Download als PDF - Sozialplattform Oberösterreich
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Dokumentation
Wir bedanken uns bei ...<br />
Das Armutsnetzwerk OÖ bedankt sich bei Herrn Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer,<br />
Herrn Landesrat Josef Ackerl, Herrn Bürgermeister Dr. Franz Dobusch und der AK OÖ für<br />
die großzügige finanzielle Unterstützung, bei allen Referent/innen und Diskutant/innen,<br />
bei der <strong>Sozialplattform</strong> OÖ für die Organisation der Enquete sowie bei allen teilnehmenden<br />
Einrichtungen, die durch zahlreiche Präsentations- bzw. Informationsstände zum Gelingen<br />
der Veranstaltung beigetragen haben.<br />
Impressum:<br />
Armutsnetzwerk OÖ, c/o <strong>Sozialplattform</strong> OÖ, Weingartshofstraße 38, 4020 Linz<br />
0732 - 66 75 94, www.sozialplattform.at.<br />
Sammlung der Texte: Elisabeth Rinnerbauer<br />
Lektorat und Layout: Manuela Mittermayer<br />
Fotos: Heinz Zauner<br />
Motiv Einladung und Cover:<br />
„Sichtbar werden“, Pappfiguren der Armutskonferenz. Überarbeitet von Franz Suess.<br />
Druck: fab proba, Linz
Editorial<br />
4<br />
Jede/r 10. <strong>Oberösterreich</strong>erIn ist armutsgefährdet<br />
Armut ist auch in <strong>Oberösterreich</strong> die Realität vieler Menschen.<br />
Einige konkrete Zahlen:<br />
• 144.000 (10,1%) der <strong>Oberösterreich</strong>erInnen sind armutsgefährdet und haben nur ein<br />
(gewichtetes) Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle von Euro 893,- monatlich<br />
(EU-SILC 2006), inklusive aller Sozialleistungen<br />
• 55.000 (4%) leben in manifester Armut<br />
• 388.000 (28%) der <strong>Oberösterreich</strong>erInnen erfahren materielle Einschränkungen<br />
Über einen zweijährigen Zeitraum betrachtet sind um 50% mehr Menschen von Armut<br />
betroffen. Auch mit einem Einkommen knapp über dieser Schwelle ist kein gutes Leben<br />
möglich.<br />
Arbeitslosigkeit erhöht die Armutsgefährdung auf 19%. Aber auch Erwerbsarbeit schützt in<br />
zunehmenden Maße nicht vor Armut: 6% der Menschen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 64<br />
Jahre) sind armutsgefährdet trotz Arbeit, 5% arbeiten sogar Vollzeit.<br />
Pensionsbezug erhöht die Armutsgefährdung auf 14%. Alleinstehende Pensionistinnen sind<br />
zu 28% armutsgefährdet. Krankheit und Armut bedingen einander oft: Vor allem chronische<br />
Krankheit führt zu Armut und Armut macht in vielen Fällen krank!<br />
Armut kann viele Menschen treffen, nur manchmal wird sie sichtbar. Armut erzeugt Schamgefühl.<br />
Oftm<strong>als</strong> bemerken Nachbarn oder Arbeitskolleg/innen nichts von der Armut in ihrer<br />
Umgebung. Tag für Tag haben arme Menschen in <strong>Oberösterreich</strong> schlechtes oder zuwenig<br />
Essen, zuwenig Geld um die Wohnung ausreichend heizen zu können, Zahlungsprobleme bei<br />
unerwarteten Ausgaben wie Reparaturen oder sie können sich keinen Urlaub leisten.<br />
Arm sein heißt, am Rande der Gesellschaft zu leben!<br />
Arm sein heißt, keine Verpflichtungen eingehen zu können, für sich und andere!<br />
Arm sein heißt, Angst vor der Zukunft zu haben!<br />
Arm sein heißt, psychischem Druck ausgesetzt zu sein!<br />
Arm sein heißt, ein erhöhtes Krankheitsrisiko zu haben!<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Bei dieser Enquete am 22. Oktober 2008 kam es zu einem Dialog zwischen Wissenschaft, Politik,<br />
Sozialpartnern, sozialen und kirchlichen Einrichtungen, Förderstellen und dem Armutsnetzwerk<br />
OÖ. Von den Wissenschafter/innen wurden eindrucksvolle Fakten geschildert und<br />
um die Erfahrungen der Expert/innen aus den sozialen Einrichtungen ergänzt. Mit Sozialpartnern<br />
und Politiker/innen wurde die Frage nach der Verantwortung für die Armut in<br />
<strong>Oberösterreich</strong> diskutiert. Im Auftrag des Armutsnetzwerkes OÖ wurden die neuen Armutszahlen<br />
für <strong>Oberösterreich</strong> präsentiert.<br />
Das Armutsnetzwerk OÖ, ein Zusammenschluss vieler sozialer Einrichtungen, fordert zur<br />
Verringerung der Armut mit einem Armutsvermeidungs-ABC konkrete Maßnahmen in drei<br />
zentralen Bereichen unseres Sozi<strong>als</strong>taates:<br />
A Armutsvermeidende finanzielle Leistungen<br />
B Bessere soziale Infrastruktur bei Bildung, Gesundheitsversorgung, Pflege und Kinderbetreuung<br />
C Chancenverbesserung in der Arbeitswelt<br />
Einige konkrete Vorschläge:<br />
• Erhöhung der Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes zumindest auf EU-Durchschnitt<br />
von 70%<br />
• Erhöhung des Zuschusses des Bildungskontos vom Land OÖ und Umstellung auf frühere<br />
Auszahlung durch Vorschusszahlungen für Armutsgefährdete<br />
• Krankenversicherung (E-Card) für SozialhilfebezieherInnen<br />
• Besserer Zugang und mehr Angebote für Psychotherapie auf Krankenschein, besonders<br />
für MigrantInnen.<br />
Das große Interesse an dieser Enquete verstehen wir im Armutsnetzwerk OÖ <strong>als</strong> Auftrag für<br />
die Weiterarbeit.<br />
Unser Dank gilt Soziallandesrat Josef Ackerl, Bürgermeister Franz Dobusch, Landeshauptmann<br />
Josef Pühringer und der AK OÖ für die Subventionierung der Veranstaltung.<br />
Dem Vorbereitungsteam, besonders dem organisatorischen Team mit Elisabeth Rinnerbauer,<br />
Irene Dorfer und Pold Ginner für ihren engagierten Einsatz ein herzliches Danke.<br />
Für das Armutsnetzwerk OÖ<br />
Christian Winkler<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 5
Programm<br />
6<br />
9.30 - 10.00 Begrüßung<br />
Elisabeth Rosenmayr (Tagungsmoderation)<br />
im Gespräch mit: Pold Ginner, Maria Krautsieder und Iris Woltran<br />
10.00 - 11.15 Arbeitswelt und Armut<br />
Nikolaus Dimmel (Universität Salzburg)<br />
in Diskussion mit: Erich Gumplmaier (ÖGB OÖ), Roman Obrovski (AMS OÖ),<br />
Susanne Stockinger (Arbeitslose helfen Arbeitslosen)<br />
Iris Woltran (Moderation)<br />
Pause<br />
11.30 - 12.45 Generationen und Armut<br />
Matthias Till (Statistik Austria)<br />
in Diskussion mit: Eva Forster (Expertin), Renate Hackl (Land OÖ, Abteilung Soziales),<br />
Norbert Krammer (Sachwalterschaft, VSP)<br />
Pold Ginner (Moderation)<br />
Mittagspause<br />
14.00 - 15.15 Gesundheit und Armut<br />
Claudia Habl (Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen)<br />
in Diskussion mit: (Astrid Braun (pro mente OÖ))<br />
Andreas Krauter (KH Barmh. Schwestern), Felix Hinterwirth (GKK OÖ)<br />
Maria Krautsieder (Moderation)<br />
Pause<br />
15.30 - 16.30 Armut in <strong>Oberösterreich</strong><br />
Wer trägt die Verantwortung? Perspektiven, Lösungen<br />
Josef Ackerl (SPÖ), Bernhard Baier (ÖVP), Doris Eisenriegler (Grüne),<br />
Johann Kalliauer (AK/ÖGB OÖ), Josef Mayr (Kirche), Erhard Prugger (WK OÖ),<br />
Christian Winkler (Armutsnetzwerk OÖ)<br />
Dagmar Andree (Moderation)<br />
Rahmenprogramm: SchülerInnen HLW Auhof und BUCHplus<br />
Buffet: Mahlzeit Vertriebsges.m.b.H.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Inhalt<br />
Spezialauswertung:<br />
Christine Stelzer-Orthofer/Bettina Leibetseder:<br />
Armutsgefährdung, Einkommen und Lebensbedingungen in <strong>Oberösterreich</strong>:<br />
Daten und Fakten aus EU-SILC .......................................................................................................... 8<br />
Referate:<br />
Nikolaus Dimmel:<br />
Arbeitswelt und Armut ..................................................................................................................... 23<br />
Matthias Till:<br />
Generationen und Armut –<br />
Oder: Älter werden ist natürlich, Armut auch? ...........................................................................25<br />
Claudia Habl:<br />
Gesundheit und Armut (Kurzzusammenfassung) ..................................................................... 34<br />
Soziale Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung ............................................................... 36<br />
Kurzbiografien .................................................................................................................................... 42<br />
Fotos ...................................................................................................................................................... 45<br />
Fragen und Antworten ..................................................................................................................... 48<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 7
Armutsgefährdung, Einkommen und Lebensbedingungen<br />
in <strong>Oberösterreich</strong>: Daten und Fakten aus EU-SILC<br />
8<br />
Dr in Christine Stelzer-Orthofer/Dr in Bettina Leibetseder<br />
Nach Jahren der Abstinenz fand das Phänomen Armut erst im letzten Jahrzehnt Eingang in die politische<br />
und sozialwissenschaftliche Diskussion. Die Einbeziehung Österreichs in ein europaweit durchgeführtes,<br />
standardisiertes Haushaltspanel (ECHP) sowie in dessen Nachfolgeerhebung (EU-SILC, Survey on Income<br />
and Living Conditions) ermöglicht(e) es seither, Ausmaß und Betroffenheit zu quantifizieren. Obgleich<br />
mittlerweile immer mehr und validere Daten zu nationaler Armutsgefährdung, manifester Armut und<br />
betroffenen Gruppen vorliegen, gibt es de facto kaum regionale Analysen. Die <strong>Sozialplattform</strong> <strong>Oberösterreich</strong><br />
hat daher bei Statistik Austria eine Sonderauswertung für das Bundesland <strong>Oberösterreich</strong> in<br />
Auftrag gegeben, deren wichtigste Ergebnisse nun dargelegt werden. 1<br />
Christine Stelzer-Orthofer - geb. 1959;<br />
Studium der Sozialwirtschaft an der Johannes<br />
Kepler Universität Linz, am Institut<br />
für Gesellschafts- und Sozialpolitik<br />
tätig, Lehrbeauftragte an der Fachhochschule<br />
Linz. Arbeitsschwerpunkte: Armut,<br />
Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarkt- und<br />
Sozialpolitik.<br />
Bettina Leibetseder - Lektorin und Projektmitarbeiterin<br />
am Institut für Gesellschafts-<br />
und Sozialpolitik der Johannes<br />
Kepler Universität Linz, Lehrbeauftragte<br />
an der Fachhochschule für Soziales,<br />
schrieb ihre Dissertation über einen<br />
Vergleich der Sozialhilfe zwischen Großbritannien<br />
und Österreich. Forschungsschwerpunkte:<br />
Gender, Sozial- und Integrationspolitik.<br />
1 Ausmaß zur Armutsgefährdung in <strong>Oberösterreich</strong><br />
Wissenschaftlich korrekt und notwendig ist es, vorerst den<br />
Begriff Armutsgefährdung, dessen Operationalisierung sowie<br />
methodische Einschränkungen aufgrund der kleineren oberösterreichischen<br />
Stichprobe zu erläutern. Armut wird EU-weit<br />
dahingehend definiert, dass jene <strong>als</strong> verarmt anzusehen sind,<br />
„die über so geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügen,<br />
dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in<br />
dem Mitgliedsstaat, in dem sie leben, <strong>als</strong> Minimum annehmbar<br />
ist.“ Als einkommensarmutsgefährdet gelten daher jene, deren<br />
Einkommen 60% des Medianeinkommens im jeweiligen Mitgliedsstaat<br />
unterschreiten. 2006 lag diese Grenze für Alleinstehende<br />
in Österreich bei 10.711 Euro jährlich bzw. bei 893<br />
Euro monatlich. Dementsprechend waren im Jahr 2006 12,6%<br />
der österreichischen Bevölkerung armutsgefährdet. Die oberösterreichische<br />
Stichprobe für 2006 weist - auf Basis der österreichischen<br />
Schwellenwerte - einen Anteil von 10,1% aus,<br />
demnach sind 144.000 <strong>Oberösterreich</strong>er/innen armutsgefährdet.<br />
Sie müssen ihr Dasein mit monatlich weniger <strong>als</strong> 893 Euro<br />
sichern.<br />
1) Für Details siehe Datler, Georg (2008): EU-SILC 2004-2006. Sonderauswertungen<br />
<strong>Oberösterreich</strong>. Statistik Austria. Wien. Georg Datler sei hiermit auch herzlich für die<br />
Berechnungen und Beratung hinsichtlich der Interpretation der Daten gedankt.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Aufgrund der geringeren Fallzahlen sind bundesländerspezifische Auswertungen mit höheren<br />
Schwankungsbreiten behaftet. Daher liegt die statistische Schwankungsbreite der<br />
tatsächlichen Armutsgefährdung in <strong>Oberösterreich</strong> im Jahr 2006 zwischen 8,2% und 12,1%.<br />
Um Schätzungsfehler und Schwankungsbreiten so gering wie möglich zu halten, wird für<br />
die Analyse der oberösterreichischen Daten der einfache Durchschnitt aus den Jahren 2004,<br />
2005 und 2006 ausgewiesen, da somit die Genauigkeit der Schätzung verbessert und eine<br />
validere Datenlage erreicht werden können.<br />
Betrachtet man den Durchschnitt der Armutsgefährdungsquote für diese drei Jahre, so zeigt<br />
sich österreichweit mit 12,6% ein relativ stabiles Bild. Die vergleichbare Armutsgefährdung<br />
in <strong>Oberösterreich</strong> liegt bei deutlich geringeren 9,7% oder 136.000 Personen (Tabelle 1).<br />
Tabelle 1: Armutsgefährdung in <strong>Oberösterreich</strong> und Österreich in Prozent<br />
<strong>Oberösterreich</strong> Österreich<br />
Jahreswerte Durchschnitt Jahreswerte Durchschnitt<br />
2004 9,3<br />
12,8<br />
2005 9,9 9,7<br />
12,3<br />
12,6<br />
2006 10,1 12,6<br />
Quelle: Datler 2008; Statistik Austria 2006, 2007, 2008a; eigene Berechnungen<br />
Methodisch muss dieser positive Befund allerdings dahingehend relativiert werden, dass<br />
sich bei einer konservativen Schätzung des 95%-Konfindenzintervalls die statistisch mögliche<br />
obere Grenze von <strong>Oberösterreich</strong> und die untere Grenze für Österreich überschneiden<br />
(vgl. Statistik Austria 2008a: 31, siehe Tabelle 2). Die tatsächliche Armutsgefährdung in Österreich<br />
liegt diesen Berechungen nach - auf Basis der Konfidenzintervalle für die Stichprobe<br />
2006 - zwischen 11,6% und 13,5%; in <strong>Oberösterreich</strong> aufgrund der kleineren Stichprobe<br />
zwischen 7,7% und 11,6%. Diesen statistisch abgesicherten Berechnungen nach liegt die<br />
Anzahl der Armutsgefährdeten in <strong>Oberösterreich</strong> zwischen 107.000 und 161.000 Personen.<br />
Tabelle 2: Schwankungsbreite der Armutsgefährdungsquote für OÖ und Österreich<br />
untere Grenze Punktschätzer obere Grenze<br />
Österreich 11,6 % 12,6 % 13,5 %<br />
<strong>Oberösterreich</strong> 7,7 % 9,7 % 11,6 %<br />
Quelle: Datler 2008; Statistik Austria 2008a; eigene Berechungen, 95%-Konfidenzintervall<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 9
Armutsgefährdung, Einkommen und Lebensbedingungen in OÖ<br />
10<br />
Neben der Quantifizierung zum Ausmaß ist ein weiterer wichtiger Indikator die Armutsgefährdungslücke,<br />
die Anhaltspunkte darüber zulässt, in welcher Intensität die Gruppe der<br />
Armutsgefährdeten von finanziellen Einschränkungen betroffen ist. In anderen Worten, die<br />
Armutsgefährdungslücke misst die durchschnittliche Abweichung der Medianeinkommen<br />
der Armutsgefährdeten von der Armutsgefährdungsschwelle (60% des Medianeinkommens<br />
der gesamten Bevölkerung) in Prozent. Ein Unterschied zwischen der Armutsgefährdungslücke<br />
in Österreich und <strong>Oberösterreich</strong> zeigt sich im Gegensatz zu den Jahreswerten bei einem<br />
3-Jahres-Durchschnitt nicht. So beträgt die durchschnittliche Armutsgefährdungslücke der<br />
Jahre 2004 bis 2006 sowohl für Österreich <strong>als</strong> auch für <strong>Oberösterreich</strong> 17% (siehe Tabelle<br />
3).<br />
Tabelle 3: Armutsgefährdungslücke für <strong>Oberösterreich</strong> und Österreich<br />
<strong>Oberösterreich</strong> Österreich<br />
Jahreswerte Durchschnitt Jahreswerte Durchschnitt<br />
2004 19<br />
20<br />
2005 14 17<br />
15<br />
17<br />
2006 18 15<br />
Quelle: Datler 2008; Statistik Austria 2006, 2007, 2008a; eigene Berechnungen<br />
2 Einkommen und relativer Lebensstandard in <strong>Oberösterreich</strong><br />
Basis für die Berechnung der Armutsschwelle ist das verfügbare Einkommen, bei Mehrpersonenhaushalten<br />
wird dementsprechend das gesamte Haushaltseinkommen (Arbeitseinkommen,<br />
Sozialleistungen etc.) herangezogen. Ausgehend davon, dass der Lebensstandard<br />
einer Familie von der Größe und der Zusammensetzung des Haushalts bestimmt ist, wird<br />
für das Einkommen eine Gewichtung vorgenommen: Als Fixbedarf wird für die EU-SILC-<br />
Erhebung pro Haushalt ein Gewicht von 0,5 angenommen, weiters erhält jede Person ab 14<br />
Jahre ein Gewicht von 0,5; Kinder unter 14 Jahren werden mit 0,3 gewichtet. Mit diesen<br />
Äquivalenzzahlen wird versucht, unterschiedliche Haushaltsstrukturen vergleichbar zu machen.<br />
So errechnet sich beispielsweise für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern unter<br />
14 Jahren eine Gewichtung von 2,1, d.h. das Haushaltseinkommen wird durch diesen Faktor<br />
dividiert, um ein äquivalisiertes Einkommen zu erhalten.<br />
Äquivalenzeinkommen stellen somit ein gewichtetes verfügbares Pro-Kopf-Einkommen dar.<br />
Als Grundlage werden die Medianäquivalenzeinkommen für einzelne soziodemografische<br />
Merkmale gezeigt, da die Armutsgefährdung von den zur Verfügung stehenden Ressourcen<br />
bestimmt wird. Das äquivalisierte Nettohaushaltsmedianeinkommen in <strong>Oberösterreich</strong> beträgt<br />
im Durchschnitt für die Jahre 2004-2006 17.902 Euro pro Person, d.h. die eine Hälfte<br />
der <strong>Oberösterreich</strong>er/innen verdiente weniger und die andere mehr <strong>als</strong> diesen Wert. Im<br />
Gegensatz dazu beträgt das durchschnittliche äquivalisierte Nettohaushaltsmedianeinkommen<br />
