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Die Krankenschwesterfiguren im frühen Werk Thomas Manns unter ...

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66<br />

<strong>Thomas</strong> Sprecher<br />

Mit Ziemssen verschwindet die Mylendonk aus der Erzählung; nur nebenbei<br />

noch wird sie zwe<strong>im</strong>al erwähnt (III, 864, 981).<br />

III.<br />

Wie gering auch ihre manifeste Präsenz ist <strong>im</strong> Roman - ihre dauernde Hintergrundspräsenz<br />

(vielleicht ist die Haube ja auch ein siegfriedscher Tarnhelm,<br />

der sie unsichtbar werden lässt und mit märchenhafter Geschwindigkeit<br />

an jeden Ort befördert) macht sie indes zu einer grauen Eminenz -, so<br />

ist Adriatica von Mylendonk doch in vielem eine Gegenfigur zur Protagonistin<br />

Clawdia Chauchat. In charakteristischen Einzelheiten vertreten sie Gegenpole.<br />

Aber in manchem sind Gegenpole sich ja auch gleich. Betrachten<br />

wir also zuerst die Gemeinsamkeiten:<br />

- Beide sind »unfruchtbar« 71 , d. h. kinderlos; keine Mütter <strong>im</strong> engeren Sinn.<br />

Sie verkörpern nicht das Prinzip Hoffnung, sie weisen nicht in die Zukunft,<br />

sie sind Gegenwart bzw. Vergangenheit, nach ihnen kommt nichts<br />

mehr. <strong>Die</strong> Mylendonk ist eine Todesschwester. Sie gehört dem Totenreich<br />

an. Selbst unerlöst, erlöst sie nicht in die Liebe, sondern in den Tod. Auch<br />

Mme Chauchat gehört nicht dem Leben; vielmehr verschmilzt sie mit<br />

Hippe, dem Sensenmann.<br />

- Beide fallen gesellschaftlich aus dem Rahmen und sind »nicht korrekt«.<br />

- Beide sind (massig) krank. <strong>Die</strong> Dezenz ihrer Defekte lässt sie indes weitgehend<br />

unbehindert.<br />

- Beide bewegen sich leicht zwischen den verschiedenen Nationen und<br />

sind vielsprachig; daraus lässt sich, über die Internationalität hinaus, ein<br />

Anspruch auf allmütterliche Universalität ableiten.<br />

- Beide sind auf ältere, väterliche, künstlerische und kranke Männer bezogen<br />

(Maler Behrens, auch »Künstler der Auskultation« [III, 576]; Schauspieler<br />

Peeperkorn). Und doch sind beide <strong>im</strong> Grunde einsam.<br />

- Beide agieren als »Verführerinnen«, die Mylendonk (massig) aktiv als<br />

Kupplerin, die Chauchat passiv durch ihre Attraktivität. <strong>Die</strong>s macht sie<br />

zu femmes fatales, zu »Schicksalsfrauen«. Übrigens sind beide exklusiv<br />

und lassen auf sich warten.<br />

- Mythopoetisch sind beide Hermes-Figurationen.<br />

71 Zur Verbindung der »Unfruchtbarkeit« mit der Homosexualität - mit der sowohl Chauchat/<br />

Hippe wie die Mylendonk in Verbindung zu bringen sind - vgl. <strong>Thomas</strong> Sprecher: Ehe als Erlösung?,<br />

in: Vom »Zauberberg« zum »Doktor Faustus«. <strong>Die</strong> Davoser Literaturtage 1998, hrsg.<br />

von <strong>Thomas</strong> Sprecher, Frankfurt/Main: Klostermann 2000 (= <strong>Thomas</strong>-Mann-Studien, Bd. XXIII),<br />

S. 185-236,225.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Krankenschwesterfiguren</strong> <strong>im</strong> <strong>frühen</strong> <strong>Werk</strong> <strong>Thomas</strong> <strong>Manns</strong><br />

Beide haben Züge von Katia Mann übernommen. Wie Nietzsche 72 steckt<br />

auch Katia Mann in verschiedenen Zauberberg-Figuren, nicht in Mme<br />

Chauchat allein, 73 sondern auch in ihrer Gegenfigur. 74 Katia, die in der<br />

Familie »Mielein« genannt wurde, entspricht das Maskuline, Resolute,<br />

Tüchtige. Dann auch ihre Ungeduld 75 und ihre rasche und schnippische<br />

Sprechweise. 76 Dann ihre sprudelnde Vielsprachigkeit.<br />

72<br />

Vgl. Erkme Joseph: Nietzsche <strong>im</strong> »Zauberberg«, Frankfurt/Main: Klostermann 1996 (-<br />

<strong>Thomas</strong>-Mann-Studien, Bd. XIV).<br />

73<br />

Vgl. Hans Wysüng: »Der Zauberberg« - als Zauberberg, in: Das »Zauberberg«-Symposium<br />

1994 in Davos, hrsg. von <strong>Thomas</strong> Sprecher, Frankfurt/Main: Klostermann 1995 (= <strong>Thomas</strong>-<br />

Mann-Studien, Bd. XI), S. 43-57, 49. - Und ferner den auffälligen Fingerzeig (III, 196): »...<br />

Katjenka [...] heisst sie nun einmal best<strong>im</strong>mt nicht.«<br />

74<br />

Altersmässig entsprach sie zu Beginn der Niederschrift des Zauberberg etwa Mme Chauchat,<br />

an ihrem Ende etwa der Oberin.<br />

75<br />

Vgl. Erika Mann: Meine Mutter, Frau <strong>Thomas</strong> Mann, in: Mein Vater, der Zauberer, hrsg.<br />

von Irmela von der Lühe und Uwe Naumann, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1996, S. 272-<br />

278, 274: »Eine gewisse Ungeduld [...] eignet dem Mielein [Katia Mann] überhaupt. Zwar hat<br />

sie so viel zu tun, dass sie <strong>im</strong>mer in Eile und nie befugt ist, Zeit irgend zu verschwenden.«<br />

76<br />

Zu verweisen ist auf Notizen, die <strong>Thomas</strong> Mann, auf Katia bezogen, für das geplante (und<br />

nie verwirklichte) Ehekapitel der Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull gemacht hat, <strong>im</strong><br />

wesentlichen in den Jahren 1910-1914: »Sie spricht sehr rasch und undeutlich, aus Geringschätzung<br />

der Wichtigkeit dessen, was sie sagt.« (Hans Wysling: Narzissmus und illusionäre Existenzform<br />

Zu den Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull, 2. Aufl., Frankfurt/Main: Klostermann<br />

1995 [= <strong>Thomas</strong>-Mann-Studien, Bd. V], S. 426. - S. 428: »Was liegt an mir?« (Vgl. III,<br />

234.) Dort auch die an Hans Castorp denken lassende Notiz: »Während ihrer Krankheit Stolz<br />

und Vergnügen über jeden Grad Fieber. Sie ruft ihn eigens und bringt ihn zur Frage. Dann mit<br />

triumphierendem Lächeln: >38 Grad!

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