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Kosten-Nutzen-Bewertung - Leo Schütze Gmbh

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gpk SONDERAUSGABE<br />

G 13550<br />

GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 1<br />

gpk<br />

Sonderausgabe<br />

Nr. 3/08<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />

<strong>Bewertung</strong><br />

Symposium zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />

<strong>Bewertung</strong> – Thematische Einführung<br />

Axel C. Böhnke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

Einleitende Moderation<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als neues<br />

Instrument im SGB V<br />

Wolfgang van den Bergh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

Eine Grundlage für Nachhaltigkeit und<br />

Beitragssatzstabilität?<br />

Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich . . . . . . . . . . . . 7<br />

Valide <strong>Bewertung</strong> von <strong>Nutzen</strong> und <strong>Kosten</strong><br />

Möglichkeiten zur Verbesserung der Datenlage<br />

PD Dr. med. Matthias Perleth . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

Status quo and trends within the field<br />

of quality adjusted life years<br />

Prof. John E. Brazier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

Pro und Kontra<br />

Patientenrelevante Endpunkte nach SGB V<br />

Prof. Dr. med. Matthias Augustin . . . . . . . . . . . . 19<br />

Chancen und Risiken für den Patienten<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als Weg von der<br />

Rationierung zur Rationalisierung?<br />

Dr. med. Dr. phil. Daniel Strech . . . . . . . . . . . . . . 32<br />

Patiententeilhabe außerhalb Deutschlands<br />

Systemarchitektur, Staatseinfluss und<br />

relative Freiheitsgrade in sozialen<br />

Gesundheitssystemen<br />

Günter Danner M.A., Ph.D. . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />

Gesellschaftspolitische<br />

Kommentare<br />

Berlin /Bonn, November 2008<br />

49. Jahrgang, Sonderausgabe Nr. 3<br />

Einzelpreis: EUR 4,00 November<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

<strong>Kosten</strong>zuwächse bei neuen Wirkstoffen<br />

am Beispiel der Onkologie:<br />

Welche Ergebnisse benötigen wir zu patientenrelevanten<br />

Endpunkten aus klinischen Studien?<br />

Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig . . . . . . . . . . . . 36<br />

Unerledigte Fragen und Aufgaben zur<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

Eike Hovermann MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />

Beteiligte in Entscheidungsprozesse<br />

einbeziehen<br />

Dr. Konrad Schily MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

Zielgerichtete und gerechte<br />

Mittelverwendung<br />

Dr. Hans Georg Faust MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />

Schmaler Einstieg ins <strong>Bewertung</strong>sverfahren<br />

Dr. jur. Rainer Hess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />

Transparenz als notwendige Voraussetzung<br />

PD Dr. med. Peter Kolominsky-Rabas . . . . . . . . 46<br />

Methoden zur Messung der Qualität<br />

unausgereift<br />

Dr. med. <strong>Leo</strong>nhard Hansen . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />

Konsequenz der solidarischen Finanzierung<br />

des Gesundheitswesens<br />

Dr. Stefan Etgeton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />

Anforderungen an eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />

<strong>Bewertung</strong><br />

Wulff-Erik von Borcke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />

Autoren dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . 23, 24, 26<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 2<br />

Zu den Beiträgen<br />

■ Wolfgang van den Bergh, Chefredakteur und<br />

Ressortleiter Gesundheitspolitik/Gesellschaft der<br />

ÄRZTE ZEITUNG, beschreibt <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en<br />

für international operierende Hersteller in vielen<br />

Ländern als geübte Praxis und ein vertrautes<br />

Instrument. Allerdings komme es auf das Wie an. Hier<br />

werde sich zeigen, ob es in den nächsten Monaten zu<br />

einem deutschen Sonderweg komme.<br />

■ <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en können nach Ansicht<br />

von Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich zu einer<br />

kontinuierlichen Qualitätssicherung beitragen und<br />

eine evidenzbasierte Arzneimitteltherapie vorantreiben.<br />

Von großer Bedeutung sei aber auch eine reibungslose,<br />

sektorenübergreifende Versorgung. Erforderlich<br />

seien ergänzende, gute Beratungs- und Betreuungsangebote<br />

für den Patienten. Sie gibt zu bedenken,<br />

dass die Arzneimittel, die einer <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

unterzogen werden, nur einen sehr<br />

geringen Anteil an den gesamten GKV-Ausgaben für<br />

Arzneimittel ausmachten.<br />

■ Auch für PD Dr. med. Matthias Perleth bestehen<br />

im Vergleich zu den aus international verfügbaren<br />

Studien vorhandenen Daten zum <strong>Nutzen</strong> in Deutschland<br />

gravierende Defizite bei der Datenlage in Bezug<br />

auf die <strong>Kosten</strong>. Der Zugang zu validen <strong>Kosten</strong>daten<br />

sei stark eingeschränkt, teils mangels valider Datengrundlage<br />

– im ambulanten Bereich –, teils wegen des<br />

fehlenden Datenzugangs (stationär), teils wegen der<br />

fehlenden Verfügbarkeit sektorübergreifender und<br />

kassenartenübergreifender Längsschnittdaten. Unabhängig<br />

von den vorhandenen Forschungsprogrammen<br />

sei eine „Experimentierklausel“ für die gezielte<br />

Forschungsförderung im Rahmen der GKV hilfreich,<br />

um hier besonders relevante Forschungsfragen unbürokratisch<br />

bearbeiten zu können.<br />

■ Mit dem Status quo und den Trends bei der Ermittlung<br />

von QALYs in Großbritannien beschäftigte sich<br />

der Gesundheitsökonom Prof. John E. Brazier (Professor<br />

of Health Economics in the School of Health<br />

and Related Research at the University of Sheffield).<br />

Er setzt sich seit Jahren mit dieser Thematik auseinander,<br />

was sich nicht zuletzt in über hundert Veröffentlichungen<br />

niederschlägt. Er war u.a. Mitglied des National<br />

Institute for Clinical Excellence (NICE) Technology<br />

Appraisal Committee in den Jahren 2000 bis<br />

2004.<br />

■ Im Blick auf die patientenrelevanten Endpunkte<br />

stellt Prof. Dr. med. Matthias Augustin die Frage,<br />

inwieweit die Patienten selbst kompetent über den<br />

<strong>Nutzen</strong> entscheiden können. Hier gebe es verschiedene<br />

Antworten, je nachdem wer gefragt werde – der<br />

Arzt, die Krankenkasse oder das IQWiG. Hinterfragt<br />

wird dabei auch die entsprechende Kompetenz des<br />

Patienten. Augustins Fazit ist eindeutig: Der patientenseitige<br />

<strong>Nutzen</strong> kann nur vom Patienten selbst verlässlich<br />

bewertet werden. Allerdings sollen seine Angaben<br />

durch objektivierbare klinische Endpunkte ergänzt<br />

werden. In den meisten Ländern beruhe die<br />

<strong>Nutzen</strong>bewertung sowohl auf klinisch-therapeutischem<br />

als auch auf patientenseitigem <strong>Nutzen</strong>. Dieser<br />

patientenseitige <strong>Nutzen</strong> werde häufig in Form von<br />

Lebensqualität erfasst. Entsprechend gebe es auch<br />

von der Europäischen Arzneimittel-Agentur („European<br />

Medicines Agency“ – EMEA) zumindest im Entwurf<br />

ein Reflection Paper über gesundheitsbezogene<br />

Lebensqualität.<br />

■ Der Frage, ob die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> ein<br />

Weg von der Rationierung zur Rationalisierung sein<br />

könnte, widmet sich Dr. med. Dr. phil. Daniel Strech.<br />

Nach seiner Ansicht kann der Patient erst bei umfassender<br />

Transparenz nachvollziehen, welches die strittigen<br />

Elemente der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> sind<br />

und mit welchen Begründungen und Werturteilen für<br />

oder gegen bestimmte Elemente einer deutschen<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> argumentiert werde. Die<br />

gegenwärtig durch implizite Rationierungen geprägte<br />

Situation in Deutschland bedürfe der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />

<strong>Bewertung</strong> als Grundbedingung für eine explizite Rationierung,<br />

welche das ernstzunehmende Potenzial<br />

für eine qualitätsorientierte und gerechtere Ressourcenallokation<br />

in sich trage.<br />

■ Bei einem Überblick über die Gesundheitssysteme<br />

in Europa berichtet Günter Danner M. A., Ph. D.,<br />

dass Rationierung angesichts des hohen politischen<br />

Drucks auf die Sozialkosten überall ein wichtiges Thema<br />

sei. Nur selten gelinge es allerdings, transparente<br />

und begründete Leitvorstellungen zu vermitteln. Oft<br />

komme es zu nicht offen ausgesprochenen Leistungsverknappungen,<br />

die dann das System in seiner<br />

Darstellung beschädigen könnten. Wartelisten seien<br />

dafür ein sichtbarer Ausdruck.<br />

■ Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig lehnt für den<br />

Bereich der Onkologie den Begriff der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

ausdrücklich ab. Es gehe in diesem<br />

Bereich um Endpunkte klinischer Studien und um die<br />

Frage, ob diese Endpunkte patientenrelevant seien,


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 3<br />

eine Zulassung rechtfertigten und von den verordnenden<br />

Ärzten später sinnvoll genutzt werden könnten,<br />

um die Patienten bestmöglich zu behandeln. Der<br />

Umsatz der in der Onkologie eingesetzten Wirkstoffe<br />

werde in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht<br />

genau abgebildet, weil die meisten der teureren Wirkstoffe<br />

im Krankenhaus eingesetzt würden. Diese würden<br />

aber weltweit von 37 Milliarden US-Dollar im<br />

Jahre 2003 auf mehr als 70 Milliarden US-Dollar im<br />

Jahre 2010 ansteigen.<br />

■ In der hochrangig besetzten Podiumsdiskussion<br />

verwies der Bundestagsabgeordnete Eike Hovermann<br />

MdB darauf, dass die Hinwendung zur <strong>Kosten</strong>-<br />

<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> durch das IQWiG ein erster Schritt<br />

in die richtige Richtung sei. Hoffnungen, dass sich die<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> zu einem wirksamen Instrument<br />

des effektiveren Einsatzes vorhandener Finanzmittel<br />

entwickele, seien durchaus berechtigt.<br />

Allerdings stoße die vom IQWiG favorisierte Methode<br />

„Analyse der Effizienzgrenze“ erwartungsgemäß<br />

nicht nur auf Unterstützung.<br />

■ Oberstes Gebot jeder <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

ist für den Bundestagsabgeordneten Dr. Konrad<br />

Schily MdB das Wohl der Patienten. Deshalb dürfe<br />

sie auch kein bloßer Einsparmechanismus zur Stabilisierung<br />

eines unzureichend organisierten und finanzierten<br />

Gesundheitssystems sein. Die Methodik zur<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> müsse transparent und<br />

nachvollziehbar sein.<br />

■ Die Berücksichtigung von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Aspekten<br />

hält der Bundestagsabgeordnete Dr. Hans Georg<br />

Faust MdB angesichts der finanziellen Situation der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung für unumgänglich,<br />

um die verfügbaren Ressourcen zielgerichtet einzusetzen.<br />

Würden bei einer eher geringfügigen Gesundheitsstörung<br />

sehr teure Therapien mit nur geringem<br />

zusätzlichem <strong>Nutzen</strong> eingesetzt, fehlten die dafür erforderlichen<br />

finanziellen Mittel an anderer Stelle.<br />

■ Für Dr. jur. Rainer Hess lässt sich aus dem<br />

Gesetz eindeutig herleiten, dass im Vordergrund der<br />

Beleg eines medizinischen Zusatznutzens gegenüber<br />

bestehenden Behandlungsmöglichkeiten nach den<br />

Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin stehen<br />

müsse. Die Gesundheitsökonomie könne daher keinen<br />

<strong>Nutzen</strong> generieren, wo die evidenzbasierte Medizin<br />

keinen medizinischen <strong>Nutzen</strong> erkannt habe. Man<br />

solle das IQWiG-Modell als Grundlage für Modellprojekte<br />

zunächst akzeptieren. Aus indikationsbezoge-<br />

nen Effizienzgrenzen könne sich mittelfristig ein übergreifender<br />

Grenzwert als Richtschnur ableiten lassen.<br />

■ Die Effizienzgrenze beinhalte keine mathematische<br />

Regel zur Festlegung eines Höchstbetrags und<br />

definiere auch keinen vorab festgelegten Zusammenhang<br />

zwischen dem <strong>Nutzen</strong> und den <strong>Kosten</strong>, so<br />

PD Dr. med. Peter Kolominsky-Rabas. Je nach Indikation<br />

könnten bei einem Arzneimittel mit einem zehn<br />

Prozent höheren <strong>Nutzen</strong> Zusatzkosten in Höhe von<br />

fünf aber auch von 50 oder 500 Prozent gerechtfertigt<br />

sein. Die <strong>Nutzen</strong>bewertung des IQWiG erfolge mit<br />

Methoden der evidenzbasierten Medizin, wobei der<br />

„Zusatznutzen“ an Verbesserungen in den patientenrelevanten<br />

Endpunkten „Mortalität“, „Morbidität“ und<br />

„Lebensqualität“ gemessen werde.<br />

■ Dr. med. <strong>Leo</strong>nhard Hansen hält die Methoden<br />

zur Messung der Qualität für nicht ausgereift. Sie<br />

seien deshalb nicht länder- bzw. kulturübergreifend<br />

einzusetzen. Das vom IQWiG einberufene Expertenpanel<br />

habe festgestellt, dass bisher keine internationalen<br />

Normen für die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> existierten.<br />

Es sei deshalb aus seiner Sicht nicht möglich,<br />

QALYs in die <strong>Bewertung</strong> einzubeziehen.<br />

■ Die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> sei, so Dr. Stefan<br />

Etgeton, eine Konsequenz der solidarischen Finanzierung<br />

des Gesundheitswesens. Es sollte dabei aber<br />

nicht nur um methodische Strenge gehen, sondern<br />

vor allem auch um praktische Vernunft und Augenmaß<br />

im Hinblick auf die Versorgungsrealität.<br />

■ Nach Ansicht von Wulff-Erik von Borcke ist es zu<br />

begrüßen, dass die Bundesregierung mit den Expertentagungen<br />

zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> für die<br />

Entwicklung von sachgerechten Methoden dem<br />

IQWiG klare Vorgaben gesetzt habe. Diese orientierten<br />

sich, wie im Gesetz gefordert, an den internationalen<br />

Standards der Gesundheitsökonomie und seien<br />

insbesondere unter Beteiligung von deutschen<br />

Experten entstanden. Es bleibe die Hoffnung, dass<br />

diese Vorgaben vom IQWiG auch umgesetzt werden,<br />

obwohl zur Zeit der Eindruck bestehe, dass die Vorschläge<br />

des Expertengremiums keinen Eingang in<br />

dessen Methodenpapier zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

gefunden hätten. Dabei sei es für die Forschung<br />

und Entwicklung neuer Arzneimittel wichtig, dass<br />

die entstandenen <strong>Kosten</strong> auch refinanziert werden<br />

könnten.<br />

Die Redaktion


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 4<br />

Symposium zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />

<strong>Bewertung</strong> – Thematische Einführung<br />

Von Axel C. Böhnke<br />

Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-<br />

WSG) ist am 1. April 2007 die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

in das Sozialgesetzbuch V (SGB V) aufgenommen<br />

worden und zwar zusätzlich zur <strong>Nutzen</strong>bewertung<br />

von Arzneimitteln. Der Gesetzgeber hat allerdings<br />

lediglich die Aufgabenstellung definiert, über<br />

die anzuwendende Methodik der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

gibt es nur Hinweise.<br />

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen<br />

(IQWiG) erhielt in diesem Zusammenhang<br />

den Auftrag, künftig neben dem medizinischen<br />

auch den wirtschaftlichen <strong>Nutzen</strong> von Arzneimitteln<br />

zu bewerten. Dazu gibt es bereits einen Entwurf<br />

zur Methodik des IQWiG, der jedoch wichtige<br />

wissenschaftliche Einwände aus der Anhörungsphase<br />

nicht berücksichtigt.<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en gibt es in ganz unterschiedlichen<br />

Ausprägungen in den Nachbarländern<br />

bereits seit mehreren Jahren. Sie werden dort unter<br />

anderem zur Festsetzung von Preisen herangezogen,<br />

die die jeweiligen nationalen <strong>Kosten</strong>träger für bestimmte<br />

Arzneimittel zahlen.<br />

Zunächst gilt es zu klären, welcher zusätzliche <strong>Nutzen</strong><br />

für den Patienten entsteht. Dabei sind Parameter, wie<br />

„Verbesserung des Gesundheitszustandes, Verkürzung<br />

der Krankheitsdauer, Verlängerung der Lebensdauer,<br />

Verringerung der Nebenwirkungen sowie Verbesserung<br />

der Lebensqualität“ zu berücksichtigen.<br />

Im Unterschied dazu ist bisher die Preisbildung in<br />

Deutschland frei. Dies ist insbesondere zur Schaffung<br />

des Anreizes für Forschung und Innovationen wichtig.<br />

Also vor allem, damit Patienten in Deutschland auch<br />

weiterhin Zugang zu Innovationen und therapeutischem<br />

Fortschritt haben. Nahezu alle Arzneimittel<br />

können nach der Zulassung zu Lasten der gesetzlichen<br />

Krankenkassen verordnet werden. Mit dem<br />

neuen Instrument der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> soll<br />

dagegen abgewogen werden, ob eine <strong>Kosten</strong>übernahme<br />

„angemessen und zumutbar“ für die Solidargemeinschaft<br />

ist.<br />

Zudem gehört zu einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung,<br />

die <strong>Kosten</strong> der Versorgung einer Erkrankung<br />

nicht nur aus der Perspektive der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung zu sehen. Entscheidend ist zunächst<br />

die Perspektive des Versicherten selbst, denn<br />

die Behandlung einer Krankheit wirkt über den unmit-<br />

telbaren medizinischen Bereich hinaus, positiv wie<br />

negativ.<br />

So kann sie etwa in anderen Sozialversicherungszweigen<br />

sowohl <strong>Kosten</strong> verursachen als auch Einsparungen<br />

erbringen. Eine Erkrankung kann Rehabilitationsmaßnahmen<br />

zu Lasten der Rentenversicherung,<br />

der Krankenversicherung oder Leistungen der Pflegeversicherung<br />

verursachen.<br />

Eine schnellere Genesung oder die deutliche Linderung<br />

von Beschwerden kann insgesamt <strong>Kosten</strong> sparen,<br />

wenn etwa durch die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit<br />

und die Vermeidung einer früheren Verrentung<br />

noch über einen längeren Zeitraum Steuern<br />

und Sozialabgaben gezahlt werden können; ganz zu<br />

schweigen von der wirtschaftlichen Leistungserbringung.<br />

Eine sektorenübergreifende Betrachtung ist<br />

deshalb unerlässlich und die Verbesserung der Lebensqualität<br />

der Betroffenen ein wichtiges Ziel.<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en sind für international<br />

operierende Arzneimittelhersteller in vielen Ländern<br />

üblich, um die Rahmenbedingungen für den Marktzutritt<br />

festzulegen.<br />

Abbott als forschendes Gesundheitsunternehmen will<br />

sich der <strong>Bewertung</strong> seiner Produkte durchaus stellen.<br />

Entscheidend ist dabei, dass verlässliche Rahmenbedingungen,<br />

Transparenz und Planungssicherheit vorherrschen.<br />

Wichtig ist zudem, nicht durch weitere<br />

„Zulassungshürde(n)” Innovationshemmungen aufzubauen.<br />

Wie weit Hoffnungen und Erwartungen einerseits und<br />

die realen Möglichkeiten wissenschaftlich fundierter<br />

Allokationsentscheidungen andererseits auseinanderliegen,<br />

zeigte eine Diskussion zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />

<strong>Bewertung</strong> von Arzneimitteln bei einem Symposion,<br />

zu dem das Wissenschaftliche Institut für <strong>Nutzen</strong> und<br />

Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG) der Techniker<br />

Krankenkasse (TK) gemeinsam mit Abbott eingeladen<br />

hatten.<br />

Beteiligt an diesem Dialog waren als weitere Partner<br />

außerdem der Berufsverband der Sozialversicherungsärzte<br />

Deutschlands (bsd), in dem insbesondere<br />

die Ärzte des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung<br />

(MDK) organisiert sind, sowie das parteiübergreifende<br />

Diskussionsforum AG Zukunft des<br />

Gesundheitswesens (AGZ).


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 5<br />

In der vorliegenden Sonderausgabe der Gesellschaftspolitischen<br />

Kommentare (gpk) werden die auf<br />

diesem Symposium vorgetragenen Referate dokumentiert.<br />

Abbott wirkt als Gesundheitsunternehmen bei solchen<br />

Veranstaltungen mit, um seine Vorstellungen<br />

und Argumente einzubringen. Denn ein partnerschaftlicher<br />

Austausch bildet die Voraussetzung für<br />

eine konsensfähige Zusammenarbeit mit den verschiedenen<br />

Akteuren des Gesundheitssystems.<br />

Wichtig für alle Beteiligten ist der offene Dialog mit der<br />

Politik, um die solide Gestaltung des Gesundheitswesens<br />

mit zu ermöglichen.<br />

So möchte Abbott konstruktive Partnerschaften mit<br />

allen Beteiligten des Gesundheitswesens pflegen.<br />

Dabei sind insbesondere die Bedürfnisse der Patienten<br />

zu berücksichtigen. Um die Belange besser zu<br />

verstehen, ist ein enger und kontinuierlicher Dialog<br />

9.00 Uhr Begrüßung<br />

erforderlich. Dieser muss von Transparenz geprägt<br />

sein und ein vertrauensvolles, verlässliches und belastbares<br />

Klima schaffen.<br />

Wir wünschen uns eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>,<br />

die medizinische Evidenz möglichst umfassend berücksichtigt<br />

und gerade auch die Daten der Versorgungsforschung<br />

einbezieht. Weiter sollte vermieden<br />

werden, bereits im ersten Jahr der Markteinführung<br />

Anforderungen an die Verfügbarkeit medizinischer<br />

Daten zu stellen, die in der Regel erst viele Jahre<br />

danach zur Verfügung stehen können.<br />

Denn: Innovationen sind für den Fortschritt notwendig,<br />

deshalb fordert Abbott eine transparente und von<br />

deutschen Gesundheitsökonomen konzertierte wie<br />

konsentierte Methodik der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

durch das IQWiG, die Innovationen nicht behindert,<br />

sondern deren Wert besser verdeutlicht. Dies ist unser<br />

Anspruch.<br />

© gpk<br />

Symposium zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

Haus der Kaiserin-Friedrich-Stiftung · Robert-Koch-Platz 7 · 10115 Berlin<br />

Methodik und Daten<br />

9.30 Uhr Die Datenlage in Deutschland –<br />

Bedarf und Realität<br />

Dr. Hildegard Bossmann (GPS),<br />

Deutsche Agentur für Health Technology<br />

Assessment / DAHTA. DIMDI – Deutsches Institut<br />

für Medizinische Dokumentation und Information<br />

10.00 Uhr Möglichkeiten zur Verbesserung der Datenlage<br />

PD Dr. med. Matthias Perleth, MPH<br />

Leiter der Abt. Fachberatung Medizin<br />

in der Geschäftsstelle des G-BA<br />

10.30 Uhr Kaffeepause<br />

10.45 Uhr Patientenrelevante Endpunkte nach SGB V –<br />

Pro und Kontra<br />

Prof. Dr. Matthias Augustin, Leiter der<br />

FG Gesundheitsökonomie und Lebensqualitätsforschung,<br />

Uniklinikum Eppendorf<br />

11.15 Uhr Status quo und Trends bei der Ermittlung<br />

von QALYs<br />

Prof. John E. Brazier, Chair of SCHARR’s<br />

Research Committee, University of Sheffield<br />

11.45 Uhr Mittagspause<br />

Ethik – Finanzierung – Patiententeilhabe<br />

12.45 Uhr <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als Weg von der<br />

Rationierung zur Rationalisierung?<br />

Chancen und Risiken für den Patienten<br />

Dr. Dr. Daniel Strech, Wissenschaftl. Mitarbeiter,<br />

Institut für Ethik und Geschichte der Medizin,<br />

Eberhard-Karls-Universität Tübingen<br />

13.15 Uhr Patiententeilhabe außerhalb Deutschlands –<br />

ein internationaler Überblick<br />

Günter Danner M.A., Ph.D., Europa-Experte der<br />

Techniker Krankenkasse und stellv. Direktor der<br />

Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung<br />

in Brüssel<br />

13.45 Uhr Kaffeepause<br />

14.00 Uhr <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> – eine Grundlage<br />

für Nachhaltigkeit und Beitragssatzstabilität?<br />

Dr. Eva Susanne Dietrich, Direktorin des WINEG<br />

14.30 Uhr <strong>Kosten</strong>zuwächse bei neuen Wirkstoffen am Beispiel<br />

der Onkologie: Welche Ergebnisse benötigen wir<br />

zu patientenrelevanten Endpunkten aus klinischen<br />

Studien?<br />

Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig<br />

Vorsitzender der Arzneimittelkommission<br />

der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)<br />

15.00 Uhr Kaffeepause<br />

15.15 Uhr Gesundheitspolitische Podiumsdiskussion<br />

unter Einbeziehung der Referenten<br />

Eike M. Hovermann MdB<br />

Mitglied des Gesundheitsausschusses des Deutschen<br />

Bundestages, Sprecher der AG Zukunft des Gesundheitswesens<br />

(AGZ)<br />

Dr. Peter Kolominsky-Rabas<br />

Leiter des IQWiG-Ressorts Gesundheitsökonomie<br />

Dr. Rainer Hess<br />

Vorsitzender d. Gemeinsamen Bundesausschusses<br />

Dr. <strong>Leo</strong>nhard Hansen<br />

Vorstandsvorsitzender KV Nordrhein<br />

Dr. Hans Georg Faust MdB<br />

Stellv. Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des<br />

Deutschen Bundestages, Mitglied der AG Zukunft<br />

des Gesundheitswesens (AGZ)<br />

Dr. Konrad Schily MdB<br />

Mitglied des Deutschen Bundestages<br />

Dr. Stefan Etgeton<br />

Leiter des Fachbereichs Gesundheit, Ernährung<br />

bei Verbraucherzentrale Bundesverband<br />

Wulff-Erik von Borcke, Geschäftsführer Abbott<br />

Moderation:<br />

Wolfgang van den Bergh<br />

Chefredakteur der ÄRZTE ZEITUNG


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 6<br />

Einleitende Moderation<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als neues<br />

Instrument im SGB V<br />

Von Wolfgang van den Bergh<br />

Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-<br />

WSG) ist am 1. April 2007 die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

ins Sozialgesetzbuch V (SGB V) aufgenommen<br />

worden, zusätzlich zur <strong>Nutzen</strong>bewertung von Arzneimitteln.<br />

Der Gesetzgeber hat lediglich die Aufgabenstellung<br />

definiert, über die anzuwendende Methodik<br />

der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> gibt es nur Hinweise.<br />

Wann das Instrument der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

scharf gestellt werden soll, ist zur Zeit noch völlig<br />

offen. Die Ursachen dafür sind bekannt: eine unbefriedigende<br />

Datenlage und schließlich der Streit über die<br />

Methodik. Noch unklar ist ebenfalls, welche Möglichkeiten<br />

es gibt, die Datenlage zu verbessern. Neue<br />

Studien müssen aufgelegt und dazu die entsprechenden<br />

Mittel zur Verfügung gestellt werden.<br />

Parameter für zusätzlichen <strong>Nutzen</strong><br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en gibt es in den europäischen<br />

Nachbarländern in ganz unterschiedlichen<br />

Ausprägungen bereits seit mehreren Jahren. Sie werden<br />

dort unter anderem zur Festsetzung von Preisen<br />

herangezogen, die die jeweiligen nationalen <strong>Kosten</strong>träger<br />

für bestimmte Arzneimittel zahlen. Im Unterschied<br />

dazu ist die Preisbildung in Deutschland frei.<br />

Nahezu alle Arzneimittel können nach der Zulassung<br />

zu Lasten der Kassen verordnet werden. Mit dem<br />

neuen Instrument der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> soll<br />

abgewogen werden, ob eine <strong>Kosten</strong>übernahme „an-<br />

gemessen und zumutbar“ für die Solidargemeinschaft<br />

ist. Darüber hinaus gilt es zu klären, welcher zusätzliche<br />

<strong>Nutzen</strong> für den Patienten entsteht. Dabei sind<br />

Parameter wie „Verbesserung des Gesundheitszustandes,<br />

Verkürzung der Krankheitsdauer, Verlängerung<br />

der Lebensdauer, Verringerung der Nebenwirkungen<br />

sowie Verbesserung der Lebensqualität“ zu<br />

berücksichtigen.<br />

Klare Definitionen erforderlich<br />

Grundsätzlich muss jedoch die Frage gestellt werden,<br />

ob die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> tatsächlich ein Allheilmittel<br />

ist, um die <strong>Kosten</strong> im Gesundheitswesen in<br />

den Griff zu bekommen. Wie stehen Aufwand und<br />

Ertrag zueinander? Welche Einflussmöglichkeiten<br />

sollen Versicherte und Patienten auf Entscheidungen<br />

des Gemeinsamen Bundesausschusses künftig haben?<br />

Und: Wie stehen wir zu dem Thema medizinischer<br />

Fortschritt und Innovationen? Auch hier wird es<br />

klare Definitionen über Begrifflichkeiten geben müssen.<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en sind für international<br />

operierende Hersteller in vielen Ländern geübte Praxis<br />

und ein vertrautes Instrument. Allein – es kommt<br />

auf das Wie an. Hier wird sich zeigen, ob es in den<br />

nächsten Monaten zu einem deutschen Sonderweg<br />

kommt.<br />

© gpk<br />

Autoren der Sonderausgabe „Psoriasis“<br />

der Gesellschaftspolitischen Kommentare (gpk), Februar 2008:<br />

Axel C. Böhnke, Thomas Luger, Gerhard Brenner, Marc Alexander Radtke, Matthias Augustin, <strong>Leo</strong>nhard<br />