für Österreich für denselben Zeitraum 17.605 Euro, lag <strong>als</strong>o etwas niedriger.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Je nach soziodemografischem Merkmal liegt das Äquivalenzeinkommen unter oder über den<br />
17.902 Euro in <strong>Oberösterreich</strong>. So ergeben sich ganz unterschiedliche Medianlebensstandards,<br />
die auf Risikogruppen hinweisen. Besonders augenscheinlich ist der deutlich geringere<br />
mediane Lebensstandard von Personen, die keine österreichische Staatsbürgerschaft<br />
haben und nicht aus der EU oder EFTA kommen (Tabelle 4).<br />
Tabelle 4: Relativer Lebensstandard nach sozialdemografischen Merkmalen für OÖ<br />
Medianlebensstandard<br />
In Euro In %<br />
Insgesamt 17.902 100,0<br />
Männer 18.497 103,3<br />
Frauen<br />
Staatsbürgerschaft<br />
17.310 96,7<br />
Österreich/ EU15/ EFTA 18.139 101,3<br />
Andere 13.635 76,2<br />
Haushalte* mit Pension 16.678 93,2<br />
Haushalte* ohne Pension 18.225 101,8<br />
Haushalte* mit Kindern (ohne<br />
Pension)<br />
Haushalt* mit<br />
16.573 92,6<br />
männlichem Hauptverdiener 18.312 102,3<br />
weiblicher Hauptverdienerin 16.783 93,8<br />
*Personen in Haushalten<br />
Quelle: Datler 2008; Durchschnittliches äquivalisiertes Medianeinkommen (Statistik Austria)<br />
3 Armutsgefährdung nach soziodemografischen Merkmalen in OÖ<br />
Betrachtet man die Armutsgefährdungsquote nach soziodemografischen Merkmalen, so<br />
zeigt sich, dass es für gewisse Gruppen ein erheblich erhöhtes Armutsgefährdungsrisiko gibt.<br />
Andere Gruppen haben wiederum ein sehr niedriges Risiko (siehe Abbildung 1). Aufgrund<br />
der geringen Stichprobengröße sind aber die Ergebnisse für Teilstichproben mit größeren<br />
Schwankungsbreiten behaftet. Sehr wohl kann aber gesagt werden, dass Menschen mit<br />
einer höheren Bildung, Männer, österreichische Staatsbürger/innen (inkl. EU/EFTA) sowie<br />
Mehrpersonenhaushalte mit einem Kind oder mit einem männlichen Hauptverdiener weniger<br />
stark armutsgefährdet sind. Im Gegensatz dazu sind ausländische Staatsbürger/innen<br />
(exkl. EU/EFTA), Mehrpersonenhaushalte mit drei oder mehr Kindern, Ein-Eltern-Haushalte,<br />
alleinstehende Ältere und Frauen eher armutsgefährdet, insbesondere Frauen, die eine Mindestpension<br />
beziehen. Vergleicht man diese Ergebnisse mit den österreichischen, wird sichtbar,<br />
dass es sich dabei um die gleichen Risikogruppen handelt.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 11
Armutsgefährdung, Einkommen und Lebensbedingungen in OÖ<br />
12<br />
Abbildung 1: Armutsgefährdung nach soziodemografischen Merkmalen in OÖ in Prozent<br />
Armutsgefährdung nach soziodemografischen<br />
Merkmalen in OÖ in Prozent<br />
Mehrpersonenhaushalt + 1 Kind<br />
Lehre/mittl. Schule/Matura/Uni<br />
MPH ohne Kind/ohne Pension<br />
männlicher Hauptverdiener<br />
Männer<br />
öster. Staatsbürgerschaft + EU/EFTA<br />
MPH mit Pension<br />
Einwohnerzahl Region ≤ 10000<br />
Durchschnitt<br />
Großstädte<br />
Frauen<br />
MPH + 3 Kinder<br />
weibliche Hauptverdienerin<br />
max. Pflichtschule<br />
Ein-Eltern-Haushalte<br />
Frauen 65+ Jahre<br />
Alleinstehend mit Pension<br />
ausl. Staatsbürgerschaft (nicht EU/EFTA)<br />
Quelle: Datler 2008, MPH: Mehrpersonenhaushalt (Statistik Austria)<br />
niedriges Risiko<br />
erhöhtes<br />
Risiko<br />
0 5 10 15 20 25 30<br />
4 Armutsgefährdung, Deprivation und manifeste Armut<br />
Armutsgefährdung wird primär über das Einkommen gemessen, darüber hinaus versucht<br />
man, andere Notlagen mit der EU-SILC-Erhebung zu erfassen. Darum wird ebenso nach der<br />
Einschränkung des Lebensstandards und damit auch nach dem beschränkten Zugang zu<br />
gewissen Gütern gefragt. Armutsgefährdung umfasst so den Mangel an finanziellen Ressourcen,<br />
Deprivation den Mangel an Gütern, die notwendig sind, um einen gewissen Lebensstandard<br />
zu erreichen (siehe Tabelle 5 und Abbildung 2).<br />
Tabelle 5: Armutsgefährdung, Deprivation und manifeste Armut in OÖ<br />
Armutsgefährdung nein Nicht-Arm<br />
72%<br />
durch niedriges<br />
Einkommen<br />
Quelle: Datler 2008 (Statistik Austria)<br />
Depriviert<br />
Nein Ja<br />
mangelnde Teilhabe<br />
18%<br />
ja Einkommensarmut manifeste Armut<br />
6%<br />
4%<br />
Rund 10% Armutsgefährdung<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
So sind in <strong>Oberösterreich</strong> rund 4% von manifester Armut betroffen, d.h. diese Gruppe verfügt<br />
weder über ein angemessenes Einkommen noch über alle Güter, die für einen angemessenen<br />
Lebensstandard notwendig sind. Was sind nun solche Güter? Als primäre Benachteilung gilt<br />
etwa, wenn jemand keinen Urlaub machen kann, die Wohnung nicht heizen kann, keine<br />
neue Kleidung kaufen kann, nicht jeden zweiten Tag Fisch oder Fleisch essen kann, unerwartete<br />
Ausgaben von etwa 900 Euro nicht tätigen kann oder mit Zahlungen im Rückstand ist.<br />
Als sekundäre Benachteilung wird der erzwungene Verzicht auf langlebige Gebrauchsgüter,<br />
wie etwa PC oder Geschirrspüler, gesehen, die sich jemand aufgrund von Geldmangel nicht<br />
kaufen kann. Ebenso werden von der Statistik gesundheitliche Einschränkungen, Wohnungsprobleme<br />
(kein Bad oder Schimmel etwa) und Belastungen im Wohnumfeld (etwa<br />
Lärm) erfasst, die einen weiteren Einblick in die Armutsgefährdung geben. Gruppen mit<br />
einem sehr hohen Risiko der manifesten Armut, die zumindest in einer der oben genannten<br />
Dimension einen Mangel ausweisen, sind Menschen, die primär von Sozialleistungen leben,<br />
und Menschen mit Behinderungen.<br />
Etwa 28% der <strong>Oberösterreich</strong>er/innen erfahren materielle Einschränkungen. Davon haben<br />
zwei Drittel keinen Zugang zu allen angemessenen Gütern, das restliche Drittel liegt entweder<br />
unter der Armutsgefährdungsschwelle von 60% des Medianeinkommens oder ist bei<br />
manifester Armut von Armutsgefährdung und mangelnder Teilhabe gleichzeitig betroffen<br />
(siehe Abbildung 2).<br />
Abbildung 2: Armutsgefährdung, Deprivation und manifeste Armut in OÖ<br />
Armutsgefährdung, Deprivation und manifeste Armut in OÖ<br />
Nicht-Arm 72% Einschränkungen 28%<br />
mangelnde Teilhabe<br />
64%<br />
Quelle: Datler 2008; eigene Berechnungen (Statistik Austria)<br />
Einkommensarmut<br />
22%<br />
manifeste<br />
Armut 14%<br />
depriviert<br />
armutsgefährdet<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 13
Armutsgefährdung, Einkommen und Lebensbedingungen in OÖ<br />
14<br />
5 Erwerbstätigkeit und Sozialleistungen<br />
Erwerbstätigkeit schützt noch immer am besten vor Armut. Sozialleistungen reichen in vielen<br />
Fällen nicht aus, das Einkommen über die Armutsgefährdungsschwelle zu heben. Somit<br />
wird <strong>als</strong> ausschlaggebend für das Risiko von Armutsgefährdung immer auf die fehlende oder<br />
zu geringe Beteiligung am Arbeitsmarkt auf individueller oder Haushaltsebene hingewiesen.<br />
Da der Ausgleichszulagenrichtsatz der Pensionen unter der Armutsgefährdungsschwelle<br />
liegt, haben ältere Menschen noch immer ein leicht überdurchschnittliches Risiko. Ungleich<br />
höher liegt das Armutsgefährdungsrisiko für Personen, die primär ihr Einkommen von anderen<br />
Sozialleistungen erhalten, etwa Krankengeld, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe<br />
sowie Sozialhilfe. Menschen, die vor allem von solchen Transferleistungen leben, haben zu<br />
einem Drittel ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle zur Verfügung.<br />
Tabelle 6: Armutsgefährdung nach Haupteinkommensquelle von Haushalten in OÖ<br />
in Prozent<br />
Haupteinkommensquelle Armutsgefährdung<br />
unselbstständige Arbeit 5<br />
selbstständige Arbeit 13<br />
Pensionen 14<br />
Sozialleistungen 34<br />
Quelle: Datler 2008 (Statistik Austria)<br />
So sind Menschen mit einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit mit 5% am wenigstens<br />
armutsgefährdet. Dann kommt es zu einem großen Sprung: Haushalte, die von einem Erwerbseinkommen<br />
aus selbstständiger Tätigkeit leben müssen, sind mit 13% schon ungleich<br />
stärker armutsgefährdet, gefolgt von Haushalten mit Pensionen.<br />
Arbeitslose Menschen haben ebenso ein erhöhtes Armutsgefährdungsrisiko. Zwar reduzieren<br />
Sozialleistungen dieses beträchtlich, aber noch immer sind Menschen, die vor allem<br />
vom Arbeitslosengeld oder von der Notstandshilfe leben, stark gefährdet. Österreichweit<br />
- die Stichprobe für <strong>Oberösterreich</strong> ist zu klein, um noch valide Aussagen treffen zu können<br />
- sind 40% der Langzeitarbeitslosen nach Transferleistungen von Armut betroffen (Statistik<br />
Austria 2008a: 41).<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Tabelle 7: Armutsgefährdung nach Haupttätigkeit vor und nach Sozialleistungen in OÖ<br />
in Prozent<br />
vor Pensionen u.<br />
Sozialleistungen<br />
vor Sozialleistungen<br />
nach Sozialleistungen<br />
Armutsgefährdungslücke<br />
in %<br />
erwerbstätig 17 13 6 21<br />
Pension 80 22 12 15<br />
arbeitslos 58 52 (19) (26)<br />
Haushalt 58 37 17 18<br />
in Ausbildung 33 27 (9) (38)<br />
Quelle: Datler 2008; Zahlen in Klammern beruhen auf geringen Fallzahlen (Statistik Austria)<br />
Arbeit schützt aber nicht immer vor Armut, in <strong>Oberösterreich</strong> sind rund 6% der Erwerbstätigen<br />
armutsgefährdet, das sind 35.000 Menschen. Statistik Austria (2006: 49) definiert<br />
Menschen <strong>als</strong> Working Poor, „die aktuell erwerbstätig und zwischen 20 und 64 Jahre alt sind<br />
und deren Haushalteinkommen (<strong>als</strong> Summe aller Erwerbs- und sonstiger Einkommen bezogen<br />
auf Haushaltsgröße und Altersstruktur – das heißt äquivalisiert) unter der Armutsgefährdungsschwelle<br />
liegt.“ So kann es einerseits sein, dass das individuelle Erwerbseinkommen<br />
aufgrund einer geringen Arbeitszeit, einer schlecht entlohnten Tätigkeit, unterbrochenen<br />
und unregelmäßigen Arbeitsverhältnissen nicht ausreicht. Andererseits kann es aufgrund<br />
der Haushaltskonstellation zu einem Armutsgefährdungsrisiko kommen, weil das Einkommen<br />
aus der Erwerbstätigkeit mit Transferleistungen aufgrund der Zusammensetzung des<br />
Haushaltes (etwa mehrere Kinder, Alleinerzieher/innen) unter dem Bedarf liegt.<br />
So schützt nicht jede Form der Erwerbstätigkeit gleich vor Armut: Nicht nur Selbstständige<br />
haben ein erhöhtes Armutsgefährdungsrisiko, auch Menschen mit einer niedrigen Bildung<br />
und in einer unqualifizierten Tätigkeit haben oft ein Einkommen unter der Schwelle von 60%<br />
des Medianeinkommens (siehe Tabelle 8). Vor allem auf der Haushaltsebene zeichnet sich<br />
ein geringes Einkommen ab, wenn niemand erwerbstätig ist. Kurzfristige, unterbrochene<br />
Erwerbstätigkeit oder überwiegende Teilzeitbeschäftigung führen ebenso zu einem geringeren<br />
Medianeinkommen. Nur wenn alle erwachsenen Personen zu einem überwiegenden<br />
Teil in Beschäftigung stehen, d.h. 9 Monate im Jahr erwerbstätig sind oder zumindest einer<br />
Drei-Viertel-Beschäftigung nachgehen, kann ein überdurchschnittliches Einkommen erzielt<br />
werden. 1<br />
1 Auf die Darlegung der jeweiligen Armutsgefährdungslücke wird wegen der statistischen Ungenauigkeit verzichtet.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 15
Armutsgefährdung, Einkommen und Lebensbedingungen in OÖ<br />
16<br />
Tabelle 8: Relativer Lebensstandard und Armutsgefährdung nach Erwerbsstatus in OÖ<br />
Medianlebensstandard Armutsgefährdungsquote<br />
In Euro In % In %<br />
Insgesamt 17.902 100 10<br />
Haupttätigkeit (Personen)<br />
Erwerbstätig 20.355 114 6<br />
davon Vollzeit 20.594 115 5<br />
davon Teilzeit 19.482 109 (8)<br />
Pension 17.678 99 12<br />
Arbeitslos 14.342 80 (19)<br />
Haupteinkommensquelle<br />
unselbstständige Arbeit 18.862 105 5<br />
selbstständige Arbeit 19.351 108 13<br />
Sozialleistungen 12.641 71 34<br />
Pensionen 16.904 94 14<br />
Berufliche Stellung<br />
nicht erwerbstätig 16.676 93 26<br />
Hilfsarbeit 17.391 97 9<br />
Facharbeit 19.627 110 (5)<br />
Mittlere Tätigkeit, Meister 21.272 119 (2)<br />
höhere/ hochqualifizierte<br />
Tätigkeit<br />
23.980 134 (4)<br />
Selbstständige 18.050 101 (5)<br />
Höchster<br />
Bildungsabschluss<br />
max. Pflichtschule 15.743 88 16<br />
Lehre/mittlere Schule 19.214 107 6<br />
Matura/ Universität 22.588 126 6<br />
Erwerbsintensität des<br />
Haushaltes<br />
keine Erwerbstätigkeit 14.697 82 22<br />
teilweise Erwerbstätigkeit 16.268 91 12<br />
volle Erwerbstätigkeit 20.942 117 3<br />
Quelle: Datler 2008, Zahlen in Klammern beruhen auf geringen Fallzahlen (Statistik Austria)<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
6 Risiken: Fremd sein, jung sein, krank sein ...<br />
Neben dem Erwerbsstatus <strong>als</strong> armutsauslösendem Faktor wird noch im Detail auf die Situation<br />
von Zugewanderten, Kindern und Familien sowie Menschen mit einem schlechten<br />
Gesundheitszustand eingegangen.<br />
6.1 Zugewanderte<br />
Die Lebenschancen von Einheimischen und Zugewanderten unterscheiden sich in Österreich<br />
stark. In <strong>Oberösterreich</strong> ist die sozioökonomische Situation der Zugewanderten ebenso<br />
schlechter gestellt. So zeigt sich, dass Menschen, die aus anderen Staaten <strong>als</strong> der EU oder der<br />
EFTA kommen, ein durchschnittliches äquivalisiertes Nettohaushalteinkommen von 13.635<br />
Euro zur Verfügung haben, demnach um ein Drittel bzw. um 4.500 Euro weniger <strong>als</strong> Österreicher/innen<br />
und EU/EFTA-Bürger/innen. Ein solch ungleich niedrigeres Einkommen schlägt<br />
sich nicht nur in der Armutsgefährdungsquote nieder, sondern ebenso bei der Deckung von<br />
Grundbedürfnissen. So geben rund die Hälfte der ausländischen Befragten in <strong>Oberösterreich</strong><br />
an, dass sie es sich nicht leisten können, einen Urlaub zu machen, im Gegensatz zu einem<br />
Viertel der Österreicher/innen. Immerhin 60% der ausländischen Staatsbürger/innen können<br />
nur sehr schwer unerwartete Ausgaben tätigen. Mit diesen finanziellen Einschränkungen<br />
müssen hingegen „nur“ 16% der österreichischen und EU/EFTA-Staatsangehörigen leben.<br />
Jene politischen Köpfe, die uns glauben machen wollen, dass unser System <strong>als</strong> soziale Hängematte<br />
für Migrant/innen dient, werden anhand der Zahlen eindeutig widerlegt. Ausländische<br />
Staatsangehörige profitieren bei weitem weniger von sozialen Transferleistungen: So<br />
sind rund die Hälfte alle Ausländer/innen vor allen Transferleistungen von Armut betroffen<br />
und nach deren Bezug noch knapp über ein Viertel. Somit halbiert sich die Armutsgefährdungsquote.<br />
Im Gegensatz dazu reduziert sich die Armutsgefährdungsquote bei den Öberösterreicher/innen<br />
mit österreichischer bzw. EU/EFTA-Staatsbürgerschaft um drei Viertel<br />
von knapp 40% auf 9%.<br />
Tabelle 9: Armutsgefährdung nach Staatsbürgerschaft vor und nach Sozialleistungen in<br />
OÖ in Prozent<br />
Österreich/<br />
EU15/ EFTA<br />
andere Staatsbürgerschaft<br />
vor Pensionen u.<br />
Sozialleistungen<br />
Quelle: Datler 2008 (Statistik Austria)<br />
vor Sozialleistungen<br />
nach Sozialleistungen<br />
Armutsgefährdungslücke<br />
in %<br />
39 21 8,7 16<br />
48 47 26,0 21<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 17
Armutsgefährdung, Einkommen und Lebensbedingungen in OÖ<br />
18<br />
Kinder und Jugendliche<br />
Kinder und Jugendliche sind österreichweit etwas stärker von Armut betroffen <strong>als</strong> Erwachsene.<br />
Rund 14% der unter 19-Jährigen sind armutsgefährdet, auch in <strong>Oberösterreich</strong> leben<br />
13% dieser Gruppe im Jahr 2006 in Haushalten, wo das Einkommen nicht über der Armutsgefährdungsschwelle<br />
liegt. Betrachtet man die Daten der letzten drei Jahre für <strong>Oberösterreich</strong>,<br />
so verbessert sich der Anteil zwar etwas auf 11%, liegt aber noch im statistischen<br />
Schwankungsbereich.<br />
Ohne Sozialleistungen wäre die finanzielle Situation für Haushalte mit drei oder mehr Kindern<br />
und Alleinerziehenden prekär. Durch die Sozialleistungen wird die Armutsgefährdungsquote<br />
von über 50% auf 14% bei Haushalten mit mindestens drei Kindern und auf 17% bei<br />
Alleinerziehenden gesenkt. Familien mit ein oder zwei Kindern sind a priori nicht so stark<br />
armutsgefährdet, die Sozialleistungen helfen zudem, deren Armutsgefährdungsquote auf<br />
ein Niveau unter der oberösterreichischen durchschnittlichen Armutsgefährdungsquote von<br />
9,7% zu reduzieren.<br />
Tabelle 10: Armutsgefährdungsquote von Haushalten mit Kindern in OÖ in Prozent<br />
vor Pensionen u.<br />
Sozialleistungen<br />
vor<br />
Sozialleistungen<br />
nach<br />
Sozialleistungen<br />
Insgesamt 31 28 9,0<br />
Ein-Eltern-Haushalte 54 51 17,0<br />
Mehrpersonenhaushalt<br />
+ 1 Kind<br />
18 15 6,0<br />
Mehrpersonenhaushalt<br />
+ 2 Kinder<br />
26 24 7,3<br />
Mehrpersonenhaushalt<br />
+ mind. 3 Kinder<br />
52 46 14,0<br />
Quelle: Datler 2008 (Statistik Austria)<br />
Familien müssen sich im Alltag aufgrund der durch Kinder bedingten finanziellen Belastung<br />
etwas mehr einschränken <strong>als</strong> Alleinstehende (o.ä.). Während sich Familien mit ein oder zwei<br />
Kindern kaum vom oberösterreichischen Durchschnitt unterscheiden, zeigt sich bei Ein-<br />
Eltern-Haushalten und Mehrpersonenhaushalten mit mindestens drei Kindern eine andere<br />
ökonomische Situation. Fast die Hälfte der Alleinerziehenden kann es sich nicht leisten,<br />
