Kosten-Nutzen-Bewertung - Leo Schütze Gmbh
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gpk SONDERAUSGABE<br />
G 13550<br />
GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 1<br />
gpk<br />
Sonderausgabe<br />
Nr. 3/08<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />
<strong>Bewertung</strong><br />
Symposium zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />
<strong>Bewertung</strong> – Thematische Einführung<br />
Axel C. Böhnke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />
Einleitende Moderation<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als neues<br />
Instrument im SGB V<br />
Wolfgang van den Bergh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
Eine Grundlage für Nachhaltigkeit und<br />
Beitragssatzstabilität?<br />
Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich . . . . . . . . . . . . 7<br />
Valide <strong>Bewertung</strong> von <strong>Nutzen</strong> und <strong>Kosten</strong><br />
Möglichkeiten zur Verbesserung der Datenlage<br />
PD Dr. med. Matthias Perleth . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />
Status quo and trends within the field<br />
of quality adjusted life years<br />
Prof. John E. Brazier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
Pro und Kontra<br />
Patientenrelevante Endpunkte nach SGB V<br />
Prof. Dr. med. Matthias Augustin . . . . . . . . . . . . 19<br />
Chancen und Risiken für den Patienten<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als Weg von der<br />
Rationierung zur Rationalisierung?<br />
Dr. med. Dr. phil. Daniel Strech . . . . . . . . . . . . . . 32<br />
Patiententeilhabe außerhalb Deutschlands<br />
Systemarchitektur, Staatseinfluss und<br />
relative Freiheitsgrade in sozialen<br />
Gesundheitssystemen<br />
Günter Danner M.A., Ph.D. . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />
Gesellschaftspolitische<br />
Kommentare<br />
Berlin /Bonn, November 2008<br />
49. Jahrgang, Sonderausgabe Nr. 3<br />
Einzelpreis: EUR 4,00 November<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
<strong>Kosten</strong>zuwächse bei neuen Wirkstoffen<br />
am Beispiel der Onkologie:<br />
Welche Ergebnisse benötigen wir zu patientenrelevanten<br />
Endpunkten aus klinischen Studien?<br />
Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig . . . . . . . . . . . . 36<br />
Unerledigte Fragen und Aufgaben zur<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
Eike Hovermann MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />
Beteiligte in Entscheidungsprozesse<br />
einbeziehen<br />
Dr. Konrad Schily MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />
Zielgerichtete und gerechte<br />
Mittelverwendung<br />
Dr. Hans Georg Faust MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />
Schmaler Einstieg ins <strong>Bewertung</strong>sverfahren<br />
Dr. jur. Rainer Hess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />
Transparenz als notwendige Voraussetzung<br />
PD Dr. med. Peter Kolominsky-Rabas . . . . . . . . 46<br />
Methoden zur Messung der Qualität<br />
unausgereift<br />
Dr. med. <strong>Leo</strong>nhard Hansen . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />
Konsequenz der solidarischen Finanzierung<br />
des Gesundheitswesens<br />
Dr. Stefan Etgeton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />
Anforderungen an eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />
<strong>Bewertung</strong><br />
Wulff-Erik von Borcke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
Autoren dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . 23, 24, 26<br />
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 2<br />
Zu den Beiträgen<br />
■ Wolfgang van den Bergh, Chefredakteur und<br />
Ressortleiter Gesundheitspolitik/Gesellschaft der<br />
ÄRZTE ZEITUNG, beschreibt <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en<br />
für international operierende Hersteller in vielen<br />
Ländern als geübte Praxis und ein vertrautes<br />
Instrument. Allerdings komme es auf das Wie an. Hier<br />
werde sich zeigen, ob es in den nächsten Monaten zu<br />
einem deutschen Sonderweg komme.<br />
■ <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en können nach Ansicht<br />
von Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich zu einer<br />
kontinuierlichen Qualitätssicherung beitragen und<br />
eine evidenzbasierte Arzneimitteltherapie vorantreiben.<br />
Von großer Bedeutung sei aber auch eine reibungslose,<br />
sektorenübergreifende Versorgung. Erforderlich<br />
seien ergänzende, gute Beratungs- und Betreuungsangebote<br />
für den Patienten. Sie gibt zu bedenken,<br />
dass die Arzneimittel, die einer <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
unterzogen werden, nur einen sehr<br />
geringen Anteil an den gesamten GKV-Ausgaben für<br />
Arzneimittel ausmachten.<br />
■ Auch für PD Dr. med. Matthias Perleth bestehen<br />
im Vergleich zu den aus international verfügbaren<br />
Studien vorhandenen Daten zum <strong>Nutzen</strong> in Deutschland<br />
gravierende Defizite bei der Datenlage in Bezug<br />
auf die <strong>Kosten</strong>. Der Zugang zu validen <strong>Kosten</strong>daten<br />
sei stark eingeschränkt, teils mangels valider Datengrundlage<br />
– im ambulanten Bereich –, teils wegen des<br />
fehlenden Datenzugangs (stationär), teils wegen der<br />
fehlenden Verfügbarkeit sektorübergreifender und<br />
kassenartenübergreifender Längsschnittdaten. Unabhängig<br />
von den vorhandenen Forschungsprogrammen<br />
sei eine „Experimentierklausel“ für die gezielte<br />
Forschungsförderung im Rahmen der GKV hilfreich,<br />
um hier besonders relevante Forschungsfragen unbürokratisch<br />
bearbeiten zu können.<br />
■ Mit dem Status quo und den Trends bei der Ermittlung<br />
von QALYs in Großbritannien beschäftigte sich<br />
der Gesundheitsökonom Prof. John E. Brazier (Professor<br />
of Health Economics in the School of Health<br />
and Related Research at the University of Sheffield).<br />
Er setzt sich seit Jahren mit dieser Thematik auseinander,<br />
was sich nicht zuletzt in über hundert Veröffentlichungen<br />
niederschlägt. Er war u.a. Mitglied des National<br />
Institute for Clinical Excellence (NICE) Technology<br />
Appraisal Committee in den Jahren 2000 bis<br />
2004.<br />
■ Im Blick auf die patientenrelevanten Endpunkte<br />
stellt Prof. Dr. med. Matthias Augustin die Frage,<br />
inwieweit die Patienten selbst kompetent über den<br />
<strong>Nutzen</strong> entscheiden können. Hier gebe es verschiedene<br />
Antworten, je nachdem wer gefragt werde – der<br />
Arzt, die Krankenkasse oder das IQWiG. Hinterfragt<br />
wird dabei auch die entsprechende Kompetenz des<br />
Patienten. Augustins Fazit ist eindeutig: Der patientenseitige<br />
<strong>Nutzen</strong> kann nur vom Patienten selbst verlässlich<br />
bewertet werden. Allerdings sollen seine Angaben<br />
durch objektivierbare klinische Endpunkte ergänzt<br />
werden. In den meisten Ländern beruhe die<br />
<strong>Nutzen</strong>bewertung sowohl auf klinisch-therapeutischem<br />
als auch auf patientenseitigem <strong>Nutzen</strong>. Dieser<br />
patientenseitige <strong>Nutzen</strong> werde häufig in Form von<br />
Lebensqualität erfasst. Entsprechend gebe es auch<br />
von der Europäischen Arzneimittel-Agentur („European<br />
Medicines Agency“ – EMEA) zumindest im Entwurf<br />
ein Reflection Paper über gesundheitsbezogene<br />
Lebensqualität.<br />
■ Der Frage, ob die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> ein<br />
Weg von der Rationierung zur Rationalisierung sein<br />
könnte, widmet sich Dr. med. Dr. phil. Daniel Strech.<br />
Nach seiner Ansicht kann der Patient erst bei umfassender<br />
Transparenz nachvollziehen, welches die strittigen<br />
Elemente der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> sind<br />
und mit welchen Begründungen und Werturteilen für<br />
oder gegen bestimmte Elemente einer deutschen<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> argumentiert werde. Die<br />
gegenwärtig durch implizite Rationierungen geprägte<br />
Situation in Deutschland bedürfe der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />
<strong>Bewertung</strong> als Grundbedingung für eine explizite Rationierung,<br />
welche das ernstzunehmende Potenzial<br />
für eine qualitätsorientierte und gerechtere Ressourcenallokation<br />
in sich trage.<br />
■ Bei einem Überblick über die Gesundheitssysteme<br />
in Europa berichtet Günter Danner M. A., Ph. D.,<br />
dass Rationierung angesichts des hohen politischen<br />
Drucks auf die Sozialkosten überall ein wichtiges Thema<br />
sei. Nur selten gelinge es allerdings, transparente<br />
und begründete Leitvorstellungen zu vermitteln. Oft<br />
komme es zu nicht offen ausgesprochenen Leistungsverknappungen,<br />
die dann das System in seiner<br />
Darstellung beschädigen könnten. Wartelisten seien<br />
dafür ein sichtbarer Ausdruck.<br />
■ Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig lehnt für den<br />
Bereich der Onkologie den Begriff der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
ausdrücklich ab. Es gehe in diesem<br />
Bereich um Endpunkte klinischer Studien und um die<br />
Frage, ob diese Endpunkte patientenrelevant seien,
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 3<br />
eine Zulassung rechtfertigten und von den verordnenden<br />
Ärzten später sinnvoll genutzt werden könnten,<br />
um die Patienten bestmöglich zu behandeln. Der<br />
Umsatz der in der Onkologie eingesetzten Wirkstoffe<br />
werde in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht<br />
genau abgebildet, weil die meisten der teureren Wirkstoffe<br />
im Krankenhaus eingesetzt würden. Diese würden<br />
aber weltweit von 37 Milliarden US-Dollar im<br />
Jahre 2003 auf mehr als 70 Milliarden US-Dollar im<br />
Jahre 2010 ansteigen.<br />
■ In der hochrangig besetzten Podiumsdiskussion<br />
verwies der Bundestagsabgeordnete Eike Hovermann<br />
MdB darauf, dass die Hinwendung zur <strong>Kosten</strong>-<br />
<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> durch das IQWiG ein erster Schritt<br />
in die richtige Richtung sei. Hoffnungen, dass sich die<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> zu einem wirksamen Instrument<br />
des effektiveren Einsatzes vorhandener Finanzmittel<br />
entwickele, seien durchaus berechtigt.<br />
Allerdings stoße die vom IQWiG favorisierte Methode<br />
„Analyse der Effizienzgrenze“ erwartungsgemäß<br />
nicht nur auf Unterstützung.<br />
■ Oberstes Gebot jeder <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
ist für den Bundestagsabgeordneten Dr. Konrad<br />
Schily MdB das Wohl der Patienten. Deshalb dürfe<br />
sie auch kein bloßer Einsparmechanismus zur Stabilisierung<br />
eines unzureichend organisierten und finanzierten<br />
Gesundheitssystems sein. Die Methodik zur<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> müsse transparent und<br />
nachvollziehbar sein.<br />
■ Die Berücksichtigung von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Aspekten<br />
hält der Bundestagsabgeordnete Dr. Hans Georg<br />
Faust MdB angesichts der finanziellen Situation der<br />
gesetzlichen Krankenversicherung für unumgänglich,<br />
um die verfügbaren Ressourcen zielgerichtet einzusetzen.<br />
Würden bei einer eher geringfügigen Gesundheitsstörung<br />
sehr teure Therapien mit nur geringem<br />
zusätzlichem <strong>Nutzen</strong> eingesetzt, fehlten die dafür erforderlichen<br />
finanziellen Mittel an anderer Stelle.<br />
■ Für Dr. jur. Rainer Hess lässt sich aus dem<br />
Gesetz eindeutig herleiten, dass im Vordergrund der<br />
Beleg eines medizinischen Zusatznutzens gegenüber<br />
bestehenden Behandlungsmöglichkeiten nach den<br />
Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin stehen<br />
müsse. Die Gesundheitsökonomie könne daher keinen<br />
<strong>Nutzen</strong> generieren, wo die evidenzbasierte Medizin<br />
keinen medizinischen <strong>Nutzen</strong> erkannt habe. Man<br />
solle das IQWiG-Modell als Grundlage für Modellprojekte<br />
zunächst akzeptieren. Aus indikationsbezoge-<br />
nen Effizienzgrenzen könne sich mittelfristig ein übergreifender<br />
Grenzwert als Richtschnur ableiten lassen.<br />
■ Die Effizienzgrenze beinhalte keine mathematische<br />
Regel zur Festlegung eines Höchstbetrags und<br />
definiere auch keinen vorab festgelegten Zusammenhang<br />
zwischen dem <strong>Nutzen</strong> und den <strong>Kosten</strong>, so<br />
PD Dr. med. Peter Kolominsky-Rabas. Je nach Indikation<br />
könnten bei einem Arzneimittel mit einem zehn<br />
Prozent höheren <strong>Nutzen</strong> Zusatzkosten in Höhe von<br />
fünf aber auch von 50 oder 500 Prozent gerechtfertigt<br />
sein. Die <strong>Nutzen</strong>bewertung des IQWiG erfolge mit<br />
Methoden der evidenzbasierten Medizin, wobei der<br />
„Zusatznutzen“ an Verbesserungen in den patientenrelevanten<br />
Endpunkten „Mortalität“, „Morbidität“ und<br />
„Lebensqualität“ gemessen werde.<br />
■ Dr. med. <strong>Leo</strong>nhard Hansen hält die Methoden<br />
zur Messung der Qualität für nicht ausgereift. Sie<br />
seien deshalb nicht länder- bzw. kulturübergreifend<br />
einzusetzen. Das vom IQWiG einberufene Expertenpanel<br />
habe festgestellt, dass bisher keine internationalen<br />
Normen für die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> existierten.<br />
Es sei deshalb aus seiner Sicht nicht möglich,<br />
QALYs in die <strong>Bewertung</strong> einzubeziehen.<br />
■ Die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> sei, so Dr. Stefan<br />
Etgeton, eine Konsequenz der solidarischen Finanzierung<br />
des Gesundheitswesens. Es sollte dabei aber<br />
nicht nur um methodische Strenge gehen, sondern<br />
vor allem auch um praktische Vernunft und Augenmaß<br />
im Hinblick auf die Versorgungsrealität.<br />
■ Nach Ansicht von Wulff-Erik von Borcke ist es zu<br />
begrüßen, dass die Bundesregierung mit den Expertentagungen<br />
zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> für die<br />
Entwicklung von sachgerechten Methoden dem<br />
IQWiG klare Vorgaben gesetzt habe. Diese orientierten<br />
sich, wie im Gesetz gefordert, an den internationalen<br />
Standards der Gesundheitsökonomie und seien<br />
insbesondere unter Beteiligung von deutschen<br />
Experten entstanden. Es bleibe die Hoffnung, dass<br />
diese Vorgaben vom IQWiG auch umgesetzt werden,<br />
obwohl zur Zeit der Eindruck bestehe, dass die Vorschläge<br />
des Expertengremiums keinen Eingang in<br />
dessen Methodenpapier zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
gefunden hätten. Dabei sei es für die Forschung<br />
und Entwicklung neuer Arzneimittel wichtig, dass<br />
die entstandenen <strong>Kosten</strong> auch refinanziert werden<br />
könnten.<br />
Die Redaktion
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 4<br />
Symposium zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />
<strong>Bewertung</strong> – Thematische Einführung<br />
Von Axel C. Böhnke<br />
Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-<br />
WSG) ist am 1. April 2007 die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
in das Sozialgesetzbuch V (SGB V) aufgenommen<br />
worden und zwar zusätzlich zur <strong>Nutzen</strong>bewertung<br />
von Arzneimitteln. Der Gesetzgeber hat allerdings<br />
lediglich die Aufgabenstellung definiert, über<br />
die anzuwendende Methodik der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
gibt es nur Hinweise.<br />
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen<br />
(IQWiG) erhielt in diesem Zusammenhang<br />
den Auftrag, künftig neben dem medizinischen<br />
auch den wirtschaftlichen <strong>Nutzen</strong> von Arzneimitteln<br />
zu bewerten. Dazu gibt es bereits einen Entwurf<br />
zur Methodik des IQWiG, der jedoch wichtige<br />
wissenschaftliche Einwände aus der Anhörungsphase<br />
nicht berücksichtigt.<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en gibt es in ganz unterschiedlichen<br />
Ausprägungen in den Nachbarländern<br />
bereits seit mehreren Jahren. Sie werden dort unter<br />
anderem zur Festsetzung von Preisen herangezogen,<br />
die die jeweiligen nationalen <strong>Kosten</strong>träger für bestimmte<br />
Arzneimittel zahlen.<br />
Zunächst gilt es zu klären, welcher zusätzliche <strong>Nutzen</strong><br />
für den Patienten entsteht. Dabei sind Parameter, wie<br />
„Verbesserung des Gesundheitszustandes, Verkürzung<br />
der Krankheitsdauer, Verlängerung der Lebensdauer,<br />
Verringerung der Nebenwirkungen sowie Verbesserung<br />
der Lebensqualität“ zu berücksichtigen.<br />
Im Unterschied dazu ist bisher die Preisbildung in<br />
Deutschland frei. Dies ist insbesondere zur Schaffung<br />
des Anreizes für Forschung und Innovationen wichtig.<br />
Also vor allem, damit Patienten in Deutschland auch<br />
weiterhin Zugang zu Innovationen und therapeutischem<br />
Fortschritt haben. Nahezu alle Arzneimittel<br />
können nach der Zulassung zu Lasten der gesetzlichen<br />
Krankenkassen verordnet werden. Mit dem<br />
neuen Instrument der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> soll<br />
dagegen abgewogen werden, ob eine <strong>Kosten</strong>übernahme<br />
„angemessen und zumutbar“ für die Solidargemeinschaft<br />
ist.<br />
Zudem gehört zu einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung,<br />
die <strong>Kosten</strong> der Versorgung einer Erkrankung<br />
nicht nur aus der Perspektive der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung zu sehen. Entscheidend ist zunächst<br />
die Perspektive des Versicherten selbst, denn<br />
die Behandlung einer Krankheit wirkt über den unmit-<br />
telbaren medizinischen Bereich hinaus, positiv wie<br />
negativ.<br />
So kann sie etwa in anderen Sozialversicherungszweigen<br />
sowohl <strong>Kosten</strong> verursachen als auch Einsparungen<br />
erbringen. Eine Erkrankung kann Rehabilitationsmaßnahmen<br />
zu Lasten der Rentenversicherung,<br />
der Krankenversicherung oder Leistungen der Pflegeversicherung<br />
verursachen.<br />
Eine schnellere Genesung oder die deutliche Linderung<br />
von Beschwerden kann insgesamt <strong>Kosten</strong> sparen,<br />
wenn etwa durch die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit<br />
und die Vermeidung einer früheren Verrentung<br />
noch über einen längeren Zeitraum Steuern<br />
und Sozialabgaben gezahlt werden können; ganz zu<br />
schweigen von der wirtschaftlichen Leistungserbringung.<br />
Eine sektorenübergreifende Betrachtung ist<br />
deshalb unerlässlich und die Verbesserung der Lebensqualität<br />
der Betroffenen ein wichtiges Ziel.<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en sind für international<br />
operierende Arzneimittelhersteller in vielen Ländern<br />
üblich, um die Rahmenbedingungen für den Marktzutritt<br />
festzulegen.<br />
Abbott als forschendes Gesundheitsunternehmen will<br />
sich der <strong>Bewertung</strong> seiner Produkte durchaus stellen.<br />
Entscheidend ist dabei, dass verlässliche Rahmenbedingungen,<br />
Transparenz und Planungssicherheit vorherrschen.<br />
Wichtig ist zudem, nicht durch weitere<br />
„Zulassungshürde(n)” Innovationshemmungen aufzubauen.<br />
Wie weit Hoffnungen und Erwartungen einerseits und<br />
die realen Möglichkeiten wissenschaftlich fundierter<br />
Allokationsentscheidungen andererseits auseinanderliegen,<br />
zeigte eine Diskussion zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />
<strong>Bewertung</strong> von Arzneimitteln bei einem Symposion,<br />
zu dem das Wissenschaftliche Institut für <strong>Nutzen</strong> und<br />
Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG) der Techniker<br />
Krankenkasse (TK) gemeinsam mit Abbott eingeladen<br />
hatten.<br />
Beteiligt an diesem Dialog waren als weitere Partner<br />
außerdem der Berufsverband der Sozialversicherungsärzte<br />
Deutschlands (bsd), in dem insbesondere<br />
die Ärzte des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung<br />
(MDK) organisiert sind, sowie das parteiübergreifende<br />
Diskussionsforum AG Zukunft des<br />
Gesundheitswesens (AGZ).
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 5<br />
In der vorliegenden Sonderausgabe der Gesellschaftspolitischen<br />
Kommentare (gpk) werden die auf<br />
diesem Symposium vorgetragenen Referate dokumentiert.<br />
Abbott wirkt als Gesundheitsunternehmen bei solchen<br />
Veranstaltungen mit, um seine Vorstellungen<br />
und Argumente einzubringen. Denn ein partnerschaftlicher<br />
Austausch bildet die Voraussetzung für<br />
eine konsensfähige Zusammenarbeit mit den verschiedenen<br />
Akteuren des Gesundheitssystems.<br />
Wichtig für alle Beteiligten ist der offene Dialog mit der<br />
Politik, um die solide Gestaltung des Gesundheitswesens<br />
mit zu ermöglichen.<br />
So möchte Abbott konstruktive Partnerschaften mit<br />
allen Beteiligten des Gesundheitswesens pflegen.<br />
Dabei sind insbesondere die Bedürfnisse der Patienten<br />
zu berücksichtigen. Um die Belange besser zu<br />
verstehen, ist ein enger und kontinuierlicher Dialog<br />
9.00 Uhr Begrüßung<br />
erforderlich. Dieser muss von Transparenz geprägt<br />
sein und ein vertrauensvolles, verlässliches und belastbares<br />
Klima schaffen.<br />
Wir wünschen uns eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>,<br />
die medizinische Evidenz möglichst umfassend berücksichtigt<br />
und gerade auch die Daten der Versorgungsforschung<br />
einbezieht. Weiter sollte vermieden<br />
werden, bereits im ersten Jahr der Markteinführung<br />
Anforderungen an die Verfügbarkeit medizinischer<br />
Daten zu stellen, die in der Regel erst viele Jahre<br />
danach zur Verfügung stehen können.<br />
Denn: Innovationen sind für den Fortschritt notwendig,<br />
deshalb fordert Abbott eine transparente und von<br />
deutschen Gesundheitsökonomen konzertierte wie<br />
konsentierte Methodik der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
durch das IQWiG, die Innovationen nicht behindert,<br />
sondern deren Wert besser verdeutlicht. Dies ist unser<br />
Anspruch.<br />
© gpk<br />
Symposium zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
Haus der Kaiserin-Friedrich-Stiftung · Robert-Koch-Platz 7 · 10115 Berlin<br />
Methodik und Daten<br />
9.30 Uhr Die Datenlage in Deutschland –<br />
Bedarf und Realität<br />
Dr. Hildegard Bossmann (GPS),<br />
Deutsche Agentur für Health Technology<br />
Assessment / DAHTA. DIMDI – Deutsches Institut<br />
für Medizinische Dokumentation und Information<br />
10.00 Uhr Möglichkeiten zur Verbesserung der Datenlage<br />
PD Dr. med. Matthias Perleth, MPH<br />
Leiter der Abt. Fachberatung Medizin<br />
in der Geschäftsstelle des G-BA<br />
10.30 Uhr Kaffeepause<br />
10.45 Uhr Patientenrelevante Endpunkte nach SGB V –<br />
Pro und Kontra<br />
Prof. Dr. Matthias Augustin, Leiter der<br />
FG Gesundheitsökonomie und Lebensqualitätsforschung,<br />
Uniklinikum Eppendorf<br />
11.15 Uhr Status quo und Trends bei der Ermittlung<br />
von QALYs<br />
Prof. John E. Brazier, Chair of SCHARR’s<br />
Research Committee, University of Sheffield<br />
11.45 Uhr Mittagspause<br />
Ethik – Finanzierung – Patiententeilhabe<br />
12.45 Uhr <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als Weg von der<br />
Rationierung zur Rationalisierung?<br />
Chancen und Risiken für den Patienten<br />
Dr. Dr. Daniel Strech, Wissenschaftl. Mitarbeiter,<br />
Institut für Ethik und Geschichte der Medizin,<br />
Eberhard-Karls-Universität Tübingen<br />
13.15 Uhr Patiententeilhabe außerhalb Deutschlands –<br />
ein internationaler Überblick<br />
Günter Danner M.A., Ph.D., Europa-Experte der<br />
Techniker Krankenkasse und stellv. Direktor der<br />
Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung<br />
in Brüssel<br />
13.45 Uhr Kaffeepause<br />
14.00 Uhr <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> – eine Grundlage<br />
für Nachhaltigkeit und Beitragssatzstabilität?<br />
Dr. Eva Susanne Dietrich, Direktorin des WINEG<br />
14.30 Uhr <strong>Kosten</strong>zuwächse bei neuen Wirkstoffen am Beispiel<br />
der Onkologie: Welche Ergebnisse benötigen wir<br />
zu patientenrelevanten Endpunkten aus klinischen<br />
Studien?<br />
Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig<br />
Vorsitzender der Arzneimittelkommission<br />
der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)<br />
15.00 Uhr Kaffeepause<br />
15.15 Uhr Gesundheitspolitische Podiumsdiskussion<br />
unter Einbeziehung der Referenten<br />
Eike M. Hovermann MdB<br />
Mitglied des Gesundheitsausschusses des Deutschen<br />
Bundestages, Sprecher der AG Zukunft des Gesundheitswesens<br />
(AGZ)<br />
Dr. Peter Kolominsky-Rabas<br />
Leiter des IQWiG-Ressorts Gesundheitsökonomie<br />
Dr. Rainer Hess<br />
Vorsitzender d. Gemeinsamen Bundesausschusses<br />
Dr. <strong>Leo</strong>nhard Hansen<br />
Vorstandsvorsitzender KV Nordrhein<br />
Dr. Hans Georg Faust MdB<br />
Stellv. Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des<br />
Deutschen Bundestages, Mitglied der AG Zukunft<br />
des Gesundheitswesens (AGZ)<br />
Dr. Konrad Schily MdB<br />
Mitglied des Deutschen Bundestages<br />
Dr. Stefan Etgeton<br />
Leiter des Fachbereichs Gesundheit, Ernährung<br />
bei Verbraucherzentrale Bundesverband<br />
Wulff-Erik von Borcke, Geschäftsführer Abbott<br />
Moderation:<br />
Wolfgang van den Bergh<br />
Chefredakteur der ÄRZTE ZEITUNG
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 6<br />
Einleitende Moderation<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als neues<br />
Instrument im SGB V<br />
Von Wolfgang van den Bergh<br />
Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-<br />
WSG) ist am 1. April 2007 die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
ins Sozialgesetzbuch V (SGB V) aufgenommen<br />
