Gesellschafts- politische Kommentare - Leo Schütze Gmbh
Gesellschafts- politische Kommentare - Leo Schütze Gmbh
Gesellschafts- politische Kommentare - Leo Schütze Gmbh
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
G 13550<br />
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 1<br />
gpk<br />
Sonderausgabe<br />
Nr. 3/07<br />
Rheumatoide<br />
Arthritis<br />
Defizite abbauen und Potenziale nutzen<br />
Die heutigen Möglichkeiten zur Bekämpfung<br />
der rheumatischen Erkrankungen sollten<br />
konsequent genutzt werden<br />
Axel Böhnke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />
Epidemiologie und Versorgung<br />
entzündlich-rheumatischer<br />
Erkrankungen in Deutschland<br />
Angela Zink . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />
Defizite bei der Rehabilitation<br />
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen<br />
in Deutschland aus sozialmedizinischwissenschaftlicher<br />
Sicht<br />
Wilfried Mau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
Deutschland im internationalen Vergleich<br />
Effektive Behandlung der Rheumatoiden Arthritis<br />
Gisela Kobelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
Remission als Ziel<br />
Paradigmenwechsel in der Behandlung der<br />
Rheumatoiden Arthritis<br />
Erika Gromnica-Ihle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
Arbeitsfähig trotz schwerer<br />
Rheumatoider Arthritis<br />
Moderne biologische Wirkstoffe verringern<br />
die Krankheitskosten<br />
Klaus Krüger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />
Volkskrankheit Rheuma<br />
Versorgungsqualität trotz fragwürdiger<br />
ökonomischer Anreize<br />
Herbert Rebscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />
Auf dem Weg zu einer intensiveren<br />
Versorgung von Rheumapatienten<br />
Rheumatische Erkrankungen aus der Sicht des<br />
Wissenschaftlichen Institutes der TK für Nutzen<br />
und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG)<br />
Eva Susanne Dietrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />
<strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong><br />
<strong>Kommentare</strong><br />
Bonn, September 2007<br />
48. Jahrgang, Sonderausgabe Nr. 3<br />
Einzelpreis: EUR 4,00 September<br />
Volkskrankheit Rheuma aus<br />
sozialmedizinischer Sicht<br />
Durch Verbesserung der Versorgung sind<br />
Kosteneinsparungen durchaus möglich<br />
Ina Ueberschär und Hans-Werner Pfeifer . . 39<br />
Rheumatoide Arthritis<br />
Überlegungen aus der Politik zu einer<br />
schweren Krankheit<br />
Eike Hovermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />
Deutliche Verbesserung der Qualität<br />
Neue Versorgungsform für Patienten mit<br />
Rheumatoider Arthritis am Beispiel des<br />
Integrationsvertrages der AOK Schleswig-<br />
Holstein mit dem Städtischen Krankenhaus Kiel<br />
Gerhard Kruse und Andreas Hering . . . . . . 46<br />
Notwendige Integration der Versorgung<br />
im Bereich Rheumatologie und<br />
Lösungsansätze<br />
Konzentration vs. Flächendeckende Versorgung<br />
im Bereich Rheumatologie am Beispiel des<br />
Landes Brandenburg<br />
Lutz Freiberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51<br />
Kostenimplikation und Lebensqualität bei<br />
Rheumatioder Arthritis in Deutschland<br />
Thomas Mittendorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />
Erfahrungsbericht einer Betroffenen<br />
Die Versorgung rheumakranker Menschen<br />
hat noch deutliche Defizite<br />
Annelie Heilhecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />
Abbotts Versprechen<br />
Von der Wissenschaft zur Fürsorge<br />
Wulff-Erik von Borcke . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />
Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 2<br />
Zu dieser Ausgabe<br />
Versäumtes lässt sich nicht nachholen. Das trifft, so Axel<br />
Böhnke in seinem einleitenden Beitrag, in ganz besonderem<br />
Maße für die an einer rheumatischen Krankheit leidenden<br />
Menschen zu. Denn eine verzögerte Diagnose und<br />
damit auch eine zu spät einsetzende Therapie lassen sich<br />
nicht mehr wettmachen. Es gehe deshalb darum, die vorhandenen<br />
Defizite in der Behandlung rheumakranker Menschen<br />
abzubauen und die vorhandenen Potenziale, vor<br />
allem durch innovative Medikamente, zu nutzen. So könne<br />
auch viel Leid für die betroffenen Menschen verhindert<br />
werden.<br />
Auf die Defizite bei der rechtzeitigen Versorgung der an<br />
Rheumatoide Arthritis erkrankten Menschen weist Prof. Dr.<br />
Angela Zink hin. Von einer ausreichenden oder gar optimalen<br />
Versorgung mit Rheumatologen seien wir in Deutschland<br />
derzeit weit entfernt. Dabei sei die rechtzeitige Behandlung<br />
von Rheumakranken ganz entscheidend für den<br />
Krankheitsverlauf. Allerdings sei die wohnortnahe, ambulante<br />
Versorgung durch regionale Rheumazentren verbessert<br />
worden.<br />
Unter den Folgen rheumatischer Erkrankungen leiden zunächst<br />
und in erster Linie die betroffenen Menschen. Aber<br />
auch die sozialmedizinischen Folgen sind erheblich. Wie<br />
Prof. Dr. Wilfried Mau darstellt, gibt es belastbare Daten<br />
über die Einschränkungen der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit.<br />
Aus diesem Grunde müsse der Zugang zur Rehabilitation<br />
dringend verbessert werden.<br />
Bei der effektiven Versorgung der Rheumatoiden Arthritis<br />
sind andere Länder Deutschland deutlich voraus. Dies gilt<br />
vor allem für den Einsatz innovativer Arzneimittel. Erforderlich<br />
ist es, so Prof. Dr. Gisela Kobelt, Kosteneffektivitätsanalysen<br />
zu erstellen. So lasse sich eine Aussage darüber<br />
machen, ob die Zusatzkosten einer neuen Behandlung<br />
und die zusätzlichen Effekte auch ökonomisch im<br />
Vergleich zu der Standardbehandlung sinnvoll sind, oder<br />
gar durch Verminderung von Arbeitsausfällen zur Kostensenkung<br />
beitragen.<br />
Da die Rheumatoide Arthritis nicht heilbar ist und ohne<br />
Behandlung schnell fortschreitet, muss es nach Ansicht<br />
von Prof. Dr. Erika Gromnica-Ihle das Ziel sein, das Nachlassen<br />
von Krankheitssymptomen anzustreben. Dazu sei<br />
eine rechtzeitige und wenn nötig auch eine aggressive<br />
Therapie unter Einsatz der vorhandenen Medikamente erforderlich.<br />
Rechtzeitig bedeute dabei, innerhalb von weniger<br />
als drei Monaten nach Symptombeginn.<br />
Moderne biologische Wirkstoffe verringern die Krankheitskosten<br />
bei Rheumatoider Arthritis. Zu diesem Ergebnis<br />
kommt Prof. Dr. Klaus Krüger durch seine Untersuchungen.<br />
Durch eine effektivere Behandlung der Erkrankung<br />
seien Einsparungen sowohl im Bereich der Arztbesuche<br />
und Klinikaufenthalte gegeben als auch hinsichtlich der<br />
Arbeitsproduktivität und der Invalidität. Hinsichtlich der Kosteneinsparung<br />
sei eine zusammenführende Gesamtanalyse<br />
erforderlich.<br />
Um das Defizit in der Behandlung von Patienten mit Rheumatoider<br />
Arthritis – die zu späte Diagnose und Behandlung<br />
– zu beseitigen, setzt die Deutsche Angestellten-Krankenkasse<br />
(DAK) auf Integrationsverträge. Sie sollen, wie Prof.<br />
Dr. Herbert Rebscher darstellt, die prä- und postfachärztliche<br />
Einbindung der hausärztlichen Strukturen möglich<br />
machen. Dies könnte zur Entlastung rheumatologischer<br />
Schwerpunktpraxen führen, damit der Zugang zur fachärztlichen<br />
Behandlung schneller möglich werde. Entsprechende<br />
Schulungsangebote für den hausärztlichen Bereich seien<br />
bereits entwickelt worden.<br />
Nach Erhebungen des Wissenschaftlichen Instituts der<br />
Techniker Krankenkasse für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen<br />
(WINEG), wird die Versorgung der Patienten<br />
mit Rheumatoider Arthritis zunehmend intensiviert. Allerdings<br />
sei diese Entwicklung, so WINEG-Leiterin Dr. Eva<br />
Susanne Dietrich, auch mit höheren Kosten für die Krakenkassen<br />
verbunden. Valide Zahlen zur Versorgung im<br />
hausärztlichen Bereich lägen jedoch nicht vor. Es bleibe<br />
abzuwarten, ob die Therapiehinweise des Gemeinsamen<br />
Bundesausschusses zu einer rationalen und optimierten<br />
Versorgung beitragen würden.<br />
Rheuma sei keineswegs eine Alte-Leute-Krankheit, stellen<br />
Dr. Ina Ueberschär und Hans-Werner Pfeifer fest. Sie<br />
erreiche ihren Gipfel vielmehr zwischen dem 40. und 50.<br />
Lebensjahr und habe deshalb – neben den Folgen für die<br />
Betroffenen selbst – auch erhebliche Auswirkungen auf<br />
Gesellschaft und Wirtschaft. Es mache deshalb Sinn, auch<br />
teure Medikamente einzusetzen, wenn sich dadurch das<br />
Fortschreiten der Erkrankung verzögern lasse und so erhebliche<br />
Kosten wieder eingespart werden könnten. Eine<br />
alle Faktoren einbeziehende Kosten-Nutzen-Analyse spreche<br />
für die hochwirksamen Medikamente.<br />
Falsch ist es nach Ansicht des Gesundheitsexperten der<br />
SPD-Bundestagsfraktion, Eike Hovermann, die Kosten-<br />
Nutzenbewertung immer nur in einem Zeitfenster von einem<br />
Jahr und in erster Linie aus der Sicht der Kostenträger<br />
anzusetzen. Erforderlich sei die Einbeziehung der gesamtgesellschaftlichen<br />
Perspektive mit den insgesamt entstehenden<br />
Kosten durch Fehlzeiten oder Invalidität. Dies gelte<br />
insbesondere im Blick auf Rheumapatienten. Angesichts<br />
der engen Finanzlage fordert er Mut zu neuen Denkansätzen<br />
und Steuerungsmechanismen.<br />
Mit Hilfe eines Vertrages zur Integrierten Versorgung versucht<br />
die AOK Schleswig-Holstein, die Qualität der Versorgung<br />
von Patienten mit Rheumatoider Arthritis zu verbessern.<br />
Ziel einer eigens eingerichteten Koordinationsstelle<br />
ist es, wie Gerd Kruse und Andreas Hering darstellen,<br />
über die sektorübergreifende Versorgung zu informieren.<br />
Für die zusätzlichen Leistungen im Rahmen der Integrierten<br />
Versorgung erhalten die teilnehmenden Vertragsärzte<br />
eine Vergütung. Erste Erfahrungen belegen, dass die angestrebte<br />
Qualitätsverbesserung erreicht wurde.<br />
Fortsetzung auf Seite 3
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 3<br />
Defizite abbauen und Potenziale nutzen<br />
Die heutigen Möglichkeiten zur Bekämpfung der rheumatischen Erkrankungen<br />
sollten konsequent genutzt werden<br />
Von Axel Böhnke<br />
Die Gesundheit nimmt im Wertesystem der Menschen<br />
über die Grenzen von Nationen und Volkswirtschaften<br />
hinweg, einen Spitzenplatz ein. Krankheit<br />
bedeutet neben Schmerzen auch immer Einschränkung<br />
in der Teilhabe am Leben. Und man könne eine<br />
Krankheit nicht dadurch heilen, sagte Yves Montand,<br />
dass man das Fieberthermometer verstecke.<br />
Dies trifft in besonderem Maße auf viele rheumakranke<br />
Menschen zu. In der hier vorliegenden Sonderausgabe<br />
der <strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong>n <strong>Kommentare</strong> (gpk)<br />
widmen sich ausgewiesene Experten aus unterschiedlichen<br />
Fachgebieten und Disziplinen dem immer<br />
wichtigeren Thema: Rheumatoide Arthritis (RA).<br />
Von verschiedenen Seiten beleuchten sie diese Erkrankung<br />
sowie Möglichkeiten eines multimoda-<br />
Fortsetzung von Seite 2<br />
Über das Spannungsverhältnis von einer flächendeckenden<br />
und gleichzeitig medizinisch hoch stehenden Versorgung<br />
in der Konzentration auf Rheumazentren berichtet<br />
Lutz Freiberg am Beispiel Brandenburg. Gerade die Versorgung<br />
von Chronikern führe bei einer Konzentration der<br />
medizinischen Leistungen zu einer Verschlechterung. Entgegenwirken<br />
will man solchen negativen Entwicklungen<br />
durch ein Integriertes Versorgungsmodell, das regelmäßige<br />
Sprechstunden durch Krankenhausärzte und Konsultationsstützpunkte<br />
vorsieht.<br />
Die Kosten einer medizinischen Behandlung und das sich<br />
daraus ergebende Mehr an Lebensqualität stehen angesichts<br />
der angespannten Finanzlage im Gesundheitswesen<br />
in einem Spannungsverhältnis. Allerdings können sie auch<br />
in eine positive Beziehung gebracht werden, wie es<br />
Dr. Thomas Mittendorf am Beispiel der Rheumatoiden<br />
Arthritis belegt. Eine möglichst frühe Behandlung spart<br />
erhebliche Folgekosten, wie sie durch Arbeitsunfähigkeit<br />
bis hin zur Berentung entstehen und trägt gleichzeitig zur<br />
Lebensqualität des Patienten bei. Die Lebensqualität wird<br />
seit Jahren in klinischen Studien und langfristigen Beobachtungsstudien<br />
regelmäßig erhoben und bewertet.<br />
len Ansatzes im Rahmen des interdisziplinären<br />
Diskurses.<br />
RA ist ohne Zweifel eine Volkskrankheit. In Deutschland<br />
leiden rund 800.000 Patienten an dieser chronischen<br />
Erkrankung. Zum Weltrheumatag 2006 sagte<br />
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt: „An<br />
Rheuma erkrankte Menschen haben große Belastungen<br />
zu tragen. Das bedeutet meist ein Leben lang<br />
Einbußen an Lebensqualität und Einschränkungen im<br />
Alltag. Wir brauchen mehr Wissen um diese Krankheit,<br />
mehr Vorbeugung und Gesundheitsförderung,<br />
eine gute medizinische Versorgung und auch mehr<br />
Forschung.“<br />
Eine früh begonnene Therapie erhöht dabei deutlich<br />
die Chance, die körperliche Funktionsfähigkeit und<br />
Aus Sicht einer Betroffenen berichtet Annelie Heilhecker<br />
über den Umgang mit Rheumatoider Arthritis und die Mängel,<br />
die es bei der Behandlung dieser Krankheit noch gibt.<br />
Sie sieht vor allem zu viele Hindernisse beim Einsatz neuer<br />
Medikamente, weil viele Rheumatologen Regressforderungen<br />
der gesetzlichen Krankenkassen befürchten würden.<br />
Zudem sei die kassenärztliche Vergütung für die Rheumatologen<br />
extrem niedrig.<br />
Am Beispiel der Forschung zur Rheumatoiden Arthritis<br />
erläutert Wulff-Erik von Borcke die Philosophie des Pharmaunternehmens<br />
Abbott. Das Engagement, so heißt es<br />
dort, „gilt den Menschen, deren Gesundheit wir uns verpflichtet<br />
fühlen“. Der gesellschaftliche Beitrag, den Abbott<br />
leisten wolle, gehe über die Vermarktung hochinnovativer<br />
Produkte hinaus, wenngleich ein Unternehmen auch Gewinne<br />
machen müsste. Ziel sei es, zukunftsweisende und<br />
ökonomisch sinnvolle Therapiekonzepte zu entwickeln.<br />
Die Redaktion
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 4<br />
damit auch die Lebensqualität zu erhalten. Darüber<br />
hinaus können auch die direkten Krankheitskosten<br />
und die indirekten Kosten, wie z. B. Fehltage oder<br />
Frühverrentung, gesenkt werden. Basis für eine erfolgreiche<br />
Behandlung der Betroffenen ist eine rechtzeitige<br />
und vernetzte Versorgung, für die entsprechende<br />
Rahmenbedingungen erforderlich sind.<br />
Dass hier noch Verbesserungsbedarf besteht, zeigt<br />
der Beitrag von Prof. Dr. Angela Zink, Leiterin des<br />
deutschen Rheumaforschungszentrums. Auch im Zugang<br />
bestehen in Deutschland, verglichen mit anderen<br />
europäischen Staaten, Probleme, wie Prof. Dr.<br />
Gisela Kobelt, Frankreich, in ihren Ausführungen zum<br />
Vergleich in Europa zeigt. Einer Bewertung aus sozialmedizinischer<br />
Sicht widmet sich Prof. Dr. Wilfried<br />
Mau, Institut für Rehabilitationsmedizin der Universität<br />
Halle.<br />
Im Übrigen lassen sich auch Versorgungsunterschiede<br />
in der Verwendung von Biologika feststellen. Jüngere<br />
Patienten werden, im Vergleich zu Älteren, im<br />
Falle vergleichbarer Krankheitsaktivität signifikant<br />
häufiger mit Biologika behandelt. Gegenüber Frauen<br />
scheinen Männer in der Tendenz mehr Biologika zu<br />
erhalten. In Abhängigkeit vom Bildungsstandard und<br />
der sozialen Schicht ließen sich ebenfalls Unterschiede<br />
ausmachen. Wurde die arbeitsrechtliche Stellung<br />
als Angestellter, Selbstständiger oder Beamter angegeben,<br />
hatten diese Patienten eine dreifach höhere<br />
Chance auf den Zugang zu Biologika als der „Arbeiter“.<br />
Erschwerter Zugang zu innovativen<br />
Medikamenten<br />
Trotz dieser Strukturdefizite beschreibt ein kürzlich<br />
vom Institut für empirische Gesundheitsökonomie<br />
veröffentlichtes Gutachten zum Stand der medikamentösen<br />
Versorgung von gesetzlich Versicherten in<br />
Deutschland zudem, dass noch immer eklatante Versorgungslücken<br />
gerade im Hinblick auf die Versorgung<br />
mit und den Zugang zu innovativen Medikamenten<br />
wie den hoch-effektiven TNF-alpha-Inhibitoren<br />
bestehen: nicht selten sei diese Unterversorgung auf<br />
gesundheits<strong>politische</strong> Restriktionen zurückzuführen,<br />
die die Ärzte in eine restriktive Verordnungsweise<br />
trieben und damit den (leitliniengerechten) Zugang<br />
von Patienten erschwerten.<br />
Die wirtschaftliche Verordnung von neuen, effektiven<br />
Arzneimitteln, den Biologika (so werden die TNFalpha-Inhibitoren<br />
bezeichnet) ist Gegenstand in den<br />
Ausführungen von Prof. Dr. Klaus Krüger. Den gesellschaftlichen<br />
Wert – auch geläufig als „societal value“<br />
– innovativer Arzneimittel wie der TNF-alpha-Inhibitoren,<br />
z.B. durch eine verbesserte Lebensqualität, legt<br />
Dr. Thomas Mittendorf, Leiter der Forschungseinheit<br />
Gesundheitsökonomie am Lehrstuhl für Versicherungsbetriebslehre<br />
an der Universität Hannover, dar.<br />
„Je früher eine wirksame Rheumatherapie beginnt,<br />
um so größer ist die Chance, den Entzündungsprozess<br />
günstig zu beeinflussen und die Zerstörung der<br />
Gelenke aufzuhalten“, sagte Bundesgesundheitsministerin<br />
Ulla Schmidt anlässlich des Weltrheumatages<br />
2005. Denn: Nur durch frühzeitige Diagnose und konsequente<br />
Behandlung lassen sich bleibende Folgeschäden<br />
vermeiden – ein enormer societal value.<br />
Diese Facetten beleuchtet Lutz Freiberg, Geschäftsführer<br />
der KV Comm und Leiter Grundsatzfragen und<br />
Strategie der KV Brandenburg, am regionalen Beispiel<br />
für eine KV. Kassenseitig schildern Gerhard Kruse,<br />
Leiter Gesundheitsservice der AOK Schleswig-<br />
Holstein, und Andreas Hering ein eigenes Projekt der<br />
Integrierten Versorgung zur Überwindung von Versorgungsmängeln<br />
und optimierter Versorgung durch Vernetzung.<br />
Aus Sicht des Wissenschaftlichen Instituts für Nutzen<br />
und Effizienz im Gesundheitswesen der Techniker<br />
Krankenkasse (WINEG) schildert dessen Direktorin,<br />
Dr. Eva Susanne Dietrich, eine Einschätzung zum<br />
Thema Rheuma. Für die Deutsche Angestellten-<br />
Krankenkasse (DAK) als großer, innovativer Versorgerkasse,<br />
ordnet der Vorstandsvorsitzende, Prof. Dr.<br />
Herbert Rebscher, dies in die eigene Positionierung<br />
und Philosophie ein.<br />
Erhebliche gesellschaftliche Folgen und Verlust<br />
an Lebensqualität<br />
Was aber ist unter dem „societal value“ zu verstehen?<br />
Nach Prof. Reinhard Rychlik lässt er sich so definieren:<br />
„Die Chronizität und Progression der RA führen<br />
in hohem Maße zu einer individuellen und gesellschaftlichen<br />
Krankheitslast. Individuell ergibt sich die<br />
Krankheitslast aus Einschränkungen des Befindens<br />
durch Schmerz, verringerte Funktionsfähigkeit, Abnahme<br />
der sozialen Teilhabe durch Arbeitsunfähigkeit<br />
und vorzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben<br />
sowie dem Verlust der physischen Unabhängigkeit,<br />
also einer generellen Minderung der Lebensqualität.<br />
Gesellschaftliche Folgen der RA ergeben sich unter<br />
anderem aus den indirekten Kosten, die bei Produk-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 5<br />
tivitätsverlust aufgrund von Arbeitsunfähigkeit bzw.<br />
vorzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben anfallen.“<br />
In zunehmendem Maße tragen Erkrankungen des<br />
rheumatischen Formenkreises zu Fehlzeiten bei den<br />
Berufstätigen bei. Dies impliziert erhebliche wirtschaftliche<br />
Folgen, gerade für Patienten und die Gesellschaft.<br />
Eine – unerlässliche – Einschätzung aus<br />
Patientensicht gibt Annelie Heilhecker. Rheumatische<br />
Erkrankungen sind sehr oft Ursache für die Berentung<br />
wegen verminderter Erwerbstätigkeit. Da die Rheumatoide<br />
Arthritis nicht heilbar ist und ohne Behandlung<br />
schnell fortschreitet, plädiert Prof. Dr. Erika<br />
Gromnica-Ihle für eine rechtzeitige und wenn nötig<br />
auch eine aggressive Therapie unter Einsatz der vorhandenen<br />
Medikamente.<br />
Die Erkrankungsformen sind daher nicht nur ein Problem<br />
des Gesundheitswesens, sondern verursachen<br />
erhebliche Kosten für die Volkswirtschaft. Denn wie<br />
Dr. Ina Ueberschär und Hans-Werner Pfeifer darlegen,<br />
ist RA keineswegs eine Alte-Leute-Krankheit. Sie<br />
erreicht ihren Gipfel vielmehr zwischen dem 40. und<br />
50. Lebensjahr.<br />
Daraus entsteht die Notwendigkeit, RA vor dem Hintergrund<br />
der gesamtgesellschaftlichen Perspektive zu<br />
sehen. Diese Forderungen teilt das Mitglied des Deutschen<br />
Bundestages, Eike Hovermann, in seinem Beitrag<br />
und fordert zur übergreifenden (Nutzen-) Betrachtung<br />
auf. Aus sozialmedizinischer Sicht erfolgt<br />
eine Einschätzung durch Hans-Werner Pfeifer, Generalsekretär<br />
des Berufsverbandes der Sozialversicherungsmediziner<br />
in Deutschland. Eine Studie belegte,<br />
dass Frauen mit einer mindestens zehn Jahre bestehenden<br />
RA eine verminderte Erwerbstätigkeit von<br />
43 Prozent in den alten sowie 47 Prozent in den<br />
jungen Bundesländern gegenüber gesunden Mitbürgerinnen<br />
aufwiesen. So forderte auch Ulla Schmidt<br />
zum Welt-Rheuma-Tag 2005 klar: „Ziel muss sein, die<br />
Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und<br />
deren Erwerbsfähigkeit zu erhalten.“<br />
Im Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung<br />
der Entwicklung im Gesundheitswesen 2000/<br />
2001 wird im Blick auf die Versorgung festgestellt,<br />
dass Unterversorgung vorliegt, wenn bedarfsgerech-<br />
te Leistungen, die in wirtschaftlicher Form zur Verfügung<br />
stehen, nicht erbracht bzw. nicht in erreichbarer<br />
Form zur Verfügung gestellt werden. Fehlversorgung<br />
liegt unter anderem dann vor, wenn ein vermeidbarer<br />
Schaden entsteht, weil eine an sich bedarfsgerechte,<br />
indizierte Leistung im Rahmen einer Behandlung unterlassen<br />
oder nicht rechtzeitig durchgeführt wird.<br />
Somit lässt sich auf Grund des Vorgenannten konstatieren,<br />
dass das deutsche Gesundheitswesen eine<br />
Fehl- und – vor allem – Unterversorgung aufweist.<br />
Versäumtes lässt sich nicht nachholen<br />
Die vorliegende Sonderausgabe der gpk will auf das<br />
immer drängendere Problem rheumatischer Erkrankungen<br />
aufmerksam machen und dabei insbesondere<br />
zu einer intensiveren Beschäftigung mit den Krankheitsbildern<br />
des rheumatischen Formenkreises und<br />
den sich daraus ergebenden Implikationen einladen.<br />
Innovative Optionen sind verfügbar, wichtig ist auch<br />
der Zugang hierzu.<br />
Es gilt, wie einst Paul Henri Spaak (1899–1972),<br />
belgischer Staatsmann, formulierte: „Für verlorene<br />
Gelegenheiten in der (Gesundheits-, der Verf.)Politik<br />
gibt es kein Fundbüro.“ Dies gilt insbesondere für das<br />
Beispiel der Rheumatologie, um letztlich die gesamte<br />
Versorgung zu verbessern. Daher soll diese Sondernummer<br />
beständigem Fortschritt durch Innovation<br />
und Integration dienen. Vor diesem Hintergrund ist<br />
auch die (Früh-)Erkennung, Diagnostik und die Therapie<br />
immer wieder neu zu beurteilen und weiterzuentwickeln.<br />
Diagnosen sollten mit höchster Treffsicherheit, insbesondere<br />
aber früher gestellt werden, so dass die<br />
Richtigen zum richtigen Zeitpunkt an adäquater Versorgung<br />
und „dem allgemein anerkannten Stand der<br />
Wissenschaft“ im Sinne des Sozialgesetzbuches V an<br />
der Versorgung teilhaben können. Dies verbessert die<br />