einen Urlaub zu machen. Ebenso ist es für diese Gruppe schwierig, unerwartete Ausgaben<br />
zu tätigen oder neue Kleidung zu kaufen. Auch Familien mit mehr Kindern haben größere<br />
Probleme, das Geld für einen Urlaub beiseite zu legen oder größere Ausgaben ad hoc zu<br />
tätigen.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Tabelle 11: Finanziell bedingte Einschränkungen bei Grundbedürfnissen bei Familien mit<br />
Kindern in OÖ<br />
.. % können sich<br />
nicht leisten<br />
Urlaub zu<br />
machen<br />
unerwartete<br />
Ausgaben<br />
zu tätigen<br />
jeden<br />
2.Tag<br />
Fleisch,<br />
Fisch zu<br />
essen<br />
neue Kleidung<br />
zu<br />
kaufen<br />
sind mit<br />
Zahlungen<br />
im<br />
Rückstand<br />
die<br />
Wohnung<br />
angemessen<br />
warm<br />
zu halten<br />
Insgesamt 24 18 6 6 2 2<br />
Haushalte mit<br />
Kindern<br />
29 19 7 6 2 3<br />
... Ein-Eltern-<br />
Haushalte<br />
47 39 (19) 16 (4) (5)<br />
…MPH + 1 Kind 25 18 4 4 (1) (3)<br />
…MPH + 2 Kinder<br />
24 14 7 7 (2) (2)<br />
MPH + mind. 3<br />
Kinder<br />
37 23 8 6 (5) (3)<br />
Quelle: Datler 2008, MPH: Mehrpersonenhaushalt, Zahlen in Klammern beruhen auf geringen Fallzahlen (Statistik Austria)<br />
6.2 Gesundheitszustand<br />
Ein weiterer wichtiger Faktor im Leben eines Menschen, um an einer Gesellschaft partizipieren<br />
zu können, ist der Gesundheitszustand. Menschen, die aufgrund ihrer soziodemografischen<br />
Merkmale mit höherer Wahrscheinlichkeit ein geringes Einkommen zur Verfügung<br />
haben, sind ungleich häufiger auch von gesundheitlichen Problemen betroffen und schätzen<br />
ihren Gesundheitszustand <strong>als</strong> schlechter ein (siehe Tabelle 12) <strong>als</strong> der Bevölkerungsdurchschnitt.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 19
Armutsgefährdung, Einkommen und Lebensbedingungen in OÖ<br />
20<br />
Tabelle 12: Subjektiver Gesundheitsstatus nach ausgewählten Merkmalen für OÖ<br />
sehr gut/gut mittelmäßig schlecht<br />
Insgesamt 79 17 4<br />
Männer 78 18 5<br />
Frauen 79 16 4<br />
Staatsbürgerschaft<br />
Österreichische Staatsbürgerschaft<br />
+ EU/EFTA<br />
79 16 4<br />
ausl. Staatsbürgerschaft 67 24 (9)<br />
Höchster Bildungsabschluss<br />
Max. Pflichtschule 67 26 7<br />
Lehre/mittlere Schule 80 16 5<br />
Matura/ Universität 89 9 (2)<br />
Nach dem Erwerbsstatus<br />
Erwerbstätigkeit 84 14 2<br />
Pension 51 36 14<br />
Arbeitslos 55 (27) (18)<br />
Haushalt 75 18 (6)<br />
In Ausbildung 92 (6) (2)<br />
Quelle: Datler 2008, Zahlen in Klammern beruhen auf geringen Fallzahlen (Statistik Austria).<br />
Aufgrund der Daten aus der österreichischen Gesundheitsbefragung kann der subjektive<br />
Gesundheitszustand von armutsgefährdeten Menschen <strong>als</strong> durchwegs schlecht bezeichnet<br />
werden: Nur 70% der Menschen mit einem Einkommen unter 60% des Medianeinkommens<br />
sehen ihren Gesundheitszustand <strong>als</strong> sehr gut oder gut an, während 84% der Menschen<br />
mit einem 150%igen Medianeinkommen ihren Gesundheitszustand <strong>als</strong> sehr gut oder gut<br />
einschätzen (Statistik Austria 2008b, 20). Menschen mit einem Einkommen bis zu 80%<br />
des Medianeinkommens sind verstärkt von chronischen Krankheiten und gesundheitlichen<br />
Einschränkungen betroffen. Ebenso nehmen sie weniger die Möglichkeit zu Vorsorgeuntersuchungen<br />
und Impfungen wahr und das gesundheitliche Risiko durch Rauchen und Übergewicht<br />
ist erhöht (Statistik Austria 2008b, 20-34). Arbeitslose sind ebenso verstärkt von<br />
einem subjektiv schlechteren Gesundheitszustand betroffen, so geben 69% der arbeitslosen<br />
Männer und 57% der Frauen ihren Gesundheitszustand <strong>als</strong> sehr gut oder gut an. Im Gegensatz<br />
dazu sehen 88% aller befragten Männer und 85% der Frauen ihren Gesundheitszustand<br />
<strong>als</strong> gut oder sehr gut an (Statistik Austria 2008b: 69).<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
7 Ausblick<br />
Armutsforschung ist immer auch eine politische Forschung, sie ist wichtig und notwendig.<br />
Sie ermöglicht es, den Blick darauf zu lenken, dass Armut kein Einzelschicksal, sondern sozi<strong>als</strong>trukturell<br />
zu verorten ist. Auf Basis solider Forschung ist sie in der Lage, Ausmaß und<br />
Betroffenheit zu quantifizieren, gefährdete Gruppen zu identifizieren, prekäre Lebenslagen<br />
auszumachen und Instrumente zur Armutsvermeidung zu entwickeln. Voraussetzung dafür<br />
ist, dass sie objektiv und seriös betrieben wird. Dazu gehört, transparent zu machen, dass<br />
Armut kein neutraler, sondern ein relativer, mit verschiedenen Ausprägungen behafteter<br />
Begriff ist. Dementsprechend sind Definitionen von Armut, die Festsetzung von Armutsschwellen<br />
und Armutsgrenzen, die Gewichtung der Haushaltsmitglieder und dergleichen<br />
– unabhängig davon, ob sie auf europäischer Ebene oder von den jeweiligen Forscher/innen<br />
vorgenommen werden – kein statistischer Nebenschauplatz, sondern eindeutig politische<br />
Vorannahmen oder Vor-Entscheidungen. Objektive Armutsmessung ist daher gefordert, immer<br />
zu erläutern, auf welcher Vorannahme, auf welcher Basis welche Ergebnisse beruhen.<br />
Wiewohl mittlerweile für mehr <strong>als</strong> zehn Jahre österreichische Armutsgefährdungsquoten<br />
vorliegen, ist es kaum möglich, Aussagen zur Entwicklung und zum Verlauf der Armutsbetroffenheit<br />
vorzunehmen. Zum einen wurde das Erhebungsinstrument von ECHP auf EU-<br />
SILC umgestellt, zum anderen wurde die Operationalisierung der Armutsschwelle geändert<br />
und das Erhebungsverfahren verfeinert. Für regionale kleinere Stichproben stellt sich zudem<br />
das Problem der Validität. Um diesbezügliche Stichprobenfehler gering zu halten, wurde<br />
daher der Durchschnitt der letztvorliegenden Daten der Jahre 2004, 2005 und 2006 berechnet.<br />
Der ursprünglichen Intention der Sonderauswertung, Daten zur oberösterreichischen<br />
Armutsgefährdung zu berechnen und zudem im Zeitverlauf zu analysieren, kann somit hinsichtlich<br />
der Zeitperspektive nicht entsprochen werden.<br />
Ganz generell zeigt sich, dass Personen in <strong>Oberösterreich</strong> vergleichsweise geringer von<br />
Armutsgefährdung betroffen sind. Dennoch ist einschränkend festzuhalten, dass es - rein<br />
statistisch betrachtet - im Bereich des Möglichen liegt, dass die oberösterreichische und<br />
österreichische Armutsgefährdungsquote gleich hoch sind. Insgesamt sind in <strong>Oberösterreich</strong><br />
zwischen 107.000 und 161.000 Personen armutsgefährdet. Die mittlere Variante der<br />
Armutsgefährdungsquote liegt für die drei analysierten Jahre bei 9,7%, dies entspricht<br />
136.000 armutsgefährdeten <strong>Oberösterreich</strong>er/innen. Die Armutsgefährdungslücke, die den<br />
Einkommensabstand der Gruppe der Armutsgefährdeten zum 60%-Medianeinkommen<br />
misst, beträgt in <strong>Oberösterreich</strong> analog zum österreichischen Wert 17%.<br />
Alle Jahre wieder wird in Fachkreisen mit Spannung die Herausgabe der aktuellen Ergebnisse<br />
der EU-SILC-Erhebung erwartet. Veränderungen von Zehntel-Prozentpunkten nach<br />
oben oder unten werden dann zum Teil <strong>als</strong> große Veränderung interpretiert und je nach<br />
politischer Verantwortung und Couleur dramatisiert oder verharmlost. Vor einer derartigen<br />
Fixierung auf Messdaten sei gewarnt, da Statistik und Daten nichts Absolutes sind.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 21
Armutsgefährdung, Einkommen und Lebensbedingungen in OÖ<br />
22<br />
• Zuallererst liegt ein Prozentpunkt innerhalb der statistischen Schwankungsbreite und<br />
kann heißen, dass es Veränderungen gegeben hat oder eben auch keine passierten.<br />
• Zweitens wird dabei oft nur mehr auf die meist ohnehin geringfügigen Veränderungen der<br />
Maßzahlen und Quoten geachtet und dabei vergessen, dass hinter den Zahlen Menschen<br />
stehen, die jeden Tag aufs Neue mit ihrem geringen Einkommen ihr Leben bestreiten<br />
müssen und so nicht an der Gesellschaft in einer für andere selbstverständlichen Art und<br />
Weise teilnehmen können (siehe etwa Stadlmayr & Sonnleitner 2008). Armutsgefährdete<br />
mit ihren unterschiedlichen Lebenslagen und –chancen stellen einen wesentlichen Teil<br />
der Gesellschaft dar, jede/r Zehnte in <strong>Oberösterreich</strong> ist mit solchen finanziellen Einschränkungen<br />
konfrontiert. Ein gutes Viertel der oberösterreichischen Bevölkerung lebt<br />
mit Einschränkungen, die sowohl finanzieller <strong>als</strong> auch sozialer Art sein können.<br />
• Drittens lenkt die Fixierung auf Zahlen davon ab, dass schon jahrelang die gleichen Risikogruppen<br />
armutsgefährdet sind: Mindestpensionist/innen (v.a. Frauen), Alleinerziehende,<br />
Migrant/innen, Arbeitslose, Menschen ohne Ausbildung, etc. Darunter sind viele<br />
Menschen, die hauptsächlich Transferleistungen beziehen. Gegenwärtig ist die Struktur<br />
und Ausgestaltung des österreichischen Sozi<strong>als</strong>taats noch immer nicht armutsfest und<br />
somit ein Feld, das politisches Handeln auf Bundes- und Länderebene erfordert. Eine<br />
Reform der Transferleistungen wird schon lange diskutiert und wurde auch im Konzept<br />
der Bedarfsorientierten Mindestsicherung konkretisiert; durch die vorzeitige Auflösung<br />
der Bundesregierung konnte ein entsprechender, weitgehend akkordierter Beschluss allerdings<br />
nicht mehr umgesetzt werden.<br />
8 Quellennachweis<br />
Datler, Georg (2008): EU-SILC 2004-2006. Sonderauswertung <strong>Oberösterreich</strong>, Wien<br />
Leibetseder Bettina & Weidenholzer Josef (Hg.) (2008): Integration ist gestaltbar. Strategien erfolgreicher<br />
Integrationspolitik in Städten und Regionen, Wien<br />
Stadlmayr, Martina & Sonnleitner, Nicole (2008) Wie Armut lebt. Lebenslagen am finanziellen Existenzminimum<br />
in OÖ, Studie durchgeführt vom Institut für Berufs- und Erwachsenenbildungsforschung<br />
im Auftrag von Land OÖ – Sozialabteilung, Linz<br />
Statistik Austria (Hg.) (2006): Einkommen, Armut und Lebensbedingungen. Ergebnisse aus EU-SILC<br />
2004, Wien<br />
Statistik Austria (Hg.) (2007): Einkommen, Armut und Lebensbedingungen. Ergebnisse aus EU-SILC<br />
2005, Wien<br />
Statistik Austria (Hg.) (2008a): Einkommen, Armut und Lebensbedingungen. Ergebnisse aus EU-SILC<br />
2006, Wien<br />
Statistik Austria (Hg.) (2008b): Sozio-demographische und sozio-ökonomische Determinanten von<br />
Gesundheit. Auswertung der Daten aus der Österreichischen Gesundheitsbefragung 2006/2007, erstellt<br />
im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, Familie und Jugend, Wien<br />
Stelzer-Orthofer, Christine (2008): Armutsberichterstattung in Österreich. Eine kritische Bestandsaufnahme,<br />
In: Knapp, Gerald & Pichler, Heinz (Hg.) Armut, Gesellschaft und Soziale Arbeit. Perspektiven<br />
gegen Armut und soziale Ausgrenzung in Österreich, 33-44<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Arbeitswelt und Armut<br />
1 Arbeitslosigkeit macht arm, Arbeit auch<br />
Der postfordistische Kapitalismus kehrt in seinen Normalzustand<br />
zurück, nämlich die atypische, flexibilisierte Arbeit<br />
auf Subsistenzniveau. Im Fordismus sicherte das Mindestabstandsprinzip<br />
eine relative klare Trennlinie zwischen arbeitenden<br />
Nicht-Armen und nicht-arbeitenden Armen. Der<br />
postfordistische Prozess der Prekarisierung löst diese Trennlinie<br />
schrittweise auf.<br />
2 Armut<br />
Armut wird zu einer allgegenwärtigen Lebenserfahrung,<br />
auch in den Mittelschichten. 28% aller ÖsterreicherInnen<br />
leben unter eingeschränkten Lebensbedingungen. Sie können<br />
etwa verschlissene Kleidung nicht ersetzen (primäre<br />
Benachteiligung), haben keinen PC oder keine Geschirrspülmaschine<br />
(sekundäre Benachteiligung), sind gesundheitlich<br />
eingeschränkt, haben Wohnungsprobleme oder Probleme<br />
im Wohnumfeld. Armutsgefährdete Haushalte leiden unter<br />
relativer Deprivation, <strong>als</strong>o einer Armutsgefährdung durch<br />
niedriges Einkommen. Diese Armutsgefährdung erreicht im<br />
mehrjährigen Schnitt in Ö 12,6%, in OÖ 9,7%. Dabei liegt<br />
die Armutslücke, <strong>als</strong>o der Abstand zwischen Medianeinkommen<br />
und Armuts(gefährdungs)schwelle mehrjährig bei<br />
17%. Manifest arm sind Personen, die sowohl depriviert<br />
<strong>als</strong> auch armutsgefährdet sind. Das sind (Basis 2006) 6%<br />
der Bevölkerung in Österreich, 4% in OÖ. Während die Armutsgefährdung<br />
mehrjährig relativ stabil ist, ist die Quote<br />
der manifesten Armut seit 1999 von 4% auf 6% gestiegen.<br />
Das relative Risiko der Armutsgefährdung lag in Haushalten<br />
mit voller Erwerbstätigkeit bei 33% des Durchschnitts, bei<br />
Haushalten ohne einen Erwerbstätigen beim 7-fachen des<br />
Durchschnitts.<br />
DDr. Nikolaus Dimmel<br />
Nikolaus Dimmel - Studium Jus und Philosophie,<br />
Vorstandsarbeit und Geschäftsführung in<br />
verschiedenen sozialwirtschaftlichen Organisationen,<br />
u. a. im Verein für Bewährungshilfe,<br />
seit 1997 an der Universität Salzburg, seit 1999<br />
Univ. Prof., seit 2006 Leiter des Lehrgangs für<br />
Migrationsmanagement, Kreisky-Preis-Träger<br />
2005 (Anerkennungspreis für „Politische Kultur<br />
in Österreich“)<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 23
Arbeitswelt und Armut<br />
24<br />
3 Niedriglöhne<br />
Österreich kennt kein Mindestlohnregulativ. Der Lohnanteil der Unselbstständigen sank<br />
zwischen 1979 und 2006 von 72% auf 56%. Die 3.772.019 unselbstständig Erwerbstätigen<br />
verdienten 2005 im Mittel 22.320 Euro (brutto). 2006 erreichte das mittlere Einkommen<br />
21.057 Euro brutto (inkl. Sonderzahlungen). Dieser Rückgang hat zwei Ursachen: Atypisierung/Flexibilisierung<br />
der Arbeit und Arbeitslosigkeit. 1% Arbeitslosigkeit mehr bedeutet 1%<br />
Lohnquote weniger (Alois Guger). Die niedrigsten Einkommen waren bei Arbeiterinnen und<br />
Arbeitern zu finden, die 39% der Unselbstständigen stellten und durchschnittlich 16.691<br />
Euro bezogen. 2006 bezog das unterste Fünftel der Erwerbstätigen 2,2% der Lohneinkommen.<br />
1995 waren es noch 2,9% gewesen. Rechnet man die geringfügigen Einkommen hinzu,<br />
steigt der Anteil auf 7,2%. Frauen verdienten im Übrigen 2006 67% der Männereinkommen.<br />
Im Vergleich zu 1996 ist das ein Rückgang um 2%. Die höchsten Niedriglohn-Quoten<br />
finden sich bei personenbezogenen Dienstleistungen, Unterrichts- und Gesundheitswesen,<br />
Beherbergung, Gaststätten, Textilbereich, Bekleidung und Handel.<br />
EUROSTAT zufolge sind in Österreich 16% aller Beschäftigten NiedriglohnempfängerInnen.<br />
Das bedeutet, dass sie weniger <strong>als</strong> 60% des mittleren nationalen Monatslohns verdienen. In<br />
40% der Fälle ist dies ausschließlich auf die Höhe des Entgeltsatzes zurückzuführen. 44%<br />
der Niedriglöhne sind auf nichtvollzeitige Erwerbsverhältnisse zurückzuführen. Der Anteil<br />
von NiedrigentgeltbezieherInnen ist bei Teilzeitbeschäftigten 1,5-mal so hoch wie insgesamt.<br />
4 Arbeitslosigkeit<br />
Mit einer Einkommensersatzquote von 55% liegt das österreichische Arbeitslosengeld (ALG)<br />
am unteren Ende der europäischen Arbeitslosenversicherungssysteme. Damit verschärft das<br />
österreichische System die negativen sozialen Folgen der zunehmenden Beweglichkeit von<br />
Beschäftigungsverhältnissen. Es ist gleichsam „flexi“ ohne „curity“. Folgerichtig sind 60%<br />
der Arbeitslosen armutsgefährdet. Das durchschnittliche ALG beträgt zur Jahresmitte 2008<br />
772,- Euro und liegt damit erheblich unter der Armutsgrenze von 893,- Euro. 178.000 Personen<br />
beziehen ein ALG unterhalb der Armutsschwelle. Die durchschnittliche Notstandshilfe<br />
liegt bei 595 Euro, <strong>als</strong>o 300 Euro unterhalb der Schwelle. Im Vergleich zum 2000er-Wert<br />
entspricht dies einem Kaufkraftverlust in Höhe von 4%. Mitte 2008 müssten Arbeitnehmer/<br />
innen zumindest 2.149 Euro brutto pro Monat verdienen, um bei Jobverlust über der inflationsbereinigten<br />
Einkommensarmutsgrenze zu bleiben. Langzeitarbeitslose hatten 2005 ein<br />
vier mal so hohes Armutsrisiko wie der Durchschnitt. Jede Verringerung von Erwerbschancen<br />
geht mit steigender Armutsrisikobelastung einher. Tendenziell erhöht sich die Armutsgefährung<br />
sowie die manifeste Armut bei Langzeitarbeitslosen. 29% der Bevölkerung sind<br />
während einer 6-Jahres-Periode armutsgefährdet; 7% für einen ununterbrochenen Zeitraum<br />
von drei Jahren. Die Armutsdauer korreliert mit Qualifikation.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
5 Prekarisierung<br />
Der Prozess der Atypisierung/Flexibilisierung der Arbeit führt zu neuartigen sozialen Verwerfungen.<br />
Mit Robert Castel kann man drei Zonen unterscheiden, nämlich jene der „Integration“,<br />
eine rasch anwachsende Zone der „Integrationsdefizite“ bzw. Prekarität sowie<br />
eine Zone des „Ausschlusses“ bzw. der „abgehängten Prekarität“. Soziale Mobilität nach<br />
oben wird zur Ausnahmeerscheinung. In der Zone der Integration finden sich idealtypisch<br />
die obere Mittel- und die Oberschicht. In der Zone der „Integrationsdefizite“ dominiert die<br />
flexible, atypische, zeitlich begrenzte, unregelmäßige, vorläufige oder saisonale Arbeit. Hier<br />
finden sich idealtypisch die untere Mittel- und die obere Unterschicht. Ihr gehen Einkommen,<br />
