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Die Krankenschwesterfiguren im frühen Werk Thomas Manns unter ...

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70<br />

<strong>Thomas</strong> Sprecher<br />

Eine besondere Nähe gewinnt sie zu Maria, der Muttergottes, der christlichen<br />

Magna Mater, H<strong>im</strong>melskönigin und Virgo Celestis. Settembrinis Bezeichnung<br />

»unsere verehrungswürdige Frau« (III, 88) deutet darauf hin, auch<br />

ihre weisse Jungfräulichkeit, ihre Christlichkeit, vielleicht auch ihr Vorname.<br />

<strong>Die</strong> roten Haare sprechen nicht dagegen: <strong>Die</strong> bildenden Künstler haben die<br />

Madonna in allen Haarfarben geschätzt und ihr insbesondere auch rote Haare<br />

zugedacht. 79 Auch das Dreieck Behrens - Krokowski - Mylendonk weist<br />

ihr als einziger Frau diese Rolle zu: Der Hofrat n<strong>im</strong>mt in dem Sanatorium<br />

eine (fast) allgewaltige Stellung ein, und Krokowski wird explizit mit »dem<br />

Herrn Jesus am Kreuz« (III, 183) verglichen. 80 Dazu passen ihre schon erwähnte<br />

Menschenmutterschaft und die Assoziation mit der Maria <strong>im</strong> Ährenkranz.<br />

Zur Interpretation der Mylendonk als Maria-Figur lädt auch die Tatsache<br />

ein, dass literarische Mariendarstellungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

keineswegs selten waren. 81 Das Interesse konzentrierte sich nicht auf marianische<br />

Frömmigkeit. Stefan George (<strong>Die</strong> Bücher der Hirten und Preisegedichte,<br />

der Sagen und Sänge und der Hängenden Gärten, 1895), Rilke (Gebete<br />

der Mädchen zu Maria, 1898; Marienleben, 1912), Döblin (Maria<br />

Empfängnis, 1911), Brecht (Weihnachtsgedichte, 1922-26), Hesse (<strong>unter</strong> anderem<br />

Narziss und Goldmund, 1930), ihnen allen war vielmehr daran gelegen,<br />

mit Maria als literarischer Figur Grundhaltungen des Menschen zur<br />

Wirklichkeit überhaupt zu spiegeln. 82<br />

Auch <strong>im</strong> Frühwerk <strong>Thomas</strong> <strong>Manns</strong> - der einmal eine Mary sogar heiraten<br />

wollte (vgl. XI, 117 f.) und der die von Heinrich Mann geschenkte Madonna<br />

Murillos »als Staffeleibild auf meinem Tisch« aufstellte (29.12.1900 an Heinrich<br />

Mann) - kommt Maria <strong>im</strong>mer wieder vor. Gleich zu Beginn von Gefallen<br />

(1894) begegnen »wächserne Madonnen« (VIII, 11). Über Hanno Buddenbrooks<br />

Bett hängt die Sixtinische Madonna (1901; I, 703). Natürlich wird<br />

79<br />

Brigitte Kronauer: Maria wie Milch und Blut, in: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 217, Nr. 292,<br />

14715.12.1996, S. 67 f.<br />

80<br />

Eine »Maria«, eine <strong>im</strong> Mittelpunkt stehende Mutter mit Kind, taucht dann <strong>im</strong> Schneetraum<br />

wieder auf (III, 681). Vgl. <strong>Thomas</strong> Sprecher: Davos <strong>im</strong> »Zauberberg«. <strong>Thomas</strong> <strong>Manns</strong> Roman<br />

und sein Schauplatz, Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 1996, S. 286 f. - Es h'esse sich auch<br />

von einer christlichen Trinität - Adriatica-Hermes als Heiliger Geist - oder von einer<br />

alchemistischen Trinität - gebildet von König, Sohn und Hermes - sprechen. Vgl. Jung, S. 392 ff.<br />

81<br />

Und schon der Protestant Novalis hatte 1800, die christliche Symbolik frei und überkonfessionell<br />

benutzend und zu individueller Blickweise und Darstellung an<strong>im</strong>ierend, gedichtet:<br />

»Ich sehe dich in tausend Bildern / Maria, lieblich ausgedrückt, /Doch keins von allen kann dich<br />

schildern, / Wie meine Seele dich erblickt.«<br />

82<br />

Auch an Max Grads 1896 publizierte Novelle Madonna (in: Neue deutsche Rundschau, Jg.<br />

