marien hospital - zeitschrift - Marienhospital Stuttgart
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❚ Religion und Gesellschaft<br />
Auf ein Wort...<br />
Pfarrerin Amrei Kleih,<br />
evangelische Klinikseelsorgerin<br />
Ein großes Buch mit Kugelschreiber<br />
liegt aufgeschlagen in<br />
der Krankenhauskapelle bereit.<br />
Wer die Kapelle aufsucht, kann etwas<br />
hineinschreiben. Das Buch ist ein wahres<br />
Schatzkästlein persönlicher Einträge.<br />
Es zeigt wackelige Handschriften<br />
neben gestochen scharfen, Buchstaben<br />
von Kinderhand gemalt neben Omas<br />
alter Schrift. Kurze Zeilen oder längere<br />
Gebete finden sich da, auf deutsch<br />
oder in einer anderen Sprache, und<br />
Anklänge aus verschiedenen religiösen<br />
Himmelsrichtungen. Es sind Gebete,<br />
die um Hilfe flehen, aber auch Gebete<br />
voller Dank.<br />
Sorge und Jubel nah beieinander<br />
Neben dem Ausdruck großer Sorgen<br />
findet man in dem Buch auch Zeilen<br />
voller Freude, ja von regelrechtem Jubel.<br />
Das Krankenhaus ist ein Ort des<br />
Leidens, wirklich, aber es ist auch ein<br />
Ort der Linderung. Es ist ein Ort des<br />
Bangens, aber auch ein Ort des Aufatmens.<br />
Hier nehmen Menschen Abschied<br />
vom Leben, aber hier wird auch<br />
Menschen das Leben geschenkt.<br />
Als Seelsorgerin muss ich vorrangig<br />
ein offenes Ohr für das Schwere<br />
haben, aber mir ist es wichtig, auch<br />
einmal der Dankbarkeit ein Kapitel zu<br />
widmen.<br />
18<br />
<strong>marien</strong> 2/2007<br />
Klinikseelsorge im Marien<strong>hospital</strong><br />
Pfarrerin Amrei Kleih zur Dankbarkeit, die in einem Krankenhaus<br />
trotz Leid und Schmerz mitunter herrschen kann<br />
Amrei Kleih ist Klinikseelsorgerin im Marien<strong>hospital</strong>. Gemeinsam<br />
mit fünf Kolleginnen und Kollegen kümmert sie sich um Patienten,<br />
Angehörige und Mitarbeiter. Das Seelsorgeteam bietet Beistand<br />
und Hilfe in schwierigen Situationen an. In der Artikelreihe<br />
„Auf ein Wort“ wendet sich Amrei Kleih hier an Mitarbeiter und<br />
Patienten:<br />
Dankbarkeit und innere Heilung<br />
Eine biblische Geschichte erzählt, wie<br />
Jesus zehn vom Aussatz befallene<br />
Menschen heilte. Er schickte sie zur<br />
damaligen Gesundheitsbehörde, die<br />
Heilung zu bestätigen und die strenge<br />
Quarantäne aufzuheben. Das geschah,<br />
und dann zogen die Geheilten glückselig<br />
ihrer Wege. Von den zehn kehrte<br />
aber nur einer zu Jesus zurück, um sich<br />
zu bedanken. Der war bezeichnenderweise<br />
keiner von den eigenen Leuten,<br />
sondern ein Andersgläubiger (nachzulesen<br />
in Lukas 17, 11 – 19). Dieser eine<br />
ist vollständig heil geworden. Die<br />
praktizierte Dankbarkeit macht die Sache<br />
rund und zeigt eine innere Heilung.<br />
„Dankbarkeit ist die Wachsamkeit<br />
der Seele gegen die Kräfte der Zerstörung“,<br />
schrieb der französische Philosoph<br />
Gabriel Marcel. Er hat recht.<br />
Dankbarkeit wird in den letzten Jahren<br />
auch in der Psychotherapie als heilsame<br />
Kraft entdeckt. Es gibt Seminare<br />
und Kurse, in denen man Dankbarkeit<br />
lernen und einüben kann. Dankbarkeit<br />
beginnt mit einem Schärfen der Wahrnehmung.<br />
Nehme ich wahr, wie viel<br />
Gutes mich umgibt, wie viel Tragendes,<br />
Nährendes und Förderndes? Oder<br />
nehme ich vor allem wahr, wie viel<br />
Störendes da ist, wie viel Ärgerliches,<br />
Hinderliches und Schwieriges?<br />
Wir alle wissen, eine Brücke, die einstürzt,<br />
macht mehr Krach als 999<br />
Brücken, die tragen. Unsere Aufmerksamkeit<br />
richtet sich meist auf die eine<br />
krachende Katastrophe. Wenn etwas<br />
einstürzt in unserem Leben, gibt es<br />
Schrecken und Tränen.<br />
Die Wachsamkeit der Seele<br />
Am stärksten schmerzt es, wenn Gesundheit,<br />
Beziehungsnetz oder Arbeitsplatz<br />
betroffen sind. Da gibt es<br />
nichts zu bagatellisieren. Aber niemand<br />
von uns wäre am Leben, wären<br />
da nicht noch die 999 Dinge, die<br />
glücken, also unzählige Gründe zum<br />
Danken. Dankbarkeit ist wirklich die<br />
Wachsamkeit der Seele gegen die<br />
Kräfte der Zerstörung.<br />
Noch mehr Grund zur Dankbarkeit<br />
gibt es, wenn eine Brücke wieder neu<br />
geschlagen, ein Riss wieder geschlossen<br />
wurde, wenn ein gebrochener Knochen<br />
oder wenn gar eine gebrochene<br />
Seele wieder heil geworden ist. Danken<br />
ist mehr als angestrengtes „positives<br />
Denken“: Dankende suchen und<br />
finden eine Adresse für ihre Freude.<br />
Willkommen in der Kapelle!<br />
Die Krankenhauskapelle liegt auf<br />
der Eingangsebene M0 des Hauptgebäudes<br />
Sankt Maria. Sie ist täglich von<br />
6.30 bis 20.45 Uhr geöffnet.