Sicherheit, Identität, Selbstwert, Perspektive oder Gesundheit sukzessive verloren. In<br />
der Zone des Ausschlusses schließlich liegt eine fraktale Gruppe, die Heinz Bude <strong>als</strong> die<br />
„Überflüssigen“ oder „Nutzlosen“ bezeichnet. Dies ist idealtypisch der Ort der unteren Unterschicht,<br />
der SozialhilfeempfängerInnen und der Langzeitarbeitslosen.<br />
Mehr <strong>als</strong> ein Drittel aller unselbstständig Beschäftigten ist hierzulande zwischenzeitig auf<br />
atypische Weise beschäftigt. Allein 970.000 Frauen arbeiten Teilzeit. Insgesamt sind mehr<br />
<strong>als</strong> 1,2 Mio ArbeitnehmerInnen davon betroffen. Doch nicht jede/r atypisch Beschäftigte<br />
lebt bereits in prekarisierten Lebensbedingungen. Immerhin 13% aller Erwerbstätigen, etwa<br />
410.000 Personen bzw. 30% der atypisch Beschäftigten, gelten <strong>als</strong> prekär beschäftigt, mehr<br />
<strong>als</strong> 60% davon sind weiblich. Menschen mit Migrationshintergrund sind mit einem Anteil<br />
von 15% überproportional von prekärer Beschäftigung betroffen. Die Zahl der prekären<br />
Beschäftigungverhältnisse nahm von 2005 auf 2006 um 1,6% zu, insbesondere bei den<br />
Geringfügigen (5%) und der Leiharbeit (21%). Nicht alle prekär Beschäftigten sind indes<br />
arm. Die Armutsgefährdungsquote unter prekär Beschäftigen ist jedoch mit 18% höher <strong>als</strong><br />
in der Gesamtbevölkerung.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 25
Generationen und Armut – Oder: Älter werden ist natürlich, Armut<br />
auch?<br />
26<br />
Besonders wichtig ist mir, dass unser Bild von Armut für die Schlussfolgerungen, die wir<br />
daraus ziehen, entscheidend ist. Ich versuche das zuzuspitzen und will behaupten, Armut<br />
existiert gar nicht. Jedenfalls nicht ohne eine normative Vorstellung von sozialem Zusammenhalt.<br />
Nichts anderes hat Georg Simmel in seiner soziologischen Definition von Armut<br />
gemeint, <strong>als</strong> dass der Arme erst dann zum Armen wird, wenn man ihm Unterstützung zubilligt.<br />
Armut bzw. die Anerkennung von Bedürftigkeit ist deshalb auch in einem positiven<br />
Sinne ein Spiegel von Solidarität. Ich darf daran erinnern, dass der Begriff der Armut weder<br />
beim ehem. deutschen Bundeskanzler Kohl noch bei Margret Thatcher oder Ronald Reagan<br />
gebraucht wurde. Problemleugnung ist die effektivste Art der Armutsbekämpfung. Im Übrigen<br />
ist Armutsbekämpfung ein Begriff, den ich vehement ablehne.<br />
Matthias Till - bis 2001 Studium am Institut<br />
für Soziologie der Universität Wien<br />
und dort Lehrbeauftragter. Seit 1998 in<br />
der nationalen und europäischen Armuts-<br />
und Sozialberichterstattung tätig. Insbesondere<br />
war er bereits an der Durchführung<br />
des Europäischen Haushaltspanels<br />
(ECHP 1995-2001) in Österreich beteiligt<br />
und ist heute bei Statistik Austria Projektleiter<br />
für EU-SILC. Seit Herbst 2008<br />
leitet er den Analysebereich der Direktion<br />
Bevölkerung. Ausgewählte Publikationen<br />
zum Thema:<br />
Armut und soziale Eingliederung in Österreich,<br />
Sozialbericht 2008, BMSK, erschienen<br />
2008.<br />
Armutslagen in Wien, Institut für Soziologie,<br />
Universität Wien, 2006 (<strong>als</strong> Herausgeber).<br />
Einkommen, Armut und soziale Ausgrenzung:<br />
Zweiter Bericht, Eurostat, 2002<br />
Mag. Matthias Till<br />
Bild und Begriff der Armut sind im Wandel<br />
Mittelalter<br />
Armut trifft Alte und Schwache<br />
Neuzeit<br />
Armut trifft auch Kinder<br />
Armut betrifft alle !<br />
22.10.2008 3<br />
S T A T I S T I K A U S T R I A<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008<br />
n i c h t<br />
a r m u t s g e f ä h r d e t<br />
1 3 %<br />
a r m u t s g e f ä h r d e t<br />
Das Bild der Armut war im Mittelalter geprägt vom Klischee<br />
des armen und alten Mannes, der in der Gestalt des Pauperitas<br />
personifiziert wurde. Massenarmut trat im Zuge von Hungersnöten,<br />
Kriegen und schließlich in Folge der Unberechenbarkeit<br />
der wirtschaftlichen Entwicklung in der Industrialisierung in<br />
das Bewusstsein der Menschen. Es waren dabei immer wieder<br />
die Kinder, die in den Mittelpunkt des Interesses von Wohltätigkeitsorganisationen<br />
rückten. Das Bild von Siechtum und<br />
schwerer Altersarmut und hungernden Kindern ist heute in<br />
Europa selten geworden.
Solche Bilder haben noch immer tief schockierende Wirkung auf uns und werden gerne für<br />
den politischen Diskurs verwendet. Das ist nicht immer für die Wahrnehmung und Lösung<br />
jener Problemen förderlich, die dazu führen, dass Menschen in Armutslagen geraten und<br />
sich soziale Gräben auftun. Ich sehe es deshalb <strong>als</strong> Erfolg an, dass Armut heute in Form von<br />
Statistiken entpersonifiziert und Gegenstand einer modernen und professionellen Sozialverwaltung<br />
geworden ist. Armut ist eine Angelegenheit, die den gesamten sozialen Zusammenhalt<br />
betrifft und persönliches Mitleid kann dabei nur eine geringe Rolle spielen.<br />
In Österreich leben 87% der Menschen neben einer Minderheit von 13%, die armutsgefährdet<br />
sind. Was aber bedeutet das?<br />
Es gibt einen Indikator, der besagt, dass in Österreich rund 1 Million Menschen unter der<br />
sogenannten Armutsgefährdungsschwelle leben. So viele Menschen haben pro Monat weniger<br />
<strong>als</strong> rund 900 Euro zur Verfügung bzw. wenn weitere Erwachsene im Haushalt leben<br />
jeweils 450 Euro mehr, wenn Kinder im Haushalt leben jeweils 290 Euro mehr. Armutsgefährdungsquote<br />
und –schwelle sind keine willkürliche Erfindung unserer Regierung oder<br />
nationaler ExpertInnen, sondern beruhen auf internationalen Normen. Die Europäische Gemeinschaft<br />
hatte <strong>als</strong> zentrales Thema immer die Steigerung und Sicherung des wirtschaftlichen<br />
Wachstums. Dies gilt insbesondere auch für die heutige Union. Erst im Jahr 1997<br />
wurde auch Sozialpolitik im Vertrag von Amsterdam <strong>als</strong> ein gemeinsames politisches Ziel<br />
der Union verankert. Die europäische Beschäftigungsstrategie wurde beschlossen. Wachstum<br />
sollte eben auch Jobs schaffen. In der sogenannten Lissabon-Strategie wird jetzt auch<br />
das Ziel, Armut und Ausgrenzung zu verringern und soziale Eingliederung zu sichern, berücksichtigt.<br />
Im Gipfel von Laeken wurden dafür gemeinsame Indikatoren beschlossen. Eine<br />
gemeinsame Verordnung des Europäischen Parlaments sowie der Kommission wurde im Jahr<br />
2003 erlassen, die für alle Mitgliedsstaaten die Erstellung von harmonisierten Statistiken<br />
über Einkommen und Lebensbedingungen vorsieht. Auf dieser Grundlage wird in Österreich<br />
seit dem Jahr 2003 jährlich die EU-SILC Erhebung durchgeführt und es werden Indikatoren<br />
berechnet.<br />
Die zugrundeliegende Norm stammt aus den 1980er Jahren, <strong>als</strong> die Armutsforschung vor<br />
allem in Großbritannien große Fortschritte machte. Sie kann etwa so formuliert werden,<br />
dass alle Menschen zumindest ebensoviele Ressourcen erhalten sollen, dass sie am sozialen<br />
Leben in ihrem Aufenthaltsland teilnehmen können. Gemeint sind materielle UND immaterielle<br />
Ressourcen wie Bildung, Gesundheit, soziales Kapital etc. Es ist mir wichtig zu betonen,<br />
dass diese Norm ohne jede Bedingung formuliert ist, der Ressourcenzugang sollte <strong>als</strong>o<br />
ermöglicht werden, gleichgültig aus welchem Grund eine Armutslage besteht.<br />
Ob Ressourcen ausreichend sind, ist gar nicht so einfach zu beurteilen. Traditionell wird<br />
dabei dem Einkommen besondere Bedeutung zugemessen. Wenn jemand in einem Haushalt<br />
lebt, der nur über wenig Einkommen verfügt, ist es empirisch wahrscheinlich, dass auch<br />
andere Ressourcen eher bescheiden sind.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 27
Generationen und Armut<br />
28<br />
Nach geltender Konvention wird ab einer Grenze von 60% des standardisierten Medianeinkommens,<br />
dem sogenannten Äquivalenzeinkommen oder fiktiven Pro-Kopfeinkommen<br />
angenommen, dass die Teilhabemöglichkeiten unzumutbar eingeschränkt sind. Diese<br />
Grenzziehung ist durchaus willkürlich gewählt, dürfte aber zumindest für Unselbstständige<br />
und Pensionist/innen in Österreich eine gute Annäherung darstellen. Ich muss aber darauf<br />
hinweisen, dass ein niedriges Einkommen keineswegs zwingend auch eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten<br />
bedeutet. Gerade im Zuge der derzeitigen Finanzkrise werden die Vermögenswerte<br />
vieler Menschen dramatisch verringert. Das Einkommen dieser Menschen ist<br />
deshalb in vielen Fällen sogar negativ, ohne dass diese Menschen gleich <strong>als</strong> „Sozialfälle“ zu<br />
sehen wären, nur weil sie ein paar Millionen verloren haben. Umgekehrt ist Vermögen durch<br />
selbstgenutzten Wohnraum oft faktisch nicht verwertbar.<br />
Empirische Definition einer Armutslage<br />
“ Individu<strong>als</strong> , families and groups in the population c an be s aid to<br />
be in poverty when they lac k the res ourc es to obtain the types of<br />
diet, partic ipate in the ac tivities and have the living c onditions and<br />
amenities whic h are c us tomary, or are at leas t widely enc ouraged<br />
or approved, in the s oc ieties in whic h they belong. T heir res ourc es<br />
are s o s erious ly below thos e c ommanded by the average<br />
individual or family that they are, in effec t, exc luded from ordinary<br />
living patterns , c us toms and ac tivities .” (P eter T owns end 1979)<br />
22.10.2008 5<br />
S T A T I S T I K A U S T R I A<br />
Die empirische Definition von Armut in der Europäischen Union wurde im Wesentlichen von<br />
Peter Townsend übernommen. Hervorzuheben ist, dass der Armutsbegriff auf inakzeptablen<br />
Lebensbedingungen, auf einer deprivierten Lebensführung aufbaut, die sich aus einem<br />
Mangel an Ressourcen ergibt. Dieser Mangel ist so schwerwiegend, dass er eine Ausgrenzung<br />
vom normalen Leben bewirkt.<br />
Das klassische Lebenszyklusmodell ( Rowntree ~1900)<br />
Armutsschwelle<br />
Alter<br />
22.10.2008 6<br />
S T A T I S T I K A U S T R I A<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008<br />
Heirat<br />
(25)<br />
Kinder<br />
verdienen (40)<br />
Kinder<br />
heiraten (60)<br />
Erwerbsaktivität<br />
endet (65)<br />
„Kinderarmut“ „Elternarmut“ „Altersarmut“
Es genügt nicht festzustellen, dass Menschen arm sind, wesentlich ist es zu erkennen, warum<br />
und welche Möglichkeiten der Intervention bestehen. Die Frage, die in der Ankündigung<br />
zu dieser Enquete aufgeworfen wird, lautet: Ist Alter ein sicherer Weg in die Armut?<br />
Der Engländer Seebohm Rowntree war um 1900 sehr bemüht, das Vorurteil, bei der Armut<br />
handle es sich um einen moralischen Defekt der Betroffenen empirisch zu entkräften. Er<br />
zeigte, dass Elend bei der Arbeiterklasse eine zwingende Folge mangelnder Ressourcen ist.<br />
Außerdem hat er ein lebenszyklisches Modell der Armut skizziert. Demnach gibt es im Lebensverlauf<br />
drei signifikante Armutsphasen. Die erste beginnt in der Kindheit, wenn nicht<br />
mehr genug Ressourcen da sind, um alle Kinder zu versorgen. Bei Rowntree erreicht dies<br />
im Alter zwischen 10 und 15 Jahren den Gipfel. Nach der Familiengründung wiederholt<br />
sich diese Armutsphase im Alter von 35-40 Jahren. Schließlich gibt es zum Lebensende,<br />
wenn die Erwerbsmöglichkeiten bereits gesundheitlich minimiert sind, nochm<strong>als</strong> eine Phase<br />
der Armut. Ein solches Bild individueller Armutskarrieren scheint auch heute einleuchtend<br />
und wird vielfach zur Begründung einer scheinbaren Dynamik von Armut verwendet. Mein<br />
wesentlicher Kritikpunkt an diesem Modell ist, dass es strukturelle Unterschiede im Lebensverlauf<br />
ausblendet. Bei Rowntree war das erklärte Ziel, Armutslagen in der Arbeiterklasse<br />
zu beschreiben. Der Lebensverlauf in einer, sagen wir, „besitzenden Klasse“, mag in seinen<br />
ökonomischen Höhen und Tiefen ähnlich sein, aber auf einem gänzlich anderen Niveau<br />
ablaufen.<br />
Umgekehrt sind auch soziale Lagen anzunehmen, die zeitlebens benachteiligt sind, wo sich<br />
<strong>als</strong>o die Erhebungen und Vertiefungen der wirtschaftlichen Situation gänzlich unterhalb<br />
oder in der Nähe der Armutsgrenze abspielen. Schließlich kann es sein, dass bestimmte<br />
soziale Gruppen von lebenszyklischen Mustern unberührt bleiben, etwa dann, wenn keine<br />
Familie gegründet wird.<br />
Soweit die theoretische Darstellung, was aber ist der empirische Gehalt der Lebenszyklusthese?<br />
Empirischer Gehalt der Lebenszyklusthese<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
Armutsgefährdungsquote in %<br />
20<br />
10<br />
Armuts gefährdungs quote vor S ozialleis tungen<br />
-<br />
0-9 10-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79 80+<br />
Quelle Statistik Austria EU-SILC 2006<br />
Alters k las s e<br />
22.10.2008 7<br />
S T A T I S T I K A U S T R I A<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 29
Generationen und Armut<br />
30<br />
Vorwegzuschicken ist, dass wir bei EU-SILC tatsächlich keine Lebenszyklen beobachten. Wir<br />
vergleichen verschiedene Generationen bzw. Geburtskohorten miteinander. Wir unterstellen,<br />
dass, wenn lebenszyklische Muster vorhanden sind, diese auch in einem Altersvergleich<br />
sichtbar werden. In Wirklichkeit sind die Lebensverläufe älterer Menschen aber vermutlich<br />
deutlich von jenen jüngerer Menschen zu unterscheiden (z.B. Ausbildung, Zeitpunkt der<br />
Familiengründung, Anzahl der Kinder, Erwerbsverläufe usw...)<br />
Wirklich zutreffend scheint die Lebenszyklusthese in Bezug auf die Armutsgefährdungsquote<br />
vor Sozialleistungen. Dargestellt wird der Bevölkerungsanteil, der ein Haushaltseinkommen<br />
hat, das geringer ist <strong>als</strong> die Armutsgefährdungsschwelle, wenn Pensionen und<br />
Sozialleistungen nicht eingerechnet werden. Es zeigt sich ein S-förmiger Verlauf der dem<br />
Schema von Rowntree ähnelt. Es gibt eine Phase der Kinder- und Jugendarmut, eine Phase<br />
der Elternarmut und eine Phase massiver Altersarmut, die zum Teil durch gesetzliche Pensionsregelungen<br />
bedingt ist. Bereits in dieser Darstellung ist aber bereits erkennbar, dass<br />
Armutslagen über alle Altersgruppen hinweg zu beobachten sind. Ohne Sozialleistungen<br />
wären insgesamt etwa 3,5 Millionen Menschen armutsgefährdet.<br />
Umverteilung glättet Armutskarrieren<br />
-<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
Armutsgefährdungsquote in %<br />
20<br />
10<br />
Armuts gefährdungs quote nac h S ozialleis tungen<br />
0-9 10-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79 80+<br />
Quelle Statistik Austria EU-SILC 2006<br />
Alters k las s e<br />
22.10.2008 8<br />
S T A T I S T I K A U S T R I A<br />
Diese Darstellung zeigt die<br />
Armutsgefährdungsquote<br />
nachdem sämtliche Einkünfte,<br />
dh. auch Pensionen<br />
und Sozialleistungen, berücksichtigt<br />
wurden. Das<br />
Bild ist jetzt wesentlich<br />
unspektakulärer, und man<br />
braucht eine Vergrößerung,<br />
um die Unterschiede zu erkennen.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen werden durch die staatlichen Umverteilungsmechanismen<br />
deutlich geglättet. In Summe befinden sich jetzt rund 1 Million Menschen<br />
bzw. rund 13% unter der Gefährdungsschwelle. Demnach wurde für 2,5 Millionen Menschen<br />
die Position in Bezug auf die Armutsgefährdungsschwelle verändert. Noch völlig<br />
übereinstimmend mit dem Schema von Rowntree ist die Gefährdung am niedrigsten für die<br />
Bevölkerungsgruppe über 40, wo Kinder bereits nicht mehr im Haushalt leben. Höhepunkte<br />
der Gefährdung werden in der Kindheit und im Alter erreicht.<br />
Deprivierte Lebensführung im Lebensverlauf<br />
-<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
Armutsgefährdungsquote in %<br />
5<br />
F inanzielle Deprivations quote<br />
0-9 10-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79 80+<br />
Quelle Statistik Austria EU-SILC 2006<br />
22.10.2008 10<br />
S T A T I S T I K A U S T R I A<br />
Obige Abbildung zeigt nochm<strong>als</strong> eine alternative Darstellung, die sich auf die so genannte<br />
finanzielle Deprivationsquote bezieht. Dieser Indikator zeigt, dass rund 1,2 Millionen Menschen<br />
bzw. 14 % der Gesamtbevölkerung in einem finanziell deprivierten Haushalt leben.<br />
Sie verfügen über so wenig Geld, dass mindestens zwei dieser Dinge nicht leistbar sind: neue<br />
Kleidung zu kaufen; die Wohnung warm zu halten; Miete, Strom rechtzeitig zu zahlen; alle<br />
2 Tage Huhn, Fisch, Fleisch zu essen; unerwartete Ausgaben zu bezahlen; einmal im Monat<br />
Freunde oder Verwandte zum Essen einzuladen; notwendige Arzt- oder Zahnarztbesuche für<br />
alle Personen im Haushalt. Das Bild ist dem vorherigen sehr ähnlich und bestätigt dieselben<br />
schwachen lebenszyklischen Muster: Armut in der Kindheit, Armut von Eltern und Armut im<br />
Alter. Wieder gibt es in allen Lebensphasen Personen, die depriviert sind. Diese Darstellung<br />
zeigt, dass unsere Befunde nicht von der Definition von Armut abhängig sind, auch wenn<br />
es einen zeitlich versetzten Effekt zu geben scheint, bei dem sich geringe Einkommen erst<br />
einige Jahre später in der Lebensführung bemerkbar machen.<br />
Alters klas s e<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 31
Generationen und Armut<br />
32<br />