Qualität und hilft gleichzeitig (vermeidbares) Leid zu<br />
verhindern und Kosten zu sparen. Wichtig ist, zunächst<br />
in allen relevanten Bereichen Defizite abzubauen<br />
und Potenziale für die Rheumatologie zu nutzen,<br />
um letztlich der einzig wesentlichen Verpflichtung<br />
nachzukommen: dem Wohl der Patienten.<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 6<br />
Epidemiologie und Versorgung entzündlichrheumatischer<br />
Erkrankungen in Deutschland<br />
Von Angela Zink<br />
1. Einleitung<br />
Die ambulante, wohnortnahe Versorgung Rheumakranker<br />
ist seit mehr als 30 Jahren Gegenstand von<br />
Versorgungsanalysen und Modellversuchen. Bereits<br />
Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts hat die<br />
Bundesregierung Modellvorhaben zur wohnortnahen<br />
Rheumaversorgung gefördert, weil man erkannt hatte,<br />
dass die schwerpunktmäßig stationäre, wohnortferne<br />
rheumatologische Betreuung den Anforderungen<br />
an eine frühzeitige, komprehensive und koordinierte<br />
Betreuung nicht entsprach.<br />
Die von 1993 bis 1999 geförderte Einrichtung regionaler<br />
kooperativer Rheumazentren, die in nunmehr<br />
30 Regionen in Deutschland die Zusammenarbeit<br />
zwischen Hausärzten und Rheumatologen strukturieren,<br />
hat die Versorgungssituation deutlich verbessert.<br />
Dies belegt unter anderem die seit 1993 kontinuierlich<br />
durchgeführte rheumatologische Kerndokumentation<br />
der Rheumazentren (1). Diese Erhebung von Arztund<br />
Patientendaten von jährlich mehr als 20.000 Patienten<br />
mit entzündlich-rheumatischen Krankheiten<br />
erlaubt eine differenzierte Beschreibung des Versorgungsgeschehens<br />
und seiner Entwicklungen.<br />
Im Folgenden wird eine Übersicht über Häufigkeit und<br />
Versorgung entzündlich-rheumatischer Krankheiten<br />
und die zur Verfügung stehenden Versorgungsstrukturen<br />
gegeben.<br />
2. Häufigkeit entzündlich-rheumatischer<br />
Krankheiten<br />
Die Gruppe der entzündlich-rheumatischen Krankheiten<br />
umfasst mehr als 100 verschiedene Krankheitsbilder.<br />
Ihnen ist gemeinsam, dass eine gestörte Immunantwort<br />
zu einem chronisch-entzündlichen Befall unterschiedlicher<br />
Körpergewebe führt. Die Betroffenen<br />
leiden an Schmerzen in den Gelenken oder der Wirbelsäule,<br />
fortschreitenden Funktionseinschränkungen<br />
durch Entzündung und Schädigung der Gelenke<br />
und einer Vielzahl von Allgemeinsymptomen.<br />
Anders als z.B. bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
steht bei diesen Krankheitsbildern nicht das erhöhte<br />
Sterberisiko, sondern die schwerwiegende Beeinträchtigung<br />
der Lebensqualität und der sozialen Teilhabe<br />
im Vordergrund. Neue Therapieoptionen haben<br />
den Verlauf und die Prognose deutlich verbessert,<br />
dennoch ist eine komplette Ausheilung auch heute<br />
noch selten.<br />
Die häufigste entzündlich-rheumatische Krankheit ist<br />
die Rheumatoide Arthritis. Man geht heute von einer<br />
Prävalenz von 0,5 Prozent bis höchstens 0,8 Prozent<br />
gesicherter, behandlungsbedürftiger Fälle in der erwachsenen<br />
Bevölkerung aus (2;3). Etwa dieselbe<br />
Prävalenzannahme gilt für die ankylosierende Spondylitis,<br />
eine entzündliche Erkrankung der Wirbelsäule<br />
(4). Für die ganze Gruppe der Spondyloarthritiden<br />
(undifferenzierte Fälle, Psoriasis-Arthritis usw.) muss<br />
man von einer Häufigkeit von mindestens 1 Prozent<br />
ausgehen, für Kollagenosen und Vaskulitiden von<br />
rund 0,2 Prozent (5). Insgesamt leiden 1,5 bis 2 Prozent<br />
der erwachsenen Bevölkerung (d.h. 1,0 bis 1,4<br />
Millionen Einwohner in Deutschland) an einer entzündlich-rheumatischen<br />
Krankheit.<br />
Von den meisten entzündlich-rheumatischen Krankheitsbildern<br />
sind Frauen häufiger betroffen als Männer:<br />
75 Prozent der Patienten mit Rheumatoider Arthritis<br />
und 90 Prozent derjenigen mit systemischem<br />
Lupus erythematodes (SLE) sind Frauen. Bei den<br />
Spondyloarthritiden beträgt das Verhältnis etwa 1:1,<br />
wobei mehr Männer von der ankylosierenden Spondylitis<br />
und mehr Frauen von sonstigen seronegativen<br />
Spondyloarthritiden und der Psoriasis-Arthritis betroffen<br />
sind.<br />
3. Krankheitslast entzündlich-rheumatischer<br />
Krankheiten<br />
Neben den unmittelbaren Krankheitssymptomen wie<br />
chronischer Schmerz, Morgensteifigkeit, Funktionsverlust,<br />
Veränderung des Körperbildes, Schwäche<br />
und allgemeines Krankheitsgefühl führen entzündlich-rheumatische<br />
Krankheiten auch zu gravierenden<br />
Verlusten im Bereich der sozialen Teilhabe.<br />
Die Erwerbsbeteiligung der Patienten mit entzündlichrheumatischen<br />
Krankheiten liegt um 10 bis 20 Prozent
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 7<br />
unter Bevölkerungsniveau. Besonders ungünstig sind<br />
die Beschäftigungschancen für Rheumakranke, die<br />
einen niedrigen Bildungsstand aufweisen und/oder in<br />
einem neuen Bundesland wohnen (6).<br />
Von den noch erwerbstätigen Personen mit Rheumatoider<br />
Arthritis sind rund ein Drittel mindestens einmal<br />
pro Jahr wegen der Erkrankung arbeitsunfähig mit<br />
einer mittleren Dauer von rund 50 Tagen (7). Ein<br />
ähnliches Bild zeigt die Kerndokumentation auch für<br />
die ankylosierende Spondylitis und den SLE.<br />
Die mittleren jährlichen Kosten für medizinische Behandlung<br />
(Arztbesuche, Medikamentenkosten, ergänzende<br />
Therapien, Krankenhausaufenthalte, Rehabilitationsmaßnahmen)<br />
betragen bei den einzelnen<br />
Krankheitsbildern zwischen 3.100 Euro (Psoriasis-<br />
Arthritis) und 4.700 Euro (Rheumatoide Arthritis) pro<br />
Jahr.<br />
Hinzu kommen mittlere Kosten durch Produktivitätsausfälle<br />
(Arbeitsunfähigkeit und vorzeitige Berentung)<br />
in Höhe von 8.000 bis 11.000 Euro je nach Krankheitsbild.<br />
Wie wichtig Bemühungen um einen möglichst<br />
vollständigen Funktionserhalt sind, zeigen die<br />
bei schlechtem Funktionsstatus um 3- bis 4-fach höheren<br />
Kosten (8).<br />
4. Struktur der rheumatologischen Versorgung<br />
4.1 Versorgungsbedarf<br />
In Deutschland kann die Gebietsbezeichnung Rheumatologie<br />
durch Fachärzte der Inneren Medizin oder<br />
Orthopädie erworben werden. Ihre Aufgaben sind jedoch<br />
deutlich unterschiedlich: Während die Aufgaben<br />
des orthopädischen Rheumatologen vorrangig auf<br />
den Gebieten der Überwachung des Funktionszustandes,<br />
der gezielten Verordnung von Physiotherapie<br />
und Hilfsmitteln sowie der Indikationsstellung zu<br />
operativen Eingriffen liegen, obliegen dem internistischen<br />
Rheumatologen die (Früh-)Diagnose, Einleitung<br />
und Überwachung der Therapie und Bewältigung<br />
von Therapiekomplikationen sowie die Krankheitsbegleitung<br />
in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt.<br />
Die Berechnungen von Anhaltszahlen für eine angemessene<br />
rheumatologische Versorgung beziehen<br />
sich daher auf die internistischen Rheumatologen als<br />
Hauptansprechpartner.<br />
Bereits das Memorandum der Deutschen Gesellschaft<br />
für Rheumatologie von 1994 (9) stellte bei<br />
genauer Berechnung der von einem internistischen<br />
Rheumatologen maximal leistbaren Versorgung einen<br />
Bedarf von mindestens zwei internistischen<br />
Rheumatologen je 100.000 Einwohner fest. Als ideal<br />
wurde eine Versorgung mit drei Rheumatologen je<br />
100.000 Einwohner angesehen. Angesichts der damals<br />
noch deutlich schlechteren Versorgungssituation<br />
wurde als Minimalforderung eine Versorgung mit<br />
einem Rheumatologen je 150.000 Einwohner angenommen.<br />
Diese „Mindestversorgung“ haben wir heute erreicht.<br />
Von einer ausreichenden oder gar optimalen Versorgung<br />
sind wir jedoch noch immer weit entfernt.<br />
4.2 Aktuelle Versorgungsstruktur<br />
Das Arztregister der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />
(KBV) nennt mit Stand vom 31. Dezember 2006<br />
674 berufstätige Internisten mit Schwerpunkt oder<br />
Teilgebiet Rheumatologie und 534 berufstätige Orthopäden<br />
mit Schwerpunkt/Teilgebiet Rheumatologie.<br />
Hiervon sind 426 internistische und 476 orthopädische<br />
Rheumatologen als Vertragsärzte tätig, 153<br />
internistische und 106 orthopädische Rheumatologen<br />
sind an Kliniken zur ambulanten Behandlung<br />
ermächtigt.<br />
Dies ergibt für die gesamte Bundesrepublik eine Zahl<br />
von 0,86 internistischen und 0,79 orthopädischen<br />
Rheumatologen je 100.000 erwachsene Einwohner<br />
oder einen internistischen Rheumatologen je 116.000<br />
erwachsene Einwohner. Die Tabelle (S. 8) gibt die<br />
regionale Verteilung der internistischen Rheumatologen<br />
wieder. Die Zahlen je 100.000 Erwachsene variieren<br />
in den einzelnen Bundesländern zwischen 0,57 im<br />
Saarland und 1,4 in Bremen. Insgesamt haben die<br />
Stadtstaaten eine höhere Dichte an internistischen<br />
Rheumatologen.<br />
5. Prozesse und Prozessqualität der<br />
rheumatologischen Versorgung<br />
Die erste Anlaufstelle bei neu auftretenden muskuloskelettalen<br />
Beschwerden sind in aller Regel Hausärzte<br />
oder Orthopäden. Ihre Aufgabe ist es, Patienten mit<br />
rheumatologischem Versorgungsbedarf früh zu erkennen<br />
und zu überweisen. Dies erfolgt heute deutlich<br />
schneller als noch vor 15 Jahren: Nach den Daten der<br />
rheumatologischen Kerndokumentation hat sich seit<br />
1993 die Zeit bis zur Überweisung bei allen Krankheitsbildern<br />
außer der ankylosierenden Spondylitis<br />
halbiert.<br />
Eine Rheumatoide Arthritis wird heute im Mittel nach<br />
1,1 Jahren überwiesen (7). Rund die Hälfte der im<br />
Jahr 2004 neu zum Rheumatologen zugewiesenen<br />
RA-Patienten hatten nicht länger als sechs Monate<br />
Beschwerden.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 8<br />
Tabelle: Internistische Rheumatologen je 100.000 erwachsene Einwohner in den Bundesländern<br />
(Arztregister der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 31. Dezember 2006;<br />
Bevölkerungszahlen vom 31.12.2004 (10))<br />
Es ist gut belegt, dass eine Rheumatoide Arthritis in<br />
der Mehrheit der Fälle zu einer radiologisch feststellbaren<br />
Gelenkschädigung (11) und zu deutlicher<br />
Funktionseinschränkung (12) führt. Durch Frühbehandlung<br />
mit DMARDs (disease-modifying antirheumatic<br />
drugs, z.B. Methotrexat) in den ersten sechs<br />
Monaten, lässt sich das Risiko eines Funktionsverlustes<br />
halbieren (13), die Chance auf vollständige<br />
Symptomfreiheit verdreifachen (14) und insgesamt<br />
die radiologische Progression hemmen (15;16).<br />
Die Zeit bis zum Beginn einer wirksamen Behandlung<br />
ist entscheidend für das Ausmaß der Gelenkzerstörung<br />
(14;17;18). Die bei Rheumatoider Arthritis signifikant<br />
erhöhte Mortalität (19) lässt sich durch effektive<br />
Therapie nahezu auf das Niveau der Normalbevölkerung<br />
bringen (20–22).<br />
Angesichts der oft nicht eindeutigen Symptomatik und<br />
der Überlappung mit anderen Krankheitsbildern ist<br />
eine Frühdiagnose nicht einfach zu stellen. Daher wird<br />
eine Überweisung zum Rheumatologen zur diagnostischen<br />
Abklärung bereits bei mehr als sechs Wochen<br />
bestehenden Gelenkschwellungen in mehr als zwei<br />
Gelenken gefordert.<br />
Vertragsärzte Ermächtigte Erwachsene<br />
ab 18 Jahren<br />
(in 1.000)<br />
Intern. Rheumatologen<br />
je 100.000<br />
erwachsene Einwohner<br />
Baden-Württemberg 51 13 8.652,4 0,74<br />
Bayern 64 18 10.095,1 0,81<br />
Berlin 29 5 2.867,9 1,19<br />
Brandenburg 12 12 2.174,5 1,10<br />
Bremen 4 4 555,3 1,44<br />
Hamburg 15 1 1.459,6 1,10<br />
Hessen 27 8 4.996,4 0,70<br />
Mecklenburg-Vorpommern 8 3 1.454,4 0,76<br />
Niedersachsen 43 16 6.457,9 0,91<br />
Nordrhein-Westfalen 87 43 14.663,8 0,89<br />
Rheinland-Pfalz 22 6 3.298,5 0,85<br />
Saarland 3 2 876,1 0,57<br />
Sachsen 22 6 3.680,7 0,76<br />
Sachsen-Anhalt 14 5 2.132,0 0,89<br />
Schleswig-Holstein 14 6 2.296,3 0,87<br />
Thüringen 14 5 2.011,1 0,94<br />
Bundesgebiet 429 153 67.672,0 0,86<br />
Weitere richtungsweisende Symptome sind ein symmetrischer<br />
Befall und eine Morgensteifigkeit von mindestens<br />
einer Stunde. Entsprechend der überwältigenden<br />
Evidenz für den Nutzen einer intensiven Frühbehandlung<br />
und des gesicherten Wissens über ein<br />
„therapeutisches Fenster“ innerhalb des ersten Jahres<br />
(23), empfiehlt die interdisziplinäre, evidenzbasierte<br />
Leitlinie „Management der frühen Rheumatoiden<br />
Arthritis“ (24) bei gesicherter Diagnose den Beginn<br />
einer Behandlung mit DMARDs (Basistherapeutika<br />
wie Methotrexat) und Glukokortikoiden (so niedrig<br />
dosiert wie möglich) innerhalb von 12 Wochen nach<br />
Beschwerdenbeginn (24).<br />
Dies geschieht bei nicht rheumatologisch mitbetreuten<br />
Patienten eher selten: Von den 2004 neu zugewiesenen<br />
und in der Kerndokumentation erfassten RA-<br />
Patienten mit einer Krankheitsdauer von bis zu einem<br />
Jahr waren nur 25 Prozent innerhalb des letzten Jahres<br />
bereits mit DMARDs und 16 Prozent mit niedrig<br />
dosierten Glukokortikoiden (bis zu 7,5 mg/d) behandelt<br />
worden – gegenüber 55 Prozent (DMARDs) und<br />
44 Prozent (Glukokortikoide) der Patienten mit gleicher<br />
Krankheitsdauer, die sich zum wiederholten Mal<br />
beim Rheumatologen vorstellten. Zum Dokumenta-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 9<br />
tionszeitpunkt erhielten 78 Prozent dieser kurz kranken<br />
Patienten bei Rheumatologen DMARDs und<br />
52 Prozent niedrig dosierte Glukokortikoide.<br />
Dass die unterschiedliche Versorgung bei Hausärzten<br />
und internistischen Rheumatologen Konsequenzen<br />
für die Betroffenen hat, zeigte eine Nachuntersuchung<br />
von Patienten mit RA, die initial in der Kerndokumentation<br />
erfasst worden waren. Von denjenigen,<br />
die über drei Jahre ausschließlich vom Hausarzt<br />
betreut worden waren, standen noch 59 Prozent unter<br />
einer Basistherapie gegenüber 83 Prozent der weiter<br />
rheumatologisch Behandelten.<br />
Hausarztpatienten hatten jedoch nicht etwa die leichteren<br />
Verläufe: Einen signifikanten Funktionsverlust<br />
gegenüber dem Ausgangswert mussten 37 Prozent<br />
von ihnen hinnehmen gegenüber 23 Prozent der<br />
rheumatologisch betreuten Patienten. Der Anteil von<br />
Patienten mit schweren Schmerzen ging nur bei den<br />
Rheumatologen-Patienten zurück (von 33 Prozent auf<br />
19 Prozent gegenüber 34 Prozent auf 31 Prozent).<br />
Von den Hausarztpatienten waren 57 Prozent im vergangenen<br />
Jahr arbeitsunfähig gegenüber 28 Prozent<br />
der rheumatologisch mitbetreuten Patienten (25).<br />
Gründe für die Verzögerungen beim Beginn einer<br />
ausreichenden Versorgung und für diskontinuierliche<br />
Versorgungsverläufe sind zum Einen die nach wie vor<br />
lückenhafte Kenntnis früher Überweisungskritierien,<br />
zum Anderen lange Wartezeiten bei Rheumatologen<br />
und große Entfernungen bis zum nächsten rheumatologischen<br />
Behandlungsangebot. Teilweise spielt auch<br />
Bagatellisierung der Beschwerden seitens der Patienten<br />
eine Rolle.<br />
Nach den Ergebnissen eines aktuellen Bevölkerungssurveys<br />
des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums<br />
kann man davon ausgehen, dass heute die<br />
große Mehrheit der RA-Kranken (>80 Prozent) früher<br />
oder später einen Rheumatologen erreicht – viele<br />
davon allerdings zu spät. Defizite fanden sich insbesondere<br />
bei der Versorgung Rheumafaktor-negativer<br />
RA-Kranker. Darüber hinaus bestätigten sich die auch<br />
aus der Kerndokumentation bekannten Defizite bei<br />
der ambulanten Versorgung mit ergänzenden Maßnahmen<br />
wie Funktionstraining, Patientenschulung<br />
oder Schmerzbewältigung (26).<br />
6. Schlussfolgerungen<br />
In der Versorgung von Kranken mit entzündlich-rheumatischen<br />
Krankheiten hat sich in den vergangenen<br />
20 Jahren einiges bewegt: Die regionalen kooperativen<br />
Rheumazentren haben regionale Kooperationsund<br />
Vernetzungsstrukturen geschaffen und damit die<br />
wohnortnahe, ambulante Versorgung verbessert. Ein<br />
erklärtes Ziel der Fortbildungs- und Aufklärungsarbeit<br />
der Rheumazentren ist es, Hausärzte zu früherer Zuweisung<br />
zur rheumatologischen Mitbetreuung zu motivieren.<br />
Wenn wir heute eine frühere Zuweisung zu rheumatologischer<br />
Diagnostik und Therapie konstatieren können,<br />
so ist dies in erster Linie ein Erfolg der Arbeit der<br />
Rheumazentren und der an ihnen beteiligten Einrichtungen.<br />
Auch die Zahl der vertragsärztlich oder als Ermächtigte<br />
tätigen internistischen Rheumatologen hat sich in<br />
den letzten 20 Jahren verdoppelt. Heute kommen auf<br />
einen internistischen Rheumatologen 116.000 erwachsene<br />
Einwohner. Gemessen an der Bedarfsberechnung<br />
von zwei Rheumatologen je 100.000 Erwachsene<br />
und angesichts der nur begrenzten Teilnahme<br />
ermächtigter Rheumatologen an der ambulanten<br />
Versorgung sind wir von einem befriedigenden<br />
Zustand allerdings noch weit entfernt.<br />
Einer bedarfsentsprechenden Zahl ambulant tätiger<br />
Rheumatologen stehen verschiedene Hinderungsgründe<br />
entgegen:<br />
● So gibt es weiterhin keine gebietsspezifische Bedarfszulassung,<br />
d.h. eine Zulassung für einen internistischen<br />
Rheumatologen kann nur erfolgen, wenn im<br />
jeweiligen Planungsbereich freie Sitze für fachärztliche<br />
Internisten zu vergeben sind. Im Einzelfall kann<br />
ein Sonderbedarf von den Zulassungsausschüssen<br />
anerkannt werden. Dies erfordert den Nachweis, dass<br />
die Besetzung zur Wahrung der besonderen Qualität<br />
der vertragsärztlichen Versorgung in einem Versorgungsbereich<br />
unerlässlich ist. Die Beurteilung wird<br />
durch die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung (KV)<br />
und den jeweiligen Zulassungsausschuss (ohne einheitliche,<br />
definierte Planzahlen) vorgenommen.<br />
● Von 36 medizinischen Fakultäten in Deutschland<br />
haben nur 21 eine selbständige Einheit für Rheumatologie<br />
auf Lehrstuhl- oder sonstiger Hochschullehrerebene.<br />
Dies bedeutet, dass in einem Drittel der<br />
medizinischen Fakultäten Rheumatologie fachfremd<br />
gelehrt wird oder zumindest nicht auf Dauer in der<br />
Fakultät verankert ist. Hieraus entstehen Defizite in<br />
der ärztlichen Ausbildung, die einen Teil der Unsicherheit<br />
nicht spezialisierter Ärzte in der Erkennung und<br />
Behandlung entzündlich-rheumatischer Krankheiten<br />
erklären können.<br />
● Durch den Abbau stationärer rheumatologischer<br />
Kapazitäten werden auch die Weiterbildungsmöglichkeiten<br />
zum Rheumatologen verringert. Der Erhalt einer<br />
ausreichenden Zahl von Ausbildungsstätten ist<br />
dringend erforderlich.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 10<br />
Aus diesen Ausbildungs- und Strukturproblemen folgen<br />
die beschriebenen Defizite auf der Prozessebene:<br />
In vielen Fällen wird die Diagnose zu spät gestellt,<br />
die Patienten erhalten zu spät und nicht kontinuierlich<br />
die notwendigen medikamentösen und ergänzenden<br />
Maßnahmen. Budgetäre Restriktionen mögen eine<br />
Literatur<br />
(1) Zink A, Huscher D, Schneider M. Die Kerndokumentation<br />
der Rheumazentren – Bilanz nach 12 Jahren. Z<br />
Rheumatol 2006; 65(2):144-51<br />
(2) Wasmus A, Kindel P, Mattussek S, Raspe HH. Activity<br />
and severity of rheumatoid arthritis in Hanover/FRG and<br />
in one regional referral center. Scand J Rheumatol<br />
(Suppl) 1989; 79:33-44<br />
(3) Symmons D, Turner G, Webb R, Asten P, Barrett E, Lunt<br />
M et al. The prevalence of rheumatoid arthritis in the<br />
United Kingdom: new estimates for a new century. Rheumatology<br />
(Oxford) 2002; 41(7):793-800<br />
(4) Mau W, Zeidler H. Spondylitis ankylosans. In: Zeidler H,<br />
Zacher J, Hiepe F, editors. Interdisziplinäre klinische<br />
Rheumatologie. Berlin: Springer; 2001. 1004-18<br />
(5) Rus V, Hajeer A, Hochberg M. Systemic lupus erythematosus.<br />
In: Silman A, Hochberg M, editors. Epidemiology<br />
of the rheumatic diseases. 2nd Ed. ed. Oxford: Oxford<br />
University Press; 2001. 123-40<br />
(6) Mau W, Listing J, Huscher D, Zeidler H, Zink A. Employment<br />
across chronic inflammatory rheumatic diseases<br />
and comparison with the general population. Journal of<br />
Rheumatology 2005; 32(4):721-8<br />
(7) Zink A, Huscher D. Die Bedeutung entzündlich-rheumatischer<br />
Erkrankungen aus sozialmedizinischer Sicht. Internist<br />
Prax 2007; 47:319-32<br />
(8) Huscher D, Merkesdal S, Thiele K, Zeidler H, Schneider<br />
M, Zink A. Cost-of-illness in rheumatoid arthritis, ankylosing<br />
spondylitis, psoriatic arthritis and SLE in Germany.<br />
Ann Rheum Dis 2006; 65:1175-83<br />
(9) Raspe für die Kommission Regionale Rheumatologische<br />
Versorgung. Grundzüge einer wohnortnahen kontinuierlichen<br />
und kooperativen Versorgung von chronisch<br />
Rheumakranken in der Bundesrepublik Deutschland.<br />
Z Rheumatol 1994; 53:113-34<br />
(10) Statistisches Bundesamt. Statistisches Jahrbuch 2006.<br />
Wiesbaden: 2006<br />
(11) Lindqvist E, Jonsson K, Saxne T, Eberhardt K. Course of<br />
radiographic damage over 10 years in a cohort with early<br />
rheumatoid arthritis. Ann Rheum Dis 2003; 62(7):611-6<br />
(12) Young A, Dixey J, Cox N, Davies P, Devlin J, Emery P et<br />
al. How does functional disability in early rheumatoid<br />
arthritis (RA) affect patients and their lives? Results of<br />
5 years of follow-up in 732 patients from the Early RA<br />
Study (ERAS). Rheumatology (Oxford) 2000; 39(6):<br />
603-11<br />
(13) Wiles NJ, Lunt M, Barrett EM, Bukhari M, Silman AJ,<br />
Symmons DP et al. Reduced disability at five years with<br />
early treatment of inflammatory polyarthritis: results<br />
from a large observational cohort, using propensity<br />
models to adjust for disease severity. Arthritis Rheum<br />
2001; 44(5):1033-42<br />
(14) Mottonen T, Hannonen P, Korpela M, Nissila M, Kautiainen<br />
H, Ilonen J et al. Delay to institution of therapy<br />
and induction of remission using single-drug or combination-disease-modifying<br />
antirheumatic drug therapy in<br />
weitere Rolle spielen. Nur eine Minderheit der Kranken<br />
erhält eine leitliniengerechte Versorgung. Daraus<br />
folgen vermeidbare gesundheitliche und soziale<br />
Nachteile für die betroffenen Patienten sowie erhöhte<br />
Kosten für die Gesundheits- und Sozialsysteme.<br />
© gpk<br />
early rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum 2002;<br />
46(4):894-8<br />
(15) Egsmose C, Lund B, Borg G, Petterson H, Berg E,<br />
Brodin U et al. Patients with rheumatoid arthritis benefit<br />
from early 2nd line therapy: 5 year followup of a prospective<br />
double blind placebo controlled study. J Rheumatol<br />
1995;2208-13<br />
(16) Lard LR, Boers M, Verhoeven A, Vos K, Visser H, Hazes<br />
JM et al. Early and aggressive treatment of rheumatoid<br />
arthritis patients affects the association of HLA class II<br />
antigens with progression of joint damage. Arthritis Rheum<br />
2002; 46(4):899-905<br />
(17) Jansen LM, van der Horst-Bruinsma IE, van SD, Bezemer<br />
PD, Dijkmans BA. Predictors of radiographic joint<br />
damage in patients with early rheumatoid arthritis. Ann<br />
Rheum Dis 2001; 60(10):924-7<br />
(18) Mottonen T, Paimela L, Ahonen J, Helve T, Hannonen P,<br />
Leirisalo-Repo M. Outcome in patients with early rheumatoid<br />
arthritis treated according to the “sawtooth” strategy.<br />
Arthritis Rheum 1996; 39(6):996-1005<br />
(19) Wolfe F, Mitchell DM, Sibley JT, Fries JF, Bloch DA,<br />
Williams CA et al. The mortality of rheumatoid arthritis.<br />