worden, zusätzlich zur <strong>Nutzen</strong>bewertung von Arzneimitteln.<br />
Der Gesetzgeber hat lediglich die Aufgabenstellung<br />
definiert, über die anzuwendende Methodik<br />
der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> gibt es nur Hinweise.<br />
Wann das Instrument der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
scharf gestellt werden soll, ist zur Zeit noch völlig<br />
offen. Die Ursachen dafür sind bekannt: eine unbefriedigende<br />
Datenlage und schließlich der Streit über die<br />
Methodik. Noch unklar ist ebenfalls, welche Möglichkeiten<br />
es gibt, die Datenlage zu verbessern. Neue<br />
Studien müssen aufgelegt und dazu die entsprechenden<br />
Mittel zur Verfügung gestellt werden.<br />
Parameter für zusätzlichen <strong>Nutzen</strong><br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en gibt es in den europäischen<br />
Nachbarländern in ganz unterschiedlichen<br />
Ausprägungen bereits seit mehreren Jahren. Sie werden<br />
dort unter anderem zur Festsetzung von Preisen<br />
herangezogen, die die jeweiligen nationalen <strong>Kosten</strong>träger<br />
für bestimmte Arzneimittel zahlen. Im Unterschied<br />
dazu ist die Preisbildung in Deutschland frei.<br />
Nahezu alle Arzneimittel können nach der Zulassung<br />
zu Lasten der Kassen verordnet werden. Mit dem<br />
neuen Instrument der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> soll<br />
abgewogen werden, ob eine <strong>Kosten</strong>übernahme „an-<br />
gemessen und zumutbar“ für die Solidargemeinschaft<br />
ist. Darüber hinaus gilt es zu klären, welcher zusätzliche<br />
<strong>Nutzen</strong> für den Patienten entsteht. Dabei sind<br />
Parameter wie „Verbesserung des Gesundheitszustandes,<br />
Verkürzung der Krankheitsdauer, Verlängerung<br />
der Lebensdauer, Verringerung der Nebenwirkungen<br />
sowie Verbesserung der Lebensqualität“ zu<br />
berücksichtigen.<br />
Klare Definitionen erforderlich<br />
Grundsätzlich muss jedoch die Frage gestellt werden,<br />
ob die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> tatsächlich ein Allheilmittel<br />
ist, um die <strong>Kosten</strong> im Gesundheitswesen in<br />
den Griff zu bekommen. Wie stehen Aufwand und<br />
Ertrag zueinander? Welche Einflussmöglichkeiten<br />
sollen Versicherte und Patienten auf Entscheidungen<br />
des Gemeinsamen Bundesausschusses künftig haben?<br />
Und: Wie stehen wir zu dem Thema medizinischer<br />
Fortschritt und Innovationen? Auch hier wird es<br />
klare Definitionen über Begrifflichkeiten geben müssen.<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en sind für international<br />
operierende Hersteller in vielen Ländern geübte Praxis<br />
und ein vertrautes Instrument. Allein – es kommt<br />
auf das Wie an. Hier wird sich zeigen, ob es in den<br />
nächsten Monaten zu einem deutschen Sonderweg<br />
kommt.<br />
© gpk<br />
Autoren der Sonderausgabe „Psoriasis“<br />
der Gesellschaftspolitischen Kommentare (gpk), Februar 2008:<br />
Axel C. Böhnke, Thomas Luger, Gerhard Brenner, Marc Alexander Radtke, Matthias Augustin, <strong>Leo</strong>nhard<br />
Hansen, Günter Gerhardt, Stephan Turk, Christian Dierks, Hans-Werner Pfeifer, Ina Ueberschär,<br />
Gisela Kobelt, Karin Berger, Marlies Volkmer, Bernd Metzinger, Helmut Vedder, Eike Hovermann,<br />
Stefan Etgeton, Wulff-Erik von Borcke.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 7<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
Eine Grundlage für Nachhaltigkeit und Beitragssatzstabilität?<br />
Von Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich<br />
Seit einem Jahr ist sie nun auch in Deutschland Gesetz,<br />
die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>. Es hat einige<br />
Zeit gedauert, viele Länder haben sie bereits vorher<br />
eingeführt. Hat man nun endlich das Instrument, um<br />
die steigenden Ausgaben im Arzneimittelsektor in den<br />
Griff zu bekommen? Hilft sie dabei, eine nachhaltige<br />
Gesundheitsversorgung zu gewährleisten? Welche<br />
möglichen Effekte gehen von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en<br />
aus? Was wird ihr Stellenwert sein?<br />
Zunächst zu den Effekten. Auch wenn der eine oder<br />
andere es gerne verdrängt, über der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung (GKV) schwebt das Gebot der<br />
Beitragssatzstabilität. Sie soll eine wirtschaftliche und<br />
nachhaltige Versorgung gewährleisten, dies war der<br />
Grund für die <strong>Kosten</strong>dämpfungsmaßnahmen der letzten<br />
Jahre.<br />
Neue Bedeutung der Beitragssatzstabilität<br />
Dennoch ließ sich die Anhebung der Beitragssätze<br />
nicht vermeiden, denn die Schere zwischen dem<br />
wachsenden Bedarf und den abnehmenden Einnahmen<br />
wurde bekanntlich immer größer. Aktuell bekommt<br />
die Beitragssatzstabilität jedoch eine neue<br />
Bedeutung. Legt die Bundesregierung den Beitrags-<br />
Cost-effectiveness plane: Welche Therapien sind in<br />
unserem Gesundheitssystem finanzierbar?<br />
<strong>Nutzen</strong><br />
Besser und<br />
kostengünstiger<br />
Besser, aber teurer<br />
Standard<br />
<strong>Kosten</strong><br />
satz fest, werden politische Faktoren eine größere<br />
Rolle als bisher spielen und der Wirtschaftlichkeitsdruck<br />
wird wachsen, denn Krankenkassen werden bei<br />
stagnierendem Beitragssatz die Erhebung von Zusatzbeiträgen<br />
vermeiden wollen.<br />
Es wird noch stärker als bisher darum gehen, Wirtschaftlichkeitsreserven<br />
auszuschöpfen, um mit den<br />
gegebenen Mitteln den Versicherten einen maximalen<br />
<strong>Nutzen</strong> zu gewährleisten oder aber auch um den<br />
Versorgungsstandard mit weniger Mitteln zu erhalten.<br />
Die freien Ressourcen können dann ggf. für innovative<br />
Maßnahmen eingesetzt werden oder auch zur Deckung<br />
des steigenden Bedarfs infolge von Demografie-<br />
und Morbiditätsentwicklung. Soweit die Theorie.<br />
Können uns <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en dabei helfen?<br />
Aufschluss bietet ein Blick auf ein <strong>Kosten</strong>effektivitätsraster<br />
(vgl. Abb. 1). Auf der X-Achse sind die<br />
Gesamtkosten einer Therapie aufgetragen, also die<br />
Summe aus Verordnungskosten, Arzthonoraren,<br />
Krankenhauskosten etc.<br />
Auf der Y-Achse steht der <strong>Nutzen</strong> der Therapie für den<br />
Patienten. Eine neue Therapie kann nun besser, aber<br />
teurer als die Standardtherapie sein, sie kann aber<br />
auch besser und billiger, schlechter und billiger oder<br />
sogar schlechter und teurer sein. Optimal sind<br />
natürlich bessere Therapien, die kostengünstiger<br />
sind. Und die gibt es. Bei einem konkreten<br />
Beispiel aus der Infektologie konnten <strong>Kosten</strong><br />
eingespart und gleichzeitig die Therapierate<br />
erhöht werden.<br />
Ziel der Studie war es, die <strong>Kosten</strong>effektivität<br />
zweier Antibiotika bei der Behandlung von intraabdominellen<br />
Infektionen zu vergleichen.<br />
Die Perspektive war die des Krankenhauses.<br />
Wird die neue Therapie statt der Standardtherapie<br />
eingesetzt, spart man Geld. Genaue<br />
Zahlen zur Häufigkeit von intraabdominellen<br />
Abbildung 1
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 8<br />
Infektionen liegen zwar in Deutschland nicht vor.<br />
Wenn man aber allein die Fälle von Blinddarm- oder<br />
Gallengangblasentzündungen zusammennimmt<br />
(130.000 pro Jahr), so kommt man auf Einsparungen<br />
von etwa 130 Millionen Euro pro Jahr (vgl. Abb. 2).<br />
Diese Einsparung ist natürlich nur ein theoretischer<br />
Wert, da man beim Einsatz von Antibiotika noch andere<br />
Dinge beachten muss, wie z.B. die Resistenzbildung.<br />
Aber es ist ein Beispiel, das zeigt, dass man mit<br />
neuen Therapien durchaus auch <strong>Kosten</strong> einsparen<br />
kann.<br />
Fügt man diese Therapie nun in das Effektivitätsraster<br />
ein, so liegt sie im oberen linken Quadranten. Sie ist<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en sind mit einem hohen<br />
zeitlichen Aufwand verbunden<br />
Beispiel 1: Intraabdominelle Infektionen – A vs. B<br />
Abbildung 2<br />
Inkrementelle <strong>Kosten</strong> und <strong>Nutzen</strong> von A<br />
Zusatzkosten (hier:<br />
Minderkosten) pro Patient<br />
Zusatznutzen pro Patient<br />
(durchschnittliche Erfolgsrate*)<br />
Minderkosten pro Jahr<br />
(Berechnung für Appendizitis und<br />
Cholezystitis**)<br />
- 991 •<br />
+ 12,24%<br />
-130,75 Mio. •<br />
* Heilung bzw. verbesserter Gesundheitsstatus<br />
**Basis: Inzidenz für akute Appendizitis (Blinddarmentzündung) und akute Cholezystitis (Gallensteinentzündung)<br />
Quelle: Dietrich ES et al. In: Pharmacoeconomics 2001; 19:79<br />
billiger und besser als die Standardtherapie und sie<br />
wird daher als dominant bezeichnet. Sie ist ein echter<br />
Gewinn für die GKV oder auch für das Krankenhaus.<br />
Nur leider kommen ungefähr 90 Prozent der Publikationen<br />
gegenwärtig zu anderen Ergebnissen.<br />
Nehmen wir als Beispiel eine Studie zu Hepatitis C.<br />
Auch hier wurden zwei Therapien verglichen und es<br />
wurden die diskontierten, lebenslangen Therapiekosten<br />
ermittelt. Sie enthalten die <strong>Kosten</strong> für ambulante<br />
und stationäre Behandlung, Diagnostik, Labor, Arzneimittel,<br />
Begleiterkrankungen und auch therapiebedingte<br />
Lebensverlängerung. Außerdem wurde auch<br />
der Verlust von Arbeitskraft berücksichtigt.<br />
Wir finden hier nun zwar einen Zusatznutzen von 0,69<br />
QALYs, aber auch zusätzliche <strong>Kosten</strong> in Höhe von<br />
14.000 Euro pro Patient, hochgerechnet also über 20<br />
Millionen Euro an Mehrkosten. Trägt man dieses im<br />
Raster auf, liegt die neue Therapie im rechten oberen<br />
Quadranten und interessanterweise finden sich in der<br />
Literatur in den letzten Jahren fast nur noch solche<br />
Studienergebnisse.<br />
Ob hierauf Workshops einen Einfluss haben, bei denen<br />
vermittelt wird, ein Modell so anzulegen, dass<br />
z.B. maximal 30.000 Euro pro QALY herauskommen,<br />
das ist eine <strong>Bewertung</strong>, über die sich jeder selbst ein<br />
Urteil bilden muss.<br />
Zusammenfassend ist jedoch festzuhalten, dass jede<br />
Therapie, die einen Zusatznutzen bei Zusatzkosten<br />
bringt, zu einer Beitragssatzerhöhung führen kann,<br />
sofern nicht andere Maßnahmen aus dem Leistungskatalog<br />
der GKV herausgestrichen werden oder<br />
an anderer Stelle Einsparungen erzielt werden.<br />
Der Ursprung der Pharmakoökonomie war jedoch ein<br />
anderer. Der alte Leitsatz lautete: Mit Arzneimitteln<br />
sparen statt an Arzneimitteln. Das heißt, dass man<br />
durchaus auch einmal ein hochpreisiges Präparat<br />
einsetzen kann, aber unter dem Strich gleiche oder<br />
weniger Gesamtkosten erzielt werden. Aber dieser<br />
Leitsatz scheint im Moment ausgedient zu haben.<br />
Lange Dauer des <strong>Bewertung</strong>sverfahrens<br />
Doch wie viele <strong>Bewertung</strong>en und Beschlüsse kann<br />
der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mit Unterstützung<br />
des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />
im Gesundheitswesen (IQWiG) überhaupt<br />
umsetzen? In den Jahren 1999 bis 2004 dauerte es<br />
im Schnitt 35 Wochen von der Anhörung bis zur Publikation<br />
im Bundesanzeiger, d.h. bis zum Inkrafttreten<br />
der entsprechenden Therapiehinweise.<br />
Der Anhörung voran geht natürlich die Erarbeitung<br />
dieser Texte, die auch Zeit in Anspruch nimmt und<br />
bisher weitgehend durch den G-BA erfolgte. Der<br />
G-BA kann sich bei einer Änderung der Richtlinien auf<br />
<strong>Bewertung</strong>en des IQWiG stützen, und für derartige<br />
<strong>Bewertung</strong>en benötigte das IQWiG bisher im Durchschnitt<br />
91 Wochen.<br />
Dieser Berechnung liegen sieben Arzneimittelbewertungen<br />
zugrunde, die das IQWiG seit 2004 im Auftrag<br />
des G-BA durchgeführt hat. Zwei Rapid Reports sind<br />
hier allerdings nicht mit eingerechnet. Welcher Zeithorizont<br />
erwartet uns also bei den <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />
<strong>Bewertung</strong>en? Derzeit befinden wir uns noch mitten in<br />
der Methodendiskussion. Diese wird sicherlich noch<br />
einige Monate andauern. Danach kann die eigentliche<br />
Arbeit beginnen.<br />
Es werden Präparate ausgewählt, die eine <strong>Nutzen</strong>bewertung<br />
beim G-BA oder ggf. mit Unterstützung des
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 9<br />
IQWiG durchlaufen sollen. Führt das IQWiG diese<br />
<strong>Bewertung</strong> durch, dann dauerte das bisher besagte<br />
91 Wochen. Wird beschlossen, eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />
<strong>Bewertung</strong> anzuschließen, dann ist der Berichtsplan<br />
zu erstellen, zu diesem wird Feedback eingeholt, die<br />
<strong>Bewertung</strong> findet statt, ein Vorbericht wird erstellt, es<br />
werden dann wieder Stellungnahmen eingeholt und<br />
schließlich wird der Abschlussbericht vorgelegt.<br />
Ob dieses Verfahren zügiger ablaufen wird als die<br />
reine <strong>Nutzen</strong>bewertung, wird abzuwarten sein. Die<br />
bisherigen <strong>Bewertung</strong>en betrachten maßgeblich die<br />
Studienlage des Arzneimittels, das im Fokus steht.<br />
Teilweise werden auch noch andere Arzneimittel mit<br />
einbezogen, um den Zusatznutzen besser herauszuarbeiten.<br />
§ 35 b SGB V sieht jetzt einen standardmäßigen<br />
Vergleich mit anderen Arzneimitteln, aber auch<br />
mit anderen Behandlungsformen vor. Das dürfte die<br />
Arbeit um einiges erschweren und auch die Dauer des<br />
<strong>Bewertung</strong>sverfahrens erhöhen.<br />
Im Anschluss an die <strong>Bewertung</strong> setzt der GKV-Spitzenverband<br />
einen Höchstpreis fest, oder der G-BA<br />
erarbeitet eine Änderung der Arzneimittelrichtlinie.<br />
Beides nimmt ebenfalls Zeit in Anspruch. Werden<br />
Richtlinienmodifikationen anvisiert, so erfolgt erneut<br />
der beschriebene Prozess, so dass weitere 35 Wochen<br />
bis zur <strong>Bewertung</strong> ins Land gehen dürften.<br />
Ob der entsprechende Beschluss dann Bestand hat,<br />
ist ungewiss. Die Erfahrung zeigt, dass spätestens<br />
hier in vielen Fällen die Stunde der Juristen der pharmazeutischen<br />
Industrie schlägt, es also noch Arbeit<br />
für alle Beteiligten gibt. Das ist eine Schätzung, aber<br />
sie zeigt einen Trend auf. Es handelt sich um eine<br />
enorme Sisyphusarbeit. Ihre Effekte auf die Ausgabensituation<br />
dürften auf der anderen Seite überschaubar<br />
sein, denn viele Arzneimittel, die durch den<br />
G-BA unter die Lupe genommen werden, haben im<br />
Gesamtkontext des Verordnungsgeschehens meist<br />
nur eine geringe Bedeutung.<br />
Nur minimale Effekte<br />
Ein Beispiel: Aktuell standen die drei Arzneimittel<br />
Exenatid, Sitagliptin und Montelukast im Fokus des<br />
G-BA. Sie haben lediglich einen Anteil von unter einem<br />
halben Prozent an den gesamten GKV-Arzneimittelausgaben<br />
(vgl. Abb. 3). Wobei ein halbes Prozent<br />
nicht bedeutet, dass aufgrund der Beschlüsse<br />
die Ausgaben um ein halbes Prozent gesenkt werden.<br />
Ziel der Therapiehinweise ist vielmehr, dass die Verordnungsmenge<br />
etwas eingedämmt wird. Wenn man<br />
zu einer Reduktion um 0,1 oder 0,05 Prozent kommen<br />
würde, so wäre das schon ein großer Erfolg. Das<br />
Gleiche gilt analog für die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>.<br />
Doch wie sind die Erfahrungen mit solchen <strong>Bewertung</strong>en?<br />
Im Ausland zeitigen sie kaum Effekte. Dies kann man<br />
insbesondere für Großbritannien ganz klar aufzeigen.<br />
In einer Analyse des WINEG sind alle restriktiven<br />
<strong>Bewertung</strong>en des National Institute for Clinical Ex-<br />
Die zu erwartenden Auswirkungen auf die<br />
Arzneimittelausgaben sind gering.<br />
Wirkstoffe<br />
Exenatid 3)<br />
Sitagliptin 3)<br />
Montelukast<br />
Kumulierter Anteil an GKV-Arzneimittelausgaben 2007<br />
(1) Insight Health 10.6.2008<br />
(2) IGES 2008 (28 Mrd. €)<br />
(3) Auf deutschem Markt seit 2. Quartal 2007<br />
Abbildung 3<br />
Verordnungszahlen<br />
1) 2007<br />
31.036<br />
67.705<br />
692.965<br />
Verordnungsumsatz<br />
1) 2007<br />
5.883.056<br />
9.927.009,35<br />
70.133.573,48<br />
Anteil an GKV<br />
Arzneimittelausgaben<br />
2007 2)<br />
0,02 %<br />
0,03 %<br />
0,25 %<br />
< 0,5%<br />
cellence (NICE) aus den Jahren 1993 bis 2005 betrachtet<br />
worden. Dabei konnten keine Effekte durch<br />
diese Ausarbeitungen festgestellt werden.<br />
An der Stelle darf die Frage erlaubt sein, ob so viele<br />
hochkompetente Menschen in G-BA, IQWiG und der<br />
Industrie wirklich am richtigen Thema arbeiten?<br />
Könnten alle diese Ressourcen nicht besser eingesetzt<br />
werden? Wie hoch sind Opportunitätskosten<br />
und das <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Verhältnis dieses Prozederes?<br />
Mehr Transparenz durch <strong>Bewertung</strong>en<br />
Natürlich haben die <strong>Bewertung</strong>en sicherlich auch einen<br />
<strong>Nutzen</strong>. Sie bringen Transparenz ins Versorgungsgeschehen.<br />
Sie können die Struktur der <strong>Kosten</strong><br />
einer Erkrankung aufzeigen, und sie können helfen,<br />
den tatsächlichen <strong>Nutzen</strong> eines Medikaments auch<br />
außerhalb von Zulassungsstudien besser einzuschätzen.<br />
Und sofern diese Daten noch nicht existieren,<br />
was vielfach leider der Fall ist, kann die <strong>Bewertung</strong><br />
zumindest einen Anstoß geben, entsprechende Stu-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 10<br />
dien durchzuführen oder vielleicht nach und nach das<br />
Design aktueller Studien weiterzuentwickeln.<br />
Was ist jedoch der Stellenwert der geplanten <strong>Bewertung</strong>en<br />
im Kontext des gesamten Gesundheitssystems?<br />
Professor Günter Neubauer brachte es vor<br />
einigen Wochen so auf den Punkt: Man wird an einer<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> über das ganze Versorgungssystem<br />
nicht vorbei kommen.<br />
Zentrale Stellschrauben im Therapieprozess<br />
Man muss sich hierbei etwas von der Vorstellung<br />
lösen, dass in Zukunft alle diese <strong>Bewertung</strong>en in Form<br />
von <strong>Bewertung</strong>sverfahren beim IQWiG, dem G-BA<br />
oder dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation<br />
und Information (DIMDI) durchgeführt werden.<br />
Sieht man sich den gesamten Therapieprozess<br />
und die zentralen Stellschrauben einmal etwas genauer<br />
an, stellt sich durchaus die Frage, wo denn<br />
überhaupt Optimierungsbedarf besteht? Wo kann<br />
man <strong>Kosten</strong> einsparen, <strong>Nutzen</strong> erhöhen, wirklich Effekte<br />
erzielen? Und wo sind eigentlich die größten<br />
Hindernisse?<br />
Zunächst muss ein Patient überhaupt zu einem<br />
Arzt gehen, muss ein Arztkontakt stattfinden.<br />
Der Arzt sollte eine korrekte Diagnose<br />
stellen und eine leitliniengerechte Therapie<br />
auswählen. Dabei wird er nicht nur Arzneimittelverordnungen<br />
ausstellen, sondern er wird<br />
auch gegebenenfalls andere Therapiemaßnahmen<br />
wählen. Er wird Empfehlungen zur<br />
Lebensführung geben. Der Patient sollte sein<br />
Rezept auch einlösen, das Arzneimittel einnehmen,<br />
er sollte die anderen Therapiemaßnahmen<br />
umsetzen, seine Lebensführung der<br />
Erkrankung anpassen, und schließlich sollte<br />
eine Kontrolle der Maßnahmen durch den Arzt<br />
erfolgen und eventuell die Therapie angepasst<br />
werden.<br />
Werden die Therapieziele nicht erreicht, so sind die<br />
Maßnahmen zu optimieren und fortzusetzen. Welche<br />
sind die bedeutendsten Stellschrauben, aber auch die<br />
Haupthindernisse im System? Sicherlich liegen diese<br />
beim Thema Lebensführung und der dauerhaften<br />
Umsetzung der angezeigten Maßnahmen. An zweiter<br />
Stelle spielen viele andere Faktoren eine wichtige<br />
Rolle, nämlich, ob überhaupt ein Arztkontakt erfolgt,<br />
ob der Arzt sich an Leitlinien orientiert, ob der Patient<br />
die Therapie abbricht oder ob auch eine Nachkontrolle<br />
und Anpassung der Maßnahmen stattfindet.<br />
Studien belegen erhebliche Defizite<br />
Weiterhin können auch Schnittstellenproblematiken,<br />
Ärztehopping und vielleicht auch einmal die Qualität<br />
des bezogenen Arzneimittels eine Rolle spielen. Allein<br />
die Verordnung eines Arzneimittels garantiert<br />
noch keinen <strong>Nutzen</strong> für den Patienten. Die Arzneiverordnung<br />
sollte leitliniengerecht bzw. evidenzbasiert<br />
und rational sein.<br />
Hier belegen verschiedene Studien Defizite. Als Beispiel<br />
sei eine Befragung von rund tausend niedergelassenen<br />
Haus- und Fachärzten vom Dezember 2007<br />
angeführt. Zwei Drittel gaben immerhin an, mit Leitlinien<br />
zu arbeiten, und die Hälfte konnte im Multiple-<br />
Choice-Verfahren die korrekte Definition von Evidenzbasierter<br />
Medizin (EBM) ankreuzen (vgl. Abb. 4).<br />
Das ist im Vergleich zu anderen Erhebungen, wie<br />
etwa der Hydrastudie, sicher noch ein recht positives<br />
Ergebnis. Dennoch gibt es in der Versorgungswirklichkeit<br />
noch erhebliche Mängel. In einer anderen Studie<br />
Medikamentennutzen ist abhängig von der Einbettung<br />
in eine rationale Arzneimitteltherapie<br />
Erhebliche Defizite bestehen hinsichtlich einer leitliniengerechten und<br />
evidenzbasierten Verordnung von Arzneimitteln.<br />
Nutzung von Leitlinien durch<br />
niedergelassene Ärzte<br />
29%<br />
5%<br />
66%<br />
Arbeite bereits mit Leitlinien<br />
Arbeite nur in Ausnahmefällen mit Leitlinien<br />
Keine Angabe<br />
TNS Healthcare / TK, Befragung von niedergelassenen Haus- und Fachärzten, Dezember 2007<br />
Kenntnisse zur Bedeutung von EbM für<br />
niedergelassene Ärzte<br />
49%<br />
Kennen korrekte Definition von EbM<br />
Haben unklare Vorstellungen der Bedeutung<br />
von EbM<br />
Abbildung 4<br />
sind bei 130 Patienten die Arzneimittelumstellungen<br />
analysiert worden, die zum einen bei der Einweisung<br />
ins Krankenhaus, aber auch bei der Entlassung aus<br />
dem Krankenhaus vorgenommen wurden (vgl. Abb. 5,<br />
S. 11).<br />
Nach den Ergebnissen dieser Studie waren 50 Prozent<br />
der Umstellungen überflüssig. Sicherlich ist dies<br />
auch eine Folge der Sektorentrennung und fehlender<br />
51%
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 11<br />
Abbildung 5<br />
Schnittstellenproblematik als Ursache für<br />
therapeutisch unnötige Arzneimittelumstellungen<br />
Studien an 130 chronisch kranken Patienten in Göttingen<br />
420 Arzneimittel wurden von den Patienten vor Einweisung ins Krankenhaus eingenommen (14% davon Generika)<br />
28% der AM vom<br />
Krankenhausarzt abgesetzt<br />
14% der AM vom<br />
Hausarzt abgesetzt<br />
6% der AM vom Krankenhausarzt<br />
durch andere AM (andere Wirkstoffe)<br />
ersetzt<br />
Kommunikation zwischen Krankenhausärzten und<br />
niedergelassenen Ärzten. Wesentlich relevanter dürfte<br />
jedoch das Thema Compliance oder auch Adherence<br />
sein. Die Folgen von Non-Adherence werden in<br />
einer großen Längsschnittstudie mit 30.000 Kanadiern<br />
nach akutem Herzinfarkt recht gut deutlich (vgl.<br />
Abb. 6, S. 12).<br />
Das Mortalitätsrisiko lag bei den Patienten mit einer<br />
hohen Therapietreue nach zweieinhalb Jahren bei<br />
16 Prozent und bei den Low-Adherers bei 24 Prozent.<br />
Die Folgekosten aufgrund mangelnder Compliance<br />
sind beträchtlich. Hier gibt es nur Schätzungen mit<br />
entsprechend großen Schwankungen, jedoch keine<br />
validen Zahlen. So führt man in den USA 30 bis<br />
70 Prozent aller medikamentenbedingten Kranken-<br />
Einweisung ins Krankenhaus<br />
Entlassung aus dem Krankenhaus<br />
11% der AM vom Hausarzt<br />
durch andere AM (andere Wirkstoffe)<br />
ersetzt<br />
11% der AM vom Krankenhausarzt<br />
durch andere Marke (gleicher Wirkstoff)<br />
ersetzt.<br />
10% der AM vom Hausarzt<br />
durch andere Marke (Generika)<br />
ersetzt.<br />
50% der umgestellten Arzneimittel bei sektorenübergreifender<br />
Arzneimittelversorgung sind möglicherweise überflüssig<br />
Himmel et al. Eur J Clin Pharmacol 1996; 253:257<br />
hauseinweisungen auf mangelhafte Therapietreue<br />
zurück. Für Deutschland gibt es Schätzungen, nach<br />
denen man die <strong>Kosten</strong> für Non-Compliance auf jährlich<br />
bis zu 10 Milliarden Euro schätzt.<br />
Ein ebenfalls sehr heikles Thema sind Lebensführung<br />
und Eigenverantwortung des Patienten. Darunter fallen<br />
nicht nur Diäten oder das Treiben von Sport,<br />
sondern auch die Wahrnehmung von Primär- und<br />
Sekundärprävention. In einer weiteren Studie konnten<br />
die Teilnehmer durch Rückenschulkurse ihre physische<br />
Lebensqualität deutlich verbessern, die<br />
Schmerzstärke ging signifikant zurück und die Arbeitsunfähigkeit<br />
konnte in fünf Quartalen um elf Tage<br />
reduziert werden (vgl. Abb. 7, S. 12). Ein beachtlicher<br />
Erfolg ohne Medikamente.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 12<br />
Mangelhafte Compliance – Grund für suboptimalen<br />
<strong>Nutzen</strong> von Arzneimitteltherapien<br />
Abbildung 6<br />
Abbildung 7<br />
Auswirkung der Compliance auf die Mortalität bei Statin-Therapie nach akutem Herinfarkt<br />
Anzahl Anwender (nach<br />
Compliance über 1 Jahr)<br />
Mortalität<br />
Beobachtungszeit (Median)<br />
Anteil der Todesfälle an<br />
Anwendergruppe<br />
Geringe<br />
Compliance<br />
Rasmussen JN et al in: JAMA 2007; 297 (2):177<br />
14.345<br />
1.071<br />
2,1 J.<br />
24,4 %<br />
Hohe<br />
Compliance<br />
2.310<br />
261<br />
2,4 J.<br />
16,1 %<br />
<strong>Nutzen</strong> weiterer medizinischer Behandlungsstrategien:<br />
Maßnahmen zur Lebensführung<br />
Evaluation der Effekte von Rückenschulprogrammen<br />
� Kontrollierte Studie: Vergleich der Effekte<br />
