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Die Krankenschwesterfiguren im frühen Werk Thomas Manns unter ...

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38<br />

<strong>Thomas</strong> Sprecher<br />

- Krankenschwester ist in erster Linie ein Beruf. Wie bei den Ärzten steht<br />

nicht das Privat-, sondern das Berufsleben <strong>im</strong> Vordergrund: die Aufgabe<br />

und Tätigkeit der Schwester. Sie trägt Berufskleidung. Sie kümmert sich<br />

um Bedürftige, sie hilft den Kranken.<br />

- Ihre Bezeichnung >Schwester< weist darauf hin, dass sie zu einer Familie<br />

gehört. Anders gesagt: <strong>Die</strong> Krankenschwester etabliert Familiarität. Wer<br />

einer >Schwester< gegenübersteht, wird einfamiliarisiert. Und in der Tat<br />

ist auch der Zauberberg ein Familienroman, ein mythologischer Familienroman<br />

diesmal, wobei die Rollenaufteilung je nach Beleuchtung wechselt.<br />

8<br />

- <strong>Die</strong> Krankenschwester ist innerhalb des Familien-Modells eine Inkarnation<br />

der pflegenden Mutter.<br />

- Gleichzeitig ist sie aber auch Schwester. Sie gilt als »Inbegriff der Vermeidung<br />

aller erotisch/bedrohlichen Weiblichkeit«. 9 Vielleicht wurde sie gerade<br />

deshalb Schwester genannt. <strong>Die</strong> Schwester ist, da mit dem Inzestverbot<br />

belegt, kein erlaubtes Objekt der Begierde.<br />

- Und doch gehören sexuelle Beziehungen zu einer Krankenschwester zu<br />

den verbreitetsten Männerphantasien. 10 Gerade weil das Schwestern-<br />

Weiss rein, weil es unbetretenes Gebiet ist, Hesse sich sagen, bildet es ein<br />

Territorium dafür. So wird die Krankenschwester auch zur Geliebten.<br />

<strong>Die</strong> Liebe der Schwester wandelt sich in die Liebe zur Schwester.<br />

- Einen Schritt weiter wird die Schwester dann zur Hure. Felix Krull<br />

spricht in diesem Zusammenhang von einer »anrüchigen Schwesternschaft«<br />

(VII, 375).<br />

- <strong>Die</strong> Verbindung zur religiösen Sphäre wird für diese Art Schwestern<br />

durch die Bezeichnung »Venuspriesterinnen« - auch dies ein Wort von<br />

Krull (VII, 375) - hergestellt. Aber als Schwestern werden ja auch die<br />

Nonnen, die Angehörigen geistlicher Frauenorden bezeichnet. <strong>Die</strong> Krankenschwester<br />

trägt wie die Braut Gottes Schwesterntracht.<br />

- Schliesslich wird das Wort »Schwestern« zum Inbegriff aller weiblichen<br />

Menschen, so wie vor noch nicht langer Zeit alle Menschen, also Männer<br />

8 Überall Verwandte, überall Vettern: Castorp und Ziemssen sind Brüder, die Mylendonk ist<br />

die Mutter der Chauchat, die Chauchat und Castorp werden zu Geschwistern, Behrens ist<br />

der Vater der Chauchat, aber auch der Sohn (vgl. Lotti Sandt: Mythos und Symbolik <strong>im</strong> Zauberberg<br />

von <strong>Thomas</strong> Mann, Bern/Stuttgart: Haupt 1979 [= Sprache und Dichtung, N.F., Bd. 30], S.<br />

284 f.). Usw.<br />

9 Klaus Theweleit: Männerphantasien, 2 Bde., Frankfurt/Main: Roter Stern 1977, Bd. 1,<br />

S. 161.<br />

10 Theweleit, S. 163.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Krankenschwesterfiguren</strong> <strong>im</strong> <strong>frühen</strong> <strong>Werk</strong> <strong>Thomas</strong> <strong>Manns</strong> 39<br />

und Frauen, »Brüder« hiessen (»Brot für Brüder«). Damit weitet sich die<br />

Familiarität ins Allgemein-Menschliche und bekommt den grösstmöglichen<br />

Massstab.<br />

Viele und einander auch widersprechende Rollen also bündeln sich in der<br />

Schwester. Sie steht zwischen Caritas und eros, zwischen Familiarität, Medizin<br />

und Religion. Sie ist Berufsfrau, Mutter, Schwester, Geliebte, Hure, Braut<br />

Gottes, Frau und Mensch.<br />

Mein Vortrag gilt <strong>im</strong> wesentlichen einer Figur, die bisher, soweit ich sehe,<br />

philologisch weitgehend unbehelligt geblieben ist," was allerdings nicht verwundern<br />

darf, denn sie ist nicht nur hässlich, sondern auch gefährlich. Bevor<br />

ich jedoch zu den besonderen Reizen komme, die von Frau von Mylendonk<br />

ausgehen, will ich einen Blick werfen auf ihre Vorläuferinnen <strong>im</strong> Frühwerk<br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Manns</strong>.<br />

Schon in Buddenbrooks trifft man auf Schwestern, und dort schon auch<br />

auf den Gegensatz zwischen protestantischen und katholischen. Protestantisch<br />

sind die »Schwarzen Schwestern« (I, 71, 559). Ihnen gegenüber stehen<br />

die »Grauen Schwestern«, »>unsere guten katholischen Grauen Schwestern»treuer, hingebender, aufopferungsfähiger<br />

[...] als die Schwarzen»<strong>Die</strong>se Protestantinnen,<br />

das ist nicht das Wahre. Das will sich alles bei erster Gelegenheit verheiraten..<br />

. Kurzum, sie sind irdisch, egoistisch, ordinär... <strong>Die</strong> Grauen sind degagierter,<br />

ja, ganz sicher, sie stehen dem H<strong>im</strong>mel näher.

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