Arthritis Rheum 1994; 37(4):481-94<br />
(20) Krause D, Schleusser B, Herborn G, Rau R. Response<br />
to methotrexate treatment is associated with reduced<br />
mortality in patients with severe rheumatoid arthritis.<br />
Arthritis Rheum 2000; 43(1):14-21<br />
(21) Choi HK, Hernan MA, Seeger JD, Robins JM, Wolfe F.<br />
Methotrexate and mortality in patients with rheumatoid<br />
arthritis: a prospective study. Lancet 2002; 359<br />
(9313):1173-7<br />
(22) Peltomaa R, Paimela L, Kautiainen H, Leirisalo-Repo M.<br />
Mortality in patients with rheumatoid arthritis treated<br />
actively from the time of diagnosis. Ann Rheum Dis<br />
2002; 61(10):889-94<br />
(23) Boers M. Understanding the window of opportunity concept<br />
in early rheumatoid arthritis. Arthritis Rheum 2003;<br />
48(7):1771-4<br />
(24) Schneider M, Lelgemann M, Abholz HH, Caratti R, Flügge<br />
C, Jäniche H et al. Interdisziplinäre Leitlinie Management<br />
der frühen rheumatoiden Arthritis. DGRh-Leitlinie.<br />
2. überarbeitete Auflage ed. Darmstadt: Steinkopff; 2007<br />
(25) Strangfeld A, Zink A. Ambulante Betreuung von Patienten<br />
mit rheumatoider Arthritis durch Hausärzte oder<br />
Rheumatologen – Vergleich von Prozessen und Ergebnisssen<br />
der Versorgung. In: Hey M, Maschewsky-<br />
Schneider U, editors. Kursbuch Versorgungsforschung.<br />
Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft;<br />
2006. 141-52<br />
(26) Westhoff G, Raspe HH, Schneider M, Zeidler H, Runge<br />
C, Volmer T et al. Bevölkerungssurvey zur Versorgung<br />
von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) deckt bei<br />
Rheumafaktor-negativen RA-Kranken Versorgungsmängel<br />
auf. Hamburg, 35. Kongress der Deutschen<br />
Gesellschaft für Rheumatologie (Abstract) 2007
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 11<br />
Defizite bei der Rehabilitation<br />
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen in Deutschland aus sozialmedizinischwissenschaftlicher<br />
Sicht<br />
Von Wilfried Mau<br />
Einführung<br />
Zu den vielfältigen Auswirkungen entzündlich-rheumatischer<br />
Krankheiten zählen neben den körperlichen<br />
Veränderungen häufig unterschätzte sozialmedizinische<br />
Folgen. Um sie zu vermeiden bzw. zu mindern,<br />
sind bei vielen Patienten neben einer frühzeitigen<br />
und wirksamen medikamentösen Behandlung im<br />
Rahmen einer fachrheumatologischen Betreuung, die<br />
an anderen Stellen dieser Sonderausgabe dargestellt<br />
wird, physikalisch-therapeutische und psychosoziale<br />
Interventionen sowie ambulante bzw. stationäre Rehabilitationsmaßnahmen<br />
notwendig.<br />
Aktuelle Daten zu sozialmedizinischen Auswirkungen,<br />
physikalisch-therapeutischen und psychosozialen<br />
Interventionen sowie zur Rehabilitation werden in<br />
diesem Beitrag zusammengefasst.<br />
Sozialmedizinische Folgen<br />
Die sozialmedizinischen Krankheitsfolgen sind nicht<br />
nur für die betroffenen Rheumakranken und ihr unmittelbares<br />
Umfeld von hoher Relevanz, sondern auch<br />
für die Gesellschaft und Volkswirtschaft. Zu ihnen<br />
zählen vor allem Einschränkungen der Erwerbstätigkeit<br />
mit Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsminderung mit<br />
den daraus resultierenden indirekten Kosten sowie<br />
Hilfs- und Pflegebedürftigkeit. Sie sind von nationalen<br />
gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst, z.B. von Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
für Menschen mit Behinderungen,<br />
Verfügbarkeit von Ganztags- und Teilzeitarbeitsplätzen<br />
und Sozialgesetzgebung.<br />
Deshalb können Daten zu sozialmedizinischen Folgen<br />
rheumatischer Krankheiten nicht ohne weiteres<br />
von einem anderen Land auf Deutschland übertragen<br />
werden. Für Deutschland sind vor allem Daten aus<br />
klinischen Studien, aus der Kerndokumentation der<br />
Regionalen Kooperativen Rheumazentren und aus<br />
Statistiken der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung<br />
verfügbar.<br />
Einschränkungen der Erwerbstätigkeit<br />
Arbeitsunfähigkeit<br />
Die Arbeitsunfähigkeit liefert frühe Hinweise auf sozialmedizinische<br />
Folgen im Bereich der Erwerbstätigkeit.<br />
Nach der Krankheitsartenstatistik der AOK (AOK<br />
Bundesverband 2006) ist die Rheumatoide Arthritis<br />
bei Frauen die häufigste Arbeitsunfähigkeitsdiagnose<br />
unter den chronisch entzündlich-rheumatischen<br />
Krankheiten mit besonders langer mittlerer Dauer je<br />
Ereignis von 30 Tagen.<br />
Bei der Untersuchung von Frühfällen, die Mitte der<br />
90er Jahre in rheumatologischen Zentren durchgeführt<br />
wurde, wird deutlich, dass die Arbeitsunfähigkeit<br />
nicht erst mit längerer Krankheitsdauer ein relevantes<br />
Ausmaß erreicht, sondern bereits im ersten Jahr bei<br />
drei Viertel der Patienten besonders ausgeprägt ist<br />
und danach abnimmt (Mau et al., 1997).<br />
Diese Abnahme der Arbeitsunfähigkeit im Verlauf ist<br />
nur teilweise durch eine Selektion von weniger beeinträchtigten<br />
Patienten zu erklären, die im Erwerbsleben<br />
verbleiben, mit entsprechender Verlagerung<br />
der Produktivitätsausfälle in die Kategorie langfristig<br />
zunehmender Erwerbsminderungsrenten (Huscher<br />
et al., 2006; Mau et al., 1997; Merkesdal et al., 2001).<br />
Da die Summe der Produktivitätsausfälle aus allen<br />
Kategorien in den ersten Jahren der untersuchten<br />
chronischen Krankheiten abnimmt, dürfte dafür die<br />
Wirksamkeit der rheumatologischen Behandlung von<br />
Bedeutung sein. Bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis<br />
und einer längeren Krankheitsdauer (70 Prozent<br />
mindestens fünf Jahre) hatte ein Drittel der noch<br />
Erwerbstätigen in den letzten 12 Monaten Arbeitsunfähigkeitsereignisse<br />
mit einer durchschnittlichen Gesamtdauer<br />
von 54 Tagen (Huscher et al., 2006).<br />
Erwerbstätigkeit und Erwerbsminderung<br />
Nach der bundesweiten Statistik der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung ist unter den neuen Erwerbsminderungsrenten<br />
im Jahr 2005 die Rheumatoide Arthri-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 12<br />
tis am häufigsten mit einem mittleren Berentungsalter<br />
von 51 Jahren bei den häufiger betroffenen Frauen,<br />
bzw. 52 Jahren bei den Männern (Deutsche Rentenversicherung<br />
Bund 2006). Die Spondylitis ankylosans<br />
ist bei den Männern die zweithäufigste Frühberentungsdiagnose<br />
unter den entzündlich-rheumatischen<br />
Krankheiten mit Rentenbeginn im mittleren Alter von<br />
49 Jahren. Dagegen ist bei den Frauen die zweithäufigste<br />
Berentungsursache in dieser Krankheitsgruppe<br />
der systemische Lupus erythematodes schon im<br />
Durchschnittsalter von 43 Jahren.<br />
Untersuchungen zum Beginn der Erwerbsminderung<br />
im Krankheitsverlauf von ambulanten und stationären<br />
Patienten aus Kliniken zeigten eine bereits in den<br />
ersten drei Krankheitsjahren besonders rasch zunehmende<br />
Erwerbsunfähigkeit von 20 Prozent (Bräuer et<br />
al., 2002; Mau et al., 1996 a).<br />
Etwas günstigere Daten ergeben sich bei Berücksichtigung<br />
von ausschließlich ambulant betreuten Patienten,<br />
die neben den Kranken aus Klinikambulanzen<br />
Patienten der niedergelassenen Rheumatologen einbeziehen.<br />
Danach sind 12 Prozent der Patienten mit<br />
einer weniger als 5 Jahre dauernden Rheumatoiden<br />
Arthritis erwerbsgemindert, nach 5 bis 10 Jahren 22<br />
Prozent und nach mehr als 10 Jahren 40 Prozent<br />
(Huscher et al., 2006).<br />
Auffällig gering sind die Anteile der Teilrenten und der<br />
Teilzeittätigkeit bei Rheumakranken, die nicht über<br />
dem Bundesdurchschnitt liegen (Huscher et al., 2006;<br />
Mau et al., 2005). Das Ziel, auch Kranke mit gewandeltem<br />
Leistungsvermögen durch die teilweise Erwerbsminderungsrente<br />
im Erwerbsleben zu halten,<br />
ist in Deutschland bisher schwer zu erreichen. Vor<br />
dem Hintergrund des weitgehend verschlossenen<br />
(Teilzeit-)Arbeitsmarktes führt die Bewilligung einer<br />
teilweisen Erwerbsminderung in zahlreichen Fällen<br />
konkret in die Arbeitslosigkeit mit erheblichen finanziellen<br />
Folgen (Arbeitslosengeld II).<br />
Die ursprünglich positive Absicht, mit der Teilrente die<br />
Erwerbstätigkeit zu sichern, wird somit in der Praxis<br />
nicht selten in das Gegenteil verwandelt. Deshalb wird<br />
zum Teil ein regional verschlossener Teilzeitarbeitsmarkt<br />
berücksichtigt und eine volle Erwerbsminderung<br />
bewilligt.<br />
Durch den Vergleich der Kerndokumentationsdaten<br />
der Rheumazentren mit Bevölkerungsdaten werden<br />
die Einflüsse der Erkrankung (Diagnose und Dauer),<br />
des regionalen Arbeitsmarktes, der Schulbildung und<br />
des Geschlechts auf die Beschäftigung von Rheuma-<br />
kranken quantifizierbar. Gegenüber der ohnehin niedrigen<br />
Beschäftigungsquote vergleichbarer Frauen mit<br />
geringer Schulbildung in den neuen Bundesländern<br />
haben dort lebende Frauen durch eine Rheumatoide<br />
Arthritis, einen systemischen Lupus erythematodes<br />
oder eine systemische Sclerose eine um 45 bis 61<br />
Prozent reduzierte Chance der Erwerbstätigkeit (Mau<br />
et al., 2005).<br />
Während diese demografischen Faktoren kaum beeinflussbar<br />
sind, ist die große Bedeutung der grundsätzlich<br />
therapeutisch modifizierbaren oder kompensierbaren<br />
Behinderung im Alltag hervorzuheben: Bei<br />
weniger als 50 Prozent Funktionskapazität nach dem<br />
Funktionsfragebogen Hannover beziehen rund die<br />
Hälfte der Patienten mit rheumatoider Arthritis, ankylosierender<br />
Arthritis oder systemischem Lupus erythematodes<br />
und zwei Drittel der Patienten mit Psoriasisarthritis<br />
eine Erwerbsminderungsrente im Gegensatz<br />
zu nur 7 bis 17 Prozent bei besserer Funktion<br />
(mehr als 70 Prozent Funktionskapazität) (Huscher et<br />
al., 2006).<br />
Indirekte Krankheitskosten<br />
Bereits innerhalb der ersten drei Jahre entstehen bei<br />
erwerbstätigen Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis<br />
hohe indirekte Kosten durch Produktivitätsausfall<br />
(Merkesdal et al., 2001). Dabei ist zunächst der<br />
größte Kostenfaktor die frühe Arbeitsunfähigkeit mit<br />
durchschnittlich 8.400 Euro pro Jahr innerhalb der<br />
ersten zwei Krankheitsjahre. Die Arbeitsunfähigkeitskosten<br />
vermindern sich im Folgejahr, während Kosten<br />
durch Aufgabe der Erwerbstätigkeit in geringerem<br />
Ausmaß ansteigen.<br />
Nach durchschnittlich acht Jahren Krankheitsdauer<br />
wurden bei noch im Erwerbsleben verbliebenen Patienten<br />
mit einer rheumatoiden Arthritis jährliche<br />
Kosten der Arbeitsunfähigkeit von durchschnittlich<br />
2.800 Euro ermittelt (Ruof et al., 2003). Bei den erwerbsunfähig<br />
Berenteten betrugen die indirekten<br />
Kosten im Mittel rund 8.400 Euro.<br />
Entsprechend den Daten der Kerndokumentation<br />
steigen die indirekten Kosten bei der rheumatoiden<br />
Arthritis mit der der Krankheitsdauer auf bis zu 15.700<br />
Euro nach mehr als 10-jähriger Krankheitsdauer (Huscher<br />
et al., 2006). Die Kosten bei ankylosierender<br />
Arthritis, Psoriasisarthritis oder systemischem Lupus<br />
erythematodes liegen in einer ähnlichen Größenordnung.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 13<br />
Hilfs- und Pflegebedürftigkeit<br />
Vielfach sind Patienten mit entzündlich-rheumatischen<br />
Erkrankungen durch die Einschränkung der<br />
Alltagsfunktion auf die Hilfe anderer Personen bis hin<br />
zur Pflege angewiesen. Im Wesentlichen kommt diese<br />
Unterstützung aus der Familie. In den ersten fünf<br />
Jahren benötigt ein Viertel der Kranken mit rheumatoider<br />
Arthritis Hilfe im Haushalt oder bei der Selbstversorgung<br />
(Westhoff et al., 2000).<br />
Bei mehr als 20-jähriger Krankheitsdauer ist bei mehr<br />
als der Hälfte der Betroffenen mit Hilfebedarf zu rechnen,<br />
einschließlich des Grundpflegebedarfs für Körperpflege,<br />
An- und Ausziehen, Mobilität oder Ernährung,<br />
bei mindestens 15 Prozent.<br />
Physikalisch-therapeutische und psychosoziale<br />
Interventionen<br />
Trotz erheblicher Fortschritte der rheumatologischen<br />
Versorgung und medikamentösen Therapie treten bei<br />
zahlreichen Patienten relevante Einschränkungen der<br />
Alltagsaktivitäten (Zink, 2007) und die beschriebenen<br />
sozialmedizinischen Folgen auf. Sie erfordern vor allem<br />
funktionsorientierte physikalisch-therapeutische<br />
Behandlungen und psychosoziale Interventionen sowie<br />
umfassende Rehabilitationsmaßnahmen, bei denen<br />
in Deutschland verschiedene Defizite festzustellen<br />
sind.<br />
Mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />
(G-BA) seit dem Jahr 2002 und der Budgetierung<br />
der Heilmittelausgaben von Internisten einschließlich<br />
der Rheumatologen auf weniger als 4 Euro<br />
pro Patient und Quartal seit 2006, wurde die ambulante<br />
Heilmittelverordnung auch für Rheumapatienten<br />
erheblich eingeschränkt.<br />
Von 1994 bis 2003 gingen mit Ausnahme der Krankengymnastik<br />
alle Heilmittelverordnungen in den<br />
Rheumazentren deutlich zurück. Sogar in diesen spezialisierten<br />
Zentren erhielten unter den Patienten mit<br />
einer rheumatoiden Arthritis in den letzten 12 Monaten<br />
nur 5 Prozent ambulant ergotherapeutische Maßnahmen<br />
(Zink et al., 2004). Selbst bei erheblichen<br />
Behinderungen im Alltag (Funktionskapazität 50 Prozent<br />
oder weniger im Funktionsfragebogen Hannover)<br />
bekamen im Jahr 2004 nur 55 Prozent Einzelkrankengymnastik,<br />
9 Prozent Ergotherapie, 5 Prozent<br />
Psychotherapie und 2 Prozent eine Patientenschulung<br />
(A. Zink, pers. Mitteilung).<br />
Auch bei den für Rheumakranke wichtigen funktionsorientierten<br />
Gruppenangeboten, dem Funktionstrai-<br />
ning und Rehabilitationssport, wurde trotz der gesetzlichen<br />
Verankerung als Pflichtleistungen der gesetzlichen<br />
Krankenkassen die Leistungsdauer deutlich begrenzt.<br />
Auch in den Akutkrankenhäusern, zu denen in<br />
Deutschland zahlreiche hoch qualifizierte Rheumakliniken<br />
und -abteilungen zählen, wurden die Möglichkeiten<br />
einer intensiven physikalisch-therapeutischen<br />
Behandlung und psychosozialen Unterstützung drastisch<br />
eingeschränkt: u.a. Aufnahme und Aufenthalt<br />
nur für die Dauer der stationär notwendigen Diagnostik<br />
und Therapie, Verweildauerverkürzungen als Folge<br />
der Fallpauschalenabrechnung, Einschränkungen<br />
der Art und des Umfangs der Komplextherapie.<br />
Rehabilitation<br />
Aufgaben<br />
Auch in Anbetracht der Defizite in anderen Versorgungssektoren<br />
hat die Rehabilitation für Patienten mit<br />
entzündlich-rheumatischen Erkrankungen eine besondere<br />
Bedeutung. Sie bietet eine kompetente, interdisziplinäre<br />
und umfassende Versorgung, die in<br />
Deutschland in der Regel ganztägig als medizinische<br />
bzw. berufliche Rehabilitation erfolgt (Jäckel et al.,<br />
1996). Ihre beiden zentralen gesetzlichen Aufträge<br />
sind auf die oben dargestellten sozialmedizinischen<br />
Krankheitsfolgen ausgerichtet:<br />
● die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen oder zu<br />
erhalten („Rehabilitation vor Rente“ – Leistungsträger<br />
vor allem gesetzliche Rentenversicherung<br />
nach Sozialgesetzbuch VI) und<br />
● Behinderung und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden<br />
oder deren Ausmaß zu vermindern („Rehabilitation<br />
vor Pflege“ – Leistungsträger vor allem Gesetzliche<br />
Krankenversicherung nach Sozialgesetzbuch<br />
V).<br />
Die vielfältigen Aufgaben der Rehabilitation erfordern<br />
ein interdisziplinäres Team aus verschiedenen Berufsgruppen.<br />
Im Gegensatz zur begrenzt verfügbaren<br />
ambulanten Versorgung durch diese Therapeuten, die<br />
oft fern von den Verordnern einzeln arbeiten, ist das<br />
interdisziplinäre Rehabilitationsteam, das hinsichtlich<br />
der Rehabilitation von Patienten mit rheumatischen<br />
Erkrankungen speziell geschult und erfahren ist,<br />
durch regelmäßige Abstimmung der Teammitglieder<br />
gekennzeichnet.<br />
Spezifische Kompetenzen der medizinischen Rehabilitation<br />
sind die sozialmedizinische Begutachtung und<br />
die Weichenstellung für eine systematische Rehabili-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 14<br />
tationsnachsorge und für Leistungen zur Teilhabe am<br />
Arbeitsleben (früher als berufliche Rehabilitation bezeichnet).<br />
Die Rehabilitation gilt als fester Bestandteil<br />
des Therapiekonzepts. Sie wurde z.B. für die Spondyloarthritiden<br />
in die internationalen evidenzbasierten<br />
ASAS-/EULAR-Empfehlungen zu Behandlungsstrategien<br />
integriert (Zochling et al., 2006).<br />
Versorgungsdefizite<br />
Für Patienten mit entzündlich-rheumatischen Krankheiten<br />
liegen deutliche Hinweise auf eine Unterinanspruchnahme<br />
rehabilitativer Leistungen vor. Nur<br />
12 Prozent der Patienten mit entzündlich-rheumatischen<br />
Krankheiten in den regionalen Rheumazentren<br />
hatten in den letzten 12 Monaten eine Rehabilitationsmaßnahme<br />
wahrgenommen (Jäckel et al., 2005). Die<br />
Zahl der Rehabilitationsmaßnahmen bei entzündlichen<br />
rheumatischen Krankheiten von unter 10.000<br />
pro Jahr beträgt weniger als 1 Prozent der 1 bis 1,4<br />
Millionen in der Bevölkerung betroffenen Personen<br />
(Zink, 2007).<br />
Trotz zum Teil erheblicher funktioneller Einschränkungen<br />
erreichen viele Patienten das Rehabilitationssystem<br />
(zu) spät oder gar nicht:<br />
● Erst nach durchschnittlich zwei Jahren Krankheitsdauer<br />
findet bei RA-Kranken die erste Rehabilitationsmaßnahme<br />
statt (Bräuer and Mau, 2000).<br />
● Zwischen 30 und 55 Prozent der RA-Patienten<br />
in der Kerndokumentation haben noch nie eine<br />
Rehabilitationsmaßnahme erhalten (Zink et al.,<br />
2001).<br />
● 37 Prozent der schließlich erwerbsunfähig berenteten<br />
RA-Patienten einer Langzeit-Kohortenstudie<br />
von rheumatologisch versorgten Frühfällen hatten<br />
nicht an Rehabilitationsmaßnahmen teilgenommen<br />
(Mau et al., 1996 b).<br />
● 47 Prozent der Frauen und 51 Prozent der Männer,<br />
die wegen entzündlicher Polyarthropathien im Jahr<br />
2005 in Deutschland erstmals Erwerbsminderungsrenten<br />
erhielten, hatten keine Rehabilitationsmaßnahmen<br />
in den vorausgegangenen fünf<br />
Jahren<br />
2006).<br />
(Deutsche Rentenversicherung Bund<br />
Nicht zuletzt im Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung z.B. für (bisher nicht ausreichend<br />
lange erwerbstätige) Hausfrauen und ältere<br />
Rheumakranke mit drohenden oder manifesten Behinderungen<br />
und entsprechend zu erwartender Pflegebedürftigkeit,<br />
finden sich Hinweise auf eine gravierende<br />
rehabilitative Unterversorgung.<br />
Gegenüber 4.117 Reha-Leistungen der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung (Deutsche Rentenversicherung<br />
Bund 2006) wurden von der AOK als größter gesetzlicher<br />
Krankenkasse im Jahr 2005 bundesweit nur 770<br />
stationäre Rehabilitationsmaßnahmen nach § 40<br />
Abs. 2 SGB V wegen rheumatoider Arthritis durchgeführt<br />
(AOK Bundesverband 2006), obwohl bei einem<br />
mittleren Alter der RA-Kranken von 58 Jahren nach<br />
der Kerndokumentation der Rheumazentren und dem<br />
weit überwiegenden Frauenanteil die Krankenversicherung<br />
für die Mehrheit der zuständige Rehabilitationsträger<br />
sein dürfte.<br />
Mit den aktuellen Einschränkungen durch das aufwändige<br />
Verordnungs- und Genehmigungsverfahren<br />
nach den Rehabilitationsrichtlinien des Gemeinsamen<br />
Bundesausschusses ist mit einem weiteren<br />
Rückgang von Rehabilitationsmaßnahmen durch die<br />
Krankenkassen zu rechnen. Bei der vollständigen<br />
Umsetzung der Rehabilitationsrichtlinien am 1. April<br />
2007 waren mit erheblichen regionalen Unterschieden<br />
nur 19,5 Prozent der Vertragsärzte in Deutschland<br />
(1,4 Prozent in Hamburg bis 27,4 Prozent in<br />
Bayern) berechtigt, Leistungen zur medizinischen<br />
Rehabilitation über die Krankenkassen zu verordnen. 1<br />
Damit stellt sich die Frage, wie die vom Gesetzgeber<br />
im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG)<br />
zum 1. April 2007 vorgenommene Umwandlung der<br />
Rehabilitationsleistungen von Kann- in Pflichtleistungen<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung die versprochene<br />
Wirkung entfalten soll.<br />
Auch seitens der Patienten sind Hinderungsgründe<br />
für die Beantragung von Rehabilitationsleistungen<br />
festzustellen, u.a. betriebliche Bedingungen und finanzielle<br />
Belastungen wie z.B. eine Eigenbeteiligung<br />
bei der Rehabilitation (Mau et al., 2004). Die stationäre<br />
Rehabilitation wird von Ärzten und Patienten mit<br />
rheumatischen Erkrankungen häufiger als das ambulante<br />
Angebot gewünscht (Kusak et al., 2006; Mau<br />
et al., 2004; Riehemann und Muthny, 1995).<br />
Wenn eine Anschlussheilbehandlung/Anschlussrehabilitation<br />
nach akutstationärem Aufenthalt erfolgen<br />
soll, wird vielfach nicht die von den Akutkliniken vorgeschlagene<br />
qualifizierte Rehabilitationsfachklinik<br />
durch die Rehabilitationsträger genehmigt, sondern<br />
eine nach anderen Gesichtspunkten ausgewählte<br />
Einrichtung.<br />
Rehabilitationskliniken stehen dabei unter erheblichem<br />
Druck zwischen geringer Finanzierung seitens<br />
1 http://dip.bundestag.de/btd/16/053/1605321.pdf
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 15<br />
der Reha-Träger und Sicherung der Struktur-, Prozess-<br />
und Ergebnisqualität. Dazu gehört auch das<br />
Problem der von Leistungsträgern oft abgelehnten<br />
gesonderten Erstattung für kostenintensive laufende<br />
Behandlungen, vor allem mit Biologika während der<br />
Rehabilitationsmaßnahme.<br />
Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass eine<br />
vielfach für Rheumakranke sinnvolle Intensivierung<br />
und Individualsierung (einschließlich Einzeltherapien)<br />
der Rehabilitation nicht immer im gewünschten Ausmaß<br />
erfolgt. Auch die für den Erfolg der Rehabilitation<br />
notwendige Einbettung in die gesamte Versorgungskette<br />
ist zum Teil noch lückenhaft.<br />
Die rückläufigen Patientenzahlen und die zunehmenden<br />
ökonomischen Einschränkungen haben wahrscheinlich<br />
zum Kapazitätsabbau bzw. zu Schließungen<br />
von mehreren kompetenten Rehabilitationskliniken<br />
für Rheumakranke in den letzten Jahren beigetragen.<br />
Im Zusammenhang mit den Defiziten einer umfassenden<br />
Betreuung in anderen Sektoren unseres<br />
Gesundheitssystems sind entsprechende Konsequenzen<br />
für die Versorgung und steigende Folgekosten<br />
zu befürchten.<br />
Schlussfolgerungen<br />
Diese Zusammenstellung verdeutlicht das Ausmaß<br />
sozialmedizinischer Folgen entzündlich-rheumatischer<br />
Krankheiten in Deutschland. Insbesondere für<br />
Einschränkungen der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit<br />
liegen zahlreiche belastbare Daten vor. Die zum Teil<br />
bereits früh eintretenden gravierenden sozialmedizinischen<br />
Folgen nehmen mit der Krankheitsdauer und<br />
bei verschiedenen Risikofaktoren zu.<br />
Die Ergebnisse bieten nicht nur differenzierte Informationen<br />
über diese nicht immer ausreichend gewürdigten<br />
Aspekte der Krankheitslast. Sie liefern auch<br />
vielfältige Anhaltspunkte sowohl für die Beratung und<br />
Literatur<br />
AOK-Bundesverband (Hrsg.) (2006), Krankheitsartenstatistik<br />
2005. Arbeitunfähigkeits-, Krankenhaus- und Rehabilitationsfälle<br />
nach Krankheitsarten, Alter, Dauer. Bonn<br />
Bräuer W, Mau W (2000), Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen<br />
im Langzeitverlauf der frühen chronischen<br />
