könnte(n) auch nach deutschem Recht vorbehaltlich der Regelung<br />
des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB der Verfall von Wertersatz resp. entsprechende Sicherungsmaßnahmen<br />
nach §§ 111b ff. StPO angeordnet werden. Gem. §§ 94 Abs. 1,<br />
58 Abs. 3, 67 Abs. 3, 77 Abs. 1 IRG; 111b, 111d StPO kann daher beim zuständigen<br />
Amtsgericht der Erlass eines dinglichen Arrestes und etwaiger Kontopfändungsbeschlüsse<br />
erwirkt werden.<br />
Dass die Republik Österreich insoweit entgegen der Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2<br />
StGB den Verfall anstrebt, ist unschädlich (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG).<br />
17.2.2 Vermögensabschöpfung im Rahmen der (vertraglosen) Vollstreckungshilfe bei<br />
eingehenden Ersuchen<br />
I Verfahren<br />
Bei der Umsetzung eines Ersuchens um Vollstreckung einer ausländischen Verfallsentscheidung sind<br />
mehrere „Stationen“ zu unterscheiden.<br />
Nach Eingang eines solchen Rechtshilfeersuchens bereitet die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft<br />
beim Landgericht die Exequaturentscheidung vor (vgl. §§ 50 Satz 2, 51, 88d Abs. 1 IRG), wobei die<br />
Prüfung von Zulässigkeit und etwaiger Bewilligungshindernisse im Vordergrund steht (vgl. §§ 48, 49,<br />
88d Abs. 1 IRG).<br />
Diese Überprüfung kann zudem – abhängig vom Einzelfall – auch die Frage nach ggf. notwendigen<br />
Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO beinhalten (vgl. §§ 58 Abs. 3, 88d Abs. 1 IRG).<br />
Die Staatsanwaltschaft hat schließlich die Sache verbunden mit einem zu begründenden Antrag dem<br />
Landgericht zur Entscheidung vorzulegen.<br />
Kommt das Landgericht gem. §§ 50 und 55 IRG dazu, das ausländische Erkenntnis für vollstreckbar zu<br />
erklären (§§ 54, 88d Abs. 3 IRG), und ist die Entscheidung rechtskräftig geworden (vgl. §§ 42, 55<br />
Abs. 2, 88 IRG), bedarf das Ersuchen gem. §§ 56, 88, 88c IRG der Bewilligung durch die zuständige<br />
Bewilligungsbehörde, vorliegend durch das jeweilige Landesjustizministerium 579 .<br />
Vorher hat die Staatsanwaltschaft entsprechend zu berichtigen (vgl. Nr. 69 Abs. 2 RiVASt und Nr. 188<br />
Abs. 1 E-RiVASt).<br />
Nachfolgend ergehen die Vollstreckung der landgerichtlichen Exequaturentscheidung (vgl. §§ 57, 88e<br />
IRG), das ggf. notwendig werdende Verfahren über die Entschädigung einer durch die zugrunde liegende<br />
Straftat verletzten Person (vgl. §§ 56a, 88 IRG) und das „Verteilungsverfahren“ (vgl. §§ 56b,<br />
88f IRG).<br />
II. (Vertragslose) Rechtshilfe nach §§ 48 ff. IRG<br />
Vollstreckt werden kann jede rechtskräftige ausländische Sanktion, wobei es bei Übernahme der<br />
Vollstreckung einer Anordnung des (erweiterten) Verfalls oder der Einziehung (des Wertersatzes) nicht<br />
auf den Entscheidungsträger, sondern allein darauf ankommt, ob der Anordnung eine mit Strafe bedrohte<br />
Handlung zu Grunde liegt 580 .<br />
577 So Trautmann, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011,<br />
Vor § 94 IRG Rn. 11; vgl. auch BT-Drucks. 16/6563, S. 12 und BR-Drucks. 553/07, S. 19.<br />
578 Vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 111f Rn. 15.<br />
579 § 74 Abs. 2 IRG i.V.m. Zuständigkeitsvereinbarung vom 28. April 2004 (BAnz. S. 11494) und RdErl. d. JM NRW<br />
und des IM NRW vom 1. Juli 2004 in der Fassung vom 22. August 2007 (JMBl. NRW S. 171).<br />
580 Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />
2011, § 48 IRG Rn. 5.<br />
168
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Die weitere Zulässigkeit richtet sich im Rahmen einer kumulativen Prüfung nach § 49 IRG:<br />
Es bedarf zunächst eines entsprechenden Ersuchens unter Beifügung einer rechtskräftigen und<br />
vollstreckbaren ausländischen Entscheidung (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 IRG).<br />
Weiter ist erforderlich, dass im ausländischen (Straf-)Verfahren rechtliche (Mindest-)Standards wie die<br />
Gewährung rechtlichen Gehörs, eine angemessene Verteidigung etc. Beachtung gefunden haben (§ 49<br />
Abs. 1 Nr. 2 IRG).<br />
§ 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG nimmt darüber hinaus den Grundsatz der beiderseitigen Sanktionierbarkeit aus<br />
§ 3 Abs. 1 IRG auf. An den Maßstäben des hiesigen Rechts sind daher zu messen: Tatbestand,<br />
Rechtswidrigkeit, Schuld oder das Nichtvorliegen sonstiger Straffreistellungsgründe 581 .<br />
Ausreichend wäre es in diesem Zusammenhang auch, wenn die Tat als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße<br />
hätte geahndet werden können 582 . Ein derart großzügiger Maßstab gilt auch für die gesetzgeberische<br />
Bezugnahme auf Verfall und Einziehung 583 , die im Übrigen nicht zu eng zu begreifen ist. Erfasst<br />
sind sämtliche Fälle des/der (erweiterten) Verfalls und Einziehung (von Wertersatz) 584 . Insoweit unbeachtlich<br />
sind – entgegen der nationalen Rechtslage - etwaige Verfahrenshindernisse (i.S.d. § 260<br />
Abs. 3 StPO) und etwaige Ansprüche von Verletzten aus Straftaten i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB.<br />
Weitere Vorbehalte ergeben sich aus § 49 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 IRG.<br />
Sofern bereits eine Entscheidung der in § 9 Nr. 1 IRG genannten Art ergangen ist, gilt es, ein derartiges<br />
