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Die Krankenschwesterfiguren im frühen Werk Thomas Manns unter ...

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36<br />

<strong>Thomas</strong> Sprecher<br />

den. [...] Hoffen wir, dass der ärztliche Schaden, den das Buch hervorrufen muss,<br />

nicht allzugross sein wird.<br />

Auch Felix Klemperer war der Meinung, Behrens und Krokowski seien unappetitliche<br />

Geschöpfe: 3<br />

Als noch ungerechter aber, ja fast als gehässig muss die Schilderung der Schwestern<br />

bezeichnet werden, wenn wir in ihnen charakteristische Vertreterinnen ihres Berufs<br />

erblicken sollen. [...] Jede Durchschnittspflegerin steht doch höher. In dem grossen<br />

Hause mit seinen siebzig Patienten und während der langen Zeit von sieben Jahren,<br />

die Hans Castorp dort oben zubringt, müssen doch sehr viele Schwestern tätig gewesen<br />

sein; wie leicht, sollte man glauben, müsste es für den Dichter sein, noch eine<br />

oder die andere Pflegerin mit edleren Zügen in die Darstellung einzufügen.<br />

Hören wir noch Goswm Zickgraf: 4<br />

Der <strong>Die</strong>nstweg wird gegeisselt, der den Pat. bei besonderer Veranlassung zur ärztlichen<br />

Hilfe führt via Bademeister und Oberin, die, nebenbei bemerkt, mit ihren burschikosen<br />

Reden ausser ihrem altadeligen Namen keine Vorzüge aufweist. Überhaupt<br />

kommen die Schwestern bei <strong>Thomas</strong> Mann <strong>im</strong> Roman schlecht weg. Taktlos, unweiblich<br />

und ohne jeden Charm werden sie geschildert.<br />

Und schliesslich die Berliner Ärztin Lizzie Hoffa: 5<br />

In einem Punkt kann die Wirkung des Buches eine gefährliche sein. Zwei Berufsarten<br />

treten darin in merkwürdig abstossender Form auf; das sind die Aerzte und die Schwestern.<br />

Und hierüber erhebt sich - mit Recht, - in Aerztekreisen eine berechtigte Entrüstung.<br />

Gibt es nicht gerade in diesen Berufen die selbsdosesten und aufopferndsten<br />

Menschen? Konnte nicht wenigstens ein sympathischer, menschlich warmer Vertreter<br />

dieser Berufe geschildert werden?<br />

Sie fand »die dürre, kalte Oberin und die herzlos dumme Schwester [...] vollkommen<br />

unerträglich«. »<strong>Die</strong> Wirkung dieser Schilderung auf das Leserpublikum,<br />

das allzu leicht verallgemeinert, [...] muss verhängnisvoll sein.« Der<br />

Zauberberg könne dadurch »ungeheuren Schaden anrichten«.<br />

3 Felix Klemperer: <strong>Thomas</strong> <strong>Manns</strong> »Zauberberg« <strong>im</strong> ärztlichen Urteil. Ein Beitrag zur Psychologie<br />

der Lungentuberkulose und der Sanatoriumsbehandlung, in: Frankfurter Zeitung, Nr.<br />

455, 22.6.1926.<br />

4 Goswin Zickgraf: Noch eine ärztliche Kritik über den »Zauberberg«, in: Zentralblatt für<br />

innere Medizin, Nr. 37,1925, S. 869-876, 872.<br />

5 Lizzie Hoffa: Der Zauberberg von <strong>Thomas</strong> Mann, in: Nordbayerische Zeitung, Nürnberg,<br />

24.8.1925.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Krankenschwesterfiguren</strong> <strong>im</strong> <strong>frühen</strong> <strong>Werk</strong> <strong>Thomas</strong> <strong>Manns</strong><br />

Den Massstab für diese Kritik lieferte die Lebenswelt. Man las die Figuren<br />

rein realistisch; man las sie nicht - nicht auch - als Kunst-Figur. <strong>Die</strong>s will ich<br />