Polyarthritis. DRV-Schriften 20:74-76<br />
Bräuer W, Merkesdal S, Mau W (2002), Langzeitverlauf und<br />
Prognose der Erwerbstätigkeit im Frühstadium der chronischen<br />
Polyarthritis. Z Rheumatol 61:426-434<br />
Deutsche Rentenversicherung Bund (2006), Statistik der<br />
Deutschen Rentenversicherung. Rentenzugang 2005. Berlin<br />
Versorgung einzelner Patienten als auch für gesellschafts-<br />
und gesundheits<strong>politische</strong> Entscheidungsprozesse.<br />
Die Verordnung von physikalisch-therapeutischen<br />
Behandlungen einschließlich Funktionstraining und<br />
Rehabilitationsport sowie psychosozialen Interventionen<br />
durch Rheumatologen muss entsprechend dem<br />
individuellen Bedarf erfolgen.<br />
Der Zugang zu Leistungen zur Rehabilitation ist dringend<br />
zu verbessern. Dazu sind u.a. zu fordern:<br />
● intensivierte Aufklärung der betroffenen Patienten,<br />
der betreuenden Ärzte und der Betriebe über die<br />
Möglichkeiten der Rehabilitation und Unterstützung<br />
bei der Antragstellung,<br />
● Aufhebung inadäquater finanzieller Belastungen,<br />
● Umsetzung des Anspruchs auf Rehabilitation als<br />
Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
in die Praxis mit Abbau bürokratischer Hürden,<br />
● rechtzeitige Ausschöpfung rehabilitativer Leistungen<br />
vor der Meinungsbildung und Entscheidung<br />
bzgl. Erwerbsminderung durch alle Beteiligten,<br />
● Umsetzung des Wunsch- und Wahlrechts in die<br />
Praxis auf Basis der Qualitätssicherung von Rehabilitationseinrichtungen<br />
einschließlich Einbindung<br />
in Kooperationsnetzen.<br />
Für die Optimierung der Rehabilitationsprozesse in<br />
der gesamten Versorgung bedarf es der<br />
● inhaltlichen und zeitlichen Gestaltung und Finanzierung<br />
von qualitätsgesicherten Leistungen zur<br />
Rehabilitation nach individuellem Bedarf,<br />
● besseren Integration von Rehabilitationsleistungen<br />
in die Versorgungskette mit adäquater Vorbereitung<br />
und Nachsorge.<br />
© gpk<br />
Huscher D, Merkesdal S, Thiele K, Zeidler H, Schneider M,<br />
Zink A, German Collaborative Arthritis Centres (2006), Cost of<br />
illness in rheumatoid arthritis, ankylosing spondylitis, psoriatic<br />
arthritis and SLE in Germany. Ann Rheum Dis 65:1175-1183<br />
Jäckel W, Beyer WF, Droste U, Engel M, Genth E, Pott HG,<br />
Schmidt KL (1996), Memorandum zur Lage und Entwicklung<br />
der Rehabilitation bei Rheumakranken. Z Rheumatol 55:410-<br />
422<br />
Jäckel WH, Mau W, Zink A, Beyer M, Engel M, Droste U, Genth<br />
E (2005), Routineberichterstattung zur medizinischen Rehabilitation<br />
bei muskuloskelettalen Krankheiten. Z Rheumatol<br />
64:345-350
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 16<br />
Kusak G, Mattussek S, Hülsemann JL, Gutenbrunner C, Mau<br />
W (2006), Medizinische Rehabilitation bei Patienten mit chronischer<br />
Polyarthritis aus Sicht von Vertragsärzten mit unterschiedlicher<br />
Spezialisierung. Phys Med Rehab Kuror 16:9-16<br />
Mau W, Bornmann M, Weber H (1997), Arbeitsunfähigkeit im<br />
ersten Jahr der chronischen Polyarthtritis. Ein Vergleich mit<br />
Pflichtmitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung. Z<br />
Rheumatol 56:1-7<br />
Mau W, Bornmann M, Weber H, Weidemann HF, Hecker H,<br />
Raspe HH (1996a), Prediction of permanent work disability in<br />
a follow-up study of early rheumatoid arthritis: results of a tree<br />
structured analysis using RECPAM. Br J Rheumatol 35:652-<br />
659<br />
Mau W, Bornmann M, Weber H, Weidemann H-F (1996b),<br />
Defizite rehabilitativer Maßnahmen im Verlauf der frühen chronischen<br />
Polyarthritis. Z Rheumatol 55:223-229<br />
Mau W, Listing J, Huscher D, Zeidler H, Zink A (2005), Employment<br />
across chronic inflammatory rheumatic diseases and<br />
comparison with the general population. J Rheumatol 32:721-<br />
728<br />
Mau W, Mattussek S, Kusak G, Hülsemann JL, Gutenbrunner<br />
C (2004), Einstellungen zur Rehabilitation bei vertragsärztlich<br />
tätigen Rheumatologen und Patienten mit chronischer Polyarthritis<br />
oder Spondylitis ankylosans. Akt Rheumatol 29:238<br />
Merkesdal S, Ruof J, Bernitt K, Schoeffski O, Zeidler H, Mau<br />
W (2001), Indirect medical costs in early rheumatoid arthritis.<br />
Composition and changes in indirect costs within the first<br />
three years of RA. Arthritis Rheum 44:528-534<br />
Deutschland im internationalen Vergleich<br />
Effektive Behandlung der Rheumatoiden Arthritis<br />
Von Gisela Kobelt<br />
Einleitung<br />
Die Behandlung von Patienten mit Rheumatoider Arthritis<br />
(RA) hat sich im letzten Jahrzehnt stark verändert.<br />
Bessere Kenntnis der Krankheit und damit verbundene<br />
bessere Diagnose haben dazu geführt, dass<br />
Patienten im Allgemeinen schon im frühen Stadium<br />
mit krankheitshemmenden Medikamenten (Disease<br />
Modifying Antitheumatic Drugs, DMARDs) behandelt<br />
werden.<br />
Damit will man die mit RA verbundene fortschreitende<br />
und bleibende körperliche Behinderung einschränken<br />
oder verlangsamen. Solche medizinisch gerechtfertigten<br />
Entscheidungen bleiben allerdings nicht ohne<br />
ökonomische Folgen. Im Falle von RA bedeutet dies,<br />
vereinfacht ausgedrückt, dass wir heute so früh als<br />
möglich in die besten Behandlungen investieren<br />
Riehemann W, Muthny FA (1995), Was Ärzte von der Rehabilitation<br />
halten – eine empirische Untersuchung mit Rheumatologen.<br />
Rehabilitation 34:154-160<br />
Ruof J, Hulsemann JL, Mittendorf T, Handelmann S, der Schulenburg<br />
JM, Zeidler H, Merkesdal S (2003), Costs of rheumatoid<br />
arthritis in Germany: a micro-costing approach based on<br />
healthcare payer’s data sources. Ann Rheum Dis 62:544-549<br />
Westhoff G, Listing J, Zink A (2000), Loss of physical independence<br />
in rheumatoid arthritis: interview data from a representative<br />
sample of patients in rheumatologic care. Arthritis Care<br />
Res 13:11-22<br />
Zink A (2007), Epidemiologie und Versorgung entzündlichrheumatischer<br />
Erkrankungen in Deutschland. <strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong><br />
<strong>Kommentare</strong> Jg 48, Sonderausgabe 3/07, 6-10<br />
Zink A, Huscher D, Thiele K, Weber C, Topsch D, Otto S,<br />
Harndt J, Bungartz Ch, Listing J (2004), Rheumatologische<br />
Kerndokumentation der Regionalen Rheumazentren in den<br />
Jahren 2001 und 2002. Epi-Report No 17. Berlin:<br />
Zink A, Listing J, Niewerth M, Zeidler H (2001), The national<br />
database of the German Collaborative Arthritis Centres: II.<br />
Treatment of patients with rheumatoid arthritis. Ann Rheum<br />
Dis 60:207-213<br />
Zochling J, van der HD, Burgos-Vargas R, Collantes E, Davis<br />
JC, Jr., Dijkmans B, Dougados M, Geher P, Inman RD, Khan<br />
MA, Kvien TK, Leirisalo-Repo M, Olivieri I, Pavelka K, Sieper<br />
J, Stucki G, Sturrock RD, van der Linden S, Wendling D, Bohm<br />
H, van Royen BJ, Braun J (2006), ASAS/EULAR recommendations<br />
for the management of ankylosing spondylitis. Ann<br />
Rheum Dis 65:442-452<br />
müssen, um langfristig die durch Behinderung anfallenden<br />
Kosten zu vermeiden oder zu verringern.<br />
Kosten sind aber nur ein Teil des Bildes. Ein wesentlich<br />
wichtigerer Aspekt ist, dass durch angemessene<br />
Behandlung die Lebensqualität der Betroffenen über<br />
viele Jahre hinweg verbessert wird. Ein nationales<br />
Gesundheitssystem hat die Aufgabe, die Gesundheit<br />
der Bevölkerung zu schützen (Präventivmaßnahmen)<br />
und im Krankheitsfall wieder herzustellen (Behandlung).<br />
Die Rheumatoide Arthritis fällt in beide Gebiete:<br />
Durch Behandlung der Entzündung werden aktuelle<br />
Schmerzen geheilt oder gemindert, aber potentiell<br />
auch spätere mehr oder weniger schwere Behinderungen<br />
vermieden. Die Lebensqualität der Patienten<br />
wird somit sowohl kurzfristig durch Behandlung als<br />
auch langfristig durch Prävention verbessert.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 17<br />
Dies kann am besten mit Studienbeispielen erläutert<br />
werden:<br />
● Eine Analyse der Veränderung der Lebensqualität<br />
schwedischer Patienten mit aktiver Entzündung zeigte<br />
im ersten Jahr der Behandlung mit den neuen<br />
biologischen Medikamenten (TNF-Blocker) eine sehr<br />
signifikante Verbesserung [1]. In dieser Studie wurde<br />
die Lebensqualität auf einer Skala, die üblicherweise<br />
in ökonomischen Studien angewendet wird, zwischen<br />
0 (gleichgesetzt mit Tod) und 1 (gleichgesetzt mit<br />
voller Gesundheit) gemessen (EQ5D, [2]). Die 160<br />
Patienten in der Studie hatten vor der Behandlung<br />
einen Lebensqualitätsindex von 0,28, welcher im Laufe<br />
des Jahres auf 0,65 anstieg. Eine quasi augenblickliche<br />
Verbesserung in einem Ausmaß, das sehr selten<br />
erreicht wird, und die Behandlung trotz des hohen<br />
Preises auch kurzfristig kosteneffektiv 1 machte.<br />
● Eine Anzahl von Studien hat gezeigt, wie sehr sich<br />
die Lebensqualität mit fortschreitender Behinderung<br />
verschlechtert. Als Beispiel soll eine Observationsstudie,<br />
ebenfalls aus Schweden, dienen [3, 4]. Patienten<br />
mit geringer Behinderung hatten einen Lebensqualitätsindex<br />
(EQ5D) von 0,78, verglichen zu 0,03 für<br />
Patienten im Spätstadium der Krankheit und starker<br />
Behinderung. Identische Resultate wurden in einer<br />
französischen Studie gesehen: der Index sank von<br />
0,76 zu 0,06 [5]. Verglichen mit einer alters- und geschlechtsgleichen<br />
Normalbevölkerung verloren diese<br />
Patienten jedes Jahr und in allen Krankheitsstadien<br />
etwa 30 Prozent der Lebensqualität.<br />
● Obwohl wir natürlich zur Zeit nicht messen können,<br />
wie sich die Lebensqualität aufgrund einer Behandlung<br />
mit Biologika über lange Jahre hinweg verändern<br />
wird, liegt es aufgrund dieser Daten auf der<br />
Hand, dass ein langsameres Fortschreiten der Krankheit<br />
langfristig mit besserer Lebensqualität verbunden<br />
ist. Als Beispiel eine schwedische Modellrechnung,<br />
basierend auf einer internationalen klinischen Studie<br />
und der oben erwähnten Observationsstudie [6]: Über<br />
einen Zeitraum von 10 Jahren berechnet, war eine<br />
Behandlung mit Kombinationstherapie Methotrexat/<br />
TNF-Blocker trotz einer mittleren Krankheitsdauer<br />
von fast sieben Jahren kosteneffektiv.<br />
Wir werden im Folgenden die Grundlagen der Kosteneffektivitätsanalyse,<br />
welche Finanzierungsentscheidungen<br />
im Gesundheitssystem zugrunde liegt, ganz<br />
kurz am Beispiel RA erläutern. Danach werden wir auf<br />
Unterschiede in der Versorgung, speziell bezogen auf<br />
die neuen Biologika, eingehen und – soweit überhaupt<br />
möglich – die Kausalität diskutieren.<br />
Ökonomische Studien<br />
Wir unterscheiden generell zwei Typen von ökonomischen<br />
Studien [7, 8]. Krankheitskostenstudien beschreiben<br />
die Kosten, welche durch eine Krankheit<br />
und deren Behandlung anfallen. Diese Studien schließen<br />
keine Analyse des Nutzens von Behandlungen<br />
ein und können daher nicht dazu dienen, Entscheidungen<br />
über die Finanzierung und Anwendung einer<br />
Behandlung zu treffen. Dazu werden Kosteneffektivitätsanalysen<br />
benötigt, welche jedoch oft Krankheitskostenstudien<br />
als Basisdaten verwenden.<br />
Kosteneffektivitätsanalysen dienen ausschließlich<br />
dazu, Entscheidungen für die gesamte Bevölkerung,<br />
nicht für einzelne Krankheiten oder sogar einzelne<br />
Patienten zu unterstützen. Das Ziel dieser Studien ist,<br />
durch adäquate Verteilung der Ressourcen auf die<br />
verschiedenen Krankheiten, und innerhalb dieser<br />
Krankheiten auf verschiedene Behandlungen, das<br />
Wohlbefinden der Gesamtbevölkerung zu verbessern<br />
oder zu erhalten. Also genau das, was mit einer Gesundheitspolitik<br />
und einem effizienten Gesundheitssystem<br />
erreicht werden soll.<br />
In einer Kosteneffektivitätsanalyse berechnet man die<br />
Kostenerhöhung (oder Einsparung), welche durch<br />
eine neue bessere Behandlung verglichen mit Standardbehandlung<br />
entstehen, und vergleicht diese mit<br />
dem zusätzlichen Effekt. Dadurch ergibt sich eine auf<br />
den ersten Blick sehr einfache Ratio:<br />
Kosten (alle) der neuen Behandlung minus Kosten<br />
der Standardbehandlung<br />
Klinischer Effekt der neuen Behandlung minus Effekt<br />
der Standardbehandlung<br />
d.h. Zusatzkosten/Zusatzeffekt (Graphiken 1 und 2,<br />
S. 18).<br />
Die Herausforderung bei dieser an sich einfachen<br />
Ratio liegt darin, erstens einmal alle Kosten und vor<br />
allem Veränderungen der Kostenstruktur zu eruieren,<br />
und zweitens den Effekt so zu berechnen und auszudrücken,<br />
dass er mit allen anderen Krankheiten verglichen<br />
werden kann. Dies deswegen, weil das Gesamtbudget<br />
betrachtet werden muss, wenn man allgemei-<br />
1 ”Kosteneffektiv“, im gesundheitsökonomischen Sinne, bedeutet dass die<br />
Zusatzkosten für eine Behandlung, im Vergleich zu deren zusätzlichem<br />
Effekt, „akzeptable“ sind. Im Allgemeinen wird der Effekt ausgedrückt als<br />
eine Kombination von Lebensdauer und Lebensqualität (quality-adjusted<br />
life-year, QALY), wobei Lebensjahre mit deren Qualität gewichtet werden.<br />
Obwohl es keine offizielle Grenze dafür gibt, was eine Gesellschaft für ein<br />
QALY zu zahlen bereit ist, liegt die inoffizielle Grenze in Europe bei ungefähr<br />
50.000 Euro.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 18<br />
Graphik 1: Grundlagen der ökonomischen Auswertung von Behandlungen<br />
INPUTS<br />
➤<br />
Kosten<br />
Kosten der Behandlung<br />
minus<br />
durch die Behandlung<br />
vermiedene Kosten<br />
➤ THERAPIE ➤ OUTPUTS<br />
Graphik 2: „Inkrementale Analyse“ (Zusatzkosten /Zusatzeffekt)<br />
Kosten<br />
K B<br />
K A<br />
0<br />
➤<br />
●<br />
E A<br />
K B –K A<br />
E B –E A<br />
E B –E A<br />
Behandlung A<br />
Effekt (QALY)<br />
➤<br />
Verbesserung der Gesundheit<br />
– Verringerter Krankheitsdruck<br />
– Verlängerte Lebensdauer<br />
– Verbesserte Lebensqualität<br />
Behandlung B<br />
K B –K A<br />
Inkrementale Analyse bedeutet, dass man die Zusatzkosten (K) einer (neuen) Behandlung (B), verglichen zu<br />
Standardbehandlung (A), und den zusätzlichen Effekt (E) von A verglichen mit B berechnet und als eine Ratio<br />
ausdrückt: Delta K / Delta E.<br />
●<br />
E B<br />
➤
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 19<br />
ne Vergütungs- oder Anwendungsentscheidungen<br />
trifft. Die ganz speziellen Herausforderungen bei<br />
chronisch progredienten Krankheiten wie RA liegen<br />
darin, dass das Endresultat der Behandlung nicht<br />
gemessen werden kann, da es weit in der Zukunft<br />
liegt.<br />
Die meisten europäischen Länder verwenden solche<br />
Studien heute systematisch, wenn neue Behandlungen<br />
eingeführt werden. Denn obwohl mit der medizinischen<br />
Zulassung jedes Produkt auf den Markt<br />
gebracht werden kann, gibt es dafür keineswegs<br />
automatisch eine Rückvergütung durch nationale<br />
Gesundheitsversicherungen. Mit Ausnahme von<br />
Deutschland und Großbritannien muss in allen Ländern<br />
der Einschluss ins Versicherungssystem verhandelt<br />
werden.<br />
In diesem Zusammenhang sind vor allem Pharmahersteller<br />
gezwungen, in den meisten Ländern Kosteneffektivitätsstudien<br />
vorzulegen. Selbstverständlich werden<br />
aber Entscheidungen nicht allein aufgrund der<br />
Resultate solcher Studien getroffen. Aber es kann<br />
vorkommen, dass zum Beispiel ein Produkt nur für<br />
eine ganz bestimmte Patientengruppe vergütet wird,<br />
Graphik 3: Anwendung von Biologika<br />
% of physicians<br />
%<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
5<br />
16<br />
62<br />
16<br />
EU (307)<br />
3<br />
5<br />
66<br />
26<br />
France (65)<br />
31<br />
68<br />
1<br />
Germany (65)<br />
15<br />
11<br />
52<br />
20<br />
1<br />
Italy (65)<br />
für welche es gesundheitsökonomisch gesehen am<br />
vorteilhaftesten ist.<br />
Dies ist häufig der Fall in Großbritannien, denn obwohl,<br />
wie erwähnt, keine Verhandlungen stattfinden,<br />
werden alle Behandlungen von einem „Health Technology<br />
Assessment“ Gremium, NICE, bewertet und<br />
eine Richtlinie zu deren Anwendung erarbeitet. Diese<br />
Richtlinien haben einen unmittelbaren Einfluss auf die<br />
Anwendung, oft nicht nur in Großbritannien, sondern<br />
auch in anderen Ländern. Auch Deutschland hat mit<br />
dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen<br />
(IQWiG) ein ähnliches System geschaffen.<br />
Damit steht fest, dass Kosteneffektivitätsanalysen an<br />
Bedeutung zunehmen, nicht zuletzt deswegen, weil<br />
immer mehr biotechnologische Behandlungen auf<br />
den Markt kommen, welche oft sehr teuer sind. RA ist<br />
ein gutes Beispiel dafür. Die TNF-Blocker sind kostenintensiver<br />
als die früheren „klassischen“ DMARDs,<br />
welche heute auch zu den Generika gehören.<br />
Damit liegt es natürlich für Kostenträger rein aufgrund<br />
von Budgetbetrachtungen auf der Hand, den Gebrauch<br />
dieser Produkte auf Patienten zu beschrän-<br />
4<br />
11<br />
56<br />
28<br />
Spain (57)<br />
25<br />
69<br />
5<br />
UK (55)<br />
Trad. DMARD prescription<br />
not important<br />
Failed on 3+<br />
Failed on 2<br />
Failed on 1<br />
Obwohl in Europa die medizinischen Richtlinien gleich sind (Versagen von 2 DMARDs, davon eines<br />
Methotrexate), ist die Anwendung in verschiedenen Ländern unterschiedlich.<br />
0
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 20<br />
ken, welche mit den klassischen DMARDs einen unzureichenden<br />
Effekt haben. Bei der Einführung war<br />
diese Entscheidung auch medizinisch berechtigt, da<br />
klinische Studien nur für solche Patienten vorlagen.<br />
Wenn man aber weiß, dass eine frühe effektive Intervention<br />
bei dieser Krankheit sehr wichtig ist, muss<br />
man sich die Frage stellen, welche Konsequenzen<br />
eine solche Entscheidung haben wird. Und warum in<br />
einigen Ländern die Biologika oft schon nach Versagen<br />
von ein oder zwei DMARDs angewendet werden<br />
(z.B. Frankreich, Spanien, auch Skandinavien) und<br />
in anderen Ländern erst nach drei oder mehr (z. B.<br />
Großbritannien, Deutschland) ist weder aus medizinischen<br />
noch ökonomischen Gründen verständlich<br />
(Graphik 3, S. 19).<br />
Graphik 4: Entwicklung der Arbeitsbeteiligung mit fortschreitender Krankheit<br />
80 %<br />
70 %<br />
60 %<br />
50 %<br />
40 %<br />
30 %<br />
20 %<br />
10 % %<br />
0 %<br />
% < 60 Jahre<br />
% Angestellte<br />
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 21<br />
so früh wie möglich mit den besten Mitteln behandelt<br />
werden.<br />
Beides hat mit Prävention zu tun: Präventive Behandlungen<br />
müssen oft an große Patientengruppen verabreicht<br />
werden, da man die Zielgruppe nicht genau<br />
identifizieren kann. Dies ist mit hohen Kosten verbunden,<br />
und es ist deshalb vor allem für kostspielige<br />
Behandlungen von sehr hoher Wichtigkeit, die Zielgruppe<br />
rasch zu erkennen. Frühe Behandlung dieser<br />
Gruppe wird dazu beitragen, dass Patienten länger<br />
einem normalen Leben nachgehen können, weitgehend<br />
schmerzfrei und unbehindert.<br />
Ökonomische Auswirkungen hat dies aber vor allem<br />
im Arbeitsmarkt. Studien auf dem Gebiet der RA<br />
haben ausnahmslos gezeigt, dass der Verlust der<br />
Arbeitsfähigkeit und des damit verbundenen gesellschaftlichen<br />
Produktivitätsverlustes den weitaus<br />
größten Anteil der Kosten darstellt. So machen zum<br />
Beispiel indirekte Kosten oder Produktionsausfall bei<br />
Patienten im arbeitsfähigen Alter (30 bis 65 Jahre) in<br />
Deutschland mehr als zwei Drittel der Gesamtkosten<br />
aus [9].<br />
Je nach Land, Arbeitsumgebung und Stichprobe beziehen<br />
nach 10 Jahren Krankheit bis zu 50 Prozent<br />
der Patienten eine Invalidenrente [10-13]. Im späten<br />
Stadium der Krankheit können nur ungefähr 10 Prozent<br />
der Patienten im arbeitsfähigen Alter einem Beruf<br />
nachgehen [5] (Graphik 4, S. 20).<br />
Aber auch kurzfristig, im frühen Krankheitsstadium,<br />
sind Arbeitsausfälle häufig [3], auch wenn sie zu diesem<br />
Zeitpunkt keinen Großteil der indirekten Kosten<br />
ausmachen. Dass auch diese zum Teil verhindert<br />
werden können, hat eine neue Studie gezeigt [14].<br />
Unter TNF-Blocker Behandlung gingen Krankschreibungen<br />
um mehr als 40 Prozent zurück. Eine andere<br />
Studie aus Deutschland zeigte eine Tendenz zu verringerten<br />
indirekten Kosten für RA Patienten im Jahre<br />
2001 verglichen zu 1998 (d.h. bevor die Biologika<br />
angewendet wurden) [15].<br />
Wie werden nun solche Daten in ökonomischen Modellen<br />
zum Berechnen der Kosteneffektivität von RA<br />
Behandlungen angewandt? Vereinfacht dargestellt,<br />
versucht man in diesen Modellen den „normalen“<br />
Krankheitsverlauf darzustellen, mit fortschreitender<br />
Behinderung und dadurch steigenden Kosten und<br />
sinkender Lebensqualität.<br />
Aufgrund der klinischen Resultate analysiert man<br />
dann, wie sich diese Kosten- und Lebensqualitätskurven,<br />
mit einer neuen Behandlung über einen be-<br />
stimmten Zeitraum hinweg, verändern werden (Graphik<br />
5, S. 22).<br />
Das Resultat zeigt dann, ob die Kosten der neuen<br />
Behandlung durch Einsparungen bei den Krankheitskosten<br />
kompensiert werden, und wenn nicht, wie viel<br />
man für die über Jahre hinweg verbesserte Lebensqualität<br />
(QALY) bezahlen muss.<br />
Aus dieser Darstellung ist auch klar ersichtlich, dass<br />
man ökonomische Betrachtungen in RA, und in speziellen<br />
Kosteneffektivitätsanalysen, ausschließlich über<br />
einen längeren Zeitraum hinweg betrachten muss. Es<br />
ist die Prävention, das Verhindern oder Verlangsamen<br />
der Progression der Behinderung, welche die größten<br />
Vorteile bringt. Jedes Jahr, ja sogar jeder Monat, um<br />
welche die schwereren Krankheitsstadien hinausgeschoben<br />
werden, bedeuten eine Kosteneinsparung<br />
und einen Gewinn an Lebensqualität.<br />
Die Gesamtkosten in Schweden steigen um rund<br />
5.000 Euro pro 0.5 HAQ 2 [3], in Deutschland und<br />
Frankreich ungefähr um 6.000 Euro [5, 9]. Daraus<br />
ergibt sich, dass sich Kosten durchschnittlich um fast<br />
1.000 Euro erhöhen für jede klinisch signifikante Verschlechterung.<br />
Oder anders ausgedrückt, um ungefähr<br />
420 Euro pro Jahr.<br />
Im Spiegelbild dazu senkt sich die Lebensqualität um<br />
fast 0.15 (oder 15 Prozent) für jeden halben HAQ<br />
point [3, 5]. Anders ausgedrückt, RA-Patienten verlieren<br />
pro Jahr ungefähr 0.01 QALY 3 , wobei man, wie<br />
bereits erwähnt, zusätzlich bedenken muss, dass die<br />
Lebensqualität dieser Patienten bereits etwa 20 bis<br />
30 Prozent unter derjenigen der Normalbevölkerung<br />
liegt [5].<br />
Die meisten Modellrechnungen haben gezeigt, dass<br />
TNF-Blocker – wenn angewandt für die richtigen Patienten<br />
– vom gesellschaftlichen Standpunkt gesehen<br />
kosteneffektiv sind, das heißt unter dem (inoffiziellen,<br />
im europäisch-gesundheitsökonomischen Raum ak-<br />
2 HAQ (Health Assessment Questionnaire) ist ein Standardinstrument, mit<br />
welchem sowohl in klinischen Studien als auch in klinischer Praxis die<br />
Behinderung von RA-Patienten gemessen wird. Das Instrument misst von 0<br />
(keine Behinderung) bis 3 (schwerste Behinderung). Klinisch gesehen ist<br />
eine Veränderung von 0,22 Punkten signifikant. Im Durchschnitt verschlechtern<br />
sich Patienten um 0,034 Punkte pro Jahr, wobei es natürlich<br />
viele Patienten gibt, bei welchen die Krankheit um vieles schneller fortschreitet.<br />
3 QALY’s werden berechnet durch gewichten der Lebensjahre mit deren<br />