Ersuchen als unzulässig zurückzuweisen, es sei denn, unter den Voraussetzungen des § 76a StGB<br />
könnte das selbständige Verfalls-/Einziehungsverfahren durchgeführt werden (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 IRG).<br />
Ferner darf die Vollstreckung nicht nach deutschem Recht verjährt sein (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 IRG). Dies<br />
gilt in den Fällen der Vollziehung einer Verfalls- oder Einziehungsentscheidung jedoch nicht, wenn<br />
entweder für die der Anordnung zugrunde liegende Tat nicht deutsches Strafrecht gilt (vgl. §§ 3 – 7, 9<br />
StGB) oder aber eine Anordnung nach § 76a Abs. 2 Nr. 1 StGB erfolgen könnte.<br />
Hinzuweisen bleibt schließlich noch auf die Regelung des § 49 Abs. 4 IRG, welche die ausländische<br />
Verfalls- oder Einziehungsentscheidung die Rechte Dritter betreffend grundsätzlich für bindend erklärt<br />
und nur ausnahmsweise (lit. a) – c)) durchbricht.<br />
Wie an anderer Stelle bereits hervorgehoben eröffnet u.a. § 58 Abs. 3 IRG im Zusammenhang mit der<br />
Vollstreckung u.a. einer ausländischen Verfalls- oder Einziehungsentscheidung (vgl. hierzu auch § 89<br />
IRG) die Möglichkeit, parallel zu einem derartigen Ersuchen (§ 58 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 IRG) oder aber<br />
auf gesonderten Antrag hin unter Angabe des Verdächtigen, der Zuwiderhandlung, wegen derer das<br />
Strafverfahren geführt wird, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung schon vorher (§ 58 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2<br />
IRG) die Sicherungsmaßnahmen der Beschlagnahme oder des dinglichen Arrestes gem. den §§ 111b<br />
bis 111d StPO unter entsprechender Anwendung des § 67 Abs. 1 IRG auszubringen.<br />
Es handelt sich um eine Rechtsgrundverweisung, weshalb die Voraussetzungen für eine Herausgabe<br />
daher auch im Übrigen vorliegen müssen (vgl. oben) 585 .<br />
Ausweislich § 58 Abs. 3 Satz 2 IRG können darüber hinaus unter den Voraussetzungen der §§ 66 Abs.<br />
2 Nr. 1 und Nr. 2 IRG Sicherstellungsmaßnahmen nach den §§ 111b bis 111d StPO auch zur Vorbereitung<br />
einer Einziehungs- oder Verfallsentscheidung im ersuchenden Staat getroffen werden.<br />
III. Rechtshilfe mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gem. den §§ 88 ff. IRG<br />
Die Rechtshilfe mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei Vollstreckung ausländischer Verfalls-<br />
und Einziehungsentscheidungen unter Maßgabe des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ richtet sich<br />
gem. §§ 1 Abs. 4, 88 IRG nach den §§ 88a bis 88f IRG. Sofern diese Bestimmungen keine besonderen<br />
Regeln enthalten, sind die Vorschriften des Vierten Teils sowie die allgemeinen Bestimmungen des<br />
Ersten und Siebenten Teils des IRG anzuwenden; Gleiches gilt für den Fall, dass das Ersuchen nicht<br />
nach Maßgabe des vorgenannten Rahmenbeschlusses gestellt wurde (§ 88 IRG).<br />
581 Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />
2011, § 49 IRG Rn. 10.<br />
582 Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />
2011, § 49 IRG Rn. 8.<br />
583 Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />
2011, § 49 IRG Rn. 13a.<br />
584 Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />
2011, § 49 IRG Rn. 13c.<br />
585 BT-Drucks. 16/6563, S. 13.<br />
169
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Der Vollstreckungshilfe sind hier alle Arten des Verfalls und der Einziehung gem. §§ 73, 73a, 73d, 74,<br />
74a, 74c StGB zugänglich, mithin neben dem/der täter- oder teilnehmerbezogenen Verfall und Einziehung<br />
auch der Drittempfänger- und Dritteigentümerverfall nach § 73 Abs. 3 und Abs. 4 StGB und die<br />
Einziehung beim Dritteigentümer gem. § 74a und gegenüber juristischen Personen etc. nach § 75<br />
StGB 586 .<br />
Aus der Formulierung des § 88a Abs. 1 Nr. 2 IRG lässt sich herleiten, dass der Gesetzgeber am Erfordernis<br />
der beiderseitigen Strafbarkeit unter Maßgabe des § 3 Abs. 1 IRG dem Grunde nach festhält, in<br />
Umsetzung der in Artikel 6 Abs. 1 des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ enthaltenen Vorgaben bei der<br />
vollstreckungsrechtlichen Behandlung der dort aufgeführten „Listendelikte“, die im Entscheidungsstaat<br />
mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind, aber in Nr. 2. a) eine<br />
Ausnahme vorsieht, wobei die Fälle der Vollstreckung von Maßnahmen nach §§ 73d, 74a StGB als<br />
Gegenausnahmen wiederum der Prüfung der Beiderseitigkeit der Strafbarkeit unterfallen.<br />
Letzteres hängt damit zusammen, dass zur Anwendung dieser Maßnahmen eine Anknüpfungstat notwendig<br />
ist, deren Tatbestand besonders auf sie verweist 587 .<br />
a. Zulässigkeitsvoraussetzungen und Bewilligungshindernisse<br />
Fall 37:<br />
Unter Vorlage der Bescheinigung i.S.d. Artikel 4 des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“<br />
ersuchen die niederländischen Strafverfolgungsbehörden um Vollstreckung einer Verfallsentscheidung<br />
im Zusammenhang mit gewerbs- und bandenmäßig begangenen<br />
Betrugstaten, die nach deutschem Recht der Verfolgungsverjährung unterlegen hätten.<br />
Aus den Gründen des niederländischen Urteils ergibt sich weiter, dass der insoweit<br />
Verfallsbetroffene einen Härtefall nach § 73c Absatz 1 Satz 1 StGB für sich in<br />