<strong>im</strong> Folgenden nachholen. Von einer forcierten Sinnstiftung auf dem Wege<br />

allegorischer Auslegung sei indes Abstand genommen. Meine Darlegungen<br />

sind nicht durchwegs auf stringenten Beweis aus; sie versuchen Bedeutungshöfe<br />

zu beleuchten und semantische Affinitäten und erlauben sich da und<br />

dort das Spiel mit Assoziationen. Ich will keinesfalls behaupten, diese Assoziationen<br />

seien vom Autor <strong>im</strong>mer auch beabsichtigt gewesen. 6 Der Text aber<br />

lässt sie <strong>im</strong>merhin zu oder legt sie gar nahe; und legt sie damit gar nahe an die<br />

Nachweisgrenze.<br />

<strong>Die</strong> beiden Krankenschwestern <strong>im</strong> Zauberberg heissen Adriatica von<br />

Mylendonk und Alfreda Schildknecht. Letztere bleibt ziemlich blass. 7 Aber<br />

an Adriatica von Mylendonk bewährt sich mindestens tendenziell die Sentenz<br />

des alten Fontane, dass die Nebenfiguren <strong>im</strong>mer das Beste sind.<br />

An sich sind Schwestern ideale Figuren, um hinter die Kulissen eines Sanatoriums<br />

blicken zu lassen. Sie üben Scharnierfunktionen zwischen innen<br />

und aussen aus und zwischen oben und unten. Man muss indes annehmen,<br />

dass es <strong>Thomas</strong> Mann <strong>im</strong> Zauberberg sehr bewusst bei zwei Schwestern beliess.<br />

Ihre geringe Zahl erhöht ihre Bedeutung. Sie sind nicht Staffage, nicht nur<br />

anonyme oder <strong>im</strong> Typischen aufgehende Vertreterinnen ihres Berufsstandes.<br />

Vielmehr treten sie mit Namen und durchaus individuell in Erscheinung.<br />

Dennoch sind sie eben Krankenschwestern, und ihre Individualität misst<br />

sich wesentlich daran, inwiefern sie sich von der Folie des kurrenten Krankenschwesterbildes<br />

abheben. Welche Vorstellungen verbinden sich mit der<br />

Schwester?<br />

6<br />

Vielleicht Hesse sich aber der strafrechtliche Begriff des Evenrualvorsatzes anwenden: eine<br />

bewusste Inkaufnahme.<br />

7<br />

Wie Adriatica von Mylendonk in vielen Zügen dem Hofrat, entspricht Schwester Berta mehrheitlich<br />

Dr. Krokowski. Sie forscht die Patienten aus, so wie der »Beichtvater« (III, 137)<br />

Krokowski durch seine Analysen »alle Gehe<strong>im</strong>nisse« der Damen (III, 92) kennen soll. Auch ihr<br />

Porträt ist vorwiegend negativ. »Offenbar war sie [...] ohne rechte Hingabe an ihren Beruf,<br />

neugierig und von Langerweile beunruhigt und belastet.« (III, 21) Kurzsichtig und neugierig<br />

späht sie nach dem ankommenden Hans Castorp. (III, 23) Auch später reckt sie so lange den<br />

Hals nach den Vettern, dass Joach<strong>im</strong> sie endlich mit seinem Vetter bekannt macht. Schwester<br />

Berta heisst eigentlich, wie mit stereotyper Komik angegeben wird, Alfreda Schildknecht und ist<br />

»protestantische Diakonissin« (III, 739,405). Sie macht »bei näherer Prüfung den Eindruck, als<br />

habe <strong>unter</strong> der Folter der Langenweile ihr Verstand gelitten. Es war sehr schwer, wieder von ihr<br />

loszukommen, da sie vor der Beendigung des Gespräches eine krankhafte Furcht an den Tag<br />

legte« (III, 152). <strong>Die</strong> Konversation zieht sie redselig (III, 420) und mit »klammernder Dankbarkeit«<br />

(III, 405) in die Länge. Als sich die Vettern endlich losreissen, sieht ihnen die Schwester mit<br />

»saugenden Blicken nach, als wollte sie sie mit den Augen zu sich zurückziehen«. (III, 152 f.) -<br />

Daneben finden <strong>im</strong> Zauberberg noch »eine <strong>im</strong> Hause beschäftigte Pflegeschwester« (III, 864)<br />

und eine »Barmherzige Schwester« (III, 881) Erwähnung.<br />

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