Qualität und können somit für alle Krankheiten gleich berechnet und für<br />
Entscheidungen über Gesamtbudgets verwendet werden. Dies erklärt,<br />
weshalb Resultate von Kosteneffektivitätsanalysen im Allgemeinen als<br />
„Kosten/gewonnenem QALY“ berechnet werden.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 22<br />
Graphik 5: Basis für Kosteneffektivitätsanalyse in RA<br />
Lebensqualität<br />
➤<br />
Lebensqualitätsgewinn<br />
➤<br />
Schweregrad<br />
(auch Zeit)<br />
Die feste Linie illustriert den normalen Krankheitsverlauf, mit sinkender Lebensqualität und steigenden Kosten,<br />
während die gebrochene Linie die durch Behandlung theoretisch herbeigeführte Veränderung darstellt. Die<br />
Flächen zwischen den beiden Kurven sind dann die Verbesserung der Lebensqualität über viele Jahre hinweg, und<br />
die Kosteneinsparungen – welcher letzterer nach längerer Zeit am größten sind.<br />
zeptierten und gebräuchlichen) Schwellenwert von<br />
50.000 Euro pro QALY liegen. Trotzdem werden sie in<br />
einigen Ländern, so vor allem auch in Deutschland,<br />
weiterhin äußerst spärlich angewandt, und nicht alle<br />
Patienten der eng definierten Gruppe, welche damit<br />
behandelt werden sollten, sind es.<br />
Versorgungslage<br />
Wenn man von einer Prävalenz von 0,5 Prozent in der<br />
Bevölkerung ausgeht, gibt es in Deutschland ungefähr<br />
400.000 bis 420.000 Patienten mit RA. Eine internationale<br />
Behandlungsumfrage hat gezeigt, dass in<br />
Deutschland am Anfang dieses Jahrzehnts nur etwa<br />
32 Prozent dieser Patienten mit DMARDs behandelt<br />
wurden (COPQoL Studie, 2002). Die Zahl der mit<br />
Biologika behandelten Patienten wurde auf ganze<br />
2,1 Prozent geschätzt.<br />
➤<br />
Kosteneinsparungen<br />
t Kosten<br />
t<br />
➤<br />
➤ ➤<br />
Schweregrad<br />
(auch Zeit)<br />
Eine neuere Studie des Instituts für empirische Gesundheitsökonomie<br />
hat gezeigt, dass sich die Situation<br />
im Jahre 2006 verbessert hat [16]. Aufgrund einer<br />
Schätzung der gesetzlich versicherten RA-Patienten<br />
und der verschriebenen Tagesdosen der üblichsten<br />
klassischen DMARDs und Biologika wurde die Anzahl<br />
behandelter Patienten auf insgesamt 38 bis 39 Prozent<br />
berechnet. TNF-Blocker werden an etwa 6 Prozent<br />
abgegeben. Aufgrund der deutschen Richtlinien<br />
für diese Präparate hätten etwa 11 Prozent der Patienten<br />
Anspruch darauf.<br />
Diese Unterversorgung hat eine Anzahl Gründe, und<br />
wir erwähnen hier nur die wichtigsten. Laut Schätzungen<br />
des Kompetenznetzes Rheuma fehlen in<br />
Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern 150 bis<br />
300 Rheumatologen, um eine angemessene Versorgung<br />
zu gewährleisten (www.rheumanet.org). Damit
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 23<br />
würde der Zustand wie in anderen Ländern von<br />
1:100.000 je Einwohner in Deutschland erreicht, anstatt<br />
des derzeitigen Verhältnisses von 1:300.000 bis<br />
500.000 je nach Bundesland (Deutsche Gesellschaft<br />
für Rheumatologie, www.dgrh.de). Dadurch dauert es<br />
oft zu lange, bis Patienten einen Rheumatologen sehen,<br />
und eine dauerhafte Betreuung durch den Rheumatologen<br />
ist nicht immer möglich.<br />
Und obwohl jeder Arzt Biologika verschreiben kann,<br />
ist dies doch mit einem relativ großen Papieraufwand<br />
verbunden. Auch die Kosten der Biologika im Vergleich<br />
zu z.B. Methotrexate, dem effektivsten unter<br />
den klassischen DMARDs, spielen natürlich eine Rolle:<br />
Eine Jahrestherapie mit einem TNF-Blocker kostet<br />
15.000 bis 20.000 Euro, verglichen zu 200 bis 300<br />
Euro für Methotrexate.<br />
Graphik 6: Adoption von Biologika<br />
Patientenjahre pro 100.000 EW<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Q 0<br />
Q 2<br />
Q 4<br />
Q 6<br />
Q 8<br />
Q 10<br />
Q 12<br />
Q 14<br />
Der Preis ist jedoch, wie oben erläutert, kein adäquater<br />
Vergleichsparameter und führt oft zu Fehlentscheidungen.<br />
Um die Kosteneffektivität eines Produktes zu<br />
berechnen, müssen erstens einmal alle Kosten und<br />
auch potentiellen Einsparungen betrachtet werden,<br />
und zweitens muss dies langfristig geschehen.<br />
In Deutschland erhalten also nur etwas mehr als die<br />
Hälfte der Patienten, die tatsächlich mit Biologika behandelt<br />
werden sollten, diese auch wirklich. Das steht<br />
im krassen Gegensatz zu Ländern wie Norwegen und<br />
Schweden, wo laut einer Studie von IMS Health schätzungsweise<br />
20 bis 30 Prozent der Patienten behandelt<br />
werden (Ärzte Zeitung 31.7.2007).<br />
Ein Grund dafür ist, dass es in diesen Ländern den<br />
Rheumatologen freigestellt ist, welche Patienten be-<br />
Q 16<br />
Q 18<br />
Q 20<br />
Q 22<br />
Q 24<br />
DE R&H<br />
AUT R&H<br />
CH R<br />
F R&H<br />
B R&H<br />
UK H<br />
IRE R<br />
NL R&H<br />
SWE R&H<br />
NOR R&H<br />
FIN R&H<br />
DEN R&H<br />
ITA R&H<br />
ESP H<br />
GRC R<br />
CZR R&H<br />
SLR R<br />
HUN R&H<br />
POL R&H<br />
USA R&H<br />
(R&H – Retail and Hospital Sales)
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 24<br />
handelt werden sollten; Richtlinien sind nicht unbedingt<br />
bindend. Eine Schlussfolgerung, welche man<br />
aus diesen Zahlen jedoch auch ziehen kann, ist, dass<br />
die Richtlinie in Deutschland möglicherweise zu restriktiv<br />
ist. Offenbar betrachtet man zum Beispiel in<br />
Skandinavien, dass wesentlich mehr als 11 Prozent<br />
der Patienten diese Medikamente benötigen.<br />
Das Schlusslicht in Europa bilden Deutschland, Italien<br />
und Österreich (Graphik 6, S. 23). Daraus lässt sich<br />
auch ersehen, dass Preisunterschiede die Unterschiede<br />
in der Anwendung nicht erklären: Obwohl<br />
sich die Preise der Biologika in den europäischen<br />
Ländern in einem relativ schmalen Preisband bewegen,<br />
hat doch Italien das relativ niedrigste Preisniveau<br />
Referenzen<br />
1. Kobelt G, Eberhardt K, Geborek P. TNF-inhibitors in the<br />
treatment of rheumatoid arthritis in clinical practice: costs<br />
and outcomes in a follow-up study of patients with RA<br />
treated with etanercept or infliximab in southern Sweden.<br />
Ann Rheum Dis 2004;63:4-10.<br />
2. The EuroQol Group. EuroQol – a new facility for the<br />
measurement of health-related quality of life. Health Policy<br />
1990;16:199-208.<br />
3. Kobelt G, Lindgren P, Lindroth Y, et al. Modelling the effect<br />
of function and disease activity on costs and quality of life<br />
in rheumatoid arthritis. Rheumatology (Oxford)<br />
4.<br />
2005;44(9):1169-75.<br />
Jacobsson LT, Lindroth Y, Marsal L, et al. Rheumatoid<br />
arthritis: what does it cost and what factors are driving<br />
those costs? Results of a survey in a community-derived<br />
population in Malmo, Sweden. Scand J Rheumatol<br />
2007;36(3):179-83.<br />
5. Kobelt G, Richard B, Peeters P, Sany J. Costs and Quality<br />
of Life of Patients with RA in France. ACR abstract 2006.<br />
(Bone, Joint, Spine 2007; in press)<br />
6. Kobelt G, Lindgren P, Singh A, Klareskog L. Cost effectiveness<br />
of etanercept (Enbrel) in combination with methotrexate<br />
in the treatment of active rheumatoid arthritis<br />
based on the TEMPO trial. Ann Rheum Dis<br />
7.<br />
2005;64(8):1174-9.<br />
Kobelt G. Health Economics: Introduction to Economic<br />
Evaluation. London: Office of Health Economics; 1996.<br />
8. Drummond M, O’Brien B, Stoddart G, Torrance G. Methods<br />
for the economic evaluation of health care. Boston:<br />
Kluwer Academic Publishers; 1997.<br />
in Westeuropa. Die Graphik vergleicht auch das<br />
Wachstum der Biologika in verschiedenen Ländern.<br />
Die Berechnungen beruhen auf IMS-Daten und das<br />
Resultat ist ausgedrückt in Behandlungsjahren (errechnet<br />
aus Umsatz und durchschnittlichen Therapiejahreskosten<br />
aller TNF-Blocker), gemessen vom Zeitpunkt<br />
der Rückvergütung durch die nationalen Versicherungssysteme<br />
(Graphik 6).<br />
Daraus geht nicht nur klar hervor, dass in den anderen<br />
Ländern, mit Ausnahme von Österreich, mehr Patienten<br />
Zugang zu diesen Medikamenten haben, sondern<br />
auch, dass die wirkliche Anwendung in Deutschland<br />
erst etwa vier Jahre nach Einführung begann.<br />
© gpk<br />
9. Huscher D, Merkesdal S, Thiele K, et al. Cost of illness in<br />
rheumatoid arthritis, ankylosing spondylitis, psoriatic arthritis<br />
and systemic lupus erythematosus in Germany.<br />
Ann Rheum Dis 2006;65(9):1175-83.<br />
10. Fex E, Larsson B-M, Nived K, Eberhardt K. Impact of<br />
rheumatoid arthritis on work status and social and leisure<br />
time activities in patients followed 8 years from onset.<br />
Journal of Rheumatology 1997;25:44-50.<br />
11. Young A, Dixey J, Kulinskaya E, et al. Which patients with<br />
early RA stop working. Results from a 5-year inception<br />
cohort of 547 patients. Annals of Rheumatic Disease<br />
2002;61:335-40.<br />
12. Merkesdal S, Ruof J, Schoffski O, et al. Indirect medical<br />
costs in early rheumatoid arthritis: composition of and<br />
changes in indirect costs within the first three years of<br />
disease. Arthritis Rheum 2001;44(3):528-34.<br />
13. Chorus AM, Miedema HS, Wevers CJ, van der Linden S.<br />
Labour force participation among patients with rheumatoid<br />
arthritis. Ann Rheum Dis 2000;59(7):549-54.<br />
14. VanVollenhoven R, Ferraccioli G, Breedfeld F, et al. Effect<br />
of adalimumab combination therapy on work performance:<br />
Results from a companion study to PREMIER.<br />
Ann Rheum Dis 2007;66 Suppl II:EULAR Abstract<br />
THU0216.<br />
15. Merkesdal S, Mittendorf T, Rihi M, et al. Cost of illness in<br />
rheumatoid arthritis: the pre- and post-era of TNF Blocker<br />
introduction in Germany. Ann Rheum Dis 2007;66 Suppl<br />
II:EULAR Abstract THU0462.<br />
16. Rychlik R. Gutachten über die Unterversorgung der Arzneimittel<br />
in Deutschland: Institut für Empirische Gesundheitsökomie;<br />
2007.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 25<br />
Remission als Ziel<br />
Paradigmenwechsel in der Behandlung der Rheumatoiden Arthritis<br />
Von Erika Gromnica-Ihle<br />
Einleitung<br />
Die Rheumatoide Arthritis (RA) ist die wichtigste entzündlich-rheumatische<br />
Gelenkerkrankung. Von ihr<br />
sind 0,8 Prozent der Bevölkerung betroffen (Verhältnis<br />
Männer/Frauen = 1/3). Der durchschnittliche Erkrankungsbeginn<br />
liegt um das 55. Lebensjahr. Eine<br />
chronische Entzündung der Gelenkinnenhaut, die an<br />
den Gelenken von Händen und Füßen beginnt, führt<br />
zur Zerstörung von Gelenkknorpel und angrenzendem<br />
Knochen.<br />
Diese Zerstörungen sind im Röntgenbild sichtbar. Sie<br />
verursachen Schmerzen, Schwellungen und erhebliche<br />
Funktionseinschränkung der befallenen Gelenke.<br />
Bei 15 bis 30 Prozent der RA-Patienten werden<br />
mit konventioneller Röntgentechnik bereits im ersten<br />
Krankheitsjahr Knorpel- und Knochendestruktionen<br />
nachgewiesen. Mit MRT-Technik zeigen sich bei<br />
45 Prozent der RA-Patienten schon bei einer viermonatigen<br />
Krankheitsdauer Erosionen (McQueen et al.<br />
1998).<br />
Dabei ist die Progressionsrate der Gelenkzerstörung<br />
im ersten Erkrankungsjahr deutlich höher als im 2./3.<br />
Erkrankungsjahr (v.d.Heijde et al. 1995). Chronische<br />
Schmerzen und die Einschränkung der Aktivitäten im<br />
Alltag schränken die Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen<br />
Leben ein. In Deutschland ist bei mindestens<br />
20 Prozent der RA-Patienten bereits innerhalb<br />
der ersten Krankheitsjahre mit einer Frühberentung<br />
zu rechnen. 14 Prozent der Kranken sind pflegebedürftig.<br />
Die Lebenserwartung der RA-Patienten ist um 15 bis<br />
20 Prozent verkürzt, d.h. sie sterben durchschnittlich<br />
5 Jahre früher als Nicht-Erkrankte. Herzkreislauf-Erkrankungen<br />
sind die wichtigste Todesursache. Die<br />
hohen direkten Krankheitskosten der RA, (nach Daten<br />
der deutschen Kerndokumentation durchschnittlich<br />
4.737 Euro/Patient und Jahr) sowie die indirekten<br />
Kosten (nach Humankapitalansatz 9.201 Euro/Patient<br />
und Jahr) zeigen einen engen Bezug zum Funktionsstatus<br />
(Huscher et al. 2006). Eine frühzeitige<br />
hocheffektive Therapie der RA kann heute zu einer<br />
Remission führen.<br />
Wandel in den diagnostischen und<br />
therapeutischen Strategien<br />
In den diagnostischen und therapeutischen Methoden<br />
und Strategien ist bei der RA in den letzten Jahren ein<br />
grundlegender Wandel eingetreten. Sensibilisierung<br />
der Ärzte auf die Früherkennung, bessere Labormethoden<br />
(z.B. Einführung der Antikörper gegen cyclische<br />
citrullinierte Peptide), die Optimierung bildgebender<br />
Verfahren wie Gelenksonografie und MRT-<br />
Technik und die bessere Charakterisierung von Outcome-Parametern<br />
führen sowohl zu einer früheren<br />
Diagnostik und damit Therapieeinleitung als auch zu<br />
individuell angepassten Behandlungen.<br />
Die rechtzeitige Therapie, das heißt, bereits die Behandlung<br />
der Früharthritis, kann Gelenkzerstörungen<br />
und Behinderungen vermeiden.<br />
Therapieziel der RA: Remission<br />
Die Therapieziele bei einer RA waren bisher<br />
Schmerzminderung, Funktionsverbesserung sowie<br />
Progressionshemmung. Da in den letzten Jahren<br />
neue Klassen von Therapeutika zur Verfügung stehen<br />
und sich effektivere Behandlungsstrategien etabliert<br />
haben, ist das heutige Therapieziel bei einer frühen<br />
RA die Remission.<br />
Dabei wird letztere definiert als sehr niedrige Krankheitsaktivität<br />
bei Fortführung einer Therapie mit disease-modifying<br />
antirheumatic drugs (DMARDs).<br />
Rechtzeitige Therapie mit DMARDs<br />
Um eine Remission zu erreichen, muss die Behandlung<br />
der RA mit DMARDs rechtzeitig, am besten innerhalb<br />
der ersten drei Monate nach Auftreten der<br />
ersten Gelenksymptome, beginnen. Der Therapiebeginn<br />
in diesem „Window of opportunity“ kann durch
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 26<br />
Beeinflussung der immunologischen Prozesse zu<br />
einem Stop der Krankheitsprogression führen.<br />
Studien belegen, dass eine rechtzeitige DMARD-Therapie<br />
im Vergleich zu einem verzögerten Behandlungsbeginn<br />
nicht nur eine deutliche Verminderung<br />
der klinischen Aktivität, sondern langfristig vor allem<br />
eine günstigere Beeinflussung der Gelenkzerstörung<br />
und damit der Gelenkfunktion bedingt (Nell et al.<br />
2004).<br />
Kortikosteroide<br />
Kortikosteroide sind in den meisten Fällen bis zum<br />
Eintritt der Wirkung der DMARD-Therapie (in der Regel<br />
6 Wochen) als „Brückenmedikation“ zur Bekämpfung<br />
von Schmerz und Entzündung unverzichtbar. Die<br />
zusätzliche Gabe von Kortikosteroiden zur DMARD-<br />
Therapie kann auch im weiteren Krankheitsverlauf die<br />
Gelenkdestruktion verlangsamen, wie durch randomisierte<br />
Studien der letzten Jahre belegt werden konnte<br />
(z.B. Wassenberg et al. 2005).<br />
Bei hoher Krankheitsaktivität der RA ist daher die<br />
additive niedrig-dosierte Kortikosteroidtherapie auch<br />
im weiteren Verlauf indiziert. Dabei ist eine Osteoporoseprophylaxe<br />
unabdingbar.<br />
Welches DMARD als erstes?<br />
Über die Wahl des DMARD für die Initialtherapie gibt<br />
es keinen Konsens. Sie hängt von der Krankheitsaktivität<br />
und den Prädiktoren einer Gelenkzerstörung ab.<br />
Die zu erwartende Compliance des Patienten, auch<br />
bezüglich des Verabreichungsmodus, die notwendigen<br />
Therapiekontrollen und die Komorbidität des<br />
Kranken müssen berücksichtigt werden.<br />
Bei über 50 Prozent der RA-Patienten wird durch die<br />
deutschen Rheumatologen, wie auch international, in<br />
der Initialtherapie Methotrexat (MTX) eingesetzt.<br />
Alternativ werden Leflunomid, Sulfasalazin oder Hydroxychloroquin<br />
gewählt.<br />
Engmaschige Kontrollen und Therapieeskalation<br />
bei Krankheitsaktivität<br />
Eine engmaschige Kontrolle des Kranken und eine<br />
Therapieeskalation (Dosiserhöhung des DMARD,<br />
Kombinationen von DMARDs, zusätzlich Kortikosteroide<br />
und intraartikuläre Verabfolgung von Kortikosteroiden)<br />
bei weiter bestehender Krankheitsaktivität erhöhen<br />
die Remissionsrate bei früher RA im Vergleich<br />
zu einer Routinekontrolle.<br />
Wie in der TICORA-Studie nachgewiesen, führt eine<br />
monatliche Kontrolle (versus Untersuchung im Vierteljahresabstand)<br />
mit Adaptation der Therapie an die<br />
Krankheitsaktivität zu einer höheren Remissionsrate<br />
und geringerer Röntgenprogression und das sogar<br />
bei geringeren Kosten (Grigor et al. 2004).<br />
Kombinationstherapie<br />
Kontrollierte Studien bei früher RA (COBRA-, FIN-<br />
RACo-, BeSt-Studie) haben gezeigt, dass durch Kombination<br />
von zwei und mehr DMARDs eine deutlich<br />
höhere Effektivität – auch in Bezug auf die Röntgenprogression<br />
– im Vergleich zur Monotherapie zu erzielen<br />
ist (Boers et al. 1997, Landewé et al. 2002, Möttönen<br />
et al. 1999, Korpela et al. 2004). Zahlreiche Studien<br />
bei fortgeschrittener RA bestätigen die Überlegenheit<br />
der Kombinationstherapien, zum Beispiel einer<br />
Dreifachkombination MTX plus Sulfasalazin plus<br />
Hydroxychloroquin gegenüber der Monotherapie.<br />
Die Kombination MTX mit Cyclosporin A übertrifft die<br />
Effektivität der MTX-Monotherapie ebenfalls, ist jedoch<br />
mit höheren Kosten und engmaschigen Überwachungen<br />
verbunden. Die Kombination von MTX und<br />
Leflunomid zeigt bei MTX-Versagern ebenso sehr<br />
gute Effekte (Kremer et al. 2002). Allgemein besteht<br />
heute Übereinstimmung, dass nach Versagen einer<br />
Monotherapie spätestens nach drei Monaten eine<br />
Kombinationstherapie angestrebt werden sollte.<br />
Die Überlegenheit einer Kombinationstherapie entweder<br />
als Kombination von Kortikosteroid, MTX und<br />
Sulfasalazin oder als MTX-Infliximab-Therapie im Vergleich<br />
zu Monotherapien (sequentiell oder additiv) bei<br />
früher RA zeigt erstmals die BeST-Studie (Goekoop-<br />
Ruiterman et al. 2005). Die Kombinationstherapien<br />
waren bezüglich der klinischen Aktivität und der Röntgenprogression<br />
deutlich besser als die beschriebenen<br />
Monotherapien. Daraus lässt sich schlussfolgern,<br />
dass zumindest bei den Krankheitsfällen mit Früherosivität<br />
mit einer Kombinationstherapie begonnen werden<br />
sollte.<br />
Biologika<br />
Bei nicht ausreichendem Effekt einer Kombinationstherapie<br />
mit herkömmlichen DMARDs stehen die Biologika<br />
zur Verfügung, die ihrerseits in Kombination mit<br />
DMARDs verabfolgt werden. Die Deutsche Gesellschaft<br />
für Rheumatologie empfiehlt: „Sollte trotz konsequenter<br />
Therapie mit konventionellen Basistherapeutika<br />
(DMARD) (in der Regel mit zwei Basisthe-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 27<br />
rapeutika – eines davon Methotrexat – alleine oder in<br />
Kombination) nach sechs Monaten weiterhin eine aktive<br />
Erkrankung bestehen, ist der Einsatz von TNF-<br />
Blockern gerechtfertigt. Individuelle Besonderheiten<br />
(z. B. Kontraindikationen gegen Basistherapeutika,<br />
hohe Krankheitsprogression) können einen früheren<br />
(
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 28<br />
Therapiemaßnahmen spielen im Therapieplan eine<br />
gleichwertige Rolle. Eine außerordentliche Bedeutung<br />
kommt jedoch einer guten Kooperation zwischen<br />
Hausarzt und Rheumatologen zu.<br />
Fazit<br />
Das Therapieziel bei einer RA ist heute die Remission.<br />
Eine rechtzeitige und wenn nötig auch aggressive<br />
Therapie unter Nutzung der Biologika innerhalb von<br />
weniger als drei Monaten nach Symptombeginn und<br />
eine an die Aktivität der Erkrankung adaptierte Be-<br />
Literatur<br />
Boers M, Verhoeven AC, Markusse HM et al. Randomised<br />
comparison of combined step-down prednisolone, methotrexate<br />
and sulphasalazine with sulphasalazine alone in early<br />
rheumatoid arthritis. Lancet. 1997; 350:309-18<br />
Breedveld FC, Weisman MH, Kavanaugh AF et al. The PRE-<br />
MIER study: A multicenter, randomized, double-blind clinical<br />
trial of combination therapy with adalimumab plus methotrexate<br />
versus methotrexate alone or adalimumab alone in patients<br />
with early, aggressive rheumatoid arthritis who had not had<br />
previous methotrexate treatment. Arthritis Rheum. 2006;<br />
54:26-37<br />
Emery P, Fleischmann R, Filipowicz-Sosnowska A et al. The<br />
efficacy and safety of rituximab in patients with active rheumatoid<br />
arthritis despite methotrexate treatment: results of a phase<br />
IIB randomized, double-blind, placebo-controlled, doseranging<br />
trial. Arthritis Rheum. 2006; 54:1390-1400<br />
Goekoop-Ruiterman YP, de Vries-Bouwstra JK, Allaart CF et<br />
al. Clinical and radiographic outcomes of four different treatment<br />
strategies in patients with early rheumatoid arthritis (the<br />
BeSt Study): a randomized, controlled trial. Arthritis Rheum.<br />
2005; 52:3381-90<br />
Grigor C, Capell H, Stirling A et al. Effect of a treatment<br />
strategy of tight control for rheumatoid arthritis (the TICORA<br />
study): a single-blind randomised controlled trial. Lancet. 2004;<br />
364:263-9<br />
van der Heijde DM, van Leeuwen MA, van Riel PL et al.<br />
Radiographic progression on radiographs of hands and feet<br />
during the first 3 years of rheumatoid arthritis measured according<br />
to Sharp’s method (van der Heijde modification). J Rheumatol.<br />
1995; 22:1792-6<br />
van der Heijde DM, Klareskog L, Rodriguez-Valverde V et al.<br />
Comparison of etanercept and methotrexate, alone and combined,<br />
in the treatment of rheumatoid arthritis: two-year clinical<br />
and radiographic results from the TEMPO study, a doubleblind,<br />
randomized trial. Arthritis Rheum 2006; 54:1063-74<br />
Huscher D, Merkesdal S, Thiele K et al. Cost of illness in<br />
rheumatoid arthritis, ankylosing spondylitis, psoriatic arthritis<br />
and systemic lupus erythematosus in Germany. Ann Rheum<br />
Dis. 2006; 65:1175-83<br />
Korpela M, Laasonen L, Hannonen P et al. Retardation of joint<br />
damage in patients with early rheumatoid arthritis by initial<br />
aggressive treatment with disease-modifying antirheumatic<br />
drugs: five-year experience from the FIN-RACo study. Arthritis<br />
Rheum. 2004; 50:2072-81<br />
handlung unter Nutzung valider Messinstrumente entsprechend<br />
der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft<br />
für Rheumatologie „Management der frühen Rheumatoiden<br />
Arthritis“ sind heute unverzichtbar.<br />
Die Leitung der Therapie bei einer RA muss durch<br />
einen Rheumatologen in enger Kooperation mit dem<br />
Hausarzt erfolgen. Früharthritissprechstunden und<br />
entsprechende Versorgungsmodelle müssen den flächendeckenden<br />
Zugang zum Rheumatologen gewährleisten.<br />
© gpk<br />
Kremer JM, Genovese MC, Cannon GW et al. Concomitant<br />
leflunomide therapy in patients with active rheumatoid arthritis<br />
despite stable doses of methotrexate. A randomized, doubleblind,<br />
placebo-controlled trial. Ann Intern Med. 2002; 137:726-<br />
33<br />
Kremer JM, Genant HK, Moreland LW et al. Effects of abatacept<br />
in patients with methotrexate-resistant active rheumatoid<br />
arthritis: a randomized trial. Ann Intern Med. 2006; 144:865-76<br />
Landewé RB, Boers M, Verhoeven AC et al. COBRA combination<br />
therapy in patients with early rheumatoid arthritis: longterm<br />
structural benefits of a brief intervention. Arthritis Rheum.<br />
2002; 46:347-56<br />
Manger B, Michels H, Nüsslein HG et al. Kommission Pharmakotherapie<br />