Anspruch hätte nehmen können.<br />
(1) Obligatorische Voraussetzungen der Zulässigkeit bzw. Zulässigkeitshindernisse gem.<br />
§ 88a IRG<br />
(aa) § 88a Abs. 1 IRG<br />
Neben einer rechtskräftigen und vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung hat der ersuchende Staat<br />
eine Bescheinigung nach Artikel 4 des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ vorzulegen (Nr. 1 i.V.m. § 88b<br />
IRG).<br />
Die der Entscheidung zugrunde liegende Tat unterliegt dem Grunde nach der Prüfung der Beiderseitigkeit<br />
der Strafbarkeit (Nr. 2), die entfällt, wenn entweder wegen eines Listendelikts i.S.d. Artikel 6<br />
Abs. 1 des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ die betreffende Anordnung ergangen ist (Nr. 2 Buchstabe<br />
a) oder aber eine Steuer-, Abgaben-, Zoll- oder Währungsangelegenheit vollstreckt werden soll und<br />
das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern oder Abgaben vorschreibt respektive keine gleichartigen<br />
Steuer-, Abgaben-, Zoll- oder Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden<br />
Mitgliedstaates (Nr. 2 Buchstabe b).<br />
Bei Maßnahmen nach §§ 73d, 74a StGB verbleibt es hingegen bei der Notwendigkeit, die Beiderseitigkeit<br />
der Strafbarkeit zu prüfen.<br />
Wie bereits bei den Erläuterungen zu § 49 IRG betont, ist die Prüfung der Beiderseitigkeit der Strafbarkeit<br />
von der gebotenen Überprüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Verfalls und<br />
der Einziehung gem. §§ 73 ff., 74 ff. StGB zu unterscheiden 588 .<br />
Notwendig ist daher die Begehung einer rechtswidrigen Tat beim Verfall und einer vorsätzlichen, mithin<br />
schuldhaften Tat bei der Einziehung.<br />
Einschränkungen ergeben sich nur dadurch, dass etwaige rechtliche Verfahrenshindernisse (vgl. §§<br />
76a und 78 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) und Ansprüche von Verletzten aus Straftaten<br />
i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB bei der Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse unschädlich sind.<br />
586<br />
Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 88a<br />
IRG Rn. 4.<br />
587<br />
Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2011, § 88a<br />
IRG Rn. 7.<br />
588<br />
BR-Drucks. 67/09, S. 45; BT-Drucks. 16/12320, S. 30.<br />
170
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Die Tatgeschädigten haben nach §§ 88, 56a IRG eine Entschädigungsmöglichkeit (vgl. oben).<br />
Im Umkehrschluss sind demgegenüber jedoch die Rechte Dritter i.S.d. §§ 73 Abs. 4, 73d Abs. 1 Satz<br />
2, 73e Abs. 1 Satz 2 StGB etc. zu beachten.<br />
(bb) § 88a Abs. 2 IRG<br />
§ 88a Abs. 2 IRG enthält eine Reihe von Gründen, die im Falle ihres Vorliegens zur Unzulässigkeit<br />
eines Rechtshilfeersuchens führen:<br />
Nr. 1: Nicht nach deutschem Recht mit Strafe bedrohte Inlandstat<br />
Nr. 2: Abwesenheitsentscheidung ohne Verteidiger, es sei denn:<br />
o Unterrichtung der verurteilten Person oder des Verteidigers über das Verfahren<br />
o Rechtsmittelverzicht<br />
Nr. 3: ne bis in idem + anhängige oder bereits erfolgte Vollstreckung oder Unmöglichkeit der<br />
Vollstreckung im Parallelverfahren;<br />
o Rückausnahme: Möglichkeit der Durchführung des objektiven Verfahrens nach § 76a StGB<br />
Nr. 4: Vollstreckungsverjährung bei Straftaten, für die das deutsche Strafrecht gilt (vgl. §§ 3 – 7,<br />
9 StGB);<br />
o Rückausnahme: Möglichkeit der Durchführung des objektiven Verfahrens nach § 76a StGB<br />
(2) § 88c IRG<br />
§ 88c IRG beinhaltet schließlich im Falle der Zulässigkeit des gestellten Rechtshilfeersuchens weitere<br />
fakultative Ablehnungsgründe, auf die im Einzelnen verwiesen wird.<br />
Lösung Fall 37:<br />
Anders als bei der Verfolgungsverjährung, die als Verfahrenshindernis i.S.d. § 260<br />
Abs. 3 StPO vorliegend unschädlich wäre (vgl. § 88a Abs. 1 Nr. 2 IRG), könnte das<br />
Vorliegen eines Härtefalls nach § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB rahmenbeschlusskonform<br />
zur Zurückweisung des Ersuchens als unverhältnismäßig führen 589 . Daran ändert<br />
auch das Vorliegen eines „Listendelikts“ nichts. Denn: Die Vollstreckung würde die<br />
Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze nach Artikel 6 des Vertrages über<br />
die Europäische Union verletzen (vgl. Artikel 1 Abs. 2 Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“<br />
und § 73 IRG).<br />
17.2.3 Ausgehende Ersuchen<br />
Der Themenkreis der ausgehenden Ersuchen ist im IRG nur unvollständig abgebildet.<br />
Für die Vollstreckungshilfe finden sich insoweit Bestimmungen in den §§ 71, 71a IRG für die vertraglose<br />
Rechtshilfe und in § 90 IRG bzgl. des Rechtshilfeverkehrs mit den Mitgliedstaaten der Europäischen<br />
Union in Bezug auf die Vollstreckung einer Anordnung des Verfalls oder der Einziehung nach Maßgabe<br />
des Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ und schließlich flankierend in den Nr. 105 ff. RiVASt.<br />
Im Rahmen der sonstigen Rechtshilfe sind die Nr. 114 ff. RiVASt einschlägig.<br />
Erfahrungen mit der Behandlung von ausgehenden Rechtshilfeersuchen entweder um Vollstreckung<br />
von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen i.S.d. §§ 111b ff. StPO nach Maßgabe des Rb „Sicherstellung“<br />