einer Rückenschulteilnahme<br />
(Interventions-/ Kontrollgruppe)<br />
hinsichtlich<br />
� Kurz- und langfristige<br />
Rückenschmerzstärke<br />
� AU-Tage<br />
Ergebnisse<br />
� Deutliche Verbesserung der physischen<br />
Lebensqualität<br />
� Reduktion der AU-Tage um ca. 11 Tage<br />
je Kursteilnehmer innerhalb von 5<br />
Quartalen<br />
Walter U et al in: Deutsches Ärzteblatt 26.8.2002<br />
Figure 1. Kaplan-Meier Estimates<br />
of Time to Death for Statin Users<br />
According to Adherence Level
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 13<br />
Fazit<br />
Es bleibt festzuhalten, dass die Ausgaben für Arzneimittel,<br />
die möglicherweise einer <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
unterzogen werden, nur einen sehr geringen<br />
Anteil an den gesamten GKV-Ausgaben für Arzneimittel<br />
ausmachen. Es ist fraglich, ob sich die Ergebnisse<br />
tatsächlich auf die Nachhaltigkeit der Versorgung auswirken<br />
werden. <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>en werden<br />
jedoch sicherlich Transparenz schaffen. Sie können<br />
zu einer kontinuierlichen Qualitätssicherung beitragen.<br />
Zudem können sie eine evidenzbasierte Arzneimitteltherapie<br />
vorantreiben.<br />
Ausschlaggebend für eine nachhaltige Versorgung<br />
sind jedoch auch eigenverantwortliche Patienten mit<br />
einem konstruktiven Gesundheitsverhalten und Therapietreue.<br />
Sonst nützt alle Arzneimitteltherapie wenig<br />
und alle Einsparmaßnahmen laufen ins Leere.<br />
Außerdem ist eine reibungslose, sektorenübergreifende<br />
Versorgung von großer Bedeutung. Es braucht<br />
Vorbemerkung<br />
Die traditionelle Forschungsabstinenz in der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung (GKV) liegt in gesetzlichen<br />
Restriktionen begründet und könnte durch eine<br />
„Experimentierklausel“ beendet werden, um aussagekräftige<br />
Daten zum <strong>Nutzen</strong> innovativer oder umstrittener<br />
Methoden zu erhalten.<br />
Valide und eindeutige Aussagen zum <strong>Nutzen</strong> würden<br />
ebenfalls die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> (KNB) erleichtern.<br />
Während die Rahmenbedingungen für die<br />
<strong>Nutzen</strong>bewertung, d.h. die Durchführung klinischer<br />
Studien vorhanden sind, ist die Datengrundlage in<br />
Deutschland hinsichtlich der <strong>Kosten</strong>erfassung insuffizient.<br />
Datenanforderungen für eine valide<br />
<strong>Nutzen</strong>bewertung<br />
In der Regel wird eine valide <strong>Nutzen</strong>bewertung durch<br />
Evidenz aus randomisierten kontrollierten Studien<br />
(RCTs) belegt. In der Literatur wird häufig zwischen<br />
also ergänzend auch gute Beratungs- und Betreuungsangebote<br />
für die Patienten.<br />
Das Gesundheitsverhalten, die partnerschaftliche<br />
Entscheidungsfindung und die Patientenautonomie<br />
sollten gefördert werden, u.a. auch, um die Verantwortung<br />
des Patienten und seine Therapietreue zu<br />
erhöhen. Der Arzt benötigt gute Informationen in einer<br />
Form, die adressatengerecht ist und die auch tatsächlich<br />
in den Workflow des Arztes einfließen kann.<br />
Der Ausbau der Integrierten Versorgung ist sicherlich<br />
sinnvoll, denn so können eine sektorenübergreifende<br />
Versorgung, die Umsetzung von Leitlinien sowie Maßnahmen<br />
zur Qualitätssicherung besser umgesetzt<br />
werden. Alles dies sind Elemente, die bei der Gestaltung<br />
einer nachhaltigen und hochwertigen Gesundheitsversorgung<br />
unterstützen können. Und Nachhaltigkeit<br />
sollte der Kompass für einen verantwortungsvollen<br />
Fortschritt sein.<br />
© gpk<br />
Valide <strong>Bewertung</strong> von <strong>Nutzen</strong> und <strong>Kosten</strong><br />
Möglichkeiten zur Verbesserung der Datenlage<br />
Von PD Dr. med. Matthias Perleth<br />
Wirksamkeit und <strong>Nutzen</strong> bzw. Zusatznutzen unterschieden.<br />
<strong>Nutzen</strong> ist eine mehr als geringfügige patientenrelevante<br />
positive Wirkung (= Kausalitätsanspruch)<br />
einer medizinischen Maßnahme unter Abwägung<br />
des Risikos.<br />
Als patientenrelevant wird ein Effekt bezeichnet, wenn<br />
er sich auf den Krankheitsverlauf inklusive Mortalität,<br />
Symptomatik sowie die Lebensqualität bezieht und für<br />
Patienten wichtig ist. Damit ist klar, dass Zulassungsstudien<br />
von Arzneimitteln, die zwar die Zulassungskriterien<br />
nach dem Arzneimittelgesetz § 25 erfüllen<br />
(Nachweis der pharmazeutischen Qualität, therapeutischen<br />
Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, häufig anhand<br />
von Surrogat-Parametern, oft im Placebovergleich),<br />
aber eben nicht die bereits skizzierten Anforderungen<br />
des SGB V (§ 12).<br />
Jeweils zu klären ist der Stellenwert von Surrogatendpunkten<br />
und der Lebensqualität. Insbesondere Lebensqualität<br />
ist als primäres <strong>Bewertung</strong>skriterium akzeptabel,<br />
wenn sonst keine Unterschiede zwischen
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 14<br />
Perspektiven und <strong>Kosten</strong>arten in gesundheitsökonomischen Analysen*<br />
Gesamtgesellschaftlich<br />
Gesundheitswesen<br />
Perspektive<br />
Sozialversicherung<br />
Krankenversicherung<br />
stationär<br />
ambulant<br />
<strong>Kosten</strong>art<br />
Direkte medizinische<br />
<strong>Kosten</strong><br />
Direkte medizinische<br />
<strong>Kosten</strong><br />
Direkte medizinische<br />
<strong>Kosten</strong> (andere Sozialversicherungsträger)<br />
Direkte medizinische<br />
<strong>Kosten</strong><br />
(Patient, Familie)<br />
Direkte nicht-medizinische<br />
<strong>Kosten</strong><br />
(Patient, Familie)<br />
Produktionsverlust<br />
(indirekte <strong>Kosten</strong>)<br />
Zukünftige Gesundheitskosten<br />
Alternativen nachweisbar sind oder klinisch-objektivierbare<br />
Kriterien fehlen. Zusatznutzen ist das Ergebnis<br />
eines positiven <strong>Nutzen</strong>vergleichs mit dem bisherigen<br />
(etablierten) Standard.<br />
Möglichkeiten zur Verbesserung der Datenlage:<br />
<strong>Nutzen</strong><br />
Eine Forschungsinfrastruktur zur Planung und Durchführung<br />
von RCTs ist vorhanden. Zu erwähnen sind<br />
vor allem Förderprogramme des Forschungsministeriums<br />
für klinische Studien und systematische Übersichtsarbeiten<br />
(gemeinsam mit der Deutschen For-<br />
Beispiele<br />
Personalkosten, Arzneimittel, diagnostische<br />
Tests, therapeutische Verfahren, Gemeinkosten,<br />
Investitionen, Abschreibungen<br />
Arzt-Patienten-Kontakte von Allgemeinmedizinern<br />
und niedergelassenen Fachärzten, Arzneimittel,<br />
verordnete Leistungen (Heilmittel,<br />
Hilfsmittel)<br />
Rehabilitation, Pflege (Pflegeheim häusliche<br />
Krankenpflege)<br />
Selbstbeteiligung (sofern aus direkten <strong>Kosten</strong><br />
der Sozialversicherung herausgerechnet),<br />
OTC-Medikamente; Selbstzahlerleistungen<br />
Fahrtkosten (sofern nicht von Krankenversicherung<br />
übernommen), notwendige krankheitsbedingte<br />
Umbauten in der Wohnung, Zeitaufwand<br />
des Patienten bzw. der Angehörigen<br />
Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit, vorzeitiger<br />
Tod, reduzierte Arbeitskapazität<br />
Arzneimittel, stationäre oder ambulante Therapie<br />
etc. nach Vermeidung tödlicher Ereignisse<br />
bei chronischen Krankheiten bzw. nach Heilung<br />
akuter Krankheiten<br />
* nach: Busse R. <strong>Bewertung</strong> der ökonomischen Implikationen von Technologien. In: Perleth M, Busse R, Gerhardus A,<br />
Gibis B, Lühmann D (Hrsg.) Health Technology Assessment: Konzepte, Methoden, Praxis für Wissenschaft und<br />
Entscheidungsfindung. Berlin: MWV 2008, S. 203–220<br />
schungsgemeinschaft), das Förderprogramm Versorgungsforschung<br />
(gemeinsam mit Sozialversicherungsträgern)<br />
sowie die Förderung von Koordinierungszentren<br />
für klinische Studien und klinische Studienzentren.<br />
Auch auf EU-Ebene sind entsprechende<br />
Förderprogramme etabliert. Allerdings sind, je nach<br />
medizinischem Fachgebiet, nationale und internationale<br />
Kooperationen (z.B. Multizenterstudien) noch<br />
ausbaufähig.<br />
Unabhängig davon wäre eine „Experimentierklausel“<br />
für die gezielte Forschungsförderung im Rahmen der<br />
GKV hilfreich, um hier besonders relevante For-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 15<br />
schungsfragen unbürokratisch beantworten zu können.<br />
Bisher ist das, verbunden mit vielen Nachteilen,<br />
u.a. in so genannten Modellversuchen nach § 63 ff.<br />
SGB V möglich (z.B. Akupunktur und Balneophototherapie).<br />
Auf RCTs kann nur in Ausnahmefällen verzichtet werden.<br />
RCTs bieten die Möglichkeit, den <strong>Nutzen</strong> einer<br />
medizinischen Maßnahme kausal und fair nachzuweisen.<br />
Marketinginstrumente wie Anwendungsbeobachtungen<br />
sind für den <strong>Nutzen</strong>nachweis unbrauchbar.<br />
Die „Alltagswirksamkeit“ als Argument gegen<br />
RCTs anzuführen, ist irreführend und kein Grund,<br />
fehlende aussagekräftige RCT-Ergebnisse durch minderwertige<br />
Studiendesigns zu substituieren. Auch im<br />
Alltag ist der <strong>Nutzen</strong> kausal und fair nachzuweisen<br />
und es stimmt nicht, dass mit niedrigerer Evidenzstufe<br />
die Übertragbarkeit von Studienergebnissen besser<br />
werde.<br />
Verbesserung der Datenlage: <strong>Kosten</strong><br />
Im Vergleich zu den aus (auch aus international verfügbaren)<br />
Studien vorhandenen Daten zum <strong>Nutzen</strong><br />
bestehen für Deutschland gravierende Defizite in der<br />
Datenlage zu <strong>Kosten</strong>. Der Zugang zu validen <strong>Kosten</strong>daten<br />
stationär und ambulant ist stark eingeschränkt,<br />
teilweise mangels valider Datengrundlage (ambulant),<br />
teilweise wegen des fehlenden Datenzugangs<br />
(stationär), teilweise wegen der fehlenden Verfügbarkeit<br />
sektorübergreifender längsschnittlicher und kassenartenübergreifender<br />
Daten (fehlende Umsetzung<br />
des § 303 a – f SGB V). Selbst bei der Berücksichtigung<br />
einer nur eingeschränkten <strong>Bewertung</strong>sperspektive<br />
wird dieser Mangel an Daten evident (s. Tabelle<br />
S. 14).<br />
Für eine valide <strong>Bewertung</strong> der <strong>Kosten</strong> aus der jeweils<br />
angemessenen Perspektive sind Daten aus vier Bereichen<br />
notwendig, jeweils unter Beachtung von chronischen<br />
oder temporären Zuständen und unterschiedlichen<br />
Zeithorizonten:<br />
● Versorgungsepidemiologie: Daten zur Inzidenz/<br />
Prävalenz von Krankheiten, Dissemination und Nutzung<br />
medizinischer Technologien;<br />
● Ressourcenverbrauch: Daten im spezifisch-nationalen<br />
Kontext, Erhebung in separaten Studien oder<br />
parallel zu klinischen Studien („piggy-back“);<br />
● Sekundärdaten: Umsetzung der Datentransparenzregelung<br />
(§ 303 a–f SGB V), Krankenhauskosten<br />
(DRG-Kalkulationskrankenhäuser), valide Daten<br />
aus dem vertragsärztlichen Bereich;<br />
● Präferenzen/Nutzwerte: für Deutschland spezifische<br />
Nutzwerte zur Kalkulation von QALYs, Ermittlung<br />
von Präferenzen mittels standardisierter Instrumente.<br />
Aus dem Gesetzestext ergibt sich zusammenfassend,<br />
dass sowohl <strong>Kosten</strong>-Effektivitätsanalysen wie auch<br />
<strong>Kosten</strong>-Nutzwertanalysen möglich sind, insofern ist<br />
auch die Verwendung von QALYs zumindest nicht<br />
ausgeschlossen.<br />
Die KNB nach § 35b SGB V als weiteres<br />
Instrument zur <strong>Kosten</strong>kontrolle<br />
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen der KNB sind<br />
hinlänglich diskutiert und bekannt. Weniger diskutiert<br />
wird der tatsächliche Stellenwert der Regelung. Zum<br />
einen ist zu beachten, dass es sich um eine weitere<br />
von zahlreichen Regelungen zur <strong>Kosten</strong>kontrolle von<br />
Arzneimitteln handelt (u.a. Festbeträge, Aut-Idem-<br />
Regelung, Rabattverträge). Zum anderen sind die<br />
Rahmenbedingungen so eng gesteckt, dass auch finanziell<br />
nur eine begrenzte Reichweite der KNB zu<br />
erwarten ist (s. Tabelle S. 14).<br />
Der im Gesetz geforderte internationale Standard für<br />
die KNB ist nur in Teilbereichen konsentiert. Die Gesetzeslage<br />
fordert eine zweistufige <strong>Bewertung</strong> (zunächst<br />
<strong>Nutzen</strong>bewertung, dann eventuell KNB). Modellierungen<br />
sind für bestimmte Fragestellungen in<br />
Erwägung zu ziehen, u.a. für die <strong>Bewertung</strong> längerer<br />
Zeithorizonte oder Anpassungen an den nationalen<br />
Kontext. Die Ergebnisse sind jedoch stark von Annahmen<br />
und der Modellstruktur abhängig, so dass hohe<br />
Anforderungen an die Transparenz bzw. die Berichtsqualität<br />
zu stellen sind. Ein fehlender <strong>Nutzen</strong>beleg<br />
kann allerdings auch nicht im Rahmen einer Modellierung<br />
errechnet werden.<br />
Fazit<br />
Die Voraussetzungen für die Verbesserung der Datenlage<br />
bei der <strong>Nutzen</strong>bewertung sind gegeben. Die Datenlage<br />
für eine valide <strong>Kosten</strong>bewertung in Deutschland<br />
ist allerdings mangelhaft und nur mittelfristig zu<br />
verbessern. Die Schlüsselrolle dafür liegt in erster<br />
Linie beim Gesetzgeber, bei den Leistungserbringern<br />
und den Krankenkassen.<br />
Es sollte verhindert werden, dass die ökonomische<br />
Evaluation medizinischer Technologien durch eine<br />
unsachliche Diskussion anlässlich der Einführung der<br />
„<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>“ diskreditiert wird.<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 16<br />
Status quo and trends within the field<br />
of quality adjusted life years<br />
Von Prof. John E. Brazier<br />
John E. Brazier, PhD (Sheffield), MSc (York), BA (Exeter), Professor of Health Economics in the School of Health<br />
and Related Research at the University of Sheffield. He has been a member of a number of commissioning Boards,<br />
including HTA, Trent Health and the MRC HSR Fellowship Panel. He was a member of the National Institute for<br />
Clinical Excellence (NICE) Technology Appraisal Committee from 2000–2004.<br />
Mean discounted utility<br />
Status quo and trends within the<br />
field of quality adjusted life years<br />
John Brazier<br />
Professor of Health Economics<br />
Health Economics and Decision Science<br />
School of Health and Related Research<br />
University of Sheffield<br />
Presentation for the Symposium on Cost-effectiveness<br />
June 17 th 2008, Kaiserin-Friedrich-Stiftung, Berlin, Germany.<br />
Measure of benefit<br />
A new intervention:<br />
• May be less effective and more costly…×<br />
• More effective and less costly….. v<br />
• More effective and more costly….?<br />
• Plus less effective and less costly….?<br />
0.45<br />
0.4<br />
0.35<br />
0.3<br />
0.25<br />
0.2<br />
0.15<br />
0.1<br />
0.05<br />
0<br />
? For resource allocation decisions in health care we<br />
need a measure of benefit that allows comparisons to be<br />
made across treatments and patient groups<br />
Calculating QALY gain of PDT<br />
on Macular Degeneration<br />
0 - 3<br />
3 - 6<br />
6 - 9<br />
9 - 12<br />
12 - 15<br />
15 - 18<br />
18 - 21<br />
21 - 24<br />
24 - 27<br />
27 - 30<br />
31 - 33<br />
33 - 36<br />
36 - 39<br />
39 - 42<br />
42 - 45<br />
45 - 48<br />
48 - 51<br />
51 - 54<br />
54 - 57<br />
57 - 60<br />
60 - 63<br />
63 - 66<br />
66 - 69<br />
69 - 72<br />
72 - 75<br />
75 - 78<br />
78 - 81<br />
81 - 84<br />
84 - 87<br />
87 - 90<br />
90 - 93<br />
93 - 96<br />
96 - 99<br />
99 - 102<br />
102 - 105<br />
105 - 108<br />
108 - 111<br />
111 - 114<br />
114 - 117<br />
117 -<br />
Time in months<br />
Verteporfin<br />
Placebo<br />
The problem<br />
A finite limit to resources<br />
Plus<br />
demands/needs exceed current (or future)<br />
resources<br />
implies the necessity for choice<br />
How should these choices be made?<br />
Calculating QALY gain of PDT<br />
Quality Adjusted Life Years<br />
The Quality Adjusted Life Year (QALY) combines<br />
quality of life and length of life into the single<br />
measure of benefit of a quality adjusted survival<br />
• The ‘Q’ (or utility) is a value assigned to each<br />
health state from zero to one, where zero is for<br />
state equivalent to death and one for full health<br />
Trading off health and life<br />
health<br />
(full health) 1<br />
(death) 0<br />
10<br />
time<br />
Cost effectiveness<br />
New interventions are assessed by NICE and<br />
other agencies around the world in terms of:<br />
• Clinical effectiveness<br />
Assessed using systematic reviews of (largely)<br />
RCT evidence for a range of clinical outcomes –<br />
that increasingly includes quality of life<br />
• Cost-effectiveness<br />
Assessed in terms of the incremental (or extra)<br />
cost per quality adjusted life years (QALYs) over<br />
and above the existing treatment<br />
health<br />
(full health) 1<br />
(death) 0<br />
Quality-adjusted life years<br />
Q<br />
Source: Drummond et al, 1997<br />
The time trade-off<br />
T<br />
10<br />
Q×10 = 1×T<br />
Q = T/10<br />
If T = 6, then Q= 0.6,<br />
and both options<br />
provide 6 QALYs.<br />
time<br />
QALYs = total area
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 17<br />
health<br />
(full health) 1<br />
0.70<br />
0.30<br />
(death) 0<br />
4 × 1.00<br />
Health profiles<br />
4<br />
5 × 0.70<br />
5 × 0.30<br />
5 5<br />
time<br />
EUROQOL © HEALTH QUESTIONNAIRE (or EQ-5D)<br />
QALYs<br />
= t Q(t)<br />
= 4 + 3.5 + 1.5<br />
= 9<br />
Here are some simple questions about your health in general. By ticking one answer in each<br />
group below, please indicate which statements best describe your own health state TODAY.<br />
1. Mobility<br />
I have no problems in walking about �<br />
I have some problems in walking about �<br />
I am confined to bed �<br />
2. Self-care<br />
I have no problems with self-care �<br />
I have some problems washing or dressing myself �<br />
I am unable to wash or dress myself �<br />
3.Usual Activities<br />
I have no problems with performing my usual activities �<br />
(e.g. work, study, housework, family or leisure activities)<br />
I have some problems with performing my usual activities �<br />
I am unable to perform my usual activities �<br />
4.Pain/Discomfort<br />
I have no pain or discomfort �<br />
I have moderate pain or discomfort �<br />
I have extreme pain or discomfort �<br />
5.Anxiety/Depression<br />
I am not anxious or depressed �<br />
I am moderately anxious or depressed �<br />
I am extremely anxious or depressed �<br />
Rationale<br />
Please tick one<br />
Pros<br />
• ‘Off-the-shelf’<br />
• Cheap<br />
• Convenient and comparatively easy to use in clinical<br />
trials (all self-completed except the QWB)<br />
• Accepted by NICE and other agencies in ‘reference<br />
case’ analyses<br />
Cons<br />
• May not be relevant or sensitive to the condition or<br />
treatment effects<br />
How do they compare?<br />
Naïve view:<br />
They value health states on the same scale (where zero<br />
is for dead and one for full health), so they should<br />
generate the same values for the same patients<br />
Reality:<br />
There are major differences in terms of their descriptive<br />
systems (coverage, range and sensitivity) and methods<br />
of valuation – and so are not on the same scale.<br />
Valuing health:<br />
putting the ‘q’ into the QALY<br />
UK Valuation of EQ-5D health state<br />
• 3395 interviews were conducted in respondents<br />
own home (response rate = 64%)<br />
• highly representative sample of UK population)<br />
• Each respondent valued 12 health states (out of<br />
43) by time trade-off and visual analogue scale<br />
• Statistical modeling used to value all 243 EQ-5D<br />
health states (from the 43)<br />
Source: Dolan, 1997<br />
QWB<br />
HUI3<br />
EQ-5D<br />
SF-6D<br />
Generic measures: descriptive systems<br />
Physical functioning, role limitation, social functioning, pain,<br />
mental health and vitality<br />
AQoL1 Independent living (self-care, household tasks, mobility),<br />
social relationships (intimacy, friendships, family role),<br />
physical senses (seeing, hearing, communication),<br />
psychological wellbeing (sleep, anxiety and depression, pain)<br />
15D<br />
Dimension<br />
Mobility, physical activity, social functioning<br />
27 symptoms/problems<br />
Vision, Hearing, Speech, Ambulation, Dexterity, Emotion,<br />
Cognition, Pain<br />
Mobility, Self-care, Usual Activities, Pain/discomfort,<br />
Anxiety/depression<br />
Mobility, vision, hearing, breathing, sleeping, eating, speech,<br />
elimination, usual activities, mental function,<br />
discomfort/symptoms, depression, distress, vitality, sexual<br />
activity<br />
Levels<br />
Comparison of 3 generic measures mean<br />
(SD) scores by visual impairment<br />
Contrast sensitivity N TTO HUI3 SF-6D EQ-5D<br />
(binocular, log units)<br />
1.30 26 0.83 (0.25) 0.53 (0.31) 0.73 (0.16) 0.70 (0.28)<br />
R-squared 0.09*# 0.14*# 0.05*# 0.03<br />
* p
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 18<br />
EQ-5D<br />
1.2<br />
1.0<br />
.8<br />
.6<br />
.4<br />
.2<br />
0.0<br />
-.2<br />
N =<br />
EQ-5D by VA<br />
11<br />
2.01 thru hi<br />
43<br />
107<br />
101<br />
124<br />
132<br />
1.31 thru 2.00<br />
Better-seeing Eye VA (distant, LogMAR)<br />
37<br />
91<br />
120<br />
202<br />
0.61 thru 1.30<br />
23<br />
147<br />
0.31 thru 0.60<br />
24<br />
71<br />
102<br />
lo thru 0.30<br />
Mapping empirically onto a<br />
generic measure<br />
• Uses regression to ‘map’ between measures (i.e.<br />
estimate a relationship between them in order to<br />
use one (e.g. SF-36) to predict a value for the<br />
other (e.g. EQ-5D)<br />
• Requires both measures to be used in the same<br />
patient sample<br />
Advantages:<br />
• It can be quick and in some circumstances it<br />
may be adequate<br />
• How well does it do?<br />
Condition specific measures: asthma<br />
Feel concerned about having asthma<br />
[1]None of the time [2]A little or hardly any of the time [3]Some of the time<br />
[4]Most of the time [5] All of the time<br />
Feel short of breath as a result of asthma<br />
[1]None of the time [2]A little or hardly any of the time [3]Some of the time<br />
[4]Most of the time [5] All of the time<br />
Experience asthma as a result of air pollution<br />
[1]None of the time [2]A little or hardly any of the time [3]Some of the time<br />
[4]Most of the time [5] All of the time<br />
Asthma interferes with getting a good night’s sleep<br />
[1]None of the time [2]A little or hardly any of the time [3]Some of the time<br />
[4]Most of the time [5] All of the time<br />
Overall, the activities I have done have been limited<br />
[1] Not at all [2] A little [3] Moderate or some<br />
[4] Extremely or very [5] Totally<br />
Why use QALY?<br />
• Combines different dimensions of health (e.g. mobility,<br />
pain, social functioning) into a single measure of<br />
effectiveness<br />
• Combines the two main benefits of health care: improved<br />
health related QoL with survival<br />
• Can be used to assess all types of interventions: those<br />
that impact on length of life, quality of life and both<br />
• Can be used to make comparisons across interventions<br />
in the same patient group and between patient groups<br />
? can be used to inform resource allocation in health care<br />
160,000<br />
140,000<br />
120,000<br />
100,000<br />
80,000<br />
60,000<br />
40,000<br />
20,000<br />
0.50<br />
0.00<br />
-0.50<br />
Cost effectiveness of drug for MD by<br />
preference-based measure<br />
0<br />
HUI3 TTO SF-6D EQ-5D<br />
Using SF-36 to predict the EQ-5D scores<br />
Mean<br />
EQ-5D state (ordered according to severity)<br />
Cost per QALY<br />
1.00 EQ-5D score<br />
Valuation<br />
Predictions<br />
using GLS<br />
random<br />
effects model<br />
� Asthma (AQL-5D) states valued using TTO (MVH<br />
protocol) by a representative sample of UK<br />
general population (n=308)<br />
� Statistical modelling to estimate an algorithm for<br />
valuing all states defined by AQL-5D (and hence<br />
AQLQ) (Yang et al, 2007)<br />
Similar studies have been undertaken with SF-36<br />
(SF-6D), King Health Questionnaire, OABq, SQoL,<br />
ADQoL and others are on their way<br />
Problems with QALYs?<br />
• Ignores equity concerns (e.g. QALYs to those in<br />
poor health may be more valuable to society) –<br />
can adjust QALYs to take such concerns into<br />
account<br />
• Ignores non-health issues – can be included but<br />
limited by size of descriptive system<br />
• Results are dependent on methods used<br />
methods<br />
• Existing measures too crude<br />
Causes and policy implications<br />
Descriptive System<br />
• Dimensions – e.g. vision not covered by EQ-5D<br />
• Severity – range (e.g. floor effect in SF-6D)<br />
• Sensitivity – number of levels (e.g. EQ-5D is very crude at upper end)<br />
Valuation<br />
• Time trade-off, standard gamble and visual analogue scales produce<br />
different values<br />
? Implications for policy<br />
• Policy makers insist on one measure to achieve comparability across<br />
patient groups<br />
• Problem: no single measure covers all patient groups (e.g. what about<br />
children?) or all medical conditions (e.g. visual impairment in AMD, hearing<br />
loss, OAB, leg ulcers etc.)<br />
Mapping: where is it going?<br />
Current practice:<br />
• Review found variable performance across conditions<br />
• Published studies usually do not explore the impact of size and<br />
pattern of errors (related to severity) on cost effectiveness<br />
• Recent application to mapping function from SF-36 to EQ-5D found<br />
average MAE of incremental differences between trial arms of<br />
around 0.05. Impact on CE depends on context.<br />