Hansen, Günter Gerhardt, Stephan Turk, Christian Dierks, Hans-Werner Pfeifer, Ina Ueberschär,<br />

Gisela Kobelt, Karin Berger, Marlies Volkmer, Bernd Metzinger, Helmut Vedder, Eike Hovermann,<br />

Stefan Etgeton, Wulff-Erik von Borcke.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 7<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

Eine Grundlage für Nachhaltigkeit und Beitragssatzstabilität?<br />

Von Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich<br />

Seit einem Jahr ist sie nun auch in Deutschland Gesetz,<br />

die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>. Es hat einige<br />

Zeit gedauert, viele Länder haben sie bereits vorher<br />

eingeführt. Hat man nun endlich das Instrument, um<br />

die steigenden Ausgaben im Arzneimittelsektor in den<br />

Griff zu bekommen? Hilft sie dabei, eine nachhaltige<br />

Gesundheitsversorgung zu gewährleisten? Welche<br />

möglichen Effekte gehen von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en<br />

aus? Was wird ihr Stellenwert sein?<br />

Zunächst zu den Effekten. Auch wenn der eine oder<br />

andere es gerne verdrängt, über der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung (GKV) schwebt das Gebot der<br />

Beitragssatzstabilität. Sie soll eine wirtschaftliche und<br />

nachhaltige Versorgung gewährleisten, dies war der<br />

Grund für die <strong>Kosten</strong>dämpfungsmaßnahmen der letzten<br />

Jahre.<br />

Neue Bedeutung der Beitragssatzstabilität<br />

Dennoch ließ sich die Anhebung der Beitragssätze<br />

nicht vermeiden, denn die Schere zwischen dem<br />

wachsenden Bedarf und den abnehmenden Einnahmen<br />

wurde bekanntlich immer größer. Aktuell bekommt<br />

die Beitragssatzstabilität jedoch eine neue<br />

Bedeutung. Legt die Bundesregierung den Beitrags-<br />

Cost-effectiveness plane: Welche Therapien sind in<br />

unserem Gesundheitssystem finanzierbar?<br />

<strong>Nutzen</strong><br />

Besser und<br />

kostengünstiger<br />

Besser, aber teurer<br />

Standard<br />

<strong>Kosten</strong><br />

satz fest, werden politische Faktoren eine größere<br />

Rolle als bisher spielen und der Wirtschaftlichkeitsdruck<br />

wird wachsen, denn Krankenkassen werden bei<br />

stagnierendem Beitragssatz die Erhebung von Zusatzbeiträgen<br />

vermeiden wollen.<br />

Es wird noch stärker als bisher darum gehen, Wirtschaftlichkeitsreserven<br />

auszuschöpfen, um mit den<br />

gegebenen Mitteln den Versicherten einen maximalen<br />

<strong>Nutzen</strong> zu gewährleisten oder aber auch um den<br />

Versorgungsstandard mit weniger Mitteln zu erhalten.<br />

Die freien Ressourcen können dann ggf. für innovative<br />

Maßnahmen eingesetzt werden oder auch zur Deckung<br />

des steigenden Bedarfs infolge von Demografie-<br />

und Morbiditätsentwicklung. Soweit die Theorie.<br />

Können uns <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en dabei helfen?<br />

Aufschluss bietet ein Blick auf ein <strong>Kosten</strong>effektivitätsraster<br />

(vgl. Abb. 1). Auf der X-Achse sind die<br />

Gesamtkosten einer Therapie aufgetragen, also die<br />

Summe aus Verordnungskosten, Arzthonoraren,<br />

Krankenhauskosten etc.<br />

Auf der Y-Achse steht der <strong>Nutzen</strong> der Therapie für den<br />

Patienten. Eine neue Therapie kann nun besser, aber<br />

teurer als die Standardtherapie sein, sie kann aber<br />

auch besser und billiger, schlechter und billiger oder<br />

sogar schlechter und teurer sein. Optimal sind<br />

natürlich bessere Therapien, die kostengünstiger<br />

sind. Und die gibt es. Bei einem konkreten<br />

Beispiel aus der Infektologie konnten <strong>Kosten</strong><br />

eingespart und gleichzeitig die Therapierate<br />

erhöht werden.<br />

Ziel der Studie war es, die <strong>Kosten</strong>effektivität<br />

zweier Antibiotika bei der Behandlung von intraabdominellen<br />

Infektionen zu vergleichen.<br />

Die Perspektive war die des Krankenhauses.<br />

Wird die neue Therapie statt der Standardtherapie<br />

eingesetzt, spart man Geld. Genaue<br />

Zahlen zur Häufigkeit von intraabdominellen<br />

Abbildung 1


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 8<br />

Infektionen liegen zwar in Deutschland nicht vor.<br />

Wenn man aber allein die Fälle von Blinddarm- oder<br />

Gallengangblasentzündungen zusammennimmt<br />

(130.000 pro Jahr), so kommt man auf Einsparungen<br />

von etwa 130 Millionen Euro pro Jahr (vgl. Abb. 2).<br />

Diese Einsparung ist natürlich nur ein theoretischer<br />

Wert, da man beim Einsatz von Antibiotika noch andere<br />

Dinge beachten muss, wie z.B. die Resistenzbildung.<br />

Aber es ist ein Beispiel, das zeigt, dass man mit<br />

neuen Therapien durchaus auch <strong>Kosten</strong> einsparen<br />

kann.<br />

Fügt man diese Therapie nun in das Effektivitätsraster<br />

ein, so liegt sie im oberen linken Quadranten. Sie ist<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en sind mit einem hohen<br />

zeitlichen Aufwand verbunden<br />

Beispiel 1: Intraabdominelle Infektionen – A vs. B<br />

Abbildung 2<br />

Inkrementelle <strong>Kosten</strong> und <strong>Nutzen</strong> von A<br />

Zusatzkosten (hier:<br />

Minderkosten) pro Patient<br />

Zusatznutzen pro Patient<br />

(durchschnittliche Erfolgsrate*)<br />

Minderkosten pro Jahr<br />

(Berechnung für Appendizitis und<br />

Cholezystitis**)<br />

- 991 •<br />

+ 12,24%<br />

-130,75 Mio. •<br />

* Heilung bzw. verbesserter Gesundheitsstatus<br />

**Basis: Inzidenz für akute Appendizitis (Blinddarmentzündung) und akute Cholezystitis (Gallensteinentzündung)<br />

Quelle: Dietrich ES et al. In: Pharmacoeconomics 2001; 19:79<br />

billiger und besser als die Standardtherapie und sie<br />

wird daher als dominant bezeichnet. Sie ist ein echter<br />

Gewinn für die GKV oder auch für das Krankenhaus.<br />

Nur leider kommen ungefähr 90 Prozent der Publikationen<br />

gegenwärtig zu anderen Ergebnissen.<br />

Nehmen wir als Beispiel eine Studie zu Hepatitis C.<br />

Auch hier wurden zwei Therapien verglichen und es<br />

wurden die diskontierten, lebenslangen Therapiekosten<br />

ermittelt. Sie enthalten die <strong>Kosten</strong> für ambulante<br />

und stationäre Behandlung, Diagnostik, Labor, Arzneimittel,<br />

Begleiterkrankungen und auch therapiebedingte<br />

Lebensverlängerung. Außerdem wurde auch<br />

der Verlust von Arbeitskraft berücksichtigt.<br />

Wir finden hier nun zwar einen Zusatznutzen von 0,69<br />

QALYs, aber auch zusätzliche <strong>Kosten</strong> in Höhe von<br />

14.000 Euro pro Patient, hochgerechnet also über 20<br />

Millionen Euro an Mehrkosten. Trägt man dieses im<br />

Raster auf, liegt die neue Therapie im rechten oberen<br />

Quadranten und interessanterweise finden sich in der<br />

Literatur in den letzten Jahren fast nur noch solche<br />

Studienergebnisse.<br />

Ob hierauf Workshops einen Einfluss haben, bei denen<br />

vermittelt wird, ein Modell so anzulegen, dass<br />

z.B. maximal 30.000 Euro pro QALY herauskommen,<br />

das ist eine <strong>Bewertung</strong>, über die sich jeder selbst ein<br />

Urteil bilden muss.<br />

Zusammenfassend ist jedoch festzuhalten, dass jede<br />

Therapie, die einen Zusatznutzen bei Zusatzkosten<br />

bringt, zu einer Beitragssatzerhöhung führen kann,<br />

sofern nicht andere Maßnahmen aus dem Leistungskatalog<br />

der GKV herausgestrichen werden oder<br />

an anderer Stelle Einsparungen erzielt werden.<br />

Der Ursprung der Pharmakoökonomie war jedoch ein<br />

anderer. Der alte Leitsatz lautete: Mit Arzneimitteln<br />

sparen statt an Arzneimitteln. Das heißt, dass man<br />

durchaus auch einmal ein hochpreisiges Präparat<br />

einsetzen kann, aber unter dem Strich gleiche oder<br />

weniger Gesamtkosten erzielt werden. Aber dieser<br />

Leitsatz scheint im Moment ausgedient zu haben.<br />

Lange Dauer des <strong>Bewertung</strong>sverfahrens<br />

Doch wie viele <strong>Bewertung</strong>en und Beschlüsse kann<br />

der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mit Unterstützung<br />

des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />

im Gesundheitswesen (IQWiG) überhaupt<br />

umsetzen? In den Jahren 1999 bis 2004 dauerte es<br />

im Schnitt 35 Wochen von der Anhörung bis zur Publikation<br />

im Bundesanzeiger, d.h. bis zum Inkrafttreten<br />

der entsprechenden Therapiehinweise.<br />

Der Anhörung voran geht natürlich die Erarbeitung<br />

dieser Texte, die auch Zeit in Anspruch nimmt und<br />

bisher weitgehend durch den G-BA erfolgte. Der<br />

G-BA kann sich bei einer Änderung der Richtlinien auf<br />

<strong>Bewertung</strong>en des IQWiG stützen, und für derartige<br />

<strong>Bewertung</strong>en benötigte das IQWiG bisher im Durchschnitt<br />

91 Wochen.<br />

Dieser Berechnung liegen sieben Arzneimittelbewertungen<br />

zugrunde, die das IQWiG seit 2004 im Auftrag<br />

des G-BA durchgeführt hat. Zwei Rapid Reports sind<br />

hier allerdings nicht mit eingerechnet. Welcher Zeithorizont<br />

erwartet uns also bei den <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />

<strong>Bewertung</strong>en? Derzeit befinden wir uns noch mitten in<br />

der Methodendiskussion. Diese wird sicherlich noch<br />

einige Monate andauern. Danach kann die eigentliche<br />

Arbeit beginnen.<br />

Es werden Präparate ausgewählt, die eine <strong>Nutzen</strong>bewertung<br />

beim G-BA oder ggf. mit Unterstützung des


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 9<br />

IQWiG durchlaufen sollen. Führt das IQWiG diese<br />

<strong>Bewertung</strong> durch, dann dauerte das bisher besagte<br />

91 Wochen. Wird beschlossen, eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />

<strong>Bewertung</strong> anzuschließen, dann ist der Berichtsplan<br />

zu erstellen, zu diesem wird Feedback eingeholt, die<br />

<strong>Bewertung</strong> findet statt, ein Vorbericht wird erstellt, es<br />

werden dann wieder Stellungnahmen eingeholt und<br />

schließlich wird der Abschlussbericht vorgelegt.<br />

Ob dieses Verfahren zügiger ablaufen wird als die<br />

reine <strong>Nutzen</strong>bewertung, wird abzuwarten sein. Die<br />

bisherigen <strong>Bewertung</strong>en betrachten maßgeblich die<br />

Studienlage des Arzneimittels, das im Fokus steht.<br />

Teilweise werden auch noch andere Arzneimittel mit<br />

einbezogen, um den Zusatznutzen besser herauszuarbeiten.<br />

§ 35 b SGB V sieht jetzt einen standardmäßigen<br />

Vergleich mit anderen Arzneimitteln, aber auch<br />

mit anderen Behandlungsformen vor. Das dürfte die<br />

Arbeit um einiges erschweren und auch die Dauer des<br />

<strong>Bewertung</strong>sverfahrens erhöhen.<br />

Im Anschluss an die <strong>Bewertung</strong> setzt der GKV-Spitzenverband<br />

einen Höchstpreis fest, oder der G-BA<br />

erarbeitet eine Änderung der Arzneimittelrichtlinie.<br />

Beides nimmt ebenfalls Zeit in Anspruch. Werden<br />

Richtlinienmodifikationen anvisiert, so erfolgt erneut<br />

der beschriebene Prozess, so dass weitere 35 Wochen<br />

bis zur <strong>Bewertung</strong> ins Land gehen dürften.<br />

Ob der entsprechende Beschluss dann Bestand hat,<br />

ist ungewiss. Die Erfahrung zeigt, dass spätestens<br />

hier in vielen Fällen die Stunde der Juristen der pharmazeutischen<br />

Industrie schlägt, es also noch Arbeit<br />

für alle Beteiligten gibt. Das ist eine Schätzung, aber<br />

sie zeigt einen Trend auf. Es handelt sich um eine<br />

enorme Sisyphusarbeit. Ihre Effekte auf die Ausgabensituation<br />

dürften auf der anderen Seite überschaubar<br />

sein, denn viele Arzneimittel, die durch den<br />

G-BA unter die Lupe genommen werden, haben im<br />

Gesamtkontext des Verordnungsgeschehens meist<br />

nur eine geringe Bedeutung.<br />

Nur minimale Effekte<br />

Ein Beispiel: Aktuell standen die drei Arzneimittel<br />

Exenatid, Sitagliptin und Montelukast im Fokus des<br />

G-BA. Sie haben lediglich einen Anteil von unter einem<br />

halben Prozent an den gesamten GKV-Arzneimittelausgaben<br />

(vgl. Abb. 3). Wobei ein halbes Prozent<br />

nicht bedeutet, dass aufgrund der Beschlüsse<br />

die Ausgaben um ein halbes Prozent gesenkt werden.<br />

Ziel der Therapiehinweise ist vielmehr, dass die Verordnungsmenge<br />

etwas eingedämmt wird. Wenn man<br />

zu einer Reduktion um 0,1 oder 0,05 Prozent kommen<br />

würde, so wäre das schon ein großer Erfolg. Das<br />

Gleiche gilt analog für die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>.<br />

Doch wie sind die Erfahrungen mit solchen <strong>Bewertung</strong>en?<br />

Im Ausland zeitigen sie kaum Effekte. Dies kann man<br />

insbesondere für Großbritannien ganz klar aufzeigen.<br />

In einer Analyse des WINEG sind alle restriktiven<br />

<strong>Bewertung</strong>en des National Institute for Clinical Ex-<br />

Die zu erwartenden Auswirkungen auf die<br />

Arzneimittelausgaben sind gering.<br />

Wirkstoffe<br />

Exenatid 3)<br />

Sitagliptin 3)<br />

Montelukast<br />

Kumulierter Anteil an GKV-Arzneimittelausgaben 2007<br />

(1) Insight Health 10.6.2008<br />

(2) IGES 2008 (28 Mrd. €)<br />

(3) Auf deutschem Markt seit 2. Quartal 2007<br />

Abbildung 3<br />

Verordnungszahlen<br />

1) 2007<br />

31.036<br />

67.705<br />

692.965<br />

Verordnungsumsatz<br />

1) 2007<br />

5.883.056<br />

9.927.009,35<br />

70.133.573,48<br />

Anteil an GKV<br />

Arzneimittelausgaben<br />

2007 2)<br />

0,02 %<br />

0,03 %<br />

0,25 %<br />

< 0,5%<br />

cellence (NICE) aus den Jahren 1993 bis 2005 betrachtet<br />

worden. Dabei konnten keine Effekte durch<br />

diese Ausarbeitungen festgestellt werden.<br />

An der Stelle darf die Frage erlaubt sein, ob so viele<br />

hochkompetente Menschen in G-BA, IQWiG und der<br />

Industrie wirklich am richtigen Thema arbeiten?<br />

Könnten alle diese Ressourcen nicht besser eingesetzt<br />

werden? Wie hoch sind Opportunitätskosten<br />

und das <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Verhältnis dieses Prozederes?<br />

Mehr Transparenz durch <strong>Bewertung</strong>en<br />

Natürlich haben die <strong>Bewertung</strong>en sicherlich auch einen<br />

<strong>Nutzen</strong>. Sie bringen Transparenz ins Versorgungsgeschehen.<br />

Sie können die Struktur der <strong>Kosten</strong><br />

einer Erkrankung aufzeigen, und sie können helfen,<br />

den tatsächlichen <strong>Nutzen</strong> eines Medikaments auch<br />

außerhalb von Zulassungsstudien besser einzuschätzen.<br />

Und sofern diese Daten noch nicht existieren,<br />

was vielfach leider der Fall ist, kann die <strong>Bewertung</strong><br />

zumindest einen Anstoß geben, entsprechende Stu-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 10<br />

dien durchzuführen oder vielleicht nach und nach das<br />

Design aktueller Studien weiterzuentwickeln.<br />

Was ist jedoch der Stellenwert der geplanten <strong>Bewertung</strong>en<br />

im Kontext des gesamten Gesundheitssystems?<br />

Professor Günter Neubauer brachte es vor<br />

einigen Wochen so auf den Punkt: Man wird an einer<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> über das ganze Versorgungssystem<br />

nicht vorbei kommen.<br />

Zentrale Stellschrauben im Therapieprozess<br />

Man muss sich hierbei etwas von der Vorstellung<br />

lösen, dass in Zukunft alle diese <strong>Bewertung</strong>en in Form<br />

von <strong>Bewertung</strong>sverfahren beim IQWiG, dem G-BA<br />

oder dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation<br />

und Information (DIMDI) durchgeführt werden.<br />

Sieht man sich den gesamten Therapieprozess<br />

und die zentralen Stellschrauben einmal etwas genauer<br />

an, stellt sich durchaus die Frage, wo denn<br />

überhaupt Optimierungsbedarf besteht? Wo kann<br />

man <strong>Kosten</strong> einsparen, <strong>Nutzen</strong> erhöhen, wirklich Effekte<br />

erzielen? Und wo sind eigentlich die größten<br />

Hindernisse?<br />

Zunächst muss ein Patient überhaupt zu einem<br />

Arzt gehen, muss ein Arztkontakt stattfinden.<br />

Der Arzt sollte eine korrekte Diagnose<br />

stellen und eine leitliniengerechte Therapie<br />

auswählen. Dabei wird er nicht nur Arzneimittelverordnungen<br />

ausstellen, sondern er wird<br />

auch gegebenenfalls andere Therapiemaßnahmen<br />

wählen. Er wird Empfehlungen zur<br />

Lebensführung geben. Der Patient sollte sein<br />

Rezept auch einlösen, das Arzneimittel einnehmen,<br />

er sollte die anderen Therapiemaßnahmen<br />

umsetzen, seine Lebensführung der<br />

Erkrankung anpassen, und schließlich sollte<br />

eine Kontrolle der Maßnahmen durch den Arzt<br />

erfolgen und eventuell die Therapie angepasst<br />

werden.<br />

Werden die Therapieziele nicht erreicht, so sind die<br />

Maßnahmen zu optimieren und fortzusetzen. Welche<br />

sind die bedeutendsten Stellschrauben, aber auch die<br />

Haupthindernisse im System? Sicherlich liegen diese<br />

beim Thema Lebensführung und der dauerhaften<br />

Umsetzung der angezeigten Maßnahmen. An zweiter<br />

Stelle spielen viele andere Faktoren eine wichtige<br />

Rolle, nämlich, ob überhaupt ein Arztkontakt erfolgt,<br />

ob der Arzt sich an Leitlinien orientiert, ob der Patient<br />

die Therapie abbricht oder ob auch eine Nachkontrolle<br />

und Anpassung der Maßnahmen stattfindet.<br />

Studien belegen erhebliche Defizite<br />

Weiterhin können auch Schnittstellenproblematiken,<br />

Ärztehopping und vielleicht auch einmal die Qualität<br />

des bezogenen Arzneimittels eine Rolle spielen. Allein<br />

die Verordnung eines Arzneimittels garantiert<br />

noch keinen <strong>Nutzen</strong> für den Patienten. Die Arzneiverordnung<br />

sollte leitliniengerecht bzw. evidenzbasiert<br />

und rational sein.<br />

Hier belegen verschiedene Studien Defizite. Als Beispiel<br />

sei eine Befragung von rund tausend niedergelassenen<br />

Haus- und Fachärzten vom Dezember 2007<br />

angeführt. Zwei Drittel gaben immerhin an, mit Leitlinien<br />

zu arbeiten, und die Hälfte konnte im Multiple-<br />

Choice-Verfahren die korrekte Definition von Evidenzbasierter<br />

Medizin (EBM) ankreuzen (vgl. Abb. 4).<br />

Das ist im Vergleich zu anderen Erhebungen, wie<br />

etwa der Hydrastudie, sicher noch ein recht positives<br />

Ergebnis. Dennoch gibt es in der Versorgungswirklichkeit<br />

noch erhebliche Mängel. In einer anderen Studie<br />

Medikamentennutzen ist abhängig von der Einbettung<br />

in eine rationale Arzneimitteltherapie<br />

Erhebliche Defizite bestehen hinsichtlich einer leitliniengerechten und<br />

evidenzbasierten Verordnung von Arzneimitteln.<br />

Nutzung von Leitlinien durch<br />

niedergelassene Ärzte<br />

29%<br />

5%<br />

66%<br />

Arbeite bereits mit Leitlinien<br />

Arbeite nur in Ausnahmefällen mit Leitlinien<br />

Keine Angabe<br />

TNS Healthcare / TK, Befragung von niedergelassenen Haus- und Fachärzten, Dezember 2007<br />

Kenntnisse zur Bedeutung von EbM für<br />

niedergelassene Ärzte<br />

49%<br />

Kennen korrekte Definition von EbM<br />

Haben unklare Vorstellungen der Bedeutung<br />

von EbM<br />

Abbildung 4<br />

sind bei 130 Patienten die Arzneimittelumstellungen<br />

analysiert worden, die zum einen bei der Einweisung<br />

ins Krankenhaus, aber auch bei der Entlassung aus<br />

dem Krankenhaus vorgenommen wurden (vgl. Abb. 5,<br />

S. 11).<br />

Nach den Ergebnissen dieser Studie waren 50 Prozent<br />

der Umstellungen überflüssig. Sicherlich ist dies<br />

auch eine Folge der Sektorentrennung und fehlender<br />

51%


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 11<br />

Abbildung 5<br />

Schnittstellenproblematik als Ursache für<br />

therapeutisch unnötige Arzneimittelumstellungen<br />

Studien an 130 chronisch kranken Patienten in Göttingen<br />

420 Arzneimittel wurden von den Patienten vor Einweisung ins Krankenhaus eingenommen (14% davon Generika)<br />

28% der AM vom<br />

Krankenhausarzt abgesetzt<br />

14% der AM vom<br />

Hausarzt abgesetzt<br />

6% der AM vom Krankenhausarzt<br />

durch andere AM (andere Wirkstoffe)<br />

ersetzt<br />

Kommunikation zwischen Krankenhausärzten und<br />

niedergelassenen Ärzten. Wesentlich relevanter dürfte<br />

jedoch das Thema Compliance oder auch Adherence<br />

sein. Die Folgen von Non-Adherence werden in<br />

einer großen Längsschnittstudie mit 30.000 Kanadiern<br />

nach akutem Herzinfarkt recht gut deutlich (vgl.<br />

Abb. 6, S. 12).<br />

Das Mortalitätsrisiko lag bei den Patienten mit einer<br />

hohen Therapietreue nach zweieinhalb Jahren bei<br />

16 Prozent und bei den Low-Adherers bei 24 Prozent.<br />

Die Folgekosten aufgrund mangelnder Compliance<br />

sind beträchtlich. Hier gibt es nur Schätzungen mit<br />

entsprechend großen Schwankungen, jedoch keine<br />

validen Zahlen. So führt man in den USA 30 bis<br />

70 Prozent aller medikamentenbedingten Kranken-<br />

Einweisung ins Krankenhaus<br />

Entlassung aus dem Krankenhaus<br />

11% der AM vom Hausarzt<br />

durch andere AM (andere Wirkstoffe)<br />

ersetzt<br />

11% der AM vom Krankenhausarzt<br />

durch andere Marke (gleicher Wirkstoff)<br />

ersetzt.<br />

10% der AM vom Hausarzt<br />

durch andere Marke (Generika)<br />

ersetzt.<br />

50% der umgestellten Arzneimittel bei sektorenübergreifender<br />

Arzneimittelversorgung sind möglicherweise überflüssig<br />

Himmel et al. Eur J Clin Pharmacol 1996; 253:257<br />

hauseinweisungen auf mangelhafte Therapietreue<br />

zurück. Für Deutschland gibt es Schätzungen, nach<br />

denen man die <strong>Kosten</strong> für Non-Compliance auf jährlich<br />

bis zu 10 Milliarden Euro schätzt.<br />

Ein ebenfalls sehr heikles Thema sind Lebensführung<br />

und Eigenverantwortung des Patienten. Darunter fallen<br />

nicht nur Diäten oder das Treiben von Sport,<br />

sondern auch die Wahrnehmung von Primär- und<br />

Sekundärprävention. In einer weiteren Studie konnten<br />

die Teilnehmer durch Rückenschulkurse ihre physische<br />

Lebensqualität deutlich verbessern, die<br />

Schmerzstärke ging signifikant zurück und die Arbeitsunfähigkeit<br />

konnte in fünf Quartalen um elf Tage<br />

reduziert werden (vgl. Abb. 7, S. 12). Ein beachtlicher<br />

Erfolg ohne Medikamente.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 12<br />

Mangelhafte Compliance – Grund für suboptimalen<br />

<strong>Nutzen</strong> von Arzneimitteltherapien<br />

Abbildung 6<br />

Abbildung 7<br />

Auswirkung der Compliance auf die Mortalität bei Statin-Therapie nach akutem Herinfarkt<br />

Anzahl Anwender (nach<br />

Compliance über 1 Jahr)<br />

Mortalität<br />

Beobachtungszeit (Median)<br />

Anteil der Todesfälle an<br />

Anwendergruppe<br />

Geringe<br />

Compliance<br />

Rasmussen JN et al in: JAMA 2007; 297 (2):177<br />

14.345<br />

1.071<br />

2,1 J.<br />

24,4 %<br />

Hohe<br />

Compliance<br />

2.310<br />

261<br />

2,4 J.<br />

16,1 %<br />

<strong>Nutzen</strong> weiterer medizinischer Behandlungsstrategien:<br />

Maßnahmen zur Lebensführung<br />

Evaluation der Effekte von Rückenschulprogrammen<br />

� Kontrollierte Studie: Vergleich der Effekte<br />

einer Rückenschulteilnahme<br />

(Interventions-/ Kontrollgruppe)<br />

hinsichtlich<br />

� Kurz- und langfristige<br />

Rückenschmerzstärke<br />

� AU-Tage<br />

Ergebnisse<br />

� Deutliche Verbesserung der physischen<br />

Lebensqualität<br />

� Reduktion der AU-Tage um ca. 11 Tage<br />

je Kursteilnehmer innerhalb von 5<br />

Quartalen<br />

Walter U et al in: Deutsches Ärzteblatt 26.8.2002<br />

Figure 1. Kaplan-Meier Estimates<br />

of Time to Death for Statin Users<br />

According to Adherence Level


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 13<br />

Fazit<br />

Es bleibt festzuhalten, dass die Ausgaben für Arzneimittel,<br />

die möglicherweise einer <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

unterzogen werden, nur einen sehr geringen<br />

Anteil an den gesamten GKV-Ausgaben für Arzneimittel<br />

ausmachen. Es ist fraglich, ob sich die Ergebnisse<br />

tatsächlich auf die Nachhaltigkeit der Versorgung auswirken<br />

werden. <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en werden<br />

jedoch sicherlich Transparenz schaffen. Sie können<br />

zu einer kontinuierlichen Qualitätssicherung beitragen.<br />

Zudem können sie eine evidenzbasierte Arzneimitteltherapie<br />

vorantreiben.<br />

Ausschlaggebend für eine nachhaltige Versorgung<br />

sind jedoch auch eigenverantwortliche Patienten mit<br />

einem konstruktiven Gesundheitsverhalten und Therapietreue.<br />

Sonst nützt alle Arzneimitteltherapie wenig<br />

und alle Einsparmaßnahmen laufen ins Leere.<br />

Außerdem ist eine reibungslose, sektorenübergreifende<br />

Versorgung von großer Bedeutung. Es braucht<br />

Vorbemerkung<br />

Die traditionelle Forschungsabstinenz in der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung (GKV) liegt in gesetzlichen<br />

Restriktionen begründet und könnte durch eine<br />

„Experimentierklausel“ beendet werden, um aussagekräftige<br />

Daten zum <strong>Nutzen</strong> innovativer oder umstrittener<br />

Methoden zu erhalten.<br />

Valide und eindeutige Aussagen zum <strong>Nutzen</strong> würden<br />

ebenfalls die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> (KNB) erleichtern.<br />

Während die Rahmenbedingungen für die<br />

<strong>Nutzen</strong>bewertung, d.h. die Durchführung klinischer<br />

Studien vorhanden sind, ist die Datengrundlage in<br />

Deutschland hinsichtlich der <strong>Kosten</strong>erfassung insuffizient.<br />