Strukturelle Benachteiligung von Frauen<br />
-<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
Armutsgefährdungsquote 10<br />
in %<br />
5<br />
Armuts gefährdungs quote von Männern und F rauen<br />
0-9 10-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79 80+<br />
Quelle Statistik Austria EU-SILC 2006<br />
22.10.2008 11<br />
S T A T I S T I K A U S T R I A<br />
Geschlechterunterschiede sind bei einer Betrachtung von Haushalten immer schwierig zu<br />
beurteilen. In vielen Fällen leben Männer und Frauen gemeinsam in einem Haushalt. Man<br />
geht implizit davon aus, dass beide Partner denselben Lebensstandard erreichen. Trotzdem<br />
kann man erkennen, dass Frauen in nahezu allen Lebensaltern höhere Gefährdungsquoten<br />
aufweisen <strong>als</strong> Männer. Am deutlichsten ist der Unterschied ausgeprägt bei Pensionistinnen.<br />
Nahezu ein Viertel der Frauen im Pensionsalter, aber nur jeder 10. Mann, hat ein armutsgefährdendes<br />
Einkommen. Es sind dabei besonders Witwen mit einer Ausgleichszulage, die<br />
von Armutsgefährdung im Alter betroffen sind. Hier ist zu bemerken, dass der Unterschied<br />
zwischen Männern und Frauen erheblich größer ist, <strong>als</strong> der Unterschied zwischen älteren<br />
und jüngeren Männern. Dies spricht dafür, dass lebenszyklische Faktoren eine geringere<br />
Rolle spielen <strong>als</strong> sozi<strong>als</strong>trukturelle Einflüsse wie die Position am Arbeitsmarkt. Insbesondere<br />
verweist der große Abstand zwischen Männern und Frauen im Alter auf die Problematik hin,<br />
dass die Erwerbskarrieren von Frauen, vor allem jener der älteren Generationen wenig kontinuierlich<br />
verlaufen sind, diese aber die Voraussetzung für die Absicherung in der Pension<br />
sind.<br />
Die folgende Darstellung belegt, dass neben den lebenszyklischen Risiken vor allem sozi<strong>als</strong>trukturelle<br />
Risiken wirksam sind. Personen, die keine Staatsbürgerschaft eines EU-Landes<br />
besitzen, werden hier gegenübergestellt mit österreichischen Staatsbürger/innen. Unterschiede<br />
der Lebensalter sind bei Migrant/innen freilich auch ein Hinweis auf unterschiedliche<br />
Zuwanderungsgenerationen. Man kann aber klar erkennen, dass in allen Lebensaltern<br />
das Risiko von Migrant/innen mit etwa 20-35% erheblich höher ist <strong>als</strong> das von Österreicher/innen.<br />
Umgekehrt ist der lebenszyklische Verlauf der Gefährdung bei ÖsterreicherInnen<br />
verhältnismäßig flach. Dies soll <strong>als</strong> Hinweis dafür gelten, dass die Eingliederung für<br />
Migrant/innen bereits heute nach einem unterschiedlichen Mechanismus erfolgt <strong>als</strong> für<br />
Inländer/innen. Eine Differenzierung des Sozi<strong>als</strong>ystems nach Staatsbürgerschaft würde die<br />
soziale Kluft <strong>als</strong>o empfindlich verschärfen.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008<br />
A lters k la s s e<br />
Frauen<br />
Männer
Strukturelle Bedeutung von Staatsbürgerschaft<br />
-<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
Armutsgefährdungsquote in %<br />
10<br />
5<br />
Armuts gefährdungs quoten von In- und Aus länderInnen<br />
0-9 10-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79 80+<br />
Quelle Statistik Austria EU-SILC 2006<br />
A lters k la s s e<br />
AusländerInnen<br />
ÖsterreicherInnen<br />
22.10.2008 12<br />
S T A T I S T I K A U S T R I A<br />
Ein wesentlicher Grund für die hohe Gefährdung von Migrant/innen dürfte sein, dass Migrant/innen<br />
tendenziell geringe Frauenerwerbsbeteiligung aufweisen. Zudem gehen Zuwanderer<br />
besonders häufig einer Niedriglohnbeschäftigung nach. Bei etwa 7% der erwerbstätigen<br />
Migrantinnen ist der Stundenlohn geringer <strong>als</strong> 5,77 Euro, bei Inländerinnen ist dieser<br />
Anteil etwa halb so hoch.<br />
Resumierende Thesen:<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
Der Begriff der Armut beruht auf einer wandelbaren Unterstützungsnorm.<br />
Die Strukturierung von monetärer Armut durch den Lebenszyklus wird durch sozi<strong>als</strong>taatliche<br />
Umverteilung massiv unterbunden.<br />
Da jede Altersgruppe Gefährdungslagen kennt, ist Armut KEIN ausschließliches Generationenschicksal.<br />
Sowohl bei Familien, <strong>als</strong> auch bei alten Menschen ist die Mehrheit der Bevölkerung<br />
NICHT gefährdet.<br />
Eine einseitige und pauschale Fokussierung auf entweder Alte und/oder Familien kann<br />
deshalb irreführend sein.<br />
Pensionen sind aber für Mindestrentner/innen meist die einzige Grundlage für soziale<br />
Teilhabe.<br />
Erwerbschancen von Frauen haben sowohl bei Kinderarmut <strong>als</strong> auch bei Altersarmut<br />
enorme intervenierende Wirkung.<br />
Geringe Frauenerwerbsbeteiligung und Niedriglohnbeschäftigung sind bei Migrant/innen<br />
oft für erhöhte Risiken im Lebensverlauf verantwortlich.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 33
Gesundheit und Armut<br />
Claudia Habl - Gesundheitsökonomin im<br />
Geschäftsbereich ÖBIG der Gesundheit<br />
Österreich GmbH in Wien. Neben Gesundheits-<br />
und Arzneimittelsystemanalysen<br />
beschäftigt sie sich seit mehr <strong>als</strong> zehn<br />
Jahren auch mit geschlechts- und sozi<strong>als</strong>pezifischen<br />
Aspekten der Gesundheitsversorgung.<br />
Ausgewählte Publikationen<br />
sind beispielsweise: „Soziale Ungleichheit<br />
- Geschlecht – Gesundheit“ (2008) oder<br />
„Soziale Ungleichheit und Gesundheit“<br />
(2003)<br />
34<br />
Mag. a Claudia Habl<br />
Eine im Herbst 2007 erschienene Untersuchung 1 einer schwedischen<br />
Gesundheitsunternehmensberatung spricht dem österreichischen<br />
Gesundheitssystem den „Europameistertitel“<br />
zu. Konkret wurden die europäischen Gesundheitssysteme in<br />
Bezug auf Umfang und Zugänglichkeit des Leistungsangebots<br />
und die Qualität der medizinischen Versorgung bewertet.<br />
Dieses Ergebnis wurde in den Medien viel bejubelt und von so<br />
manchem Entscheidungsträger <strong>als</strong> Zeichen dafür, dass alles in<br />
bester Ordnung ist verstanden. Aber wie sieht es in der Realität<br />
aus? Welches Angebot steht in Österreich Nicht-Versicherten<br />
Personen zu? Achtet das Gesundheitssystem auch auf<br />
die speziellen Bedürfnisse sozial benachteiligter Personen?<br />
Unterscheidet sich die gesundheitliche Situation armer bzw.<br />
armutsgefährdeter Menschen von jener des/der „Durchschnittsösterreichers/-österreicherin“?<br />
Generell gibt es in Österreich, im Vergleich zu anderen Industriestaaten<br />
wie Deutschland, nur wenige Datenquellen, die erlauben<br />
epidemiologische Fragestellungen (Sterblichkeit oder<br />
Krankheitshäufigkeiten) mit sozioökonomischen Aspekten wie<br />
Einkommen oder Schulbildung zu verknüpfen. Des Weiteren<br />
fehlt immer noch bei vielen Akteur/innen des Gesundheitssystems<br />
das Verständnis für die enge Verknüpfung von den Lebensbedingungen<br />
einer Person mit dessen gesundheitlichem<br />
Wohlbefinden. Dennoch lassen auch die österreichischen Daten<br />
Rückschlüsse auf den so genannten „Schichtgradienten“<br />
der Gesundheit zu.<br />
Durch die Forschung renommierter Expertinnen und Experten<br />
(um nur einige zu nennen: Prof. Rosenbrock, Prof. Mielck<br />
(Deutschland), Prof. Whitehead (Großbritannien), Prof. Rieder,<br />
Dr. Stronegger (Österreich)) ist weiters seit beinahe 20 Jahren<br />
1 Euro Health Consumer Index 2007, vgl. www.healthpowerhouse.com/media/Rapport_EHCI_2007.pdf<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
ekannt, dass die Gesundheit des Einzelnen mehr durch seine Lebensweise und die Lebensbedingungen<br />
beeinflusst wird, <strong>als</strong> beispielsweise die biologische Disposition („Veranlagung“),<br />
die nur etwa 20 Prozent ausmacht.<br />
Durch aktives Gesundheitshandeln könnten daher sozial benachteiligte Personen ihren Gesundheitszustand<br />
trotz schlechterer Voraussetzungen verbessern. Daten aus dem In- und<br />
Ausland zeigen jedoch, dass das Gesundheitsverhalten sozial benachteiligter Personen weniger<br />
ausgeprägt <strong>als</strong> jenes der Durchschnittsbevölkerung. So werden kostenlose Angebote<br />
des Gesundheitswesens mit Präventivcharakter (wie z. B. Gesundenuntersuchungen, Screeningmaßnahmen,<br />
Raucherentwöhnprogramme) seltener in Anspruch genommen, und es<br />
zeigt sich ein erhöhtes Risikoverhalten (Rauchen, Straßenverkehr, Ernährung) bzw. speziell<br />
bei Männern ein mechanistisches Körperbild.<br />
Dennoch wird ein Großteil der in Österreich zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit im<br />
Gesundheitswesen eingesetzten Mittel für Verhaltensprävention, <strong>als</strong>o der Förderung erwünschten<br />
Gesundheitshandelns und dem Hintanhalten unerwünschter Lebensweisen gewidmet.<br />
Ebenso wichtig ist aber das Schaffen von gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen<br />
wie die Erhöhung des Bildungsniveaus der Gesellschaft, die Sicherstellung angemessener<br />
Wohn- und Arbeitsverhältnisse sowie einer sauberen Umwelt. Durch diese verhältnisbezogenen<br />
Maßnahmen wird die Gesundheit der Bevölkerung quasi automatisch<br />
positiv beeinflusst.<br />
Diese Aussagen werden beispielsweise durch eine Untersuchung der Wiener Medizinischen<br />
Universität untermauert: In dieser konnte nachgewiesen werden, dass beispielsweise länger<br />
andauernde Arbeitslosigkeit nicht nur – wie bereits bekannt – psychologische Auswirkungen<br />
auf die Gesundheit hat (wie z. B. vermehrtes Auftreten von Depressionen), sondern auch die<br />
physische Befindlichkeit beeinflusst.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 35
Gesundheit und Armut<br />
36<br />
Soziale Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung<br />
European Health Consumer Index 2008: Österreich hat das beste Gesundheitssystem<br />
+ -<br />
Genereller Zugang sehr gut Gesundheitsausgabenquote hoch<br />
Private GHA eher niedrig Spit<strong>als</strong>lastigkeit<br />
Viele Spezialist/innen Präventivmaßnahmen<br />
Hohe Zufriedenheit der PatientInnen Übersichtliche Darstellung des GH-<br />
Angebots für Patient/innen<br />
Krebsbehandlung Diabetesversorgung<br />
Aber die Gesundheit ist ungleich verteilt<br />
Sozial Benachteiligte haben<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
ein erhöhtes (vorzeitiges) Sterberisiko<br />
eine höhere Krankheitslast a Unterschiede werden ab dem 40-50. Lebensjahr sichtbar<br />
schlechtere QALYs (Quality Adjusted Life Years)<br />
einen eingeschränkteren Zugang zu gesundheitlichen Ressourcen<br />
eine deutlich geringere Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes insbes. bei Frauen<br />
Sozial Benachteiligte konsumieren andere Leistungen<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
Sie suchen um 20 Prozent seltener Fachärzte/-ärztinnen auf.<br />
Sie erhalten durchwegs billigere Arzneimittel verordnet.<br />
Sie nehmen in einem geringeren Ausmaß an Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen<br />
teil.<br />
Sie verfügen über einen schlechteren Zugang zu Gesundheitsinformation und profitieren<br />
von üblichen Vorsorgeaktivitäten (Broschüren etc.) in geringerem Maße.<br />
Sie haben eine längere Anreise zu einem Spezialisten/einer Spezialistin, in eine Ambulanz<br />
oder in ein Krankenhaus und warten dort länger auf eine Behandlung.<br />
FAZIT: Ungleichheit zieht sich durch das ganze Leben<br />
Sozial benachteiligte Menschen haben in jedem Lebensalter, von der Wiege bis zur Bahre,<br />
ein ungefähr doppelt so hohes Risiko, ernsthaft zu erkranken oder vorzeitig zu sterben, wie<br />
Menschen mit einer höheren Bildung und/oder sozialem Status.<br />
Mielck, A. 2000, Rosenbrock, R. 2006<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Soziale Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung<br />
Fernere Lebenserwartung für 35-Jährige<br />
nach Bildungsebene und Geschlecht<br />
86<br />
84<br />
82<br />
80<br />
78<br />
76<br />
74<br />
72<br />
70<br />
Männer Frauen<br />
Universität o.ä. AHS oder BHS BMS Lehre Pflichtschule<br />
4 22.10.2008<br />
Soziale Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung<br />
Subjektiver Gesundheitszustand bezogen auf<br />
Einkommen/EÄ* u. Geschlecht (Alter > 45 J.)<br />
Gesundheitszustand<br />
80<br />
75<br />
70<br />
65<br />
60<br />
55<br />
50<br />
Männer Frauen<br />
< ! 727 ! 727-1.308 ! 1.308-1.890 > ! 1.890<br />
Einkommen<br />
* Netto-Haushaltseinkommen pro Erwachsenenäquivalent nach EU-Skala<br />
5 Freidl/Neuhold/Stronegger 2001<br />
22.10.2008<br />
Soziale Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung<br />
Prozent<br />
Regelmäßige Einnahme von Medikamenten<br />
bei Frauen zw. 50 und 64 Jahren<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
Selbstständige<br />
und Mithelfende<br />
Angestellte<br />
Beamtinnen<br />
6 22.10.2008<br />
Facharbeiterinnen<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 37<br />
sonstige<br />
Arbeiterinnen<br />
Arbeitslose
Gesundheit und Armut<br />
38<br />
Materielle und strukturelle Barrieren<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
Finanzielle Barrieren (Stichwort: Selbstbehalte) bzw. Nichtversichertenstatus (fehlende<br />
e-Card)<br />
Angst vor komplexen oder bürokratischen Abläufen (Chefarztpflicht) wie sie in Gesundheitseinrichtungen<br />
zu finden sind bzw. Unkenntnis von Leistungsansprüchen<br />
Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme mit Gesundheitseinrichtungen<br />
Existenzsorgen, die gesundheitliche Probleme überdecken<br />
Knappes Zeitbudget, speziell bei vorhandener Doppelbelastung von Beruf und Familie<br />
Strukturelle Probleme, wie schlechte Erreichbarkeit von Gesundheitseinrichtungen<br />
Psychosoziale und soziokulturelle Barrieren<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
Sprach- und Kulturbarrieren bzw. Angst vor dem Ergebnis von Arztbesuchen<br />
„Mechanistisches“ Körperbild verbunden mit erhöhter Symptomtoleranz, Betrachtung<br />
von medizinischen Leistungen <strong>als</strong> Reparaturmedizin<br />
Geringer Stellenwert von Gesundheit verbunden mit einem rein somatischen Krankheitsverständnis,<br />
das heißt einer fehlenden Wahrnehmung von gesundheitlichen Defiziten<br />
Mangelhafte Erziehung bzw. Ausbildung hinsichtlich Hygiene oder eines Gesundheitsbewusstseins<br />
Persönliche Lebensumstände („Lifestyle“)<br />
Geringschätzung potenzieller Hilfe aus dem Bereich institutioneller Versorgung und geringes<br />
Wissen über Krankheit und Behandlung<br />
Armut macht krank, Krankheit macht arm<br />
Menschen mit geringem Einkommen haben unabhängig von ihrem Alter und Geschlecht<br />
mehr gesundheitliche Probleme <strong>als</strong> Durchschnittsösterreicher/innen und nehmen das Gesundheitssystem<br />
daher öfter in Anspruch!<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Interventionsmaßnahmen<br />
Soziale Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung<br />
Interventions-Maßnahmen<br />
ÖBIG 2002 nach<br />
Whitehead 1998<br />
Soziale 12 Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung<br />
22.10.2008<br />
Interventionslevel nach Whitehead<br />
13 22.10.2008<br />
Bei welchen Personengruppen soll insbesondere angesetzt werden?<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
Kinder – je früher desto besser<br />
Personen mit geringem Einkommen (Sozialhilfe-Empfänger/innen, subsidiär Schutzberechtigte,<br />
usw.)<br />
Personen mit sehr niedrigem beruflichen Status (z.B. ungelernte Arbeiter/innen)<br />
und/oder sehr niedriger Schulbildung (z.B. Personen ohne Schulabschluss)<br />
Personen, die in sozial benachteiligten Gebieten wohnen (Bsp. Wien Favoriten, Salzburg<br />
Liefering, Grünanger Siedlung Graz)<br />
Langzeitarbeitslose<br />
Personen mit Migrationshintergrund und schlechten Deutschkenntnissen<br />
Alleinerziehende<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 39
Gesundheit und Armut<br />
40<br />
Interventionsansätze<br />
Kindheit<br />
❏ Kinder sind gesund geboren, sind fit, und haben Entwicklungsmöglichkeiten a es ist<br />
das Umfeld, das sie beeinflusst<br />
Berücksichtigung der sozialen Determinanten<br />
❏ Lebensstil, Lebens- und Arbeitsbedingungen - Verringerung des Risikofaktoren-Niveaus<br />
und anderer gesundheitlicher Gefahren<br />
❏ Bedeutung der sozialen Netzwerke<br />
❏ Berücksichtigung der Sozialräume (Settings): Stadt und Nachbarschaft<br />
Gesundheitsangebote<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
Prävention und Gesundheitsförderung vor kurativen und therapeutischen Maßnahmen<br />
Verhältnis- nicht Verhaltensprävention<br />
Angebote müssen an die Bedürfnisse der sozial Schwachen angepasst werden und nicht<br />
umgekehrt<br />
Empowerment<br />
❏ Teilnahme, Meisterung und Kontrolle über die eigene Situation zu vermitteln, um so ein<br />
Gefühl der Nutzlosigkeit zu überwinden a Schaffung von Handlungsfähigkeit<br />
❏ „Betreuer/innen“ müssen lernen, Leute loszulassen und ihnen zu vertrauen<br />
Lösungsansätze - konkret<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
Ausbau von niederschwelligen und zielgruppenorientierten Angeboten (muttersprachliche<br />
Betreuung, Ausweitung der Öffnungszeiten, Gesundheitsmultiplikatoren)<br />
Gewährleisten der Solidaritäts- und Umverteilungsfunktion des Gesundheitssystems<br />
(Rezeptgebührbefreiung, positive Anreize)<br />
Bekämpfung der sozialen Ursachen von Armut (Verbesserung des Bildungsniveaus und<br />