Implications:<br />
• Always second best to directly using a generic in a trial<br />
• Important dimensions may not appear in the generic measure – so<br />
may be better to value preferred measure in the first place<br />
Generic vs. condition specific<br />
measures<br />
For CSMs:<br />
• more sensitive and relevant to condition<br />
Against CSMs:<br />
• excludes side-effects of treatment (unless built into measure)<br />
• excludes co-morbidities and these may alter the impact of the<br />
main medical condition (i.e. preference dependence)<br />
• Problem of achieving comparability across measures due to<br />
framing effects and dependence between preferences for<br />
included and excluded dimensions (I.e. the impact of role<br />
limitation may depend on a persons mental well-being)<br />
Conclusions about QALYs<br />
• They can be used to assess the cost-effectiveness of<br />
health care interventions<br />
• They are contentious, but have become accepted in a<br />
number of countries e.g. UK, Australia, Netherlands,<br />
Sweden, Canada<br />
• There are different methods of putting the ‘q’ into QALYs<br />
so policymakers need to choose a ‘reference case’ set of<br />
methods<br />
• Further research is required into developing QALYs<br />
based on more sensitive and relevant descriptive<br />
systems and to ensuring comparability is retained<br />
A health care system without QALYs lacks a systematic<br />
basis for comparing the cost effectiveness of health care<br />
interventions<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 19<br />
Pro und Kontra<br />
Patientenrelevante Endpunkte nach SGB V<br />
Von Prof. Dr. med. Matthias Augustin<br />
Therapeutische Entscheidungen beruhen in der Medizin<br />
traditionell auf objektivierbaren Fakten. Sie werden<br />
durch Analyse der persönlichen Merkmale des<br />
Patienten sowie aus der externen klinisch-wissenschaftlichen<br />
Datenlage begründet. Beide Anteile, interne<br />
und externe Evidenz, werden in der Evidenzbasierten<br />
Medizin als Grundlagen therapeutischer<br />
Maßnahmen angesehen. Die Arztperspektive steht<br />
dabei im Vordergrund.<br />
Eine explizite Rolle für von Patienten berichtete Endpunkte<br />
hat die in den letzten Jahren vorherrschende<br />
klinische und Evidenz-basierte Medizin nicht definiert.<br />
Dennoch hat die Ergebnismessung aus Patientensicht<br />
– international oft unter dem Begriff „Patient<br />
Reported Outcomes“ (PRO) subsummiert – inzwischen<br />
weltweit eine immer wichtigere Rolle erhalten.<br />
Wesentlich dazu beigetragen hat die Einsicht, dass<br />
die Erhaltung oder Verbesserung der Lebensqualität<br />
des Patienten eine zentrale Zielsetzung medizinischen<br />
Handelns sein muss.<br />
Die medizinisch-technische Machbarkeit in der modernen<br />
Medizin wird vielfach – etwa in der Onkologie<br />
– durch potenziell negative Auswirkungen auf die Lebensqualität<br />
relativiert. Auch aus sozialgesetzlicher<br />
Sicht kann nur der <strong>Nutzen</strong> für den Patienten ultimatives<br />
Kriterium der Handlungsbewertung sein.<br />
Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, im<br />
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) die<br />
<strong>Bewertung</strong> therapeutischen <strong>Nutzen</strong>s als primär Patienten-relevanten<br />
<strong>Nutzen</strong> zu formulieren, ist vor diesem<br />
Hintergrund zu sehen. Sie vollzieht aber lediglich<br />
einen Paradigmenwechsel nach, den bereits sogar<br />
Instanzen wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />
im Gesundheitswesen (IQWiG) und der Gemeinsame<br />
Bundesausschuss (G-BA) in ihren Verfahrensordnungen<br />
festgehalten hatten und der letztlich<br />
von der gesamten medizinischen Gemeinschaft ausgeht.<br />
Dieser Paradigmenwechsel besagt, dass der Patient<br />
und seine Sicht primärer Maßstab des medizinischen<br />
Handelns sein sollte. Dabei handelt es sich im Wesentlichen<br />
um vier Schlagwörter, um vier „Kriterien<br />
der <strong>Nutzen</strong>bewertung“: Mortalität, Morbidität, Lebensqualität<br />
und ein weiteres Kriterium, das man als „Therapiefolgen<br />
aus Patientensicht“ bezeichnen kann.<br />
In der seitdem geführten Diskussion um die Mitbeteiligung<br />
des Patienten in die <strong>Nutzen</strong>bewertung – etwa<br />
hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte nach<br />
SGB V – wird allerdings deutlich, dass die Wahl der<br />
Patientensicht als primär maßgebliche Perspektive<br />
auf methodische und prinzipielle Bedenken stößt.<br />
Von Ärzten, Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen,<br />
aber auch Patienten selbst, werden methodische<br />
Probleme, Kompetenzprobleme und auch hierarchische<br />
Probleme gesehen (Tab. 1).<br />
Tab. 1: Pro und Kontra bezüglich der Erhebung<br />
patientenrelevanter Endpunkte<br />
PRO<br />
Der Patient ist Hauptbetroffener<br />
jeglicher medizinischer<br />
Maßnahmen.<br />
Die Auswirkungen einer<br />
medizinischen Entscheidung<br />
können vom Patienten<br />
am besten wiedergegeben<br />
werden.<br />
Der Patient sollte mit seiner<br />
persönlichen Perspektive in<br />
die medizinische Entscheidungsfindung<br />
einbezogen<br />
werden.<br />
Wenn der Patient in die<br />
Entscheidungsfindung einbezogen<br />
wird, verbessern<br />
sich seine Einsicht und<br />
Compliance.<br />
KONTRA<br />
Medizin muss auf<br />
objektivierbaren Fakten<br />
beruhen.<br />
Patientenrelevante<br />
Endpunkte sind nicht<br />
objektivierbar.<br />
Viele Patienten sind<br />
damit überfordert, ihre<br />
Perspektive zu äußern.<br />
Der Patient ist zu<br />
befangen, um über<br />
wichtige Entscheidungen<br />
mitzubestimmen.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 20<br />
So betrachten Kritiker „weiche“ Endpunkte wie Lebensqualität<br />
oder Schmerzen als nicht ausreichend<br />
quantifizierbar, schon gar nicht objektivierbar, und<br />
damit als ungeeignet für die <strong>Bewertung</strong> therapeutischen<br />
<strong>Nutzen</strong>s. Beispielhaft für die Zurückhaltung<br />
sind Rückmeldungen wie: „Soll dem Patienten jetzt<br />
auch noch der Cappuccino bezahlt werden, nur weil<br />
er die Lebensqualität verbessert?“ oder: „Wenn Patienten<br />
über <strong>Nutzen</strong> entscheiden, muss am Ende die<br />
Kasse doch alles zahlen.“<br />
Eine grundlegende Frage ist: Kann man den Patienten<br />
zutrauen, kompetent und verantwortlich über therapeutischen<br />
<strong>Nutzen</strong> zu entscheiden oder zumindest<br />
mitzuentscheiden? Wenn ja, welche Ansätze gewähren<br />
hinreichende methodische Sicherheit, insbesondere<br />
Objektivität und Reliabilität, der Messungen?<br />
Diesen Fragen wird in der vorliegenden Übersicht<br />
nachgegangen, die PROs und CONTRAs werden<br />
beleuchtet.<br />
Der ökonomische <strong>Nutzen</strong>begriff<br />
Die Patientensicht als primär relevante Perspektive<br />
der <strong>Nutzen</strong>bewertung kommt in dem – wesentlich<br />
allgemeineren – ökonomischen <strong>Nutzen</strong>begriff, zum<br />
Tragen: In der ökonomischen Theorie versteht man<br />
unter dem <strong>Nutzen</strong> das Maß für die Fähigkeit, Bedürfnisse<br />
eines wirtschaftlichen Akteurs (z.B. eines Haushaltes)<br />
zu befriedigen. <strong>Nutzen</strong> ist somit ein Maß für<br />
„Zufriedenheit und Glück“.<br />
Das hört sich doch gut an. Die mathematische Formel<br />
zu dieser Definition beinhaltet nichts anderes als die<br />
Kumulation von Einzelnutzen, die dann einen Gesamtnutzen<br />
darstellen. Man könnte sie quasi als<br />
„Glücksformel“ bezeichnen. Dies wurde auf die Medizin<br />
übertragen. Dabei ist zu überlegen, wie der Patientennutzen<br />
als Summe von Teilnutzen aufaddiert<br />
werden kann. Dazu mehr an späterer Stelle.<br />
Therapeutischer <strong>Nutzen</strong> als „Patient Reported<br />
Outcomes“<br />
Für den <strong>Nutzen</strong> einer therapeutischen Intervention<br />
gibt es mehrere Definitionen. In der heutigen <strong>Nutzen</strong>auffassung<br />
– soweit es sich um therapeutischen <strong>Nutzen</strong><br />
handelt – sind die Patientenperspektive sowie die<br />
Lebensqualität expressis verbis enthalten. So handelt<br />
es sich beim <strong>Nutzen</strong> nach Windeler „um Effekte einer<br />
Intervention, die in mehr als geringfügigem Ausmaß<br />
eine Verbesserung der Prognose und/oder der Symptomatik/Lebensqualität<br />
von Patienten ergeben“ (Windeler,<br />
DMW 2006).<br />
Franke (2007) formuliert <strong>Nutzen</strong>bewertung als „Erfassung<br />
und Bilanzierung des <strong>Nutzen</strong>- und Risikopotenzials<br />
in Bezug auf die Ziele der Krankenbehandlung,<br />
in einer Methoden gleicher Zielsetzung vergleichenden<br />
<strong>Bewertung</strong>, in Bezug auf patientenbezogene<br />
Endpunkte, unter Alltagsbedingungen des gegebenen<br />
Versorgungssystems“.<br />
Aber: Auf die Feinheiten ist zu achten. In der Nomenklatur<br />
wird manchmal über „Patienten-relevante Kriterien“<br />
gesprochen, das sind aber nicht unbedingt „Patienten-definierte<br />
Kriterien“, denn die Relevanz könnte<br />
auch jemand Dritter dem Patienten zuschreiben.<br />
An anderer Stelle spricht man von „Patienten-bezogenen<br />
Endpunkten“ und im internationalen Sprachgebrauch<br />
von „Patient Reported Outcomes“ (PRO), also<br />
von den unmittelbar durch den Patienten formulierten<br />
Aussagen.<br />
Diese Feinheiten sind von Relevanz bei der wichtigen<br />
Frage: Wer ist denn eigentlich für die <strong>Nutzen</strong>bewertung<br />
zuständig? Folgende Fragestellungen sind für<br />
„Patienten-relevante <strong>Nutzen</strong>kriterien“ von herausragender<br />
Bedeutung:<br />
● Wer definiert die Relevanz, wenn Patienten-relevante<br />
<strong>Nutzen</strong>kriterien diskutiert werden?<br />
● Wer bewertet den <strong>Nutzen</strong>, wenn ein relevantes<br />
Kriterium aufgestellt ist?<br />
● Wie werden diese <strong>Nutzen</strong> überhaupt gemessen?<br />
● Wer bewertet relevante Unterschiede?<br />
Mehrere Kandidaten für diese <strong>Bewertung</strong> des therapeutischen<br />
<strong>Nutzen</strong>s sind zu erkennen. Der Patient<br />
Vergleichsstudie Therapienutzen aus<br />
Patientensicht versus Arztsicht<br />
„Frage: Nach welchen der nachfolgenden Therapiezielen würden Sie<br />
persönlich den <strong>Nutzen</strong> eines Arzneimittels bewerten ?“<br />
A<br />
B<br />
C<br />
D<br />
E<br />
F<br />
G<br />
H<br />
I<br />
J<br />
K<br />
L<br />
M<br />
N<br />
O<br />
Abheilung aller Hautveränderungen<br />
Abheilung der sichtbaren Hautveränderungen<br />
Verminderung von Juckreiz und Brennen an der Haut<br />
Verbesserung des Nachtschlafes<br />
Vermeidung starker Nebenwirkungen durch die Behandlung<br />
Höhere Leistungsfähigkeit im Beruf, Studium oder Schule<br />
Höhere Leistungsfähigkeit im Alltagsleben<br />
Mehr soziale Kontakte<br />
Sich mehr zeigen mögen<br />
Mehr Freizeitaktivitäten haben<br />
Weniger Belastung von Angehörigen und Freunden<br />
Mehr Lebensfreude<br />
Verbesserung des psychischen Befindens<br />
Weniger Zeitaufwand durch die Behandlung<br />
Weniger Arzt- und Klinikbesuche<br />
<strong>Nutzen</strong>liste von n=15 Items nach offener Erhebung an n=200 Patienten<br />
Abbildung 1
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 21<br />
Abbildung 2<br />
Therapienutzen Dermatologen vs. Patienten<br />
Ergebnisse für Psoriasis (je n=100)<br />
Mehrnennungen Mediziner -- Mehrnennungen Patienten<br />
Höhere Leistungsfähigkeit im Alltagsleben<br />
Verbesserung des psychischen Befindens<br />
Sich mehr zeigen mögen<br />
Verminderung von Juckreiz, Brennen an der Haut<br />
Höhere Leistungsfähigkeit in Beruf, Studium<br />
Abheilung der sichtbaren Hautveränderungen<br />
Mehr Lebensfreude<br />
Mehr soziale Kontakte<br />
Verbesserung des Nachtschlafes<br />
• Differenz der Nennungen von Patienten mit Psoriasis vs. Medizinern über<br />
Prioritäten der Therapieziele (%; Fünffachnennungen möglich)<br />
selbst könnte ins Spiel kommen, und auch der Arzt<br />
beteiligt sich daran. Aber es gibt auch noch andere<br />
Perspektiven: Die Gesellschaft, die ein generelles<br />
Anliegen hat, ferner auch die „professionellen <strong>Nutzen</strong>bewerter“<br />
wie das IQWiG und der G-BA.<br />
Wer kann den Patientennutzen und den Therapienutzen<br />
am authentischsten bewerten? Eine kleine eigene<br />
Studie, die vor einigen Jahren im Rahmen einer<br />
Studienserie zur Frage der <strong>Nutzen</strong>bewertung aus<br />
„Patientensicht versus Arztsicht“ durchgeführt wurde,<br />
ist hier sehr aufschlussreich. Diese Studie hat die<br />
Frage der Patientensicht versus Arztsicht zum therapeutischen<br />
<strong>Nutzen</strong> mit der Frage adressiert:<br />
Nach welchen der nachfolgenden 15 Therapieziele<br />
würden Sie persönlich den <strong>Nutzen</strong> eines Arzneimittels<br />
bewerten (Abb. 1, S. 20)? Diese Therapieziele waren<br />
aus einem großen Antwortpool von Patienten mit<br />
Haut- und Allergiekrankheiten gewonnen worden. Die<br />
-60 -40 -20 0 20 40 60 80<br />
-37,3<br />
-27,5<br />
-20,8<br />
-21,6<br />
-22,9<br />
-12,6<br />
-6,6<br />
-9,5<br />
-1,6<br />
=<br />
6,1<br />
11,3<br />
16,7<br />
22,5<br />
41,3<br />
61,<br />
3<br />
Weniger Zeitaufwand durch die Behandlung<br />
Abheilung aller Hautveränderungen<br />
Weniger Arzt- und Klinikbesuche<br />
Vermeidung starker NW durch die Behandlung<br />
Mehr Freizeitaktivitäten haben<br />
Weniger Belastung von Angehörigen, Freunden<br />
unmittelbar interessierende Frage war: Sind Arzt- und<br />
Patientenurteil deckungsgleich?<br />
Die Antwort: Es gibt zum Teil erhebliche Abweichungen<br />
(Abb. 2). Der größte Unterschied im Sinne einer<br />
Unterschätzung des patientendefinierten <strong>Nutzen</strong>s<br />
fand sich bei der Frage „weniger Zeitaufwand durch<br />
die Behandlung“. Auch gaben Patienten weitaus häufiger<br />
die Wichtigkeit von „weniger Arzt- oder Klinikbesuche“<br />
an.<br />
Dieser Befund gibt den Ärzten zu denken, denn sie<br />
hatten geglaubt, je häufiger die Patienten zu ihnen<br />
kommen, umso lieber. Das Gegenteil ist jedoch häufig<br />
der Fall. Auch von den Ärzten unterschätzt wurde der<br />
Patientennutzen: „Vermeidung starker Nebenwirkungen<br />
durch die Behandlung.“ Andere <strong>Nutzen</strong> wie „soziale<br />
Kontakte“ und „Verbesserung des Nachtschlafes“<br />
wurden wiederum von den Ärzten überbewertet.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 22<br />
Fazit: Der Patienten-seitige <strong>Nutzen</strong> kann nur vom Patienten<br />
verlässlich bewertet werden. Statt „Arzt“ könnte<br />
hier auch „Krankenkasse“ oder „IQWiG“ stehen –<br />
diese „Nichtpatienten“ haben gewisse Defizite im Verständnis<br />
des Patientennutzens, was auch unmittelbar<br />
einleuchtend ist und sich auch am Beispiel des<br />
Schmerzes erläutern lässt:<br />
Nur ein Patient kann auf einer Schmerzskala von 0 bis<br />
10 seine Schmerzen eintragen. Es wäre töricht, dem<br />
Patienten an seinem Gesicht ablesen zu wollen, wie<br />
seine Schmerzen sind, nur weil er verschiedene Grimassen<br />
zieht. Auch hier gilt: Es gibt eine Objektivität<br />
nur dann, wenn der Patienten mit in die Entscheidung<br />
einbezogen wird.<br />
Und das gilt ebenso für Therapieverläufe oder auch<br />
für Schweregrade einer Erkrankung. Es gibt solche<br />
und solche Patienten – mit leichten Formen der Erkrankung,<br />
die trotzdem hohe Einbußen der Lebensqualität<br />
haben und umgekehrt.<br />
Ein weiteres Fazit: Patienten-seitige Belastung und<br />
potenzielle Therapienutzen sind oftmals nicht durch<br />
einen „objektiven Befund“ vorhersagbar, zumindest<br />
nicht bei den meisten chronischen Erkrankungen. Das<br />
heißt, wenn etwa der Patienten auf dem OP-Tisch<br />
beschrieben werden soll, in seinem <strong>Nutzen</strong>, in seinem<br />
Dasein, dann wird es nicht reichen, ihn „von außen“<br />
darzustellen. Die Perspektive kann nur der Patient<br />
selbst schildern. Es sei denn, wir legen uns selbst<br />
dahin, dann sind wir aber fast schon Patient.<br />
Die US-amerikanische Food and Drug Administration<br />
(FDA) hat vor einigen Jahren aufgrund dieser Einsichten<br />
das Konzept der „Patient Reported Outcomes“<br />
aufgegriffen, die definiert sind als die Erfassung all der<br />
Aspekte des Patienten- und Gesundheitsstatus, die<br />
vom Patienten selbst geäußert werden.<br />
Diese „Patient Reported Outcomes“ beinhalten eine<br />
Vielzahl von Parametern: Hierzu zählen allgemeinere<br />
Konstrukte wie Zufriedenheit oder Lebensqualität,<br />
aber auch einzelne Symptome wie Schmerzen, Juckreiz,<br />
Depression. Wer will auch sonst herausfinden,<br />
wie sich Depression darstellt? Ebenso zählen zu den<br />
PRO subjektive <strong>Nutzen</strong> oder auch erlebte Nebenwirkungen.<br />
Die Lebensqualität ist nur eines von mehreren Konstrukten<br />
der „Patient Reported Outcomes“. Die FDA<br />
hat die medizinischen Fachgruppen ermutigt, diese<br />
„Patient Reported Outcomes“ als Endpunkte in klinische<br />
Studien mit aufzunehmen, damit bei der Zulassung<br />
am Ende neue Produkt entsprechend bewertet<br />
werden können. Es gibt dazu eine Guidance, also<br />
Empfehlungen, auch für die Industrie. In dieser Guidance<br />
werden wichtige Parameter der Methodik, Reliabilität<br />
und Validität ausführlich dargestellt und gefordert.<br />
Ohne weitere vertiefende Darstellung soll trotzdem<br />
erwähnt sein, dass diese „Patient Reported Outcomes“<br />
durchaus auf harten, messbaren sowie wissenschaftlich<br />
haltbaren Kriterien beruhen.<br />
<strong>Nutzen</strong>bewertung in Europa und Deutschland<br />
Wo stehen nun „Patient Reported Outcomes“ im europäischen<br />
Kontext? In Europa haben wir in fast allen<br />
Ländern das Gebot der <strong>Nutzen</strong>bewertung in der Arzneimittelversorgung.<br />
In den meisten Ländern beruht<br />
die <strong>Nutzen</strong>bewertung sowohl auf klinisch-therapeutischem<br />
als auch auf Patienten-seitigem <strong>Nutzen</strong>. Diese<br />
patientenseitigen <strong>Nutzen</strong> werden meistens in Form<br />
von Lebensqualität erfasst. Hier haben wir also eine<br />
starke Betonung der Lebensqualität des Outcome-<br />
Parameters (vgl. Abb. 3).<br />
Merkmale der <strong>Nutzen</strong>bewertung von AM international<br />
<strong>Nutzen</strong>bewertung im internationalen Vergleich<br />
1. <strong>Nutzen</strong>bewertung dient in den meisten Ländern der Regulation<br />
des Zugangs zu Arzneimitteln und/oder der <strong>Kosten</strong>erstattung.<br />
2.<br />
Die Kriterien der <strong>Nutzen</strong>bewertung sind länderspezifisch<br />
formuliert, eine supranationale Lenkung gibt es nicht.<br />
3. <strong>Nutzen</strong>bewertung beruht in den meisten Ländern sowohl auf<br />
klinisch-therapeutischen wie auf den patientenseitigen <strong>Nutzen</strong>.<br />
4. Der patientenseitige <strong>Nutzen</strong> wird meist über die Auswirkungen<br />
der Therapien auf die Lebensqualität erfasst.<br />
5. In den meisten Ländern werden als Quellen der <strong>Nutzen</strong>daten<br />
nicht nur klinische Studien mit randomisiertem Design (RCTs),<br />
sondern auch Studien aus der alltäglichen Praxis („real-world<br />
studies“) gefordert.<br />
6. Pharmakoökonomische Analysen: Präferentiell auf der Basis von<br />
„real-world-Daten“, Modellierungen erlaubt<br />
Zentner & Busse: Kriterien der <strong>Nutzen</strong>bewertung von Arzneimitteln im internationalen Vergleich.<br />
HTA-Bericht, DIMDI 2005<br />
Abbildung 3<br />
Entsprechend gibt es auch von der European Medicines<br />
Agency (EMEA), vorerst als Entwurf, ein „Reflection<br />
Paper“ über gesundheitsbezogene Lebensqualität.<br />
Ebenfalls zu finden ist diese in Deutschland, nämlich<br />
im IQWiG-Methodenpapier, in dem als Kriterium<br />
der <strong>Nutzen</strong>bewertung die gesundheitsbezogene Lebensqualität<br />
genannt wird – ebenso im Gesetz und<br />
auch beim G-BA.<br />
Fortsetzung auf Seite 27
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 23<br />
Univ.-Prof. Dr. med. Matthias<br />
Augustin (Jahrg. 1962), Facharzt<br />
für Dermatologie und Venerologie,<br />
Allergologie. Seit<br />
2004 Professur für Gesundheitsökonomie<br />
und Lebensqualitätsforschung<br />
an der Klinik<br />
und Poliklinik für Dermatologie<br />
und Venerologie, Universitäts-Klinikum<br />
Hamburg-<br />
Eppendorf. Leiter der Hochschulambulanzen<br />
für Wunden<br />
und für entzündliche Hauterkrankungen<br />
(Psoriasis, Neurodermitis).<br />
Wissenschaftlicher<br />
Schwerpunkt Outcomes- und<br />
Lebensqualitätsforschung seit 1994. Seit 2005 Gründer und<br />
Leiter der Forschungszentren für Versorgungsforschung in der<br />
Dermatologie (CVderm) und für dermatologische Forschung<br />
(CeDeF). Sachverständiger der Deutschen Dermatologischen<br />
Gesellschaft und des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen<br />
für Gesundheitsökonomie, Versorgungsforschung<br />
und Evidenz-basierte Medizin.<br />
Günter Danner, M. A., Ph. D.<br />
(Jahrg. 1955), Persönlicher Referent<br />
und Berater des Vorstandes<br />
der Techniker Krankenkasse<br />
(TK) in sozialökonomischen<br />
und sozialpolitischen<br />
Grundsatzfragen. Seit 1993 zusätzlich<br />
in der Europavertretung<br />
der deutschen Sozialversicherung,<br />
heute als stellv. Direktor.<br />
Im Rahmen von PHARE<br />
und TACIS-Projekten in sämtlichen<br />
Kandidatenstaaten Mittelund<br />
Osteuropas und Russland<br />
als Berater eingesetzt. Zahlreiche<br />
Veröffentlichungen zu EUrelevanten<br />
und vergleichenden Fragen des Sozialschutzes mit<br />
den Schwerpunkten „Gesundheit“ und „Europa“ in Fach- und<br />
Szenezeitschriften der Sozialpolitik. Studium der Ökonomie,<br />
Geschichte und International Relations in Großbritannien,<br />
Deutschland, Südafrika und den USA.<br />
Univ.-Prof. Dr. med. Wolf-Dieter<br />
Ludwig (Jahrg. 1952),<br />
Facharzt für Innere Medizin –<br />
Hämatologie und internistische<br />
Onkologie, Zusatzbezeichnung<br />
Transfusionsmedizin. Ltd. Arzt<br />
der Klinik für Hämatologie, Onkologie<br />
und Tumorimmunologie,<br />
Robert-Rössle-Klinik, im<br />
HELIOS Klinikum Berlin, Charité,<br />
Campus Berlin-Buch. Herausgeber<br />
von „Der Arzneimittelbrief“<br />
und „Arzneiverordnung<br />
in der Praxis“, seit 2006 Vorsitzender<br />
der Arzneimittelkommission<br />
der Deutschen Ärzteschaft.<br />
Wissenschaftliche Schwerpunkte: zellbiologische Charakterisierung<br />
hämatologischer Neoplasien, insbesondere<br />
akuter Leukämien; Regulation von Apoptose, Resistenz und<br />
Genexpressionsanalysen in akuten Leukämien; Therapieoptimierungsprüfungen<br />
bei hämatologischen Neoplasien; Arzneimitteltherapiesicherheit.<br />
Axel C. Böhnke (Jahrg.1975),<br />
Studium der Gesundheitsökonomie<br />
an der Universität zu<br />
Köln mit Abschluss-Diplom<br />
Gesundheitsökonom. Wissenschaftliche<br />
Hilfskraft am Lehrstuhl<br />
für Sozialpolitik der Universität<br />
zu Köln. Ausbildung<br />
zum Sozialversicherungsangestellten.<br />
Team-Leiter Market<br />
Access bei der Firma Abbott<br />
GmbH & Co. KG. Buchveröffentlichung:„Quersubventionierung<br />
zwischen den Krankenversicherungssystemen<br />
GKV<br />
und PKV: Eine Beschreibung,<br />
Analyse und <strong>Bewertung</strong> dieser These“ in „Hochschulschriften<br />
zur Sozialpolitik“, 2004. Publizistisches Engagement in wichtigen<br />
gesellschaftlichen Indikationsfeldern im Rahmen von Versorgungsmanagement.<br />
Hier z. B. Initiierung und Begleitung<br />
mehrerer Sonderausgaben der Gesellschaftspolitischen Kommentare<br />
(gpk) zu den Themenschwerpunkten „Rheumatoide<br />
Arthritis“, „Psoriasis“.<br />
Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich<br />
(Jahrg. 1970), Apothekerin,<br />
seit 2006 Direktorin des<br />
Wissenschaftlichen Instituts<br />
der Techniker Krankenkasse<br />
(TK) für <strong>Nutzen</strong> und Effizienz<br />
im Gesundheitswesen (WI-<br />
NEG). Seit 2000 Lehrauftrag<br />
für Pharmakoökonomie Lehrstuhl<br />
„Klinische Pharmazie“<br />
der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität<br />
Bonn. Von<br />
1996–2000 Aufbau und Leitung<br />
der Forschungsgruppe<br />
Pharmakoökonomie Institut für<br />
Umweltmedizin und Krankenhaushygiene<br />
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Forschungsinhalt:<br />
Durchführung von pharmakoökonomischen<br />
Studien, Anwendungsbeobachtungen und Metaanalysen.<br />
2000– 2006 Leiterin der Abteilung Arzneimittel der Kassenärztlichen<br />
Bundesvereinigung und Geschäftsführerin bzw. Mitglied<br />
im Unterausschuss Arzneimittel des Gemeinsamen Bundesausschusses.<br />
PD Dr. med. Matthias Perleth,<br />
MPH (Jahrg. 1965), seit 2007<br />
Leiter der Abteilung Fachberatung<br />
Medizin, Gemeinsamer<br />
Bundesausschuss (G-BA).<br />
Zuvor Wissenschaftlicher Mitarbeiter/beratender<br />
Arzt für<br />
medizinische Grundsatzfragen,<br />
Stabsbereich Medizin,<br />
AOK-Bundesverband. Arbeitsschwerpunkte<br />
und wissenschaftliche<br />
Interessen: Evaluation<br />
medizinischer Verfahren<br />
und Technologien (Health<br />
Technology Assessment), Evidenz-basierte<br />
Medizin, Wirtschaftlichkeit<br />
und Qualität der medizinischen Versorgung, Versorgungsforschung,<br />
Über-, Unter- und Fehlversorgung, Sekundärdatenanalyse.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 24<br />
Dr. med. Dr. phil. Daniel<br />
Strech (Jahrg. 1975), 2003–<br />
2005 ärztlicher Mitarbeiter an<br />
der Charité-Universitätsmedizin<br />
Berlin (Klinik für Psychiatrie<br />
und Psychotherapie). 2005–<br />
2006 Postdoc-Stipendiat am<br />
DFG-Graduiertenkolleg „Bioethik“,<br />
Interfakultäres Zentrum<br />
für Ethik in den Wissenschaften<br />
(IZEW), Universität Tübingen.<br />