Datenanforderungen für eine valide<br />

<strong>Nutzen</strong>bewertung<br />

In der Regel wird eine valide <strong>Nutzen</strong>bewertung durch<br />

Evidenz aus randomisierten kontrollierten Studien<br />

(RCTs) belegt. In der Literatur wird häufig zwischen<br />

also ergänzend auch gute Beratungs- und Betreuungsangebote<br />

für die Patienten.<br />

Das Gesundheitsverhalten, die partnerschaftliche<br />

Entscheidungsfindung und die Patientenautonomie<br />

sollten gefördert werden, u.a. auch, um die Verantwortung<br />

des Patienten und seine Therapietreue zu<br />

erhöhen. Der Arzt benötigt gute Informationen in einer<br />

Form, die adressatengerecht ist und die auch tatsächlich<br />

in den Workflow des Arztes einfließen kann.<br />

Der Ausbau der Integrierten Versorgung ist sicherlich<br />

sinnvoll, denn so können eine sektorenübergreifende<br />

Versorgung, die Umsetzung von Leitlinien sowie Maßnahmen<br />

zur Qualitätssicherung besser umgesetzt<br />

werden. Alles dies sind Elemente, die bei der Gestaltung<br />

einer nachhaltigen und hochwertigen Gesundheitsversorgung<br />

unterstützen können. Und Nachhaltigkeit<br />

sollte der Kompass für einen verantwortungsvollen<br />

Fortschritt sein.<br />

© gpk<br />

Valide <strong>Bewertung</strong> von <strong>Nutzen</strong> und <strong>Kosten</strong><br />

Möglichkeiten zur Verbesserung der Datenlage<br />

Von PD Dr. med. Matthias Perleth<br />

Wirksamkeit und <strong>Nutzen</strong> bzw. Zusatznutzen unterschieden.<br />

<strong>Nutzen</strong> ist eine mehr als geringfügige patientenrelevante<br />

positive Wirkung (= Kausalitätsanspruch)<br />

einer medizinischen Maßnahme unter Abwägung<br />

des Risikos.<br />

Als patientenrelevant wird ein Effekt bezeichnet, wenn<br />

er sich auf den Krankheitsverlauf inklusive Mortalität,<br />

Symptomatik sowie die Lebensqualität bezieht und für<br />

Patienten wichtig ist. Damit ist klar, dass Zulassungsstudien<br />

von Arzneimitteln, die zwar die Zulassungskriterien<br />

nach dem Arzneimittelgesetz § 25 erfüllen<br />

(Nachweis der pharmazeutischen Qualität, therapeutischen<br />

Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, häufig anhand<br />

von Surrogat-Parametern, oft im Placebovergleich),<br />

aber eben nicht die bereits skizzierten Anforderungen<br />

des SGB V (§ 12).<br />

Jeweils zu klären ist der Stellenwert von Surrogatendpunkten<br />

und der Lebensqualität. Insbesondere Lebensqualität<br />

ist als primäres <strong>Bewertung</strong>skriterium akzeptabel,<br />

wenn sonst keine Unterschiede zwischen


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 14<br />

Perspektiven und <strong>Kosten</strong>arten in gesundheitsökonomischen Analysen*<br />

Gesamtgesellschaftlich<br />

Gesundheitswesen<br />

Perspektive<br />

Sozialversicherung<br />

Krankenversicherung<br />

stationär<br />

ambulant<br />

<strong>Kosten</strong>art<br />

Direkte medizinische<br />

<strong>Kosten</strong><br />

Direkte medizinische<br />

<strong>Kosten</strong><br />

Direkte medizinische<br />

<strong>Kosten</strong> (andere Sozialversicherungsträger)<br />

Direkte medizinische<br />

<strong>Kosten</strong><br />

(Patient, Familie)<br />

Direkte nicht-medizinische<br />

<strong>Kosten</strong><br />

(Patient, Familie)<br />

Produktionsverlust<br />

(indirekte <strong>Kosten</strong>)<br />

Zukünftige Gesundheitskosten<br />

Alternativen nachweisbar sind oder klinisch-objektivierbare<br />

Kriterien fehlen. Zusatznutzen ist das Ergebnis<br />

eines positiven <strong>Nutzen</strong>vergleichs mit dem bisherigen<br />

(etablierten) Standard.<br />

Möglichkeiten zur Verbesserung der Datenlage:<br />

<strong>Nutzen</strong><br />

Eine Forschungsinfrastruktur zur Planung und Durchführung<br />

von RCTs ist vorhanden. Zu erwähnen sind<br />

vor allem Förderprogramme des Forschungsministeriums<br />

für klinische Studien und systematische Übersichtsarbeiten<br />

(gemeinsam mit der Deutschen For-<br />

Beispiele<br />

Personalkosten, Arzneimittel, diagnostische<br />

Tests, therapeutische Verfahren, Gemeinkosten,<br />

Investitionen, Abschreibungen<br />

Arzt-Patienten-Kontakte von Allgemeinmedizinern<br />

und niedergelassenen Fachärzten, Arzneimittel,<br />

verordnete Leistungen (Heilmittel,<br />

Hilfsmittel)<br />

Rehabilitation, Pflege (Pflegeheim häusliche<br />

Krankenpflege)<br />

Selbstbeteiligung (sofern aus direkten <strong>Kosten</strong><br />

der Sozialversicherung herausgerechnet),<br />

OTC-Medikamente; Selbstzahlerleistungen<br />

Fahrtkosten (sofern nicht von Krankenversicherung<br />

übernommen), notwendige krankheitsbedingte<br />

Umbauten in der Wohnung, Zeitaufwand<br />

des Patienten bzw. der Angehörigen<br />

Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit, vorzeitiger<br />

Tod, reduzierte Arbeitskapazität<br />

Arzneimittel, stationäre oder ambulante Therapie<br />

etc. nach Vermeidung tödlicher Ereignisse<br />

bei chronischen Krankheiten bzw. nach Heilung<br />

akuter Krankheiten<br />

* nach: Busse R. <strong>Bewertung</strong> der ökonomischen Implikationen von Technologien. In: Perleth M, Busse R, Gerhardus A,<br />

Gibis B, Lühmann D (Hrsg.) Health Technology Assessment: Konzepte, Methoden, Praxis für Wissenschaft und<br />

Entscheidungsfindung. Berlin: MWV 2008, S. 203–220<br />

schungsgemeinschaft), das Förderprogramm Versorgungsforschung<br />

(gemeinsam mit Sozialversicherungsträgern)<br />

sowie die Förderung von Koordinierungszentren<br />

für klinische Studien und klinische Studienzentren.<br />

Auch auf EU-Ebene sind entsprechende<br />

Förderprogramme etabliert. Allerdings sind, je nach<br />

medizinischem Fachgebiet, nationale und internationale<br />

Kooperationen (z.B. Multizenterstudien) noch<br />

ausbaufähig.<br />

Unabhängig davon wäre eine „Experimentierklausel“<br />

für die gezielte Forschungsförderung im Rahmen der<br />

GKV hilfreich, um hier besonders relevante For-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 15<br />

schungsfragen unbürokratisch beantworten zu können.<br />

Bisher ist das, verbunden mit vielen Nachteilen,<br />

u.a. in so genannten Modellversuchen nach § 63 ff.<br />

SGB V möglich (z.B. Akupunktur und Balneophototherapie).<br />

Auf RCTs kann nur in Ausnahmefällen verzichtet werden.<br />

RCTs bieten die Möglichkeit, den <strong>Nutzen</strong> einer<br />

medizinischen Maßnahme kausal und fair nachzuweisen.<br />

Marketinginstrumente wie Anwendungsbeobachtungen<br />

sind für den <strong>Nutzen</strong>nachweis unbrauchbar.<br />

Die „Alltagswirksamkeit“ als Argument gegen<br />

RCTs anzuführen, ist irreführend und kein Grund,<br />

fehlende aussagekräftige RCT-Ergebnisse durch minderwertige<br />

Studiendesigns zu substituieren. Auch im<br />

Alltag ist der <strong>Nutzen</strong> kausal und fair nachzuweisen<br />

und es stimmt nicht, dass mit niedrigerer Evidenzstufe<br />

die Übertragbarkeit von Studienergebnissen besser<br />

werde.<br />

Verbesserung der Datenlage: <strong>Kosten</strong><br />

Im Vergleich zu den aus (auch aus international verfügbaren)<br />

Studien vorhandenen Daten zum <strong>Nutzen</strong><br />

bestehen für Deutschland gravierende Defizite in der<br />

Datenlage zu <strong>Kosten</strong>. Der Zugang zu validen <strong>Kosten</strong>daten<br />

stationär und ambulant ist stark eingeschränkt,<br />

teilweise mangels valider Datengrundlage (ambulant),<br />

teilweise wegen des fehlenden Datenzugangs<br />

(stationär), teilweise wegen der fehlenden Verfügbarkeit<br />

sektorübergreifender längsschnittlicher und kassenartenübergreifender<br />

Daten (fehlende Umsetzung<br />

des § 303 a – f SGB V). Selbst bei der Berücksichtigung<br />

einer nur eingeschränkten <strong>Bewertung</strong>sperspektive<br />

wird dieser Mangel an Daten evident (s. Tabelle<br />

S. 14).<br />

Für eine valide <strong>Bewertung</strong> der <strong>Kosten</strong> aus der jeweils<br />

angemessenen Perspektive sind Daten aus vier Bereichen<br />

notwendig, jeweils unter Beachtung von chronischen<br />

oder temporären Zuständen und unterschiedlichen<br />

Zeithorizonten:<br />

● Versorgungsepidemiologie: Daten zur Inzidenz/<br />

Prävalenz von Krankheiten, Dissemination und Nutzung<br />

medizinischer Technologien;<br />

● Ressourcenverbrauch: Daten im spezifisch-nationalen<br />

Kontext, Erhebung in separaten Studien oder<br />

parallel zu klinischen Studien („piggy-back“);<br />

● Sekundärdaten: Umsetzung der Datentransparenzregelung<br />

(§ 303 a–f SGB V), Krankenhauskosten<br />

(DRG-Kalkulationskrankenhäuser), valide Daten<br />

aus dem vertragsärztlichen Bereich;<br />

● Präferenzen/Nutzwerte: für Deutschland spezifische<br />

Nutzwerte zur Kalkulation von QALYs, Ermittlung<br />

von Präferenzen mittels standardisierter Instrumente.<br />

Aus dem Gesetzestext ergibt sich zusammenfassend,<br />

dass sowohl <strong>Kosten</strong>-Effektivitätsanalysen wie auch<br />

<strong>Kosten</strong>-Nutzwertanalysen möglich sind, insofern ist<br />

auch die Verwendung von QALYs zumindest nicht<br />

ausgeschlossen.<br />

Die KNB nach § 35b SGB V als weiteres<br />

Instrument zur <strong>Kosten</strong>kontrolle<br />

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen der KNB sind<br />

hinlänglich diskutiert und bekannt. Weniger diskutiert<br />

wird der tatsächliche Stellenwert der Regelung. Zum<br />

einen ist zu beachten, dass es sich um eine weitere<br />

von zahlreichen Regelungen zur <strong>Kosten</strong>kontrolle von<br />

Arzneimitteln handelt (u.a. Festbeträge, Aut-Idem-<br />

Regelung, Rabattverträge). Zum anderen sind die<br />

Rahmenbedingungen so eng gesteckt, dass auch finanziell<br />

nur eine begrenzte Reichweite der KNB zu<br />

erwarten ist (s. Tabelle S. 14).<br />

Der im Gesetz geforderte internationale Standard für<br />

die KNB ist nur in Teilbereichen konsentiert. Die Gesetzeslage<br />

fordert eine zweistufige <strong>Bewertung</strong> (zunächst<br />

<strong>Nutzen</strong>bewertung, dann eventuell KNB). Modellierungen<br />

sind für bestimmte Fragestellungen in<br />

Erwägung zu ziehen, u.a. für die <strong>Bewertung</strong> längerer<br />

Zeithorizonte oder Anpassungen an den nationalen<br />

Kontext. Die Ergebnisse sind jedoch stark von Annahmen<br />

und der Modellstruktur abhängig, so dass hohe<br />

Anforderungen an die Transparenz bzw. die Berichtsqualität<br />

zu stellen sind. Ein fehlender <strong>Nutzen</strong>beleg<br />

kann allerdings auch nicht im Rahmen einer Modellierung<br />

errechnet werden.<br />

Fazit<br />

Die Voraussetzungen für die Verbesserung der Datenlage<br />

bei der <strong>Nutzen</strong>bewertung sind gegeben. Die Datenlage<br />

für eine valide <strong>Kosten</strong>bewertung in Deutschland<br />

ist allerdings mangelhaft und nur mittelfristig zu<br />

verbessern. Die Schlüsselrolle dafür liegt in erster<br />

Linie beim Gesetzgeber, bei den Leistungserbringern<br />

und den Krankenkassen.<br />

Es sollte verhindert werden, dass die ökonomische<br />

Evaluation medizinischer Technologien durch eine<br />

unsachliche Diskussion anlässlich der Einführung der<br />

„<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>“ diskreditiert wird.<br />

© gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 16<br />

Status quo and trends within the field<br />

of quality adjusted life years<br />

Von Prof. John E. Brazier<br />

John E. Brazier, PhD (Sheffield), MSc (York), BA (Exeter), Professor of Health Economics in the School of Health<br />

and Related Research at the University of Sheffield. He has been a member of a number of commissioning Boards,<br />

including HTA, Trent Health and the MRC HSR Fellowship Panel. He was a member of the National Institute for<br />

Clinical Excellence (NICE) Technology Appraisal Committee from 2000–2004.<br />

Mean discounted utility<br />

Status quo and trends within the<br />

field of quality adjusted life years<br />

John Brazier<br />

Professor of Health Economics<br />

Health Economics and Decision Science<br />

School of Health and Related Research<br />

University of Sheffield<br />

Presentation for the Symposium on Cost-effectiveness<br />

June 17 th 2008, Kaiserin-Friedrich-Stiftung, Berlin, Germany.<br />

Measure of benefit<br />

A new intervention:<br />

• May be less effective and more costly…×<br />

• More effective and less costly….. v<br />

• More effective and more costly….?<br />

• Plus less effective and less costly….?<br />

0.45<br />

0.4<br />

0.35<br />

0.3<br />

0.25<br />

0.2<br />

0.15<br />

0.1<br />

0.05<br />

0<br />

? For resource allocation decisions in health care we<br />

need a measure of benefit that allows comparisons to be<br />

made across treatments and patient groups<br />

Calculating QALY gain of PDT<br />

on Macular Degeneration<br />

0 - 3<br />

3 - 6<br />

6 - 9<br />

9 - 12<br />

12 - 15<br />

15 - 18<br />

18 - 21<br />

21 - 24<br />

24 - 27<br />

27 - 30<br />

31 - 33<br />

33 - 36<br />

36 - 39<br />

39 - 42<br />

42 - 45<br />

45 - 48<br />

48 - 51<br />

51 - 54<br />

54 - 57<br />

57 - 60<br />

60 - 63<br />

63 - 66<br />

66 - 69<br />

69 - 72<br />

72 - 75<br />

75 - 78<br />

78 - 81<br />

81 - 84<br />

84 - 87<br />

87 - 90<br />

90 - 93<br />

93 - 96<br />

96 - 99<br />

99 - 102<br />

102 - 105<br />

105 - 108<br />

108 - 111<br />

111 - 114<br />

114 - 117<br />

117 -<br />

Time in months<br />

Verteporfin<br />

Placebo<br />

The problem<br />

A finite limit to resources<br />

Plus<br />

demands/needs exceed current (or future)<br />

resources<br />

implies the necessity for choice<br />

How should these choices be made?<br />

Calculating QALY gain of PDT<br />

Quality Adjusted Life Years<br />

The Quality Adjusted Life Year (QALY) combines<br />

quality of life and length of life into the single<br />

measure of benefit of a quality adjusted survival<br />

• The ‘Q’ (or utility) is a value assigned to each<br />

health state from zero to one, where zero is for<br />

state equivalent to death and one for full health<br />

Trading off health and life<br />

health<br />

(full health) 1<br />

(death) 0<br />

10<br />

time<br />

Cost effectiveness<br />

New interventions are assessed by NICE and<br />

other agencies around the world in terms of:<br />

• Clinical effectiveness<br />

Assessed using systematic reviews of (largely)<br />

RCT evidence for a range of clinical outcomes –<br />

that increasingly includes quality of life<br />

• Cost-effectiveness<br />

Assessed in terms of the incremental (or extra)<br />

cost per quality adjusted life years (QALYs) over<br />

and above the existing treatment<br />

health<br />

(full health) 1<br />

(death) 0<br />

Quality-adjusted life years<br />

Q<br />

Source: Drummond et al, 1997<br />

The time trade-off<br />

T<br />

10<br />

Q×10 = 1×T<br />

Q = T/10<br />

If T = 6, then Q= 0.6,<br />

and both options<br />

provide 6 QALYs.<br />

time<br />

QALYs = total area


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 17<br />

health<br />

(full health) 1<br />

0.70<br />

0.30<br />

(death) 0<br />

4 × 1.00<br />

Health profiles<br />

4<br />

5 × 0.70<br />

5 × 0.30<br />

5 5<br />

time<br />

EUROQOL © HEALTH QUESTIONNAIRE (or EQ-5D)<br />

QALYs<br />

= t Q(t)<br />

= 4 + 3.5 + 1.5<br />

= 9<br />

Here are some simple questions about your health in general. By ticking one answer in each<br />

group below, please indicate which statements best describe your own health state TODAY.<br />

1. Mobility<br />

I have no problems in walking about �<br />

I have some problems in walking about �<br />

I am confined to bed �<br />

2. Self-care<br />

I have no problems with self-care �<br />

I have some problems washing or dressing myself �<br />

I am unable to wash or dress myself �<br />

3.Usual Activities<br />

I have no problems with performing my usual activities �<br />

(e.g. work, study, housework, family or leisure activities)<br />

I have some problems with performing my usual activities �<br />

I am unable to perform my usual activities �<br />

4.Pain/Discomfort<br />

I have no pain or discomfort �<br />

I have moderate pain or discomfort �<br />

I have extreme pain or discomfort �<br />

5.Anxiety/Depression<br />

I am not anxious or depressed �<br />

I am moderately anxious or depressed �<br />

I am extremely anxious or depressed �<br />

Rationale<br />

Please tick one<br />

Pros<br />

• ‘Off-the-shelf’<br />

• Cheap<br />

• Convenient and comparatively easy to use in clinical<br />

trials (all self-completed except the QWB)<br />

• Accepted by NICE and other agencies in ‘reference<br />

case’ analyses<br />

Cons<br />

• May not be relevant or sensitive to the condition or<br />

treatment effects<br />

How do they compare?<br />

Naïve view:<br />

They value health states on the same scale (where zero<br />

is for dead and one for full health), so they should<br />

generate the same values for the same patients<br />

Reality:<br />

There are major differences in terms of their descriptive<br />

systems (coverage, range and sensitivity) and methods<br />

of valuation – and so are not on the same scale.<br />

Valuing health:<br />

putting the ‘q’ into the QALY<br />

UK Valuation of EQ-5D health state<br />

• 3395 interviews were conducted in respondents<br />

own home (response rate = 64%)<br />

• highly representative sample of UK population)<br />

• Each respondent valued 12 health states (out of<br />

43) by time trade-off and visual analogue scale<br />

• Statistical modeling used to value all 243 EQ-5D<br />

health states (from the 43)<br />

Source: Dolan, 1997<br />

QWB<br />

HUI3<br />

EQ-5D<br />

SF-6D<br />

Generic measures: descriptive systems<br />

Physical functioning, role limitation, social functioning, pain,<br />

mental health and vitality<br />

AQoL1 Independent living (self-care, household tasks, mobility),<br />

social relationships (intimacy, friendships, family role),<br />

physical senses (seeing, hearing, communication),<br />

psychological wellbeing (sleep, anxiety and depression, pain)<br />

15D<br />

Dimension<br />

Mobility, physical activity, social functioning<br />

27 symptoms/problems<br />

Vision, Hearing, Speech, Ambulation, Dexterity, Emotion,<br />

Cognition, Pain<br />

Mobility, Self-care, Usual Activities, Pain/discomfort,<br />

Anxiety/depression<br />

Mobility, vision, hearing, breathing, sleeping, eating, speech,<br />

elimination, usual activities, mental function,<br />

discomfort/symptoms, depression, distress, vitality, sexual<br />

activity<br />

Levels<br />

Comparison of 3 generic measures mean<br />

(SD) scores by visual impairment<br />

Contrast sensitivity N TTO HUI3 SF-6D EQ-5D<br />

(binocular, log units)<br />

1.30 26 0.83 (0.25) 0.53 (0.31) 0.73 (0.16) 0.70 (0.28)<br />

R-squared 0.09*# 0.14*# 0.05*# 0.03<br />

* p


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 18<br />

EQ-5D<br />

1.2<br />

1.0<br />

.8<br />

.6<br />

.4<br />

.2<br />

0.0<br />

-.2<br />

N =<br />

EQ-5D by VA<br />

11<br />

2.01 thru hi<br />

43<br />

107<br />

101<br />

124<br />

132<br />

1.31 thru 2.00<br />

Better-seeing Eye VA (distant, LogMAR)<br />

37<br />

91<br />

120<br />

202<br />

0.61 thru 1.30<br />

23<br />

147<br />

0.31 thru 0.60<br />

24<br />

71<br />

102<br />

lo thru 0.30<br />

Mapping empirically onto a<br />

generic measure<br />

• Uses regression to ‘map’ between measures (i.e.<br />

estimate a relationship between them in order to<br />

use one (e.g. SF-36) to predict a value for the<br />

other (e.g. EQ-5D)<br />

• Requires both measures to be used in the same<br />

patient sample<br />

Advantages:<br />

• It can be quick and in some circumstances it<br />

may be adequate<br />

• How well does it do?<br />

Condition specific measures: asthma<br />

Feel concerned about having asthma<br />

[1]None of the time [2]A little or hardly any of the time [3]Some of the time<br />

[4]Most of the time [5] All of the time<br />

Feel short of breath as a result of asthma<br />

[1]None of the time [2]A little or hardly any of the time [3]Some of the time<br />

[4]Most of the time [5] All of the time<br />

Experience asthma as a result of air pollution<br />

[1]None of the time [2]A little or hardly any of the time [3]Some of the time<br />

[4]Most of the time [5] All of the time<br />

Asthma interferes with getting a good night’s sleep<br />

[1]None of the time [2]A little or hardly any of the time [3]Some of the time<br />

[4]Most of the time [5] All of the time<br />

Overall, the activities I have done have been limited<br />

[1] Not at all [2] A little [3] Moderate or some<br />

[4] Extremely or very [5] Totally<br />

Why use QALY?<br />

• Combines different dimensions of health (e.g. mobility,<br />

pain, social functioning) into a single measure of<br />

effectiveness<br />

• Combines the two main benefits of health care: improved<br />

health related QoL with survival<br />

• Can be used to assess all types of interventions: those<br />

that impact on length of life, quality of life and both<br />

• Can be used to make comparisons across interventions<br />

in the same patient group and between patient groups<br />

? can be used to inform resource allocation in health care<br />

160,000<br />

140,000<br />

120,000<br />

100,000<br />

80,000<br />

60,000<br />

40,000<br />

20,000<br />

0.50<br />

0.00<br />

-0.50<br />

Cost effectiveness of drug for MD by<br />

preference-based measure<br />

0<br />

HUI3 TTO SF-6D EQ-5D<br />

Using SF-36 to predict the EQ-5D scores<br />

Mean<br />

EQ-5D state (ordered according to severity)<br />

Cost per QALY<br />

1.00 EQ-5D score<br />

Valuation<br />

Predictions<br />

using GLS<br />

random<br />

effects model<br />

� Asthma (AQL-5D) states valued using TTO (MVH<br />

protocol) by a representative sample of UK<br />

general population (n=308)<br />

� Statistical modelling to estimate an algorithm for<br />

valuing all states defined by AQL-5D (and hence<br />

AQLQ) (Yang et al, 2007)<br />

Similar studies have been undertaken with SF-36<br />

(SF-6D), King Health Questionnaire, OABq, SQoL,<br />

ADQoL and others are on their way<br />

Problems with QALYs?<br />

• Ignores equity concerns (e.g. QALYs to those in<br />

poor health may be more valuable to society) –<br />

can adjust QALYs to take such concerns into<br />

account<br />

• Ignores non-health issues – can be included but<br />

limited by size of descriptive system<br />

• Results are dependent on methods used<br />

methods<br />

• Existing measures too crude<br />

Causes and policy implications<br />

Descriptive System<br />

• Dimensions – e.g. vision not covered by EQ-5D<br />

• Severity – range (e.g. floor effect in SF-6D)<br />

• Sensitivity – number of levels (e.g. EQ-5D is very crude at upper end)<br />

Valuation<br />

• Time trade-off, standard gamble and visual analogue scales produce<br />

different values<br />

? Implications for policy<br />

• Policy makers insist on one measure to achieve comparability across<br />

patient groups<br />

• Problem: no single measure covers all patient groups (e.g. what about<br />

children?) or all medical conditions (e.g. visual impairment in AMD, hearing<br />

loss, OAB, leg ulcers etc.)<br />

Mapping: where is it going?<br />

Current practice:<br />

• Review found variable performance across conditions<br />

• Published studies usually do not explore the impact of size and<br />

pattern of errors (related to severity) on cost effectiveness<br />

• Recent application to mapping function from SF-36 to EQ-5D found<br />

average MAE of incremental differences between trial arms of<br />

around 0.05. Impact on CE depends on context.<br />

Implications:<br />

• Always second best to directly using a generic in a trial<br />

• Important dimensions may not appear in the generic measure – so<br />

may be better to value preferred measure in the first place<br />

Generic vs. condition specific<br />

measures<br />

For CSMs:<br />

• more sensitive and relevant to condition<br />

Against CSMs:<br />

• excludes side-effects of treatment (unless built into measure)<br />

• excludes co-morbidities and these may alter the impact of the<br />

main medical condition (i.e. preference dependence)<br />

• Problem of achieving comparability across measures due to<br />

framing effects and dependence between preferences for<br />

included and excluded dimensions (I.e. the impact of role<br />

limitation may depend on a persons mental well-being)<br />

Conclusions about QALYs<br />

• They can be used to assess the cost-effectiveness of<br />

health care interventions<br />

• They are contentious, but have become accepted in a<br />

number of countries e.g. UK, Australia, Netherlands,<br />

Sweden, Canada<br />

• There are different methods of putting the ‘q’ into QALYs<br />

so policymakers need to choose a ‘reference case’ set of<br />

methods<br />

• Further research is required into developing QALYs<br />

based on more sensitive and relevant descriptive<br />

systems and to ensuring comparability is retained<br />

A health care system without QALYs lacks a systematic<br />

basis for comparing the cost effectiveness of health care<br />

interventions<br />

© gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 19<br />

Pro und Kontra<br />

Patientenrelevante Endpunkte nach SGB V<br />

Von Prof. Dr. med. Matthias Augustin<br />

Therapeutische Entscheidungen beruhen in der Medizin<br />

traditionell auf objektivierbaren Fakten. Sie werden<br />

durch Analyse der persönlichen Merkmale des<br />

Patienten sowie aus der externen klinisch-wissenschaftlichen<br />

Datenlage begründet. Beide Anteile, interne<br />

und externe Evidenz, werden in der Evidenzbasierten<br />

Medizin als Grundlagen therapeutischer<br />

Maßnahmen angesehen. Die Arztperspektive steht<br />

dabei im Vordergrund.<br />

Eine explizite Rolle für von Patienten berichtete Endpunkte<br />

hat die in den letzten Jahren vorherrschende<br />

klinische und Evidenz-basierte Medizin nicht definiert.<br />

Dennoch hat die Ergebnismessung aus Patientensicht<br />

– international oft unter dem Begriff „Patient<br />

Reported Outcomes“ (PRO) subsummiert – inzwischen<br />

weltweit eine immer wichtigere Rolle erhalten.<br />

Wesentlich dazu beigetragen hat die Einsicht, dass<br />

die Erhaltung oder Verbesserung der Lebensqualität<br />

des Patienten eine zentrale Zielsetzung medizinischen<br />

Handelns sein muss.<br />

Die medizinisch-technische Machbarkeit in der modernen<br />

Medizin wird vielfach – etwa in der Onkologie<br />

– durch potenziell negative Auswirkungen auf die Lebensqualität<br />

relativiert. Auch aus sozialgesetzlicher<br />

Sicht kann nur der <strong>Nutzen</strong> für den Patienten ultimatives<br />

Kriterium der Handlungsbewertung sein.<br />

Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, im<br />

GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) die<br />

<strong>Bewertung</strong> therapeutischen <strong>Nutzen</strong>s als primär Patienten-relevanten<br />