der Wohnsituation, Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung, Reduktion sozialer Ausgrenzung)<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Literatur:<br />
Mielck, A.: Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Einführung in die aktuelle Diskussion (2006)<br />
David, E./Heitzmann, K.: Leistungen der Österreichischen NROs in der Armutsbekämpfung (2006)<br />
Babitsch, B.: Soziale Ungleichheit, Geschlecht und Gesundheit (2005) Zentrum für Geschlechterforschung<br />
in der Medizin http://www.charite.de/gender<br />
Lampert, T./Ziese, T.: Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit (2005) www.rki.de -> GBE-Publikationen<br />
Armutskonferenz: Armut kann ihre Gesundheit gefährden (2003) www.armutskonferenz.at/wissen/<br />
armut-leseheft060303.pdf<br />
BMGFJ: Soziale Ungleichheit und Gesundheit (2003) www.oebig.org/upload/files/CMSEditor/Soziale_Ungleichheit.zip<br />
Internet Portal: „Closing the Gap“ www.health-inequalities.eu<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 41
Kurzbiografien<br />
Spezialauswertung EU-SILC Daten für OÖ<br />
42<br />
Christine Stelzer-Orthofer - geb. 1959; Studium der Sozialwirtschaft an der Johannes<br />
Kepler Universität Linz, am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik tätig, Lehrbeauftragte<br />
an der Fachhochschule Linz. Arbeitsschwerpunkte: Armut, Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarkt-<br />
und Sozialpolitik.<br />
Bettina Leibetseder - Lektorin und Projektmitarbeiterin am Institut für Gesellschafts- und<br />
Sozialpolitik der Johannes Kepler Universität Linz, Lehrbeauftragte an der Fachhochschule<br />
für Soziales, schrieb ihre Dissertation über einen Vergleich der Sozialhilfe zwischen Großbritannien<br />
und Österreich. Forschungsschwerpunkte: Gender, Sozial- und Integrationspolitik.<br />
Arbeitswelt und Armut<br />
Nikolaus Dimmel - Studium Jus und Philosophie, Vorstandsarbeit und Geschäftsführung in<br />
verschiedenen sozialwirtschaftlichen Organisationen, u. a. im Verein für Bewährungshilfe,<br />
seit 1997 an der Universität Salzburg, seit 1999 Univ. Prof., seit 2006 Leiter des Lehrgangs<br />
für Migrationsmanagement, Kreisky-Preis-Träger 2005 (Anerkennungspreis für „Politische<br />
Kultur in Österreich“)<br />
Erich Gumplmaier - Elektromechaniker, Sozialakademie der Kammer für Arbeiter und Angestellte<br />
1979–1980, Berufsreifeprüfung 1981, Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften<br />
an der Johannes Kepler Universität Linz, ÖGB Jugendsekretär, ÖGB Bildungssekretär,<br />
seit 1991 Landessekretär des ÖGB <strong>Oberösterreich</strong>. Mitglied des Vorstandes der Kammer<br />
für Arbeiter und Angestellte <strong>Oberösterreich</strong>.<br />
Roman Obrovski - Lehre <strong>als</strong> Buchhändler, Studium Psychologie und Philosophie in Wien.<br />
Seit 1975 in der Arbeitsmarktpolitik tätig. Berater für Maturanten und Akademiker, Abteilungsleiter<br />
für Rehabilitation und Leiter des damaligen Arbeitsamtes Linz. Seit 1987 Leiter<br />
des Landesarbeitsamtes <strong>Oberösterreich</strong>.<br />
Susanne Stockinger - Lehre <strong>als</strong> Großhandelskauffrau, 10 Jahre <strong>als</strong> Bankkauffrau tätig. Seit<br />
2001 in Pension. Gründungsmitglied des Vereins AhA – Arbeitslose helfen Arbeitslosen – in<br />
Linz im Jahre 1999. Im Vorstand des Vereins für Finanzen und Öffentlichkeitsarbeit zuständig.<br />
Mitglied im Armutsnetzwerk <strong>Oberösterreich</strong>.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Generationen und Armut<br />
Eva Forster - seit 20 Jahren in der Sozialarbeit tätig, Schwerpunkte Gewalt in der Familie<br />
und Beratung von Familien in existenziellen Krisensituationen, Öffentlichkeitsarbeit zum<br />
Thema Familienarmut und zur Situation Alleinerziehender. Zurzeit Arbeit an einem Konzept<br />
für eine Mutter-Kind-Kur für ausgebrannte Mütter und ihre Kinder, ein Kooperationsprojekt<br />
der pro mente und der GKK.<br />
Renate Hackl - Soziologin, seit 1999 Leiterin der Aufgabengruppe Leistungen für Menschen<br />
mit Beeinträchtigungen, für Wohnungslosenhilfe beim Land <strong>Oberösterreich</strong>. Von 1996 bis<br />
1999 <strong>als</strong> Sozialplanerin für das Land <strong>Oberösterreich</strong> tätig. Wesentlich beteiligt an der Entstehung<br />
des Oö. Chancengleichheitsgesetzes in <strong>Oberösterreich</strong>.<br />
Norbert Krammer - Dipl. Sozialarbeiter und Gesellschaftswissenschafter, Bereichsleiter für<br />
Salzburg und <strong>Oberösterreich</strong> II im Fachbereich Sachwalterschaft. Seit rund fünfzehn Jahren<br />
<strong>als</strong> Vereinssachwalter tätig. Neben dieser konkreten Vertretungsarbeit für psychisch kranke<br />
und geistig behinderte Menschen auch in verschiedenen gemeinsamen Netzwerken tätig<br />
(Österreichische Armutskonferenz, Salzburger Netzwerk gegen Armut und Ausgrenzung;<br />
Forum Wohnungslosenhilfe; Plattform Psychiatrie etc.).<br />
Matthias Till - bis 2001 Studium am Institut für Soziologie der Universität Wien und dort<br />
Lehrbeauftragter. Seit 1998 in der nationalen und europäischen Armuts- und Sozialberichterstattung<br />
tätig. Insbesondere war er bereits an der Durchführung des Europäischen<br />
Haushaltspanels (ECHP 1995-2001) in Österreich beteiligt und ist heute bei Statistik Austria<br />
Projektleiter für EU-SILC. Seit Herbst 2008 leitet er den Analysebereich der Direktion Bevölkerung.<br />
Ausgewählte Publikationen zum Thema:<br />
Armut und soziale Eingliederung in Österreich, Sozialbericht 2008, BMSK, ersch. 2008.<br />
Armutslagen in Wien, Institut für Soziologie, Universität Wien, 2006 (<strong>als</strong> Herausgeber).<br />
Einkommen, Armut und soziale Ausgrenzung: Zweiter Bericht, Eurostat, 2002.<br />
Gesundheit und Armut<br />
Claudia Habl - Gesundheitsökonomin im Geschäftsbereich ÖBIG der Gesundheit Österreich<br />
GmbH in Wien. Neben Gesundheits- und Arzneimittelsystemanalysen beschäftigt sie<br />
sich seit mehr <strong>als</strong> zehn Jahren auch mit geschlechts- und sozi<strong>als</strong>pezifischen Aspekten der<br />
Gesundheitsversorgung. Ausgewählte Publikationen sind beispielsweise: „Soziale Ungleichheit<br />
- Geschlecht – Gesundheit“ (2008) oder „Soziale Ungleichheit und Gesundheit“ (2003)<br />
Felix Hinterwirth - seit 41 Jahren bei der Firma Quelle - Zentralbetriebsratsvorsitzender.<br />
Landes- und Bundesvorsitzender des Wirtschaftsbereiches Handel in der Gewerkschaft der<br />
Privatangestellten. Obmannstellvertreter der OÖ. Gebietskrankenkasse.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 43
Moderation<br />
44<br />
Andreas Krauter - Studium der Humanmedizin an der Med. Fakultät Wien, Ausbildung<br />
zum Arzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Innere Medizin, 1996 Lehrgang für Krankenhausmanagement<br />
an der Universität Wien, seit 2000 Ärztlicher Direktor des KH der Barmherzigen<br />
Schwestern Linz, seit 2002 Geschäftsführer des KH der Barmherzigen Schwestern<br />
Linz, 2005 Abschluss MBA General Management Limak.<br />
Dagmar Andree – Juristin, seit 2001 Mitarbeiterin der Arbeiterkammer OÖ, bis 2004 Abteilung<br />
Insolvenzrecht, anschließend Rechtsreferentin in der Abteilung Sozialpolitik mit<br />
Schwerpunkt Arbeitslosigkeit und Gesundheit; ehrenamtliche Vorsitzende des Linzer Frauenhauses.<br />
Pold Ginner – Dipl. Krankenpfleger, dann Wechsel in die Sozialarbeit, Diplomstudium Sozialwirtschaft,<br />
von 2004 bis Jänner 2009 Geschäftsführer der <strong>Sozialplattform</strong> OÖ, <strong>als</strong> solcher<br />
Koordinator des Armutsnetzwerks OÖ.<br />
Maria Krautsieder – Dipl. Behindertenpädagogin, div. Zusatzausbildungen, seit 19 Jahren<br />
im psychosozialen Bereich tätig, davon 13 Jahre Exit sozial Krisendienst, seit 10 Jahren<br />
Mitarbeit im Armutsnetzwerk OÖ.<br />
Elisabeth Rosenmayr – Diplomsozialarbeiterin, Supervisorin, angestellt bei Exit sozial;<br />
feministisch/politisch engagiert im autonomen FRAUENzentrum, bei LISA & CO und bei der<br />
LINZER INITIATIVE.<br />
Iris Woltran - Studium Sozialwirtschaft an der Johannes Kepler Universität Linz, 1998 bis<br />
2001 Mitarbeiterin in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen (RIFA und IAB), 2001 bis 2005<br />
Sozialexpertin der Volkshilfe Österreich, Bundesgeschäftsstelle Wien, 2005 bis 2007 Sozialreferentin<br />
der Bundesarbeiterkammer/Arbeiterkammer Wien, Abteilung Sozialpolitik, seit<br />
2007 Sozialreferentin der Arbeiterkammer OÖ, Abteilung Sozialpolitik.<br />
Teilnehmer/innen der Podiumsdiskussion<br />
Josef Ackerl, Soziallandesrat, SPÖ<br />
Bernhard Baier, Mitglied des Landesparteivorstandes der ÖVP OÖ<br />
Doris Eisenriegler, Dritte Landtagspräsidentin, Die Grünen<br />
Johann Kalliauer, Präsident der Arbeiterkammer OÖ und des ÖGB OÖ<br />
Josef Mayr, Bischofsvikar für Soziales<br />
Erhard Prugger, Leiter der Abteilung Sozial- und Rechtspolitik der Wirtschaftskammer OÖ<br />
Christian Winkler, Armutsnetzwerk OÖ, Geschäftsführer der Bischöfl. Arbeitslosenstiftung<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Pappfiguren der Armutskonferenz: Diese sind anläßlich des Aktionstages<br />
Sichtbar Werden am 27.10. 2006 am Linzer Taubenmarkt<br />
nach einer Idee der Arbeitsloseninitiative AhA entstanden.<br />
Mehr <strong>als</strong> 260 TagungsteilnehmerInnen verfolgten mit Interesse<br />
die Vorträge und Diskussionen<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 45
46<br />
Diskussionsrunde „Arbeitswelt und Armut“:<br />
v.l.n.r.: Erich Gumplmaier, Susanne Stockinger, Nikolaus Dimmel,<br />
Iris Woltran, Roman Obrovski<br />
Diskussionsrunde „Generationen und Armut“:<br />
v.l.n.r.: Matthias Till, Norbert Krammer, Eva Forster, Pold Ginner, Renate<br />
Hackl<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Diskussionsrunde „Gesundheit und Armut“:<br />
v.l.n.r.: Claudia Habl, Maria Krautsieder, Felix Hinterwirth, Andreas<br />
Krauter<br />
Podiumsdiskussion „Armut in OÖ, Wer trägt die Verantwortung?“<br />
v.l.n.r.: Erhard Prugger, Christian Winkler, Doris Eisenriegler, Dagmar<br />
Andree, Josef Ackerl, Josef Mayr, Johann Kalliauer<br />
(nicht im Bild: Bernhard Baier)<br />
alle Fotos: Heinz Zauner<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 47
Fragen und Antworten<br />
Während der Tagung hatten die TeilnehmerInnen die Möglichkeit, ihre Fragen an die Diskutant/innen des<br />
Podiums zu formulieren, die Antworten wurden im Anschluss auf www.sozialplattform.at veröffentlicht.<br />
LR Josef Ackerl<br />
48<br />
Es gibt eigentlich sehr viele Interventionsmöglichkeiten zur Bekämpfung der vielfältigen Armut<br />
– es gibt viele Indianerhäuptlinge und es werden immer mehr ... Soll diese Verantwortung nicht<br />
mehr dem Indianervolk übertragen werden – es würde ein echter Strukturwandel entstehen<br />
– wäre das interessant?!<br />
Bei der Armutsbekämpfung – ein weiter Bereich und Begriff – wirken verschiedenste<br />
Gebietskörperschaften, Institutionen und Organisationen zusammen. Angefangen bei der<br />
Pensionsversicherung über das Arbeitsmarktservice (Bund) bis zum letzten sozialen Netz<br />
der Sozialhilfe (Länder/Gemeinden). Unter anderem aus diesem Grund gibt es auch sehr<br />
viele verschiedene Interventionsmöglichkeiten, was grundsätzlich auch den differenzierten<br />
Problemlagen der Betroffenen entspricht. Für <strong>Oberösterreich</strong> kann ich – innerhalb der Kompetenzen<br />
des OÖ Sozialressorts - die These, dass es zu viele „Indianerhäuptlinge“ gibt, nicht<br />
bestätigen: weder bei den NGOs noch auf Seite der Behörden.<br />
Allerdings fehlt in <strong>Oberösterreich</strong> im Bereich der regionalen Träger sozialer Hilfe teilweise<br />
im erheblichen Ausmaß Personal, bspw. SozialarbeiterInnen für dieses Aufgabengebiet in<br />
den Sozialhilfeverbänden. Eine Verbesserung dieser Person<strong>als</strong>ituation würde mit Sicherheit<br />
nachhaltig positive Effekte nach sich ziehen. Einzelne Initiativen in diese Richtung wurden<br />
seitens des OÖ Sozialressorts bereits gesetzt, allerdings verfügen wir nicht über die „direkte“<br />
Zuständigkeit. Auch in diesem Zusammenhang erwarten wir aber mit der Einführung der<br />
Bedarfsorientierten Mindestsicherung – die leider noch immer von Kärnten blockiert wird<br />
– eine massive Verbesserung.<br />
Welche konkreten Schritte wird Ihre Partei setzen<br />
- für eine gerechte Verteilung des Vermögens in Österreich (Verhältnis Durchschnittseinkommen<br />
– Spitzengehälter)<br />
- für eine Erhöhung der Nettoersatzrate in der Arbeitslosenversicherung<br />
- für einen gesetzeskonformen Vollzug der Sozialhilfe in OÖ in allen Bezirkshauptmannschaften<br />
und Magistraten?<br />
Thema: Sozialhilfevollzug – Wartezeiten bei Sozialhilfe-Erstanträgen teilweise bis zu 4 Wochen,<br />
Problem: fehlendes Magistratspersonal, warum?<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Es ist alles andere <strong>als</strong> ein Geheimnis, dass die Sozialdemokratie in Österreich für eine (höhere)<br />
Besteuerung des Vermögens – die im europäischen Vergleich so was von hinterherhinkt<br />
- eintritt. Diesbezügliche Initiativen hat beispielsweise zuletzt auf Bundesebene Sozialminister<br />
Buchinger im Zusammenhang mit der Finanzierung der Pflegevorsorge gesetzt.<br />
In einem grundsätzlich marktwirtschaftlichen System wie in Österreich ist es rechtlich gesehen<br />
äußerst schwierig, Gehälter im privat-wirtschaftlichen Bereich zu reglementieren.<br />
Das Verhältnis von Durchschnitts- zu Spitzengehältern ist aus dem Gerechtigkeitsgedanken<br />
heraus schon lange nicht mehr vertretbar, wenn es dies überhaupt jem<strong>als</strong> war. Dieser dringend<br />
notwendige soziale Ausgleich sollte aber über das Steuersystem mit entsprechenden<br />
Spitzensteuersätzen geregelt werden. Im Bereich des Staats ist eine Diskussion über eine<br />
Begrenzung der Managergehälter mehr <strong>als</strong> angebracht.<br />
Die Erhöhung der Nettoersatzrate (wenn auch nicht in aus unserer Sicht ausreichendem<br />
Ausmaß) war und ist mit der Bedarfsorientierten Mindestsicherung paktiert. Auch daher<br />
kann nur eine so rasch <strong>als</strong> mögliche Umsetzung der Mindestsicherung das Ziel sein.<br />
Nicht gesetzeskonformes Handeln der Sozialhilfebehörden sollte mit den entsprechenden<br />
konkreten Unterlagen sofort dem OÖ Sozialressort übermittelt werden, damit dieses auch in<br />
diesen Einzelfällen aktiv werden kann. Das OÖ Sozialressort geht allen Einzelfällen mit den<br />
entsprechenden Konsequenzen nach. Einmal mehr, die Mindestsicherung wird bundesweit<br />
bessere Standards in der Sozialhilfe für die BezieherInnen bringen (leichterer Zugang, höhere<br />
Freibeträge, höhere Richtsätze...). Mit der Einführung sollte auch die zu geringe Personalausstattung<br />
der Behörden diskutiert und nach Möglichkeit natürlich verbessert werden.<br />
In der Mindestsicherung (Art. 15a-Vereinbarung) wurden auch die entsprechenden Fristen<br />
teilweise massiv verkürzt. Unabhängig davon, wann ein Bescheid eintrifft, hat die Sozialhilfebehörde<br />
bereits jetzt bei einer akuten Notlage sofort zu reagieren (Soforthilfe). Falls<br />
dies nicht der Fall ist, ersuche ich auch diese Beispiele meinem Ressort zu übermitteln.<br />
Zudem verweise ich auch hier auf die vorhergehende Beantwortung im Hinblick auf das<br />
notwendige Personal in den Sozialhilfeverbänden und Magistraten.<br />
Wie wichtig ist eine Grundsicherung!?<br />
Auch die Frage der Grundsicherung soll mit der Einführung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung<br />
verbessert beantwortet werden. Daneben gibt es in <strong>Oberösterreich</strong> bspw.<br />
auch das subsidiäre Mindesteinkommen für Menschen mit Beeinträchtigungen im noch<br />
jungen Chancengleichheitsgesetz. Eine Grundsicherung ohne die Verpflichtung zum „Bemühen“<br />
halte ich in unserer derzeitigen Gesellschaft für nicht passend und auch nicht realisierbar.<br />
Arbeit ist ein enorm wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft (vor allem aus Sicht<br />
des Normalitätsprinzips), deren Bedeutung von niemandem – vor allem nicht in Richtung<br />
Sinnerfüllung – unterschätzt werden sollte.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 49
Fragen und Antworten<br />
50<br />
Die Banken sind gesichert und die Sparbücher. Wer sichert leistbares Wohnen bei diesen Preisanstiegen?<br />
Um Bezieherinnen und Bezieher von niedrigen Einkommen im Bereich Wohnen finanziell zu<br />
entlasten, haben wir in <strong>Oberösterreich</strong> den Heizkostenzuschuss eingeführt, der einmal jährlich<br />
nach Antragstellung, gleichgültig mit welchem Energieträger geheizt wird, ausbezahlt<br />
wird.<br />
Besonders im letzten Jahr sind die Energiekosten – insbesondere die Preise für Öl und Gas<br />
rasant gestiegen, weshalb der Heizkostenzuschuss für die Wintersaison 2008/2009 auf Euro<br />
350,- angehoben wurde. Damit ist der Heizkostenzuschuss im Bundesländervergleich in<br />
<strong>Oberösterreich</strong> am höchsten.<br />
Zusätzlich wird auf Initiative von Wohnbau-Landesrat Kepplinger die Wohnbeihilfe ab<br />
1.1.2009 erhöht und die derzeit gültige Haushaltseinkommensobergrenze deutlich angehoben.<br />
Als zentraler Armutsfaktor wird immer wieder Erwerbsarbeitslosigkeit genannt. Diese ist häufig<br />
durch Versorgungspflichten bedingt, die Erwerbsarbeit verunmöglichen. Was wird in <strong>Oberösterreich</strong><br />
unternommen, um eine gerechte Verteilung der Versorgungspflichten (Kinderbetreuung,<br />