der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie.<br />
Neufassung der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft<br />
für Rheumatologie zur Therapie mit Tumornekrosefaktor-hemmenden<br />
Wirkstoffen bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen<br />
(Stand März 2006). http://www.dgrh.de<br />
McQueen FM, Stewart N, Crabbe J et al. Magnetic resonance<br />
imaging of the wrist in early rheumatoid arthritis reveals a high<br />
prevalence of erosions at four months after symptom onset.<br />
Ann Rheum Dis. 1998; 57:350-6<br />
Möttönen T, Hannonen P, Leirisalo-Repo M et al. Comparison<br />
of combination therapy with single-drug therapy in early rheumatoid<br />
arthritis: a randomised trial. FIN-RACo trial group.<br />
Lancet. 1999; 353:1568-73<br />
Nell VP, Machold KP, Eberl G et al. Benefit of very early referral<br />
and very early therapy with disease-modifying anti-rheumatic<br />
drugs in patients with early rheumatoid arthritis. Rheumatology<br />
(Oxford). 2004; 43:906-14<br />
St Clair EW, van der Heijde DM, Smolen JS et al. Combination<br />
of infliximab and methotrexate therapy for early rheumatoid<br />
arthritis: a randomized, controlled trial. Arthritis Rheum. 2004;<br />
50:3432-43<br />
Wassenberg S, Rau R, Steinfeld P et al. Very low-dose prednisolone<br />
in early rheumatoid arthritis retards radiographic<br />
progression over two years: a multicenter, double-blind, placebo-controlled<br />
trial. Arthritis Rheum. 2005; 52:3371-80<br />
Wollenhaupt J, Alten R, Burkhardt H et al. Aktuelle Therapiestrategien<br />
bei rheumatoider Arthritis: Entzündung rasch beherrschen<br />
ist entscheidend für die Prognose. MMW Fortschr<br />
Med. 2006; 148(42):38-42
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 29<br />
Arbeitsfähig trotz schwerer<br />
Rheumatoider Arthritis<br />
Moderne biologische Wirkstoffe verringern die Krankheitskosten<br />
Von Klaus Krüger<br />
Chronische entzündlich-rheumatische Erkrankungen<br />
wie die Rheumatoide Arthritis (RA) oder die ankylosierende<br />
Spondylitis zählen zu den teuersten Krankheiten<br />
der gesamten Medizin. Hierzu tragen neben<br />
den direkten Kosten (Aufwendungen für Medikamente<br />
und weitere Therapien, Arzt- und Krankenhauskosten<br />
etc.) im Langzeitverlauf zunehmend indirekte<br />
Kosten wie Arbeitsunfähigkeit und Invalidisierung bei.<br />
Berücksichtigt man zusätzlich die relativ hohe Prävalenz<br />
(im Falle der RA rund 0.8 Prozent, d.h. etwa<br />
600.000 Patienten in Deutschland), so lässt sich die<br />
sozialmedizinische Bedeutung dieser Krankheiten<br />
und ihrer Kosten unschwer entnehmen.<br />
Erfreulicherweise haben sich die Behandlungsmöglichkeiten<br />
für die RA und weitere entzündlich-rheumatische<br />
Erkrankungen in den letzten zehn Jahren dramatisch<br />
verbessert, wozu vor allem die Einführung<br />
der TNF-alpha-Hemmstoffe (TNF-Blocker) beigetragen<br />
hat. Es handelt sich hierbei allerdings um ein, im<br />
Vergleich zu früheren, weniger erfolgreichen Therapien,<br />
kostenintensives Behandlungsprinzip.<br />
Im nachfolgenden Beitrag wird am Beispiel der RA,<br />
als häufigster entzündlich-rheumatischer Erkrankung,<br />
aufgezeigt, dass sich hierdurch zwar die Kosten<br />
für die medikamentöse Therapie erhöhen, die Krankheits-Gesamtkosten<br />
jedoch durch den verbesserten<br />
Outcome durchaus deutlich verringert werden<br />
können.<br />
Krankheitslast der Rheumatoiden Arthritis<br />
Die RA ist eine schwere Erkrankung mit einem im<br />
unbehandelten oder schlecht behandelten Status<br />
fortschreitend-zerstörerischen Charakter. Destruierende<br />
Prozesse spielen sich nicht nur an Knorpel und<br />
Knochen, sondern auch am gelenknahen Bindegewebe,<br />
z.B. Sehnen und Sehnenscheide, Gelenkkapsel<br />
und Schleimbeuteln ab.<br />
Funktionsverlust der Gelenke und Fehlstellungen sind<br />
wichtige Folgen. Der systemische Charakter der Er-<br />
krankung bewirkt zusätzlich, dass neben Allgemeinbeschwerden<br />
wie Müdigkeit, Fieber oder Gewichtsverlust<br />
auch Organe angegriffen werden können und<br />
es in einem Teil der Fälle zur Blutgefäßentzündung<br />
(Vaskulitis) mit Durchblutungsstörungen kommt.<br />
Als unmittelbare Folge von Zerstörungen und Fehlstellungen<br />
verschlechtert sich der generelle Funktionsstatus<br />
des Rheumatikers kontinuierlich, was wiederum<br />
zunehmende Immobilisierung und Einschränkung<br />
der Arbeitsfähigkeit im Beruf wie auch im Haushalt<br />
bedingt. Dementsprechend besteht zwischen der<br />
numerischen Einschränkung des Funktionsstatus -<br />
erfasst z.B. in Deutschland durch den Funktionsfragebogen<br />
Hannover (FFbH) oder international durch den<br />
Health Assessment Questionnaire (HAQ) – und dem<br />
Ausmaß der Arbeitsunfähigkeit ein enger Bezug (Zink<br />
2004). Generell weisen RA-Patienten im ersten<br />
Krankheitsjahr bereits eine Arbeitsunfähigkeitsrate<br />
von 20 Prozent auf (Lacaille 2005), nach zwei Jahren<br />
von rund 33 Prozent (Barrett 2000), nach 15 Jahren<br />
sind nur noch rund 25 Prozent der Patienten vollzeitbeschäftigt.<br />
Unter den häufigeren rheumatischen Systemerkrankungen<br />
sind bei RA-Patienten insgesamt in Deutschland<br />
die geringsten Beschäftigungsraten festzustellen<br />
(Mau 2005).Schwerer zu quantifizieren und kaum direkt<br />
auf die Krankheitskosten anzurechnen, aber nicht<br />
minder gravierend für den einzelnen Patienten, ist der<br />
immense Verlust an Lebensqualität, den Rheumatiker<br />
– in Abhängigkeit vom individuellen Schweregrad ihrer<br />
Erkrankung – erleiden.<br />
Nicht zuletzt sorgt der schwere systemische Krankheitsprozess<br />
auch für eine deutlich erhöhte Mortalität.<br />
Die Lebenserwartung von RA-Patienten ist im Vergleich<br />
zur Normalbevölkerung um mehr als zehn Jahre<br />
reduziert (Gabriel 2001, Symmons 2002). Bei hoher<br />
Krankheitsaktivität lag die 5-Jahres-Überlebensrate<br />
im Zeitalter vor Einführung der TNF-Blocker-Therapie<br />
bei 45 bis 55 Prozent. Diese Mortalität ist vergleichbar<br />
mit einer kardialen Dreigefäß-Erkrankung
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 30<br />
oder M. Hodgkin Stadium IV b (Pincus 1994). Auch<br />
hier ist ein direkter Bezug zum Funktionsstatus festzustellen,<br />
parallel zu dessen Verschlechterung nimmt<br />
die Mortalität zu.<br />
Die SMR erreicht bei Patienten mit einem HAQ > 1.8<br />
einen Maximalwert von 5.7, d.h. Patienten mit dieser<br />
massiven Funktionseinschränkung weisen gegenüber<br />
der Normalbevölkerung eine fast sechsfach erhöhte<br />
Mortalität auf (Wolfe 1994). Die wichtigste Todesursache<br />
für RA-Patienten ist nach neueren Erkenntnissen<br />
die deutlich gesteigerte kardiovaskuläre<br />
Komorbidität. So ist z.B. bei seropositiven RA-Patienten<br />
das Risiko für plötzlichen Herztod mehr als doppelt<br />
so hoch als in der Normalbevölkerung (Maradit-<br />
Kremers 2005).<br />
Klinische Wirksamkeit der TNF-Inhibitoren im<br />
Vergleich zu traditionellen Basistherapeutika<br />
Drei TNF-alpha-Hemmstoffe stehen seit einigen Jahren<br />
für die Behandlung der RA zur Verfügung, ihre<br />
wesentlichen Eigenschaften sind in Tabelle 1 zusammengefasst.<br />
Bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit<br />
sind diese drei Wirkstoffe ähnlich zu beurteilen.<br />
Generell bedeutete die Einführung der TNF-Blocker<br />
ein neues Zeitalter für die Behandelbarkeit der RA<br />
und anderer rheumatischer Systemerkrankungen wie<br />
der ankylosierenden Spondylitis (Morbus Bechterew).<br />
Lag das Therapieziel früher in der Epoche der klassischen<br />
Basistherapeutika, z.B. Goldpräparate, darin,<br />
den fortschreitend-zerstörerischen Verlauf zu bremsen,<br />
so ist heute bei rechtzeitig erkannter Diagnose<br />
und frühzeitig begonnener adäquater Therapie die<br />
komplette Remission das Ziel. Hierunter ist einerseits<br />
das Fehlen klinischer Symptome, des Weiteren aber<br />
auch die komplette Verhinderung von Destruktionen<br />
und ein intakter Funktionsstatus zu verstehen.<br />
Tabelle 1: Derzeit zugelassene TNF-Inhibitoren und ihre Eigenschaften<br />
Auch mit herkömmlichen modernen Basistherapeutika,<br />
die nach den gültigen Therapieempfehlungen<br />
(Manger 2007) nach wie vor die Ersttherapie der<br />
gesicherten RA darstellen, ist diese Remission in<br />
einem kleineren Teil der Fälle erreichbar. Mit Methotrexat<br />
(Mtx), welches heute in der Regel als erstes<br />
Basistherapeutikum zum Einsatz kommt, kann bei<br />
früher RA in bis zu 40 Prozent der Fälle eine Remission<br />
erreicht werden (Goekoop-Ruitermans 2005).<br />
Dieser Anteil kann durch die Verwendung einer Kombinationstherapie<br />
mehrerer Basistherapeutika nochmals<br />
gesteigert werden (Grigor 2004), dieser nächste<br />
Schritt ist auch in den Therapieempfehlungen für den<br />
Normalfall vorgesehen. Es verbleibt dann jedoch ein<br />
beträchtlicher Anteil an Patienten, welche mit dieser<br />
Strategie nicht ausreichend einzustellen sind.<br />
TNF-Blocker sind – insbesondere bei Einsatz in Kombination<br />
mit Mtx – in der Lage, den Anteil der Patienten<br />
in Remission erheblich zu vergrößern und bei den<br />
meisten übrigen Patienten zumindest eine befriedigende<br />
Einstellung zu bewirken, so dass letztlich nur<br />
ein kleiner Rest mit hoher Krankheitsaktivität verbleibt.<br />
In zahlreichen kontrollierten Studien konnte gezeigt<br />
werden, dass etwa doppelt so viele Patienten mit<br />
früher RA unter der Kombination TNF-Blocker + Mtx<br />
eine Remission erreichen wie in der jeweiligen Kontrollgruppe<br />
unter Placebo+Mtx. Abbildung 1 (S. 31)<br />
zeigt als typisches Beispiel die Ergebnisse der PRE-<br />
MIER-Studie mit Adalimumab+Mtx (Breedveld 2006).<br />
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Auswertung<br />
von in der rheumatologischen Praxis behandelten<br />
Patienten (deutsches TNF-Blocker-Register<br />
RABBITT), Patienten unter TNF-Blocker besaßen hier<br />
eine doppelt so große Chance auf Remission wie<br />
Patienten unter Basistherapie (Listing 2006).<br />
Wirkstoff Typ Verabreichung Häufigkeit<br />
Adalimumab Vollhumaner monoklonaler<br />
Antikörper<br />
subkutan alle 2 Wochen<br />
Etanercept lösliches Rezeptorfusionsprotein<br />
subkutan 1–2 x wöchentlich<br />
Infliximab Chimärer monoklonaler i.v.- Infusion nach Aufsättigung<br />
Antikörper (enthält auch<br />
Mausproteine)<br />
alle 8 Wochen*<br />
* Häufigere Gabe (z. B. alle 6 Wochen) bei ungenügender Wirksamkeit möglich
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 31<br />
Abb. 1: PREMIER-Studie – Placebo + Mtx vs. Adalimumab+Mtx bei früher RA – Anteil der Patienten<br />
in Remission<br />
%<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
Remiss. % 1 Jr. Remiss. % 2 Jr.<br />
799 Patienten mit hoher Krankheitsaktivität, ØKrankheitsdauer 0.7 Jahre<br />
Besonders eindrucksvoll stellt sich der Unterschied<br />
zwischen den Fähigkeiten der Basistherapeutika und<br />
den TNF-Blocker bei der Verhinderung von fortschreitenden<br />
Zerstörungen dar, die im Röntgenstatus erfasst<br />
werden. In allen kontrollierten Studien, bei denen<br />
diese Zielgröße untersucht wurde, zeigte sich,<br />
dass nur die Kombination TNF-Blocker+Mtx eine komplette<br />
Blockierung der krankheitstypischen Progression<br />
knöcherner Zerstörungen bewirkte. Auch hier liefert<br />
die mit Adalimumab durchgeführte PREMIER-<br />
Studie ein typisches Beispiel (Abbildung 2, S. 32). Ein<br />
interessanter Nebenaspekt: Auch bei Patienten mit<br />
nicht so gutem klinischem Ansprechen auf die Kombination<br />
ist vielfach diese Blockierung von Zerstörungen<br />
zu beobachten.<br />
Die oben beschriebene krankheitstypisch gesteigerte<br />
Mortalität wie auch ihre wichtigste Ursache, die kardiovaskuläre<br />
Comorbidität, werden durch den Einsatz<br />
von TNF-Blockern ebenfalls in dramatischer Weise<br />
reduziert. So konnte in einer amerikanischen Langzeit-Kohortenstudie<br />
mit fast 20.000 Patienten gezeigt<br />
werden, dass die mit TNF-Blocker + Mtx behandelten<br />
Patienten eine Reduzierung des relativen Risikos<br />
(RR) für Todesfall auf 0.65 im Vergleich zu Patienten<br />
unter Basistherapie (RR 1.0) aufwiesen (Michaud<br />
2005).<br />
Das Herzinfarkt-Risiko für RA-Patienten war in eine<br />
kürzlich auf dem europäischen Rheumatologie-Kongress<br />
vorgestellten Fall-Kontroll-Studie mit mehr als<br />
Mtx<br />
Mtx+Ada<br />
19.000 Patienten für die Patienten unter TNF-Blocker<br />
+ Mtx im Vergleich zur Mtx-Monotherapie-Gruppe auf<br />
ein Fünftel reduziert (Singh 2007). Zu ähnlichen Resultaten<br />
kommt eine in Schweden durchgeführte Vergleichsstudie<br />
zwischen zwei Kohorten unter Basistherapie<br />
bzw. TNF-Blocker (Jacobsson 2005): Hier lag<br />
die Rate akuter kardiovaskulärer Ereignisse in der<br />
Basistherapie-Gruppe bei 35.4, in der TNF-Blocker-<br />
Gruppe bei 14.0 pro 1.000 Patientenjahre.<br />
Steigerung der Arbeitsproduktivität und weitere<br />
Einsparmöglichkeiten durch TNF-Blocker<br />
Rechnerisch lassen sich Einsparpotentiale durch effektivere<br />
Therapiemaßnahmen am Beispiel reduzierter<br />
Krankenhauskosten und verbesserter Arbeitsproduktivität<br />
besonders gut darstellen. Insbesondere<br />
letztere Größe wurde in jüngster Zeit in einigen Studien<br />
intensiv untersucht. Hierunter ist mit der soeben<br />
auf dem europäischen Rheumatologie-Kongress vorgestellten<br />
PROWD-Studie erstmals eine Untersuchung,<br />
bei der Arbeitsplatz-Verlust der primäre Endpunkt<br />
war (Bejarano 2007).<br />
Kontrolliert wurde hier der Verlauf der Arbeitsproduktivität<br />
über 56 Wochen bei 148 Patienten in den beiden<br />
Behandlungsgruppen Mtx + Adalimumab und<br />
Mtx + Placebo verglichen. Der Anteil der Patienten mit<br />
Arbeitsplatzverlust lag in der Mtx-Gruppe mit<br />
39,7 Prozent mehr als doppelt so hoch als in der
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 32<br />
Abb. 2: PREMIER-Studie – Placebo + Mtx vs. Adalimumab+Mtx bei früherer RA – Fortschreiten der<br />
radiologischen Veränderungen in den beiden Monotherapie-Gruppen (Dreieck: Mtx, Raute Adalimumab)<br />
und in der Kombination (Quadrat)<br />
Veränderung vom<br />
Ausgangswert<br />
Adalimumab-Gruppe mit 18,7 Prozent, ebenso der<br />
mittlere Arbeitsplatzverlust mit 18,4 Prozent vs. 8,6<br />
Prozent.<br />
In einer im Rahmen der oben aufgeführten kontrollierten<br />
PREMIER-Studie durchgeführten Begleituntersuchung<br />
bot die mit Adalimumab + Mtx behandelte<br />
Gruppe eine ähnliche Überlegenheit mit durchschnittlich<br />
11.1 Arbeitsausfallstagen im Vergleich zu 24 Tagen<br />
in der Mtx + Placebo-Gruppe (van Vollenhoven<br />
Anteil der noch im Arbeitsleben<br />
stehenden Patienten in [%]<br />
12<br />
10<br />
8<br />
100<br />
6<br />
5,7<br />
** 5,5<br />
4<br />
2<br />
0<br />
3,5<br />
**<br />
2,1<br />
*<br />
0,8<br />
**<br />
3<br />
*<br />
1,3<br />
* 1,9<br />
0 26 52 78 104<br />
Behandlungszeitraum (Wochen)<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
■<br />
◆<br />
▲<br />
Adalimumab + MTX<br />
Adalimumab<br />
MTX<br />
* p
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 33<br />
als in der Basistherapie-Gruppe. Die Wahrscheinlichkeit<br />
einer Berufsaufgabe lag in der Basistherapie-<br />
Gruppe um 64 Prozent höher.<br />
Alle drei frisch publizierten Studien belegen eindrucksvoll<br />
das Einsparpotential der von den reinen<br />
Medikamentenkosten her „teureren“ Therapie über<br />
die deutlich gesteigerte Arbeitsproduktivität. Dabei ist<br />
zusätzlich zu bedenken, dass hier ein Zeitraum von<br />
maximal zwei Jahren untersucht wurde, sich dieser<br />
Vorteil aber bei einer möglicherweise frühzeitig manifesten<br />
und chronischen Erkrankung über Jahrzehnte<br />
auswirken könnte. Dies ist vorerst allerdings in Anbetracht<br />
des noch jungen Therapieprinzips nur zu vermuten.<br />
Eine Vergleichsstudie zweier RA-Kohorten mit fast<br />
identischen Krankheitsmerkmalen aus den Jahren<br />
1998 (vor Zulassung der TNF-Blocker) und 2001 (hier<br />
waren bereits TNF-Blocker-behandelte Patienten integriert)<br />
mit Berechnung der Krankheitskosten stellte<br />
eine Arbeitsgruppe aus Hannover auf dem jüngsten<br />
europäischen Rheumatologie-Kongress vor (Merkesdal<br />
2007).<br />
Wie zu erwarten, lagen die Medikamentenkosten mit<br />
durchschnittlich 1.020 Euro/Patient doppelt so hoch<br />
wie 1998 (510 Euro). Dem standen jedoch gravierende<br />
Einsparungen u.a. in den Bereichen Arbeitsausfall<br />
(1.260 vs. 1.800 Euro) und Krankenhauskosten (560<br />
vs. 1.240 Euro), dazu auch in den Bereichen Invalidität,<br />
Arztbesuche und Kosten für sonstige medizinische<br />
Aufwendungen, gegenüber. Erstmals wird hier in<br />
einem Real-Modell mit konkreten Zahlen unter den<br />
Gegebenheiten des deutschen Gesundheitssystems<br />
demonstriert, dass bei einer Bilanzierung von (bei<br />
TNF-Blocker-Einsatz erhöhten) Medikamentenkosten<br />
und sonstigen für den RA-Patienten relevanten Kostenfaktoren<br />
in der Endbilanz ein Plus herauskommt:<br />
Die durchschnittlichen Gesamtkosten pro RA-Patient<br />
lagen in der Kohorte von 1998 bei 5.570 Euro, im Jahr<br />
2001 bei 3.850 Euro jährlich!<br />
Literatur<br />
Barrett EM, et al. Rheumatology 2000;39:1403-1409.<br />
Bejarano F et al., Ann Rheum Dis 2007; Suppl.1, Abstr.<br />
THU0167.<br />
Breedveld F et al., Arthritis Rheum 2006; 54: 26 -37.<br />
Gabriel SF, Rheum Dis Clin North Am 2001; 27: 269-281.<br />
Goekoop-Ruiterman YPM et al., Arthritis Rheum 2005; 52:<br />
3381-3390.<br />
Grigor C et al., Lancet 2004; 364: 263-269.<br />
Halpern et al., Ann Rheum Dis 2007; Suppl.1, Abstr. THU0152.<br />
Jacobsson L et al., J Rheumatol 2005; 32: 1213 - 1218.<br />
Lacaille D et al, J Rheumatol 2005; 32 : 42-45.<br />
Listing J et al, Arthritis Res Ther 2006; 8: R66.<br />
Manger B et al., Z Rheumatol 2007; Epub Jan 12.<br />
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen<br />
Bessere Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere<br />
die TNF-Blocker-Therapie, erlauben heute für früher<br />
schwer behandelbare zerstörerische und invalidisierende<br />
rheumatische Erkrankungen wie die RA die<br />
Formulierung neuer ehrgeiziger Therapieziele, so der<br />
kompletten Remission.<br />
Ein deutliches Plus an klinischer Wirksamkeit, Destruktions-Verhinderung,<br />
und Lebensqualität für die<br />
Betroffenen im Vergleich zu den früheren Therapieverfahren,<br />
außerdem die Beseitigung der Mortalitäts-<br />
Steigerung, wird allerdings mit höheren Kosten dieser<br />
Therapie erkauft. Über die reine Registrierung der<br />
klinischen Effektivität hinaus tritt deshalb – im Sinne<br />
einer kompletten Kosten-Nutzen-Analyse – die Frage<br />
in den Vordergrund, ob eine solche effektive Therapie<br />
auch Einsparpotenziale beinhaltet.<br />
Solche Einsparungen sind sowohl im Bereich der<br />
direkten Kosten (Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte,<br />
Begleittherapien), als auch insbesondere im<br />
Bereich der indirekten Kosten (Arbeitsproduktivität,<br />
Invalidisierung) zu erwarten. Da unterschiedliche<br />
Adressaten von den Einsparungen profitieren, während<br />
die höheren Medikamentenkosten in erster Linie<br />
die Krankenversicherungen betreffen, sollte es Aufgabe<br />
der Gesundheitspolitik sein, eine zusammenführende<br />
Gesamtanalyse vorzunehmen und hieraus<br />
Schlüsse zu ziehen.<br />
Die wissenschaftliche Erarbeitung valider Daten zur<br />
Kosten-Nutzen-Analyse speziell in der Therapie mit<br />
TNF-Blockern ist in den letzten Jahren immer mehr in<br />
den Mittelpunkt des Interesses getreten. Speziell zur<br />
Zunahme der Arbeitsproduktivität sind dabei in kontrollierten<br />
Studien bereits Daten erarbeitet worden,<br />
die eine deutliche Verbesserung der Arbeitsfähigkeit<br />
und Reduzierung der – in früherer Zeit fast obligatorischen<br />
– Invalidisierung nachhaltig belegen.<br />
© gpk<br />
Maradit-Kremers HM et al., Arthritis Rheum 2005; 52: 722 -<br />
732.<br />
Mau W et al., J Rheumatol 2005;32:721 - 728.<br />
Merkesdal S et al., Ann Rheum Dis 2007; Suppl.1, Abstr.<br />
THU0462.<br />
Michaud K et al., Arthritis Rheum 2005; 52, Suppl., Abstr. 296.<br />
Pincus T et al., Ann Intern Med 1994; 120: 26-34.<br />
Singh G et al., Ann Rheum Dis 2007; Suppl.1, Abstr. OP0106.<br />
Symmons D et al., Rheumatology 2002; 41: 793-800.<br />
Van Vollenhoven et al., Ann Rheum Dis 2007; Suppl.1,<br />
Abstr.THU0216.<br />
Wolfe F et al., Arthritis Rheum 1994; 37: 481 - 494.<br />
Zink A et al., Bundesgesundheitsblatt 2004; 47: 526 - 532.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 34<br />
Volkskrankheit Rheuma<br />
Versorgungsqualität trotz fragwürdiger ökonomischer Anreize<br />
Von Herbert Rebscher<br />
Unter „Rheuma“ versteht der Volksmund ein Bündel<br />
verschiedener Krankheiten. Dieser Beitrag beschäftigt<br />
sich mit der Rheumatoiden Arthritis (RA) als der<br />
häufigsten chronisch-entzündlichen Gelenkerkrankung.<br />
Auch bei genauerer Definition gehört diese zu<br />
den großen Volkskrankheiten. Etwa ein Prozent der<br />
erwachsenen Bevölkerung leidet unter einer RA, wobei<br />
Frauen im Vergleich zu Männern drei- bis viermal<br />
häufiger betroffen sind. Die Erkrankung beginnt vielfach<br />
bereits zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Ab<br />
dem 55. Lebensjahr steigt die Anzahl der Betroffenen<br />
auf rund zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung.<br />
Die Rheumatoide Arthritis verursacht erhebliche direkte<br />
und indirekte Kosten im Gesundheitswesen mit<br />
den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf<br />
das volkswirtschaftliche Produktivitätsergebnis. So<br />
sind z.B. im Jahr 2006 etwa 3.000 Kunden der Deutschen<br />
Angestellten-Krankenkasse (DAK) mit dieser<br />
Diagnose arbeitsunfähig erkrankt. Gut ein Fünftel<br />
hiervon mit einem derart ausgeprägten Schweregrad,<br />
dass die Kasse Krankengeld in mehrstelliger Millionenhöhe<br />
zahlen musste.<br />
Erschwerend kommt bei einer epidemiologischen<br />
Betrachtung hinzu, dass die Erkrankung unabhängig<br />
vom Alter des betroffenen Patienten einen progredienten<br />
Verlauf nimmt und zu stetig steigenden Einschränkungen,<br />
z.B. in der Organisation des täglichen<br />
Lebens des Betroffenen, führt. Deshalb muss im Zentrum<br />
eines jeden innovativen Versorgungsansatzes<br />
rheumatologischer Erkrankungen die frühzeitige Diagnostik<br />
und nachhaltige Behandlung stehen.<br />
Vor dem Hintergrund, dass heute ein großer Teil der<br />
Patienten gar nicht oder nur unzureichend behandelt<br />
wird, hat die DAK sich entschieden, die Versorgung<br />
der an Rheuma Erkrankten zu verbessern. Moderne<br />
Versorgungsangebote sollen den Menschen das Leben<br />
und den Umgang mit ihrer Krankheit erleichtern.<br />
Ziel muss sein, mehr sektorübergreifende und interdisziplinär-fachübergreifende<br />
Versorgungsformen<br />
aufzubauen, um Betroffene frühzeitig zu identifizieren<br />
und schnell einer adäquaten Behandlung zuzuführen.<br />
Dazu gehört auch eine individuelle Begleitung, orientiert<br />
an qualitätsgesicherten Behandlungspfaden.<br />
Dabei muss allen Beteiligten klar sein, dass sich eine<br />
derartige Behandlung der Rheumapatienten über<br />
neue Versorgungsformen zu einem lebenden System<br />
entwickelt, das ständig an den jeweils aktuellen nationalen<br />
und internationalen Leitlinien der Fachgesellschaften<br />
orientiert sein muss.<br />
In diesem Kontext geht es konkret darum,<br />
● eine Kontinuität der Versorgungsabläufe ohne zeitliche<br />
und inhaltliche Brüche,<br />