oder um Vollstreckung einer deutschen Verfalls- oder Einziehungsanordnung nach Maßgabe des Rb<br />
„Einziehung Gegenseitigkeit“ liegen soweit bekannt kaum vor.<br />
Gleichwohl dürften die meisten EU-Mitgliedstaaten die Rb’e „Sicherstellung“ und „Einziehung Gegenseitigkeit“<br />
in innerstaatliches Recht transformiert haben. Eine diesbezügliche Übersicht zum Stand der<br />
Ratifizierungen kann über die Internetseite der EU oder aber über die polizeilichen Finanzermittler<br />
unter Rückgriff auf Extrapol beim BKA abgerufen werden.<br />
Im Übrigen gilt bei der Abwicklung entsprechender ausgehender Ersuchen im Grundsatz nichts anderes<br />
als bei der Behandlung eingehender Ersuchen.<br />
Bei ausgehenden Ersuchen nach Maßgabe des Rb „Sicherstellung“ sind im Regelfall zwei „Sicherstellungsentscheidungen“<br />
beizufügen, zum einen der generell-abstrakte Sicherungstitel, d.h. eine Beschlagnahmeanordnung<br />
nach § 111b Abs. 1 StPO oder ein dinglicher Arrest gemäß §§ 111b Abs. 2,<br />
589 BT-Drucks. 16/12320, S. 30.<br />
171
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
111d Abs. 2 StPO, und zum anderen – sofern notwendig – der diesen Titel umsetzende gerichtliche<br />
oder staatsanwaltschaftliche Pfändungsbeschluss im Hinblick auf den vorläufig zu sichernden konkreten<br />
Vermögensgegenstand.<br />
17.2.4 Offene Probleme<br />
Im Bereich der internationalen Vermögensabschöpfung sind einige Konstellationen rechtlich belastbar<br />
noch nicht hinreichend geklärt.<br />
Dazu zwei Beispiele:<br />
In Italien etwa besteht bei bestimmten Anlasstaten, beispielsweise beim Verdacht der Beteiligung an<br />
einer mafiaartigen Vereinigung, im Rahmen der der Anwendung des erweiterten Verfalls nach § 240<br />
Abs. 2 codice penale eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Legalität des einzuziehenden Vermögens,<br />
welche mit deutschen Recht und der Auslegung des § 73d StGB durch BVerfG und BGH nicht vereinbar<br />
ist.<br />
Nach der gegenwärtigen Gesetzeslage könnte daher ein ausländisches Ersuchen um Vollstreckung<br />
einer Verfallsentscheidung, die nach derartigen Grundsätzen zustande gekommen ist, als unzulässig<br />
abgelehnt werden dürfen (vgl. § 73 Satz 2 IRG) 590 .<br />
Ein anderer vergleichbarer Problemkreis betrifft die „civil confiscation“/ „non-conviction based confiscation“,<br />
die von einigen Staaten eingeführt wurden 591 .<br />
Danach hat ein Zivilgericht die Möglichkeit, aufgrund der im Rahmen einer Beweislastumkehr getroffenen<br />
Vermutung, dass Vermögenswerte aus einer kriminellen Handlung herrühren, die Einziehung<br />
der vermögenswerten Gegenstände anzuordnen.<br />
Hier stellt sich ebenfalls die Frage nach der Behandlung derartiger Ersuchen, insbesondere dann,<br />
wenn aus Beweisgründen eine strafrechtliche Verurteilung nicht möglich wäre.<br />
Hier sind mehrere Ebenen der Rechtshilfe berührt.<br />
Zum einen ist zweifelhaft, ob es sich überhaupt um Rechtshilfeverkehr in einer strafrechtlichen Angelegenheit<br />
i.S.d. § 1 Abs. 1 und 2 IRG handelt.<br />
Zum anderen könnte der (europäische) ordre public-Grundsatz (§ 73 Satz 2 IRG) wegen Verstoßes<br />
gegen das Schuldprinzip und die Unschuldsvermutung verletzt sein.<br />
Soweit ersichtlich wurden solche Ersuchen noch nicht an Deutschland herangetragen. Die weitere<br />
Entwicklung bleibt daher abzuwarten.<br />
590 Vgl. hierzu aber EGMR, Urteil Raimondo gegen Italien vom 22. Februar 1994; BR-Drucks. 135/12, S. 10 ff.<br />
591 UK: „Proceeds of Crime Act“; vgl. hierzu BR-Drucks. 135/12, S. 12 ff.<br />
172
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
18. Internationale Rückgewinnungshilfe in der Diktion der §§<br />
73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b Abs. 5 StPO<br />
Fall 38:<br />
Die Staatsanwaltschaft Bochum führt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts<br />
u.a. des (schweren) Bankrotts.<br />
Im Zuge prozessualer Maßnahmen u.a. auch in der Schweiz konnte zunächst ermittelt<br />
werden, dass einer der Beschuldigten Bestandteile seines Vermögens in die<br />
Schweiz geschafft hat, um diese der Masse in dem gegen ihn eröffneten Privatinsolvenzverfahren<br />
zu entziehen. Anlässlich einer weiteren Durchsuchung in der Schweiz<br />
ergaben sich dann Hinweise darauf, dass sich Vermögenswerte des Beschuldigten in<br />
einem Schließfach bei einer schweizerischen Kantonalbank befinden sollten. Die daraufhin<br />
erwirkte Öffnung und Durchsuchung des Schließfachs ergab schließlich einen<br />
Bestand von ungefähr 750.000,- Euro Bargeld und 40 kg Gold.<br />
Wie ist weiter zu verfahren?<br />
Den meisten ausländischen (EU-)Staaten ist das deutsche Modell der Rückgewinnungshilfe nicht geläufig.<br />
Dies könnte theoretisch zu Schwierigkeiten führen, zum einen bei ausländischen Ersuchen um<br />
Vollstreckung einer Verfallsentscheidung, die nach deutschem Recht im Hinblick auf § 73 Abs. 1 Satz 2<br />
StGB nicht möglich wäre, und zum anderen bei ausgehenden deutschen Ersuchen um vorläufige Sicherungsmaßnahmen<br />
von Vermögenswerten im Wege der Rückgewinnungshilfe, welche wiederum<br />
dem ausländischen Verfahrensrecht fremd ist.<br />
Die einschlägigen europäischen Rahmenbeschlüsse behandeln die Rückgewinnungshilfe nicht ausdrücklich,<br />