<strong>Nutzen</strong> zu formulieren, ist vor diesem<br />

Hintergrund zu sehen. Sie vollzieht aber lediglich<br />

einen Paradigmenwechsel nach, den bereits sogar<br />

Instanzen wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />

im Gesundheitswesen (IQWiG) und der Gemeinsame<br />

Bundesausschuss (G-BA) in ihren Verfahrensordnungen<br />

festgehalten hatten und der letztlich<br />

von der gesamten medizinischen Gemeinschaft ausgeht.<br />

Dieser Paradigmenwechsel besagt, dass der Patient<br />

und seine Sicht primärer Maßstab des medizinischen<br />

Handelns sein sollte. Dabei handelt es sich im Wesentlichen<br />

um vier Schlagwörter, um vier „Kriterien<br />

der <strong>Nutzen</strong>bewertung“: Mortalität, Morbidität, Lebensqualität<br />

und ein weiteres Kriterium, das man als „Therapiefolgen<br />

aus Patientensicht“ bezeichnen kann.<br />

In der seitdem geführten Diskussion um die Mitbeteiligung<br />

des Patienten in die <strong>Nutzen</strong>bewertung – etwa<br />

hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte nach<br />

SGB V – wird allerdings deutlich, dass die Wahl der<br />

Patientensicht als primär maßgebliche Perspektive<br />

auf methodische und prinzipielle Bedenken stößt.<br />

Von Ärzten, Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen,<br />

aber auch Patienten selbst, werden methodische<br />

Probleme, Kompetenzprobleme und auch hierarchische<br />

Probleme gesehen (Tab. 1).<br />

Tab. 1: Pro und Kontra bezüglich der Erhebung<br />

patientenrelevanter Endpunkte<br />

PRO<br />

Der Patient ist Hauptbetroffener<br />

jeglicher medizinischer<br />

Maßnahmen.<br />

Die Auswirkungen einer<br />

medizinischen Entscheidung<br />

können vom Patienten<br />

am besten wiedergegeben<br />

werden.<br />

Der Patient sollte mit seiner<br />

persönlichen Perspektive in<br />

die medizinische Entscheidungsfindung<br />

einbezogen<br />

werden.<br />

Wenn der Patient in die<br />

Entscheidungsfindung einbezogen<br />

wird, verbessern<br />

sich seine Einsicht und<br />

Compliance.<br />

KONTRA<br />

Medizin muss auf<br />

objektivierbaren Fakten<br />

beruhen.<br />

Patientenrelevante<br />

Endpunkte sind nicht<br />

objektivierbar.<br />

Viele Patienten sind<br />

damit überfordert, ihre<br />

Perspektive zu äußern.<br />

Der Patient ist zu<br />

befangen, um über<br />

wichtige Entscheidungen<br />

mitzubestimmen.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 20<br />

So betrachten Kritiker „weiche“ Endpunkte wie Lebensqualität<br />

oder Schmerzen als nicht ausreichend<br />

quantifizierbar, schon gar nicht objektivierbar, und<br />

damit als ungeeignet für die <strong>Bewertung</strong> therapeutischen<br />

<strong>Nutzen</strong>s. Beispielhaft für die Zurückhaltung<br />

sind Rückmeldungen wie: „Soll dem Patienten jetzt<br />

auch noch der Cappuccino bezahlt werden, nur weil<br />

er die Lebensqualität verbessert?“ oder: „Wenn Patienten<br />

über <strong>Nutzen</strong> entscheiden, muss am Ende die<br />

Kasse doch alles zahlen.“<br />

Eine grundlegende Frage ist: Kann man den Patienten<br />

zutrauen, kompetent und verantwortlich über therapeutischen<br />

<strong>Nutzen</strong> zu entscheiden oder zumindest<br />

mitzuentscheiden? Wenn ja, welche Ansätze gewähren<br />

hinreichende methodische Sicherheit, insbesondere<br />

Objektivität und Reliabilität, der Messungen?<br />

Diesen Fragen wird in der vorliegenden Übersicht<br />

nachgegangen, die PROs und CONTRAs werden<br />

beleuchtet.<br />

Der ökonomische <strong>Nutzen</strong>begriff<br />

Die Patientensicht als primär relevante Perspektive<br />

der <strong>Nutzen</strong>bewertung kommt in dem – wesentlich<br />

allgemeineren – ökonomischen <strong>Nutzen</strong>begriff, zum<br />

Tragen: In der ökonomischen Theorie versteht man<br />

unter dem <strong>Nutzen</strong> das Maß für die Fähigkeit, Bedürfnisse<br />

eines wirtschaftlichen Akteurs (z.B. eines Haushaltes)<br />

zu befriedigen. <strong>Nutzen</strong> ist somit ein Maß für<br />

„Zufriedenheit und Glück“.<br />

Das hört sich doch gut an. Die mathematische Formel<br />

zu dieser Definition beinhaltet nichts anderes als die<br />

Kumulation von Einzelnutzen, die dann einen Gesamtnutzen<br />

darstellen. Man könnte sie quasi als<br />

„Glücksformel“ bezeichnen. Dies wurde auf die Medizin<br />

übertragen. Dabei ist zu überlegen, wie der Patientennutzen<br />

als Summe von Teilnutzen aufaddiert<br />

werden kann. Dazu mehr an späterer Stelle.<br />

Therapeutischer <strong>Nutzen</strong> als „Patient Reported<br />

Outcomes“<br />

Für den <strong>Nutzen</strong> einer therapeutischen Intervention<br />

gibt es mehrere Definitionen. In der heutigen <strong>Nutzen</strong>auffassung<br />

– soweit es sich um therapeutischen <strong>Nutzen</strong><br />

handelt – sind die Patientenperspektive sowie die<br />

Lebensqualität expressis verbis enthalten. So handelt<br />

es sich beim <strong>Nutzen</strong> nach Windeler „um Effekte einer<br />

Intervention, die in mehr als geringfügigem Ausmaß<br />

eine Verbesserung der Prognose und/oder der Symptomatik/Lebensqualität<br />

von Patienten ergeben“ (Windeler,<br />

DMW 2006).<br />

Franke (2007) formuliert <strong>Nutzen</strong>bewertung als „Erfassung<br />

und Bilanzierung des <strong>Nutzen</strong>- und Risikopotenzials<br />

in Bezug auf die Ziele der Krankenbehandlung,<br />

in einer Methoden gleicher Zielsetzung vergleichenden<br />

<strong>Bewertung</strong>, in Bezug auf patientenbezogene<br />

Endpunkte, unter Alltagsbedingungen des gegebenen<br />

Versorgungssystems“.<br />

Aber: Auf die Feinheiten ist zu achten. In der Nomenklatur<br />

wird manchmal über „Patienten-relevante Kriterien“<br />

gesprochen, das sind aber nicht unbedingt „Patienten-definierte<br />

Kriterien“, denn die Relevanz könnte<br />

auch jemand Dritter dem Patienten zuschreiben.<br />

An anderer Stelle spricht man von „Patienten-bezogenen<br />

Endpunkten“ und im internationalen Sprachgebrauch<br />

von „Patient Reported Outcomes“ (PRO), also<br />

von den unmittelbar durch den Patienten formulierten<br />

Aussagen.<br />

Diese Feinheiten sind von Relevanz bei der wichtigen<br />

Frage: Wer ist denn eigentlich für die <strong>Nutzen</strong>bewertung<br />

zuständig? Folgende Fragestellungen sind für<br />

„Patienten-relevante <strong>Nutzen</strong>kriterien“ von herausragender<br />

Bedeutung:<br />

● Wer definiert die Relevanz, wenn Patienten-relevante<br />

<strong>Nutzen</strong>kriterien diskutiert werden?<br />

● Wer bewertet den <strong>Nutzen</strong>, wenn ein relevantes<br />

Kriterium aufgestellt ist?<br />

● Wie werden diese <strong>Nutzen</strong> überhaupt gemessen?<br />

● Wer bewertet relevante Unterschiede?<br />

Mehrere Kandidaten für diese <strong>Bewertung</strong> des therapeutischen<br />

<strong>Nutzen</strong>s sind zu erkennen. Der Patient<br />

Vergleichsstudie Therapienutzen aus<br />

Patientensicht versus Arztsicht<br />

„Frage: Nach welchen der nachfolgenden Therapiezielen würden Sie<br />

persönlich den <strong>Nutzen</strong> eines Arzneimittels bewerten ?“<br />

A<br />

B<br />

C<br />

D<br />

E<br />

F<br />

G<br />

H<br />

I<br />

J<br />

K<br />

L<br />

M<br />

N<br />

O<br />

Abheilung aller Hautveränderungen<br />

Abheilung der sichtbaren Hautveränderungen<br />

Verminderung von Juckreiz und Brennen an der Haut<br />

Verbesserung des Nachtschlafes<br />

Vermeidung starker Nebenwirkungen durch die Behandlung<br />

Höhere Leistungsfähigkeit im Beruf, Studium oder Schule<br />

Höhere Leistungsfähigkeit im Alltagsleben<br />

Mehr soziale Kontakte<br />

Sich mehr zeigen mögen<br />

Mehr Freizeitaktivitäten haben<br />

Weniger Belastung von Angehörigen und Freunden<br />

Mehr Lebensfreude<br />

Verbesserung des psychischen Befindens<br />

Weniger Zeitaufwand durch die Behandlung<br />

Weniger Arzt- und Klinikbesuche<br />

<strong>Nutzen</strong>liste von n=15 Items nach offener Erhebung an n=200 Patienten<br />

Abbildung 1


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 21<br />

Abbildung 2<br />

Therapienutzen Dermatologen vs. Patienten<br />

Ergebnisse für Psoriasis (je n=100)<br />

Mehrnennungen Mediziner -- Mehrnennungen Patienten<br />

Höhere Leistungsfähigkeit im Alltagsleben<br />

Verbesserung des psychischen Befindens<br />

Sich mehr zeigen mögen<br />

Verminderung von Juckreiz, Brennen an der Haut<br />

Höhere Leistungsfähigkeit in Beruf, Studium<br />

Abheilung der sichtbaren Hautveränderungen<br />

Mehr Lebensfreude<br />

Mehr soziale Kontakte<br />

Verbesserung des Nachtschlafes<br />

• Differenz der Nennungen von Patienten mit Psoriasis vs. Medizinern über<br />

Prioritäten der Therapieziele (%; Fünffachnennungen möglich)<br />

selbst könnte ins Spiel kommen, und auch der Arzt<br />

beteiligt sich daran. Aber es gibt auch noch andere<br />

Perspektiven: Die Gesellschaft, die ein generelles<br />

Anliegen hat, ferner auch die „professionellen <strong>Nutzen</strong>bewerter“<br />

wie das IQWiG und der G-BA.<br />

Wer kann den Patientennutzen und den Therapienutzen<br />

am authentischsten bewerten? Eine kleine eigene<br />

Studie, die vor einigen Jahren im Rahmen einer<br />

Studienserie zur Frage der <strong>Nutzen</strong>bewertung aus<br />

„Patientensicht versus Arztsicht“ durchgeführt wurde,<br />

ist hier sehr aufschlussreich. Diese Studie hat die<br />

Frage der Patientensicht versus Arztsicht zum therapeutischen<br />

<strong>Nutzen</strong> mit der Frage adressiert:<br />

Nach welchen der nachfolgenden 15 Therapieziele<br />

würden Sie persönlich den <strong>Nutzen</strong> eines Arzneimittels<br />

bewerten (Abb. 1, S. 20)? Diese Therapieziele waren<br />

aus einem großen Antwortpool von Patienten mit<br />

Haut- und Allergiekrankheiten gewonnen worden. Die<br />

-60 -40 -20 0 20 40 60 80<br />

-37,3<br />

-27,5<br />

-20,8<br />

-21,6<br />

-22,9<br />

-12,6<br />

-6,6<br />

-9,5<br />

-1,6<br />

=<br />

6,1<br />

11,3<br />

16,7<br />

22,5<br />

41,3<br />

61,<br />

3<br />

Weniger Zeitaufwand durch die Behandlung<br />

Abheilung aller Hautveränderungen<br />

Weniger Arzt- und Klinikbesuche<br />

Vermeidung starker NW durch die Behandlung<br />

Mehr Freizeitaktivitäten haben<br />

Weniger Belastung von Angehörigen, Freunden<br />

unmittelbar interessierende Frage war: Sind Arzt- und<br />

Patientenurteil deckungsgleich?<br />

Die Antwort: Es gibt zum Teil erhebliche Abweichungen<br />

(Abb. 2). Der größte Unterschied im Sinne einer<br />

Unterschätzung des patientendefinierten <strong>Nutzen</strong>s<br />

fand sich bei der Frage „weniger Zeitaufwand durch<br />

die Behandlung“. Auch gaben Patienten weitaus häufiger<br />

die Wichtigkeit von „weniger Arzt- oder Klinikbesuche“<br />

an.<br />

Dieser Befund gibt den Ärzten zu denken, denn sie<br />

hatten geglaubt, je häufiger die Patienten zu ihnen<br />

kommen, umso lieber. Das Gegenteil ist jedoch häufig<br />

der Fall. Auch von den Ärzten unterschätzt wurde der<br />

Patientennutzen: „Vermeidung starker Nebenwirkungen<br />

durch die Behandlung.“ Andere <strong>Nutzen</strong> wie „soziale<br />

Kontakte“ und „Verbesserung des Nachtschlafes“<br />

wurden wiederum von den Ärzten überbewertet.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 22<br />

Fazit: Der Patienten-seitige <strong>Nutzen</strong> kann nur vom Patienten<br />

verlässlich bewertet werden. Statt „Arzt“ könnte<br />

hier auch „Krankenkasse“ oder „IQWiG“ stehen –<br />

diese „Nichtpatienten“ haben gewisse Defizite im Verständnis<br />

des Patientennutzens, was auch unmittelbar<br />

einleuchtend ist und sich auch am Beispiel des<br />

Schmerzes erläutern lässt:<br />

Nur ein Patient kann auf einer Schmerzskala von 0 bis<br />

10 seine Schmerzen eintragen. Es wäre töricht, dem<br />

Patienten an seinem Gesicht ablesen zu wollen, wie<br />

seine Schmerzen sind, nur weil er verschiedene Grimassen<br />

zieht. Auch hier gilt: Es gibt eine Objektivität<br />

nur dann, wenn der Patienten mit in die Entscheidung<br />

einbezogen wird.<br />

Und das gilt ebenso für Therapieverläufe oder auch<br />

für Schweregrade einer Erkrankung. Es gibt solche<br />

und solche Patienten – mit leichten Formen der Erkrankung,<br />

die trotzdem hohe Einbußen der Lebensqualität<br />

haben und umgekehrt.<br />

Ein weiteres Fazit: Patienten-seitige Belastung und<br />

potenzielle Therapienutzen sind oftmals nicht durch<br />

einen „objektiven Befund“ vorhersagbar, zumindest<br />

nicht bei den meisten chronischen Erkrankungen. Das<br />

heißt, wenn etwa der Patienten auf dem OP-Tisch<br />

beschrieben werden soll, in seinem <strong>Nutzen</strong>, in seinem<br />

Dasein, dann wird es nicht reichen, ihn „von außen“<br />

darzustellen. Die Perspektive kann nur der Patient<br />

selbst schildern. Es sei denn, wir legen uns selbst<br />

dahin, dann sind wir aber fast schon Patient.<br />

Die US-amerikanische Food and Drug Administration<br />

(FDA) hat vor einigen Jahren aufgrund dieser Einsichten<br />

das Konzept der „Patient Reported Outcomes“<br />

aufgegriffen, die definiert sind als die Erfassung all der<br />

Aspekte des Patienten- und Gesundheitsstatus, die<br />

vom Patienten selbst geäußert werden.<br />

Diese „Patient Reported Outcomes“ beinhalten eine<br />

Vielzahl von Parametern: Hierzu zählen allgemeinere<br />

Konstrukte wie Zufriedenheit oder Lebensqualität,<br />

aber auch einzelne Symptome wie Schmerzen, Juckreiz,<br />

Depression. Wer will auch sonst herausfinden,<br />

wie sich Depression darstellt? Ebenso zählen zu den<br />

PRO subjektive <strong>Nutzen</strong> oder auch erlebte Nebenwirkungen.<br />

Die Lebensqualität ist nur eines von mehreren Konstrukten<br />

der „Patient Reported Outcomes“. Die FDA<br />

hat die medizinischen Fachgruppen ermutigt, diese<br />

„Patient Reported Outcomes“ als Endpunkte in klinische<br />

Studien mit aufzunehmen, damit bei der Zulassung<br />

am Ende neue Produkt entsprechend bewertet<br />

werden können. Es gibt dazu eine Guidance, also<br />

Empfehlungen, auch für die Industrie. In dieser Guidance<br />

werden wichtige Parameter der Methodik, Reliabilität<br />

und Validität ausführlich dargestellt und gefordert.<br />

Ohne weitere vertiefende Darstellung soll trotzdem<br />

erwähnt sein, dass diese „Patient Reported Outcomes“<br />

durchaus auf harten, messbaren sowie wissenschaftlich<br />

haltbaren Kriterien beruhen.<br />

<strong>Nutzen</strong>bewertung in Europa und Deutschland<br />

Wo stehen nun „Patient Reported Outcomes“ im europäischen<br />

Kontext? In Europa haben wir in fast allen<br />

Ländern das Gebot der <strong>Nutzen</strong>bewertung in der Arzneimittelversorgung.<br />

In den meisten Ländern beruht<br />

die <strong>Nutzen</strong>bewertung sowohl auf klinisch-therapeutischem<br />

als auch auf Patienten-seitigem <strong>Nutzen</strong>. Diese<br />

patientenseitigen <strong>Nutzen</strong> werden meistens in Form<br />

von Lebensqualität erfasst. Hier haben wir also eine<br />

starke Betonung der Lebensqualität des Outcome-<br />

Parameters (vgl. Abb. 3).<br />

Merkmale der <strong>Nutzen</strong>bewertung von AM international<br />

<strong>Nutzen</strong>bewertung im internationalen Vergleich<br />

1. <strong>Nutzen</strong>bewertung dient in den meisten Ländern der Regulation<br />

des Zugangs zu Arzneimitteln und/oder der <strong>Kosten</strong>erstattung.<br />

2.<br />

Die Kriterien der <strong>Nutzen</strong>bewertung sind länderspezifisch<br />

formuliert, eine supranationale Lenkung gibt es nicht.<br />

3. <strong>Nutzen</strong>bewertung beruht in den meisten Ländern sowohl auf<br />

klinisch-therapeutischen wie auf den patientenseitigen <strong>Nutzen</strong>.<br />

4. Der patientenseitige <strong>Nutzen</strong> wird meist über die Auswirkungen<br />

der Therapien auf die Lebensqualität erfasst.<br />

5. In den meisten Ländern werden als Quellen der <strong>Nutzen</strong>daten<br />

nicht nur klinische Studien mit randomisiertem Design (RCTs),<br />

sondern auch Studien aus der alltäglichen Praxis („real-world<br />

studies“) gefordert.<br />

6. Pharmakoökonomische Analysen: Präferentiell auf der Basis von<br />

„real-world-Daten“, Modellierungen erlaubt<br />

Zentner & Busse: Kriterien der <strong>Nutzen</strong>bewertung von Arzneimitteln im internationalen Vergleich.<br />

HTA-Bericht, DIMDI 2005<br />

Abbildung 3<br />

Entsprechend gibt es auch von der European Medicines<br />

Agency (EMEA), vorerst als Entwurf, ein „Reflection<br />

Paper“ über gesundheitsbezogene Lebensqualität.<br />

Ebenfalls zu finden ist diese in Deutschland, nämlich<br />

im IQWiG-Methodenpapier, in dem als Kriterium<br />

der <strong>Nutzen</strong>bewertung die gesundheitsbezogene Lebensqualität<br />

genannt wird – ebenso im Gesetz und<br />

auch beim G-BA.<br />

Fortsetzung auf Seite 27


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 23<br />

Univ.-Prof. Dr. med. Matthias<br />

Augustin (Jahrg. 1962), Facharzt<br />

für Dermatologie und Venerologie,<br />

Allergologie. Seit<br />

2004 Professur für Gesundheitsökonomie<br />

und Lebensqualitätsforschung<br />

an der Klinik<br />

und Poliklinik für Dermatologie<br />

und Venerologie, Universitäts-Klinikum<br />

Hamburg-<br />

Eppendorf. Leiter der Hochschulambulanzen<br />

für Wunden<br />

und für entzündliche Hauterkrankungen<br />

(Psoriasis, Neurodermitis).<br />

Wissenschaftlicher<br />

Schwerpunkt Outcomes- und<br />

Lebensqualitätsforschung seit 1994. Seit 2005 Gründer und<br />

Leiter der Forschungszentren für Versorgungsforschung in der<br />

Dermatologie (CVderm) und für dermatologische Forschung<br />

(CeDeF). Sachverständiger der Deutschen Dermatologischen<br />

Gesellschaft und des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen<br />

für Gesundheitsökonomie, Versorgungsforschung<br />

und Evidenz-basierte Medizin.<br />

Günter Danner, M. A., Ph. D.<br />

(Jahrg. 1955), Persönlicher Referent<br />

und Berater des Vorstandes<br />

der Techniker Krankenkasse<br />

(TK) in sozialökonomischen<br />

und sozialpolitischen<br />

Grundsatzfragen. Seit 1993 zusätzlich<br />

in der Europavertretung<br />

der deutschen Sozialversicherung,<br />

heute als stellv. Direktor.<br />

Im Rahmen von PHARE<br />

und TACIS-Projekten in sämtlichen<br />

Kandidatenstaaten Mittelund<br />

Osteuropas und Russland<br />

als Berater eingesetzt. Zahlreiche<br />

Veröffentlichungen zu EUrelevanten<br />

und vergleichenden Fragen des Sozialschutzes mit<br />

den Schwerpunkten „Gesundheit“ und „Europa“ in Fach- und<br />

Szenezeitschriften der Sozialpolitik. Studium der Ökonomie,<br />

Geschichte und International Relations in Großbritannien,<br />

Deutschland, Südafrika und den USA.<br />

Univ.-Prof. Dr. med. Wolf-Dieter<br />

Ludwig (Jahrg. 1952),<br />

Facharzt für Innere Medizin –<br />

Hämatologie und internistische<br />

Onkologie, Zusatzbezeichnung<br />

Transfusionsmedizin. Ltd. Arzt<br />

der Klinik für Hämatologie, Onkologie<br />

und Tumorimmunologie,<br />

Robert-Rössle-Klinik, im<br />

HELIOS Klinikum Berlin, Charité,<br />

Campus Berlin-Buch. Herausgeber<br />

von „Der Arzneimittelbrief“<br />

und „Arzneiverordnung<br />

in der Praxis“, seit 2006 Vorsitzender<br />

der Arzneimittelkommission<br />

der Deutschen Ärzteschaft.<br />

Wissenschaftliche Schwerpunkte: zellbiologische Charakterisierung<br />

hämatologischer Neoplasien, insbesondere<br />

akuter Leukämien; Regulation von Apoptose, Resistenz und<br />

Genexpressionsanalysen in akuten Leukämien; Therapieoptimierungsprüfungen<br />

bei hämatologischen Neoplasien; Arzneimitteltherapiesicherheit.<br />

Axel C. Böhnke (Jahrg.1975),<br />

Studium der Gesundheitsökonomie<br />

an der Universität zu<br />

Köln mit Abschluss-Diplom<br />

Gesundheitsökonom. Wissenschaftliche<br />

Hilfskraft am Lehrstuhl<br />

für Sozialpolitik der Universität<br />

zu Köln. Ausbildung<br />

zum Sozialversicherungsangestellten.<br />

Team-Leiter Market<br />

Access bei der Firma Abbott<br />

GmbH & Co. KG. Buchveröffentlichung:„Quersubventionierung<br />

zwischen den Krankenversicherungssystemen<br />

GKV<br />

und PKV: Eine Beschreibung,<br />

Analyse und <strong>Bewertung</strong> dieser These“ in „Hochschulschriften<br />

zur Sozialpolitik“, 2004. Publizistisches Engagement in wichtigen<br />

gesellschaftlichen Indikationsfeldern im Rahmen von Versorgungsmanagement.<br />

Hier z. B. Initiierung und Begleitung<br />

mehrerer Sonderausgaben der Gesellschaftspolitischen Kommentare<br />

(gpk) zu den Themenschwerpunkten „Rheumatoide<br />

Arthritis“, „Psoriasis“.<br />

Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich<br />

(Jahrg. 1970), Apothekerin,<br />

seit 2006 Direktorin des<br />

Wissenschaftlichen Instituts<br />

der Techniker Krankenkasse<br />

(TK) für <strong>Nutzen</strong> und Effizienz<br />

im Gesundheitswesen (WI-<br />

NEG). Seit 2000 Lehrauftrag<br />

für Pharmakoökonomie Lehrstuhl<br />

„Klinische Pharmazie“<br />

der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität<br />

Bonn. Von<br />

1996–2000 Aufbau und Leitung<br />

der Forschungsgruppe<br />

Pharmakoökonomie Institut für<br />

Umweltmedizin und Krankenhaushygiene<br />

der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Forschungsinhalt:<br />

Durchführung von pharmakoökonomischen<br />

Studien, Anwendungsbeobachtungen und Metaanalysen.<br />

2000– 2006 Leiterin der Abteilung Arzneimittel der Kassenärztlichen<br />

Bundesvereinigung und Geschäftsführerin bzw. Mitglied<br />

im Unterausschuss Arzneimittel des Gemeinsamen Bundesausschusses.<br />

PD Dr. med. Matthias Perleth,<br />

MPH (Jahrg. 1965), seit 2007<br />

Leiter der Abteilung Fachberatung<br />

Medizin, Gemeinsamer<br />

Bundesausschuss (G-BA).<br />

Zuvor Wissenschaftlicher Mitarbeiter/beratender<br />

Arzt für<br />

medizinische Grundsatzfragen,<br />

Stabsbereich Medizin,<br />

AOK-Bundesverband. Arbeitsschwerpunkte<br />

und wissenschaftliche<br />

Interessen: Evaluation<br />

medizinischer Verfahren<br />

und Technologien (Health<br />

Technology Assessment), Evidenz-basierte<br />

Medizin, Wirtschaftlichkeit<br />

und Qualität der medizinischen Versorgung, Versorgungsforschung,<br />

Über-, Unter- und Fehlversorgung, Sekundärdatenanalyse.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 24<br />

Dr. med. Dr. phil. Daniel<br />

Strech (Jahrg. 1975), 2003–<br />

2005 ärztlicher Mitarbeiter an<br />

der Charité-Universitätsmedizin<br />

Berlin (Klinik für Psychiatrie<br />

und Psychotherapie). 2005–<br />

2006 Postdoc-Stipendiat am<br />

DFG-Graduiertenkolleg „Bioethik“,<br />

Interfakultäres Zentrum<br />

für Ethik in den Wissenschaften<br />

(IZEW), Universität Tübingen.<br />

Seit 2006 wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter im Forschungsverbund<br />

„Allokation“, Institut für<br />

Ethik und Geschichte der Medizin,<br />

Universität Tübingen. Sprecher<br />

des Fachbereichs „EBM und Ethik“, Deutsches Netzwerk<br />

Evidenz basierte Medizin (DNEbM). 2008 Ruf auf die Juniorprofessur<br />

für Medizinethik an der Medizinischen Hochschule<br />

Hannover (MHH), Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie<br />

der Medizin. Publikationen u.a. in Journal of Clinical<br />

Epidemiology, Journal of Medical Ethics, Journal of Medicine<br />

and Philosophy, Cochrane Database of Systematic Reviews.<br />

Wolfgang van den Bergh,<br />

M.A. (Jahrg. 1959), seit 2008<br />

Chefredakteur der ÄRZTE<br />

ZEITUNG, zuvor Ressortleiter<br />

Gesundheitspolitik und stellv.<br />

Chefredakteur.<br />

Gelegenheit zum Meinungsaustausch<br />

Pausengespräche


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 25<br />

Auf dem Weg zum Tagungsraum Letzte organisatorische Absprache<br />

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion nehmen ihre Plätze ein


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 26<br />

Wulff-Erik von Borcke (Jahrgang<br />

1967), General Manager<br />

Deutschland des Pharmaunternehmens<br />

Abbott. Zuvor in verschiedenen<br />

Positionen bei Abbott<br />

in den USA tätig.<br />

Dr. Hans Georg Faust MdB<br />

(Jahrg. 1948), seit 1980 Leitender<br />

Arzt in der Abteilung für Anästhesie<br />

und Intensivmedizin in<br />

der Harzklinik „Fritz-König-Stift”<br />

in Bad Harzburg. Von 1984–1998<br />

Ärztlicher Direktor. Oberstabsarzt<br />

der Reserve. Seit 1998 Mitglied<br />

des Deutschen Bundestages<br />

(CDU). Mitglied und stellv.<br />

Vorsitzender des Bundestagsausschusses<br />

für Gesundheit.<br />

Stellv. Mitglied im Bundestagsausschuss<br />

für Tourismus. Mitglied<br />

des Vorstandes der CDU<br />

Niedersachsen.<br />

Dr. jur. Rainer Hess (Jahrg.<br />

1940), Rechtsanwalt, Unparteiischer<br />

Vorsitzender des Gemeinsamen<br />

Bundesausschusses von<br />

Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern<br />

und Krankenkassen.<br />

Von 1971– 1987 Justiziar der gemeinsamen<br />

Rechtsabteilung von<br />

Bundesärztekammer (BÄK) und<br />

Kassenärztlicher Bundesvereinigung<br />

(KBV), von 1988– 2003<br />

Hauptgeschäftsführer der KBV.<br />

PD Dr. med. Peter Kolominsky-<br />

Rabas, MBA (Jahrg. 1959), Leiter<br />

des Ressorts „Gesundheitsökonomie“<br />

des Instituts für Qualität<br />

und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen<br />

(IQWiG). Facharzt<br />

für Neurologie und Gesundheitsökonom<br />

(Master of Business<br />

Administration, Universität<br />

Bayreuth). Habilitation „Epidemiologie<br />

und Versorgungsforschung”,<br />

2002 bis 2005 Geschäftsführer<br />

des Interdisziplinären<br />

Zentrums für Public Health<br />

(IZPH) der Universität Erlangen-<br />

Nürnberg. Geschäftsführendes<br />

Vorstandsmitglied des Bayerischen<br />

Forschungsverbundes Public Health. Mitglied in zahlreichen<br />

wissenschaftlichen Fachgesellschaften, u.a. der Deutschen<br />

Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall<br />

Gesellschaft (DSG), dort Vorsitzender der Kommission „Gesundheitsökonomie<br />

und Versorgungsforschung“.<br />

Dr. Stefan Etgeton (Jahrg.<br />

1963), seit 2007 Leiter des Fachbereichs<br />

Gesundheit und Ernährung<br />

bei der Verbraucherzentrale<br />

Bundesverband, zuvor dort Gesundheitsreferent,<br />

von 1996 bis<br />

2000 Bundesgeschäftsführer der<br />

Deutschen AIDS-Hilfe, Studium<br />

Evangelische Theologie.<br />

Dr. med. <strong>Leo</strong>nhard Richard<br />

Hansen (Jahrg. 1950), Praktischer<br />

Arzt, seit 2000 Vorsitzender<br />

der Kassenärztlichen Vereinigung<br />

Nordrhein (KVNO). Von<br />

2000– 2004 stellv. Vorsitzender<br />

der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />

(KBV). Von 1993 bis<br />

2005 Mitglied des Kammervorstandes<br />

der Ärztekammer Nordrhein,<br />

seit 1995 stellv. Vorsitzender<br />

des Bundesverbandes der<br />

Knappschaftsärzte.<br />

Eike Hovermann MdB (Jahrg.<br />

1946), Gymnasiallehrer a.D. Seit<br />

1995 Mitglied des Deutschen<br />

Bundestages (SPD), Mitglied im<br />

Bundestagsausschuss für Gesundheit,<br />

stellv. Mitglied im Bundestagsausschuss<br />

für Ernährung,<br />

Landwirtschaft und Verbraucherschutz,<br />

Mitglied in der<br />

Arbeitsgruppe Gesundheit der<br />

SPD-Bundestagsfraktion.<br />

Dr. Konrad Schily MdB (Jahrg.<br />

1937), seit 2005 Mitglied des<br />

Deutschen Bundestages (FDP).<br />

Mitglied im Bundestagsausschuss<br />

für Gesundheit sowie<br />

stellvertr. Mitglied im Ausschuss<br />

für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.<br />

1982 Mitbegründer<br />

der ersten privaten<br />

deutschen Universität, der Universität<br />

Witten/Herdecke, Gründungspräsident<br />

bis 1999 und erneut<br />

Präsident von 2002– 2003.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 27<br />