Seit 2006 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter im Forschungsverbund<br />
„Allokation“, Institut für<br />
Ethik und Geschichte der Medizin,<br />
Universität Tübingen. Sprecher<br />
des Fachbereichs „EBM und Ethik“, Deutsches Netzwerk<br />
Evidenz basierte Medizin (DNEbM). 2008 Ruf auf die Juniorprofessur<br />
für Medizinethik an der Medizinischen Hochschule<br />
Hannover (MHH), Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie<br />
der Medizin. Publikationen u.a. in Journal of Clinical<br />
Epidemiology, Journal of Medical Ethics, Journal of Medicine<br />
and Philosophy, Cochrane Database of Systematic Reviews.<br />
Wolfgang van den Bergh,<br />
M.A. (Jahrg. 1959), seit 2008<br />
Chefredakteur der ÄRZTE<br />
ZEITUNG, zuvor Ressortleiter<br />
Gesundheitspolitik und stellv.<br />
Chefredakteur.<br />
Gelegenheit zum Meinungsaustausch<br />
Pausengespräche
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 25<br />
Auf dem Weg zum Tagungsraum Letzte organisatorische Absprache<br />
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion nehmen ihre Plätze ein
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 26<br />
Wulff-Erik von Borcke (Jahrgang<br />
1967), General Manager<br />
Deutschland des Pharmaunternehmens<br />
Abbott. Zuvor in verschiedenen<br />
Positionen bei Abbott<br />
in den USA tätig.<br />
Dr. Hans Georg Faust MdB<br />
(Jahrg. 1948), seit 1980 Leitender<br />
Arzt in der Abteilung für Anästhesie<br />
und Intensivmedizin in<br />
der Harzklinik „Fritz-König-Stift”<br />
in Bad Harzburg. Von 1984–1998<br />
Ärztlicher Direktor. Oberstabsarzt<br />
der Reserve. Seit 1998 Mitglied<br />
des Deutschen Bundestages<br />
(CDU). Mitglied und stellv.<br />
Vorsitzender des Bundestagsausschusses<br />
für Gesundheit.<br />
Stellv. Mitglied im Bundestagsausschuss<br />
für Tourismus. Mitglied<br />
des Vorstandes der CDU<br />
Niedersachsen.<br />
Dr. jur. Rainer Hess (Jahrg.<br />
1940), Rechtsanwalt, Unparteiischer<br />
Vorsitzender des Gemeinsamen<br />
Bundesausschusses von<br />
Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern<br />
und Krankenkassen.<br />
Von 1971– 1987 Justiziar der gemeinsamen<br />
Rechtsabteilung von<br />
Bundesärztekammer (BÄK) und<br />
Kassenärztlicher Bundesvereinigung<br />
(KBV), von 1988– 2003<br />
Hauptgeschäftsführer der KBV.<br />
PD Dr. med. Peter Kolominsky-<br />
Rabas, MBA (Jahrg. 1959), Leiter<br />
des Ressorts „Gesundheitsökonomie“<br />
des Instituts für Qualität<br />
und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen<br />
(IQWiG). Facharzt<br />
für Neurologie und Gesundheitsökonom<br />
(Master of Business<br />
Administration, Universität<br />
Bayreuth). Habilitation „Epidemiologie<br />
und Versorgungsforschung”,<br />
2002 bis 2005 Geschäftsführer<br />
des Interdisziplinären<br />
Zentrums für Public Health<br />
(IZPH) der Universität Erlangen-<br />
Nürnberg. Geschäftsführendes<br />
Vorstandsmitglied des Bayerischen<br />
Forschungsverbundes Public Health. Mitglied in zahlreichen<br />
wissenschaftlichen Fachgesellschaften, u.a. der Deutschen<br />
Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall<br />
Gesellschaft (DSG), dort Vorsitzender der Kommission „Gesundheitsökonomie<br />
und Versorgungsforschung“.<br />
Dr. Stefan Etgeton (Jahrg.<br />
1963), seit 2007 Leiter des Fachbereichs<br />
Gesundheit und Ernährung<br />
bei der Verbraucherzentrale<br />
Bundesverband, zuvor dort Gesundheitsreferent,<br />
von 1996 bis<br />
2000 Bundesgeschäftsführer der<br />
Deutschen AIDS-Hilfe, Studium<br />
Evangelische Theologie.<br />
Dr. med. <strong>Leo</strong>nhard Richard<br />
Hansen (Jahrg. 1950), Praktischer<br />
Arzt, seit 2000 Vorsitzender<br />
der Kassenärztlichen Vereinigung<br />
Nordrhein (KVNO). Von<br />
2000– 2004 stellv. Vorsitzender<br />
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />
(KBV). Von 1993 bis<br />
2005 Mitglied des Kammervorstandes<br />
der Ärztekammer Nordrhein,<br />
seit 1995 stellv. Vorsitzender<br />
des Bundesverbandes der<br />
Knappschaftsärzte.<br />
Eike Hovermann MdB (Jahrg.<br />
1946), Gymnasiallehrer a.D. Seit<br />
1995 Mitglied des Deutschen<br />
Bundestages (SPD), Mitglied im<br />
Bundestagsausschuss für Gesundheit,<br />
stellv. Mitglied im Bundestagsausschuss<br />
für Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Verbraucherschutz,<br />
Mitglied in der<br />
Arbeitsgruppe Gesundheit der<br />
SPD-Bundestagsfraktion.<br />
Dr. Konrad Schily MdB (Jahrg.<br />
1937), seit 2005 Mitglied des<br />
Deutschen Bundestages (FDP).<br />
Mitglied im Bundestagsausschuss<br />
für Gesundheit sowie<br />
stellvertr. Mitglied im Ausschuss<br />
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.<br />
1982 Mitbegründer<br />
der ersten privaten<br />
deutschen Universität, der Universität<br />
Witten/Herdecke, Gründungspräsident<br />
bis 1999 und erneut<br />
Präsident von 2002– 2003.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 27<br />
Fortsetzung von Seite 22<br />
Lebensqualität als Patienten-relevanter<br />
Endpunkt<br />
Auf dieser Ebene gibt es durchaus einen Konsens<br />
darüber, als ein Merkmal Patienten-relevanter Endpunkte<br />
„Lebensqualität“ zu messen. Als Vorläufer und<br />
Verankerung dieses Konsenses dient nicht zuletzt<br />
jenes Urteil zum Off-Label-Use des Bundessozialgerichts<br />
(BSG), in dem noch einmal festgehalten ist,<br />
dass Off-Label-Use unter einigen Bedingungen möglich<br />
ist, nämlich auch unter dem Status einer schwerwiegenden<br />
Erkrankung. Und schwerwiegend heißt<br />
eben lebensbedrohlich oder die Lebensqualität nachhaltig<br />
beeinträchtigend.<br />
Gleiches finden wir auch im Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz<br />
(GMG) von 2004 im OTC-Passus.<br />
Ausnahmen des OTC-Ausschlusses sind mög-<br />
Ware JE jr.: The SF-36 Health Survery. in: Spilker B (Hrsg.): Quality of Life and Pharmacoeconomics in Clinical Trials.<br />
Lippincott-Raven, Philadelphia.:11-24, 1996<br />
Abbildung 4<br />
Items<br />
3a. Vigorous Activities<br />
3b. Moderate Activities<br />
3c. Lift, Carry Groceries<br />
3d. Climb Several Flights<br />
3e. Climb One Flight<br />
3f. Bend, Kneel<br />
3g. Walk Mile<br />
3h. Walk Several Blocks<br />
3i. Walk One Block<br />
3j. Bathe, Dress<br />
4a. Cut Down Time<br />
4b. Accomplished Less<br />
4c. Limited in Kind<br />
4d. Had Difficulty<br />
7. Pain-Magnitude<br />
8. Pain-Interfere<br />
1. EVGFP Rating<br />
11a. Sick Easier<br />
11b. As Healthy<br />
11c. Health To Get Worse<br />
11d. Health Excellent<br />
9a. Pep/Life<br />
9e. Energy<br />
9g. Worn Out<br />
9i. Tired<br />
6. Social-Extent<br />
10. Social-Time<br />
5a. Cut Down Time<br />
5b. Accomplished Less<br />
5c. Not Careful<br />
9b. Nervous<br />
9c. Down in Dumps<br />
9d. Peaceful<br />
9f. Blue/Sad<br />
9h. Happy<br />
Generische Lebensqualität: SF-36<br />
Scales<br />
Physical Functioning (PF)<br />
Role-Physical (RP)<br />
Bodily Pain (BP)<br />
General Health (GH)*<br />
Vitality (VT)*<br />
lich, wenn die Krankheit schwerwiegend ist, und hier<br />
wird auch die dauerhafte und nachhaltige Beeinträchtigung<br />
der Lebensqualität als Kriterium herangezogen.<br />
Lebensqualität als Ausdruck der Patientenperspektive<br />
hat hier eindeutig einen hohen Stellenwert.<br />
Allerdings ist man verwundert, wenn man im gleichen<br />
Gesetz ein paar Seiten weiter die Formulierung für<br />
den Ausschluss von Lifestyle-Medikamente liest: „Von<br />
der Versorgung sind außerdem Arzneimittel ausgeschlossen,<br />
bei deren Anwendung eine Erhöhung der<br />
Lebensqualität im Vordergrund steht.“<br />
Das ist schier unverständlich: Eben hieß es noch,<br />
Lebensqualität ist ein Parameter für eine schwerwiegende<br />
Erkrankung, und jetzt ist sie ein Parameter<br />
dafür, dass Medikamente wegen Lifestyle ausgeschlossen<br />
werden: ein Anlass zur Diskussion.<br />
Was bedeutet Lebensqualität? Wenn jemand gefragt<br />
würde, auf einer Skala von 0 bis 10 seine augenblick-<br />
Social Functioning (SF)*<br />
Role-Emotional (RE)<br />
Mental Health (MH)<br />
Summary<br />
Measures<br />
Physical<br />
Health<br />
(PCS)<br />
Mental<br />
Health<br />
(MCS)
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 28<br />
Messung von Lebensqualität - Methodik<br />
AWMF-Leitlinie: Erfassung von Lebensqualität in dermatologischen Studien<br />
� Gütekriterien der Lebensqualitätsinstrumente<br />
1. Reliabilität<br />
a) interne Konsistenz<br />
b) Test-Retest-Reliabilität<br />
2. Validität<br />
a) Konstruktvalidität (z.B. Faktorenanalyse)<br />
b) Externe Validität (konvergente, diskriminante)<br />
3. Sensitivität<br />
a) im zeitlichen Verlauf<br />
b) in Hinblick auf den Therapieeffekt (Responsivität)<br />
4. Re-Validierung bei Übersetzung in andere Sprachen<br />
5. Handhabung des Fragebogens (“feasibility”, Akzeptanz)<br />
Augustin M et al.: Hautarzt 52; 697-700, 2001; JDDG 9, 802-806, 2004<br />
Abbildung 5 Abbildung 6<br />
liche Lebensqualität anzugeben, dann könnte es sein,<br />
dass er nicht damit einverstanden wäre, so reduktionistisch<br />
danach gefragt zu werden. Lebensqualität ist<br />
vielmehr ein multidimensionales Konstrukt mit körperlichen,<br />
emotionalen und sozialen Anteilen (nach Bullinger<br />
1991).<br />
Gesundheitsbezogene Lebensqualität bedeutet das<br />
Ausmaß des Wohlbefindens im körperlichen, psychischen,<br />
sozialen und funktionellen Bereich, und<br />
vor allem auch die Übereinstimmung zwischen erwünschter<br />
und tatsächlicher Befindlichkeit. Das Delta<br />
ist mit von Bedeutung.<br />
Die nahe liegende Frage, ob die Lebensqualität zuverlässig<br />
erfasst werden kann, ist nicht einfach zu<br />
beantworten. Die Kriterien sind je nach Definition<br />
ganz unterschiedlich. Man spricht von gesundheitsbezogener<br />
Lebensqualität und meint klinisch, mit dem<br />
Patienten und mit den Angehörigen zu sprechen.<br />
Das wurde schon immer gemacht. Es wurde nur nicht<br />
so genannt: Lebensqualität erfassen. Wissenschaftlich<br />
wird Lebensqualität erfasst, indem Patienten standardisierte<br />
Fragebögen ausfüllen oder in standardisierten<br />
Interviews befragt werden.<br />
Bei der systematischen Erfassung der Lebensqualität<br />
werden bestimmte Symptome oder Einstellungen erfragt,<br />
z.B.: Haben Sie Schmerzen? Der Patient antwortet<br />
auf einer Antwortskala. Mehrere Fragen<br />
(Items) werden dann zu Skalen, Profilen und globalen<br />
Fragebogenscores zusammengefasst. Eines der am<br />
<strong>Kosten</strong>-Nutzwert-Analyse<br />
<strong>Kosten</strong>-Nutzwert-Analyse über QALYs<br />
Lebensqualität (LQ)<br />
1,0<br />
0,5<br />
0<br />
Qualitäts-adjustierte<br />
Lebensjahre (QALYs)<br />
Lebenszeit<br />
(Jahre)<br />
häufigsten eingesetzten Inventare dieser Art ist der<br />
SF-36 (vgl. Abb. 4, S. 27).<br />
Für die Lebensqualitätsmessung gibt es wie bei allen<br />
diagnostischen Verfahren Gütekriterien, die auch in<br />
einer AWMF-Leitlinie festgehalten sind. Nur Instrumente,<br />
die solchen Gütekriterien entsprechen, sollten<br />
auch eingesetzt werden (vgl. Abb. 5). Alles in allem ist<br />
die Lebensqualitätsforschung somit eine methodisch<br />
fundierte und international anerkannte Wissenschaft.<br />
Spielt die Lebensqualität bei der Wirtschaftlichkeitsbewertung<br />
eine Rolle und wie können wir sie einbringen?<br />
Dies ist eine berechtigte Frage, die diskutiert<br />
werden muss. Theoretisch ist der Vorgang nicht so<br />
schwer. Wir wissen nämlich, wann wir von einer wirtschaftlichen<br />
Maßnahme sprechen: Wenn ein gewisses<br />
Equilibrium zwischen generierten <strong>Kosten</strong> auf der<br />
einen Seite und <strong>Nutzen</strong> auf der anderen Seite vorliegt.<br />
Letztere werden als klinische Parameter oder als Lebensqualität<br />
erfasst.<br />
In der praktischen Umsetzung gibt es in Deutschland<br />
allerdings einen großen Spielraum. Wir haben bisher<br />
keine Handhabe, hier nach allgemeingültigen Kriterien<br />
zu arbeiten.<br />
Ein Beispiel: Wir haben in meiner Sprechstunde zwei<br />
Patienten behandelt, die sehr verzweifelt über ihre<br />
Krankheitsverläufe waren, weil sich über Jahre, trotz<br />
vielfacher Therapieversuche, keine Besserungen ihrer<br />
schweren chronischen Erkrankung zeigten. Die<br />
Patienten litten unter massiven Einbußen der Lebensqualität.<br />
Im Schnitt kosten sie die gesetzliche Kran-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 29<br />
<strong>Kosten</strong>-Nutzwert-Analyse<br />
<strong>Kosten</strong>-Nutzwert-Analyse über QALYs<br />
LQ<br />
1,0<br />
0,5<br />
Abbildung 7<br />
0<br />
Inkrementeller <strong>Nutzen</strong>: 19 � 24 QALYs = 5 QALYs<br />
Inkrementelle <strong>Kosten</strong>: € 150.000<br />
Inkrem. <strong>Kosten</strong>/<strong>Nutzen</strong>: € 30.000/QALY<br />
Lebenszeit<br />
(Jahre)<br />
kenversicherung (GKV) bisher, ohne therapeutischen<br />
Erfolg, durchschnittlich 9.000 Euro. Durch Einsatz<br />
neuer Therapieverfahren (Biologika) wurde die GKV<br />
dann um nochmals den gleichen Betrag belastet, allerdings<br />
konnte nun eine komplette Heilung und Wiedergewinnung<br />
der Lebensqualität erreicht werden.<br />
Unter relativ hohem <strong>Kosten</strong>aufwand wurde somit ein<br />
erheblicher zusätzlicher therapeutischer <strong>Nutzen</strong> geschaffen.<br />
Wie ist hier die Relation zwischen <strong>Kosten</strong> und <strong>Nutzen</strong><br />
zu bewerten? Wer legt sie fest? In Deutschland gibt es<br />
dazu keinen Standard. Wir haben uns hier aus ethischen<br />
und sozialrechtlichen Gründen für den Einsatz<br />
der Innovationen entschieden. Für uns entscheidend<br />
war dabei insbesondere die Maßgabe des Sozialgesetzes<br />
(§ 70 SGB V), nach der eine teurere Therapie<br />
dann durchzuführen ist, wenn nur damit eine humane<br />
Krankenbehandlung erreicht werden kann.<br />
Lebensqualität in der <strong>Kosten</strong>-Nutzwert-Analyse<br />
Die für uns in Deutschland nur qualitativ zu beantwortende<br />
Frage, ob <strong>Nutzen</strong> (Lebensqualität) und <strong>Kosten</strong><br />
in einem akzeptablen Verhältnis zueinander stehen,<br />
wird in anderen Ländern mit pharmakoökonomischen<br />
Methoden durchaus qualitativ gelöst. In einigen Ländern<br />
geschieht dies durch Darstellung der <strong>Kosten</strong> pro<br />
erreichtem QALY. Was ist damit gemeint?<br />
Hinter dem QALY-Ansatz steht der Versuch, therapiebedingte<br />
Veränderungen der Lebensqualität über die<br />
Zeit zu quantifizieren und den generierten <strong>Kosten</strong><br />
gegenüberzustellen. Dazu wird die Lebensqualität<br />
der Patienten (besser gesagt: eine vereinfachte Form<br />
dieses Konstruktes) im zeitlichen Verlauf zunächst<br />
auf einer Skala von 0 (=keine Lebensqualität) bis 1<br />
(=maximale Lebensqualität) aufgetragen. Diese Darstellung<br />
erfolgt bei langzeitlich wirkenden Interventionen<br />
möglichst über die Restlebenszeit. Die Fläche<br />
aus Lebensqualität und Zeit kann man standardisieren,<br />
in dem man sie in Jahre mit voller Lebensqualität<br />
(=qualitäts-adjustierte Lebensjahre, quality-adjusted<br />
life years, QALYs) umrechnet (Abb. 6, S. 28). Nun kann<br />
man ermitteln, in welcher Weise sich die QALYs verändern,<br />
wenn eine definierte Therapie durchgeführt<br />
und darüber – im günstigen Falle – Lebensqualität<br />
über die Zeit hinzugewonnen wird. Die gewonnenen<br />
QALYs werden den eingesetzten <strong>Kosten</strong> gegenübergestellt<br />
und als „inkrementelle <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Rela-<br />
Formal lässt sich dies mit der <strong>Nutzen</strong>funktion<br />
darstellen.<br />
Abbildung 8<br />
tion“ vermittelt (vgl. Abb. 7). In anderen Ländern, beispielsweise<br />
Großbritannien und Niederlande, werden<br />
Allokationsentscheidungen auf der Basis der <strong>Kosten</strong><br />
pro QALY getroffen. Diese Systematik haben wir in<br />
Deutschland nicht. Kritiker wenden z.B. ein, dass<br />
beim QALY-Ansatz mit der Reduktion der gesamten<br />
Wirklichkeit des Patienten hinsichtlich Lebensqualität<br />
und <strong>Nutzen</strong> auf einer Skala von null bis eins zuviel an<br />
entscheidungsrelevanten Informationen auf der<br />
Strecke bleibt (vgl. Abb. 6, S. 28). Wir müssen uns<br />
daher vielen berechtigten Fragen stellen: Wollen wir<br />
Nutzwerte über QALYs abbilden? Bilden wir damit<br />
wirklich relevante Benefits im erweiterten Sinne ab?<br />
Reichen eindimensionale Maße wie QALYs aus, um<br />
Entscheidungen zu fundieren? Wie gehen wir mit<br />
notwendigen Schwellenwerten um und was sind<br />
überhaupt klinisch relevante Differenzen? Alle diese<br />
Probleme sind ungelöst.<br />
Zur Verdeutlichung des Problems der Reduktion von<br />
Patientennutzen auf Lebensqualität soll ein weiteres<br />
Beispiel dienen. Mit der Fragestellung „Wie ist das<br />
Verhältnis von <strong>Nutzen</strong> und Lebensqualität?“ wurden
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 30<br />
<strong>Nutzen</strong>bewertung: Patient Benefit Index (PBI)<br />
Vor Therapie Nach Therapie<br />
Augustin M, Zschocke I: MMW-Fortschr. Med. 148 (1), 25-32, 2006<br />
Abbildung 9 Abbildung 10<br />
Patienten mit chronischen Wunden danach gefragt,<br />
ob die gängigen und bei ihnen eingesetzten Lebensqualitätsmessinstrumente<br />
ihren persönlichen <strong>Nutzen</strong><br />
unter einer gegebenen Therapie widerspiegeln. Resultat<br />
war, dass die Lebensqualitätsinstrumente bei<br />
einem deutlichen Teil der Patienten deren persönlichen<br />
<strong>Nutzen</strong>, so wie sie ihn selbst empfunden hatten,<br />
nicht erfassten. Diese Patienten hatten eher das Gefühl:<br />
Es wird zwar etwas gemessen, aber das, was ich<br />
persönlich wollte, finde ich darin nicht wieder.<br />
Erfassung des patientenrelevanten <strong>Nutzen</strong>s –<br />
der Patienten-<strong>Nutzen</strong>-Index<br />
Patientenseitiger <strong>Nutzen</strong> und Lebensqualität sind offenbar<br />
nicht identische Konstrukte. Über die Erfassung<br />
der Lebensqualität hinaus ist somit ein Ansatz<br />
Patient Benefit Index (PBI)<br />
Patient benefit index<br />
PBI = ∑ k<br />
i=<br />
1<br />
∑<br />
i=<br />
1<br />
k<br />
PNQ<br />
PNQ<br />
i PBQi<br />
Crohnbach‘s alpha = 0.908<br />
i<br />
Häufigkeit<br />
Frequency (n=)<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
Mean = 2,2475<br />
Std. Dev. = 1,04502<br />
N = 180<br />
0<br />
0,00 1,00 2,00 3,00 4,00<br />
Weighted Index gewichtet Index<br />
Augustin M et al., J Dtsch Dermatol Ges 2008, Dermatology 2008, Arch Dermatol Res 2008<br />
Abbildung 11 Abbildung 12<br />
<strong>Nutzen</strong>bewertung: Patient Benefit Index (PBI)<br />
notwendig, mit dem die vielen Teilnutzen, die für Patienten<br />
aus der Behandlung entstehen, zusammengefasst<br />
werden. Formal lässt sich dies mit einer mathematischen<br />
<strong>Nutzen</strong>funktion darstellen (vgl. Abb. 8,<br />
S. 29). In unseren methodischen Projekten zur Entwicklung<br />
von Messverfahren des Patientennutzens<br />
wurde deshalb auch, in Anlehnung an die schon erwähnte<br />
„Glücksformel“ des ökonomischen <strong>Nutzen</strong>s,<br />
eine andere Vorgehensweise zur Erfassung therapeutischen<br />
<strong>Nutzen</strong>s beschritten: Die einzelnen vom Patienten<br />
für relevant befundenen Teilnutzen werden<br />
aufsummiert und daraus ein Gesamt-<strong>Nutzen</strong>-Index<br />
gebildet.<br />
Zu diesem Zweck wurde etwas sehr Simples getan<br />
und die Patienten vor Therapiebeginn einfach nach<br />
ihren persönlichen Präferenzen hinsichtlich möglicher<br />
<strong>Nutzen</strong>bewertung: Patient Benefit Index (PBI)<br />
Patient benefit indices (Anteil (%) Patienten mit PBI >1)<br />
Standard-Versorgung Wundzentrum<br />
49.1% 92.6%<br />
Weighted Index<br />
20<br />
10<br />
0<br />
0,00 1 2 3 1,00 4 5 6 2,00 7 8 9 3,00 10 11 12 4,00
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 31<br />
<strong>Nutzen</strong> der Behandlung befragt. Vorgelegt wurde ihnen<br />
dazu eine vorstrukturierte Liste von 24 Items, die<br />
bereits zuvor aus einem sehr großen Itempool von<br />
Patientenantworten zusammengestellt worden waren<br />
(Abb. 9, S. 30).<br />
Beispielsweise wurde danach gefragt, wie wichtig es<br />
für den Patienten sei, durch die Behandlung schmerzfrei<br />
zu sein. Oder an Lebensfreude zu gewinnen. Das<br />
daraus gewonnene individuelle Profil der einzelnen<br />
Patienten hat gezeigt, dass die Patienten ein sehr<br />
breites Spektrum an persönlichen <strong>Nutzen</strong> erwarten<br />
oder sich wünschen.<br />
Dieses breite Spektrum des patientenseitigen <strong>Nutzen</strong>s<br />
geht weit über den <strong>Nutzen</strong> hinaus, wie er traditionell<br />
in klinischen Studien in Form nur eines Hauptzielparameters<br />
gemessen wird. Der Patient sollte mit<br />
diesem individuellen Spektrum an <strong>Nutzen</strong> in ganzer<br />
Breite ernst genommen werden, indem wir die <strong>Nutzen</strong><br />
insgesamt auch in eine entsprechende Evaluation mit<br />
aufnehmen.<br />
Um dies zu erreichen, wird der Patient nach der Behandlung<br />
mit denselben Items wie zuvor wieder befragt,<br />
jetzt aber mit der Fragestellung: Hat die letzte<br />
Behandlung ihnen geholfen, nach der Therapie (z.B.)<br />
schmerzfrei zu sein (Abb. 10, S. 30)? Aus den einzelnen<br />
Antworten ergibt sich eine Verteilung der erreichten<br />
einzelnen <strong>Nutzen</strong>. Aus den vorher definierten und<br />
gewichteten <strong>Nutzen</strong> und den nach Therapie erreichten<br />
<strong>Nutzen</strong>ergebnissen werden nun produktweise<br />
Teilsummen (=Teilnutzen) gebildet und diese am<br />
Ende aufaddiert (Abb. 11, S. 30). Damit erhält man<br />
einen einzelnen, globalen <strong>Nutzen</strong>wert, den wir „Patient<br />
Benefit Index“ (PBI) genannt haben. Mit den<br />
gemessenen <strong>Nutzen</strong> der einzelnen Patienten kann<br />
man nun über eine Patientengruppe Verteilungskurven<br />
erstellen, die für ein bestimmtes Medikament,<br />
eine Intervention oder eine versorgende Institution<br />
standardisierte <strong>Nutzen</strong>aussagen ermöglichen.<br />
Neben den Verteilungen des <strong>Nutzen</strong>s in einer definierten<br />
Patientengruppe können auch „Response-Raten“<br />
ermittelt werden, die auf Schwellenwerten beruhen.<br />
Als Schwellenwert minimalen <strong>Nutzen</strong>s wurden von<br />
uns beim PBI Werte größer eins angesehen. Beispiel:<br />
Im Vergleich der Versorgungsqualität von Wunden<br />
zwischen einer nicht-spezialisierten Versorgung in<br />
Hausarztpraxen und der spezialisierten Versorgung in<br />
einem Wundzentrum fanden sich mit minimalen <strong>Nutzen</strong>werten<br />
von 49,1% versus 92,6% erhebliche Unterschiede<br />
(Abb. 12, S. 30).<br />
Zusammenfassung: Zusammenschau von<br />
Patienten-berichteten Endpunkten und objektivierbaren<br />
klinischen Endpunkten notwendig<br />
Zusammenfassend ist zu sagen: Die gesundheitsbezogene<br />
Lebensqualität ist eine international akzeptierte<br />
und valide Größe. Sie ist als eines der wichtigsten<br />
„Patient Reported Outcomes“ zur Messung therapeutischer<br />
Effekte aus der Patientenperspektive<br />
geeignet. In den meisten klinischen Situationen ist für<br />
die Patienten jedoch ein möglichst breites Spektrum<br />
an therapeutischem <strong>Nutzen</strong> relevant. Dies wissen alle<br />
diejenigen, die mit Patienten arbeiten. Die Messung<br />
der krankheitsspezifischen Lebensqualität ist dabei<br />
sinnvoll, aber nicht hinreichend zur Abbildung individuellen<br />
<strong>Nutzen</strong>s in seiner ganzen Breite (vgl. Abb. 11<br />
und Abb. 12, S. 30).<br />
Zur Beschreibung der Patienten-relevanten Outcomes<br />
ist daher die Kombination der Erfassung von<br />
Lebensqualität plus individualisierten patientenrelevanten<br />
<strong>Nutzen</strong> (im Sinne von Präferenzen) anzuraten.<br />
Diese Patienten-berichteten Endpunkte sollten in der<br />
<strong>Nutzen</strong>bewertung zudem immer durch objektivierbare<br />
klinische Endpunkte ergänzt werden. Die primär<br />
klinischen Ergebnisparameter sollen somit gar nicht<br />
ausgenommen werden, sondern es sollen ihnen die<br />
Patienten-berichteten Endpunkte an die Seite gestellt<br />
werden.<br />
Den kritischen Stimmen hinsichtlich der Einführung<br />
patientenrelevanter Endpunkte kann überwiegend widersprochen<br />
werden. So ist das Argument, man könne<br />
Lebensqualität nicht zutreffend messen, nicht zu<br />
halten. Sie ist keineswegs ein so „weicher“ Endpunkt.<br />
Auch die Erfassung von Schmerzen durch Patientenangaben<br />
ist notwendiger Bestandteil der Diagnostik,<br />
der ohne dessen spezifische Angaben nicht möglich<br />
wäre. Man würde den Patienten sehr Unrecht tun,<br />
wenn behauptet würde, Schmerzen seien nicht quantifizierbar.<br />
Die häufig geäußerte Befürchtung, der Patient würde<br />
in seinen Wünschen und Forderungen maßlos, wenn<br />
er in die <strong>Nutzen</strong>bewertung und in die Einschätzung<br />
seiner Versorgung einbezogen wird, ist nicht zu halten.<br />
Notwendig ist hier vielmehr eine individualisierte<br />
Ergebnismessung.<br />
Wir tun insgesamt gut daran, Patienten-relevante<br />
Endpunkte in den Entscheidungsfindungen auf klinisch-medizinischer<br />
wie auch auf allokatorischer Ebene<br />
zu berücksichtigen, weil der Patient im Mittelpunkt<br />
der Behandlung steht. Die wissenschaftliche Grundlage<br />
für die Erfassung patientenrelevanter Endpunkte<br />
ist zudem gegeben. © gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 32<br />
Chancen und Risiken für den Patienten<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als Weg von der Rationierung zur Rationalisierung?<br />
Von Dr. med. Dr. phil. Daniel Strech<br />
Vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Ressourcen,<br />
dem demografischen Wandel und einem kostenintensiven<br />
medizinischen Fortschritt sieht sich<br />
Deutschland, wie alle anderen vergleichbaren internationalen<br />
Gesundheitssysteme auch, mit einer in<br />
Zukunft eher noch zunehmenden Mittelknappheit im<br />
Gesundheitswesen konfrontiert.<br />
Aus ethischer, wie auch aus ökonomischer und medizinischer<br />
Perspektive erscheint es geboten, diesem<br />
Problem primär mit Rationalisierungen und Effizienzsteigerungen<br />
entgegenzutreten1 . Mit der Evidenz-basierten<br />
Medizin sind erste Schritte in diese Richtung<br />
durch in Systematik und Transparenz optimierte <strong>Nutzen</strong>bewertungen<br />
und höherwertige klinische Leitlinien<br />
unternommen worden.<br />
Diese Ansätze können und sollten weiter verbessert<br />
werden, hin zu patientenorientierten, die Versorgungswirklichkeit<br />
berücksichtigenden Instrumenten<br />
einer Rationalisierung. Neben der Evidenz-basierten<br />
Medizin werden weitere Rationalisierungspotentiale<br />
diskutiert in der Optimierung der Integrierten Versorgung,<br />
einer verbesserten Kooperation der Gesundheitsberufe<br />
oder der Weiterentwicklung des deutschen<br />
DRG-Systems2 .<br />
Jedoch: Trotz aller Effizienzpotentiale der genannten<br />
Rationalisierungsansätze steht das deutsche Gesundheitswesen<br />
heute und in Zukunft weiter einer<br />
Mittelknappheit gegenüber, die auch aufgrund guter<br />
ethischer Argumente nicht durch eine stete Erhöhung<br />
der sozialstaatlichen Mittel im Gesundheitssektor<br />
kompensiert werden kann und sollte3 .<br />
Gegenwärtig haben wir in Deutschland die Situation,<br />
dass Rationierungen bzw. Leistungsbegrenzungen<br />
auf implizite, verdeckte Art und Weise von Ärztinnen<br />
und Ärzten durchgeführt werden, deren Entscheidungs-<br />
und Handlungsspielraum durch Budgets und<br />
DRGs begrenzt wurde. Diese Maßnahmen zur <strong>Kosten</strong>kontrolle,<br />
wie Budgets und DRGs waren notwendig<br />
geworden, um die Gesundheitsausgaben effektiv<br />
zu begrenzen bzw. den gegenüberstehenden Einnahmen<br />
anzupassen.<br />
Unterschiedliche Kriterien bei der Priorisierung<br />
Diese Form der <strong>Kosten</strong>kontrolle ist einerseits sehr<br />
effektiv, ignoriert andererseits aber deren Auswirkun-<br />
gen auf die Qualität der Versorgung und die Gerechtigkeit<br />
der Ressourcenallokation. Deutsche und internationale<br />
empirische Untersuchungen zeigen, dass<br />
sich Ärztinnen und Ärzte darin unterscheiden, welchen<br />
Kriterien zur Priorisierung von Patienten sie<br />
mehr oder weniger Beachtung schenken 4–6 .<br />
Für die einen spielen die absoluten <strong>Kosten</strong> einer Maßnahme<br />
oder das Patientenalter eine wesentliche Rolle,<br />
andere verweisen auf die praktische Relevanz des<br />
Informationsgrades beim Patienten oder der persönlichen<br />
Beziehung zwischen Arzt und Patient und wieder<br />
andere orientieren sich primär an der Schwere der<br />
Erkrankung oder der Bedürftigkeit des Patienten.<br />
Schlussendlich ergibt sich somit durch die gegenwärtig<br />
vorliegende implizite Rationierung auf der einen<br />
Seite eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine teilweise<br />
ungerechte Bevorzugung bzw. Benachteilung bestimmter<br />
Patientengruppen. Auf der anderen Seite<br />
ergeben sich unklare Auswirkungen auf die Versorgungsqualität.<br />
Von der impliziten zur expliziten Rationierung<br />
Gefordert wird deshalb aus ethischer und medizinischer<br />
Sicht eine bestmögliche Umwandlung der impliziten<br />
in eine explizite Rationierung, welche die bei<br />
Leistungsbegrenzungen angewendeten Kriterien offen<br />
und transparent kommuniziert7, 8 . Aus ethischer<br />
Sicht sind u.a. die <strong>Kosten</strong>effektivität einer medizinischen<br />
Maßnahme, der Schweregrad der Erkrankung<br />
und die Bedürftigkeit des Patienten akzeptable Kriterien<br />
für eine explizite Leistungsbegrenzung.<br />
Soweit generalisierbar sollte die relative Gewichtung<br />
entsprechender Kriterien von demokratisch legitimierten<br />
Institutionen unter Einbeziehung der Betroffenen<br />
und weiterer Interessengruppen in möglichst transparenter<br />
Form stattfinden. Eine valide und praxisorientierte<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> (KNB) bildet zusammen<br />
mit den anderen genannten Kriterien die Grundlage<br />
für eine angemessene explizite Leistungsbegrenzung,<br />
welche eine gerechtere Mittelverteilung<br />
und eine gezielte Schwerpunktsetzung in der Versorgung<br />
(Qualitätssicherung) intendiert.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 33<br />
Chancen und Risiken für den Patienten<br />
In diesem Sinne kann man davon sprechen, dass eine<br />
an sich notwendige Rationierung durch explizite <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
rationaler wird. Die in einer<br />
expliziten Rationierung berücksichtigten Aspekte der<br />
Gerechtigkeit, der Qualitätssicherung und der Rationalität<br />
sind die Chancen für die Patienten hinsichtlich<br />
der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>. Zugleich kann das<br />
Arzt-Patienten-Verhältnis entlastet und das Vertrauen<br />
der Patienten in ihre Ärztinnen und Ärzte bewahrt<br />
werden, wenn die Entscheidungshoheit über die Verteilung<br />
knapper Ressourcen nicht länger in der Hand<br />
der Ärztin oder des Arztes liegt.<br />
Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass eine <strong>Kosten</strong>-<br />
<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> auch einen edukativen Effekt hin<br />
zu Rationalisierungen bei Ärztinnen und Ärzten haben<br />
kann. Wird eine deutlich schlechtere <strong>Kosten</strong>effektivität<br />
für eine im <strong>Nutzen</strong> für die Patienten gleichwertige<br />
Maßnahme nachgewiesen, kann dies die Bereitschaft<br />
zur Rationalisierung und effizienteren Verordnung<br />
bei Ärztinnen und Ärzten verstärken.<br />
Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass sich die<br />
genannten Chancen für die Patienten nicht von allein<br />
ergeben. Sie müssen in der Praxis erst realisiert werden.<br />
Eine explizite Rationierung birgt auch Risiken für<br />
die Patienten. Daten zur <strong>Kosten</strong>effektivität können<br />
ebenso wie reine Effektivitätsdaten durch verschiedene<br />
Einflüsse verzerrt sein (Bias) 9 , was eine rationale<br />
explizite Rationierung erschwert.<br />
Auch unabhängig von Verzerrungseinflüssen auf der<br />
Datenseite müssen Entscheidungen auf der Basis<br />
von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> nicht zwangsläufig<br />
den Prinzipien der Rationalität und Konsistenz folgen.<br />
Potentiell können unterschiedliche Fremdinteressen<br />
in die Entscheidungsfindung einfließen. Diese Fremdinteressen,<br />
wie auch andere für die Öffentlichkeit relevanten<br />
Aspekte der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong>, gilt<br />
es, bestmöglich transparent zu machen.<br />
Dabei ist darauf zu achten, dass bereits die initiative<br />
Planung, primäre Ausarbeitung und spätere Modifikation<br />
einer deutschen <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> ausreichend<br />
transparent gemacht wird. Nicht nur die fertigen<br />
Methodenvorschläge zur deutschen KNB oder<br />
die Erläuterungen der Verfasser sollten öffentlich zugänglich<br />
gemacht werden (s. www.iqwig.de), sondern<br />
auch die Diskurse zu möglichen Modifikationen, wie<br />
sie gegenwärtig in zahlreichen Symposien zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
in Deutschland stattfinden.<br />
Erst eine solche umfassende Transparenz ermöglicht<br />
Patienten bzw. Versicherten nachzuvollziehen, was<br />
die strittigen Elemente der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
sind und mit welchen Begründungen (und Werturteilen!)<br />
für oder gegen bestimmte Elemente einer deutschen<br />
KNB argumentiert wird.<br />
Fazit<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> nicht nur aus ökonomischer,<br />
sondern auch aus medizinischer und ethischer<br />
Perspektive ein für die Patienten und Versicherten<br />
praxisrelevantes Potenzial (a) zur Rationalisierung im<br />
Sinne einer Effizienzsteigerung und (b) zur Rationalisierung<br />
der wahrscheinlich unvermeidbaren Rationierungen<br />
hat. Die gegenwärtig durch implizite Rationierungen<br />
geprägte Situation in Deutschland bedarf der<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> als Grundbedingung zur<br />
Ermöglichung einer expliziten Rationierung, welche<br />
das ernstzunehmende Potenzial für eine qualitätsorientierte<br />
und gerechtere Ressourcenallokation in sich<br />
trägt.<br />
Ob dieses Potenzial in der Praxis tatsächlich angemessen<br />
umgesetzt wird, bedarf der anhaltenden, Prozess-begleitenden<br />
und kritischen Evaluation, deren<br />
Ermöglichung grundlegend von einer umfassenden<br />
Transparenz in den verschiedenen Schritten der KNB<br />
abhängt.<br />
© gpk<br />
Referenzen<br />
1. Marckmann G: Zwischen Skylla und Charybdis: Reformoptionen<br />
im Gesundheitswesen aus ethischer Perspektive.<br />
Gesundheitsökonomie und Qualitätsmanagement 2007,<br />
12:96-100.<br />
2. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung<br />
im Gesundheitswesen: Kooperation und Verantwortung.<br />
Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung.<br />
Kurzfassung. http://www.svr-gesundheit.de;<br />
2007.<br />
3. Huster S: „Hier finden wir zwar nichts, aber wir sehen<br />
wenigstens etwas“. Zum Verhältnis von Gesundheitsversorgung<br />
und Public Health, vol. Heft 178, Bochum: Zentrum<br />
für Medizinische Ethik; 2008.<br />
4. Strech D, Synofzik M, Marckmann G: How physicians<br />
allocate scarce resources at the bedside. A systematic<br />
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2008, 33:80-99.<br />
5. Hurst SA, Huss SC, DuVal G, Danis M: Physicians’ responses<br />
to resource contraints. Arch Intern Med 2005,<br />
165(6):639-644.<br />
6. Strech D, Börchers K, Freyer D, Neumann A, Wasem J,<br />
Marckmann G: Ärztliches Handeln bei Mittelknappheit.<br />
Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie. Ethik in der<br />
Medizin 2008, 20(2).<br />
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University Press; 2002.<br />
8. Zentrale Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze<br />
in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission)<br />
bei der Bundesärztekammer: Priorisierung<br />
medizinischer Leistungen im System der Gesetzlichen<br />
Krankenversicherung (GKV). Deutsches Ärzteblatt 2007.<br />
9. Bell CM, Urbach DR, Ray JG, Bayoumi A, Rosen AB,<br />
Greenburg D, Neumann PJ: Bias in published cost effectiveness<br />
studies: systematic review. BMJ 2006,<br />
332(7543):699-703.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 34<br />
Patiententeilhabe außerhalb<br />
Deutschlands<br />
Systemarchitektur, Staatseinfluss und relative Freiheitsgrade<br />
in sozialen Gesundheitssystemen<br />
Von Günter Danner M. A., Ph.D.<br />
Teilhabe, verstanden als sozialrechtliche Begründung<br />
eines Rechtsanspruches auf adäquate medizinische<br />
Versorgung unabhängig von der eigenen wirtschaftlichen<br />
Leistungskraft, ist ein Kernelement des sozial<br />
organisierten Versorgungsgeschehens an den Gesundheitsmärkten<br />
der EU-Mitgliedstaaten. Sie beschreibt<br />
zunächst nur das – theoretische – Recht,<br />
meist niedergelegt in Verwaltungsvorschriften oder<br />
einer eigenen nationalrechtlichen Gesetzgebung.<br />
In der Praxis stellt sie sich angesichts der 27 völlig<br />
verschiedenen Gesundheitssysteme allerdings für die<br />
Bürger höchst unterschiedlich dar. In der aktuellen<br />
Diskussion über enger werdende Finanzierungsspielräume<br />
bei steigenden künftigen Ausgaben spielt das<br />
etablierte und tatsächlich erlangbare Recht auf Versorgung<br />
eine bedeutende Rolle.<br />
Im Unterschied zum abstrakten Vergleich sozialrechtlicher<br />
Anspruchsnormen ergeben sich jedoch – trotz<br />
wachsender makroökonomischer Tendenz zur Vergemeinschaftung<br />
in der EU – bei Betrachtung des am<br />
Ort jeweils Erlangbaren erhebliche Unterschiede. Diese<br />
wiederum sind verknüpft mit dem jeweils gültigen<br />
Ehrlichkeitsgrad des betreffenden Systems, bzw. dessen<br />
tatsächlichen Möglichkeiten, das auf dem Papier<br />
Versprochene auch nachhaltig zu liefern.<br />
Systemtypologie und Teilhabe<br />
Die derzeitigen Gesundheitssysteme der EU lassen<br />
sich grob in vier Typen untergliedern:<br />
1. Zum einen gibt es die klassischen „Staatsbewirkungsmodelle“<br />
skandinavisch-britischer Prägung.<br />
Diese Gesundheitsdienste sind ganz oder überwiegend<br />
mit Steuermitteln finanziert und zeichnen sich<br />
durch staatsabhängig bzw. staatsunmittelbar beschäftigte<br />
Leistungserbringer aus. Der Staat steht hier<br />
in einer nahezu allmächtigen Position als Herr des<br />
Steuergeschehens, der Verteilung der Steuermittel<br />
und Dienstgeber der an der unmittelbaren Versorgung<br />
beteiligten Einrichtungen. Großbritannien, Mutterland<br />
dieses Modells, Dänemark, Irland, Schweden, Finnland,<br />
Portugal, Italien und Griechenland kennen Varianten<br />
dieses Systemtyps. Wenn die Strukturunterschiede<br />
zwischen diesen Modellen auch hoch sind,<br />
so ist ihnen neben der Steuerfinanzierung insbesondere<br />
der Umstand gemein, dass keine ihrer nationalen<br />
Spielarten ohne beachtliche und regelhafte Wartelisten<br />
in der Versorgung auskommt. Weiterhin ist die<br />
aktive Mitwirkung der Patienten, etwa in Gestalt von<br />
Wahlmöglichkeiten oder direktem Systemeinfluss,<br />
stark begrenzt. Mehr als der jeweilige Hausarzt, oft<br />
auch der in einer Poliklinik, kann nicht frei gewählt<br />
werden. Enge Vorgaben bestehen vielfach hinsichtlich<br />
der Behandlungspfade bzw. der dem Behandler eingeräumten<br />
therapeutischen Freiheiten.<br />
2. Bürgerversicherungsmodelle mit Sozialversicherungscharakter<br />
ohne Wettbewerb bestehen in den<br />
westeuropäischen Mitgliedstaaten in Frankreich, Österreich<br />
und Luxemburg. Hier besteht zwar üblicherweise<br />
keine Wahl zwischen den <strong>Kosten</strong>trägern, jedoch<br />
können mit der Sozialversicherung kooperierende<br />
Ärzte im Rahmen der sozialrechtlichen Vorgaben<br />
ausgewählt werden. Auffällig ist die Tendenz zur Einengung<br />
des Patientenwillens, etwa durch das neue<br />
französische Hausarztmodell. Im Gegensatz zu den<br />
Erwartungen von massiven <strong>Kosten</strong>reduktionen, konnte<br />
diese Tendenz dort bislang noch nicht bestätigt<br />
werden. Solchen Modellen wohnt eine nicht eben<br />
geringe Staatsnähe inne.<br />
3. Sozialversicherungsmodelle mit wettbewerblichem<br />
Charakter existieren in Belgien, Deutschland<br />
und den Niederlanden, wenngleich mit erheblichen<br />
Unterschieden. Gerade das deutsche Modell, daheim
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 35<br />
oft als problematisch deklassiert, zeigt im Vergleich<br />
unter besonderer Berücksichtigung relativer Freiheitsgrade<br />
der Patienten deutliche Stärken. Diesen<br />
wird seine politische Behandlung leider nicht durchgängig<br />
gerecht.<br />
4. Die neuen Mitgliedstaaten des Ostens kennen<br />
nach dem Systemwechsel eine strukturell ähnliche<br />
Entwicklung vom kommunistischen Staatsbewirkungsmodell<br />
hin zu einem Sozialversicherungsmodell<br />
mit deutlichen Ähnlichkeiten zu Deutschland. Dieser<br />
Systemwechsel konnte aus verschiedenen Gründen<br />
nicht vollzogen werden. Mithin blieb die oft mehrjährige<br />
und politisch mühselige Permanenzreform auf halbem<br />
Wege stecken. Unterfinanzierte öffentliche Einrichtungen,<br />
schlechte Entlohnung und unstete Verwaltungsgegebenheiten<br />
haben in den meisten mittelund<br />
osteuropäischen Staaten ein Staatsfondsmodell<br />
in hoher Staatsabhängigkeit entstehen lassen, dass<br />
seinen Versorgungsauftrag oft nur in einem schattenwirtschaftlichen<br />
Umfeld erfüllt. Dieses Element der<br />
quasi-obligaten illegalen, doch bisweilen geduldeten<br />
Zuzahlung durch ohnehin schon wenig verdienende<br />
Patienten, schafft erhebliche soziale Probleme. Lediglich<br />
Estland und Slowenien haben mit beachtlichen<br />
Anstrengungen eine starke Eindämmung des schattenwirtschaftlichen<br />
Elements erreicht.<br />
Rationierung und <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
Rationierung ist heute bei einem hohen politischen<br />
Druck auf die Sozialkosten überall ein wichtiges Thema.<br />
Nur selten allerdings gelingt es, hier transparent<br />
und begründet Leitvorstellungen zu vermitteln. Oft<br />
kommt es zu undeklarierten Leistungsverknappungen,<br />
die dann das System in seiner Darstellung beschädigen<br />
können. Wartelisten sind dafür ein sichtbarer<br />
Ausdruck.<br />
Grundsätzlich ist der Gesundheitsmarkt nicht saturierungsfähig.<br />
Sein unvollkommener Marktcharakter,<br />
das zwangsläufige Wissensgefälle zwischen Leistungsanbietern<br />
und Nachfragern, sowie der Zwang<br />
des Kranken zum medizinischen Konsum umreißen<br />
die hier vom üblichen Konsumgeschehen abweichenden<br />
Einflussquellen.<br />
In allen Systemen beklagen Fachleute fehlende Elemente<br />
zur verbesserten Mittelsteuerung. Die Zergliederung<br />
der Leistungs- und Ausgabensegmente trägt<br />
ebenso dazu bei, dass gelegentlich unter Panikdruck<br />
und Sparzwang eher willkürlich „gestrichen“ wird.<br />
Dies ist makroökonomisch kaum zielführend und<br />
schwächt die Rolle des Kranken. Erst ein rational<br />
erhöhtes Miteinander der Akteure könnte hier Abhilfe<br />
schaffen. Solidargemeinschaften, wie etwa die deutsche<br />
gesetzliche Krankenversicherung (GKV), könnten<br />
morgen noch mehr als heute in die Rolle einer zur<br />
Nachfrage befähigenden Solidarorganisation hineinwachsen.<br />
Die Rolle der EU<br />
Europa hat bei allen enormen ökonomischen Ordnungsmitteln<br />
kein Mandat zur unmittelbaren Systemgestaltung.<br />
Dennoch wächst der EU-Einfluss über<br />
den Binnenmarkt. Eine serielle Rechtsprechung des<br />
Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat seit 1998 unmittelbare<br />
EU-Patientenrechte geschaffen. Diese machen<br />
die Wartelistenpolitik bestimmter nationaler Systeme<br />
mittelfristig aussichtslos und haben bereits<br />
Grundlagen grenzüberschreitender Nachfrage eröffnet.<br />
Ein harmonisiertes EU-Gesundheitswesen wird es<br />
auf absehbare Zeit infolge der enormen Gefälle nicht<br />
geben. Nützlich wäre daher eine verbesserte Synchronisierung<br />
der nationalen Gesundheitsmärkte. Ob<br />
es dazu einer EU-Richtlinie bedarf, oder ob nicht<br />
souveräne Systeme dies auch bi- und multilateral auf<br />
vertraglicher Grundlage organisieren könnten, sei<br />
hier zunächst dahingestellt.<br />
Deutschlands Gesundheitswesen ist besser als sein<br />
Ruf und hat Chancen für ein Markenzeichen im EU-<br />
Umfeld. Dazu bedarf es keines Strukturtransfers auf<br />
andere Staaten. Auch bei einer erkennbaren Erosion<br />
nationaler wirtschaftlicher Gestaltungsmacht, verbleibt<br />
dort die Systemverantwortung. Komplexe ökonomische<br />
Anstrengungen sind jedoch nötig, um die<br />
künftige Teilhabe am Gesundheitsmarkt sicherzustellen.<br />
Systemsicherung verlangt daher morgen von den Mitwirkenden<br />
mehr Kompromissbereitschaft als heute.<br />
Mit seiner Selbstverwaltung und dem entwickelten<br />
Vertragswesen in der Beschaffung hat Deutschland<br />
hier ein zwar kompliziertes, jedoch gestaltbares System,<br />
das es zu bewahren und fortzuentwickeln gilt.<br />
Unterbleibt dies, so droht ein Staatsmodell in scheinbarer<br />
Leistungsfähigkeit, wie an vielen Orten in der<br />
EU. Alle Systembeteiligten hätten dann etwas verloren.<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 36<br />
<strong>Kosten</strong>zuwächse bei neuen Wirkstoffen<br />
am Beispiel der Onkologie:<br />
Welche Ergebnisse benötigen wir zu patientenrelevanten Endpunkten aus klinischen Studien?<br />
Von Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig<br />
Einleitung<br />
Die Zahl der Krebspatienten steigt und wird in Zukunft<br />
weiter zunehmen. Derzeit liegt das mediane Alter der<br />
Krebserkrankungen für Frauen bei 67 Jahren, das der<br />
Männer bei 66 Jahren (Abb. 1). Sechzig Prozent aller<br />
Krebserkrankungen treten bei Patientinnen und Patienten<br />
über 65 Jahren auf. Europaweit liegt die Inzidenzrate<br />
derzeit für die unter 65-Jährigen bei etwa<br />
200 Krebserkrankungen pro 100.000 Einwohner, für<br />
die 65-jährigen und älteren Patienten sind es bereits<br />
rund 2.000. Entsprechend sind die Mortalitätsraten.<br />
Angesichts einer Bevölkerung mit immer mehr alten<br />
Menschen ist mit einer starken Zunahme der Krebserkrankungen<br />
in den nächsten Jahren zu rechnen.<br />
Derzeit sind rund fünfzehn Prozent der Gesamtbevölkerung<br />
über 65 Jahre alt, im Jahr 2040 werden es<br />
etwa 25 Prozent sein. Daher ist zu erwarten, dass sich<br />
Krebserkrankungen zwischen 2015 und 2020 zur<br />
häufigsten Todesursache in Europa entwickeln werden.<br />
Abbildung 1<br />
Vor diesem Hintergrund ist es sehr erfreulich, dass<br />
große Fortschritte auf dem Gebiet der Grundlagenforschung<br />
von Krebserkrankungen erzielt werden konnten.<br />
1 Insbesondere molekulargenetische Untersuchungen<br />
haben in den letzten 20 Jahren entscheidend<br />
zu einem besseren Verständnis der Pathogenese<br />
von Tumorerkrankungen beigetragen. 2 Parallel<br />
hierzu sind, auch aufgrund der seit etwa 1990 erfolgten<br />
Annäherung zwischen onkologischer Grundlagenforschung<br />
und klinischer Onkologie, wichtige Fortschritte<br />
erzielt worden in der molekularen Diagnostik<br />
von Tumorerkrankungen, Identifikation molekularer<br />
Marker für die Definition von Risikogruppen und Entwicklung<br />
neuer, gegen zelluläre bzw. molekulare Zielstrukturen<br />
gerichteter medikamentöser Therapiestrategien<br />
(sog. „targeted therapy“). 3 Zu diesen Zielstrukturen<br />
zählen heute Wachstumsfaktoren bzw. deren<br />
Rezeptoren, die das Wachstum epithelialer Zellen<br />
(z.B. epidermale Wachstumsfaktoren, EGF) oder die<br />
Neoangiogenese in Tumoren (z.B. vaskulärer endo-<br />
Krebs insgesamt: 436.500 Neuerkrankungen<br />
mittleres Erkrankungsalter Frauen 67, Männer 66 Jahre<br />
RKI, Krebs in Deutschland, 2003-2004, 6. Auflage 2008<br />
Abbildung 3.1.1<br />
Schätzung der altersspezifischen Inzidenz in Deutschland 2004, ICD-10 Coo–97 ohne C44<br />
Neuerkrankungen pro 100.000 in Altersgruppen<br />
3.000<br />
2.500<br />
2.000<br />
1.500<br />
1.000<br />
500<br />
0–14 15–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70–74 75–79 80–84 85+<br />
Männer Frauen Altersgruppe
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 37<br />
thelialer Wachstumsfaktor, VEGF) stimulieren, Tyrosinkinasen,<br />
die an der Signalübertragung beteiligt<br />
sind und zelluläre Vorgänge wie Zellwachstum und<br />
Überleben regulieren, Proteasom-Inhibitoren, Zellzyklus-Proteine<br />
sowie Modulatoren des programmierten<br />
Zelltodes (Apoptose).<br />
Neue Wirkstoffe in der Onkologie: Möglichkeiten<br />
und Risiken<br />
Das Wissen über neue Therapiemöglichkeiten für<br />
Krebserkrankungen hat von diesen Erkenntnissen<br />
der Grundlagenforschung im letzten Jahrzehnt sehr<br />
profitiert. Etwa um die Jahrtausendwende kam der<br />
erste zielgerichtete Wirkstoff zur Behandlung der<br />
chronischen myeloischen Leukämie auf den Markt –<br />
Imatinib. Heute verschlingt dieser, ursprünglich als<br />
„orphan drug“ (Arzneimittel für seltene Krankheiten)<br />
zugelassene Wirkstoff, bereits rund fünfzig Prozent<br />
des Umsatzvolumens aller im Arznei-Verordnungsreport<br />
2007 erfassten Ausgaben für Zytostatika in der<br />
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). 4<br />
Derzeit befinden sich mehr als 400 neue onkologische<br />
Wirkstoffe von etwa 180 pharmazeutischen Herstellern<br />
in unterschiedlichen Phasen der klinischen Prüfung.<br />
3 Es kann davon ausgegangen werden, dass die<br />
Mehrzahl dieser Arzneimittel – wahrscheinlich achtzig<br />
Arzneiverordnungs-Report 2007*:<br />
Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen in der Onkologie<br />
• insgesamt 27 Arzneimittel neu zugelassen<br />
• Hämatologie/Onkologie: N = 6<br />
• (Clofarabin, Dasatinib, Deferasirox, Dexrazoxan, Sorafenib, Sunitinib)<br />
• A - innvovative Struktur bzw. neuartiges Wirkprinzip<br />
mit therapeutischer Relevanz: N=3<br />
• B - Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer<br />
Eigenschaften bereits bekannter Wirkprinzipien: N=3<br />
• Grundlage der Zulassung-(Studien): Phase-I- (Clofarabin), Phase-I/II-<br />
(Dasatinib), Phase-III- vs. Placebo bzw. IFN-a (Sorafen-, Sunitinib),<br />
Phase-III- vs. Deferoxamin, Phase-II- (Dexrazoxan); unterschiedliche<br />
Endpunkte<br />
• keine „head-to-head“ Vergleiche, selten Überlebensvorteil<br />
➔ Sicherheit?, Patientennutzen?<br />
* U. Schwabe & D. Paffrath (Hrsg.), Springer 2008<br />
Abbildung 2<br />
bis neunzig Prozent – nicht zugelassen wird, weil sie<br />
in den klinischen Prüfungen infolge unzureichender<br />
Wirksamkeit und/oder gravierender Risiken scheitern.<br />
Doch etwa fünf bis 10 Wirkstoffe pro Jahr werden den<br />
Sprung auf den Markt schaffen, sodass weltweit in<br />
den nächsten fünf Jahren mit rund vierzig neuen<br />
Wirkstoffen zu rechnen ist. Insgesamt wird der Marktanteil<br />
für onkologische, aber auch immunologische<br />
und antientzündliche Wirkstoffe in den nächsten Jahren<br />
deutlich steigen. Bereits im Jahr 2007 waren von<br />
den neunzehn in den USA neu zugelassenen Wirkstoffen<br />
knapp ein Drittel für die Onkologie bestimmt. 5<br />