schließen sie aber auch nicht aus. Dies gilt zudem für die diesbezüglich relevanten bi- und<br />
multilateralen Übereinkommen im Sinne des § 1 Abs. 3 IRG.<br />
Im Rahmenbeschluss 2006/783/JI vom 06. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der<br />
gegenseitigen Anerkennung von Einziehungsentscheidungen (Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“) wird in<br />
Absatz 15 der Präambel lediglich klargestellt, dass er die Rückgabe von Vermögensgegenständen an<br />
ihren rechtmäßigen Eigentümer nicht behandelt.<br />
Im IRG selbst ist eine mit § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB vergleichbare Regelung nicht enthalten 592 .<br />
Das bedeutet zunächst, dass ausländische Verfallsentscheidungen auch in den Fällen der Rückgewinnungshilfe<br />
uneingeschränkt vollstreckt werden können, was in den §§ 49 Abs. 1 Nr. 3; 88a Abs. 1 Nr.<br />
2 IRG – „ (...) ungeachtet des Absatzes 73 Absatz 1 Satz 2 StGB (...)“ – ausdrücklich klargestellt wird.<br />
Im Gegenzug sieht § 56a IRG, der gemäß §§ 88 Satz 2 IRG auch für den Rechtshilfeverkehr mit den<br />
Mitgliedstaaten der Europäischen Union anwendbar ist, ein Entschädigungsverfahren von Verletzten<br />
aus Straftaten vor, sofern diesen durch die Vollstreckung der ausländischen Anordnung Haftungsmasse<br />
entzogen wurde 593 .<br />
Bei eingehenden Ersuchen um Sicherungsmaßnahmen i.S.d. §§ 111b ff. StPO im Rahmen der sonstigen<br />
Rechtshilfe bedurfte es hingegen einer derartigen Klarstellung nicht, da innerstaatlich Beschlagnahme<br />
und Vollziehung eines dinglichen Arrestes der Absicherung sowohl entsprechender staatlicher<br />
als auch (Verletzten-)Ansprüche dienen.<br />
Allerdings sollen im Falle der Rückgewinnungshilfe zu Gunsten ausländischer Geschädigter als Ermächtigungsgrundlage<br />
nicht die §§ 58 Abs. 3, 67, 94 IRG, sondern die §§ 111b ff. StPO direkt herangezogen<br />
werden können 594 .<br />
Dies dürfte jedoch für entsprechende Ersuchen im Sinne der §§ 66 Abs. 1 Nr. 2 – 4 IRG respektive 67<br />
Abs. 1 IRG nicht mehr gelten, da der ersuchende Staat insoweit frei darin ist, den Gegenstand auch<br />
an den Verletzten herauszugeben (vgl. oben).<br />
592<br />
Schomburg/Hackner, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />
2011, § 49 IRG Rn. 13b.<br />
593<br />
Vgl. BT-Drucks. 16/12320, S. 22 ff.<br />
594<br />
Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, 5. Kapitel Grenzüber-<br />
schreitende Vermögensabschöpfung Rn. 248.<br />
173
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Schwieriger stellt sich die Situation bei deutschen Ersuchen um Sicherungsmaßnahmen im Ausland zu<br />
Gunsten von Verletzten aus Straftaten dar.<br />
Um zu vermeiden, dass ein derartiges Rechtshilfeersuchen unter Hinweis auf das etwaige Fehlen einer<br />
mit § 111b Abs. 5 StPO vergleichbaren Regelung abgelehnt wird (vgl. insoweit auch § 59 Abs. 3 IRG –<br />
Vornahmeermächtigung: Zulässigkeit innerstaatlicher Rechtshilfe 595 ), kann es ratsam sein, auf die<br />
Option des aufschiebend bedingten Auffangrechtserwerbs des Staates nach § 111i StPO hinzuweisen.<br />
Sollten allerdings vorläufige Sicherungsmaßnahmen im Ausland im Rahmen der Rückgewinnungshilfe<br />
ausgebracht worden sein, so gilt in derartigen Fällen nichts anderes als umgekehrt bei der inländischen<br />
Rückgewinnungshilfe (ggf. auch auf ein ausländisches Ersuchen hin).<br />
Die Verletzten sind grundsätzlich gehalten, (ggf. im Ausland) eigene Ziviltitel zu erwirken und auch<br />
dort zu vollstrecken.<br />
Kommt es hingegen zur Anwendung des § 111i Abs. 2 und 3 StPO ist ein asset sharing i.S.d. §§ 56b,<br />
88f IRG erst dann möglich, wenn das Gericht gem. § 111i Abs. 6 StPO Eintritt und Umfang des Auffangrechtserwerbs<br />
rechtskräftig festgestellt hat.<br />
Lösung Fall 38:<br />
Ziel des noch zu stellenden Ersuchens ist es, zu einer vorläufigen Sicherung der in<br />
dem Schließfach befindlichen Vermögensgegenstände dergestalt zu kommen, dass<br />
etwaige Verfügungen des Eigentümers, hier des Beschuldigten zunächst gegenüber<br />
dem Sicherungsgläubiger relativ unwirksam sind.<br />
Zunächst ist daher abzuklären, welche bi- und multilateralen Übereinkommen i.S.d. §<br />
1 Abs. 3 IRG, denen die Schweiz und Deutschland beigetreten sind, bestehen.<br />
Dies sind vorliegend in erster Linie das EuRhÜbk in Verbindung mit den Artikeln 40<br />
und 48 – 53 SDÜ und das EuGeldwäscheÜbk (Artikel 7 ff.).<br />
Im Rahmen eines ad-hoc-Ersuchens ist daher die in der Schweiz zuständige justizielle<br />
Stelle zunächst darum zu ersuchen, nach dortigem Recht die aufgefundenen Vermögenswerte<br />
mit Beschlag zu belegen. Dies sollte unter Hinweis darauf erfolgen, dass<br />
die Herbeiführung einer Beschlagnahmeanordnung in internationaler Form durch den<br />
zuständigen deutschen Ermittlungsrichter aus Zeitgründen (noch) nicht möglich ist.<br />
Letztere ist allerdings nachzuholen und die Schweiz anschließend im Rahmen eines<br />
weiteren Ersuchens um Vollstreckung der erwirkten Beschlagnahmeanordnung zu bitten.<br />
595 Vgl. auch Lagodny, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage<br />
2011, § 59 IRG Rn. 31 ff.<br />
174
Teil V Internationale Vermögensabschöpfung<br />
Zusammenfassung<br />