Pflege) zu fördern?<br />
Für OÖ wäre eine flächendeckende Betreuungsmöglichkeit für Kinder wünschenswert. Jedoch<br />
sollte diese Form der Betreuung auch für die Eltern leistbar sein.<br />
In meinen Zuständigkeitsbereich fallen die Krabbelstuben, <strong>als</strong>o die Kinderbetreuung für<br />
Kinder unter drei Jahren. In diesem Bereich forciere ich schon bereits seit längerem einen<br />
starken Ausbau der Krabbelstuben. Man kann sagen, dass in einem Jahr zwischen 12 - 15<br />
neue Krabbelstuben in <strong>Oberösterreich</strong> eröffnet werden. Damit aber auch Eltern aus finanzieller<br />
Sicht die Möglichkeit haben, diese Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, wurde der<br />
Elternbeitrag sozial gestaffelt.<br />
Weiters fordere ich schon seit längerem einen Gratiskindergarten für alle. Es darf nicht<br />
vergessen werden, dass bereits die Krabbelstube wie auch der Kindergarten Bestandteile<br />
unseres Bildungssystems sind. Ich begrüße die Entwicklung seitens des Bundes, dass das<br />
letzte Kindergartenjahr für Fünfjährige nun gratis ist, sehe dies aber erst <strong>als</strong> einen ersten<br />
Schritt in die richtige Richtung.<br />
Was sagen Sie zu der Tatsache, dass Frauen in Österreich noch immer in den meisten Berufen<br />
weniger verdienen <strong>als</strong> Männer und dass Österreich damit sogar gegen ein Menschenrecht verstößt<br />
(Punkt 23 der Menschenrechtserklärung: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit).<br />
Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist nach wie vor ein zentrales Thema in<br />
unserer Gesellschaft. Leider entspricht es der Realität, dass in diesem Bereich noch sehr viel<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Arbeit auf uns wartet. Bezüglich der Unterschiede beim Einkommen kann ich jedoch sagen,<br />
dass im Zuge einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst bei gleichen Arbeitsagenden keine<br />
Unterschiede bestehen. Ziel ist es, dies auch in der Privatwirtschaft zu erreichen. Weiters<br />
darf ich noch auf das Frauenförderprogramm „Balance – Wege zur Gleichstellung“ aufmerksam<br />
machen, welches bereits im Landesdienst besteht. Ebenso finde ich es begrüßenswert,<br />
dass das Land OÖ eine Gleichbehandlungskommission eingerichtet hat, welche bei<br />
Stellungnahmen zu diversen Gesetzes- und Verordnungsentwürfen und bei der Erstattung<br />
von Gutachten in Fragen der Verletzung des Gleichbehandlungs- bzw. Frauenfördergebots<br />
miteingebunden wird.<br />
Das neue Chancengleichheitsgesetz sieht vor, dass für Hauptleistungen, z.B. Arbeit in einer Tagesstruktur,<br />
ein Kostenbeitrag von den Betroffenen eingehoben wird, wenn ein Vermögen über<br />
Euro 7.300,- angespart wurde oder wenn ein Pflegegeld bezogen wird. Ist es ein sozialer Fortschritt,<br />
wenn Personen, die aus dem sog. 1. Arbeitsmarkt hinausgedrängt werden, nun für sinnstiftende<br />
Arbeit in Form von Tagesstruktur zahlen müssen?<br />
Die „fähigkeitsorientierte Aktivität“ (Tagesstruktur) stellt eine Form der Hilfeleistung für den<br />
Menschen mit Beeinträchtigungen dar, der einer Tätigkeit nachkommen will, für den jedoch<br />
unter anderem das Angebot des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht geeignet ist.<br />
Sie bietet die Teilnahme und Mitwirkung an einem Arbeitsprozess sowie am Leben in der<br />
Gemeinschaft und schafft eine organisierte Tagesstruktur mit vielfältigen, adäquaten und<br />
<strong>als</strong> sinnvoll empfundenen Tätigkeitsfeldern.<br />
Für die Tätigkeit in der Einrichtung ist für den Menschen mit Beeinträchtigungen eine finanzielle<br />
Abgeltung vorgesehen.<br />
Gleichzeitig sind damit allerdings Kosten, wie z.B. für Infrastruktur, Betreuungspersonal<br />
usw. verbunden.<br />
Richtig ist, dass gemäß § 20 Oö. ChG iVm der Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung<br />
ein Beitrag zu den Kosten der Leistung zu entrichten ist. Auch nach dem Oö. BhG 1991<br />
war für die „Hilfe durch Beschäftigung“ ein Beitrag, abgestuft nach der Pflegegeldstufe, zu<br />
entrichten.<br />
Dieser Beitrag ist jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen zu entrichten.<br />
Der Beitrag richtet sich:<br />
1. einerseits nach der Höhe des Einkommens und Vermögens und<br />
2. andererseits nach der Frage, ob Anspruch auf Pflegegeld besteht oder nicht.<br />
zu 1.:<br />
Prüfkriterien dafür, ob überhaupt auf Einkommen oder Vermögen zugegriffen wird, sind:<br />
- die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz<br />
- die Gefährdung der Entwicklungsmöglichkeiten sowie<br />
- das Vorliegen besonderer Härten.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 51
Fragen und Antworten<br />
52<br />
Weiters wird der Beitrag begrenzt durch Freibeträge:<br />
- z.B. 7.300 Euro bei verwertbarem Vermögen<br />
- z.B. 1.000 Euro Freibetrag bei Einkommen<br />
- durch das Kostendeckungsprinzip (<strong>als</strong>o höchstens bis zu den tatsächlich entstandenen<br />
Kosten)<br />
zu 2.:<br />
Wenn das vorhandene Einkommen/Vermögen nicht zur Deckung der entstandenen Kosten<br />
ausreicht bzw. wenn kein Einkommen/Vermögen vorhanden ist, dann gilt die Regelung der<br />
Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung:<br />
Pflegegeld : 38 Wochenstunden x vereinbarten Wochenstunden in der Einrichtung<br />
= Monatsbeitrag<br />
Auch hier gibt es Einschränkungen:<br />
- wenn der Mensch mit Beeinträchtigungen keinen Anspruch auf Pflegegeld hat, ist dieser<br />
Beitrag nicht zu entrichten<br />
- die Höhe des Beitrags hängt von der für den Menschen mit Beeinträchtigungen individuell<br />
festgelegten Anzahl der Stunden ab<br />
- die Stunden werden im Leistungsverfahren mittels Bescheid gemeinsam mit den Menschen<br />
mit Beeinträchtigungen vereinbart (in der Assistenzkonferenz; durch Ermittlung<br />
des individuellen Hilfebedarfes)<br />
Ein (fiktives) Beispiel:<br />
Ein Mensch mit Beeinträchtigungen (Pflegegeldbezieher), der in einem Einfamilienhaus lebt<br />
und zusätzlich ein Sparvermögen in Höhe von rund 30.000 Euro besitzt, nimmt die Leistung<br />
„fähigkeitsorientierte Aktivität“ in Anspruch.<br />
Das Wohnhaus dient <strong>als</strong> Wohnform für den Menschen mit Beeinträchtigungen. Es kann<br />
davon ausgegangen werden, dass die angesparten Rücklagen für die Instandhaltung des<br />
Hauses benötigt werden. Daher würde in diesem Fall nicht auf das Vermögen zugegriffen<br />
werden.<br />
Aufgrund des Pflegegeldbezuges wäre höchstens der Beitrag aus dem Pflegegeld nach der<br />
Oö. Beitrags- und Richtsatzverordnung zu entrichten (jedenfalls aber nicht mehr <strong>als</strong> 80%<br />
des Pflegegeldes und nur bis zu den tatsächlichen Kosten).<br />
Hätte er keinen Anspruch auf Pflegegeld, müsste in diesem Fall kein Beitrag entrichtet werden<br />
(weder aus Einkommen, noch aus Vermögen, noch gemäß der Oö. ChG-Beitrags- und<br />
Richtsatzverordnung).<br />
„Arbeit schützt vor Armut nicht“ – Im Sozialbereich wird zunehmend mit dem neuen Kollektivvertrag<br />
angestellt und gleichzeitig niedrig eingestuft (mindere Verwendungsgruppen). Oft<br />
stehen keine Vollzeitarbeitsplätze zur Verfügung – sondern Working Poor-Verhältnisse in der<br />
Sozialarbeit. Ist das der politische Wille in OÖ?<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Sind „Änderungskündigungen“ bei pro mente OÖ „wieder“ angedacht? Seit ca. 2 Jahren gibt es<br />
bei pro mente OÖ immer mehr befristete Arbeitsverträge, immer mehr Teilzeitbeschäftigung,<br />
immer mehr geringfügig Beschäftigte. Die Leistungspreise (Land OÖ) bedeuten für die Beschäftigten<br />
der pro mente: Leistungsverdichtung – Teilzeit – Befristungen – mehr Klienten/Kunden<br />
– mit weniger Personal und die Einführung des Chancengleichheitsgesetzes weit mehr organisatorischen<br />
Aufwand. Immer mehr Beschäftigte erleben Burn out und eine massive Überlastung.<br />
Hat das Land OÖ auch Entlastung für die Beschäftigten der pro mente OÖ vor?<br />
Was tut die Politik, um zu verhindern, dass die Profis, welche täglich mit dem Thema Armut arbeiten<br />
selber in Armut geraten (BAGS)?<br />
Wie gedenkt das Land OÖ die Einhaltung des Arbeitsrechts in den sozialen Diensten – z.B. Personalbemessung<br />
– zu überprüfen?<br />
Dienstverhältnisse sind grundsätzlich Rechtsbeziehungen zwischen ArbeitnehmerInnen<br />
und ArbeitgeberInnen. Seitens des Landes OÖ <strong>als</strong> Auftraggeber wird grundsätzlich davon<br />
ausgegangen, dass von Auftragnehmern des Landes OÖ alle gesetzlichen Bestimmungen<br />
eingehalten werden, dies ist auch in den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und<br />
Verordnungen verankert.<br />
Dies gilt auch für die von Ihnen angeführte Anwendung des BAGS-Kollektivvertrages.<br />
Im Zuge der Leistungspreisverhandlungen wurde mit den Trägerorganisationen für den jeweiligen<br />
Leistungsbereich eine personelle Ausstattung vereinbart. Besonders möchte ich<br />
betonen, dass bisher in keinem Leistungsbereich Personalreduktionen erfolgt sind.<br />
Hinsichtlich der erwähnten Teilzeit-Dienstverhältnisse ist anzumerken, dass von den<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Personalvertretungen der Trägerorganisationen<br />
wiederholt die Möglichkeit für Teilzeitarbeitsverhältnisse gefordert wurde.<br />
Generell möchte ich festhalten, dass der BAGS-Kollektivvertrag ohne Einbindung des Kostenträgers<br />
zwischen Arbeitnehmer- und ArbeitgebervertreterInnen ausverhandelt und abgeschlossen<br />
wurde. Trotzdem war ich aber immer bereit, die durch den BAGS-KV entstehenden<br />
Mehrkosten zu tragen, da er für den überwiegenden Teil der ArbeitnehmerInnen in den<br />
sozialen Berufen eine Verbesserung zum Status Quo darstellt.<br />
Auch möchte ich festhalten, dass ich niem<strong>als</strong> Änderungskündigungen angeordnet habe,<br />
sondern gemeinsam mit der Gewerkschaft nach Lösungen gesucht habe.<br />
Dafür würde ich aber vom Finanzreferenten zusätzliche finanzielle Mittel benötigen, da eine<br />
Finanzierung aus dem Sozialbudget einen Ausbaustopp der Angebote für Menschen mit<br />
Beeinträchtigungen bedeuten würde.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 53
Fragen und Antworten<br />
LAbg. Mag. Bernhard Baier (ÖVP)<br />
54<br />
Wenn Männer für die Kinderbetreuung verpflichtet würden, würde es mit dem Kinderbetreuungsgeld<br />
etwas anders ausschauen. Es wäre bedeutend mehr. Was sagen Sie dazu?<br />
Die Rahmenbedingungen sollten so geschaffen werden, dass die Entscheidung für das Kind<br />
mit keinen groben finanziellen Nachteilen verbunden ist. Ich bin daher ein Anhänger davon,<br />
dass man das bestehende Kinderbetreuungsgeld-System um eine weitere Variante erweitert.<br />
Ein einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld, das dem Elternteil in Karenz 80%<br />
des Nettoeinkommens für 12 Monate gewährt (mind. Euro 1.000,- / max. Euro 2.000,-),<br />
wäre eine richtige Idee. Dieser Vorschlag von der ÖVP im NR-Wahlkampf sieht auch vor,<br />
dass sich die Dauer auf 14 Monate verlängert, wenn sich die Eltern die Karenz teilen.<br />
Wichtig: eine Grundsicherung!?<br />
Die Bundesregierung hat in diesem Bereich bereits ein meiner Ansicht nach sehr gutes Modell<br />
erarbeitet, das leider bisher auf Grund der Ablehnung des Bundeslandes Kärnten noch<br />
nicht in Kraft treten konnte. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung würde eine soziale Lücke<br />
erfolgreich schließen, ohne dass der Anreiz arbeiten zu gehen darunter leidet. Ich hoffe<br />
auf die neue Bundesregierung, dass sie dieses bereits erarbeitete Modell umsetzen kann.<br />
Was sagen Sie dazu, dass Frauen in den meisten Berufen immer noch weniger verdienen <strong>als</strong><br />
Männer?<br />
Das ist ein Umstand, den wir nicht akzeptieren wollen. Dort, wo die Politik aktiv eingreifen<br />
kann, nämlich im öffentlichen Dienst, gilt gleicher Lohn für gleiche Arbeit. In der Privatwirtschaft<br />
sehe ich vor allem die Sozialpartner gefordert, gegen diese Diskriminierung anzukämpfen.<br />
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit muss eine der zentralen Herausforderungen der<br />
neuen Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern werden.<br />
Wieso wurde soviel Geld in die Wahlkampagnen gesteckt, während parallel dazu Menschen auf<br />
der Straße hausen und am Hungertuch nagen?<br />
Man kann zu den vorgezogenen Neuwahlen stehen wie man will, ich war selbst kein begeisterter<br />
Anhänger der Neuwahl. Demokratie funktioniert nun mal so. Und Grundvoraussetzung<br />
für eine erfolgreiche Politik, wie etwa im Bereich der Armutsbekämpfung, ist eine<br />
funktionierende Demokratie.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Zählen nur mehr die Eliten und die Leader und die Armen bekommen nur mehr einige Almosen<br />
ab?<br />
Die Aufgabe der Politik ist es, gegen Armut aktiv anzukämpfen und dementsprechend ein<br />
dichtes soziales Netz zu spannen. Mit dem realisierten Euro 1.000,- Mindestlohn und einer<br />
bedarfsorientierten Mindestsicherung, die hoffentlich bald umgesetzt wird, wird hier ein<br />
richtiger und wichtiger Schritt getan. Dennoch dürfen wir die Leistungsträger nicht aus den<br />
Augen verlieren, sie sind wesentliche Träger und Stützen unserer Gesellschaft.<br />
Ist der Tenor der Wirtschaftspolitik jener, dass Familien auf Kinder verzichten sollen, weil sie zu<br />
teuer sind? Sind die Familien nicht die Zukunft der Gesellschaft?<br />
Ich gebe Ihnen vollkommen Recht, die Familien sorgen für die Zukunft unseres Landes.<br />
Familien zu fördern und zu entlasten ist eine zentrale Herausforderung für die künftige<br />
Bundesregierung. Die 13. Familienbeihilfe, die bereits beschlossen wurde, ist ein richtiger<br />
Schritt. In den momentanen Regierungsverhandlungen hoffe ich, dass sich die ÖVP mit<br />
ihren Vorstellungen in der Familienpolitik durchsetzen kann: Das sind unter anderem eine<br />
steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten, ein einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld<br />
und das letzte Kindergartenjahr kostenlos zu machen.<br />
Welche Schritte wird Ihre Partei setzen, für eine gerechte Verteilung des Vermögens in Österreich<br />
(Durchschnittsgehälter – Spitzenverdiener), für eine effiziente Bekämpfung der Armut<br />
(Grundeinkommen) und zur Bekämpfung des „Casinokapitalismus“?<br />
1) Mit dem Mindestlohn wurde ein wichtiger Schritt umgesetzt, die Entlastung des Faktors<br />
„Arbeit“ muss einen wesentlichen Anteil im Rahmen der nächsten Steuerreform haben.<br />
Spitzengehälter nehmen in manchen Fällen schon wahnsinnige Dimensionen an, in Österreich<br />
sind es in der Privatwirtschaft die Aufsichtsräte, die diese Gehälter verantworten<br />
müssen. Einen Eingriff des Staates in die Gehaltsstrukturen lehne ich aber ab, weil dies<br />
Teil des planwirtschaftlichen Denkens ist, und Planwirtschaften sind auf der ganzen Welt<br />
gescheitert.<br />
2) Als dringende Maßnahme gegen eine Bekämpfung der Armut sehe ich die Umsetzung der<br />
bereits entworfenen bedarfsorientierten Mindestsicherung. Dadurch wird eine soziale<br />
Lücke erfolgreich gestopft, ohne dass die Arbeit an sich an Attraktivität verliert.<br />
3) Leider erleben wir gerade, dass für die Taten einiger Gauner in den Vereinigten Staaten<br />
die ganze Welt bestraft wird. Einige Vorgänge an der Börse sollten grundlegend überdacht<br />
werden, wenn ich zum Beispiel an die umstrittenen „Leerverkäufe“ denke. Eine<br />
Lehre aus der Krise für mich ist, dass wir die Realwirtschaft <strong>als</strong> Wirtschaftsmotor noch<br />
stärker unterstützen müssen.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 55
Fragen und Antworten<br />
56<br />
Wenn 80% des Einkommens für die exorbitant ansteigenden Kosten für Lebensmittel und Wohnungskosten<br />
aufgehen, wie soll man dann über die Runden kommen?<br />
OÖ ist im Kampf gegen die Teuerung sehr aktiv und erkennt hier die Probleme der Bürger.<br />
So wurden in diesem Jahr schon zahlreiche Gegenmaßnahmen umgesetzt. Die Erhöhung der<br />
Fernpendlerbeihilfe, der Zuschuss für Heizkostenbezieher, die verdoppelte Unterstützung<br />
beim Heizkesseltausch, das veröffentlichte oö. Preisradar sowie die Erhöhung der Wohnbeihilfe<br />
oder die Erhöhung der Einkommensgrenzen bei der Fernpendlerbeihilfe. <strong>Oberösterreich</strong><br />
entlastet die Menschen spürbar und wird auch künftig der Teuerung den Kampf ansagen.<br />
Doris Eisenriegler, Dritte Landtagspräsidentin, Grüne<br />
Wortwahl in der Politik<br />
Ich gebe Ihnen Recht. Der Stil in der Politik ist oft auf einem tiefen Niveau. Wie sich aber<br />
jeder und jede präsentiert ist allein ihre Verantwortung. Es gibt auch positive Beispiele!<br />
Wichtig: eine Grundsicherung! ?<br />
Das ist eine langjährige Forderung der Grünen. Leider hat auch das letzte Wahlergebnis<br />
nicht zu entsprechenden Mehrheiten geführt, die es für die Grünen möglich gemacht hätten,<br />
diese Forderung durchzusetzen.<br />
Zwei-Klassen-Medizin. Wie kann man gegensteuern?<br />
Indem sich jeder und jede, wo er oder sie steht gegen eine weitere Aushöhlung unseres<br />
Sozi<strong>als</strong>ystems wendet. Unser Gesundheits- und Sozi<strong>als</strong>ystem ist finanzierbar und auch ausbaufähig<br />
– was beispielsweise die Pflege betrifft. Wer anderes behauptet, ist wahrscheinlich<br />
ein Lobbyist von Versicherungen. Auf welch tönernen Beinen die so genannte „Eigenvorsorge“<br />