Fortsetzung von Seite 22<br />

Lebensqualität als Patienten-relevanter<br />

Endpunkt<br />

Auf dieser Ebene gibt es durchaus einen Konsens<br />

darüber, als ein Merkmal Patienten-relevanter Endpunkte<br />

„Lebensqualität“ zu messen. Als Vorläufer und<br />

Verankerung dieses Konsenses dient nicht zuletzt<br />

jenes Urteil zum Off-Label-Use des Bundessozialgerichts<br />

(BSG), in dem noch einmal festgehalten ist,<br />

dass Off-Label-Use unter einigen Bedingungen möglich<br />

ist, nämlich auch unter dem Status einer schwerwiegenden<br />

Erkrankung. Und schwerwiegend heißt<br />

eben lebensbedrohlich oder die Lebensqualität nachhaltig<br />

beeinträchtigend.<br />

Gleiches finden wir auch im Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz<br />

(GMG) von 2004 im OTC-Passus.<br />

Ausnahmen des OTC-Ausschlusses sind mög-<br />

Ware JE jr.: The SF-36 Health Survery. in: Spilker B (Hrsg.): Quality of Life and Pharmacoeconomics in Clinical Trials.<br />

Lippincott-Raven, Philadelphia.:11-24, 1996<br />

Abbildung 4<br />

Items<br />

3a. Vigorous Activities<br />

3b. Moderate Activities<br />

3c. Lift, Carry Groceries<br />

3d. Climb Several Flights<br />

3e. Climb One Flight<br />

3f. Bend, Kneel<br />

3g. Walk Mile<br />

3h. Walk Several Blocks<br />

3i. Walk One Block<br />

3j. Bathe, Dress<br />

4a. Cut Down Time<br />

4b. Accomplished Less<br />

4c. Limited in Kind<br />

4d. Had Difficulty<br />

7. Pain-Magnitude<br />

8. Pain-Interfere<br />

1. EVGFP Rating<br />

11a. Sick Easier<br />

11b. As Healthy<br />

11c. Health To Get Worse<br />

11d. Health Excellent<br />

9a. Pep/Life<br />

9e. Energy<br />

9g. Worn Out<br />

9i. Tired<br />

6. Social-Extent<br />

10. Social-Time<br />

5a. Cut Down Time<br />

5b. Accomplished Less<br />

5c. Not Careful<br />

9b. Nervous<br />

9c. Down in Dumps<br />

9d. Peaceful<br />

9f. Blue/Sad<br />

9h. Happy<br />

Generische Lebensqualität: SF-36<br />

Scales<br />

Physical Functioning (PF)<br />

Role-Physical (RP)<br />

Bodily Pain (BP)<br />

General Health (GH)*<br />

Vitality (VT)*<br />

lich, wenn die Krankheit schwerwiegend ist, und hier<br />

wird auch die dauerhafte und nachhaltige Beeinträchtigung<br />

der Lebensqualität als Kriterium herangezogen.<br />

Lebensqualität als Ausdruck der Patientenperspektive<br />

hat hier eindeutig einen hohen Stellenwert.<br />

Allerdings ist man verwundert, wenn man im gleichen<br />

Gesetz ein paar Seiten weiter die Formulierung für<br />

den Ausschluss von Lifestyle-Medikamente liest: „Von<br />

der Versorgung sind außerdem Arzneimittel ausgeschlossen,<br />

bei deren Anwendung eine Erhöhung der<br />

Lebensqualität im Vordergrund steht.“<br />

Das ist schier unverständlich: Eben hieß es noch,<br />

Lebensqualität ist ein Parameter für eine schwerwiegende<br />

Erkrankung, und jetzt ist sie ein Parameter<br />

dafür, dass Medikamente wegen Lifestyle ausgeschlossen<br />

werden: ein Anlass zur Diskussion.<br />

Was bedeutet Lebensqualität? Wenn jemand gefragt<br />

würde, auf einer Skala von 0 bis 10 seine augenblick-<br />

Social Functioning (SF)*<br />

Role-Emotional (RE)<br />

Mental Health (MH)<br />

Summary<br />

Measures<br />

Physical<br />

Health<br />

(PCS)<br />

Mental<br />

Health<br />

(MCS)


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 28<br />

Messung von Lebensqualität - Methodik<br />

AWMF-Leitlinie: Erfassung von Lebensqualität in dermatologischen Studien<br />

� Gütekriterien der Lebensqualitätsinstrumente<br />

1. Reliabilität<br />

a) interne Konsistenz<br />

b) Test-Retest-Reliabilität<br />

2. Validität<br />

a) Konstruktvalidität (z.B. Faktorenanalyse)<br />

b) Externe Validität (konvergente, diskriminante)<br />

3. Sensitivität<br />

a) im zeitlichen Verlauf<br />

b) in Hinblick auf den Therapieeffekt (Responsivität)<br />

4. Re-Validierung bei Übersetzung in andere Sprachen<br />

5. Handhabung des Fragebogens (“feasibility”, Akzeptanz)<br />

Augustin M et al.: Hautarzt 52; 697-700, 2001; JDDG 9, 802-806, 2004<br />

Abbildung 5 Abbildung 6<br />

liche Lebensqualität anzugeben, dann könnte es sein,<br />

dass er nicht damit einverstanden wäre, so reduktionistisch<br />

danach gefragt zu werden. Lebensqualität ist<br />

vielmehr ein multidimensionales Konstrukt mit körperlichen,<br />

emotionalen und sozialen Anteilen (nach Bullinger<br />

1991).<br />

Gesundheitsbezogene Lebensqualität bedeutet das<br />

Ausmaß des Wohlbefindens im körperlichen, psychischen,<br />

sozialen und funktionellen Bereich, und<br />

vor allem auch die Übereinstimmung zwischen erwünschter<br />

und tatsächlicher Befindlichkeit. Das Delta<br />

ist mit von Bedeutung.<br />

Die nahe liegende Frage, ob die Lebensqualität zuverlässig<br />

erfasst werden kann, ist nicht einfach zu<br />

beantworten. Die Kriterien sind je nach Definition<br />

ganz unterschiedlich. Man spricht von gesundheitsbezogener<br />

Lebensqualität und meint klinisch, mit dem<br />

Patienten und mit den Angehörigen zu sprechen.<br />

Das wurde schon immer gemacht. Es wurde nur nicht<br />

so genannt: Lebensqualität erfassen. Wissenschaftlich<br />

wird Lebensqualität erfasst, indem Patienten standardisierte<br />

Fragebögen ausfüllen oder in standardisierten<br />

Interviews befragt werden.<br />

Bei der systematischen Erfassung der Lebensqualität<br />

werden bestimmte Symptome oder Einstellungen erfragt,<br />

z.B.: Haben Sie Schmerzen? Der Patient antwortet<br />

auf einer Antwortskala. Mehrere Fragen<br />

(Items) werden dann zu Skalen, Profilen und globalen<br />

Fragebogenscores zusammengefasst. Eines der am<br />

<strong>Kosten</strong>-Nutzwert-Analyse<br />

<strong>Kosten</strong>-Nutzwert-Analyse über QALYs<br />

Lebensqualität (LQ)<br />

1,0<br />

0,5<br />

0<br />

Qualitäts-adjustierte<br />

Lebensjahre (QALYs)<br />

Lebenszeit<br />

(Jahre)<br />

häufigsten eingesetzten Inventare dieser Art ist der<br />

SF-36 (vgl. Abb. 4, S. 27).<br />

Für die Lebensqualitätsmessung gibt es wie bei allen<br />

diagnostischen Verfahren Gütekriterien, die auch in<br />

einer AWMF-Leitlinie festgehalten sind. Nur Instrumente,<br />

die solchen Gütekriterien entsprechen, sollten<br />

auch eingesetzt werden (vgl. Abb. 5). Alles in allem ist<br />

die Lebensqualitätsforschung somit eine methodisch<br />

fundierte und international anerkannte Wissenschaft.<br />

Spielt die Lebensqualität bei der Wirtschaftlichkeitsbewertung<br />

eine Rolle und wie können wir sie einbringen?<br />

Dies ist eine berechtigte Frage, die diskutiert<br />

werden muss. Theoretisch ist der Vorgang nicht so<br />

schwer. Wir wissen nämlich, wann wir von einer wirtschaftlichen<br />

Maßnahme sprechen: Wenn ein gewisses<br />

Equilibrium zwischen generierten <strong>Kosten</strong> auf der<br />

einen Seite und <strong>Nutzen</strong> auf der anderen Seite vorliegt.<br />

Letztere werden als klinische Parameter oder als Lebensqualität<br />

erfasst.<br />

In der praktischen Umsetzung gibt es in Deutschland<br />

allerdings einen großen Spielraum. Wir haben bisher<br />

keine Handhabe, hier nach allgemeingültigen Kriterien<br />

zu arbeiten.<br />

Ein Beispiel: Wir haben in meiner Sprechstunde zwei<br />

Patienten behandelt, die sehr verzweifelt über ihre<br />

Krankheitsverläufe waren, weil sich über Jahre, trotz<br />

vielfacher Therapieversuche, keine Besserungen ihrer<br />

schweren chronischen Erkrankung zeigten. Die<br />

Patienten litten unter massiven Einbußen der Lebensqualität.<br />

Im Schnitt kosten sie die gesetzliche Kran-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 29<br />

<strong>Kosten</strong>-Nutzwert-Analyse<br />

<strong>Kosten</strong>-Nutzwert-Analyse über QALYs<br />

LQ<br />

1,0<br />

0,5<br />

Abbildung 7<br />

0<br />

Inkrementeller <strong>Nutzen</strong>: 19 � 24 QALYs = 5 QALYs<br />

Inkrementelle <strong>Kosten</strong>: € 150.000<br />

Inkrem. <strong>Kosten</strong>/<strong>Nutzen</strong>: € 30.000/QALY<br />

Lebenszeit<br />

(Jahre)<br />

kenversicherung (GKV) bisher, ohne therapeutischen<br />

Erfolg, durchschnittlich 9.000 Euro. Durch Einsatz<br />

neuer Therapieverfahren (Biologika) wurde die GKV<br />

dann um nochmals den gleichen Betrag belastet, allerdings<br />

konnte nun eine komplette Heilung und Wiedergewinnung<br />

der Lebensqualität erreicht werden.<br />

Unter relativ hohem <strong>Kosten</strong>aufwand wurde somit ein<br />

erheblicher zusätzlicher therapeutischer <strong>Nutzen</strong> geschaffen.<br />

Wie ist hier die Relation zwischen <strong>Kosten</strong> und <strong>Nutzen</strong><br />

zu bewerten? Wer legt sie fest? In Deutschland gibt es<br />

dazu keinen Standard. Wir haben uns hier aus ethischen<br />

und sozialrechtlichen Gründen für den Einsatz<br />

der Innovationen entschieden. Für uns entscheidend<br />

war dabei insbesondere die Maßgabe des Sozialgesetzes<br />

(§ 70 SGB V), nach der eine teurere Therapie<br />

dann durchzuführen ist, wenn nur damit eine humane<br />

Krankenbehandlung erreicht werden kann.<br />

Lebensqualität in der <strong>Kosten</strong>-Nutzwert-Analyse<br />

Die für uns in Deutschland nur qualitativ zu beantwortende<br />

Frage, ob <strong>Nutzen</strong> (Lebensqualität) und <strong>Kosten</strong><br />

in einem akzeptablen Verhältnis zueinander stehen,<br />

wird in anderen Ländern mit pharmakoökonomischen<br />

Methoden durchaus qualitativ gelöst. In einigen Ländern<br />

geschieht dies durch Darstellung der <strong>Kosten</strong> pro<br />

erreichtem QALY. Was ist damit gemeint?<br />

Hinter dem QALY-Ansatz steht der Versuch, therapiebedingte<br />

Veränderungen der Lebensqualität über die<br />

Zeit zu quantifizieren und den generierten <strong>Kosten</strong><br />

gegenüberzustellen. Dazu wird die Lebensqualität<br />

der Patienten (besser gesagt: eine vereinfachte Form<br />

dieses Konstruktes) im zeitlichen Verlauf zunächst<br />

auf einer Skala von 0 (=keine Lebensqualität) bis 1<br />

(=maximale Lebensqualität) aufgetragen. Diese Darstellung<br />

erfolgt bei langzeitlich wirkenden Interventionen<br />

möglichst über die Restlebenszeit. Die Fläche<br />

aus Lebensqualität und Zeit kann man standardisieren,<br />

in dem man sie in Jahre mit voller Lebensqualität<br />

(=qualitäts-adjustierte Lebensjahre, quality-adjusted<br />

life years, QALYs) umrechnet (Abb. 6, S. 28). Nun kann<br />

man ermitteln, in welcher Weise sich die QALYs verändern,<br />

wenn eine definierte Therapie durchgeführt<br />

und darüber – im günstigen Falle – Lebensqualität<br />

über die Zeit hinzugewonnen wird. Die gewonnenen<br />

QALYs werden den eingesetzten <strong>Kosten</strong> gegenübergestellt<br />

und als „inkrementelle <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Rela-<br />

Formal lässt sich dies mit der <strong>Nutzen</strong>funktion<br />

darstellen.<br />

Abbildung 8<br />

tion“ vermittelt (vgl. Abb. 7). In anderen Ländern, beispielsweise<br />

Großbritannien und Niederlande, werden<br />

Allokationsentscheidungen auf der Basis der <strong>Kosten</strong><br />

pro QALY getroffen. Diese Systematik haben wir in<br />

Deutschland nicht. Kritiker wenden z.B. ein, dass<br />

beim QALY-Ansatz mit der Reduktion der gesamten<br />

Wirklichkeit des Patienten hinsichtlich Lebensqualität<br />

und <strong>Nutzen</strong> auf einer Skala von null bis eins zuviel an<br />

entscheidungsrelevanten Informationen auf der<br />

Strecke bleibt (vgl. Abb. 6, S. 28). Wir müssen uns<br />

daher vielen berechtigten Fragen stellen: Wollen wir<br />

Nutzwerte über QALYs abbilden? Bilden wir damit<br />

wirklich relevante Benefits im erweiterten Sinne ab?<br />

Reichen eindimensionale Maße wie QALYs aus, um<br />

Entscheidungen zu fundieren? Wie gehen wir mit<br />

notwendigen Schwellenwerten um und was sind<br />

überhaupt klinisch relevante Differenzen? Alle diese<br />

Probleme sind ungelöst.<br />

Zur Verdeutlichung des Problems der Reduktion von<br />

Patientennutzen auf Lebensqualität soll ein weiteres<br />

Beispiel dienen. Mit der Fragestellung „Wie ist das<br />

Verhältnis von <strong>Nutzen</strong> und Lebensqualität?“ wurden


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 30<br />

<strong>Nutzen</strong>bewertung: Patient Benefit Index (PBI)<br />

Vor Therapie Nach Therapie<br />

Augustin M, Zschocke I: MMW-Fortschr. Med. 148 (1), 25-32, 2006<br />

Abbildung 9 Abbildung 10<br />

Patienten mit chronischen Wunden danach gefragt,<br />

ob die gängigen und bei ihnen eingesetzten Lebensqualitätsmessinstrumente<br />

ihren persönlichen <strong>Nutzen</strong><br />

unter einer gegebenen Therapie widerspiegeln. Resultat<br />

war, dass die Lebensqualitätsinstrumente bei<br />

einem deutlichen Teil der Patienten deren persönlichen<br />

<strong>Nutzen</strong>, so wie sie ihn selbst empfunden hatten,<br />

nicht erfassten. Diese Patienten hatten eher das Gefühl:<br />

Es wird zwar etwas gemessen, aber das, was ich<br />

persönlich wollte, finde ich darin nicht wieder.<br />

Erfassung des patientenrelevanten <strong>Nutzen</strong>s –<br />

der Patienten-<strong>Nutzen</strong>-Index<br />

Patientenseitiger <strong>Nutzen</strong> und Lebensqualität sind offenbar<br />

nicht identische Konstrukte. Über die Erfassung<br />

der Lebensqualität hinaus ist somit ein Ansatz<br />

Patient Benefit Index (PBI)<br />

Patient benefit index<br />

PBI = ∑ k<br />

i=<br />

1<br />

∑<br />

i=<br />

1<br />

k<br />

PNQ<br />

PNQ<br />

i PBQi<br />

Crohnbach‘s alpha = 0.908<br />

i<br />

Häufigkeit<br />

Frequency (n=)<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

Mean = 2,2475<br />

Std. Dev. = 1,04502<br />

N = 180<br />

0<br />

0,00 1,00 2,00 3,00 4,00<br />

Weighted Index gewichtet Index<br />

Augustin M et al., J Dtsch Dermatol Ges 2008, Dermatology 2008, Arch Dermatol Res 2008<br />

Abbildung 11 Abbildung 12<br />

<strong>Nutzen</strong>bewertung: Patient Benefit Index (PBI)<br />

notwendig, mit dem die vielen Teilnutzen, die für Patienten<br />

aus der Behandlung entstehen, zusammengefasst<br />

werden. Formal lässt sich dies mit einer mathematischen<br />

<strong>Nutzen</strong>funktion darstellen (vgl. Abb. 8,<br />

S. 29). In unseren methodischen Projekten zur Entwicklung<br />

von Messverfahren des Patientennutzens<br />

wurde deshalb auch, in Anlehnung an die schon erwähnte<br />

„Glücksformel“ des ökonomischen <strong>Nutzen</strong>s,<br />

eine andere Vorgehensweise zur Erfassung therapeutischen<br />

<strong>Nutzen</strong>s beschritten: Die einzelnen vom Patienten<br />

für relevant befundenen Teilnutzen werden<br />

aufsummiert und daraus ein Gesamt-<strong>Nutzen</strong>-Index<br />

gebildet.<br />

Zu diesem Zweck wurde etwas sehr Simples getan<br />

und die Patienten vor Therapiebeginn einfach nach<br />

ihren persönlichen Präferenzen hinsichtlich möglicher<br />

<strong>Nutzen</strong>bewertung: Patient Benefit Index (PBI)<br />

Patient benefit indices (Anteil (%) Patienten mit PBI >1)<br />

Standard-Versorgung Wundzentrum<br />

49.1% 92.6%<br />

Weighted Index<br />

20<br />

10<br />

0<br />

0,00 1 2 3 1,00 4 5 6 2,00 7 8 9 3,00 10 11 12 4,00


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 31<br />

<strong>Nutzen</strong> der Behandlung befragt. Vorgelegt wurde ihnen<br />

dazu eine vorstrukturierte Liste von 24 Items, die<br />

bereits zuvor aus einem sehr großen Itempool von<br />

Patientenantworten zusammengestellt worden waren<br />

(Abb. 9, S. 30).<br />

Beispielsweise wurde danach gefragt, wie wichtig es<br />

für den Patienten sei, durch die Behandlung schmerzfrei<br />

zu sein. Oder an Lebensfreude zu gewinnen. Das<br />

daraus gewonnene individuelle Profil der einzelnen<br />

Patienten hat gezeigt, dass die Patienten ein sehr<br />

breites Spektrum an persönlichen <strong>Nutzen</strong> erwarten<br />

oder sich wünschen.<br />

Dieses breite Spektrum des patientenseitigen <strong>Nutzen</strong>s<br />

geht weit über den <strong>Nutzen</strong> hinaus, wie er traditionell<br />

in klinischen Studien in Form nur eines Hauptzielparameters<br />

gemessen wird. Der Patient sollte mit<br />

diesem individuellen Spektrum an <strong>Nutzen</strong> in ganzer<br />

Breite ernst genommen werden, indem wir die <strong>Nutzen</strong><br />

insgesamt auch in eine entsprechende Evaluation mit<br />

aufnehmen.<br />

Um dies zu erreichen, wird der Patient nach der Behandlung<br />

mit denselben Items wie zuvor wieder befragt,<br />

jetzt aber mit der Fragestellung: Hat die letzte<br />

Behandlung ihnen geholfen, nach der Therapie (z.B.)<br />

schmerzfrei zu sein (Abb. 10, S. 30)? Aus den einzelnen<br />

Antworten ergibt sich eine Verteilung der erreichten<br />

einzelnen <strong>Nutzen</strong>. Aus den vorher definierten und<br />

gewichteten <strong>Nutzen</strong> und den nach Therapie erreichten<br />

<strong>Nutzen</strong>ergebnissen werden nun produktweise<br />

Teilsummen (=Teilnutzen) gebildet und diese am<br />

Ende aufaddiert (Abb. 11, S. 30). Damit erhält man<br />

einen einzelnen, globalen <strong>Nutzen</strong>wert, den wir „Patient<br />

Benefit Index“ (PBI) genannt haben. Mit den<br />

gemessenen <strong>Nutzen</strong> der einzelnen Patienten kann<br />

man nun über eine Patientengruppe Verteilungskurven<br />

erstellen, die für ein bestimmtes Medikament,<br />

eine Intervention oder eine versorgende Institution<br />

standardisierte <strong>Nutzen</strong>aussagen ermöglichen.<br />

Neben den Verteilungen des <strong>Nutzen</strong>s in einer definierten<br />

Patientengruppe können auch „Response-Raten“<br />

ermittelt werden, die auf Schwellenwerten beruhen.<br />

Als Schwellenwert minimalen <strong>Nutzen</strong>s wurden von<br />

uns beim PBI Werte größer eins angesehen. Beispiel:<br />

Im Vergleich der Versorgungsqualität von Wunden<br />

zwischen einer nicht-spezialisierten Versorgung in<br />

Hausarztpraxen und der spezialisierten Versorgung in<br />

einem Wundzentrum fanden sich mit minimalen <strong>Nutzen</strong>werten<br />

von 49,1% versus 92,6% erhebliche Unterschiede<br />

(Abb. 12, S. 30).<br />

Zusammenfassung: Zusammenschau von<br />

Patienten-berichteten Endpunkten und objektivierbaren<br />

klinischen Endpunkten notwendig<br />

Zusammenfassend ist zu sagen: Die gesundheitsbezogene<br />

Lebensqualität ist eine international akzeptierte<br />

und valide Größe. Sie ist als eines der wichtigsten<br />

„Patient Reported Outcomes“ zur Messung therapeutischer<br />

Effekte aus der Patientenperspektive<br />

geeignet. In den meisten klinischen Situationen ist für<br />

die Patienten jedoch ein möglichst breites Spektrum<br />

an therapeutischem <strong>Nutzen</strong> relevant. Dies wissen alle<br />

diejenigen, die mit Patienten arbeiten. Die Messung<br />

der krankheitsspezifischen Lebensqualität ist dabei<br />

sinnvoll, aber nicht hinreichend zur Abbildung individuellen<br />

<strong>Nutzen</strong>s in seiner ganzen Breite (vgl. Abb. 11<br />

und Abb. 12, S. 30).<br />

Zur Beschreibung der Patienten-relevanten Outcomes<br />

ist daher die Kombination der Erfassung von<br />

Lebensqualität plus individualisierten patientenrelevanten<br />

<strong>Nutzen</strong> (im Sinne von Präferenzen) anzuraten.<br />

Diese Patienten-berichteten Endpunkte sollten in der<br />

<strong>Nutzen</strong>bewertung zudem immer durch objektivierbare<br />

klinische Endpunkte ergänzt werden. Die primär<br />

klinischen Ergebnisparameter sollen somit gar nicht<br />

ausgenommen werden, sondern es sollen ihnen die<br />

Patienten-berichteten Endpunkte an die Seite gestellt<br />

werden.<br />

Den kritischen Stimmen hinsichtlich der Einführung<br />

patientenrelevanter Endpunkte kann überwiegend widersprochen<br />

werden. So ist das Argument, man könne<br />

Lebensqualität nicht zutreffend messen, nicht zu<br />

halten. Sie ist keineswegs ein so „weicher“ Endpunkt.<br />

Auch die Erfassung von Schmerzen durch Patientenangaben<br />

ist notwendiger Bestandteil der Diagnostik,<br />

der ohne dessen spezifische Angaben nicht möglich<br />

wäre. Man würde den Patienten sehr Unrecht tun,<br />

wenn behauptet würde, Schmerzen seien nicht quantifizierbar.<br />

Die häufig geäußerte Befürchtung, der Patient würde<br />

in seinen Wünschen und Forderungen maßlos, wenn<br />

er in die <strong>Nutzen</strong>bewertung und in die Einschätzung<br />

seiner Versorgung einbezogen wird, ist nicht zu halten.<br />

Notwendig ist hier vielmehr eine individualisierte<br />

Ergebnismessung.<br />

Wir tun insgesamt gut daran, Patienten-relevante<br />

Endpunkte in den Entscheidungsfindungen auf klinisch-medizinischer<br />

wie auch auf allokatorischer Ebene<br />

zu berücksichtigen, weil der Patient im Mittelpunkt<br />

der Behandlung steht. Die wissenschaftliche Grundlage<br />

für die Erfassung patientenrelevanter Endpunkte<br />

ist zudem gegeben. © gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 32<br />

Chancen und Risiken für den Patienten<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als Weg von der Rationierung zur Rationalisierung?<br />

Von Dr. med. Dr. phil. Daniel Strech<br />

Vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Ressourcen,<br />

dem demografischen Wandel und einem kostenintensiven<br />

medizinischen Fortschritt sieht sich<br />

Deutschland, wie alle anderen vergleichbaren internationalen<br />

Gesundheitssysteme auch, mit einer in<br />

Zukunft eher noch zunehmenden Mittelknappheit im<br />

Gesundheitswesen konfrontiert.<br />

Aus ethischer, wie auch aus ökonomischer und medizinischer<br />

Perspektive erscheint es geboten, diesem<br />

Problem primär mit Rationalisierungen und Effizienzsteigerungen<br />

entgegenzutreten1 . Mit der Evidenz-basierten<br />

Medizin sind erste Schritte in diese Richtung<br />

durch in Systematik und Transparenz optimierte <strong>Nutzen</strong>bewertungen<br />

und höherwertige klinische Leitlinien<br />

unternommen worden.<br />

Diese Ansätze können und sollten weiter verbessert<br />

werden, hin zu patientenorientierten, die Versorgungswirklichkeit<br />

berücksichtigenden Instrumenten<br />

einer Rationalisierung. Neben der Evidenz-basierten<br />

Medizin werden weitere Rationalisierungspotentiale<br />

diskutiert in der Optimierung der Integrierten Versorgung,<br />

einer verbesserten Kooperation der Gesundheitsberufe<br />

oder der Weiterentwicklung des deutschen<br />

DRG-Systems2 .<br />

Jedoch: Trotz aller Effizienzpotentiale der genannten<br />

Rationalisierungsansätze steht das deutsche Gesundheitswesen<br />

heute und in Zukunft weiter einer<br />

Mittelknappheit gegenüber, die auch aufgrund guter<br />

ethischer Argumente nicht durch eine stete Erhöhung<br />

der sozialstaatlichen Mittel im Gesundheitssektor<br />

kompensiert werden kann und sollte3 .<br />

Gegenwärtig haben wir in Deutschland die Situation,<br />

dass Rationierungen bzw. Leistungsbegrenzungen<br />

auf implizite, verdeckte Art und Weise von Ärztinnen<br />

und Ärzten durchgeführt werden, deren Entscheidungs-<br />

und Handlungsspielraum durch Budgets und<br />

DRGs begrenzt wurde. Diese Maßnahmen zur <strong>Kosten</strong>kontrolle,<br />

wie Budgets und DRGs waren notwendig<br />

geworden, um die Gesundheitsausgaben effektiv<br />

zu begrenzen bzw. den gegenüberstehenden Einnahmen<br />

anzupassen.<br />

Unterschiedliche Kriterien bei der Priorisierung<br />

Diese Form der <strong>Kosten</strong>kontrolle ist einerseits sehr<br />

effektiv, ignoriert andererseits aber deren Auswirkun-<br />

gen auf die Qualität der Versorgung und die Gerechtigkeit<br />

der Ressourcenallokation. Deutsche und internationale<br />

empirische Untersuchungen zeigen, dass<br />

sich Ärztinnen und Ärzte darin unterscheiden, welchen<br />

Kriterien zur Priorisierung von Patienten sie<br />

mehr oder weniger Beachtung schenken 4–6 .<br />

Für die einen spielen die absoluten <strong>Kosten</strong> einer Maßnahme<br />

oder das Patientenalter eine wesentliche Rolle,<br />

andere verweisen auf die praktische Relevanz des<br />

Informationsgrades beim Patienten oder der persönlichen<br />

Beziehung zwischen Arzt und Patient und wieder<br />

andere orientieren sich primär an der Schwere der<br />

Erkrankung oder der Bedürftigkeit des Patienten.<br />

Schlussendlich ergibt sich somit durch die gegenwärtig<br />

vorliegende implizite Rationierung auf der einen<br />

Seite eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine teilweise<br />

ungerechte Bevorzugung bzw. Benachteilung bestimmter<br />

Patientengruppen. Auf der anderen Seite<br />

ergeben sich unklare Auswirkungen auf die Versorgungsqualität.<br />

Von der impliziten zur expliziten Rationierung<br />

Gefordert wird deshalb aus ethischer und medizinischer<br />

Sicht eine bestmögliche Umwandlung der impliziten<br />

in eine explizite Rationierung, welche die bei<br />

Leistungsbegrenzungen angewendeten Kriterien offen<br />

und transparent kommuniziert7, 8 . Aus ethischer<br />

Sicht sind u.a. die <strong>Kosten</strong>effektivität einer medizinischen<br />