Im Bereich der (international) organisierten Vermögensabschöpfung erweisen sich grenzüberschreitende<br />
Finanzermittlungen und Vermögensabschöpfung als besonders bedeutungsvoll.<br />
In diesem Zusammenhang sind die Rahmenbeschlüsse „Sicherstellung“, „Einziehung Gegenseitigkeit“<br />
und „Informationsaustausch“, deren Regelungsgehalt jeweils in innerdeutsches<br />
Recht implementiert worden ist, von besonderem Gewicht.<br />
Der polizeiliche Informationsaustausch in der Diktion des Rahmenbeschlusses „Informationsaustausch“<br />
orientiert sich an einen Diskriminierungsverbot dergestalt, dass ausländische<br />
Ersuchen nicht anders als inländische Ersuchen zu behandeln sind, allerdings unter<br />
der Voraussetzung, dass die betreffende Information vorhanden ist oder verfügbar wäre;<br />
im Übrigen ist die Verwendung der übermittelten Information in einem justiziellen Verfahren<br />
davon abhängig, dass der übermittelnde Staat dem zustimmt.<br />
Die Rahmenbeschlüsse „Sicherstellung“ und „Einziehung Gegenseitigkeit“ beinhalten als<br />
wichtigstes Element die so genannte „Listendeliktslösung“: Beim Vorliegen eines solchen<br />
Listendelikts entfällt die Prüfung der „Beiderseitigkeit der Strafbarkeit“. Hiervon unberührt<br />
bleibt aber die Notwendigkeit, die Beiderseitigkeit des Verfalls etc. festzustellen.<br />
Abgesehen von den Bestimmungen der §§ 66 ff. IRG können somit international sowohl<br />
dingliche Arreste als auch erstinstanzliche Entscheidungen über Verfall von Wertersatz in<br />
das Legalvermögen des jeweils Betroffenen vollzogen werden.<br />
Das Rückgewinnungshilfeverfahren in der Diktion der §§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; 111b<br />
Abs.1, 2 und 5, 111c, 111d, 111g, 111h, 111i StPO bereitet international erhebliche<br />
Schwierigkeiten.<br />
175
Fragen zum Verständnis<br />
Fragen zum Verständnis<br />
Die folgenden Fragen dienen zur Wiederholung und Vertiefung des Gelernten. Nehmen Sie sich zur<br />
Beantwortung dieser Fragen genügend Zeit.<br />
TEIL I<br />
1a<br />
1b<br />
1c<br />
1d<br />
Erläutern Sie bitte die inhaltliche Verknüpfung der §§ 73 ff, 74 ff. StGB und der §§ 111b<br />
ff. StPO anhand der insoweit zentralen Begrifflichkeiten.<br />
Legen Sie die Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB dar.<br />
Grenzen Sie bitte im Rahmen dieser Prüfung „Unmittelbarkeit“ und „Bruttoprinzip“ voneinander<br />
ab und schildern Sie mehrere Deliktsfelder, in denen die Unterscheidung<br />
Relevanz entfaltet.<br />
An welche Voraussetzungen knüpft der BGH die Inanspruchnahme mehrerer Täter etc.<br />
als „Gesamtschuldner“?<br />
176
Fragen zum Verständnis<br />
1e Skizzieren Sie bitte die für den Drittempfängerverfall nach § 73 Abs. 3 StGB bedeutsamen<br />
Fallgruppen.<br />
1f<br />
1g<br />
2a<br />
2b<br />
Welche Prüfungsreihenfolge ist innerhalb des § 73c StGB zu beachten und schildern Sie<br />
in Grundzügen die einzelnen Alternativen.<br />
Bitte erläutern Sie die Aussage: „Im Kern ist § 73d StGB beweisrechtlicher Natur“.<br />
Erklären Sie die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten zwischen Verfall und Einziehung.<br />
Wem gegenüber kann was eingezogen werden?<br />
177
Fragen zum Verständnis<br />
3a Skizzieren Sie den Grundgedanken, der dem objektiven Verfahren nach § 76a StGB<br />
zugrunde liegt.<br />
3b<br />
3c<br />
4a<br />
4b<br />
In welchen Fällen kommt die Einziehung trotz Verjährung der Tat infrage?<br />
Warum steht im Rahmen des objektiven Verfahrens das schuldlose Handeln des<br />
Täters einem tatsächlichen Verfolgungshindernis gleich?<br />
Welche drei Instrumente zur Vermögensabschöpfung stehen im Ordnungswidrigkeitenrecht<br />
zur Verfügung und welche Ziele verfolgen sie?<br />
Können Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB und nach §§ 30, 130 OWiG nebeneinander<br />
verhängt werden?<br />
178
Fragen zum Verständnis<br />
TEIL II<br />
1a<br />
1b<br />
2a<br />
2b<br />
Erläutern Sie bitte die Gesetzessystematik der §§ 111b ff. StPO.<br />
Welchen verfassungsrechtlichen Vorgaben unterliegt der einstweilige Rechtschutz nach<br />
§§ 111b ff. StPO?<br />
Beschreiben Sie die Voraussetzungen von Beschlagnahmeanordnung und dinglichem<br />
Arrest.<br />
In welchen in § 111b Abs. 3 StPO skizzierten Fällen ist die erneute Vorlage an das beschlussfassende<br />
Gericht veranlasst?<br />
179
2c<br />
2d<br />
3a<br />
3b<br />
Fragen zum Verständnis<br />
Was sind die Rechtsfolgen von Beschlagnahme nach § 111c StPO und Arrestvollzug<br />
nach § 111d Abs. 2 StPO und welche Unterschiede bestehen diesbezüglich?<br />
Was ist zu beachten, wenn ein bereits bestehender dinglicher Arrest im Arrestbetrag<br />
erhöht werden soll?<br />
Kann bei der Inanspruchnahme mehrerer Täter als „Gesamtschuldner“ im Wege vorläufiger<br />
Sicherungsmaßnahmen bei jedem der volle Arrestbetrag gesichert werden oder<br />
sind etwaige Einschränkungen ggf. welcher Art geboten?<br />
Welche Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen, wenn Sicherungsmaßnahmen gem. §§<br />
111b ff. StPO ausgebracht werden?<br />
180
Fragen zum Verständnis<br />
TEIL<br />
III<br />
1a<br />
1b<br />
1c<br />
2a<br />
Beschreiben Sie die Zielsetzung, die der Gesetzgeber mit § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB verfolgt.<br />