steht zeigt die gegenwärtige Finanzkrise!<br />
Wie kann Kinderbetreuung organisiert werden, damit Kinder-Bekommen nicht in die Armut<br />
führt? Wie kann man Männer bei Kinderbetreuung, Altenpflege, Krankenpflege in die Pflicht<br />
nehmen?<br />
Indem Frauen Forderungen stellen und nicht weiterhin auf eigene ökonomische Absicherung<br />
verzichten. Bei der Einbeziehung der Männer sind sicher Eheverträge hilfreich.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008
Ich denke aber, dass es im Bereich der Kinderbetreuung in den letzten Jahren langsam ein<br />
Umdenken gegeben hat. Es ist schon viel geschehen, bei weitem aber noch nicht genug.<br />
Hilfreich ist es, in den Gemeinden Druck zu machen, wenn das Betreuungsangebot unzureichend<br />
ist.<br />
Vor allem aber ist es wichtig, sich über die Programme der Parteien zu informieren und bei<br />
den Wahlen die richtigen Entscheidungen zu treffen!<br />
Der Mensch wird heute sehr nach Tempo und Leistung bezahlt und gekauft. In welche Richtung<br />
geht die Entwicklung?<br />
Ich teile Ihre Sorge. Wir dürfen uns nicht restlos vermarkten lassen. Wenn wir auf Arbeitsplätze<br />
angewiesen sind, werden wir uns oft nicht wehren können. Wichtig ist es daher, sich<br />
zu organisieren und Arbeitsrechte einzufordern.<br />
Einiges kann man aber sehr wohl direkt beeinflussen. Man kann seinen Lebensstil sehr bewusst<br />
gestalten und versuchen, zu entschleunigen. Es gibt schon viele Menschen, die ein<br />
ähnliches Unbehagen haben, wie Sie. Die Grünen arbeiten sehr bewusst an menschenwürdiger<br />
Arbeit indem z.B. ökologischer Landbau gefördert wird, neue Arbeitszeitmodelle gefordert<br />
werden, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten und vieles mehr.<br />
Dr. Johann Kalliauer, Präsident der Arbeiterkammer OÖ<br />
Wann ist der Begriff Armut für Sie ident - z.B. keinen PC, keinen Geschirrspüler zu besitzen, ...?<br />
Neben der rein statistischen Betrachtung von Armut ist es vor allem wichtig, dass man<br />
die sozialen Problemlagen der Menschen ernst nimmt und sie aktiv unterstützt. In <strong>Oberösterreich</strong><br />
waren 2006 144.000 Menschen von Armut betroffen und ein gutes Viertel der<br />
oberösterreichischen Bevölkerung lebt mit Einschränkungen, die sowohl finanzieller <strong>als</strong><br />
auch sozialer Art sein können. Hinter diesen beachtlich hohen Zahlen stehen Menschen, die<br />
jeden Tag aufs Neue mit ihrem geringen Einkommen ihr Leben bestreiten müssen und so<br />
nicht an der Gesellschaft umfassend teilnehmen können. Es ist daher an der Zeit, vermehrt<br />
aktiv Armut zu bekämpfen. Vorrangig ist vor allem die rasche Umsetzung des Maßnahmenpakets<br />
im Rahmen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung und die Existenzsicherung bei<br />
Arbeitslosigkeit (zum Beispiel wesentliche Erhöhung der Nettoersatzrate, Streichung der<br />
Partnereinkommensanrechnung bei der Notstandshilfe etc.).<br />
Menschen, die im Gesundheits- und Sozialbereich tätig sind, haben großteils hohe Arbeitsbelastungen,<br />
hohe Verantwortung bei geringer Bezahlung (BAGS-KV). Ich merke eine zunehmende<br />
Prekarisierung dieser Branche: Es gibt kaum mehr (neue) Vollzeitarbeitsplätze, es gibt<br />
kaum mehr unbefristete (neue) Dienstverträge, es gibt eine hohe Burn-out-Rate.<br />
Was ist aus Sicht der AK notwendig, um hier entgegenzusteuern?<br />
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Fragen und Antworten<br />
58<br />
Arbeitnehmer/innen, die im Bereich der Gesundheits- und Sozialen Dienste tätig sind, leisten<br />
tagtäglich Beachtliches. Die Arbeit in dieser Branche ist nicht leicht und auch die sozialen<br />
Belastungen sind enorm. Es ist gerade in diesem wachsenden Sektor sehr wichtig, dass<br />
Arbeitsbedingungen und Entlohnung nicht in die Prekarität oder gar ins „Burn-Out“ führen.<br />
Existenzsichernde Einkommen und volle arbeits- und sozialrechtliche Absicherung sind für<br />
alle Beschäftigten unbedingt zu gewährleisten. Das Phänomen der „prekären Arbeit“ muss<br />
zurückgedrängt werden, denn prekär darf nicht zur Norm werden.<br />
Ich wünsche uns Bewegung, Gener<strong>als</strong>treiks, Revolution (gewaltfrei) - gemeinsam, solidarisch<br />
- jetzt! Wenn nicht jetzt - wann dann? (Geld in Milliardenhöhe ist da - wozu? - für wen?) oder<br />
sind wir alle zu satt, zu träge, zu egoistisch, zu festgefahren, zu blind und taub, um die Zeichen<br />
der Jetzt-Zeit zu erkennen + zu handeln, nicht bloß festzustellen!<br />
Ich stimme Ihnen zu, dass es gerade jetzt an der Zeit ist, verstärkt aktiv zu werden. Die<br />
derzeitige Finanzkrise hat auf die Realwirtschaft und somit auf den Arbeitsmarkt übergegriffen.<br />
Kurzarbeit in Betrieben und steigende Arbeitslosigkeit sind die Folge. Es ist daher<br />
wichtig, dass die Kaufkraft der Arbeitnehmer/innen durch eine spürbare steuerliche Entlastung<br />
gestärkt wird. Auch sind die bestehenden Lücken im System der sozialen Sicherung vor<br />
allem im Bereich der Sozialhilfe der Länder, der Arbeitslosenversicherung etc. zu schließen.<br />
Weiters sind in den Bereichen Bildung, Arbeitsmarktpolitik, Gesundheit, Kinderbetreuung<br />
und Pflege verstärkt Investitionen zu tätigen. Gerade jetzt ist es wichtig, die Kaufkraft der<br />
Arbeitnehmer/innen zu stärken, Arbeitslosigkeit zu verhindern und das Sozi<strong>als</strong>ystem zu sichern.<br />
Josef Mayr, Bischofsvikar für Soziales<br />
Vor allem in der 3. Welt nimmt das Bevölkerungswachstum zu. Das, weil viele aus u.a konservativen<br />
Gründen keine Verhütungsmittel verwenden (Verhütung nicht Abtreibung).<br />
Wie kann die Kirche wollen, dass die damit verbundene Armut bzw. der zunehmende Hunger<br />
(primär bei Kindern) so ansteigt und Menschen darunter leiden? Bzw. das Verbieten der Verhütungsmittel<br />
lässt auch die Anzahl derer, die an Aids erkranken, in die Höhe schnellen. Daher<br />
muss/sollte auch das Gesundheitssystem immer mehr ausgebaut werden, um sich vor allem auf<br />
die Behandlung von HIV zu fokussieren. Anstatt das dafür benötigte Geld in Verhütungsmittel<br />
bzw. Armutsprävention / Bekämpfung zu investieren?<br />
Ich teile Ihre Meinung: „Verhütung nicht Abtreibung“. Die Meinung wird auch von vielen<br />
kath. Moraltheologen vertreten. Angesichts der vielen Kinder, die in den armen Ländern<br />
verhungern, ist eine positive Geburtenregelung wichtig. Dringend notwendig ist der Ausbau<br />
des Gesundheitssystems und die Behandlung der HIV – Kranken.<br />
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Wie wichtig ist eine Grundsicherung! ?<br />
Die bedarfsorientierte Grundsicherung ist eine alte Forderung der Kirche.<br />
Die Katholische Sozialakademie hat schon vor Jahrzehnten das Modell eines Grundeinkommens<br />
erarbeitet und mit den Politikern diskutiert.<br />
Im Sozialwort der christlichen Kirchen wurde schon vor 5 Jahren „eine den Lebensbedarf<br />
abdeckende Existenzsicherung in der Zeit der Erwerbslosigkeit“ gefordert.<br />
Auch die Caritas tritt seit vielen Jahren für eine bedarfsorientierte Grundsicherung ein.<br />
Dr. Erhard Prugger, WK OÖ<br />
Was tut die Wirtschaftskammer, um Betriebe zu motivieren, Arbeitsplätze für Menschen mit<br />
Beeinträchtigungen zur Verfügung zu stellen? Damit könnte doch Armut vermieden werden.<br />
Die Wirtschaft hat doch auch Interesse an stabilen sozialen Gesellschaften?<br />
<strong>Oberösterreich</strong>s Wirtschaft bietet auch beeinträchtigten Menschen eine berufliche Perspektive.<br />
Das beste Beispiel dafür liefert der Verein Integratio. Dieser gemeinnützige Verein wurde<br />
Ende 2002 <strong>als</strong> gemeinsame Initiative des Bundessozialamtes <strong>Oberösterreich</strong>, der Wirtschaftskammer<br />
<strong>Oberösterreich</strong> sowie des Landes <strong>Oberösterreich</strong> ins Leben gerufen. Integratio<br />
unterstützt behinderte Menschen in enger Kooperation mit der gewerblichen Wirtschaft<br />
bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Die enge Zusammenarbeit mit den Dienstgebern<br />
garantiert, dass die konkreten Bedürfnisse des Arbeitgebers mit jenen des beeinträchtigten<br />
Arbeitssuchenden zusammengeführt werden. In den vergangenen Jahren haben mehr <strong>als</strong><br />
1.200 Personen mit Handicap diese Integratio-Hilfe in Anspruch genommen, um den Weg<br />
zurück bzw. hinein ins normale Berufsleben zu finden.<br />
Die Diskrepanz zwischen arm und reich wird immer größer. Warum aber wird viel Geld in eher<br />
unnütze Dinge gesteckt (z.B. Linz 09) anstatt einen Teil dieses Geldes zur Bekämpfung bzw. Prävention<br />
der Armut zu verwenden?<br />
Es wäre f<strong>als</strong>ch dort Gelder einzusparen, wo kulturpolitische Aktivitäten auch wirtschaftspolitische<br />
Effekte nach sich ziehen. Durch „Linz 09“ erfährt die Stadt Linz einen wirtschaftspolitischen<br />
„Schub“, der mittelbar auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt. Österreichs<br />
Problem ist nicht die Bereitstellung von zu wenig finanziellen Mitteln. Unser Hauptproblem:<br />
Das österreichische Umverteilungssystem ist mit Blick auf die Armutsvermeidung nicht<br />
wirklich zielgerichtet. Die Unterschiede zwischen den Haushaltseinkommen sind in Österreich<br />
auch deutlich geringer ausgeprägt <strong>als</strong> in den meisten anderen OECD-Ländern. Kein<br />
anderes OECD-Land gibt so viel Geld für Transferzahlungen aus – aber nur 14% dieser<br />
Transfers fließen in Haushalte mit geringem Einkommen.<br />
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Fragen und Antworten<br />
Christian Winkler, Armutsnetzwerk OÖ<br />
60<br />
Beschäftigt sich die Politik in OÖ ausreichend mit Armutsprävention, mit Maßnahmen zur Verhinderung<br />
und Bekämpfung von Armut und Verarmung?<br />
Wird das Armutsnetzwerk von den verantwortlichen Politiker/innen ernst genommen?<br />
Auf Landesebene in OÖ geschieht besonders im Sozialbereich einiges, z. B. Wohnbeihilfe<br />
oder Heizkostenzuschuss, das armutsverringernd wirkt. Ich habe den Eindruck, dass ein gewisses<br />
Maß an Sensibilität für das Thema Armut bei den verantwortlichen PolitikerInnen<br />
vorhanden ist.<br />
Und doch ist jede/r 10. <strong>Oberösterreich</strong>er/in armutsgefährdet. Daher sind noch viel mehr<br />
Maßnahmen im Sinne des Armutsvermeidungs-ABC erforderlich, teils auf Landesebene,<br />
teils auf Bundesebene:<br />
A Armutsvermeidene finanzielle Leistungen<br />
B Bessere soziale Infrastruktur bei Bildung, Gesundheitsversorgung, Pflege und Kinderbetreuung<br />
C Chancenverbesserung in der Arbeitswelt<br />
Einige Forderungen konkret:<br />
• Erhöhung der Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes zumindest auf EU-Durchschnitt<br />
von 70 %.<br />
• Erhöhung des Zuschusses des Bildungskontos vom Land OÖ und Umstellung auf frühere<br />
Auszahlung durch Vorschusszahlungen für Armutsgefährdete<br />
• Krankenversicherung (E-Card) für SozialhilfebezieherInnen<br />
• Besserer Zugang und mehr Angebot für Psychotherapie auf Krankenschein, besonders für<br />
MigrantInnen.<br />
Die „Armuts“- Definition muss viele andere Begriffe auch mit einschließen: Einfachheit, Gerechtigkeit,<br />
soziales Denken und Handeln, Barmherzigkeit. Wo und wie steht da unser gesellschaftliches<br />
Denken und Handeln?<br />
Gerechtigkeit ist ein sehr politischer Begriff, dem wir wieder viel mehr Bedeutung geben<br />
müssen. Die Einkommens- und Vermögensstatistiken beweisen die ungerechte Entwicklung<br />
der letzten Jahre und auch viele Menschen haben diese Erkenntnis. In Österreich und auch<br />
in anderen Ländern gibt es eine unverschämte Gier derer, die schon sehr viel haben. Gleichzeitig<br />
wächst die Armut.<br />
Soziales Denken und Handeln müssen wir zuerst bei der Politik verstärkt einfordern, sie<br />
muss die Rahmenbedingungen für Gerechtigkeit definieren und festlegen. Die „Selbstauslieferung“<br />
der Politik an sogenannte wirtschaftliche Sachzwänge muss beendet werden, damit<br />
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die Politik wieder der gesellschaftliche Leitsektor wird. Bei der Bevölkerung müssen wir um<br />
mehr Solidarität mit benachteiligten Menschen werben.<br />
Einfachheit und Barmherzigkeit sind Begriffe, die sehr dem persönlichen Handeln zuzuordnen<br />
sind.<br />
Dass es eine EU-weite Definition von Armutsgefährdung (= 60% des Medianeinkommens)<br />
gibt, finde ich grundsätzlich positiv, sonst könnte jeder Staat sich seine eigenen Richtwerte<br />
geben.<br />
In der Definition von Armut werden viele weitere Faktoren berücksichtigt:<br />
Primäre Faktoren sind: einmal im Jahr Urlaub zu machen, die Wohnung angemessen warm<br />
zu halten, bei Bedarf neue Kleidung zu kaufen, jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch (oder eine<br />
entsprechende vegetarische Speise) zu essen, unerwartet anfallende Ausgaben (im Ausmaß<br />
von rund 900 Euro) aus eigenen Mitteln zu tätigen oder ob der Haushalt mit Zahlungen im<br />
Rückstand ist.<br />
Sekundäre Faktoren sind:<br />
- kann sich übliche Gebrauchsgüter nicht leisten (PKW, Handy, Geschirrspülmaschine, PC,<br />
Internet, DVD-Player),<br />
- hat gesundheitliche Beeinträchtigung (wie sehr schlechter allgemeiner Gesundheitszustand,<br />
stark beeinträchtigt durch eine Behinderung oder chronisch krank),<br />
- hat Wohnungsprobleme (ohne Bad, Dusche oder WC, Feuchtigkeit und Schimmel, dunkle<br />
Räume, keine Waschmaschine/Waschküche)<br />
- hat Probleme im Wohnumfeld (Lärmbelästigung, Umweltverschmutzung, Kriminalität)<br />
Die persönliche Sichtweise, ob jemand arm oder nicht arm ist differiert manchmal zu diesen<br />
wissenschaftlichen Definitionen.<br />
arbeitslos - krank - alt - drei Wege in die Armut Enquete des Armutsnetzwerks OÖ, 22. 10. 2008 61
Rundbrief<br />
Aus dem Inhalt:<br />
10-2008<br />
20. Jahrgang<br />
15. 10. 2008<br />
sozialplattform oberösterreich<br />
Verlagspostamt 4020, GZ02Z030265M<br />
Foto: <strong>Sozialplattform</strong><br />
Edeltraud Artner-Papelitzky, Bereichsleiterin Mensch & Arbeit, Christine Lengauer, AK-Vizepräsidentin<br />
und Pold Ginner, Koordinator des OÖ Armutsnetzwerks präsentieren anlässlich des Welttags<br />
‚Decent Work’ (menschenwürdige Arbeit, 7. Oktober) das Leseheft „Fair statt Prekär – atypische Beschäftigungsformen,<br />
prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen“.<br />
• WISE - Work Integration Social Enterprises ... S. 4<br />
• Erfolgreicher Widerstand gegen die erweiterte Anzeigepflicht ... S. 8<br />
• 2gether - ein neues Mentoring-Projekt ... S. 9<br />
Leseheft 4: Fair statt prekär<br />
Atypische Beschäftigungsformen -<br />
prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen<br />
... Teilzeit, Geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit, Freie Dienstnehmer/innen,<br />
Neue Selbstständige und EPUs, Generation Praktikum, Migrant/inn/en ...<br />
Ein Leseheft des Armutsnetzwerks OÖ<br />
Gratis erhältlich unter: office@sozialplattform.at<br />
Leseheft 1: Armut und Reichtum -<br />
1.000 Milliarden Privatvermögen in Österreich<br />
Arm trotz Arbeit, Reich wird reicher, Spitzenverdiener/innen,<br />
Privatstiftungen ...<br />
Es geht um eine gerechte Umverteilung unseres Reichtums<br />
Ein Leseheft des Armutsnetzwerks OÖ<br />
Gratis erhältlich unter: office@sozialplattform.at<br />
OÖ. Sozialratgeber 2009<br />
Soziale Richtsätze<br />
Beratungs- und Betreuungsangebote<br />
Wichtige Kontaktadressen<br />
Gratis erhältlich unter: office@sozialplattform.at<br />
Rundbrief<br />
die Infodrehscheibe im oö. Sozialbereich<br />
Berichte zur sozialen Lage, Seminare, Termine, Veranstaltungen, Jobbörse,<br />
Interessantes und Neues aus sozialen Unternehmen und anderswo ...<br />
Abonnement: 26 Euro jährlich (13 Euro für Studierende)<br />
11 Ausgaben im Jahr (inkl. Sozialratgeber für OÖ)<br />
Bestellungen an <strong>Sozialplattform</strong> OÖ, Weingartshofstr. 38, 4020 Linz<br />
0732/667594, office@sozialplattform.at
Kultur<br />
für alle!<br />
„Für viele ein Neubeginn ...“<br />
Die Anforderungen an die soziale Arbeit werden<br />
ständig höher. Ein guter Überblick über jene, die sie<br />
tun und über das, was sie tun, ist daher von nicht zu<br />
unterschätzender Bedeutung. Gut 80% der sozialen<br />
Dienstleistungen, die in einer modernen Gesellschaft<br />
notwendig sind, werden vom Staat „bestellt“ und von<br />
privaten Einrichtungen erbracht. Die 6. und erweiterte<br />
Auflage bietet einen Einblick in die Welt dieser Einrichtungen.<br />
300 Sozialprojekte bzw. Sozialeinrichtungen auf 372<br />
Seiten. Ein umfangreiches Suchregister erleichtert das<br />
Finden nach Namen, Themen und Dienstleistungen.<br />
Neuauflage 2008, Erhebungsstand 2007<br />
ISBN: 978-3-9500406-5-4<br />
Preis:<br />
15 Euro (10 Euro für SchülerInnen und<br />
Studierende sowie Mitgliedsvereine)<br />
Zu bestellen:<br />
<strong>Sozialplattform</strong> OÖ, Weingartshofstr. 38, 4020 Linz<br />
Tel: 0732-667594, Fax: DW 4<br />
office@sozialplattform.at, www.sozialplattform.at<br />
Initiiert 2003 von Schauspielhaus<br />
Wien und der Armutskonferenz<br />
Auch für jene Menschen, die gerne am kulturellen Leben<br />
teilnehmen möchten, es sich im Moment aber nicht leisten<br />
können.<br />
Der Kulturpass macht es möglich. In Wien, Salzburg, der Steiermark, <strong>Oberösterreich</strong>,<br />
Vorarlberg und Tirol.<br />
Informationen unter www.hungeraufkunstundkultur.at bzw. www.kunsthunger-ooe.at