RÄUME LESEN, RÄUME SCHREIBEN
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9 Verlandungsschema<br />
des Mäanders im Delta<br />
von Milet, Kleinasien.<br />
3D-Modell auf der Basis<br />
geowissenschaftlicher<br />
Untersuchungen.<br />
stand, dass man vor lauter Holz keinen Feldbau treiben<br />
könne“, weshalb man den Boden von Bäumen<br />
„reinigen“ müsse (Geographica 14,6,5). Eben so rühmt<br />
der römische Dichter Lukrez in seinem Lehrgedicht<br />
„Von der Natur der Dinge“ die Abholzung der Wälder<br />
als ersten Schritt zur Zivilisation und zählt statt<br />
dessen die Bestandteile einer Kulturlandschaft auf:<br />
„Wiesen und Teiche, Kanäle, üppige Weinberge,<br />
Äcker, Ölbäume, köstliche Sorten von Baumobst,<br />
fruchtbares Strauchwerk und Reben“ (5,1370–1378).<br />
Dass sich Landschaften zu ihrem Nachteil veränderten,<br />
beschreibt der Philosoph Platon im Falle<br />
seiner Heimatstadt Athen. In seinem Dialog „Kritias“<br />
erinnerte er an den Urzustand des Landes, in dem<br />
die Berge bewaldet und Berge und Ebenen, „welche<br />
jetzt als Steinboden bezeichnet werden“, mit fetter<br />
Erde von schier unglaublicher Fruchtbarkeit bedeckt<br />
waren. Im Gegensatz zu den „dünnen Fruchtböden“<br />
der Gegenwart hätte diese eine hohe Speicherkapazität<br />
für den von Zeus mit schöner Regelmäßigkeit<br />
gesandten Regen besessen, sammelte das Wasser<br />
in der Tiefe und sorgte so „an allen Orten für reichhaltige<br />
Quellen und Flüsse“ (Kritias 111bc). Mit<br />
Blick auf seine Zeit beschreibt er somit Vorgänge,<br />
die wir heute als Erosionsprozesse de� nieren. Auch<br />
betont er, dass frü her in Attika die Wälder gutes<br />
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Bauholz lieferten, was gegenwärtig jedoch nur<br />
noch in entlegenen Gegenden der Fall sei. Einen<br />
Zusammenhang zwischen Abholzung und Erosion<br />
erkennt er nicht. Und so kann er letztlich nur konstatieren,<br />
was Ergebnis und Auslöser für eine Naturkatastrophe<br />
war: „Jetzt hat das Ereignis einer<br />
einzigen, besonders regnerischen Nacht die Akropolis<br />
ringsherum abgeschwemmt und von der Erde<br />
entblößt, da zugleich Erdbeben geschahen und eine<br />
gewaltige Wasser� ut“ (Kritias 112a). Man bemerkte<br />
also im Athen der klassischen Zeit Veränderungen<br />
der Umwelt, bekämpfte aber nicht die<br />
Ursachen, sondern reagierte nur auf die Symptome.<br />
Ein attischer Pachtvertrag aus den Jahren<br />
354/344 v. Chr. bestimmte: „Die Erde aber, die aus<br />
Erdausschachtungen stammt, darf keiner wegbringen,<br />
außer auf das (gepachtete) Grundstück selbst“<br />
(IG II 22492 Z. 27–29). Den kostbaren Mutterboden<br />
zu erhalten und ihn von den Hängen nicht wegschwemmen<br />
zu lassen, dazu dienten Terrassenanlagen.<br />
Auch der Schutz besonders wertvoller Wälder<br />
rückte o� enbar mehr ins Bewusstsein, denn in der<br />
berühmten Schrift des Platonschülers Aristoteles,<br />
der „Politik“, werden unter den Staatsbeamten<br />
„Forstwarte“ und „Waldaufseher“ ausdrücklich erwähnt<br />
(1322a,30/ 1331b, 15).<br />
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