Erläutern und untermauern Sie die folgende Aussage: „§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB verhält<br />
sich streng zivilakzessorisch!“<br />
Wann ist der Dienstherr bei Bestechungsdelikten Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1<br />
Satz 2 StGB?<br />
Versuchen Sie die einzelnen verfahrensrechtlichen Schritte bei der Rückgewinnungshilfe<br />
abstrakt zu beschreiben.<br />
181
Fragen zum Verständnis<br />
2b Wann sind Rückgewinnungshilfemaßnahmen verfahrensrechtlich nicht veranlasst?<br />
2c<br />
3a<br />
3b<br />
Wie sollte die (Verletzten-)Benachrichtigung nach § 111e Abs. 3 und 4 StPO aufgebaut<br />
sein und welche Möglichkeiten der Benachrichtigung gibt es?<br />
Beschreiben Sie den Prüfungsumfang im Rahmen des Zulassungsverfahrens nach §§<br />
111g, 111h StPO.<br />
Benennen Sie die zentralen Rechtsfolgen der erfolgreichen Zulassung zur Zwangsvollstreckung<br />
nach §§ 111g, 111h StPO.<br />
182
Fragen zum Verständnis<br />
4a Was sind die Hauptkritikpunkte an der Bestimmung des § 111i StPO?<br />
4b<br />
4c<br />
4d<br />
Schildern Sie – in Phasen – den Ablauf bis zum eigentlichen Auffangrechtserwerb.<br />
Ordnen Sie die Norm des § 111i StPO dogmatisch ein.<br />
Versuchen Sie, die Entscheidungen des Gerichts nach § 111i Abs. 2 und 3 StPO zu tenorieren<br />
bzw. entsprechende Anträge zu formulieren.<br />
183
Fragen zum Verständnis<br />
4e Warum sind nach der Verlängerung des Sicherungstitels weitere Sicherungsmaßnahmen<br />
nur noch bis zur Rechtskraft des Urteils zulässig, selbst wenn etwa der Arrest noch nicht<br />
erschöpfend vollzogen werden konnte?<br />
4f<br />
4g<br />
4h<br />
Wie kann im Rahmen des Verfahrens nach § 111i StPO weiter vorgegangen werden,<br />
wenn zuvor das Gericht (Teil-)Einstellungen nach § 154 Abs. 2 StPO vorgenommen hat?<br />
Was bedeutet „Verfügung des Verletzten“ im Sinne des § 111i Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 und<br />
Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StPO?<br />
Kann der Teil des nach § 111i Abs. 2 StPO festgestellten Anspruchs, der über den Verwertungserlös<br />
noch keine Befriedigung erfahren hat, nach Beendigung des Verfahrens<br />
weiter vollstreckt werden?<br />
184
Fragen zum Verständnis<br />
TEIL<br />
IV<br />
1a Benennen und erläutern Sie diejenigen insolvenzrechtlichen Bestimmungen, anhand<br />
deren zunächst die Insolvenzfestigkeit staatlicher Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b<br />
ff. StPO zu messen sind.<br />
1b<br />
1c<br />
1d<br />
Haben Beschlagnahme im Sinne des § 111c StPO und Arrestvollzug nach § 111d StPO –<br />
ihre Insolvenzfestigkeit i.e.S. unterstellt – darüber hinaus gleichermaßen im Insolvenzverfahren<br />
Bestand und welche Schlussfolgerungen ergeben sich hieraus?<br />
Schildern Sie bitte die besonderen Probleme des Spannungsverhältnisses zwischen im<br />
Wege der Rückgewinnungshilfe ausgebrachten vorläufigen Sicherungsmaßnahmen nach<br />
§§ 111b ff. StPO und dem eröffneten Insolvenzverfahren.<br />
In welcher Phase des Insolvenzverfahrens ist über die etwaige Freigabe bereits sichergestellter<br />
Vermögenswerte zu entscheiden und warum?<br />
185
Fragen zum Verständnis<br />
TEIL V<br />
1a<br />
1b<br />
1c<br />
1d<br />
Nennen Sie bitte die wichtigsten Rahmenbeschlüsse des Europäischen Rats im Bereich<br />
der internationalen Finanzermittlungen und Vermögensabschöpfung und legen Sie deren<br />
zentrale Strukturprinzipien dar.<br />
Können im internationalen Rechtshilfeverkehr auch (Sicherungs-)Titel in das Legalvermögen<br />
des Betroffenen vollzogen werden?<br />
Welche (Kontakt-)Behörden und Organisationen kennen Sie, die im erörterten Kontext<br />
unterstützen können?<br />
Können die Erkenntnisse, die im Rahmen des internationalen polizeilichen Informationsaustausches<br />
gewonnen werden, auch im Strafverfahren verwendet werden oder ist dies<br />
an weitere Voraussetzungen gebunden?<br />
186
Fragen zum Verständnis<br />
1e Ist es möglich, im Rahmen der Rückgewinnungshilfe getroffene Sicherungsmaßnahmen<br />
auch im Ausland zu vollstrecken?<br />
187
Vermögensabschöpfung Literatur und Links<br />
Literatur & Links<br />
AbschöpferArchiv, Gemeinsame Redaktion von LKA BW, BLKA München und LKA NRW, Computerprogramm<br />
unter lfd. Fortschreibung<br />
Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/Kirsch/Rosenthal, Internationales Strafrecht in der Praxis, 2008<br />
Barreto da Rosa, Gesamtschuldnerische Haftung bei der Vermögensabschöpfung, NJW 2009, 1702 ff.<br />
Barreto da Rosa, Zum Verfall von Bestechungsgeld und Tatlohn, wistra 2012, 334 ff.<br />
Barreto das Rosa, Gnadenstoß für einen Totengräber – ein Plädoyer für die Abschaffung von § 73 I 2<br />
StGB, ZRP 2012, 39 ff.<br />
Bittmann/Kühn, Der Arrestgrund beim strafprozessualen dinglichen Arrest, wistra 2002, 248 ff.<br />
Bohne/Boxleitner, Eins vor und zwei zurück – Wie das deutsche Recht Straftätern weiterhin die Tatbeute<br />
belässt – Anmerkung zum Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und Vermögensabschöpfung<br />
bei Straftaten, NStZ 2007, 552 ff.<br />
Brenner, Das Bruttoprinzip gilt für den Einzeltäter und für Unternehmen, nicht nur für den unschuldigen<br />
Täter oder Dritten, NStZ 2004, 256 ff.<br />