Maßnahme, der Schweregrad der Erkrankung<br />

und die Bedürftigkeit des Patienten akzeptable Kriterien<br />

für eine explizite Leistungsbegrenzung.<br />

Soweit generalisierbar sollte die relative Gewichtung<br />

entsprechender Kriterien von demokratisch legitimierten<br />

Institutionen unter Einbeziehung der Betroffenen<br />

und weiterer Interessengruppen in möglichst transparenter<br />

Form stattfinden. Eine valide und praxisorientierte<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> (KNB) bildet zusammen<br />

mit den anderen genannten Kriterien die Grundlage<br />

für eine angemessene explizite Leistungsbegrenzung,<br />

welche eine gerechtere Mittelverteilung<br />

und eine gezielte Schwerpunktsetzung in der Versorgung<br />

(Qualitätssicherung) intendiert.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 33<br />

Chancen und Risiken für den Patienten<br />

In diesem Sinne kann man davon sprechen, dass eine<br />

an sich notwendige Rationierung durch explizite <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

rationaler wird. Die in einer<br />

expliziten Rationierung berücksichtigten Aspekte der<br />

Gerechtigkeit, der Qualitätssicherung und der Rationalität<br />

sind die Chancen für die Patienten hinsichtlich<br />

der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>. Zugleich kann das<br />

Arzt-Patienten-Verhältnis entlastet und das Vertrauen<br />

der Patienten in ihre Ärztinnen und Ärzte bewahrt<br />

werden, wenn die Entscheidungshoheit über die Verteilung<br />

knapper Ressourcen nicht länger in der Hand<br />

der Ärztin oder des Arztes liegt.<br />

Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass eine <strong>Kosten</strong>-<br />

<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> auch einen edukativen Effekt hin<br />

zu Rationalisierungen bei Ärztinnen und Ärzten haben<br />

kann. Wird eine deutlich schlechtere <strong>Kosten</strong>effektivität<br />

für eine im <strong>Nutzen</strong> für die Patienten gleichwertige<br />

Maßnahme nachgewiesen, kann dies die Bereitschaft<br />

zur Rationalisierung und effizienteren Verordnung<br />

bei Ärztinnen und Ärzten verstärken.<br />

Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass sich die<br />

genannten Chancen für die Patienten nicht von allein<br />

ergeben. Sie müssen in der Praxis erst realisiert werden.<br />

Eine explizite Rationierung birgt auch Risiken für<br />

die Patienten. Daten zur <strong>Kosten</strong>effektivität können<br />

ebenso wie reine Effektivitätsdaten durch verschiedene<br />

Einflüsse verzerrt sein (Bias) 9 , was eine rationale<br />

explizite Rationierung erschwert.<br />

Auch unabhängig von Verzerrungseinflüssen auf der<br />

Datenseite müssen Entscheidungen auf der Basis<br />

von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> nicht zwangsläufig<br />

den Prinzipien der Rationalität und Konsistenz folgen.<br />

Potentiell können unterschiedliche Fremdinteressen<br />

in die Entscheidungsfindung einfließen. Diese Fremdinteressen,<br />

wie auch andere für die Öffentlichkeit relevanten<br />

Aspekte der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>, gilt<br />

es, bestmöglich transparent zu machen.<br />

Dabei ist darauf zu achten, dass bereits die initiative<br />

Planung, primäre Ausarbeitung und spätere Modifikation<br />

einer deutschen <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> ausreichend<br />

transparent gemacht wird. Nicht nur die fertigen<br />

Methodenvorschläge zur deutschen KNB oder<br />

die Erläuterungen der Verfasser sollten öffentlich zugänglich<br />

gemacht werden (s. www.iqwig.de), sondern<br />

auch die Diskurse zu möglichen Modifikationen, wie<br />

sie gegenwärtig in zahlreichen Symposien zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

in Deutschland stattfinden.<br />

Erst eine solche umfassende Transparenz ermöglicht<br />

Patienten bzw. Versicherten nachzuvollziehen, was<br />

die strittigen Elemente der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

sind und mit welchen Begründungen (und Werturteilen!)<br />

für oder gegen bestimmte Elemente einer deutschen<br />

KNB argumentiert wird.<br />

Fazit<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> nicht nur aus ökonomischer,<br />

sondern auch aus medizinischer und ethischer<br />

Perspektive ein für die Patienten und Versicherten<br />

praxisrelevantes Potenzial (a) zur Rationalisierung im<br />

Sinne einer Effizienzsteigerung und (b) zur Rationalisierung<br />

der wahrscheinlich unvermeidbaren Rationierungen<br />

hat. Die gegenwärtig durch implizite Rationierungen<br />

geprägte Situation in Deutschland bedarf der<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als Grundbedingung zur<br />

Ermöglichung einer expliziten Rationierung, welche<br />

das ernstzunehmende Potenzial für eine qualitätsorientierte<br />

und gerechtere Ressourcenallokation in sich<br />

trägt.<br />

Ob dieses Potenzial in der Praxis tatsächlich angemessen<br />

umgesetzt wird, bedarf der anhaltenden, Prozess-begleitenden<br />

und kritischen Evaluation, deren<br />

Ermöglichung grundlegend von einer umfassenden<br />

Transparenz in den verschiedenen Schritten der KNB<br />

abhängt.<br />

© gpk<br />

Referenzen<br />

1. Marckmann G: Zwischen Skylla und Charybdis: Reformoptionen<br />

im Gesundheitswesen aus ethischer Perspektive.<br />

Gesundheitsökonomie und Qualitätsmanagement 2007,<br />

12:96-100.<br />

2. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung<br />

im Gesundheitswesen: Kooperation und Verantwortung.<br />

Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung.<br />

Kurzfassung. http://www.svr-gesundheit.de;<br />

2007.<br />

3. Huster S: „Hier finden wir zwar nichts, aber wir sehen<br />

wenigstens etwas“. Zum Verhältnis von Gesundheitsversorgung<br />

und Public Health, vol. Heft 178, Bochum: Zentrum<br />

für Medizinische Ethik; 2008.<br />

4. Strech D, Synofzik M, Marckmann G: How physicians<br />

allocate scarce resources at the bedside. A systematic<br />

review of qualitive studies. Journal of Medicine and Philosophy<br />

2008, 33:80-99.<br />

5. Hurst SA, Huss SC, DuVal G, Danis M: Physicians’ responses<br />

to resource contraints. Arch Intern Med 2005,<br />

165(6):639-644.<br />

6. Strech D, Börchers K, Freyer D, Neumann A, Wasem J,<br />

Marckmann G: Ärztliches Handeln bei Mittelknappheit.<br />

Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie. Ethik in der<br />

Medizin 2008, 20(2).<br />

7. Daniels N, Sabin JE: Setting limits fairly. Oxford: Oxford<br />

University Press; 2002.<br />

8. Zentrale Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze<br />

in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission)<br />

bei der Bundesärztekammer: Priorisierung<br />

medizinischer Leistungen im System der Gesetzlichen<br />

Krankenversicherung (GKV). Deutsches Ärzteblatt 2007.<br />

9. Bell CM, Urbach DR, Ray JG, Bayoumi A, Rosen AB,<br />

Greenburg D, Neumann PJ: Bias in published cost effectiveness<br />

studies: systematic review. BMJ 2006,<br />

332(7543):699-703.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 34<br />

Patiententeilhabe außerhalb<br />

Deutschlands<br />

Systemarchitektur, Staatseinfluss und relative Freiheitsgrade<br />

in sozialen Gesundheitssystemen<br />

Von Günter Danner M. A., Ph.D.<br />

Teilhabe, verstanden als sozialrechtliche Begründung<br />

eines Rechtsanspruches auf adäquate medizinische<br />

Versorgung unabhängig von der eigenen wirtschaftlichen<br />

Leistungskraft, ist ein Kernelement des sozial<br />

organisierten Versorgungsgeschehens an den Gesundheitsmärkten<br />

der EU-Mitgliedstaaten. Sie beschreibt<br />

zunächst nur das – theoretische – Recht,<br />

meist niedergelegt in Verwaltungsvorschriften oder<br />

einer eigenen nationalrechtlichen Gesetzgebung.<br />

In der Praxis stellt sie sich angesichts der 27 völlig<br />

verschiedenen Gesundheitssysteme allerdings für die<br />

Bürger höchst unterschiedlich dar. In der aktuellen<br />

Diskussion über enger werdende Finanzierungsspielräume<br />

bei steigenden künftigen Ausgaben spielt das<br />

etablierte und tatsächlich erlangbare Recht auf Versorgung<br />

eine bedeutende Rolle.<br />

Im Unterschied zum abstrakten Vergleich sozialrechtlicher<br />

Anspruchsnormen ergeben sich jedoch – trotz<br />

wachsender makroökonomischer Tendenz zur Vergemeinschaftung<br />

in der EU – bei Betrachtung des am<br />

Ort jeweils Erlangbaren erhebliche Unterschiede. Diese<br />

wiederum sind verknüpft mit dem jeweils gültigen<br />

Ehrlichkeitsgrad des betreffenden Systems, bzw. dessen<br />

tatsächlichen Möglichkeiten, das auf dem Papier<br />

Versprochene auch nachhaltig zu liefern.<br />

Systemtypologie und Teilhabe<br />

Die derzeitigen Gesundheitssysteme der EU lassen<br />

sich grob in vier Typen untergliedern:<br />

1. Zum einen gibt es die klassischen „Staatsbewirkungsmodelle“<br />

skandinavisch-britischer Prägung.<br />

Diese Gesundheitsdienste sind ganz oder überwiegend<br />

mit Steuermitteln finanziert und zeichnen sich<br />

durch staatsabhängig bzw. staatsunmittelbar beschäftigte<br />

Leistungserbringer aus. Der Staat steht hier<br />

in einer nahezu allmächtigen Position als Herr des<br />

Steuergeschehens, der Verteilung der Steuermittel<br />

und Dienstgeber der an der unmittelbaren Versorgung<br />

beteiligten Einrichtungen. Großbritannien, Mutterland<br />

dieses Modells, Dänemark, Irland, Schweden, Finnland,<br />

Portugal, Italien und Griechenland kennen Varianten<br />

dieses Systemtyps. Wenn die Strukturunterschiede<br />

zwischen diesen Modellen auch hoch sind,<br />

so ist ihnen neben der Steuerfinanzierung insbesondere<br />

der Umstand gemein, dass keine ihrer nationalen<br />

Spielarten ohne beachtliche und regelhafte Wartelisten<br />

in der Versorgung auskommt. Weiterhin ist die<br />

aktive Mitwirkung der Patienten, etwa in Gestalt von<br />

Wahlmöglichkeiten oder direktem Systemeinfluss,<br />

stark begrenzt. Mehr als der jeweilige Hausarzt, oft<br />

auch der in einer Poliklinik, kann nicht frei gewählt<br />

werden. Enge Vorgaben bestehen vielfach hinsichtlich<br />

der Behandlungspfade bzw. der dem Behandler eingeräumten<br />

therapeutischen Freiheiten.<br />

2. Bürgerversicherungsmodelle mit Sozialversicherungscharakter<br />

ohne Wettbewerb bestehen in den<br />

westeuropäischen Mitgliedstaaten in Frankreich, Österreich<br />

und Luxemburg. Hier besteht zwar üblicherweise<br />

keine Wahl zwischen den <strong>Kosten</strong>trägern, jedoch<br />

können mit der Sozialversicherung kooperierende<br />

Ärzte im Rahmen der sozialrechtlichen Vorgaben<br />

ausgewählt werden. Auffällig ist die Tendenz zur Einengung<br />

des Patientenwillens, etwa durch das neue<br />

französische Hausarztmodell. Im Gegensatz zu den<br />

Erwartungen von massiven <strong>Kosten</strong>reduktionen, konnte<br />

diese Tendenz dort bislang noch nicht bestätigt<br />

werden. Solchen Modellen wohnt eine nicht eben<br />

geringe Staatsnähe inne.<br />

3. Sozialversicherungsmodelle mit wettbewerblichem<br />

Charakter existieren in Belgien, Deutschland<br />

und den Niederlanden, wenngleich mit erheblichen<br />

Unterschieden. Gerade das deutsche Modell, daheim


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 35<br />

oft als problematisch deklassiert, zeigt im Vergleich<br />

unter besonderer Berücksichtigung relativer Freiheitsgrade<br />

der Patienten deutliche Stärken. Diesen<br />

wird seine politische Behandlung leider nicht durchgängig<br />

gerecht.<br />

4. Die neuen Mitgliedstaaten des Ostens kennen<br />

nach dem Systemwechsel eine strukturell ähnliche<br />

Entwicklung vom kommunistischen Staatsbewirkungsmodell<br />

hin zu einem Sozialversicherungsmodell<br />

mit deutlichen Ähnlichkeiten zu Deutschland. Dieser<br />

Systemwechsel konnte aus verschiedenen Gründen<br />

nicht vollzogen werden. Mithin blieb die oft mehrjährige<br />

und politisch mühselige Permanenzreform auf halbem<br />

Wege stecken. Unterfinanzierte öffentliche Einrichtungen,<br />

schlechte Entlohnung und unstete Verwaltungsgegebenheiten<br />

haben in den meisten mittelund<br />

osteuropäischen Staaten ein Staatsfondsmodell<br />

in hoher Staatsabhängigkeit entstehen lassen, dass<br />

seinen Versorgungsauftrag oft nur in einem schattenwirtschaftlichen<br />

Umfeld erfüllt. Dieses Element der<br />

quasi-obligaten illegalen, doch bisweilen geduldeten<br />

Zuzahlung durch ohnehin schon wenig verdienende<br />

Patienten, schafft erhebliche soziale Probleme. Lediglich<br />

Estland und Slowenien haben mit beachtlichen<br />

Anstrengungen eine starke Eindämmung des schattenwirtschaftlichen<br />

Elements erreicht.<br />

Rationierung und <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

Rationierung ist heute bei einem hohen politischen<br />

Druck auf die Sozialkosten überall ein wichtiges Thema.<br />

Nur selten allerdings gelingt es, hier transparent<br />

und begründet Leitvorstellungen zu vermitteln. Oft<br />

kommt es zu undeklarierten Leistungsverknappungen,<br />

die dann das System in seiner Darstellung beschädigen<br />

können. Wartelisten sind dafür ein sichtbarer<br />

Ausdruck.<br />

Grundsätzlich ist der Gesundheitsmarkt nicht saturierungsfähig.<br />

Sein unvollkommener Marktcharakter,<br />

das zwangsläufige Wissensgefälle zwischen Leistungsanbietern<br />

und Nachfragern, sowie der Zwang<br />

des Kranken zum medizinischen Konsum umreißen<br />

die hier vom üblichen Konsumgeschehen abweichenden<br />

Einflussquellen.<br />

In allen Systemen beklagen Fachleute fehlende Elemente<br />

zur verbesserten Mittelsteuerung. Die Zergliederung<br />

der Leistungs- und Ausgabensegmente trägt<br />

ebenso dazu bei, dass gelegentlich unter Panikdruck<br />

und Sparzwang eher willkürlich „gestrichen“ wird.<br />

Dies ist makroökonomisch kaum zielführend und<br />

schwächt die Rolle des Kranken. Erst ein rational<br />

erhöhtes Miteinander der Akteure könnte hier Abhilfe<br />

schaffen. Solidargemeinschaften, wie etwa die deutsche<br />

gesetzliche Krankenversicherung (GKV), könnten<br />

morgen noch mehr als heute in die Rolle einer zur<br />

Nachfrage befähigenden Solidarorganisation hineinwachsen.<br />

Die Rolle der EU<br />

Europa hat bei allen enormen ökonomischen Ordnungsmitteln<br />

kein Mandat zur unmittelbaren Systemgestaltung.<br />

Dennoch wächst der EU-Einfluss über<br />

den Binnenmarkt. Eine serielle Rechtsprechung des<br />

Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat seit 1998 unmittelbare<br />

EU-Patientenrechte geschaffen. Diese machen<br />

die Wartelistenpolitik bestimmter nationaler Systeme<br />

mittelfristig aussichtslos und haben bereits<br />

Grundlagen grenzüberschreitender Nachfrage eröffnet.<br />

Ein harmonisiertes EU-Gesundheitswesen wird es<br />

auf absehbare Zeit infolge der enormen Gefälle nicht<br />

geben. Nützlich wäre daher eine verbesserte Synchronisierung<br />

der nationalen Gesundheitsmärkte. Ob<br />

es dazu einer EU-Richtlinie bedarf, oder ob nicht<br />

souveräne Systeme dies auch bi- und multilateral auf<br />

vertraglicher Grundlage organisieren könnten, sei<br />

hier zunächst dahingestellt.<br />

Deutschlands Gesundheitswesen ist besser als sein<br />

Ruf und hat Chancen für ein Markenzeichen im EU-<br />

Umfeld. Dazu bedarf es keines Strukturtransfers auf<br />

andere Staaten. Auch bei einer erkennbaren Erosion<br />

nationaler wirtschaftlicher Gestaltungsmacht, verbleibt<br />

dort die Systemverantwortung. Komplexe ökonomische<br />

Anstrengungen sind jedoch nötig, um die<br />

künftige Teilhabe am Gesundheitsmarkt sicherzustellen.<br />

Systemsicherung verlangt daher morgen von den Mitwirkenden<br />

mehr Kompromissbereitschaft als heute.<br />

Mit seiner Selbstverwaltung und dem entwickelten<br />

Vertragswesen in der Beschaffung hat Deutschland<br />

hier ein zwar kompliziertes, jedoch gestaltbares System,<br />

das es zu bewahren und fortzuentwickeln gilt.<br />

Unterbleibt dies, so droht ein Staatsmodell in scheinbarer<br />

Leistungsfähigkeit, wie an vielen Orten in der<br />

EU. Alle Systembeteiligten hätten dann etwas verloren.<br />

© gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 36<br />

<strong>Kosten</strong>zuwächse bei neuen Wirkstoffen<br />

am Beispiel der Onkologie:<br />

Welche Ergebnisse benötigen wir zu patientenrelevanten Endpunkten aus klinischen Studien?<br />

Von Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig<br />

Einleitung<br />

Die Zahl der Krebspatienten steigt und wird in Zukunft<br />

weiter zunehmen. Derzeit liegt das mediane Alter der<br />

Krebserkrankungen für Frauen bei 67 Jahren, das der<br />

Männer bei 66 Jahren (Abb. 1). Sechzig Prozent aller<br />

Krebserkrankungen treten bei Patientinnen und Patienten<br />

über 65 Jahren auf. Europaweit liegt die Inzidenzrate<br />

derzeit für die unter 65-Jährigen bei etwa<br />

200 Krebserkrankungen pro 100.000 Einwohner, für<br />

die 65-jährigen und älteren Patienten sind es bereits<br />

rund 2.000. Entsprechend sind die Mortalitätsraten.<br />

Angesichts einer Bevölkerung mit immer mehr alten<br />

Menschen ist mit einer starken Zunahme der Krebserkrankungen<br />

in den nächsten Jahren zu rechnen.<br />

Derzeit sind rund fünfzehn Prozent der Gesamtbevölkerung<br />

über 65 Jahre alt, im Jahr 2040 werden es<br />

etwa 25 Prozent sein. Daher ist zu erwarten, dass sich<br />

Krebserkrankungen zwischen 2015 und 2020 zur<br />

häufigsten Todesursache in Europa entwickeln werden.<br />

Abbildung 1<br />

Vor diesem Hintergrund ist es sehr erfreulich, dass<br />

große Fortschritte auf dem Gebiet der Grundlagenforschung<br />

von Krebserkrankungen erzielt werden konnten.<br />

1 Insbesondere molekulargenetische Untersuchungen<br />

haben in den letzten 20 Jahren entscheidend<br />

zu einem besseren Verständnis der Pathogenese<br />

von Tumorerkrankungen beigetragen. 2 Parallel<br />

hierzu sind, auch aufgrund der seit etwa 1990 erfolgten<br />

Annäherung zwischen onkologischer Grundlagenforschung<br />

und klinischer Onkologie, wichtige Fortschritte<br />

erzielt worden in der molekularen Diagnostik<br />

von Tumorerkrankungen, Identifikation molekularer<br />

Marker für die Definition von Risikogruppen und Entwicklung<br />

neuer, gegen zelluläre bzw. molekulare Zielstrukturen<br />

gerichteter medikamentöser Therapiestrategien<br />

(sog. „targeted therapy“). 3 Zu diesen Zielstrukturen<br />

zählen heute Wachstumsfaktoren bzw. deren<br />

Rezeptoren, die das Wachstum epithelialer Zellen<br />

(z.B. epidermale Wachstumsfaktoren, EGF) oder die<br />

Neoangiogenese in Tumoren (z.B. vaskulärer endo-<br />

Krebs insgesamt: 436.500 Neuerkrankungen<br />

mittleres Erkrankungsalter Frauen 67, Männer 66 Jahre<br />

RKI, Krebs in Deutschland, 2003-2004, 6. Auflage 2008<br />

Abbildung 3.1.1<br />

Schätzung der altersspezifischen Inzidenz in Deutschland 2004, ICD-10 Coo–97 ohne C44<br />

Neuerkrankungen pro 100.000 in Altersgruppen<br />

3.000<br />

2.500<br />

2.000<br />

1.500<br />

1.000<br />

500<br />

0–14 15–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70–74 75–79 80–84 85+<br />

Männer Frauen Altersgruppe


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 37<br />

thelialer Wachstumsfaktor, VEGF) stimulieren, Tyrosinkinasen,<br />

die an der Signalübertragung beteiligt<br />

sind und zelluläre Vorgänge wie Zellwachstum und<br />

Überleben regulieren, Proteasom-Inhibitoren, Zellzyklus-Proteine<br />

sowie Modulatoren des programmierten<br />

Zelltodes (Apoptose).<br />

Neue Wirkstoffe in der Onkologie: Möglichkeiten<br />

und Risiken<br />

Das Wissen über neue Therapiemöglichkeiten für<br />

Krebserkrankungen hat von diesen Erkenntnissen<br />

der Grundlagenforschung im letzten Jahrzehnt sehr<br />

profitiert. Etwa um die Jahrtausendwende kam der<br />

erste zielgerichtete Wirkstoff zur Behandlung der<br />

chronischen myeloischen Leukämie auf den Markt –<br />

Imatinib. Heute verschlingt dieser, ursprünglich als<br />

„orphan drug“ (Arzneimittel für seltene Krankheiten)<br />

zugelassene Wirkstoff, bereits rund fünfzig Prozent<br />

des Umsatzvolumens aller im Arznei-Verordnungsreport<br />

2007 erfassten Ausgaben für Zytostatika in der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). 4<br />

Derzeit befinden sich mehr als 400 neue onkologische<br />

Wirkstoffe von etwa 180 pharmazeutischen Herstellern<br />

in unterschiedlichen Phasen der klinischen Prüfung.<br />

3 Es kann davon ausgegangen werden, dass die<br />

Mehrzahl dieser Arzneimittel – wahrscheinlich achtzig<br />

Arzneiverordnungs-Report 2007*:<br />

Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen in der Onkologie<br />

• insgesamt 27 Arzneimittel neu zugelassen<br />

• Hämatologie/Onkologie: N = 6<br />

• (Clofarabin, Dasatinib, Deferasirox, Dexrazoxan, Sorafenib, Sunitinib)<br />

• A - innvovative Struktur bzw. neuartiges Wirkprinzip<br />

mit therapeutischer Relevanz: N=3<br />

• B - Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer<br />

Eigenschaften bereits bekannter Wirkprinzipien: N=3<br />

• Grundlage der Zulassung-(Studien): Phase-I- (Clofarabin), Phase-I/II-<br />

(Dasatinib), Phase-III- vs. Placebo bzw. IFN-a (Sorafen-, Sunitinib),<br />

Phase-III- vs. Deferoxamin, Phase-II- (Dexrazoxan); unterschiedliche<br />

Endpunkte<br />

• keine „head-to-head“ Vergleiche, selten Überlebensvorteil<br />

➔ Sicherheit?, Patientennutzen?<br />

* U. Schwabe & D. Paffrath (Hrsg.), Springer 2008<br />

Abbildung 2<br />

bis neunzig Prozent – nicht zugelassen wird, weil sie<br />

in den klinischen Prüfungen infolge unzureichender<br />

Wirksamkeit und/oder gravierender Risiken scheitern.<br />

Doch etwa fünf bis 10 Wirkstoffe pro Jahr werden den<br />

Sprung auf den Markt schaffen, sodass weltweit in<br />

den nächsten fünf Jahren mit rund vierzig neuen<br />

Wirkstoffen zu rechnen ist. Insgesamt wird der Marktanteil<br />

für onkologische, aber auch immunologische<br />

und antientzündliche Wirkstoffe in den nächsten Jahren<br />

deutlich steigen. Bereits im Jahr 2007 waren von<br />

den neunzehn in den USA neu zugelassenen Wirkstoffen<br />

knapp ein Drittel für die Onkologie bestimmt. 5<br />

In Deutschland waren laut dem Arzneiverordnungs-<br />

Report 2007 sechs von insgesamt 27 neu zugelassenen<br />

Arzneimitteln für die Behandlung von Blut- oder<br />

Krebserkrankungen bestimmt (Abb. 2).<br />

Geht die Entwicklung weiter wie geplant, werden in<br />

den nächsten Jahren zahlreiche neue zielgerichtete<br />

Wirkstoffe dieser Art mit Jahrestherapiekosten häufig<br />

über 40.000 Euro zugelassen werden. Es ist leicht zu<br />

berechnen, welche <strong>Kosten</strong> auf die GKV zukommen,<br />

wenn zehn, zwanzig oder dreißig ähnlich teure Wirkstoffe<br />

auf den Markt kommen. Diese Entwicklung wurde<br />

zu Recht auch als „systemsprengende Wirkung“<br />

neuer Wirkstoffe in der Onkologie bezeichnet. 6<br />

Weltweit betrug der Umsatz der in der Onkologie<br />

eingesetzten Wirkstoffe im Jahr 2003 rund 37 Milliarden<br />

US-Dollar. Im Jahr 2010 rechnet<br />

man mit einer fast doppelt so<br />

hohen Summe von rund 66 Milliarden<br />

Dollar, möglicherweise<br />

auch mit mehr. 3 Teilweise sind für<br />

einzelne Wirkstoffe in der Onkologie<br />

Umsatzsteigerungen um bis<br />

zu 300 Prozent zu erwarten. Den<br />

Löwenanteil dieser <strong>Kosten</strong> werden<br />

die zur Behandlung von<br />

Krebserkrankungen (etwa 33 Prozent)<br />

und zur supportiven Therapie<br />

eingesetzten Wirkstoffe (etwa<br />

32 Prozent) ausmachen. Zytostatika<br />

mit etwa 24 Prozent und antihormonelle<br />

Therapien mit 11 Prozentspielen<br />

hingegen eine deutlich<br />

geringere Rolle.<br />

In der Euphorie über die Verfügbarkeit<br />

einer Vielzahl neuer medikamentöser<br />

Therapieoptionen in<br />

der Onkologie wird leider gerne<br />

übersehen, dass unsere Kenntnisse<br />

über die Bedeutung der


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 38<br />

Elderly Patients (%)<br />

80<br />

70<br />

73<br />

Reihe1 SWOG Reihe2 U.S.<br />

72<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

56<br />

Abbildung 3<br />

Bladder<br />

19<br />

44<br />

Brain<br />

9<br />

49<br />

Breast<br />

Patienten > 65 Jahre in klinischen Studien<br />

der Onkologie unterrepräsentiert*<br />

Cervical<br />

Colorectal<br />

Head and<br />

neck<br />

Leukemia<br />

Zielstrukturen für das Tumorwachstum und die exakten<br />

Wirkmechanismen neuer Arzneimittel noch sehr<br />

lückenhaft sind. Auch mit zielgerichteten Wirkstoffen<br />

wird heute eine Heilung bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen<br />