In Deutschland waren laut dem Arzneiverordnungs-<br />
Report 2007 sechs von insgesamt 27 neu zugelassenen<br />
Arzneimitteln für die Behandlung von Blut- oder<br />
Krebserkrankungen bestimmt (Abb. 2).<br />
Geht die Entwicklung weiter wie geplant, werden in<br />
den nächsten Jahren zahlreiche neue zielgerichtete<br />
Wirkstoffe dieser Art mit Jahrestherapiekosten häufig<br />
über 40.000 Euro zugelassen werden. Es ist leicht zu<br />
berechnen, welche <strong>Kosten</strong> auf die GKV zukommen,<br />
wenn zehn, zwanzig oder dreißig ähnlich teure Wirkstoffe<br />
auf den Markt kommen. Diese Entwicklung wurde<br />
zu Recht auch als „systemsprengende Wirkung“<br />
neuer Wirkstoffe in der Onkologie bezeichnet. 6<br />
Weltweit betrug der Umsatz der in der Onkologie<br />
eingesetzten Wirkstoffe im Jahr 2003 rund 37 Milliarden<br />
US-Dollar. Im Jahr 2010 rechnet<br />
man mit einer fast doppelt so<br />
hohen Summe von rund 66 Milliarden<br />
Dollar, möglicherweise<br />
auch mit mehr. 3 Teilweise sind für<br />
einzelne Wirkstoffe in der Onkologie<br />
Umsatzsteigerungen um bis<br />
zu 300 Prozent zu erwarten. Den<br />
Löwenanteil dieser <strong>Kosten</strong> werden<br />
die zur Behandlung von<br />
Krebserkrankungen (etwa 33 Prozent)<br />
und zur supportiven Therapie<br />
eingesetzten Wirkstoffe (etwa<br />
32 Prozent) ausmachen. Zytostatika<br />
mit etwa 24 Prozent und antihormonelle<br />
Therapien mit 11 Prozentspielen<br />
hingegen eine deutlich<br />
geringere Rolle.<br />
In der Euphorie über die Verfügbarkeit<br />
einer Vielzahl neuer medikamentöser<br />
Therapieoptionen in<br />
der Onkologie wird leider gerne<br />
übersehen, dass unsere Kenntnisse<br />
über die Bedeutung der
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 38<br />
Elderly Patients (%)<br />
80<br />
70<br />
73<br />
Reihe1 SWOG Reihe2 U.S.<br />
72<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
56<br />
Abbildung 3<br />
Bladder<br />
19<br />
44<br />
Brain<br />
9<br />
49<br />
Breast<br />
Patienten > 65 Jahre in klinischen Studien<br />
der Onkologie unterrepräsentiert*<br />
Cervical<br />
Colorectal<br />
Head and<br />
neck<br />
Leukemia<br />
Zielstrukturen für das Tumorwachstum und die exakten<br />
Wirkmechanismen neuer Arzneimittel noch sehr<br />
lückenhaft sind. Auch mit zielgerichteten Wirkstoffen<br />
wird heute eine Heilung bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen<br />
nur sehr selten erreicht und wie bei<br />
Zytostatika können auch unter dieser Therapie<br />
schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW)<br />
sowie Resistenzen auftreten. Die Verwendung von<br />
Begriffen wie „Targeted Therapy Revolution“, „PanTumorKonzept“<br />
bzw. „Vierte Dimension“ der Krebsbehandlung<br />
(neben Chirurgie, Strahlen- und zytostatischer<br />
Therapie) dient vorwiegend der Vermarktung<br />
und berücksichtigt nicht, dass die „Magic Bullets“ für<br />
die Krebstherapie bisher noch nicht gefunden wur-<br />
3, 7, 8 den.<br />
Qualitätsdefizite bei klinischen Studien<br />
Die Datenlage für die neu zugelassenen Arzneimittel<br />
ist in vielen Fällen unbefriedigend. Wesentliche Gründe<br />
hierfür sind, dass vor Zulassung durchgeführte<br />
klinische Studien häufig nicht aussagekräftig sind für<br />
die Verordnung der Arzneimittel nach Zulassung (z.B.<br />
ältere Patienten nicht adäquat berücksichtigt, restriktive<br />
Ein- und Ausschlusskriterien, kurze Beobach-<br />
7<br />
24<br />
40<br />
24<br />
49<br />
27<br />
63<br />
39<br />
Lung<br />
Lymphoma<br />
Type of Cancer<br />
Melanoma<br />
Myeloma<br />
Ovarian<br />
164 klinische Studien (SWOG), N=16396 Patienten<br />
* Hutchins LF et al.: NEJM 1999;341:2061<br />
66<br />
16<br />
14<br />
22<br />
37<br />
25<br />
70<br />
30<br />
48<br />
38<br />
73<br />
Pancreatic<br />
64<br />
77<br />
Prostate<br />
29<br />
44<br />
Soft-tissue<br />
sarcoma<br />
tungsdauer) und die Sicherheit neuer Arzneimittel in<br />
Zulassungsstudien nicht abschließend beurteilt werden<br />
kann.<br />
Die unzureichende Berücksichtigung älterer Patienten<br />
in Zulassungsstudien von neuen Wirkstoffen in<br />
der Onkologie ist wiederholt thematisiert worden. Ein<br />
Beispiel ist das Multiple Myelom, eine spezielle Form<br />
des Knochenmarkkrebs, dessen medianes Erkrankungsalter<br />
bei etwa 70 Jahren liegt. Laut einer Studie<br />
von Laura F. Hutchins et al. 9 aus dem Jahr 1999 waren<br />
siebzig Prozent aller Myelompatienten in den USA zu<br />
diesem Zeitpunkt 65 Jahre oder älter. Demgegenüber<br />
ergab jedoch die Auswertung von 164 Studien einer<br />
führenden nordamerikanischen Studiengruppe, der<br />
Southwest Oncology Group (SWOG), dass nur etwa<br />
25 Prozent der Myelompatienten, die in klinische Studien<br />
der SWOG eingeschlossen worden waren, dieser<br />
Altersgruppe angehörten (Abb. 3). Ein ähnliches<br />
Ungleichgewicht in der Verteilung von älteren und<br />
jüngeren Patienten findet sich auch in klinischen Studien<br />
bei anderen Krebserkrankungen (Abb. 3).<br />
Die von den Zulassungsbehörden anhand der klinischen<br />
Studien vor Zulassung zu beurteilende Frage<br />
nach dem <strong>Nutzen</strong>-Risiko-Verhältnis in einer gut cha-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 39<br />
rakterisierten, für den medizinischen Alltag relevanten<br />
Zielpopulation kann aufgrund des Designs dieser Studien<br />
häufig nicht endgültig beantwortet werden. Als<br />
geeignete, für die Beurteilung der Wirksamkeit neuer<br />
Wirkstoffe bei Krebspatienten relevante Endpunkte<br />
gelten in klinischen Studien (insbesondere der Phase-III)<br />
heute das Gesamtüberleben, das krankheitsfreie<br />
Überleben bzw. die Zeit bis zum Progress einer<br />
Erkrankung, die Lebensqualität und die Toxizität der<br />
verabreichten Arzneimittel. Weiterhin werden jedoch<br />
häufig für die Patienten weniger relevante und auch<br />
prognostisch nicht aussagekräftige Parameter, wie<br />
z.B. das Ansprechen einer Krebserkrankung auf einen<br />
neuen Wirkstoff, als primäre Endpunkte untersucht<br />
und gelegentlich von den Zulassungsbehörden<br />
sogar als Hinweis für eine bessere Wirksamkeit gegenüber<br />
den verfügbaren alternativen Therapieoptionen<br />
akzeptiert.<br />
Laut einer Studie von J.R. Johnson et al. 10 basierten<br />
bei der nordamerikanischen Food and Drug Administration<br />
(FDA) rund 68 Prozent aller Zulassungen für<br />
Zytostatika in den Jahren 1990 bis 2002 auf anderen<br />
Endpunkten als dem Gesamtüberleben. Aktuelle Analysen<br />
zeigen, dass dieses Problem nicht nur auf die<br />
USA zutrifft, sondern auch auf europäische Länder.<br />
G. Apolone et al. 11 untersuchten primäre Endpunkte<br />
Clinical trial<br />
design (48 trials)<br />
RCT 25<br />
SAT 19<br />
NC-RCT 4<br />
Overall survival<br />
TTP/PFS<br />
Response rate<br />
Other a<br />
Survival 4<br />
Resp. rate 30<br />
TTP/PFS 14<br />
No.<br />
2<br />
11<br />
13<br />
1<br />
* Apolone G et al.: Br J Cancer 2005; 93: 504-9<br />
Abbildung 4<br />
Primäre Endpunkte in Zulassungsstudien<br />
von Wirkstoffen gegen Krebs<br />
(EMEA: 14 Wirkstoffe, 27 Indikationen, 1995-2004)*<br />
Type of end<br />
point (primary)<br />
(48 trials)<br />
Difference in<br />
survival, when<br />
available (13 trials)<br />
Range 0–3.7 months<br />
Mean 1.5 (months)<br />
Median 1.2 (months)<br />
in Zulassungsstudien der europäischen Arzneimittel-<br />
Agentur (EMEA) bei insgesamt vierzehn Wirkstoffen<br />
für 27 onkologische Anwendungsgebiete (Abb. 4). Die<br />
meisten der zwischen 1995 und 2004 erteilten Zulassungen<br />
basierten demnach auf der Ansprechrate<br />
oder der Zeit bis zum Progress der Erkrankung, ähnlich<br />
wie dies auch bei der FDA der Fall war. Nur in zwei<br />
Anwendungsgebieten basierte die Zulassung auf<br />
dem primären Endpunkt Gesamtüberleben. Häufig<br />
lagen somit sowohl in den USA als auch in Europa für<br />
Wirkstoffe, die zwischen 1990 und 2004 zugelassen<br />
wurden, nur Ergebnisse zu so genannten Surrogatmarkern<br />
vor, die keine sichere Aussage zur Verbesserung<br />
der Prognose oder zur Lebensqualität erlauben.<br />
Eine weitere aktuelle Publikation 12 untersuchte den<br />
Zusatznutzen („added value“) von elf neuen Wirkstoffen,<br />
die zwischen 1995 und 2006 von der EMEA zur<br />
Behandlung hämatologischer Neoplasien zugelassen<br />
wurden (Abb. 5, S. 40). Darunter befanden sich vier<br />
Biopharmazeutika, drei monoklonale Antikörper und<br />
drei so genannte „small molecules“ (z.B. Imatinib). Die<br />
Autoren analysierten 25 Studien mit insgesamt jedoch<br />
nur 6011 Patienten. Anders als z.B. in der Kardiologie<br />
ist die Zahl der Studienteilnehmer in der<br />
Onkologie eher niedrig, in klinischen Prüfungen der<br />
Phase-III häufig geringer als 500 –1000 Patienten/<br />
Studie. In zwölf von 17 Anwendungsgebieten<br />
wurde die An-<br />
%<br />
7<br />
41<br />
48<br />
4<br />
sprechrate und nur in zwei das<br />
Gesamtüberleben als primärer<br />
Endpunkt ausgewertet. Aufgrund<br />
methodischer Mängel im Studiendesign<br />
bzw. der ausgewählten<br />
Endpunkte konnte deshalb nur<br />
bei etwa einem Drittel der untersuchten<br />
Wirkstoffe ein Zusatznutzen<br />
überzeugend nachgewiesen<br />
werden.<br />
Auch die von Van Luijn et al. 13 im<br />
Jahr 2006 publizierte Auswertung<br />
zur Berücksichtigung therapeutisch<br />
wirksamer Kontrollen („active<br />
control“) in den Vergleichsarmen<br />
randomisierter kontrollierter<br />
Studien (RCT) verdeutlicht, dass<br />
eine evidenzbasierte <strong>Bewertung</strong><br />
des Zusatznutzens zum Zeitpunkt<br />
der Zulassung häufig nicht möglich<br />
ist, da in den bei der Zulassung<br />
berücksichtigten RCTs nur<br />
in 6 von 16 klinischen Prüfungen
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 40<br />
in der Onkologie der neue Wirkstoff gegen eine aktive<br />
Kontrollsubstanz (RaCTs) verglichen wurde.<br />
Die im Arzneiverordnungs-Report 20074 bewerteten<br />
neuen Arzneimittel des Jahres 2006 bestätigen diese<br />
Ergebnisse. Laut Arzneiverordnungs-Report basierte<br />
die Zulassung der sechs für die Behandlung von Blutoder<br />
Krebserkrankungen vorgesehenen neuen Arzneimittel<br />
auch auf Ergebnissen von Phase-I/II-Studien,<br />
in denen ein Vergleich des neuen Wirkstoffs mit<br />
dem etablierten medizinischen Standard grundsätzlich<br />
nicht erfolgt (Abb. 2, S. 37). Ein Überlebensvorteil<br />
für den neuen Wirkstoff konnte deshalb auch nur<br />
selten gezeigt werden. Derartige Zulassungsstudien<br />
erlauben deshalb fast nie eine endgültige <strong>Nutzen</strong>-<br />
Risiko-<strong>Bewertung</strong> eines neuen Wirkstoffs.<br />
Leider werden viele klinische Zulassungsstudien in<br />
der Onkologie auch vorzeitig abgebrochen, weil der<br />
neue Wirkstoff schon vor der regulären Beendigung<br />
der klinischen Prüfung einen vorher definierten, auf<br />
die Wirksamkeit abzielenden Endpunkt erreicht hat<br />
und deshalb den Patienten nicht länger vorenthalten<br />
werden soll. Eine aktuelle Studie von Trotta et al. 14<br />
vom April 2008 hat untersucht, wie häufig in den<br />
Jahren 1997– 2007 Studien in der Onkologie nach<br />
Zwischenanalysen vorzeitig abgebrochen wurden. In<br />
dem untersuchten Zeitraum hat die Zahl der vorzeitig<br />
beendeten RCTs deutlich zugenommen (1997–2004:<br />
(Zusatz-)<strong>Nutzen</strong> bei Zulassung<br />
für hämatologische Neoplasien bewiesen?<br />
(EMEA: 11 neue Wirkstoffe, 1995-2006)*<br />
• Grundlage der <strong>Bewertung</strong> EPAR (zentralisiertes Verfahren)<br />
• keine (anti-)hormonelle Therapie, CSF, supportive Arzneimittel<br />
• 11 Wirkstoffe (u.a. 4 Biopharmazeutika, 3 monoklonale Antikörper,<br />
3 „small molecules“)<br />
für 19 Indikationen (11 neue Zulassungen, 8 Indikationsausweitungen)<br />
• klinische Studien (N=25 mit 6011 Patienten)<br />
– Basis der Zulassung: „Single-Arm Trials“ N=9, RCTs N=8<br />
– aktive Vergleichssubstanz in 8/17 Entwicklungsprogrammen<br />
– keine Standardtherapie verfügbar bei 2 Indikationen<br />
• Endpunkte („Response“ 12/17, Gesamtüberleben 2/17)<br />
• „added value“ (harter Endpunkt, eindeutiger klinischer Effekt,<br />
adäquate Vergleichssubstanz) nur bei 4/11 Wirkstoffen<br />
* Bertele V et al.: Eur J Clin Pharmacol 2007; 63:713-9<br />
Abbildung 5<br />
11 RCTs versus 2005–2007: 14 RCTs). Ergebnisse<br />
von knapp 50 Prozent der vorzeitig beendeten RCTs<br />
wurden bei der Zulassung berücksichtigt. Grundsätzlich<br />
besteht jedoch die Gefahr, dass in vorzeitig beendeten<br />
RCTs die Wirksamkeit eines neuen Wirkstoffs<br />
überschätzt und unerwünschte Arzneimittelereignisse<br />
nicht entdeckt werden können. Der vorzeitige Abbruch<br />
von RCTs erschwert auch die Festlegung der<br />
bestmöglichen Therapie für den Patienten und die<br />
Sicherheit neuer Wirkstoffe kann nicht garantiert werden.<br />
Resümee und Perspektiven<br />
Es bestehen derzeit in der Onkologie erhebliche Defizite<br />
beim Design klinischer Studien, wie z.B. der<br />
Definition patientenrelevanter Endpunkte, der Auswahl<br />
geeigneter Vergleichssubstanzen im Kontrollarm<br />
von RCTs und dem vorzeitigen Abbruch klinischer<br />
Studien nach Zwischenanalysen. Aufgrund dieser<br />
Mängel ist kurz nach Zulassung die Beurteilung des<br />
Zusatznutzens sowie der Sicherheit neuer Wirkstoffe<br />
in der Onkologie und somit auch eine <strong>Nutzen</strong>-Risiko-<br />
<strong>Bewertung</strong> häufig nicht möglich. Diese Tatsache wird<br />
eine objektive <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> neuer kostenintensiver<br />
Wirkstoffe in der Onkologie erschweren,<br />
wenn nicht unmöglich machen. Vor diesem Hintergrund<br />
ist es außerordentlich wichtig, dass nach Zulassung<br />
neuer Wirkstoffe in der Onkologie<br />
rasch der Zusatznutzen im<br />
Vergleich zur Standardtherapie<br />
untersucht und bisher unbekannte<br />
unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />
durch konsequente Anwendung<br />
geeigneter Pharmakovigilanz-Systeme<br />
entdeckt werden.<br />
Zu diesem Zweck benötigen wir<br />
unabhängig von kommerziellen Interessen<br />
geplante und ausgewertete<br />
klinische Studien, deren Ergebnisse<br />
auch Voraussetzung<br />
sind für die Formulierung evidenzbasierter<br />
Leitlinien bzw. Empfehlungen<br />
für eine rationale Verordnung<br />
neuer Wirkstoffe. Die Finanzierung<br />
und Planung dieser Studien<br />
erfordert ein Umdenken aller an<br />
der Entwicklung, Erprobung, Verordnung<br />
und Erstattung neuer<br />
Wirkstoffe beteiligten Personen<br />
bzw. Institutionen in unserem Gesundheitssystem.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 41<br />
Forschung und Therapie sind derzeit in Deutschland<br />
und Europa deutlich unterfinanziert. Pro Kopf werden<br />
von der öffentlichen Hand in Europa derzeit für die<br />
Krebsforschung durchschnittlich 2,56 Euro ausgegeben.<br />
In den USA sind es demgegenüber 17,63 Euro. 15<br />
Wenn die unbestreitbaren Fortschritte in der onkologischen<br />
Grundlagenforschung in vernünftige Bahnen<br />
gelenkt und zum <strong>Nutzen</strong> der Patienten unter Berück-<br />
Literatur<br />
1. Hanahan D, Weinberg RA: The hallmarks of cancer. Cell<br />
2000; 100: 57-70.<br />
2. Fröhling S, Döhner H: Chromosomal abnormlities in<br />
cancer. N Engl J Med 2008; 359: 722-734.<br />
3. Chabner BA, Roberts T: Chemotherapy and the war on<br />
cancer. Nature Rev Cancer 2006; 6: S43-S50.<br />
4. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report<br />
2007. Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2008.<br />
5. Hughes B: 2007 FDA drug approvals: a year of flux. Nat<br />
Rev Drug Discov 2008; 7: 107-109.<br />
6. Bausch J: Teure Tyrosinkinasehemmer mit systemsprengender<br />
Wirkung. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP)<br />
2007; 34: 94-96.<br />
7. Ludwig WD: Zielgerichtete medikamentöse Therapiestrategien<br />
in der Onkologie. Bremer Ärzte 2006; 59: 12-13.<br />
8. Ludwig WD: <strong>Nutzen</strong>-Risiko-<strong>Bewertung</strong> neuer Arzneimittel<br />
in der Onkologie. Das Ziel ist Rationalisierung statt<br />
Rationierung. In/Fo/Onkologie 2008; 11: 75.<br />
9. Hutchins LF, Unger JM, Crowley JJ et al.: Underrepresentation<br />
of patients 65 years of age or older in cancertreatment<br />
trials. N Engl J Med 1999; 341: 2061-2067.<br />
10. Johnson JR, Williams G, Pazdur R: End points and United<br />
States Food and Drug Administration approval of oncology<br />
drugs. J Clin Oncol 2003; 21: 1404-1411.<br />
11. Apolone G, Joppi R, Bertele V, Garattini S: Ten years of<br />
marketing approvals of anticancer drugs in Europe: regulatory<br />
policy and guidance documents need to find a<br />
balance between different pressures. Br J Cancer 2005;<br />
93: 504-509.<br />
12. Bertele V, Banzi R, Capasso F et al.: Haematological<br />
anticancer drugs in Europe: any added value at the time<br />
of approval? Eur J Clin Pharmacol 2007; 63: 713-719.<br />
13. van Luijn JC, Gribnau FW, Leufkens HG: Availability of<br />
comparative trials for the assessment of new medicines<br />
in the European Union at the moment of market authorization.<br />
Br J Clin Pharmacol 2007; 63: 159-162.<br />
14. Trotta F, Apolone G, Garattini S, Tafuri G: Stopping a trial<br />
early in oncology: for patients or for industry? Ann Oncol<br />
2008; 19: 1347-1353.<br />
15. Eckhouse S, Sullivan R: A survey of public funding of<br />
cancer research in the European union. PLoS Med 2006;<br />
3: e267. 2. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report<br />
2007. Heidelberg: Springer Medizin Verlag,<br />
2008.<br />
16. Messersmith WA, Ahnen DJ: Targeting EGFR in colorectal<br />
carcinoma. N Engl J Med 2008; 359: 1834-1836.<br />
sichtigung der vorhandenen Ressourcen vernünftig<br />
umgesetzt werden sollen, muss in klinische Versorgungsforschung<br />
und unabhängige Phase-IV-Studien<br />
verstärkt investiert werden. Durch eine gezielte öffentliche<br />
Förderung von klinischen Studien nach Zulassung<br />
– im Rahmen der Versorgungsforschung oder<br />
bei häufig offenen Fragen zum <strong>Nutzen</strong> neuer Wirkstoffe<br />
im Rahmen von als RCTs durchgeführten Phase-<br />
IV-Studien – können mittelfristig Arzneimittelkosten<br />
gesenkt und wissenschaftliche Erkenntnisse erarbeitet<br />
werden, die eine korrekte, von kommerziellen Interessen<br />
unabhängige Information der Patienten über<br />
neue Wirkstoffe ermöglichen. Diese Studien könnten<br />
wesentlich dazu beitragen, die zum Zeitpunkt der<br />
Zulassung noch offenen, patientenrelevanten Fragen<br />
(z.B. zur Dosierung, Behandlungsdauer und Sicherheit)<br />
zumindest teilweise zu beantworten und somit<br />
als Basis für eine bessere <strong>Nutzen</strong>-Risiko- bzw. <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
neuer Wirkstoffe in der Onkologie<br />
zu dienen.<br />
Unbedingt überdacht werden muss die derzeit bei<br />
vielen neuen Wirkstoffen verfolgte Strategie („Gießkannenprinzip“),<br />
sehr große Patientenkollektive (häufig<br />
>50.000) im Rahmen von „Expanded Access“ Programmen<br />
oder unkontrolliertem Einsatz nach Zulassung<br />
zu behandeln, obwohl bereits in klinischen Studien<br />
deutlich wurde, dass nur ein kleiner Prozentsatz<br />
der Patienten von den zielgerichteten Wirkstoffen tatsächlich<br />
profitiert. In kritischen Editorials zu den Ergebnissen<br />
klinischer Studien mit zielgerichteten Therapiestrategien<br />
16 , aber auch von europäischen und<br />
nordamerikanischen Zulassungsbehörden für Arzneimittel<br />
(EMEA, FDA), wird deshalb inzwischen gefordert,<br />
dass bei innovativen Tumorbehandlungen nach<br />
Identifizierung einer molekularen Zielstruktur und eines<br />
therapeutischen Liganden rasch versucht werden<br />
muss, anhand gründlicher Untersuchungen mittels<br />
pharmakologischer (molekularer) Techniken die Patientensubgruppen<br />
zu identifizieren, die auf diesen<br />
Wirkstoff tatsächlich ansprechen. Korrelationen zwischen<br />
molekularen Parametern und Therapieansprüchen<br />
müssen deshalb fester Bestandteil zukünftiger<br />
klinischer Phase-II- und Phase-III-Studien sein, da es<br />
unter zellbiologischen, aber auch unter ethischen und<br />
pharmakoökonomischen Gesichtspunkten nicht mehr<br />
vertretbar ist, dass nach Zulassung zielgerichteter<br />
Arzneimittel alle Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen<br />
diese sehr teuren Wirkstoffe erhalten,<br />
von denen sie häufig nicht profitieren, die aber zu<br />
potenziell schweren UAWs führen können.<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 42<br />
Unerledigte Fragen und Aufgaben zur<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
Von Eike Hovermann MdB<br />
Eminent wichtig ist und bleibt für Forschung, Produktion,<br />
Arbeitsplätze, Anwendung im stationären wie<br />
auch im ambulanten Bereich und damit auch für jede<br />
Form von Abrechnungsmodalitäten, dass beschlossene<br />
Gesetze eine längere Haltbarkeitsdauer haben<br />
als nur ein paar Jahre. Erinnert sei hier stellvertretend<br />
an: ABAG, ABBG, AVWG, GMG und jetzt auch das<br />
GKV-WSG. Die mit diesen Gesetzen verbundenen<br />
Änderungen bestanden oft darin, dass sie vorher getroffene<br />
Regelungen völlig auf den Kopf stellten. Planungssicherheit<br />
konnte damit nicht eintreten.<br />
Die Ursache – nicht gerne zugegeben – war in der<br />
Regel, dass sich Einnahmen und Ausgaben im Versorgungsalltag<br />
anders entwickelten als erwartet.<br />
Gründe hierfür sind u.a. im demografischen Wandel,<br />
im medizinisch-technischen Fortschritt mit all den<br />
durch ihn auch gepuschten Erwartungshaltungen, in<br />
ansteigenden Fallhäufigkeiten, abnehmender Compliance,<br />
hoher Arbeitslosigkeit etc. zu suchen.<br />
Ethik versus Monetik<br />
Zu deutsch: Die jeweiligen gesetzlichen Änderungen<br />
waren Reaktionen auf die sich ändernde Kassenlage<br />
und nicht Ausfluss nach vorne gerichteter, nachhaltiger<br />
Reformen. Es blieb bei kleinteiligen Reparaturen<br />
innerhalb der Strukturen des alten Systems mit seinen<br />
bekannten Instrumenten, Zielsetzungen und Versprechen:<br />
Alles medizinisch Notwendige für jeden,<br />
sinkende Beiträge und Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes.<br />
Das medizinisch Notwendige nach<br />
Stand der Forschung definiert sozusagen das zu erreichende<br />
Optimum, das sich aber zunehmend entfernte<br />
von der ökonomischen Umsetzbarkeit. Daher<br />
auch entsprechende Spannungen zwischen Bundesärztekammer<br />
und Kassenärztlicher Bundesvereinigung:<br />
Erstere, mehr der Ethik zugeneigt, setzt sich für<br />
ein Optimum an medizinischer Versorgung ein, die<br />
anderen fokussieren sich auf die Monetik – etwa im<br />
Zusammenhang mit Honoraren via Honorarverteilungsmaßstab<br />
und Einheitlichem <strong>Bewertung</strong>smaßstab<br />
(EBM). Dass entsprechende Spannungen auch<br />
in der Auseinandersetzung zwischen ambulanten und<br />
stationären Bereich vorherrschen, ist unausweichlich.<br />
Der Streit um die Medizinischen Versorgungszentren<br />
mag hier als pars pro toto gelten.<br />
Reparaturen wie am EBM, die Loslösung von der<br />
Grundlohnrate im ambulanten Bereich und Verspre-<br />
chen auf Absenkung der Lasten für die Krankenhäuser<br />
bleiben solange Stückwerk, solange die notwendige<br />
Grundsatzdebatte über eine nachhaltigere Finanzierung<br />
ausbleibt. Dass diese sich an Zielmarken wie<br />
Grundversorgung, Priorisierung und Rationierung<br />
orientieren muss, daran führt kein Weg vorbei. Denn<br />
es bleibt die einfache Einsicht: Wir können mit begrenzten<br />
Mitteln nicht unbegrenzte Leistungsvolumina<br />
finanzieren.<br />
Oder anders: Wir haben ein nach oben begrenztes<br />
Budget, das sich hinsichtlich der Aufstellung von Jahres-Haushalten<br />
innerhalb der GKV orientiert u.a. an<br />
den GKV-Einnahmen, den Zuschüssen des Finanzministers,<br />
den Geldern der Länder im Krankenhausbereich<br />
und den restlichen bekannten Einnahmeposten<br />
wie Zuzahlungen etc. Die Folgen: Ständig größer<br />
werdender Druck auf den Finanzminister – respektive<br />
alle Steuerzahler, Sonderopfer, schleichende Eliminierung<br />
der PKV, Ausgrenzungen von Leistungen,<br />
Erhöhung von Zuzahlungen, neue Geld-Verteilungsmechanismen<br />
via morbiditätsorientiertem Risikostrukturausgleich,<br />
einheitlicher Beitragssatz plus Zusatzbeitrag,<br />
ein Spitzenverband und anderes mehr. 1<br />
Schritt in die richtige Richtung<br />
Bei aller berechtigten Kritik an den vermeintlichen<br />
Lösungsansätzen des GKV-WSG bedeutet die Hinwendung<br />
zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> durch das<br />
IQWiG deshalb einen ersten Schritt in die richtige<br />
Richtung. Statt der nahezu notorischen Fokussierung<br />
der Politik auf die Einnahmenseite im GKV-System,<br />
sind Hoffnungen, dass sich die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Analyse<br />
zu einem wirksamen Instrument des effektiveren<br />
Einsatzes vorhandener Finanzmittel entwickelt,<br />
durchaus berechtigt. Doch bis dahin ist es noch ein<br />
langer Weg: Die von Professor Peter Sawicki und Co.<br />
favorisierte Methode „Analyse der Effizienzgrenze“<br />
stößt erwartungsgemäß nicht nur auf Gegenliebe.<br />
Kritisiert wird u.a. vor allem:<br />
● Das IQWiG will die <strong>Kosten</strong> einzig aus der Perspektive<br />
der GKV bewerten, der Miteinbezug von <strong>Kosten</strong><br />
und Einsparungen bei anderen Sozialversicherungen<br />
1 Inklusive Insolvenzrecht, wo gesetzeskonforme Kassen nun<br />
zahlen sollen an solche, die geltendes Recht mit Duldung der<br />
Landesaufsichten unterlaufen haben (s. §§ 220 ff. und 261 SGB V).