● eine signifikante und messbare Verringerung der<br />
Krankheitsaktivität,<br />
● eine anhaltende und messbare Besserung von<br />
Funktionsdefiziten,<br />
● eine Steigerung der Lebensqualität und Leistungsfähigkeit,<br />
● eine Vermeidung bzw. eine Verkürzung von vollstationären<br />
Krankenhausaufenthalten,<br />
● eine Minderung von Arbeitsunfähigkeitszeiten<br />
sowie<br />
● eine Verringerung der Schmerzintensität bzw.<br />
Verlängerung der schmerzfreien Zeiträume<br />
zu erreichen.<br />
Mangel an Rheumatologen<br />
Nach den vom deutschen Rheumaforschungszentrum<br />
Berlin vorgelegten Zahlen betrug die Zeitspanne<br />
zwischen Diagnostik und Einbindung fachärztlicher<br />
Kapazitäten im Jahr 2004 durchschnittlich 1,1 Jahre.<br />
Demnach besteht ein wesentliches Problem zweifelsfrei<br />
in den lediglich begrenzt zur Verfügung stehenden<br />
fachärztlichen Kapazitäten für rheumatologische Erkrankungen.<br />
Von großer Bedeutung ist deshalb, dass im Bereich<br />
der hausärztlichen Versorgung stärker als bisher<br />
durch spezielle Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen<br />
neue Behandlungsressourcen geschaffen werden.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 35<br />
Entsprechende Schulungsangebote wurden bereits<br />
entwickelt, z.B. durch die Deutsche Rheumaliga in<br />
Kooperation mit dem Hausärzteverband, dem Berufsverband<br />
Deutscher Rheumatologen und der Rheumaakademie.<br />
Durch die gezielte prä- und postfachärztliche Einbindung<br />
dieser hausärztlichen Strukturen und damit die<br />
Schaffung eines neuen Versorgungsangebotes im<br />
hausärztlichen Bereich für rheumatische Patienten,<br />
wird eine frühzeitige Diagnostik und eine qualitativ<br />
hochwertige Langzeitbehandlung sichergestellt.<br />
Die DAK geht von der Erkenntnis aus, dass eine<br />
Behandlung, die früher und intensiver einsetzt, den<br />
Krankheitsverlauf deutlich verbessert. Die intensivere<br />
Einbeziehung des hausärztlichen Bereichs in die Versorgung<br />
führt u. a. zu Entlastungen rheumatologischer<br />
Schwerpunktpraxen mit der Folge, dass der<br />
Zugang zur fachärztlichen Behandlung schneller<br />
möglich wird und die bislang üblichen Wartezeiten<br />
erheblich reduziert werden können. Die Patienten der<br />
rheumatologischen Schwerpunktpraxis profitieren<br />
dadurch von einer spürbaren Steigerung der Behandlungsqualität.<br />
Ein weiteres erhebliches Plus: Eine frühe Diagnosestellung<br />
und Basistherapie könnte den Einsatz teurer<br />
Medikation spürbar hinauszögern oder sogar verhindern.<br />
In der heutigen Versorgungssituation mit fehlenden<br />
Basistherapien werden vermehrt teure Biologikals<br />
eingesetzt, deren Jahrestherapiekosten etwa<br />
20.000 Euro je Patient betragen.<br />
Von großer Bedeutung ist dabei die Implementierung<br />
leistungsstarker Netzwerke von medizinischen Einrichtungen,<br />
die für Patienten mit Rheumatoider Arthritis<br />
mit der Wahrnehmung der medizinischen Endpunktverantwortung<br />
betraut werden. Sollte darüber<br />
hinaus auch noch die Einführung eines Rheuma-Registers<br />
realisiert werden, würde dieses die medizinischen<br />
Endpunkte, also die Ergebnisse der Behandlung<br />
vergleichbar machen, was eine hohe Qualitätssteigerung<br />
in der Behandlung dieser Krankheit bedeuten<br />
könnte.<br />
Versorgungsmodelle der geschilderten Art – von denen<br />
die DAK bundesweit in ähnlicher Form Verträge<br />
im Rahmen der Integrierten Versorgung nach den<br />
§§ 140 a ff. SGB V realisiert – waren gerade in der Zeit<br />
seit Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes<br />
(GMG) 2004 ein geeignetes Mittel, das Leistungsportfolio<br />
oberhalb des gesetzlichen Leistungsrahmens<br />
einer gesetzlichen Krankenkasse zu erweitern<br />
und deren Profil zu schärfen.<br />
Insofern bilden Selektivverträge, zu denen neben den<br />
Kontrakten zur Integrierten Versorgung u.a. auch kassenindividuelle<br />
Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung<br />
zählen, eine Möglichkeit der Positionierung<br />
einer Kasse im Wettbewerb. Die DAK hat diese Herausforderung<br />
angenommen und gehört mit derzeit<br />
etwa 330 Verträgen für unterschiedlichste Indikationen<br />
in dieser Hinsicht zu den führenden Krankenkassen<br />
in Deutschland.<br />
Falsche Anreize für Wettbewerb um<br />
Versorgungsqualität<br />
Bei der Betrachtung bestehender Analysen der deutschen<br />
Gesundheitsversorgung stößt man jedoch auf<br />
einen seltsamen Widerspruch, der Auswirkungen auf<br />
den Wettbewerb zwischen den Kassen haben kann:<br />
Nach Angabe des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />
im Gesundheitswesen (IQWiG) bescheinigen<br />
die Patienten dem deutschen Gesundheitssystem<br />
eine hohe Qualität. Gleichzeitig sehen aber auch<br />
85 Prozent der Patienten eine große, wenngleich völlig<br />
unspezifisch fundierte Veränderungsnotwendigkeit<br />
innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
(GKV).<br />
Daraus folgt, dass das deutsche GKV-System kein<br />
Qualitätsproblem, sondern ein Problem der Finanzierung<br />
und der Verteilung dieser Qualität hat. Die gesetzgeberischen<br />
Maßnahmen zur Organisation der<br />
GKV müssen also auf die Sicherung der Finanzierung<br />
und die damit verbundene nachhaltige Sicherung der<br />
Qualität zielen.<br />
Das seit dem 1. April 2007 in Teilen in Kraft getretene<br />
GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) erfüllt<br />
diese Ansprüche nicht, sondern bewirkt vielmehr<br />
das Gegenteil. Durch das GKV-WSG werden die vorhandenen<br />
Defizite der Finanzierung der sozialen<br />
Krankenversicherung nicht gelöst. Die in diesem Zusammenhang<br />
geäußerte heftige Kritik des Sachverständigenrates<br />
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen<br />
Entwicklung überrascht dementsprechend<br />
wohl niemanden.<br />
Darüber hinaus setzt das GKV-WSG falsche Anreize<br />
für einen funktionierenden, auf Versorgungsqualität<br />
gerichteten Wettbewerb: z.B. mit der Einführung des<br />
Gesundheitsfonds. Dieser Fonds schafft zunächst ein<br />
zentrales Wettbewerbsinstrument ab: nämlich den<br />
unterschiedlichen Preis für ein unterschiedliches Produkt<br />
– und damit den „Preis für Leistung“.<br />
Ebenfalls eliminiert wird das autonome Handeln<br />
des Unternehmens, diesen Preis zu kalkulieren, fest-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 36<br />
zusetzen und im Wettbewerb zu verantworten. Es<br />
werden gesellschaftliche Instanzen und demokratisch<br />
legitimierte Akteure zugunsten staatlicher Vereinheitlichungsbestrebungen<br />
eingeschränkt. Vereinheitlichung<br />
aber widerspricht Wettbewerb. Wettbewerb<br />
ent- und besteht ausschließlich im Pluralismus.<br />
Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz hält somit<br />
nicht das, was sein Name verspricht, sondern<br />
schränkt im Gegenteil einen fairen Wettbewerb um die<br />
beste Qualität ein. Die allgemeine Konsequenz für die<br />
gesetzlichen Krankenkassen: Innovationen werden<br />
behindert, die Versorgungsqualität gerät unter Druck.<br />
Auf dem Weg zu einer intensiveren<br />
Versorgung von Rheumapatienten<br />
Rheumatische Erkrankungen aus der Sicht des Wissenschaftlichen Institutes der TK<br />
für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG)<br />
Von Eva Susanne Dietrich<br />
Geschätzte 0,5 bis 1 % der Bevölkerung, und damit<br />
zwischen 350.000 und 700.000 gesetzlich Versicherte<br />
(GKV), leiden in Deutschland an Rheumatoider<br />
Arthritis (RA). Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass<br />
die Inzidenz der Rheumatoiden Arthritis abgenommen<br />
hat (1). Bei nicht allen Patienten gelingt es, das<br />
Fortschreiten der Gelenkschädigung zu reduzieren<br />
und die eingeschränkte Lebensqualität wiederherzustellen.<br />
Die Gründe werden teils im Fehlen, teils in der<br />
unzureichenden Umsetzung optimaler Therapiekonzepte<br />
gesehen. Der folgende Beitrag möchte letztgenannten<br />
Aspekt näher beleuchten.<br />
Die direkten Kosten der Rheumatoiden Arthritis lagen<br />
pro Patient und Jahr nach Berechnungen von Mittendorf<br />
et al. im Mittel bei 2.300 Euro in 2001 (Median:<br />
850 Euro) (2). Huscher et al. berechneten davon abweichend<br />
– ebenfalls bei Fachärzten – mittlere Kosten<br />
von 4.730 Euro pro Jahr und Patient für 2002 (Median:<br />
2.260 Euro) (3). Die unterschiedlichen Werte resultieren<br />
insbesondere aus fast doppelt so hohen Arzneimittelkosten<br />
und achtfach höheren Krankenhaus-<br />
Die vorgesehene Zusatzprämie wirkt, wie hinreichend<br />
analysiert, wettbewerblich hoch kontraproduktiv und<br />
qualitätsgefährdend.<br />
Davon sind insbesondere chronisch Kranke, wie beispielsweise<br />
Rheumapatienten, betroffen. Die DAK als<br />
Versorgerkasse allerdings wird sich in diesem Zusammenhang<br />
versorgungsorientiert verhalten und auch<br />
weiterhin als Innovationsführer die Versorgung z.B.<br />
rheumatologisch erkrankter Menschen sichern, trotz<br />
der politisch kurzsichtigen Charakterisierung der Zusatzprämie<br />
als Maß für Unwirtschaftlichkeit.<br />
© gpk<br />
kosten in der Analyse von Huscher et al. Während<br />
Mittendorf et al. maßgeblich auf Datensätze der AOK<br />
Niedersachsen und der Kassenärztlichen Vereinigung<br />
Niedersachsen zurückgriffen, bildeten Angaben<br />
von Ärzten und Patienten sowie diverse Annahmen<br />
eine wichtige Grundlage der Berechnungen von Huscher<br />
et al. (Abbildung S. 37).<br />
Der Anteil von Medikamenten an den gesamten direkten<br />
medizinischen Kosten lag in der Untersuchung<br />
von Mittendorf et al. bei 45 %, bei Huscher et al. bei<br />
39 % (3, 4). Der vergleichsweise hohe Anteil im Vergleich<br />
zu älteren Studien liegt nach Aussage der Autoren<br />
im zunehmend breiteren Einsatz von TNF-alfa-<br />
Inhibitoren (2).<br />
Dies bestätigt sich bei einem Blick auf das Verordnungsspektrum<br />
ausgewählter Medikamente, die in<br />
der Therapie der Rheumatoiden Arthritis in Deutschland<br />
eingesetzt werden. Die Zahl der verordneten<br />
Tagestherapiedosen ist bei Methotrexat zwischen<br />
2000 und 2005 um 170 % gestiegen, bei Leflunomid
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 37<br />
Sonstige; 225; 10%<br />
Rehabilitation;<br />
65; 3%<br />
Krankenhaus<br />
(mit OP);<br />
215; 9%<br />
Krankenhaus<br />
(ohne OP);<br />
276; 12%<br />
Heil- und Hilfsmittel;<br />
168; 7%<br />
Diagnostische und<br />
therapeutische<br />
Maßnahmen;<br />
185; 8%<br />
Arztbesuche;<br />
323,5; 14%<br />
Basistherapie;<br />
722,7; 31%<br />
Steroide; 46,9; 2%<br />
NSAR; 84; 4%<br />
Abbildung: Zusammensetzung der direkten<br />
Kosten bei Rheumatoider Arthritis<br />
Angaben in Euro (2)<br />
um 75 %. Bei Etanercept findet sich seit 2003 ein<br />
Zuwachs um über 40 %. Insgesamt wurden in 2005<br />
fünfzehn Millionen Tagestherapiedosen Leflunomid,<br />
Etanercept, Infliximab und Adalimumab verordnet (5).<br />
Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend in<br />
2006 und 2007 fortgesetzt hat.<br />
Auf TNF-alfa-Inhibitoren entfielen fast sieben Millionen<br />
Tagestherapiedosen, mit denen theoretisch<br />
19.000 Patienten ganzjährig therapiert werden könnten.<br />
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)<br />
berechnete vor einigen Jahren den finanziellen Mehrbedarf<br />
für eine leitliniengerechte Therapie der Rheumatoiden<br />
Arthritis und legte dabei für das Jahr 2001<br />
eine Zahl von 27.000 Patienten zugrunde, die von<br />
diesen Präparaten profitieren könnten (6). Sowohl<br />
Firmen als auch KBV gingen damals von unter 5.000<br />
bereits therapierten Patienten aus. Seit 2001 hat sich<br />
die Versorgungssituation hier somit deutlich verändert.<br />
Dieser Trend hin zu einer Therapie nach den Leitlinien<br />
der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie zeichnet<br />
sich auch bei anderen Indikatoren ab, für die<br />
Zeitverläufe vorliegen.<br />
Zwar wurden in 2001 nur 20 % der Patienten beim<br />
Facharzt behandelt (7). Doch die Anzahl der an der<br />
vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Internisten<br />
mit der Zusatzbezeichnung Rheumatologie hat<br />
zwischen 2001 und 2006 von 487 auf 587, und da-<br />
mit um 20 % zugenommen (zum Vergleich: Gesamtentwicklung<br />
Vertragsärzte im gleichen Zeitraum<br />
+3 %) (8).<br />
Die Krankheitsdauer bis zum ersten Besuch eines<br />
Facharztes ist parallel dazu in den letzten Jahren<br />
beständig gesunken. Lag sie 1993 noch bei zwei<br />
Jahren (9), so betrug sie 1998 schon 1,7 (10) und<br />
1999 sogar nur 1,5 Jahre (10).<br />
Auch Basistherapeutika kommen verstärkt zum Einsatz.<br />
Zwar setzten Hausärzte in 2001 nur bei 38 % der<br />
Patienten Basistherapeutika ein (11), doch war die<br />
Rate bei Fachärzten mit 91 % sehr hoch und allein seit<br />
1998 um 4 % gestiegen (12). Während 1995 nur 45 %<br />
der Fachärzte auf Methotrexat zurückgriffen (9), waren<br />
es 1999 bereits 57 % (9), was Zahlen aus den<br />
USA entspricht (13).<br />
Das Gleiche gilt für Glucocorticoide, die 2001 von<br />
60 % der Fachärzte eingesetzt wurden (14) (international:<br />
60 % (13). 1998 wurden sie von 57 % der<br />
Fachärzte und 35,5 % der Hausärzte verordnet (10).<br />
NSAR kamen 2001 nur noch bei 54 % der Fachärzte<br />
(14 ) zum Einsatz im Vergleich zu 61,6 % in 1998<br />
(Hausärzte in 1998: 51,7 %) (12).<br />
Diese Entwicklung fand ungeachtet der hohen Jahrestherapiekosten<br />
(Tabelle) und der nicht zu vernachlässigenden<br />
Risiken eines Einsatzes der Biologika<br />
statt.<br />
Die Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen unter<br />
Biologika liegt bei 22,6 pro 100 Patientenjahre<br />
Tabelle: Jahrestherapiekosten ausgewählter<br />
Arzneimittel<br />
Wirkstoff Jahrestherapiekosten<br />
Methotrexat oral 96–150 Euro<br />
Sulfasalazin 382 Euro<br />
Parenterales Gold 558 Euro<br />
Leflunomid 948–1333 Euro<br />
Ciclosporin 4226 Euro<br />
Infliximab 20.061 1 – 41.415 Euro<br />
Etanercept 22.845 Euro<br />
Adalimumab 22.845 1 –45.690 Euro 2<br />
1 Kombination bei dieser Dosis obligat; Kosten müssen dazu gerechnet werden.<br />
2 Monotherapie<br />
Quelle: Therapiehinweis des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />
(G-BA) zu Leflunomid; Beschluss vom<br />
16.8.2007
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 38<br />
vs. 6,8 unter Kontrollen, die Raten für schwere Ereignisse<br />
bei über 6 vs. 2,3 (15). Die iatrogenen Kosten<br />
durch Nebenwirkungen sind für die Biologika noch<br />
nicht bekannt.<br />
Es bleibt festzuhalten, dass die Versorgung von Patienten<br />
mit Rheumatoider Arthritis zunehmend intensiviert<br />
wird, was jedoch auch mit steigenden Kosten<br />
und einem erhöhten Risiko von unerwünschten Ereignissen,<br />
das für die neueren Präparate noch nicht in<br />
vollem Umfang abzuschätzen ist, verbunden ist.<br />
Valide Zahlen zur Versorgung im hausärztlichen Sektor<br />
sowie replizierbare Erfassungen der tatsächlich<br />
entstehenden Kosten fehlen bisher. Die gegenwärtigen<br />
Zahlen aus Deutschland zu den Ausgaben, die<br />
unmittelbar im Zusammenhang mit der Behandlung<br />
der Rheumatoiden Arthritis stehen, sind widersprüchlich.<br />
Der Einsatz von Arzneimitteln, die auch in der alten<br />
und neuen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für<br />
Rheumatologie empfohlen werden, schreitet jedoch<br />
voran und wird möglicherweise durch das 2005 von<br />
der Fraunhofer Gesellschaft entwickelte IT-Tool weiter<br />
vorangetrieben werden.<br />
Literatur<br />
1 Schneider M. Lelgemann M, Abholz HH, Caratti R et al.<br />
DGRh-Leitlinie: Management der frühen rheumatoiden<br />
Arthritis. Steinkopff Verlag, Darmstadt. 2007<br />
2 Mittendorf T, Graf von der Schulenburg JM. Gesundheitsökonomie<br />
am Beispiel rheumatischer Erkrankungen.<br />
Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz<br />
2006; 49: 40-5<br />
3 Huscher D, Merkesdal S, Thiele K, Zeidler H, Schneider<br />
M, Zink A, for the German Collaborative Arthritis Centres.<br />
Cost of illness in rheumatoid arthritis, ankylosing spondylitis,<br />
psoriatic arthritis and systemic lupus erythematosus<br />
in Germany. Ann Rheum Dis 2006; 65: 1175-83<br />
4 Ruof J, Hülsemann J, Mittendorf T et al. Costs of rheumatoid<br />
arthritis in Germany: a micro-costing approach based<br />
on healthcare payer’s data sources. Ann Rheum Dis<br />
2003; 62: 372-9<br />
5 Schwabe U, Paffrath D. Arzneiverordnungsreport 2006.<br />
Berlin, Heidelberg. Springer Verlag 2006<br />
6 Dietrich ES, Schoop S, Bartmann P, Fuchs B. Arzneimitteltherapie<br />
in Deutschland – Bedarf und Realität. KBV-<br />
Kontext März 2003<br />
7 Zink A. Z Die Kerndokumentation als Instrument der<br />
Erfassung, Steuerung und Qualitätssicherung neuer<br />
Therapien der rheumatoiden Arthritis. Rheumatologie<br />
2001; 60: 469-472<br />
8 http://daris.kbv.de/daris.asp<br />
Eine Bewertung, ob der gegenwärtige Einsatz der<br />
empfohlenen Medikamente tatsächlich den Leitlinien<br />
entspricht und angemessen sowie wirtschaftlich nach<br />
den Vorgaben des SGB V ist, ist ohne eine Betrachtung<br />
des Einzelfalls an dieser Stelle nicht möglich.<br />
Hierzu müssten weitere Faktoren wie der Einsatz von<br />
Kombinations- und Monotherapien, Dosierung und<br />
Dauer des Therapieversuchs mit Berücksichtigung<br />
finden.<br />
Es bleibt abzuwarten, ob die Therapiehinweise des<br />
Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu Adalimumab<br />
vom 21. November 2006, der neue Therapiehinweis<br />
zu Leflunomid oder die Informationen der<br />
KBV nach § 73 Abs. 8 SGB V („Wirkstoff aktuell“), die<br />
sich alle für eine Behandlung durch einen erfahrenen<br />
Facharzt aussprechen, einen Einfluss auf die aktuelle<br />
Entwicklung nehmen und im Zusammenspiel mit den<br />
Leitlinien zu einer rationalen und optimierten Versorgung<br />
der Patienten beitragen werden.<br />
Für die Unterstützung bei der Recherche möchte ich<br />
mich bei Frau Heidrun Tewes und Frau Dr. Susanne<br />
Ahrens bedanken.<br />
© gpk<br />
9 Zink A, Huscher D. Long-term studies in rheumatoid<br />
arthritis – the German experience. J Rheumatol 2004; 31<br />
Suppl. 69: 22-26<br />
10 Zink A, Listing J, Klindworth C, Zeidler H, for the German<br />
Collaborative Arthritis Centres. The national database of<br />
the German Collaborative Arthritis Centres: I. Structure,<br />
aims, and patients. Ann Rheum Dis 2001; 60: 199-206<br />
11 Zink A, Mau W, Schneider M. Epidemiologische und<br />
sozialmedizinische Aspekte entzündlich-rheumatischer<br />
Systemerkrankungen. Internist 2001; 42: 211-222<br />
12 Zink A, Listing J, Niewerth M, Zeidler H, for the German<br />
Collaborative Arthritis Centres. The National Daabase of<br />
the German Collaborative Arthritis Centres. II. Treatment<br />
of patients with rheumatoid arthritis. Ann Rheum Dis<br />
2001; 60: 207-13<br />
13 Sokka T, Pincus T. Contemporary disease modifying antirheumatic<br />
drus (DMARDS) in patients with recent onset<br />
rheumatoid arthritis in a US private practice: methotrexate<br />
as the anchor drug in 90% and DMARD in 30% of<br />
patients. J Rheumatol 2002; 29: 2521-4<br />
14 Thiele K, Buttgereit F, Huscher D, Zink A fort he German<br />
Collaborative Arthritis Centres. Current use of glucocorticoids<br />
in patients with rheumatoid arthritis in Germany.<br />
Arthritis & Rheumatism 2005; 53: 740-7<br />
15 Listing J, Strangfeld A, Kary S, Rau R et al. Infections in<br />
patients with rheumatoid arthritis treated with biologic<br />
agents. Arthritis & Rheumatism 2005; 52: 3403-3412
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 39<br />
Volkskrankheit Rheuma aus sozialmedizinischer<br />
Sicht<br />
Durch Verbesserung der Versorgung sind Kosteneinsparungen durchaus möglich<br />
Von Ina Ueberschär und Hans-Werner Pfeifer<br />
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen besitzen im<br />
Vergleich zu anderen, ähnlich häufigen und chronisch<br />
verlaufenden Erkrankungen eine besonders hohe<br />
sozialmedizinische Relevanz. Dies liegt vor allem<br />
auch in der Tatsache begründet, dass die Betroffenen<br />
meist noch relativ jung sind und mitten im Erwerbsleben<br />
oder sogar noch vor ihrem Start ins Berufsleben<br />
stehen. Bei den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen<br />
handelt es sich nicht um Krankheiten des<br />
älteren Menschen.<br />
Rheuma ist keine Alte-Leute-Krankheit<br />
Das Manifestationsalter der Rheumatoiden Arthritis<br />
(RA) liegt bei einem Gipfel zwischen dem 40. bis 50.<br />
Lebensjahr und betrifft immerhin ein Prozent der Bevölkerung,<br />
wobei Frauen bekanntermaßen zwei- bis<br />
dreimal häufiger als Männer betroffen sind. Die Spondylitis<br />
ankylosans, der Morbus Bechterew, manifestiert<br />
sich bei jüngeren Männern zwischen dem 17.<br />
und 35. Lebensjahr mit einer Inzidenz von 1 zu 1.000.<br />
Die juvenilen Arthritiden treten sogar bereits im Kindes-<br />
und Jugendalter auf. Immerhin sind in Deutschland<br />
12.000 bis 15.000 Kinder pro Jahr betroffen.<br />
Jedes Jahr erkranken damit ebenso viele Kinder an<br />
chronisch-entzündlichem Rheuma wie an Leukämie.<br />
Neben dem individuellen Krankheitsschicksal mit Einschränkungen<br />
bezüglich Lebensqualität, Teilhabe<br />
und Lebenserwartung entstehen auch für die Solidargemeinschaft<br />
und die Volkswirtschaft durch diese<br />
Krankheitsgruppe erhebliche Kosten. Als Beispiele<br />
seien hier nur die Fehlzeiten am Arbeitsplatz infolge<br />
von häufiger und längerer Arbeitsunfähigkeit, die Arztkosten,<br />
die Kosten für stationäre Aufenthalte, die nicht<br />
unerheblichen Kosten für Medikamente, Krankengeld,<br />
Heil- und Hilfsmittel sowie für Leistungen zur<br />
medizinischen Rehabilitation und für Leistungen zur<br />
Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) bis hin zu Erwerbsminderungsrenten<br />
und Pflegegeld erwähnt.<br />
Trotz bzw. durch teure Medikamente Kosteneinsparungen<br />
durchaus möglich<br />
Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen,<br />
an der Spitze die Rheumatoide Arthritis, gehören<br />
zu den teuersten Patienten überhaupt. Die Kosten<br />
belaufen sich in Deutschland, aber auch in anderen<br />
vergleichbaren entwickelten Industrieländern, wie in<br />
Schweden oder in den USA, bereits unter der bisherigen<br />
Standardtherapie auf mehr als 5.000 Euro direkter<br />
Krankheitskosten pro Patient und Jahr und auf<br />
mehr als 10.000 Euro indirekter Krankheitskosten<br />
(Arbeitslosengeld, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,<br />
Frühberentung usw.).<br />
Doch hier ist durchaus ein Kosteneinsparungspotenzial<br />
gegeben. Bei einer konsequenten fachärztlichen<br />
Behandlung bei einem internistischen Rheumatologen<br />
ließen sich durch eine Verzögerung der Progredienz<br />
Folgeschäden vermeiden oder zumindest<br />
verzögern. Profitieren würden sowohl der Rheumapatient<br />
als auch die Solidargemeinschaft: eine klassische<br />
Win-Win-Situation.<br />
Oft vergeht auch im Vorfeld der Diagnosestellung<br />
noch zu viel wertvolle Zeit. Die notwendige Therapie<br />
beginnt damit zu spät. Ein schneller Termin<br />
beim Rheumatologen garantiert Patienten mit Frühformen<br />
entzündlich-rheumatischer Erkrankungen eine<br />
schnelle Diagnose und die bestmögliche Therapie und<br />
vermeidet damit Folgeschäden und somit Kosten.<br />
Unter- und Fehlversorgung beenden<br />
Leider finden in Deutschland viele Patienten mit entzündlich-rheumatischen<br />
Erkrankungen erst sehr spät<br />
oder gar nicht zum Rheumatologen. So sind in<br />