nur sehr selten erreicht und wie bei<br />

Zytostatika können auch unter dieser Therapie<br />

schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW)<br />

sowie Resistenzen auftreten. Die Verwendung von<br />

Begriffen wie „Targeted Therapy Revolution“, „PanTumorKonzept“<br />

bzw. „Vierte Dimension“ der Krebsbehandlung<br />

(neben Chirurgie, Strahlen- und zytostatischer<br />

Therapie) dient vorwiegend der Vermarktung<br />

und berücksichtigt nicht, dass die „Magic Bullets“ für<br />

die Krebstherapie bisher noch nicht gefunden wur-<br />

3, 7, 8 den.<br />

Qualitätsdefizite bei klinischen Studien<br />

Die Datenlage für die neu zugelassenen Arzneimittel<br />

ist in vielen Fällen unbefriedigend. Wesentliche Gründe<br />

hierfür sind, dass vor Zulassung durchgeführte<br />

klinische Studien häufig nicht aussagekräftig sind für<br />

die Verordnung der Arzneimittel nach Zulassung (z.B.<br />

ältere Patienten nicht adäquat berücksichtigt, restriktive<br />

Ein- und Ausschlusskriterien, kurze Beobach-<br />

7<br />

24<br />

40<br />

24<br />

49<br />

27<br />

63<br />

39<br />

Lung<br />

Lymphoma<br />

Type of Cancer<br />

Melanoma<br />

Myeloma<br />

Ovarian<br />

164 klinische Studien (SWOG), N=16396 Patienten<br />

* Hutchins LF et al.: NEJM 1999;341:2061<br />

66<br />

16<br />

14<br />

22<br />

37<br />

25<br />

70<br />

30<br />

48<br />

38<br />

73<br />

Pancreatic<br />

64<br />

77<br />

Prostate<br />

29<br />

44<br />

Soft-tissue<br />

sarcoma<br />

tungsdauer) und die Sicherheit neuer Arzneimittel in<br />

Zulassungsstudien nicht abschließend beurteilt werden<br />

kann.<br />

Die unzureichende Berücksichtigung älterer Patienten<br />

in Zulassungsstudien von neuen Wirkstoffen in<br />

der Onkologie ist wiederholt thematisiert worden. Ein<br />

Beispiel ist das Multiple Myelom, eine spezielle Form<br />

des Knochenmarkkrebs, dessen medianes Erkrankungsalter<br />

bei etwa 70 Jahren liegt. Laut einer Studie<br />

von Laura F. Hutchins et al. 9 aus dem Jahr 1999 waren<br />

siebzig Prozent aller Myelompatienten in den USA zu<br />

diesem Zeitpunkt 65 Jahre oder älter. Demgegenüber<br />

ergab jedoch die Auswertung von 164 Studien einer<br />

führenden nordamerikanischen Studiengruppe, der<br />

Southwest Oncology Group (SWOG), dass nur etwa<br />

25 Prozent der Myelompatienten, die in klinische Studien<br />

der SWOG eingeschlossen worden waren, dieser<br />

Altersgruppe angehörten (Abb. 3). Ein ähnliches<br />

Ungleichgewicht in der Verteilung von älteren und<br />

jüngeren Patienten findet sich auch in klinischen Studien<br />

bei anderen Krebserkrankungen (Abb. 3).<br />

Die von den Zulassungsbehörden anhand der klinischen<br />

Studien vor Zulassung zu beurteilende Frage<br />

nach dem <strong>Nutzen</strong>-Risiko-Verhältnis in einer gut cha-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 39<br />

rakterisierten, für den medizinischen Alltag relevanten<br />

Zielpopulation kann aufgrund des Designs dieser Studien<br />

häufig nicht endgültig beantwortet werden. Als<br />

geeignete, für die Beurteilung der Wirksamkeit neuer<br />

Wirkstoffe bei Krebspatienten relevante Endpunkte<br />

gelten in klinischen Studien (insbesondere der Phase-III)<br />

heute das Gesamtüberleben, das krankheitsfreie<br />

Überleben bzw. die Zeit bis zum Progress einer<br />

Erkrankung, die Lebensqualität und die Toxizität der<br />

verabreichten Arzneimittel. Weiterhin werden jedoch<br />

häufig für die Patienten weniger relevante und auch<br />

prognostisch nicht aussagekräftige Parameter, wie<br />

z.B. das Ansprechen einer Krebserkrankung auf einen<br />

neuen Wirkstoff, als primäre Endpunkte untersucht<br />

und gelegentlich von den Zulassungsbehörden<br />

sogar als Hinweis für eine bessere Wirksamkeit gegenüber<br />

den verfügbaren alternativen Therapieoptionen<br />

akzeptiert.<br />

Laut einer Studie von J.R. Johnson et al. 10 basierten<br />

bei der nordamerikanischen Food and Drug Administration<br />

(FDA) rund 68 Prozent aller Zulassungen für<br />

Zytostatika in den Jahren 1990 bis 2002 auf anderen<br />

Endpunkten als dem Gesamtüberleben. Aktuelle Analysen<br />

zeigen, dass dieses Problem nicht nur auf die<br />

USA zutrifft, sondern auch auf europäische Länder.<br />

G. Apolone et al. 11 untersuchten primäre Endpunkte<br />

Clinical trial<br />

design (48 trials)<br />

RCT 25<br />

SAT 19<br />

NC-RCT 4<br />

Overall survival<br />

TTP/PFS<br />

Response rate<br />

Other a<br />

Survival 4<br />

Resp. rate 30<br />

TTP/PFS 14<br />

No.<br />

2<br />

11<br />

13<br />

1<br />

* Apolone G et al.: Br J Cancer 2005; 93: 504-9<br />

Abbildung 4<br />

Primäre Endpunkte in Zulassungsstudien<br />

von Wirkstoffen gegen Krebs<br />

(EMEA: 14 Wirkstoffe, 27 Indikationen, 1995-2004)*<br />

Type of end<br />

point (primary)<br />

(48 trials)<br />

Difference in<br />

survival, when<br />

available (13 trials)<br />

Range 0–3.7 months<br />

Mean 1.5 (months)<br />

Median 1.2 (months)<br />

in Zulassungsstudien der europäischen Arzneimittel-<br />

Agentur (EMEA) bei insgesamt vierzehn Wirkstoffen<br />

für 27 onkologische Anwendungsgebiete (Abb. 4). Die<br />

meisten der zwischen 1995 und 2004 erteilten Zulassungen<br />

basierten demnach auf der Ansprechrate<br />

oder der Zeit bis zum Progress der Erkrankung, ähnlich<br />

wie dies auch bei der FDA der Fall war. Nur in zwei<br />

Anwendungsgebieten basierte die Zulassung auf<br />

dem primären Endpunkt Gesamtüberleben. Häufig<br />

lagen somit sowohl in den USA als auch in Europa für<br />

Wirkstoffe, die zwischen 1990 und 2004 zugelassen<br />

wurden, nur Ergebnisse zu so genannten Surrogatmarkern<br />

vor, die keine sichere Aussage zur Verbesserung<br />

der Prognose oder zur Lebensqualität erlauben.<br />

Eine weitere aktuelle Publikation 12 untersuchte den<br />

Zusatznutzen („added value“) von elf neuen Wirkstoffen,<br />

die zwischen 1995 und 2006 von der EMEA zur<br />

Behandlung hämatologischer Neoplasien zugelassen<br />

wurden (Abb. 5, S. 40). Darunter befanden sich vier<br />

Biopharmazeutika, drei monoklonale Antikörper und<br />

drei so genannte „small molecules“ (z.B. Imatinib). Die<br />

Autoren analysierten 25 Studien mit insgesamt jedoch<br />

nur 6011 Patienten. Anders als z.B. in der Kardiologie<br />

ist die Zahl der Studienteilnehmer in der<br />

Onkologie eher niedrig, in klinischen Prüfungen der<br />

Phase-III häufig geringer als 500 –1000 Patienten/<br />

Studie. In zwölf von 17 Anwendungsgebieten<br />

wurde die An-<br />

%<br />

7<br />

41<br />

48<br />

4<br />

sprechrate und nur in zwei das<br />

Gesamtüberleben als primärer<br />

Endpunkt ausgewertet. Aufgrund<br />

methodischer Mängel im Studiendesign<br />

bzw. der ausgewählten<br />

Endpunkte konnte deshalb nur<br />

bei etwa einem Drittel der untersuchten<br />

Wirkstoffe ein Zusatznutzen<br />

überzeugend nachgewiesen<br />

werden.<br />

Auch die von Van Luijn et al. 13 im<br />

Jahr 2006 publizierte Auswertung<br />

zur Berücksichtigung therapeutisch<br />

wirksamer Kontrollen („active<br />

control“) in den Vergleichsarmen<br />

randomisierter kontrollierter<br />

Studien (RCT) verdeutlicht, dass<br />

eine evidenzbasierte <strong>Bewertung</strong><br />

des Zusatznutzens zum Zeitpunkt<br />

der Zulassung häufig nicht möglich<br />

ist, da in den bei der Zulassung<br />

berücksichtigten RCTs nur<br />

in 6 von 16 klinischen Prüfungen


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 40<br />

in der Onkologie der neue Wirkstoff gegen eine aktive<br />

Kontrollsubstanz (RaCTs) verglichen wurde.<br />

Die im Arzneiverordnungs-Report 20074 bewerteten<br />

neuen Arzneimittel des Jahres 2006 bestätigen diese<br />

Ergebnisse. Laut Arzneiverordnungs-Report basierte<br />

die Zulassung der sechs für die Behandlung von Blutoder<br />

Krebserkrankungen vorgesehenen neuen Arzneimittel<br />

auch auf Ergebnissen von Phase-I/II-Studien,<br />

in denen ein Vergleich des neuen Wirkstoffs mit<br />

dem etablierten medizinischen Standard grundsätzlich<br />

nicht erfolgt (Abb. 2, S. 37). Ein Überlebensvorteil<br />

für den neuen Wirkstoff konnte deshalb auch nur<br />

selten gezeigt werden. Derartige Zulassungsstudien<br />

erlauben deshalb fast nie eine endgültige <strong>Nutzen</strong>-<br />

Risiko-<strong>Bewertung</strong> eines neuen Wirkstoffs.<br />

Leider werden viele klinische Zulassungsstudien in<br />

der Onkologie auch vorzeitig abgebrochen, weil der<br />

neue Wirkstoff schon vor der regulären Beendigung<br />

der klinischen Prüfung einen vorher definierten, auf<br />

die Wirksamkeit abzielenden Endpunkt erreicht hat<br />

und deshalb den Patienten nicht länger vorenthalten<br />

werden soll. Eine aktuelle Studie von Trotta et al. 14<br />

vom April 2008 hat untersucht, wie häufig in den<br />

Jahren 1997– 2007 Studien in der Onkologie nach<br />

Zwischenanalysen vorzeitig abgebrochen wurden. In<br />

dem untersuchten Zeitraum hat die Zahl der vorzeitig<br />

beendeten RCTs deutlich zugenommen (1997–2004:<br />

(Zusatz-)<strong>Nutzen</strong> bei Zulassung<br />

für hämatologische Neoplasien bewiesen?<br />

(EMEA: 11 neue Wirkstoffe, 1995-2006)*<br />

• Grundlage der <strong>Bewertung</strong> EPAR (zentralisiertes Verfahren)<br />

• keine (anti-)hormonelle Therapie, CSF, supportive Arzneimittel<br />

• 11 Wirkstoffe (u.a. 4 Biopharmazeutika, 3 monoklonale Antikörper,<br />

3 „small molecules“)<br />

für 19 Indikationen (11 neue Zulassungen, 8 Indikationsausweitungen)<br />

• klinische Studien (N=25 mit 6011 Patienten)<br />

– Basis der Zulassung: „Single-Arm Trials“ N=9, RCTs N=8<br />

– aktive Vergleichssubstanz in 8/17 Entwicklungsprogrammen<br />

– keine Standardtherapie verfügbar bei 2 Indikationen<br />

• Endpunkte („Response“ 12/17, Gesamtüberleben 2/17)<br />

• „added value“ (harter Endpunkt, eindeutiger klinischer Effekt,<br />

adäquate Vergleichssubstanz) nur bei 4/11 Wirkstoffen<br />

* Bertele V et al.: Eur J Clin Pharmacol 2007; 63:713-9<br />

Abbildung 5<br />

11 RCTs versus 2005–2007: 14 RCTs). Ergebnisse<br />

von knapp 50 Prozent der vorzeitig beendeten RCTs<br />

wurden bei der Zulassung berücksichtigt. Grundsätzlich<br />

besteht jedoch die Gefahr, dass in vorzeitig beendeten<br />

RCTs die Wirksamkeit eines neuen Wirkstoffs<br />

überschätzt und unerwünschte Arzneimittelereignisse<br />

nicht entdeckt werden können. Der vorzeitige Abbruch<br />

von RCTs erschwert auch die Festlegung der<br />

bestmöglichen Therapie für den Patienten und die<br />

Sicherheit neuer Wirkstoffe kann nicht garantiert werden.<br />

Resümee und Perspektiven<br />

Es bestehen derzeit in der Onkologie erhebliche Defizite<br />

beim Design klinischer Studien, wie z.B. der<br />

Definition patientenrelevanter Endpunkte, der Auswahl<br />

geeigneter Vergleichssubstanzen im Kontrollarm<br />

von RCTs und dem vorzeitigen Abbruch klinischer<br />

Studien nach Zwischenanalysen. Aufgrund dieser<br />

Mängel ist kurz nach Zulassung die Beurteilung des<br />

Zusatznutzens sowie der Sicherheit neuer Wirkstoffe<br />

in der Onkologie und somit auch eine <strong>Nutzen</strong>-Risiko-<br />

<strong>Bewertung</strong> häufig nicht möglich. Diese Tatsache wird<br />

eine objektive <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> neuer kostenintensiver<br />

Wirkstoffe in der Onkologie erschweren,<br />

wenn nicht unmöglich machen. Vor diesem Hintergrund<br />

ist es außerordentlich wichtig, dass nach Zulassung<br />

neuer Wirkstoffe in der Onkologie<br />

rasch der Zusatznutzen im<br />

Vergleich zur Standardtherapie<br />

untersucht und bisher unbekannte<br />

unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />

durch konsequente Anwendung<br />

geeigneter Pharmakovigilanz-Systeme<br />

entdeckt werden.<br />

Zu diesem Zweck benötigen wir<br />

unabhängig von kommerziellen Interessen<br />

geplante und ausgewertete<br />

klinische Studien, deren Ergebnisse<br />

auch Voraussetzung<br />

sind für die Formulierung evidenzbasierter<br />

Leitlinien bzw. Empfehlungen<br />

für eine rationale Verordnung<br />

neuer Wirkstoffe. Die Finanzierung<br />

und Planung dieser Studien<br />

erfordert ein Umdenken aller an<br />

der Entwicklung, Erprobung, Verordnung<br />

und Erstattung neuer<br />

Wirkstoffe beteiligten Personen<br />

bzw. Institutionen in unserem Gesundheitssystem.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 41<br />

Forschung und Therapie sind derzeit in Deutschland<br />

und Europa deutlich unterfinanziert. Pro Kopf werden<br />

von der öffentlichen Hand in Europa derzeit für die<br />

Krebsforschung durchschnittlich 2,56 Euro ausgegeben.<br />

In den USA sind es demgegenüber 17,63 Euro. 15<br />

Wenn die unbestreitbaren Fortschritte in der onkologischen<br />

Grundlagenforschung in vernünftige Bahnen<br />

gelenkt und zum <strong>Nutzen</strong> der Patienten unter Berück-<br />

Literatur<br />

1. Hanahan D, Weinberg RA: The hallmarks of cancer. Cell<br />

2000; 100: 57-70.<br />

2. Fröhling S, Döhner H: Chromosomal abnormlities in<br />

cancer. N Engl J Med 2008; 359: 722-734.<br />

3. Chabner BA, Roberts T: Chemotherapy and the war on<br />

cancer. Nature Rev Cancer 2006; 6: S43-S50.<br />

4. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report<br />

2007. Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2008.<br />

5. Hughes B: 2007 FDA drug approvals: a year of flux. Nat<br />

Rev Drug Discov 2008; 7: 107-109.<br />

6. Bausch J: Teure Tyrosinkinasehemmer mit systemsprengender<br />

Wirkung. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP)<br />

2007; 34: 94-96.<br />

7. Ludwig WD: Zielgerichtete medikamentöse Therapiestrategien<br />

in der Onkologie. Bremer Ärzte 2006; 59: 12-13.<br />

8. Ludwig WD: <strong>Nutzen</strong>-Risiko-<strong>Bewertung</strong> neuer Arzneimittel<br />

in der Onkologie. Das Ziel ist Rationalisierung statt<br />

Rationierung. In/Fo/Onkologie 2008; 11: 75.<br />

9. Hutchins LF, Unger JM, Crowley JJ et al.: Underrepresentation<br />

of patients 65 years of age or older in cancertreatment<br />

trials. N Engl J Med 1999; 341: 2061-2067.<br />

10. Johnson JR, Williams G, Pazdur R: End points and United<br />

States Food and Drug Administration approval of oncology<br />

drugs. J Clin Oncol 2003; 21: 1404-1411.<br />

11. Apolone G, Joppi R, Bertele V, Garattini S: Ten years of<br />

marketing approvals of anticancer drugs in Europe: regulatory<br />

policy and guidance documents need to find a<br />

balance between different pressures. Br J Cancer 2005;<br />

93: 504-509.<br />

12. Bertele V, Banzi R, Capasso F et al.: Haematological<br />

anticancer drugs in Europe: any added value at the time<br />

of approval? Eur J Clin Pharmacol 2007; 63: 713-719.<br />

13. van Luijn JC, Gribnau FW, Leufkens HG: Availability of<br />

comparative trials for the assessment of new medicines<br />

in the European Union at the moment of market authorization.<br />

Br J Clin Pharmacol 2007; 63: 159-162.<br />

14. Trotta F, Apolone G, Garattini S, Tafuri G: Stopping a trial<br />

early in oncology: for patients or for industry? Ann Oncol<br />

2008; 19: 1347-1353.<br />

15. Eckhouse S, Sullivan R: A survey of public funding of<br />

cancer research in the European union. PLoS Med 2006;<br />

3: e267. 2. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report<br />

2007. Heidelberg: Springer Medizin Verlag,<br />

2008.<br />

16. Messersmith WA, Ahnen DJ: Targeting EGFR in colorectal<br />

carcinoma. N Engl J Med 2008; 359: 1834-1836.<br />

sichtigung der vorhandenen Ressourcen vernünftig<br />

umgesetzt werden sollen, muss in klinische Versorgungsforschung<br />

und unabhängige Phase-IV-Studien<br />

verstärkt investiert werden. Durch eine gezielte öffentliche<br />

Förderung von klinischen Studien nach Zulassung<br />

– im Rahmen der Versorgungsforschung oder<br />

bei häufig offenen Fragen zum <strong>Nutzen</strong> neuer Wirkstoffe<br />

im Rahmen von als RCTs durchgeführten Phase-<br />

IV-Studien – können mittelfristig Arzneimittelkosten<br />

gesenkt und wissenschaftliche Erkenntnisse erarbeitet<br />

werden, die eine korrekte, von kommerziellen Interessen<br />

unabhängige Information der Patienten über<br />

neue Wirkstoffe ermöglichen. Diese Studien könnten<br />

wesentlich dazu beitragen, die zum Zeitpunkt der<br />

Zulassung noch offenen, patientenrelevanten Fragen<br />

(z.B. zur Dosierung, Behandlungsdauer und Sicherheit)<br />

zumindest teilweise zu beantworten und somit<br />

als Basis für eine bessere <strong>Nutzen</strong>-Risiko- bzw. <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

neuer Wirkstoffe in der Onkologie<br />

zu dienen.<br />

Unbedingt überdacht werden muss die derzeit bei<br />

vielen neuen Wirkstoffen verfolgte Strategie („Gießkannenprinzip“),<br />

sehr große Patientenkollektive (häufig<br />

>50.000) im Rahmen von „Expanded Access“ Programmen<br />

oder unkontrolliertem Einsatz nach Zulassung<br />

zu behandeln, obwohl bereits in klinischen Studien<br />

deutlich wurde, dass nur ein kleiner Prozentsatz<br />

der Patienten von den zielgerichteten Wirkstoffen tatsächlich<br />

profitiert. In kritischen Editorials zu den Ergebnissen<br />

klinischer Studien mit zielgerichteten Therapiestrategien<br />

16 , aber auch von europäischen und<br />

nordamerikanischen Zulassungsbehörden für Arzneimittel<br />

(EMEA, FDA), wird deshalb inzwischen gefordert,<br />

dass bei innovativen Tumorbehandlungen nach<br />

Identifizierung einer molekularen Zielstruktur und eines<br />

therapeutischen Liganden rasch versucht werden<br />

muss, anhand gründlicher Untersuchungen mittels<br />

pharmakologischer (molekularer) Techniken die Patientensubgruppen<br />

zu identifizieren, die auf diesen<br />

Wirkstoff tatsächlich ansprechen. Korrelationen zwischen<br />

molekularen Parametern und Therapieansprüchen<br />

müssen deshalb fester Bestandteil zukünftiger<br />

klinischer Phase-II- und Phase-III-Studien sein, da es<br />

unter zellbiologischen, aber auch unter ethischen und<br />

pharmakoökonomischen Gesichtspunkten nicht mehr<br />

vertretbar ist, dass nach Zulassung zielgerichteter<br />

Arzneimittel alle Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen<br />

diese sehr teuren Wirkstoffe erhalten,<br />

von denen sie häufig nicht profitieren, die aber zu<br />

potenziell schweren UAWs führen können.<br />

© gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 42<br />

Unerledigte Fragen und Aufgaben zur<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

Von Eike Hovermann MdB<br />

Eminent wichtig ist und bleibt für Forschung, Produktion,<br />

Arbeitsplätze, Anwendung im stationären wie<br />

auch im ambulanten Bereich und damit auch für jede<br />

Form von Abrechnungsmodalitäten, dass beschlossene<br />

Gesetze eine längere Haltbarkeitsdauer haben<br />

als nur ein paar Jahre. Erinnert sei hier stellvertretend<br />

an: ABAG, ABBG, AVWG, GMG und jetzt auch das<br />

GKV-WSG. Die mit diesen Gesetzen verbundenen<br />

Änderungen bestanden oft darin, dass sie vorher getroffene<br />

Regelungen völlig auf den Kopf stellten. Planungssicherheit<br />

konnte damit nicht eintreten.<br />

Die Ursache – nicht gerne zugegeben – war in der<br />

Regel, dass sich Einnahmen und Ausgaben im Versorgungsalltag<br />

anders entwickelten als erwartet.<br />

Gründe hierfür sind u.a. im demografischen Wandel,<br />

im medizinisch-technischen Fortschritt mit all den<br />

durch ihn auch gepuschten Erwartungshaltungen, in<br />

ansteigenden Fallhäufigkeiten, abnehmender Compliance,<br />

hoher Arbeitslosigkeit etc. zu suchen.<br />

Ethik versus Monetik<br />

Zu deutsch: Die jeweiligen gesetzlichen Änderungen<br />

waren Reaktionen auf die sich ändernde Kassenlage<br />

und nicht Ausfluss nach vorne gerichteter, nachhaltiger<br />

Reformen. Es blieb bei kleinteiligen Reparaturen<br />

innerhalb der Strukturen des alten Systems mit seinen<br />

bekannten Instrumenten, Zielsetzungen und Versprechen:<br />

Alles medizinisch Notwendige für jeden,<br />

sinkende Beiträge und Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes.<br />

Das medizinisch Notwendige nach<br />

Stand der Forschung definiert sozusagen das zu erreichende<br />

Optimum, das sich aber zunehmend entfernte<br />

von der ökonomischen Umsetzbarkeit. Daher<br />

auch entsprechende Spannungen zwischen Bundesärztekammer<br />

und Kassenärztlicher Bundesvereinigung:<br />

Erstere, mehr der Ethik zugeneigt, setzt sich für<br />

ein Optimum an medizinischer Versorgung ein, die<br />

anderen fokussieren sich auf die Monetik – etwa im<br />

Zusammenhang mit Honoraren via Honorarverteilungsmaßstab<br />

und Einheitlichem <strong>Bewertung</strong>smaßstab<br />

(EBM). Dass entsprechende Spannungen auch<br />

in der Auseinandersetzung zwischen ambulanten und<br />

stationären Bereich vorherrschen, ist unausweichlich.<br />

Der Streit um die Medizinischen Versorgungszentren<br />

mag hier als pars pro toto gelten.<br />

Reparaturen wie am EBM, die Loslösung von der<br />

Grundlohnrate im ambulanten Bereich und Verspre-<br />

chen auf Absenkung der Lasten für die Krankenhäuser<br />

bleiben solange Stückwerk, solange die notwendige<br />

Grundsatzdebatte über eine nachhaltigere Finanzierung<br />

ausbleibt. Dass diese sich an Zielmarken wie<br />

Grundversorgung, Priorisierung und Rationierung<br />

orientieren muss, daran führt kein Weg vorbei. Denn<br />

es bleibt die einfache Einsicht: Wir können mit begrenzten<br />

Mitteln nicht unbegrenzte Leistungsvolumina<br />

finanzieren.<br />

Oder anders: Wir haben ein nach oben begrenztes<br />

Budget, das sich hinsichtlich der Aufstellung von Jahres-Haushalten<br />

innerhalb der GKV orientiert u.a. an<br />

den GKV-Einnahmen, den Zuschüssen des Finanzministers,<br />

den Geldern der Länder im Krankenhausbereich<br />

und den restlichen bekannten Einnahmeposten<br />

wie Zuzahlungen etc. Die Folgen: Ständig größer<br />

werdender Druck auf den Finanzminister – respektive<br />

alle Steuerzahler, Sonderopfer, schleichende Eliminierung<br />

der PKV, Ausgrenzungen von Leistungen,<br />

Erhöhung von Zuzahlungen, neue Geld-Verteilungsmechanismen<br />

via morbiditätsorientiertem Risikostrukturausgleich,<br />

einheitlicher Beitragssatz plus Zusatzbeitrag,<br />

ein Spitzenverband und anderes mehr. 1<br />

Schritt in die richtige Richtung<br />

Bei aller berechtigten Kritik an den vermeintlichen<br />

Lösungsansätzen des GKV-WSG bedeutet die Hinwendung<br />

zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> durch das<br />

IQWiG deshalb einen ersten Schritt in die richtige<br />

Richtung. Statt der nahezu notorischen Fokussierung<br />

der Politik auf die Einnahmenseite im GKV-System,<br />

sind Hoffnungen, dass sich die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Analyse<br />

zu einem wirksamen Instrument des effektiveren<br />

Einsatzes vorhandener Finanzmittel entwickelt,<br />

durchaus berechtigt. Doch bis dahin ist es noch ein<br />

langer Weg: Die von Professor Peter Sawicki und Co.<br />

favorisierte Methode „Analyse der Effizienzgrenze“<br />

stößt erwartungsgemäß nicht nur auf Gegenliebe.<br />

Kritisiert wird u.a. vor allem:<br />

● Das IQWiG will die <strong>Kosten</strong> einzig aus der Perspektive<br />

der GKV bewerten, der Miteinbezug von <strong>Kosten</strong><br />

und Einsparungen bei anderen Sozialversicherungen<br />

1 Inklusive Insolvenzrecht, wo gesetzeskonforme Kassen nun<br />

zahlen sollen an solche, die geltendes Recht mit Duldung der<br />

Landesaufsichten unterlaufen haben (s. §§ 220 ff. und 261 SGB V).