Burghart, Das erlangte „Etwas“ (§ 73 I S. 1 StGB) nach strafbarer Vertragsanbahnung, wistra 2011,<br />
241 ff.<br />
Eschelbach, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 111i StPO, 2011<br />
Fischer, StGB, 60. Auflage 2013<br />
Gleichenstein, Die Rückgewinnungshilfe gem. §§ 111b ff. StPO in der Insolvenz des Täters, ZIP 2008,<br />
1151 ff.<br />
Greeve, Verstärkte Rückgewinnungshilfe und Vermögensabschöpfung seit dem 1.1.2007, NJW 2007,<br />
14 ff.<br />
Greier, Zum Spannungsverhältnis zwischen Insolvenzrecht und strafprozessualer Vermögensabschöpfung,<br />
ZInsO 2007, 953 ff.<br />
Hecker, Europäisches Strafrecht, 3. Auflage 2010<br />
Hees, Beschlagnahme und arretierte Vermögenswerte in der Insolvenz des Straftäters, ZIP 204, 298<br />
ff.<br />
Hellerbrand, Der dingliche Arrest zur Sicherung des Verfalls von Wertersatz im Ermittlungsverfahren,<br />
wistra 203, 201 ff.<br />
Hofmann, Verfallsanordnung gegen tatunbeteiligte Unternehmen, wistra 2008, 401 ff.<br />
Hofmann/Riedel, Verteidungsmöglichkeiten gegen den im Ermittlungsverfahren angeordneten dinglichen<br />
Arrest, wistra 2005, 405 ff.<br />
Hohn, Die Bestimmung des erlangten Etwas i.S.d. § 73 StGB durch den BGH, wistra 2003, 321 ff.<br />
Hohn, Abschöpfung der Steigerung des Firmenwerts als Bruttowertersatzverfall?, wistra 2006, 321 ff.<br />
Janssen, Gewinnabschöpfung im Strafverfahren, 2007<br />
Joecks, Münchener Kommentar StGB, Band 2/1 §§ 52 – 79b, dort §§ 73 ff., 2005<br />
Kempf/Schilling, Vermögensabschöpfung – Strategien bei (drohendem) Verfall von Grundrechten,<br />
2007<br />
Kraul, Strafprozessualer Arrest (§ 111d StPO) und dinglicher Arrest (§ 324 AO), ZFN 2007, 217 ff.<br />
Land Niedersachsen, Vermögensabschöpfung - Leitfaden zur Rückgewinnungshilfe, 2010<br />
Leipold, Der dingliche Arrest im Strafverfahren, NJW-Spezial 2006, 39 ff.<br />
Lieckfeldt, Die Verfallsanordnung gegen den Drittbegünstigten, 2008<br />
Lohse, AnwaltKommentar StPO, §§ 111b ff., 2. Auflage 2010<br />
Lohse, Verfall (von Wertersatz) bei Vertragsschluss aufgrund Korruption, JR 2009, 188 ff.<br />
Malitz, Die Berücksichtigung privater Interessen bei vorläufigen strafprozessualen Maßnahmen gem.<br />
§§ 111b ff. StPO, NStZ 2002, 337 ff.<br />
Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage 2012<br />
Mosbacher, Auffangrechtserwerb in Altfällen, wistra 2008, 1 ff.<br />
Nack, Karlsruher Kommentar StPO, §§ 111b ff., 6. Auflage 2008<br />
188
Vermögensabschöpfung Literatur und Links<br />
Niesler, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, OWiG 30, 2011<br />
OFD Münster, Praxishandbuch zur Vermögensabschöpfung, 2008<br />
Podolsky/Brenner, Vermögensabschöpfung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 4. Auflage<br />
2010<br />
Rhode, Der Verfall nach § 73 Abs. 3 StGB, wistra 2012, 85 ff.<br />
Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2003<br />
Rönnau, Münchener Anwaltshandbuch Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, Teil B § 12<br />
Vermögensabschöpfung und Zurückgewinnungshilfe, 2006<br />
Rönnau, Zum Konkurrenzverhältnis von strafprozessualer Vermögens- und insolvenzrechtlicher Massesicherung,<br />
Festschrift für Hans Achenbach, 2011<br />
Roth, Der StPO-Arrest im Steuerstrafverfahren – Ausschluss des Steuerfiskus von der Rückgewinnhilfe<br />
nach § 111b Abs. 2 und 5 StPO?, wistra 2010, 335 ff.<br />
Rübenstahl, AnwaltKommentar StGB, §§ 73 ff. StGB, 2010<br />
Rübenstahl, Die Verschärfung der Rechtsprechung zum Verfall am Beispiel der Vermögensabschöpfung<br />
bei unvollendeten Vermögensdelikten, HRRS 2010, 505 ff.<br />
Saliger, Kick-Back – Verfall – Korruptionsbekämpfung im „Kölner Müllfall“, NJW 2006, 3377 ff.<br />
Satzger, Die Berücksichtigung von Opferinteressen bei der Verfallsanordnung aus materiellrechtlicher<br />
wie prozessualer Sicht, wistra 2003, 401 ff.<br />
Savini, Handbuch zur Vermögensabschöpfung in Ermittlungsverfahren und Verfall und Einziehung, 2.<br />
Auflage 2010<br />
Schilling, Aktuelles zur Vermögensabschöpfung oder: Der Verfall hat die Wirklichkeit des Strafverfahrens<br />
erreicht, StraFo 2011, 128<br />
Schlachetzki, Das Ermessen bei der Zurückgewinnhilfe, wistra 2011, 41 ff.<br />
Schlösser, Die Bestimmung des erlangten Etwas i.S.d. § 73 I 1 StGB bei in Folge von Straftaten abgeschlossenen<br />
gegenseitigen Verträgen, NStZ 2011, 121 ff.<br />
W. Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006<br />
W. Schmidt, Leipziger Kommentar StGB, Band 3 §§ 56 -79b, dort §§ 73 ff. StGB, 12. Auflage 2008<br />
W. Schmidt, Leipziger Kommentar StGB, Band 8 §§ 242 - 262, dort §§ 261 StGB, 12. Auflage 2008<br />
C. Schmidt, Möglichkeiten und Grenzen der Vermögensabschöpfung bei Bestechlichkeit im geschäftlichen<br />
Verkehr (§ 299 Abs. 1 StGB), wistra 2011, 321 ff.<br />
Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2012<br />
Spillecke mit Anm. zu BGH, Beschluss vom 27.04.2010, 3 StR 112/10, NStZ 2010, 568 ff.<br />
Webel, Rückgewinnungshilfe im Steuerstrafverfahren – unzulässig oder unverzichtbar und zwingend?,<br />
wistra 2004, 249 ff.<br />
Wehnert/Mosiek, Untiefen der Vermögensabschöpfung in Wirtschaftsstrafsachen aus Sicht des Strafverteidigers,<br />
StV 2005, 568 ff.<br />
Wiedner, Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, §§ 73 ff. StGB, 2011<br />
189