7,1896, S. 988-996) ist zu denken, die, worauf Hans Rudolf Vaget hingewiesen hat, eine literarische<br />

Vorlage für die Madonna aus Gladius Dei darstellte.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Krankenschwesterfiguren</strong> <strong>im</strong> <strong>frühen</strong> <strong>Werk</strong> <strong>Thomas</strong> <strong>Manns</strong> 71<br />

in Buddenbrooks die Lübecker Marienkirche erwähnt (I, 589), und dann<br />

auch die Münchner Mariensäule (I, 308). Vielleicht darf noch das pikante<br />

Lied »That's Maria!« (I, 263) erwähnt werden, das Christian Buddenbrook<br />

so fasziniert und das übrigens schon in Luischen (1900; VIII, 176) vorkommt.<br />

83 In GUdius Dei (1902) wird eine wollüstige Madonna-Figur in der<br />

Kunsthandlung von M. Blüthenzweig zum Streitgegenstand. 84 In der Erzählung<br />

Be<strong>im</strong> Propheten (1904) heisst die Schwester des Propheten, als ob dessen<br />

<strong>im</strong>itatio Christi nicht schon augenfällig genug wäre, Maria Josefa (VIII,<br />

364). Im Zauberberg heisst die »Venus« Ziemssens, Castorps alter ego, Marusja,<br />

was »Marie« bedeutet (III, 104, 99).<br />

<strong>Die</strong> asketische, in leidende Spiritualität zurückgenommene Pietä 85 Naphtas<br />

ist geradezu seine Antwort auf die Sinnlichkeit von M. Blüthenzweigs<br />

Madonna. 86 Der Bezug der Pietä andererseits zu Schwester Adriatica wird,<br />

über die Christlichkeit hinaus, augenfällig durch ihre Hässlichkeit, ihr Alter<br />

- sie stammt aus dem 14. Jahrhundert (während die Oberin »nicht lange nach<br />

der Mitte des 13. Jahrhunderts« auf die Welt gekommen sein soll), es ist<br />

»Mittelalter, wie es <strong>im</strong> Buche steht« - und ihre rheinische Herkunft hergestellt.<br />

Ausserdem trägt auch die Gottesmutter eine Haube. Selbst die Farbe<br />

rot kommt vor: Der Sockel ist »rot verkleidet«, und beschrieben werden<br />

»Trauben geronnenen Bluts«. Schliesslich kann auch das Element »Kunst«<br />

genannt werden: Einem »Künstler« hat die Oberin ihre »Berghof«-Existenz<br />

zu verdanken (was ja auch <strong>im</strong> buchstäblichen Sinn gilt). <strong>Die</strong> »Geronnenheit«,<br />

überhaupt die Statue erinnern an »Versteinerung«, »Petrefakt«.<br />

- Im Horizont des Demeter-Persephone-Mythos stehen die Mylendonk<br />

und die Chauchat <strong>im</strong> Mutter-Tochter-Verhältnis zueinander. Sie sind von<br />

derselben Familie; ihre Identitäten decken sich teilweise.<br />

- Stellt die Mylendonk <strong>im</strong> Zeichen des Hermetisch-Vermittelnden wie des<br />

Mephistophelisch-Verführenden eine Kupplerin, eine Bordellmutter<br />

dar, 87 so wird Mme Chauchat zu ihrer Hure.<br />

83<br />

Vgl. auch Brief vom 26.1.1911 an Heinrich Mann.<br />

84<br />

VIII, 202 ff. Vgl. dazu auch Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches II, Der<br />

Wanderer und sein Schatten, Nr. 73.<br />

85<br />

III, 544. Vgl. Bild und Text bei <strong>Thomas</strong> Mann, hrsg. von Hans Wysling <strong>unter</strong> Mitarbeit von<br />

Yvonne Schmidlin, Bern/München: Francke 1975, S. 176 f.; Sandt, S. 315.<br />

" VIII, 202. <strong>Die</strong> Gegenbewegung führt <strong>im</strong> späten Krull dann zum »königlichen Busen« Maria<br />

Pias (VII, 661).<br />

87<br />

Vgl. III, 580, wo Hofrat Behrens das Kuppelei-Motiv unvermittelt aufbringt. Indem er sich<br />

von den Eigentümern des Sanatoriums distanziert - er sei nicht »Hüttchenbesitzer« und »Kuppelonkel«,<br />

sondern nur Angestellter (III, 576, 580) -, schreibt er dem »Berghof« gerade Bordellcharakter<br />

zu. Und übrigens ist das Sanatoriumsgebäude mit einem Kuppelturm versehen.

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