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 43<br />

und den Steuereinnahmen durch eine medizinische<br />

Behandlung soll ausbleiben.<br />

● Fragen der ökonomischen Evaluation werden<br />

nicht in der international üblichen Weise behandelt<br />

und die <strong>Bewertung</strong> des Verhältnisses zwischen <strong>Kosten</strong><br />

und <strong>Nutzen</strong> wird nicht ausreichend spezifiziert.<br />

● Eine wie vom Methodenpapier vorgeschlagene<br />

rein indikationsbezogene Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit<br />

sei ökonomisch nicht möglich. Mangelnde<br />

Informationen zum Vergleich über Indikationsgebiete<br />

schüren allerdings die Gefahr, dass Entscheidungen<br />

inkonsistent sind und zu Ungerechtigkeiten<br />

gegenüber betroffenen Patientengruppen führen.<br />

● Das Nebeneinander von Festbetragssystem und<br />

Rabattsystem konterkariere sich und verhindere echten<br />

Wettbewerb.<br />

Die Kritik am GKV-WSG, ohne das ja auch die <strong>Kosten</strong>-<br />

<strong>Nutzen</strong>-Debatte nicht bewertet werden kann, ist hinreichend<br />

durch Ökonomen, Juristen, Gesundheitswissenschaftler,<br />

Kassen und Ärzte artikuliert worden.<br />

Nimmt man die Koalitionsaussagen vom 11. November<br />

2006 ins Visier, wird die Kritik noch verständlicher.<br />

Die Regierungsparteien erklärten im Koalitionsvertrag,<br />

willens zu sein<br />

● zur Sicherung einer nachhaltigen und gerechten<br />

Finanzierung im Laufe des Jahres 2006 ein Konzept<br />

zu entwickeln, das dauerhaft die Grundlage für ein<br />

leistungsfähiges, solidarisches und demografiefestes<br />

Gesundheitswesen sichert,<br />

● zur wettbewerblichen und freiheitlichen Ausrichtung<br />

des Gesundheitswesens den mit dem GKV-Modernisierungsgesetz<br />

eingeschlagenen Weg struktureller<br />

Änderungen in der Gesundheitsversorgung<br />

über wettbewerbliche Anreize konsequent weiterzugehen,<br />

● zur Förderung der Beschäftigung die Lohnzusatzkosten<br />

dauerhaft unter 40 Prozent zu senken.<br />

Keine strukturellen Lösungsangebote<br />

Weder mit dem IQWiG noch mit den diesbezüglichen<br />

Vorschlägen der Professoren Breyer und Kollegen<br />

sind die Grundsatzprobleme der Finanzierung der<br />

GKV zu lösen. Beide Gruppierungen haben kein<br />

strukturelles Lösungsangebot für die sich weiter auseinander<br />

entwickelnde Schere zwischen Einnahmeund<br />

Ausgabevolumina.<br />

Es bleiben – schon lange überfällig – noch viele zu<br />

erledigende Aufgaben:<br />

● Der Start in die oben genannte Priorisierungsund<br />

Rationierungsdebatte. Lesenswert ist in diesem<br />

Zusammenhang auch der interessante Ansatz der<br />

Schrift „Orientierungen für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem“<br />

der Deutschen Bischöfe vom Mai<br />

2003: „Angesichts knapper werdender Ressourcen<br />

und insbesondere neuer, durch die medizinische Entwicklung<br />

ermöglichter, kostenintensiver Leistungen<br />

stellt sich die Frage nach der Definition des Leistungsumfanges<br />

der gesetzlichen Krankenversicherung mit<br />

neuer Dringlichkeit, mithin die Frage nach einer Rationierung<br />

von Leistungen. Der einzelne wird Leistungen<br />

selbst tragen müssen“, heißt es dort.<br />

● Der Einstieg in eine Festzuschussdebatte.<br />

● Der Anstoß einer Debatte über den Einstieg in<br />

eine Grundversorgung plus eigenfinanzierte Zusatzpakete.<br />

● Eine Debatte über die Auflösung des Körperschaftsstatus<br />

der GKV-Kassen und die Anwendung<br />

des Kartellrechtes.<br />

● Die Neujustierung der Aufgaben der Selbstverwaltung<br />

auf Grund der Erosion ihrer sie tragenden Säulen.<br />

© gpk<br />

Beteiligte in<br />

Entscheidungsprozesse<br />

einbeziehen<br />

Von Dr. Konrad Schily MdB<br />

Um zu entscheiden, welche Behandlungsmethoden<br />

und Medikationen durch die Solidargemeinschaft finanziert<br />

werden sollen, brauchen wir <strong>Bewertung</strong>smaßstäbe.<br />

Nicht jedes Arzneimittel, das teuer ist, ist<br />

auch gut. Oberstes Gebot jeder <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

muss daher immer das Wohl der Patienten<br />

sein.<br />

Die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> darf kein bloßer Einsparmechanismus<br />

zur Stabilisierung eines unzureichend<br />

organisierten und finanzierten Gesundheitssystems<br />

sein. Zudem sind unlängst wieder Zweifel an<br />

der Untadeligkeit der durch das Institut für Qualität<br />

und Wirtschaftlichkeit geleisteten Arbeit aufgetaucht.<br />

Die Methodik zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> muss<br />

daher transparenter und nachvollziehbarer gestaltet<br />

werden und eine klare Trennung von wissenschaftlicher<br />

Erkenntnis und ökonomischen Interessen dokumentieren.<br />

Zudem ist zu überlegen, wie Ärzte, Patienten<br />

und weitere Betroffene besser in die Entscheidungsprozesse<br />

einbezogen werden können.<br />

© gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 44<br />

Zielgerichtete und gerechte Mittelverwendung<br />

Von Dr. Hans Georg Faust MdB<br />

Die Rahmenbedingungen für die Versorgung von Patientinnen<br />

und Patienten sind in den vergangenen<br />

Jahren für die Ärztinnen und Ärzte – die als die wesentlichen<br />

Akteure im Gesundheitswesen über die<br />

Indikationsstellung die Inanspruchnahme der medizinischen<br />

Ressourcen steuern – nicht einfacher geworden.<br />

Denn die gesundheitspolitischen Maßnahmen<br />

zielten vor allem darauf, die zunehmende Kluft zwischen<br />

steigenden Ausgaben und stagnierenden oder<br />

sogar sinkenden Einnahmen in der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung (GKV) zu verringern.<br />

Verfügbare Ressourcen zielgerichtet einsetzen<br />

Medizinischer Fortschritt und demografischer Wandel<br />

werden die finanzielle Situation in der GKV weiter<br />

verschärfen. Auch bei Mobilisierung zusätzlicher Finanzierungsquellen<br />

für die GKV ist es eher unwahrscheinlich,<br />

ohne weitergehende steuernde Eingriffe<br />

dem gesellschaftlich akzeptierten Anspruch, verantwortungsvoll<br />

mit begrenzten Gesundheitsressourcen<br />

umzugehen, gerecht werden zu können.<br />

Die Berücksichtigung von <strong>Kosten</strong>- und <strong>Nutzen</strong>-Aspekten<br />

ist unter anderem eine Voraussetzung dafür, dass<br />

die nur begrenzt verfügbaren Ressourcen zielgerichtet<br />

den bedürftigen Patientinnen und Patienten auch<br />

zugute kommen. Wenn bei einer eher geringfügigen<br />

Gesundheitsstörung sehr teure Therapien mit nur<br />

geringem zusätzlichem <strong>Nutzen</strong> angewendet werden,<br />

so fehlen diese Ressourcen für die Versorgung ande-<br />

Gesellschaftspolitische<br />

gpk<br />

Kommentare<br />

ISSN: 0016–9102<br />

Herausgeber: <strong>Leo</strong> <strong>Schütze</strong>, Gisela <strong>Schütze</strong><br />

und Erich Schwaiger<br />

Chefredaktion: <strong>Leo</strong> <strong>Schütze</strong> und Gisela<br />

<strong>Schütze</strong><br />

Redaktion: Dr. Rudolf Hammerschmidt<br />

(verantwortlich), Dr. Franz-Josef Bohle,<br />

Günther Sauerbrey, Erich Schwaiger<br />

<strong>Leo</strong> <strong>Schütze</strong> GmbH<br />

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Bezugspreis beträgt EUR 4,– zuzüglich Porto und<br />

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Zu wichtigen Themen erscheinen Sonderausgaben.<br />

Diese werden gesondert berechnet.<br />

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Umbruch: Wolfgang Laack<br />

Die mit Verfassernamen oder Abkürzungen gekennzeichneten<br />

Artikel geben nicht in jedem Fall<br />

die Auffassung der Redaktion wieder.<br />

Die mit „gpk“ gekennzeichneten Anmerkungen<br />

stammen von der Redaktion, nicht vom Verfasser.<br />

Nachdruck zu den üblichen Honorarbedingungen<br />

nur nach Zustimmung durch die Redaktion.<br />

Zitierung nur mit Quellenangabe.<br />

rer Patientinnen und Patienten, die mehr von den nur<br />

begrenzt verfügbaren Ressourcen profitiert hätten.<br />

Die Berücksichtigung von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Aspekten<br />

medizinischer Maßnahmen wird dazu beitragen, dass<br />

die vorhandenen begrenzten Mittel der GKV nicht nur<br />

effizienter, sondern auch gerechter den Patientinnen<br />

und Patienten zur Verfügung gestellt werden können.<br />

In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die<br />

Berücksichtigung von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Aspekten nicht<br />

im Widerspruch zu medizinisch-ethischem Handeln<br />

steht. Wenn zwei vergleichbar effektive Behandlungsmethoden<br />

zur Verfügung stehen, ist das kostengünstigere<br />

Verfahren zu bevorzugen, da sowohl das Wohlergehen<br />

der Patientin und des Patienten gewährleistet<br />

ist als auch gleichzeitig Ressourcen eingespart werden<br />

können und ein Beitrag zu einer zielgerichteten<br />

sowie gerechteren Mittelverteilung geleistet wird.<br />

Verbindliche Vorgaben notwendig<br />

Ohne verbindliche Vorgaben ist es aber eher wahrscheinlich,<br />

dass die <strong>Bewertung</strong> von <strong>Kosten</strong> und <strong>Nutzen</strong><br />

medizinischer Behandlungen von Arzt zu Arzt und<br />

auch von Patient zu Patient variieren, was zu einer<br />

Ungleichbehandlung von Patientinnen und Patienten<br />

führt. Insofern ist es zielführend, dass es explizite<br />

Vorgaben oberhalb der einzelnen Arzt-Patienten-Beziehung<br />

gibt, die für jeden nachvollziehbar und verständlich<br />

festlegen, welcher Patient in welcher Situation<br />

welche Leistung erhält.<br />

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Beirat:<br />

Dr. Franz Altherr MdL (Mittelbrunn), Erwin<br />

Aymann (Kleve), Wolf-Michael Catenhusen<br />

(Münster), Dr. Paul Hoffacker (Essen), Peter<br />

Keller (Zellingen), Monika Knoche MdB<br />

(Hannover), Prof. Paul Krupp (Kempten/Allgäu),<br />

Alfred Kugler † (München), Karl-Josef<br />

Laumann (Hörstel-Riesenbeck), Dr. Volker<br />

Leienbach (Köln), Dr. Rolf Linkohr (Stuttgart),<br />

Dr. Bruno Menzel † (Dessau), Friedrich<br />

Merz MdB (Brilon), Dr. Gerd Müller MdB<br />

(München), Dr. Helga Otto (Claßnitz), Prof.<br />

Dr. Martin Pfaff (Stadtbergen), Dr. Godelieve<br />

Quisthoudt-Rowohl MdEP (Hildesheim),<br />

Willi Rothley (Rockenhausen), Gudrun<br />

Schaich-Walch (Frankfurt a.M.), Regina<br />

Schmidt-Zadel (Ratingen), Theo Starzner<br />

M.A. (München), Dr. Dieter Thomae (Sinzig-<br />

Bad Bodendorf), Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim),<br />

Josef Vosen (Düren).


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 45<br />

Schmaler Einstieg ins <strong>Bewertung</strong>sverfahren<br />

Von Dr. jur. Rainer Hess<br />

Der im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-<br />

WSG) vorgenommene Einstieg in eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

(KNB) für patentgeschützte Arzneimittel<br />

unter Einbeziehung „internationaler ökonomischer<br />

Standards“ wird zur Zeit insbesondere von den<br />

Gesundheitsökonomen in einer Dimension geführt,<br />

als gelte es den gesamten Leistungskatalog der GKV<br />

in ein gesellschafts- und sozialpolitisch neu auszurichtendes<br />

<strong>Bewertung</strong>skonzept einzubringen, in dem<br />

auf der Grundlage durch eine neue Methode gewinnbarer<br />

qualitätsgewichteter Lebensjahre über die Angemessenheit<br />

dadurch entstehender Belastungen<br />

der Versichertengemeinschaft entschieden wird. Dies<br />

mag in der Zukunft angesichts der demografischen<br />

Entwicklung und des medizinischen Fortschritts steigender<br />

Gesundheitsausgaben auch in Deutschland<br />

ein notwendiges gesellschafts- und sozialpolitisches<br />

Thema werden. Die Notwendigkeit, offen über die<br />

Rationierung von Gesundheitsleistungen anhand gesundheitsökonomischer<br />

Parameter zu diskutieren,<br />

wird zunehmend anerkannt. Die §§ 31 Abs. 2 a, 35b<br />

SGB V in der Fassung des GKV-WSG eröffnen jedoch<br />

gesetzlich nur einen sehr schmalen Einstieg in gesundheitsökonomisch<br />

ausgerichtete <strong>Bewertung</strong>sverfahren.<br />

Maßgebliche gesetzliche Vorgaben<br />

Folgende gesetzliche Vorgaben im SGB V sind jedenfalls<br />

für das <strong>Bewertung</strong>sverfahren, soweit es den Gemeinsamen<br />

Bundesausschuss betrifft, maßgebend;<br />

sie müssten deswegen auch in die Überlegungen der<br />

Gesundheitsökonomen verstärkt Eingang finden:<br />

1. Aus den Vorschriften des SGB V zur KNB für Arzneimittel<br />

lässt sich eindeutig herleiten, dass im Vordergrund<br />

der Beleg eines medizinischen Zusatznutzens<br />

gegenüber bestehenden Behandlungsmöglichkeiten<br />

nach den Grundsätzen der evidenzbasierten<br />

Medizin (ebm) zu stehen hat (§§ 31 Abs. 2a Satz 8,<br />

35 b Abs. 1 Sätze 3 u. 4, 139a Abs. 4 Satz 1). Die<br />

Gesundheitsökonomie kann daher keinen <strong>Nutzen</strong> generieren,<br />

wo die ebm keinen medizinischen <strong>Nutzen</strong><br />

erkannt hat.<br />

2. Eine KNB scheidet gesetzlich aus, wenn sie nur im<br />

Vergleich zur Nichtbehandlung erstellt werden könn-<br />

te, weil eine zweckmäßige Therapiealternative nicht<br />

besteht (§ 31 Abs. 2a Satz 7). Entsprechend alternativlose<br />

Arzneimittel unterliegen somit in ihrem Preis<br />

keiner Begrenzung in der von der GKV zu leistenden<br />

Erstattung. Damit soll offensichtlich für die Industrie<br />

ein deutlich stärkerer Anreiz zur Entwicklung von<br />

„Sprunginnovationen“ gesetzt werden. Die ausdrückliche<br />

Ausgliederung solcher hochpreisigen Neuentwicklungen<br />

widerspricht aber der Forderung der Gesundheitsökonomen<br />

nach Einführung von „QALY“ als<br />

einem international eingesetzten Instrument einer indikationsübergreifenden<br />

Maximierung des Gesundheitsnutzens<br />

für die Gesellschaft. Sie findet im SGB V<br />

keine rechtliche Stütze.<br />

3. Die KNB ist für Arzneimittel gesetzlich auf einen<br />

indikationsbezogenen Vergleich mindestens zweier<br />

oder mehrerer Behandlungsmöglichkeiten derselben<br />

Erkrankung ausgerichtet und begrenzt (so insbesondere<br />

für Arzneimittel, § 92 Abs. 1 Satz 1). Zwar lässt<br />

sich auch für einen solchen „internen“ Vergleich der<br />

Zugewinn an qualitätsgewichteten Lebensjahren<br />

durch einen nach ebm-Kriterien festgestellten Zusatznutzen<br />

als <strong>Bewertung</strong>sparameter einführen, damit ist<br />

aber das Problem der Findung eines „fairen Preises“<br />

für ein neuartiges aber nicht alternativloses Arzneimittel<br />

keineswegs einfacher zu lösen, als mit dem<br />

Methodenvorschlag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />

im Gesundheitswesen (IQWiG).<br />

4. Es fehlt im SGB V an einer Rechtsgrundlage für<br />

die Bildung eines indikationsübergreifenden Grenzwertes<br />

für die Angemessenheit und Zumutbarkeit einer<br />

<strong>Kosten</strong>übernahme durch die Versichertengemeinschaft.<br />

5. Die perspektivische Einbeziehung nicht krankenkassenbezogener<br />

<strong>Nutzen</strong> und <strong>Kosten</strong> anderer Sozialversicherungszweige<br />

muss im Einzelfall möglich sein,<br />

scheitert aber derzeit an der nicht verfügbaren Datengrundlage.<br />

6. Das IQWiG-Modell sollte als Grundlage für Modellprojekte<br />

zunächst akzeptiert werden. Aus indikationsbezogenen<br />

Effizienzgrenzen kann sich mittelfristig ein<br />

übergreifender Grenzwert als Richtschnur ableiten.<br />

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gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 46<br />

Transparenz als notwendige Voraussetzung<br />

Von PD Dr. med. Peter Kolominsky-Rabas<br />

Bisher fehlte in Deutschland ein akzeptiertes und<br />

transparentes Instrument, mit dem der medizinische<br />

<strong>Nutzen</strong> einer Behandlung mit den dafür nötigen Ausgaben<br />

abgewogen werden konnte. Mit dem GKV-<br />

Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG), das im<br />

April des Jahres 2007 in Kraft trat, hat der Gesetzgeber<br />

einen Schritt unternommen, diese Lücke zu<br />

schließen. Das SGB V sieht jetzt in § 35 b vor, dass<br />

bei bestimmten Arzneimitteln in Zukunft eine „<strong>Bewertung</strong><br />

des <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Verhältnisses“ stattfinden<br />

kann. Diese soll vor allem dabei helfen, für bestimmte<br />

Arzneimittel einen „Höchstbetrag“ zu finden, der ihren<br />

<strong>Nutzen</strong> angemessen vergütet. Daneben kann sie aber<br />

auch zur <strong>Bewertung</strong> der Wirtschaftlichkeit von medizinischen<br />

Verfahren, wie zum Beispiel Diagnosemethoden,<br />

eingesetzt werden.<br />

Noch keine allgemein akzeptierte Methodik<br />

Solche Gegenüberstellungen von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />

Verhältnissen soll zukünftig das Institut für Qualität<br />

und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)<br />

im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />

(G-BA) vornehmen. Bisher gab es in Deutschland<br />

noch keine allgemein akzeptierte Herangehensweise<br />

für diese Art der <strong>Bewertung</strong>. Daher stand das Institut<br />

mit Inkrafttreten des Gesetzes in der Pflicht, eine<br />

Methodik zu erarbeiten, welche die örtlichen Bedingungen<br />

hinsichtlich Epidemiologie, Verfügbarkeit von<br />

Versorgungsressourcen, Zugang zur Gesundheitsversorgung,<br />

klinischer Praxis, Vergütung der Leistungserbringer<br />

sowie die organisatorischen Strukturen<br />

berücksichtigt.<br />

Analyse der Effizienzgrenze als methodischer<br />

Kern<br />

Im Januar 2008 publizierte das IQWiG in Zusammenarbeit<br />

mit internationalen Sachverständigen einen ersten<br />

Methodenentwurf für die <strong>Bewertung</strong> des Verhältnisses<br />

zwischen <strong>Kosten</strong> und <strong>Nutzen</strong>, dessen methodischer<br />

Kern die Analyse der Effizienzgrenze bildet. Die<br />

Effizienzgrenze ist gekennzeichnet durch diejenigen<br />

medizinischen Technologien, die sich innerhalb einer<br />

Indikation durch den höchsten <strong>Nutzen</strong> im Verhältnis<br />

zu den entstehenden <strong>Kosten</strong> auszeichnen. Die Effizienzgrenze<br />

beinhaltet dabei keine mathematische<br />

Regel zur Festlegung eines Höchstbetrags und defi-<br />

niert auch keinen vorab festgelegten Zusammenhang<br />

zwischen dem <strong>Nutzen</strong> und den <strong>Kosten</strong>. Je nach Indikation<br />

können bei einem Arzneimittel mit einem<br />

10 Prozent höheren <strong>Nutzen</strong> Zusatzkosten in Höhe<br />

von 5 aber auch von 50 oder 500 Prozent gerechtfertigt<br />

sein.<br />

Gemäß § 35 b setzt die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

voraus, dass eine medizinische Technologie einen<br />

zuverlässig nachgewiesenen zusätzlichen <strong>Nutzen</strong> gegenüber<br />

der (oder den) schon vorhandenen<br />

Therapie(n) in einer Indikation hat. Dieses wird im<br />

Rahmen der <strong>Nutzen</strong>bewertung des IQWiG mit Methoden<br />

der evidenzbasierten Medizin überprüft, wobei<br />

der „Zusatznutzen“ an Verbesserungen in den patientenrelevanten<br />

Endpunkten „Mortalität“, „Morbidität“<br />

und „Lebensqualität“ gemessen wird (IQWiG Methodenpapier<br />

„Allgemeine Methoden 3.0“).<br />

Die Analyse der Effizienzgrenze stellt den <strong>Nutzen</strong> im<br />

Verhältnis zu den <strong>Kosten</strong> verschiedener Technologien<br />

dar. Sie beschreibt die „technische Effizienz“ dieser<br />

definierter Technologien innerhalb einer Indikation<br />

und macht sie transparent. Diese Transparenz ist notwendige<br />

Voraussetzung für eine Diskussion über die<br />

Neustrukturierung des Leistungskatalogs.<br />

© gpk<br />

Autoren der Sonderausgabe der<br />

Gesellschaftspolitischen Kommentare (gpk)<br />

zum<br />

Abbott-Forum 2007<br />

„Das umstrittene Prinzip – Wettbewerb<br />

im Gesundheitswesen“<br />

Hans-Joachim Fischer, Silke Lautenschläger<br />

(Grußwort), Herbert Rebscher, Volker Amelung,<br />

Eckhard Knappe, Marie-Luise Dierks, Ekkehard<br />

Ruebsam-Simon, Wulff-Erik von Borcke.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 47<br />

Methoden zur Messung<br />

der Qualität unausgereift<br />

Von Dr. med. <strong>Leo</strong>nhard Hansen<br />

Die Regelungen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes<br />

präzisieren seit April 2007, dass das Institut für<br />

Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) nicht nur eine<br />

reine <strong>Nutzen</strong>-, sondern auch eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />

<strong>Bewertung</strong> (KNB) für neue Arzneimittel durchführen<br />

soll (§ 129 a SGB V). Der gesetzliche Auftrag zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

sieht vor, Höchstbeträge für<br />

neue Therapien festzusetzen (§ 31 Abs. 2 a SGB V),<br />

das IQWiG hat dabei zu gewährleisten, dass die <strong>Bewertung</strong><br />

des medizinischen <strong>Nutzen</strong>s nach den international<br />

anerkannten Standards der evidenzbasierten<br />

Medizin und die ökonomische <strong>Bewertung</strong> nach<br />

den hierfür maßgeblichen, international anerkannten<br />

Standards, insbesondere der Gesundheitsökonomie,<br />

erfolgt.<br />

Vergleich zu etablierten Therapien<br />

Das Institut hat hierfür die „Analyse der Effizienzgrenze“<br />

zur Diskussion gestellt, der sich eine Budget-<br />

Impact-Analyse anschließt. Hierbei geht es nach den<br />

Vorgaben des Gesetzgebers und nach den Ansätzen<br />

des IQWiG zunächst darum, für neue Arzneimittel/<br />

Therapien einen klinischen <strong>Nutzen</strong> im Vergleich zu<br />

etablierten, „zweckmäßigen“ Therapien zu zeigen. Im<br />

zweiten Schritt könne dann diesem indikationsspezifischen<br />

Outcome ein Preis und somit ein Höchstbetrag<br />

zugeordnet werden, der sich an den Preisen der Mittel<br />

orientiert, die bereits in der jeweiligen Indikation am<br />

Markt etabliert sind.<br />

Das vom IQWiG einberufene Expertenpanel hat festgestellt,<br />

dass bisher keine internationalen Normen für<br />

die KNB existieren. Es ist nicht möglich, qualitätsadjustierte<br />

Lebensjahre (QALYs) in die KNB mit einzubeziehen.<br />

Die Methoden zur Messung der „Qualität“ sind<br />

derzeit nicht ausgereift, nicht länder- bzw. kulturübergreifend<br />

einzusetzen und die Umsetzung in einen<br />

geldwerten Vorteil ist nur schwer nachzuvollziehen.<br />

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Gesellschaftspolitische Kommentare (gpk)<br />

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Konsequenz der solidarischen<br />

Finanzierung des<br />

Gesundheitswesens<br />

Von Dr. Stefan Etgeton<br />

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Die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> und die darauf basierenden<br />

versorgungspolitischen Entscheidungen unterliegen<br />

dem Auftrag des Sozialgesetzbuchs: die<br />

Zweckmäßigkeit (§ 12 SGB V) der Versorgung nach<br />

dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnis<br />

unter Berücksichtigung sowohl des medizinischen<br />

Fortschritts (§ 2 SGB V), der Anforderungen an eine<br />

humane Krankenbehandlung (§ 70 SGB V) wie der<br />

besonderen Belange von behinderten und chronisch<br />

kranken Menschen (§ 2 a SGB V) bei Wahrung des<br />

Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 SGB V) sicherzustellen.<br />

<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> durch die Gemeinsame<br />

Selbstverwaltung ist somit eine Konsequenz<br />

der solidarischen Finanzierung des Gesundheitswesens.<br />

Als Grundlage versorgungsrelevanter Entscheidungen<br />

trägt daher die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

eine hohe ethische Verantwortung.<br />

Auch Vernunft und Augenmaß erforderlich<br />

Die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> soll objektive, wissenschaftlich<br />

fundierte Kriterien und Befunde generieren,<br />

anhand derer zwischen individuellem Behandlungsanspruch<br />

und sozialer Nachhaltigkeit so vermittelt<br />

werden kann, dass dabei den genannten Anforderungen<br />

des SGB V an eine umfassende Gesundheitsversorgung<br />

der einzelnen Patienten im Rahmen einer<br />

Solidargemeinschaft Rechnung getragen werden<br />

kann. Sie kann im besten Fall helfen, zwischen notwendigen,<br />

überflüssigen oder schädlichen Leistungen<br />

zu unterscheiden. Sie kann aber auch dazu beitragen,<br />

einzelnen oder Gruppen notwendige Behandlungen<br />

vorzuenthalten oder das Solidarsystem durch<br />

unangemessene Ausweitung des Leistungsrahmens<br />

zu überfordern. In der Folge ist daher nicht nur methodische<br />

Strenge, sondern praktische Vernunft und<br />

Augenmaß im Hinblick auf die Versorgungsrealität<br />

gefordert.<br />

© gpk<br />

Gesellschaftspolitische<br />

Kommentare


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 48<br />

Anforderungen an eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

Von Wulff-Erik von Borcke<br />

Das deutsche Krankenversicherungssystem steht vor<br />

großen Herausforderungen. Der demografische Wandel<br />

unserer Gesellschaft führt zu weiter steigender<br />

Morbidität und in Verbindung mit dem medizinisch<br />

technischen Fortschritt einer immer leistungsfähigeren<br />

Gesundheitsversorgung zu höheren Gesundheitsausgaben.<br />

Gleichzeitig bestehen Probleme auf<br />

der Einnahmenseite. Arzneimittelkosten stellen zwar<br />

einen kleineren Anteil (ca. 17 Prozent) der gesamten<br />

Gesundheitsausgaben der GKV dar, der jedoch in<br />

seiner Summe beträchtlich und auch im Wachsen<br />

begriffen ist. Damit ist es legitim die Hersteller von<br />

innovativen Medikamenten anzuhalten, den Wert<br />

ihrer Produkte darzulegen. Die pharmazeutische Industrie<br />

muss sich einer <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

stellen.<br />

Es stellt sich die Frage, wie eine solche <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

auszusehen hat. Eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />

sollte „fair und nachvollziehbar“ sein<br />

und sich auf wissenschaftlich anerkannten Methoden<br />

stützen. Eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> muss aber<br />

auch an den Möglichkeiten der Forschung orientiert<br />

sein – sprich der Machbarkeit und der Finanzierbarkeit<br />

von klinischen und gesundheitsökonomischen<br />

Studien Rechnung tragen. Im Rahmen der Zulassung<br />

werden die Sicherheit, die Wirksamkeit und die pharmazeutische<br />

Qualität intensiv geprüft. Bei innovativen,<br />

neuen Medikamenten werden jedoch trotz intensiver<br />

klinischer Forschung mit Markteintritt nicht alle<br />

möglichen Fragestellungen zu beantworten sein.<br />

Wert von Innovationen<br />

Es stellt sich die Frage, wie viel Geld eine Innovation<br />

wert ist. Ganz grundsätzlich muss man sich entscheiden,<br />

welche Bedeutung das „Gut Gesundheit“ für die<br />

Gesellschaft hat, zum anderen auch die Frage beantworten,<br />

ob man Anreize für die Industrie schaffen will,<br />

auch in Zukunft Therapieverfahren für Krankheiten zu<br />

entwickeln, die bisher nicht oder nicht ausreichend<br />

behandelt werden konnten. Es ist also eine Entscheiden<br />

darüber, ob die Industrie eine adäquate Vergütung<br />

für Forschung und Entwicklung erhält und Forschung<br />

sich in Zukunft für die Firmen lohnt.<br />

Für die Industrie ist es wichtig, Investitionskosten, die<br />

über 8 bis 12 Jahre bei der Erforschung eines Medikaments<br />

anfallen, in der Zukunft auch über den Verkauf<br />

dieses Produkts zu finanzieren und Gewinne zu erwirtschaften.<br />

Trotz modernster Methoden und Technologien<br />

bei der Forschung und Entwicklung scheitern<br />

über 90 Prozent aller Entwicklungskandidaten in<br />

den weiteren umfangreichen Prüfungen und Studien.<br />

Auch diese <strong>Kosten</strong> müssen finanziert werden. Abbott<br />

beispielsweise beschäftigt knapp 4.000 Mitarbeiter in<br />

Deutschland, davon allein über 700 in Forschung und<br />

Entwicklung. In Deutschland sind über 100.000 Mitarbeiter<br />

in der pharmazeutischen Industrie beschäftigt.<br />

Deutschland gilt als Referenzland für viele arzneimittelrelevante<br />

Regelungen, insbesondere was den Erstattungspreis<br />

von Arzneimitteln angeht. Damit steht<br />

für Deutschland als Pharmastandort mit der Einführung<br />

der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> viel auf dem<br />

Spiel.<br />

Begrüßenswertes Engagement<br />

Wir begrüßen das Engagement der Bundesregierung,<br />

mit den Expertentagungen zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />

<strong>Bewertung</strong> klare Vorgaben für die Entwicklung von<br />

sachgerechten Methoden beim Institut für Qualität<br />

und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)<br />

gesetzt zu haben. Diese Vorgaben orientieren sich,<br />

wie im Gesetz gefordert, an den internationalen Standards<br />

der Gesundheitsökonomie und sind insbesondere<br />

unter Beteiligung der deutschen Experten entstanden.<br />

So besteht die Hoffnung, dass diese Vorgaben<br />

vom IQWiG letztendlich umgesetzt werden, obwohl<br />

zur Zeit der Eindruck besteht, dass die Vorschläge<br />

des Expertengremiums keinen Eingang in das<br />

Methodenpapier zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> des<br />

IQWiG gefunden haben. Dies ist besonders bedauerlich<br />

beim Thema „Scoping Workshop“, der viel zur<br />

Transparenz im Prozess hätte beitragen können.<br />

Eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> bedeutet letztendlich,<br />

dass in Deutschland bestimmte Therapien unter<br />

Umständen nicht mehr allen Patienten, die davon<br />

profitieren, ohne zusätzliche Zahlungen des Patienten<br />

zur Verfügung gestellt werden. Dies ist eine wichtige<br />

Frage für Menschen, die nicht über ausreichende<br />

finanzielle Mittel verfügen, um diese zusätzlichen<br />

<strong>Kosten</strong> selbst zu tragen. Die Gesellschaft insgesamt<br />

muss also die Frage beantworten, wie viel ihr Gesundheit<br />

innerhalb des solidarisch finanzierten Systems<br />

wert ist.<br />

Die Methoden und die zugrunde liegenden Werturteile<br />

bei der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> sind bereits Teil<br />

dieser Fragestellungen, da sie die Ergebnisse einer<br />

solchen <strong>Bewertung</strong> als Grundlage von Erstattungsentscheidungen<br />

wesentlich mit determinieren. Mit der<br />

Unterstützung des heutigen Symposiums möchten<br />

wir der Diskussion dieser wichtigen Fragen ein Forum<br />

geben.<br />

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