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 43<br />
und den Steuereinnahmen durch eine medizinische<br />
Behandlung soll ausbleiben.<br />
● Fragen der ökonomischen Evaluation werden<br />
nicht in der international üblichen Weise behandelt<br />
und die <strong>Bewertung</strong> des Verhältnisses zwischen <strong>Kosten</strong><br />
und <strong>Nutzen</strong> wird nicht ausreichend spezifiziert.<br />
● Eine wie vom Methodenpapier vorgeschlagene<br />
rein indikationsbezogene Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit<br />
sei ökonomisch nicht möglich. Mangelnde<br />
Informationen zum Vergleich über Indikationsgebiete<br />
schüren allerdings die Gefahr, dass Entscheidungen<br />
inkonsistent sind und zu Ungerechtigkeiten<br />
gegenüber betroffenen Patientengruppen führen.<br />
● Das Nebeneinander von Festbetragssystem und<br />
Rabattsystem konterkariere sich und verhindere echten<br />
Wettbewerb.<br />
Die Kritik am GKV-WSG, ohne das ja auch die <strong>Kosten</strong>-<br />
<strong>Nutzen</strong>-Debatte nicht bewertet werden kann, ist hinreichend<br />
durch Ökonomen, Juristen, Gesundheitswissenschaftler,<br />
Kassen und Ärzte artikuliert worden.<br />
Nimmt man die Koalitionsaussagen vom 11. November<br />
2006 ins Visier, wird die Kritik noch verständlicher.<br />
Die Regierungsparteien erklärten im Koalitionsvertrag,<br />
willens zu sein<br />
● zur Sicherung einer nachhaltigen und gerechten<br />
Finanzierung im Laufe des Jahres 2006 ein Konzept<br />
zu entwickeln, das dauerhaft die Grundlage für ein<br />
leistungsfähiges, solidarisches und demografiefestes<br />
Gesundheitswesen sichert,<br />
● zur wettbewerblichen und freiheitlichen Ausrichtung<br />
des Gesundheitswesens den mit dem GKV-Modernisierungsgesetz<br />
eingeschlagenen Weg struktureller<br />
Änderungen in der Gesundheitsversorgung<br />
über wettbewerbliche Anreize konsequent weiterzugehen,<br />
● zur Förderung der Beschäftigung die Lohnzusatzkosten<br />
dauerhaft unter 40 Prozent zu senken.<br />
Keine strukturellen Lösungsangebote<br />
Weder mit dem IQWiG noch mit den diesbezüglichen<br />
Vorschlägen der Professoren Breyer und Kollegen<br />
sind die Grundsatzprobleme der Finanzierung der<br />
GKV zu lösen. Beide Gruppierungen haben kein<br />
strukturelles Lösungsangebot für die sich weiter auseinander<br />
entwickelnde Schere zwischen Einnahmeund<br />
Ausgabevolumina.<br />
Es bleiben – schon lange überfällig – noch viele zu<br />
erledigende Aufgaben:<br />
● Der Start in die oben genannte Priorisierungsund<br />
Rationierungsdebatte. Lesenswert ist in diesem<br />
Zusammenhang auch der interessante Ansatz der<br />
Schrift „Orientierungen für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem“<br />
der Deutschen Bischöfe vom Mai<br />
2003: „Angesichts knapper werdender Ressourcen<br />
und insbesondere neuer, durch die medizinische Entwicklung<br />
ermöglichter, kostenintensiver Leistungen<br />
stellt sich die Frage nach der Definition des Leistungsumfanges<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung mit<br />
neuer Dringlichkeit, mithin die Frage nach einer Rationierung<br />
von Leistungen. Der einzelne wird Leistungen<br />
selbst tragen müssen“, heißt es dort.<br />
● Der Einstieg in eine Festzuschussdebatte.<br />
● Der Anstoß einer Debatte über den Einstieg in<br />
eine Grundversorgung plus eigenfinanzierte Zusatzpakete.<br />
● Eine Debatte über die Auflösung des Körperschaftsstatus<br />
der GKV-Kassen und die Anwendung<br />
des Kartellrechtes.<br />
● Die Neujustierung der Aufgaben der Selbstverwaltung<br />
auf Grund der Erosion ihrer sie tragenden Säulen.<br />
© gpk<br />
Beteiligte in<br />
Entscheidungsprozesse<br />
einbeziehen<br />
Von Dr. Konrad Schily MdB<br />
Um zu entscheiden, welche Behandlungsmethoden<br />
und Medikationen durch die Solidargemeinschaft finanziert<br />
werden sollen, brauchen wir <strong>Bewertung</strong>smaßstäbe.<br />
Nicht jedes Arzneimittel, das teuer ist, ist<br />
auch gut. Oberstes Gebot jeder <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
muss daher immer das Wohl der Patienten<br />
sein.<br />
Die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> darf kein bloßer Einsparmechanismus<br />
zur Stabilisierung eines unzureichend<br />
organisierten und finanzierten Gesundheitssystems<br />
sein. Zudem sind unlängst wieder Zweifel an<br />
der Untadeligkeit der durch das Institut für Qualität<br />
und Wirtschaftlichkeit geleisteten Arbeit aufgetaucht.<br />
Die Methodik zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> muss<br />
daher transparenter und nachvollziehbarer gestaltet<br />
werden und eine klare Trennung von wissenschaftlicher<br />
Erkenntnis und ökonomischen Interessen dokumentieren.<br />
Zudem ist zu überlegen, wie Ärzte, Patienten<br />
und weitere Betroffene besser in die Entscheidungsprozesse<br />
einbezogen werden können.<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 44<br />
Zielgerichtete und gerechte Mittelverwendung<br />
Von Dr. Hans Georg Faust MdB<br />
Die Rahmenbedingungen für die Versorgung von Patientinnen<br />
und Patienten sind in den vergangenen<br />
Jahren für die Ärztinnen und Ärzte – die als die wesentlichen<br />
Akteure im Gesundheitswesen über die<br />
Indikationsstellung die Inanspruchnahme der medizinischen<br />
Ressourcen steuern – nicht einfacher geworden.<br />
Denn die gesundheitspolitischen Maßnahmen<br />
zielten vor allem darauf, die zunehmende Kluft zwischen<br />
steigenden Ausgaben und stagnierenden oder<br />
sogar sinkenden Einnahmen in der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung (GKV) zu verringern.<br />
Verfügbare Ressourcen zielgerichtet einsetzen<br />
Medizinischer Fortschritt und demografischer Wandel<br />
werden die finanzielle Situation in der GKV weiter<br />
verschärfen. Auch bei Mobilisierung zusätzlicher Finanzierungsquellen<br />
für die GKV ist es eher unwahrscheinlich,<br />
ohne weitergehende steuernde Eingriffe<br />
dem gesellschaftlich akzeptierten Anspruch, verantwortungsvoll<br />
mit begrenzten Gesundheitsressourcen<br />
umzugehen, gerecht werden zu können.<br />
Die Berücksichtigung von <strong>Kosten</strong>- und <strong>Nutzen</strong>-Aspekten<br />
ist unter anderem eine Voraussetzung dafür, dass<br />
die nur begrenzt verfügbaren Ressourcen zielgerichtet<br />
den bedürftigen Patientinnen und Patienten auch<br />
zugute kommen. Wenn bei einer eher geringfügigen<br />
Gesundheitsstörung sehr teure Therapien mit nur<br />
geringem zusätzlichem <strong>Nutzen</strong> angewendet werden,<br />
so fehlen diese Ressourcen für die Versorgung ande-<br />
Gesellschaftspolitische<br />
gpk<br />
Kommentare<br />
ISSN: 0016–9102<br />
Herausgeber: <strong>Leo</strong> <strong>Schütze</strong>, Gisela <strong>Schütze</strong><br />
und Erich Schwaiger<br />
Chefredaktion: <strong>Leo</strong> <strong>Schütze</strong> und Gisela<br />
<strong>Schütze</strong><br />
Redaktion: Dr. Rudolf Hammerschmidt<br />
(verantwortlich), Dr. Franz-Josef Bohle,<br />
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Umbruch: Wolfgang Laack<br />
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die Auffassung der Redaktion wieder.<br />
Die mit „gpk“ gekennzeichneten Anmerkungen<br />
stammen von der Redaktion, nicht vom Verfasser.<br />
Nachdruck zu den üblichen Honorarbedingungen<br />
nur nach Zustimmung durch die Redaktion.<br />
Zitierung nur mit Quellenangabe.<br />
rer Patientinnen und Patienten, die mehr von den nur<br />
begrenzt verfügbaren Ressourcen profitiert hätten.<br />
Die Berücksichtigung von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Aspekten<br />
medizinischer Maßnahmen wird dazu beitragen, dass<br />
die vorhandenen begrenzten Mittel der GKV nicht nur<br />
effizienter, sondern auch gerechter den Patientinnen<br />
und Patienten zur Verfügung gestellt werden können.<br />
In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die<br />
Berücksichtigung von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Aspekten nicht<br />
im Widerspruch zu medizinisch-ethischem Handeln<br />
steht. Wenn zwei vergleichbar effektive Behandlungsmethoden<br />
zur Verfügung stehen, ist das kostengünstigere<br />
Verfahren zu bevorzugen, da sowohl das Wohlergehen<br />
der Patientin und des Patienten gewährleistet<br />
ist als auch gleichzeitig Ressourcen eingespart werden<br />
können und ein Beitrag zu einer zielgerichteten<br />
sowie gerechteren Mittelverteilung geleistet wird.<br />
Verbindliche Vorgaben notwendig<br />
Ohne verbindliche Vorgaben ist es aber eher wahrscheinlich,<br />
dass die <strong>Bewertung</strong> von <strong>Kosten</strong> und <strong>Nutzen</strong><br />
medizinischer Behandlungen von Arzt zu Arzt und<br />
auch von Patient zu Patient variieren, was zu einer<br />
Ungleichbehandlung von Patientinnen und Patienten<br />
führt. Insofern ist es zielführend, dass es explizite<br />
Vorgaben oberhalb der einzelnen Arzt-Patienten-Beziehung<br />
gibt, die für jeden nachvollziehbar und verständlich<br />
festlegen, welcher Patient in welcher Situation<br />
welche Leistung erhält.<br />
© gpk<br />
Beirat:<br />
Dr. Franz Altherr MdL (Mittelbrunn), Erwin<br />
Aymann (Kleve), Wolf-Michael Catenhusen<br />
(Münster), Dr. Paul Hoffacker (Essen), Peter<br />
Keller (Zellingen), Monika Knoche MdB<br />
(Hannover), Prof. Paul Krupp (Kempten/Allgäu),<br />
Alfred Kugler † (München), Karl-Josef<br />
Laumann (Hörstel-Riesenbeck), Dr. Volker<br />
Leienbach (Köln), Dr. Rolf Linkohr (Stuttgart),<br />
Dr. Bruno Menzel † (Dessau), Friedrich<br />
Merz MdB (Brilon), Dr. Gerd Müller MdB<br />
(München), Dr. Helga Otto (Claßnitz), Prof.<br />
Dr. Martin Pfaff (Stadtbergen), Dr. Godelieve<br />
Quisthoudt-Rowohl MdEP (Hildesheim),<br />
Willi Rothley (Rockenhausen), Gudrun<br />
Schaich-Walch (Frankfurt a.M.), Regina<br />
Schmidt-Zadel (Ratingen), Theo Starzner<br />
M.A. (München), Dr. Dieter Thomae (Sinzig-<br />
Bad Bodendorf), Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim),<br />
Josef Vosen (Düren).
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 45<br />
Schmaler Einstieg ins <strong>Bewertung</strong>sverfahren<br />
Von Dr. jur. Rainer Hess<br />
Der im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-<br />
WSG) vorgenommene Einstieg in eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
(KNB) für patentgeschützte Arzneimittel<br />
unter Einbeziehung „internationaler ökonomischer<br />
Standards“ wird zur Zeit insbesondere von den<br />
Gesundheitsökonomen in einer Dimension geführt,<br />
als gelte es den gesamten Leistungskatalog der GKV<br />
in ein gesellschafts- und sozialpolitisch neu auszurichtendes<br />
<strong>Bewertung</strong>skonzept einzubringen, in dem<br />
auf der Grundlage durch eine neue Methode gewinnbarer<br />
qualitätsgewichteter Lebensjahre über die Angemessenheit<br />
dadurch entstehender Belastungen<br />
der Versichertengemeinschaft entschieden wird. Dies<br />
mag in der Zukunft angesichts der demografischen<br />
Entwicklung und des medizinischen Fortschritts steigender<br />
Gesundheitsausgaben auch in Deutschland<br />
ein notwendiges gesellschafts- und sozialpolitisches<br />
Thema werden. Die Notwendigkeit, offen über die<br />
Rationierung von Gesundheitsleistungen anhand gesundheitsökonomischer<br />
Parameter zu diskutieren,<br />
wird zunehmend anerkannt. Die §§ 31 Abs. 2 a, 35b<br />
SGB V in der Fassung des GKV-WSG eröffnen jedoch<br />
gesetzlich nur einen sehr schmalen Einstieg in gesundheitsökonomisch<br />
ausgerichtete <strong>Bewertung</strong>sverfahren.<br />
Maßgebliche gesetzliche Vorgaben<br />
Folgende gesetzliche Vorgaben im SGB V sind jedenfalls<br />
für das <strong>Bewertung</strong>sverfahren, soweit es den Gemeinsamen<br />
Bundesausschuss betrifft, maßgebend;<br />
sie müssten deswegen auch in die Überlegungen der<br />
Gesundheitsökonomen verstärkt Eingang finden:<br />
1. Aus den Vorschriften des SGB V zur KNB für Arzneimittel<br />
lässt sich eindeutig herleiten, dass im Vordergrund<br />
der Beleg eines medizinischen Zusatznutzens<br />
gegenüber bestehenden Behandlungsmöglichkeiten<br />
nach den Grundsätzen der evidenzbasierten<br />
Medizin (ebm) zu stehen hat (§§ 31 Abs. 2a Satz 8,<br />
35 b Abs. 1 Sätze 3 u. 4, 139a Abs. 4 Satz 1). Die<br />
Gesundheitsökonomie kann daher keinen <strong>Nutzen</strong> generieren,<br />
wo die ebm keinen medizinischen <strong>Nutzen</strong><br />
erkannt hat.<br />
2. Eine KNB scheidet gesetzlich aus, wenn sie nur im<br />
Vergleich zur Nichtbehandlung erstellt werden könn-<br />
te, weil eine zweckmäßige Therapiealternative nicht<br />
besteht (§ 31 Abs. 2a Satz 7). Entsprechend alternativlose<br />
Arzneimittel unterliegen somit in ihrem Preis<br />
keiner Begrenzung in der von der GKV zu leistenden<br />
Erstattung. Damit soll offensichtlich für die Industrie<br />
ein deutlich stärkerer Anreiz zur Entwicklung von<br />
„Sprunginnovationen“ gesetzt werden. Die ausdrückliche<br />
Ausgliederung solcher hochpreisigen Neuentwicklungen<br />
widerspricht aber der Forderung der Gesundheitsökonomen<br />
nach Einführung von „QALY“ als<br />
einem international eingesetzten Instrument einer indikationsübergreifenden<br />
Maximierung des Gesundheitsnutzens<br />
für die Gesellschaft. Sie findet im SGB V<br />
keine rechtliche Stütze.<br />
3. Die KNB ist für Arzneimittel gesetzlich auf einen<br />
indikationsbezogenen Vergleich mindestens zweier<br />
oder mehrerer Behandlungsmöglichkeiten derselben<br />
Erkrankung ausgerichtet und begrenzt (so insbesondere<br />
für Arzneimittel, § 92 Abs. 1 Satz 1). Zwar lässt<br />
sich auch für einen solchen „internen“ Vergleich der<br />
Zugewinn an qualitätsgewichteten Lebensjahren<br />
durch einen nach ebm-Kriterien festgestellten Zusatznutzen<br />
als <strong>Bewertung</strong>sparameter einführen, damit ist<br />
aber das Problem der Findung eines „fairen Preises“<br />
für ein neuartiges aber nicht alternativloses Arzneimittel<br />
keineswegs einfacher zu lösen, als mit dem<br />
Methodenvorschlag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />
im Gesundheitswesen (IQWiG).<br />
4. Es fehlt im SGB V an einer Rechtsgrundlage für<br />
die Bildung eines indikationsübergreifenden Grenzwertes<br />
für die Angemessenheit und Zumutbarkeit einer<br />
<strong>Kosten</strong>übernahme durch die Versichertengemeinschaft.<br />
5. Die perspektivische Einbeziehung nicht krankenkassenbezogener<br />
<strong>Nutzen</strong> und <strong>Kosten</strong> anderer Sozialversicherungszweige<br />
muss im Einzelfall möglich sein,<br />
scheitert aber derzeit an der nicht verfügbaren Datengrundlage.<br />
6. Das IQWiG-Modell sollte als Grundlage für Modellprojekte<br />
zunächst akzeptiert werden. Aus indikationsbezogenen<br />
Effizienzgrenzen kann sich mittelfristig ein<br />
übergreifender Grenzwert als Richtschnur ableiten.<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 46<br />
Transparenz als notwendige Voraussetzung<br />
Von PD Dr. med. Peter Kolominsky-Rabas<br />
Bisher fehlte in Deutschland ein akzeptiertes und<br />
transparentes Instrument, mit dem der medizinische<br />
<strong>Nutzen</strong> einer Behandlung mit den dafür nötigen Ausgaben<br />
abgewogen werden konnte. Mit dem GKV-<br />
Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG), das im<br />
April des Jahres 2007 in Kraft trat, hat der Gesetzgeber<br />
einen Schritt unternommen, diese Lücke zu<br />
schließen. Das SGB V sieht jetzt in § 35 b vor, dass<br />
bei bestimmten Arzneimitteln in Zukunft eine „<strong>Bewertung</strong><br />
des <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-Verhältnisses“ stattfinden<br />
kann. Diese soll vor allem dabei helfen, für bestimmte<br />
Arzneimittel einen „Höchstbetrag“ zu finden, der ihren<br />
<strong>Nutzen</strong> angemessen vergütet. Daneben kann sie aber<br />
auch zur <strong>Bewertung</strong> der Wirtschaftlichkeit von medizinischen<br />
Verfahren, wie zum Beispiel Diagnosemethoden,<br />
eingesetzt werden.<br />
Noch keine allgemein akzeptierte Methodik<br />
Solche Gegenüberstellungen von <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />
Verhältnissen soll zukünftig das Institut für Qualität<br />
und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)<br />
im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />
(G-BA) vornehmen. Bisher gab es in Deutschland<br />
noch keine allgemein akzeptierte Herangehensweise<br />
für diese Art der <strong>Bewertung</strong>. Daher stand das Institut<br />
mit Inkrafttreten des Gesetzes in der Pflicht, eine<br />
Methodik zu erarbeiten, welche die örtlichen Bedingungen<br />
hinsichtlich Epidemiologie, Verfügbarkeit von<br />
Versorgungsressourcen, Zugang zur Gesundheitsversorgung,<br />
klinischer Praxis, Vergütung der Leistungserbringer<br />
sowie die organisatorischen Strukturen<br />
berücksichtigt.<br />
Analyse der Effizienzgrenze als methodischer<br />
Kern<br />
Im Januar 2008 publizierte das IQWiG in Zusammenarbeit<br />
mit internationalen Sachverständigen einen ersten<br />
Methodenentwurf für die <strong>Bewertung</strong> des Verhältnisses<br />
zwischen <strong>Kosten</strong> und <strong>Nutzen</strong>, dessen methodischer<br />
Kern die Analyse der Effizienzgrenze bildet. Die<br />
Effizienzgrenze ist gekennzeichnet durch diejenigen<br />
medizinischen Technologien, die sich innerhalb einer<br />
Indikation durch den höchsten <strong>Nutzen</strong> im Verhältnis<br />
zu den entstehenden <strong>Kosten</strong> auszeichnen. Die Effizienzgrenze<br />
beinhaltet dabei keine mathematische<br />
Regel zur Festlegung eines Höchstbetrags und defi-<br />
niert auch keinen vorab festgelegten Zusammenhang<br />
zwischen dem <strong>Nutzen</strong> und den <strong>Kosten</strong>. Je nach Indikation<br />
können bei einem Arzneimittel mit einem<br />
10 Prozent höheren <strong>Nutzen</strong> Zusatzkosten in Höhe<br />
von 5 aber auch von 50 oder 500 Prozent gerechtfertigt<br />
sein.<br />
Gemäß § 35 b setzt die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
voraus, dass eine medizinische Technologie einen<br />
zuverlässig nachgewiesenen zusätzlichen <strong>Nutzen</strong> gegenüber<br />
der (oder den) schon vorhandenen<br />
Therapie(n) in einer Indikation hat. Dieses wird im<br />
Rahmen der <strong>Nutzen</strong>bewertung des IQWiG mit Methoden<br />
der evidenzbasierten Medizin überprüft, wobei<br />
der „Zusatznutzen“ an Verbesserungen in den patientenrelevanten<br />
Endpunkten „Mortalität“, „Morbidität“<br />
und „Lebensqualität“ gemessen wird (IQWiG Methodenpapier<br />
„Allgemeine Methoden 3.0“).<br />
Die Analyse der Effizienzgrenze stellt den <strong>Nutzen</strong> im<br />
Verhältnis zu den <strong>Kosten</strong> verschiedener Technologien<br />
dar. Sie beschreibt die „technische Effizienz“ dieser<br />
definierter Technologien innerhalb einer Indikation<br />
und macht sie transparent. Diese Transparenz ist notwendige<br />
Voraussetzung für eine Diskussion über die<br />
Neustrukturierung des Leistungskatalogs.<br />
© gpk<br />
Autoren der Sonderausgabe der<br />
Gesellschaftspolitischen Kommentare (gpk)<br />
zum<br />
Abbott-Forum 2007<br />
„Das umstrittene Prinzip – Wettbewerb<br />
im Gesundheitswesen“<br />
Hans-Joachim Fischer, Silke Lautenschläger<br />
(Grußwort), Herbert Rebscher, Volker Amelung,<br />
Eckhard Knappe, Marie-Luise Dierks, Ekkehard<br />
Ruebsam-Simon, Wulff-Erik von Borcke.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 47<br />
Methoden zur Messung<br />
der Qualität unausgereift<br />
Von Dr. med. <strong>Leo</strong>nhard Hansen<br />
Die Regelungen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes<br />
präzisieren seit April 2007, dass das Institut für<br />
Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) nicht nur eine<br />
reine <strong>Nutzen</strong>-, sondern auch eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />
<strong>Bewertung</strong> (KNB) für neue Arzneimittel durchführen<br />
soll (§ 129 a SGB V). Der gesetzliche Auftrag zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
sieht vor, Höchstbeträge für<br />
neue Therapien festzusetzen (§ 31 Abs. 2 a SGB V),<br />
das IQWiG hat dabei zu gewährleisten, dass die <strong>Bewertung</strong><br />
des medizinischen <strong>Nutzen</strong>s nach den international<br />
anerkannten Standards der evidenzbasierten<br />
Medizin und die ökonomische <strong>Bewertung</strong> nach<br />
den hierfür maßgeblichen, international anerkannten<br />
Standards, insbesondere der Gesundheitsökonomie,<br />
erfolgt.<br />
Vergleich zu etablierten Therapien<br />
Das Institut hat hierfür die „Analyse der Effizienzgrenze“<br />
zur Diskussion gestellt, der sich eine Budget-<br />
Impact-Analyse anschließt. Hierbei geht es nach den<br />
Vorgaben des Gesetzgebers und nach den Ansätzen<br />
des IQWiG zunächst darum, für neue Arzneimittel/<br />
Therapien einen klinischen <strong>Nutzen</strong> im Vergleich zu<br />
etablierten, „zweckmäßigen“ Therapien zu zeigen. Im<br />
zweiten Schritt könne dann diesem indikationsspezifischen<br />
Outcome ein Preis und somit ein Höchstbetrag<br />
zugeordnet werden, der sich an den Preisen der Mittel<br />
orientiert, die bereits in der jeweiligen Indikation am<br />
Markt etabliert sind.<br />
Das vom IQWiG einberufene Expertenpanel hat festgestellt,<br />
dass bisher keine internationalen Normen für<br />
die KNB existieren. Es ist nicht möglich, qualitätsadjustierte<br />
Lebensjahre (QALYs) in die KNB mit einzubeziehen.<br />
Die Methoden zur Messung der „Qualität“ sind<br />
derzeit nicht ausgereift, nicht länder- bzw. kulturübergreifend<br />
einzusetzen und die Umsetzung in einen<br />
geldwerten Vorteil ist nur schwer nachzuvollziehen.<br />
© gpk<br />
Gesellschaftspolitische Kommentare (gpk)<br />
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Konsequenz der solidarischen<br />
Finanzierung des<br />
Gesundheitswesens<br />
Von Dr. Stefan Etgeton<br />
Einemstraße 14 · 10785 Berlin<br />
Tel.: (0 30) 20 65 87-0 · Fax: 26 48 42 97<br />
Die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> und die darauf basierenden<br />
versorgungspolitischen Entscheidungen unterliegen<br />
dem Auftrag des Sozialgesetzbuchs: die<br />
Zweckmäßigkeit (§ 12 SGB V) der Versorgung nach<br />
dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnis<br />
unter Berücksichtigung sowohl des medizinischen<br />
Fortschritts (§ 2 SGB V), der Anforderungen an eine<br />
humane Krankenbehandlung (§ 70 SGB V) wie der<br />
besonderen Belange von behinderten und chronisch<br />
kranken Menschen (§ 2 a SGB V) bei Wahrung des<br />
Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 SGB V) sicherzustellen.<br />
<strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> durch die Gemeinsame<br />
Selbstverwaltung ist somit eine Konsequenz<br />
der solidarischen Finanzierung des Gesundheitswesens.<br />
Als Grundlage versorgungsrelevanter Entscheidungen<br />
trägt daher die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
eine hohe ethische Verantwortung.<br />
Auch Vernunft und Augenmaß erforderlich<br />
Die <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> soll objektive, wissenschaftlich<br />
fundierte Kriterien und Befunde generieren,<br />
anhand derer zwischen individuellem Behandlungsanspruch<br />
und sozialer Nachhaltigkeit so vermittelt<br />
werden kann, dass dabei den genannten Anforderungen<br />
des SGB V an eine umfassende Gesundheitsversorgung<br />
der einzelnen Patienten im Rahmen einer<br />
Solidargemeinschaft Rechnung getragen werden<br />
kann. Sie kann im besten Fall helfen, zwischen notwendigen,<br />
überflüssigen oder schädlichen Leistungen<br />
zu unterscheiden. Sie kann aber auch dazu beitragen,<br />
einzelnen oder Gruppen notwendige Behandlungen<br />
vorzuenthalten oder das Solidarsystem durch<br />
unangemessene Ausweitung des Leistungsrahmens<br />
zu überfordern. In der Folge ist daher nicht nur methodische<br />
Strenge, sondern praktische Vernunft und<br />
Augenmaß im Hinblick auf die Versorgungsrealität<br />
gefordert.<br />
© gpk<br />
Gesellschaftspolitische<br />
Kommentare
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/08 – November 2008 – Seite 48<br />
Anforderungen an eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
Von Wulff-Erik von Borcke<br />
Das deutsche Krankenversicherungssystem steht vor<br />
großen Herausforderungen. Der demografische Wandel<br />
unserer Gesellschaft führt zu weiter steigender<br />
Morbidität und in Verbindung mit dem medizinisch<br />
technischen Fortschritt einer immer leistungsfähigeren<br />
Gesundheitsversorgung zu höheren Gesundheitsausgaben.<br />
Gleichzeitig bestehen Probleme auf<br />
der Einnahmenseite. Arzneimittelkosten stellen zwar<br />
einen kleineren Anteil (ca. 17 Prozent) der gesamten<br />
Gesundheitsausgaben der GKV dar, der jedoch in<br />
seiner Summe beträchtlich und auch im Wachsen<br />
begriffen ist. Damit ist es legitim die Hersteller von<br />
innovativen Medikamenten anzuhalten, den Wert<br />
ihrer Produkte darzulegen. Die pharmazeutische Industrie<br />
muss sich einer <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
stellen.<br />
Es stellt sich die Frage, wie eine solche <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
auszusehen hat. Eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong><br />
sollte „fair und nachvollziehbar“ sein<br />
und sich auf wissenschaftlich anerkannten Methoden<br />
stützen. Eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> muss aber<br />
auch an den Möglichkeiten der Forschung orientiert<br />
sein – sprich der Machbarkeit und der Finanzierbarkeit<br />
von klinischen und gesundheitsökonomischen<br />
Studien Rechnung tragen. Im Rahmen der Zulassung<br />
werden die Sicherheit, die Wirksamkeit und die pharmazeutische<br />
Qualität intensiv geprüft. Bei innovativen,<br />
neuen Medikamenten werden jedoch trotz intensiver<br />
klinischer Forschung mit Markteintritt nicht alle<br />
möglichen Fragestellungen zu beantworten sein.<br />
Wert von Innovationen<br />
Es stellt sich die Frage, wie viel Geld eine Innovation<br />
wert ist. Ganz grundsätzlich muss man sich entscheiden,<br />
welche Bedeutung das „Gut Gesundheit“ für die<br />
Gesellschaft hat, zum anderen auch die Frage beantworten,<br />
ob man Anreize für die Industrie schaffen will,<br />
auch in Zukunft Therapieverfahren für Krankheiten zu<br />
entwickeln, die bisher nicht oder nicht ausreichend<br />
behandelt werden konnten. Es ist also eine Entscheiden<br />
darüber, ob die Industrie eine adäquate Vergütung<br />
für Forschung und Entwicklung erhält und Forschung<br />
sich in Zukunft für die Firmen lohnt.<br />
Für die Industrie ist es wichtig, Investitionskosten, die<br />
über 8 bis 12 Jahre bei der Erforschung eines Medikaments<br />
anfallen, in der Zukunft auch über den Verkauf<br />
dieses Produkts zu finanzieren und Gewinne zu erwirtschaften.<br />
Trotz modernster Methoden und Technologien<br />
bei der Forschung und Entwicklung scheitern<br />
über 90 Prozent aller Entwicklungskandidaten in<br />
den weiteren umfangreichen Prüfungen und Studien.<br />
Auch diese <strong>Kosten</strong> müssen finanziert werden. Abbott<br />
beispielsweise beschäftigt knapp 4.000 Mitarbeiter in<br />
Deutschland, davon allein über 700 in Forschung und<br />
Entwicklung. In Deutschland sind über 100.000 Mitarbeiter<br />
in der pharmazeutischen Industrie beschäftigt.<br />
Deutschland gilt als Referenzland für viele arzneimittelrelevante<br />
Regelungen, insbesondere was den Erstattungspreis<br />
von Arzneimitteln angeht. Damit steht<br />
für Deutschland als Pharmastandort mit der Einführung<br />
der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> viel auf dem<br />
Spiel.<br />
Begrüßenswertes Engagement<br />
Wir begrüßen das Engagement der Bundesregierung,<br />
mit den Expertentagungen zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<br />
<strong>Bewertung</strong> klare Vorgaben für die Entwicklung von<br />
sachgerechten Methoden beim Institut für Qualität<br />
und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)<br />
gesetzt zu haben. Diese Vorgaben orientieren sich,<br />
wie im Gesetz gefordert, an den internationalen Standards<br />
der Gesundheitsökonomie und sind insbesondere<br />
unter Beteiligung der deutschen Experten entstanden.<br />
So besteht die Hoffnung, dass diese Vorgaben<br />
vom IQWiG letztendlich umgesetzt werden, obwohl<br />
zur Zeit der Eindruck besteht, dass die Vorschläge<br />
des Expertengremiums keinen Eingang in das<br />
Methodenpapier zur <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> des<br />
IQWiG gefunden haben. Dies ist besonders bedauerlich<br />
beim Thema „Scoping Workshop“, der viel zur<br />
Transparenz im Prozess hätte beitragen können.<br />
Eine <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> bedeutet letztendlich,<br />
dass in Deutschland bestimmte Therapien unter<br />
Umständen nicht mehr allen Patienten, die davon<br />
profitieren, ohne zusätzliche Zahlungen des Patienten<br />
zur Verfügung gestellt werden. Dies ist eine wichtige<br />
Frage für Menschen, die nicht über ausreichende<br />
finanzielle Mittel verfügen, um diese zusätzlichen<br />
<strong>Kosten</strong> selbst zu tragen. Die Gesellschaft insgesamt<br />
muss also die Frage beantworten, wie viel ihr Gesundheit<br />
innerhalb des solidarisch finanzierten Systems<br />
wert ist.<br />
Die Methoden und die zugrunde liegenden Werturteile<br />
bei der <strong>Kosten</strong>-<strong>Nutzen</strong>-<strong>Bewertung</strong> sind bereits Teil<br />
dieser Fragestellungen, da sie die Ergebnisse einer<br />
solchen <strong>Bewertung</strong> als Grundlage von Erstattungsentscheidungen<br />
wesentlich mit determinieren. Mit der<br />
Unterstützung des heutigen Symposiums möchten<br />
wir der Diskussion dieser wichtigen Fragen ein Forum<br />
geben.<br />
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