Deutschland von den betroffenen Patienten tatsächlich<br />
nur 10 bis 20 Prozent bei einem internistischen<br />
Rheumatologen in Behandlung. Mehr als die Hälfte<br />
der Patienten mit einer Rheumatoiden Arthritis erreichen<br />
bislang den Rheumatologen während des ge-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 40<br />
samten Krankheitsverlaufs nicht. Ein Großteil der Patienten<br />
mit RA, Morbus Bechterew oder einer Psoriasarthritis<br />
befinden sich nach wie vor ausschließlich in<br />
hausärztlicher Betreuung.<br />
Hier ist die Zusammenarbeit zwischen den Hausärzten<br />
und den Rheumatologen im Interesse der betroffenen<br />
Rheumapatienten weiter zu verbessern und zu<br />
vernetzen. Integrierte Versorgungsmodelle sind der<br />
Weg in die richtige Richtung. Dabei darf nicht übersehen<br />
werden, dass neben den beschriebenen kurativen<br />
Versorgungsmängeln weiterhin auch die rehabilitative<br />
Versorgung der Rheumapatienten defizitär ist.<br />
Die dazu in einer Studie des Instituts für Sozialmedizin<br />
der Universität Schleswig-Holstein Lübeck beschriebene<br />
geringe Rehabilitationsbereitschaft auf<br />
Patientenseite mit einem Respons von nur 31,3 Prozent<br />
nach Rehabilitationsangebot muss durch eine<br />
Verbesserung der Patienteninformation angehoben<br />
werden. Die von Sozialmedizinern seit Jahren immer<br />
wieder erhobene Forderung, die in Deutschland bekannte<br />
Unter- und Fehlversorgung von Patienten mit<br />
entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zu beseitigen,<br />
bleibt aktuell.<br />
Kosten-Nutzen der neuen hochwirksamen<br />
Rheumamedikamente<br />
Die Therapiemöglichkeiten der entzündlich-rheumatischen<br />
Erkrankungen haben sich gerade in den letzten<br />
Jahren durch die innovative Entwicklungen neuer<br />
hochwirksamer Medikamente (Biologika bzw. TNF-<br />
Blocker) weiter deutlich verbessert, allerdings profitieren<br />
noch längst nicht alle Patienten von diesen neuen<br />
Möglichkeiten.<br />
Obwohl die neuen hochwirksamen Medikamente<br />
deutlich teurer sind, dürfte sich der Einsatz nicht nur<br />
für den Patienten durch Verbesserung seiner Lebensqualität,<br />
sondern auch für die Kostenträger lohnen<br />
und damit „rechnen“. Studien konnten belegen, dass<br />
durch den frühzeitigen Einsatz der TNF-alpha-Blocker<br />
die Remissionsrate deutlich erhöht werden konnte.<br />
Remission und damit Krankheitsstillstand in einer solchen<br />
frühen Krankheitsphase bedeutet, dass der Patient<br />
sein normales Leben einschließlich seiner bisherigen<br />
Berufstätigkeit uneingeschränkt auf Dauer<br />
oder zumindest für einen längeren Zeitraum weiterführen<br />
kann.<br />
Bei Patienten, die dagegen unzureichend behandelt<br />
werden oder gar unbehandelt bleiben, kommt es infolge<br />
der Progredienz rasch zu Gelenkzerstörungen<br />
und -deformierungen mit entsprechenden negativen<br />
Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens<br />
und auf das Berufsleben. Längere Arbeitsunfä-<br />
higkeitszeiten mit entsprechenden volkswirtschaftlichen<br />
Produktionsausfällen sind die Folge. Die gesetzlichen<br />
Krankenkassen werden durch Kosten für Krankengeld<br />
und für gehäufte ambulante und stationäre<br />
Behandlungen belastet.<br />
Häufig ist infolge der eingetretenen Behinderungen<br />
ein Verbleib am bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr<br />
möglich. Arbeitslosigkeit infolge des Verlusts des Arbeitsplatzes<br />
und entsprechende Kosten für Arbeitslosengeld<br />
oder andere Lohnersatzleistungen sind die<br />
Folge. Für den einmal arbeitslos gewordenen Rheumatiker<br />
dürfte es nicht selten sehr schwer sein, wieder<br />
ins Arbeitsleben zurückzukehren. In vielen Regionen<br />
Deutschlands sind nicht einmal für gesunde und voll<br />
belastbare Arbeitssuchende ausreichend Arbeitsplätze<br />
vorhanden.<br />
Selbst bei einer entsprechenden großzügigen Gewährung<br />
von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben<br />
im Rahmen einer beruflichen Rehabilitation<br />
ist die Reintegration ins Arbeitsleben bei Patienten<br />
mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen nicht<br />
leicht. Gerade bei jüngeren Menschen wird häufig<br />
eine berufliche Neuorientierung mit einer Umschulung<br />
in einen für den Rheumatiker geeigneten Beruf<br />
angezeigt sein.<br />
Solche Umschulungen verursachen nicht selten Kosten<br />
in sechsstelligen Eurobeträgen, die von der Deutschen<br />
Rentenversicherung oder der Bundesagentur<br />
für Arbeit, als dem zuständigen Rehabilitationsträger,<br />
aus Beiträgen der Solidargemeinschaft zu begleichen<br />
sind. Neben den Kosten für eine berufliche Rehabilitation<br />
fallen zusätzlich Kosten für medizinische Rehabilitationen<br />
sowie für Heil- und Hilfsmittel an. Bei einem<br />
rasch progredienten Verlauf können Leistungen zur<br />
Rehabilitation auch in kürzeren Intervallen notwendig<br />
werden.<br />
Bisher nehmen aber nur 12 bis 13 Prozent der rheumatologisch<br />
betreuten Patienten stationäre Rehabilitationsleistungen<br />
in Anspruch – ein erheblicher Teil<br />
der Patienten, wie Studien von Raspe et al. nachwiesen,<br />
nie. Andererseits werden einem Teil der Patienten<br />
erst in einer Rehabilitationsklinik wichtige ergänzende<br />
Maßnahmen wie Ergotherapie und Patientenschulungen<br />
zugänglich gemacht.<br />
Ist die Krankheit erst einmal so weit fortgeschritten,<br />
dass eine Leistungsfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt<br />
und damit eine volle Erwerbsfähigkeit nicht<br />
mehr gegeben sind bzw. durch Rehabilitation nicht<br />
wieder erreicht werden können, entstehen hohe Kosten<br />
im Zusammenhang mit der zu zahlenden Erwerbsminderungsrente.<br />
Eine prospektive multizentrische<br />
Langzeitstudie des Rehabilitationswissenschaftlichen<br />
Forschungsverbundes Niedersachsen/Bremen
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 41<br />
über einen Zeitraum von acht Jahren zeigte, dass bei<br />
jedem vierten Patienten innerhalb der ersten sechseinhalb<br />
Krankheitsjahre mit der Frühberentung zu<br />
rechnen ist. Auch hier ist im Durchschnitt von Geldleistungen<br />
von 100.000 Euro pro Rentenfall auszugehen.<br />
Gegebenenfalls sind noch Leistungen aus der<br />
Pflegeversicherung notwendig.<br />
Immer auch Folgekosten und ethische Aspekte<br />
beachten<br />
Bei einer Kosten-Nutzen-Analyse und der Betrachtung<br />
der hohen Therapiekosten ist immer die Betrachtung<br />
der Folgekosten notwendig. Dies muss auch<br />
dann gelten, wenn für die Folgekosten infolge des<br />
gegliederten deutschen Sozialversicherungssystems<br />
ein anderer Sozialleistungsträger zuständig ist. Eine<br />
Kosten-Nutzen-Analyse muss immer die volkswirt-<br />
Literatur<br />
Bräuer W, Merkesdal S, Mau W: Langzeitverlauf und Prognose<br />
der Erwerbsfähigkeit im Frühstadium der chronischen Polyarthritis.<br />
Z. Rheumatol 2002; 61: 426-434<br />
Mau W: Wissenschaftliches Gutachten für die Enquetekommission<br />
„Zukunft einer frauengerechten Gesundheitsversorgung<br />
in NRW“ des Landtages von Nordrhein-Westfalen, 2004<br />
Mau W, Bornmann M, Weber H et al.: Die Prognose der frühen<br />
chronischen Polyarthritis und ihre beruflich-sozialen Folgen.<br />
Z. Rheumatol 1998; 57: 251-354<br />
Schneider M et al: DGRh-Leitlinie zum Management der frühen<br />
rheumatoiden Arthritis, 2. überarbeitete Auflage, Steinkopff,<br />
Darmstadt, 2007<br />
Leitlinien zur Rehabilitationsbedürftigkeit bei Erkrankungen<br />
des Stütz- und Bewegungsapparates, Stand 2003, unter<br />
www.deutsche-rentenversicherung-bund.de<br />
<strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong><br />
gpk<br />
<strong>Kommentare</strong><br />
ISSN: 0016–9102<br />
Herausgeber: <strong>Leo</strong> <strong>Schütze</strong> und<br />
Erich Schwaiger<br />
Redaktion: <strong>Leo</strong> <strong>Schütze</strong> (Chefredakteur),<br />
Dr. Rudolf Hammerschmidt (verantwortlich),<br />
Dr. Franz-Josef Bohle, Günther Sauerbrey,<br />
Erich Schwaiger<br />
Umbruch: Wolfgang Laack<br />
<strong>Leo</strong> <strong>Schütze</strong> GmbH<br />
Verlag <strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong> <strong>Kommentare</strong><br />
Bestellanschrift:<br />
Büro Eifel, Postfach 10 17, 54614 Schönecken,<br />
Tel.: (0 65 53) 9 21 10, Fax: (0 65 53) 9 21 13;<br />
E-Mail: Schuetze-Eifel@t-online.de<br />
Berliner Büro:<br />
Reinhardtstraße 18, 10117 Berlin;<br />
Tel.: (0 30) 20 65 87-0; Fax: -29;<br />
E-Mail: berlin@leoschuetze-eurogroup.de<br />
Wir bitten, Paket- und Päckchensendungen ausschließlich<br />
an <strong>Leo</strong> <strong>Schütze</strong>, per Adresse Johann<br />
Weber, Kapellenweg 3, 54614 Dingdorf, zu senden.<br />
Erscheinungsweise: monatlich. Der monatliche<br />
Bezugspreis beträgt EUR 4,00 zuzüglich Porto<br />
und Versandkosten.<br />
Zu wichtigen Themen erscheinen Sonderausgaben.<br />
Diese werden gesondert berechnet.<br />
Bankkonto: <strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong> <strong>Kommentare</strong>,<br />
Konto 5 023 228, Raiffeisenbank Westeifel eG,<br />
BLZ 586 619 01<br />
Druck: Grafische Werkstatt Franz Pruckner,<br />
Detmolder Straße 13, 10715 Berlin.<br />
Tel. (0 30) 85 4795 90, Fax (0 30) 85 73 11 96<br />
E-Mail: gw-pruckner@t-online.de<br />
Die mit Verfassernamen oder Abkürzungen gekennzeichneten<br />
Artikel geben nicht in jedem Fall<br />
die Auffassung der Redaktion wieder.<br />
Die mit gpk gekennzeichneten Anmerkungen<br />
stammen von der Redaktion, nicht vom Verfasser.<br />
Nachdruck zu den üblichen Honorarbedingungen<br />
nur nach Zustimmung durch die Redaktion.<br />
Zitierung nur mit Quellenangabe.<br />
schaftlichen Gesamtkosten im Fokus haben und nicht<br />
nur die Kosten des den Sozialmediziner befragenden<br />
Sozialleistungsträgers.<br />
Heute eingesparte Medikamenten- oder Rehabilitationskosten<br />
können uns allen morgen teuer zu stehen<br />
kommen. Die gegenwärtige Praxis der sektoralen<br />
Budgetbetrachtung beeinträchtigt die mögliche hohe<br />
Qualität der Patientenversorgung. Ärzten verbietet<br />
sich aus ethischen Gesichtspunkten eine rein betriebswirtschaftliche<br />
Kosten-Nutzen-Analyse ohnehin,<br />
sozialmedizinisch sind alle Kofaktoren des Einzelfalles<br />
in eine Entscheidung einzubeziehen.<br />
In einem nach wie vor so reichen Land wie der Bundesrepublik<br />
Deutschland sollte für jeden Patienten<br />
eine optimale Therapie, auch wenn diese mit kurzzeitig<br />
höheren Kosten verbunden ist, möglich sein.<br />
© gpk<br />
Edelmann E: Rheumatoide Arthritis – Keine Alte-Leute-Krankheit.<br />
Notfallmedizin 2003; 29: 340-346<br />
Merkesdal S, Ruof J, Bernitt K et al.: Indirect medical costs in<br />
early rheumatoid arthritis. Composition and changes in indirect<br />
costs within the first three years of RA. Arhritis and<br />
Rheumatism 2001; 44: 528-534<br />
Schlademann S, Hüppe A, Raspe H: Ergebnisse einer randomisierten<br />
kontrollierten Studie zur Akzeptanz und zu Outcomes<br />
einer Beratung auf stationäre medizinische Rehabilitation<br />
unter erwerbstätigen GKV-Versicherten mit rheumatoider Arthritis<br />
(clinicaltrials.gov identifier NCT00229541). Gesundheitswesen<br />
2007;69: 325-335<br />
Blosze J, Josenhans G, Raspe H: Versorgung von cP-Patienten.<br />
Überweisung zum Rheumatologen und Zugang zu Reha-<br />
Maßnahmen mangelhaft. Mobil 1998; 3: 26-29<br />
Beirat:<br />
Dr. Franz Altherr MdL (Mittelbrunn), Erwin<br />
Aymann (Kleve), Wolf-Michael Catenhusen<br />
(Münster), Dr. Paul Hoffacker (Essen), Peter<br />
Keller (Zellingen), Monika Knoche MdB<br />
(Hannover), Prof. Paul Krupp (Kempten/Allgäu),<br />
Alfred Kugler † (München), Karl-Josef<br />
Laumann (Hörstel-Riesenbeck), Dr. Volker<br />
Leienbach (Köln), Dr. Rolf Linkohr (Stuttgart),<br />
Dr. Bruno Menzel † (Dessau), Friedrich<br />
Merz MdB (Brilon), Dr. Gerd Müller MdB<br />
(München), Dr. Helga Otto (Claßnitz), Prof.<br />
Dr. Martin Pfaff (Stadtbergen), Dr. Godelieve<br />
Quisthoudt-Rowohl MdEP (Hildesheim),<br />
Willi Rothley (Rockenhausen), Gudrun<br />
Schaich-Walch (Frankfurt a.M.), Regina<br />
Schmidt-Zadel (Ratingen), Theo Starzner<br />
M. A. (München), Dr. Dieter Thomae (Sinzig-<br />
Bad Bodendorf), Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim),<br />
Josef Vosen (Düren).
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 42<br />
Rheumatoide Arthritis<br />
Überlegungen aus der Politik zu einer schweren Krankheit<br />
Von Eike Hovermann<br />
I. Eklatante Unterversorgung im Bereich<br />
der Rheumatoiden Arthritis<br />
Die Zahl der an rheumatischen Entzündungen erkrankten<br />
Menschen in Deutschland nimmt auf Grund<br />
der demographischen Veränderungen kontinuierlich<br />
zu. Erkrankt sind nach Angaben der deutschen Rheumaliga<br />
bundesweit rund 9 Millionen Bürger. Unter den<br />
Betroffenen leiden rund 800.000 unter Rheumatoider<br />
Arthritis.<br />
Rechtzeitig diagnostiziert und nach dem Stand der<br />
Wissenschaft therapiert, können die Folgen der Erkrankung<br />
– irreversible Knorpel- und Gelenkschädigungen<br />
– mittlerweile gut unterdrückt werden. Doch<br />
der rechtzeitige Einsatz der neuartigen Arzneimittel,<br />
insbesondere der DMARDs und TNF-alpha-Inhibitoren<br />
ist in Deutschland im Unterschied zu anderen<br />
europäischen Ländern eher eine Ausnahme als die<br />
Regel.<br />
So führen nicht rheumatologisch ausgebildete Ärzte<br />
bei maximal 30 Prozent der Betroffenen eine Basistherapie<br />
mit langwirksamen Antirheumatika durch.<br />
Darüber hinaus erfolgen hierzulande bei 60 bis 70<br />
Prozent der Patienten drei oder mehr Behandlungsversuche<br />
mit konservativen Therapien, bevor die neuen<br />
Biologika eingesetzt werden.<br />
Dies liegt auch daran, dass an Rheumatoider Arthritis<br />
erkrankte Patienten in Deutschland im Durchschnitt<br />
erst nach 18 Monaten an einen Spezialisten überwiesen<br />
werden. Dadurch wird in vielen Fällen eine rasche<br />
Diagnose mit einer sich anschließenden „aggressiven“<br />
Therapie durch TNF-alpha-Inhibitoren verhindert.<br />
Wenn man all die o.g. Faktoren betrachtet, dürften die<br />
Zweifel an den Vorgaben des SGB V, dass das medizinisch<br />
Notwendige nach Stand der Forschung und<br />
unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes bereitgestellt<br />
werden muss, neue Nahrung erhalten.<br />
Die Nichteinhaltung der Leitlinien für Rheumatoide<br />
Arthritis, die einen Therapiebeginn mit den neuartigen<br />
Antirheumatika in den ersten sechs Monaten der Er-<br />
krankung vorschlagen, hat zur Folge, dass die Krankheit<br />
oftmals umgängliche irreversible Schäden im<br />
Gelenkapparat verursacht. Die Lebensqualität der<br />
Betroffenen nimmt deutlich ab, gefolgt von Arbeitszeitausfällen,<br />
Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung.<br />
Gesamtgesellschaftliche Kosten<br />
In der Folge steigen neben den direkten Behandlungskosten,<br />
unnötigerweise auch die gesamtgesellschaftlich<br />
zu tragenden Kosten durch Arbeitsunfähigkeit<br />
(diese liegen nach gängigen Ergebnissen dreifach<br />
höher als die direkten Behandlungskosten). Verschiedene<br />
Studien belegen, dass durch eine Therapie,<br />
auch mit hochpreisigen neuartigen Arzneimitteln,<br />
die Behandlungskosten von an Rheumatoider Arthritis<br />
Erkrankten durch die Vermeidung von Folgekosten<br />
weit fortgeschrittener Krankheitsstadien, reduziert<br />
werden können.<br />
So auch die Professorinnen Gromnica-Ihle und Zink:<br />
Der ungeheure Kostenschub könne vermieden werden,<br />
wenn Behandlungen frühzeitig nach Stand der<br />
Forschung begännen, etwa mit den neuen TNF-alpha-Inhibitoren,<br />
die als Biologika zunehmend in den<br />
Focus von Behandlungen rücken.<br />
Die Gründe für die eklatante Unterversorgung von an<br />
Rheumatoider Arthritis Erkrankter in Deutschland<br />
sind vornehmlich struktureller Natur. Zur Behandlung<br />
dieser „Volkskrankheit“ fehlen in Deutschland nach<br />
Meinung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie<br />
rund 400 Fachärzte, wenn man von einem Rheumatologen<br />
pro 100.000 Einwohner ausgeht. Hausärzte,<br />
die erster Ansprechpartner für die Erkrankten sind,<br />
zögern häufig aufgrund des Regressdrucks lange mit<br />
dem Einsatz hochwirksamer, aber hochpreisiger Medikamente.<br />
In Schweden und anderen europäischen Ländern<br />
werden innovative Arzneien – in Sonderheit die TNFalpha<br />
Inhibitoren – früher als in Deutschland in spezialisierten<br />
Zentren eingesetzt, weil es erstens hierfür<br />
im Unterschied zur ambulanten Versorgung in<br />
Deutschland keine Budgetlimits gibt, und weil zwei-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 43<br />
tens die Kosten-/Nutzeneffekte dort nicht nur in einem<br />
engen Zeitfenster von etwa einem Jahr betrachtet<br />
werden (Kostenträgerperspektive), sondern von der<br />
ersten Intervention bis zum Lebensende (gesamtgesellschaftliche<br />
Perspektive).<br />
Mit Recht scheint Prof. Dr. Jürgen Wasem dafür zu<br />
plädieren, dass im Unterschied zu den durchaus<br />
bedenklichen methodischen Eingrenzungen seitens<br />
des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen<br />
(IQWiG), Studiendaten aus kontrollierten<br />
klinischen Studien durch Ergebnisse aus der<br />
Versorgungsforschung und durch Expertenschätzungen<br />
ergänzt werden müssten, um auf diesem Weg<br />
längerfristige Modelle für Kosten und Outcomes zu<br />
entwickeln.<br />
Damit könnte gesichert werden, dass sich die Kostenüberlegungen<br />
der gesetzlichen Krankenkassen nicht<br />
nur auf die Jahreshaushaltsperspektive zurückziehen,<br />
sondern die gesamtgesellschaftlichen Kosten-<br />
Nutzen-Perspektiven – also den social value – berücksichtigen<br />
und einfließen lassen. Interessante Überlegungen<br />
hierzu offeriert auch das Gutachten von<br />
Prof. Wilfried Mau vom 18. Februar 2004, das im<br />
Auftrag des Landtages von Nordrhein-Westfalen erstellt<br />
wurde.<br />
In diesem Gutachten „Bereiche und Kosten der<br />
Fehl-, Unter- und Überversorgung von Patientinnen<br />
am Beispiel der Rheumatoiden Arthritis“ werden insbesondere<br />
in Bezug auf Frauen die Kosten der Basistherapeutika<br />
mit denen moderner Therapieformen mit<br />
TNF-alpha-Inhibitoren verglichen.<br />
Beispiel Integrationsverträge<br />
Dass es ganz abgesehen von Lebensqualität und<br />
indirekten Folgekosten wirtschaftlicher ist, im Falle<br />
des Krankheitsbildes der Rheumatoiden Arthritis sich<br />
am aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung<br />
zu orientieren, zeigen auch die vielfältigen<br />
Bemühungen der Krankenkassen im Rahmen einzelvertraglicher<br />
Regelungen. Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse<br />
(DAK) will offenbar mittels Integrationsverträgen<br />
– derzeit fünf mit rund 1.500 Patienten<br />
– dazu beitragen, dass schwer Rheumakranke möglichst<br />
schnell zum Spezialisten gelotst werden, indem<br />
z.B. Hausärzte und nicht spezialisierte Orthopäden<br />
Kriterien an die Hand bekommen, wann der Patient<br />
zum Spezialisten überwiesen werden muss.<br />
Dazu werden den Hausärzten Schulungen über ein<br />
rheumatologisches Partnernetzwerk angeboten. Auf<br />
diese Weise soll der Erkenntnis begegnet werden,<br />
dass die Erkrankungen von Hausärzten, Internisten<br />
und Orthopäden vielfach zu spät erkannt werden bzw.<br />
das Wissen um neue Behandlungsmethoden in vielen<br />
Fällen fehlt. Auf ähnlichen Wegen wie die DAK scheint<br />
die AOK Schleswig Holstein gehen zu wollen. Hier<br />
sollen die Kliniken zunehmend verpflichtet werden,<br />
eng mit den ambulanten Ärzten und Physiotherapeuten<br />
zu kooperieren, um auf diese Weise echte integrierte<br />
Versorgungsformen zu schaffen, mit denen<br />
unter anderem unnötige Doppeluntersuchungen vermieden<br />
und frühzeitigerer Therapiebeginn garantiert<br />
werden sollen.<br />
Die AOK Bayern wiederum will mit dem Klinikum<br />
München und dem Rheumazentrum Oberammergau<br />
durch einen Vertrag über Integrierte Versorgung unter<br />
anderem erreichen, dass bei einer vom Hausarzt vermuteten<br />
entzündlichen Rheumaerkrankung innerhalb<br />
von 14 Tagen die Möglichkeit eröffnet wird, einen<br />
Spezialisten aufzusuchen.<br />
All diese Maßnahmen setzen integrierte Fortbildung<br />
und Kooperationswillen innerhalb der Ärzteschaft voraus.<br />
Die einzelvertraglichen Regelungen von Kassen<br />
mit Leistungserbringern zur Integrierten Versorgung<br />
werden allerdings durch Verteilungskämpfe in den<br />
Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und der Kassenärztlichen<br />
Bundesvereinigung (KBV) sowie zwischen<br />
ambulanten Ärzten und Krankenhäusern nicht<br />
gemildert, sondern eher verstärkt werden.<br />
Im Rahmen dieser und anderer Entwicklungen soll<br />
nun auch das Regressrisiko für Hausärzte bei einer<br />
Verschreibung von Biologika durch ein Zweitmeinungsverfahren<br />
gemindert werden. So auch der Vorsitzende<br />
des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />
(G-BA), der überdies in Übereinstimmung mit der<br />
Deutschen Rheumaliga darüber nachdenkt, ob nicht<br />
auch für Rheuma ein strukturiertes Behandlungsprogramm<br />
(DMP) Sinn machen könnte.<br />
Es wurde nicht deutlich, ob dies seiner Meinung nach<br />
auch wieder in Anbindung an den Risikostrukturausgleich<br />
(RSA) konstruiert werden soll, oder wie es wohl<br />
in den neuen morbiditätsorientierten RSA (Morbi-<br />
RSA) einzupassen ist.<br />
II. Was bei diesen und anderen Diskussionen<br />
oftmals noch zu fehlen scheint<br />
Nicht nur bei Rheuma nimmt wegen demografischer<br />
Veränderungen und anderer Faktoren die Fallhäufigkeit<br />
extrem zu, selbiges gilt auch für die jetzigen und<br />
kommenden Volkskrankheiten wie etwa Diabetes,<br />
COPD, KHK, Brustkrebs, Skeletterkrankungen und
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 44<br />
Depressionen. Für jede dieser Indikationen wird ununterbrochen<br />
geforscht, werden fast kontinuierlich<br />
Fortschritte in Diagnostik und Therapie entwickelt.<br />
Jeder Indikationsbereich kann mühelos Zahlen vorlegen,<br />
mit denen für die Kostenträger wie auch aus<br />
gesamtgesellschaftlichen Erwägungen heraus nachgewiesen<br />
werden kann, dass mit innovativen Behandlungen<br />
Kosten eingespart werden können und dass<br />
die Lebensqualität verbessert wird. Die Begründungen<br />
sind zahllos und in sich oft nachvollziehbar.<br />
Parallel dazu wird die Erwartungshaltung der Beitragszahler<br />
und Patienten – durch täglich laufende<br />
und abrufbare Gesundheitsmagazine in Schrift und<br />
Bild – ständig vergrößert. Egal ob es an einem Tag<br />
um Defibrillatoren geht, am anderen um die neue<br />
Generation von Insulinpumpen, um neue Hörgeräte,<br />
neue Operationstechniken, neue Arzneien und so fort.<br />
Die so ständig wachsenden Ausgaben haben alle eins<br />
gemeinsam: Sie können nach Addition der Einzelsummen<br />
weder vom gegenwärtigen Solidarsystem<br />
der GKV noch alleine durch Reformen der Einnahmenseite,<br />
sei es über eine Bürgerversicherung, eine<br />
Kopfpauschale, noch durch Mischmodelle bezahlt<br />
werden.<br />
Denn trotz aller Regulierungsversuche gibt es auf der<br />
Ausgabenseite weiterhin intransparente Geldflüsse,<br />
innerhalb derer Geld nicht einer wirklich qualitätsvollen<br />
Leistung folgt. Es gibt die offenbar interaktionsresistente<br />
Sektorenversorgung und der Streit innerhalb<br />
von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und<br />
den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) mit ihren<br />
unterschiedlichen Fakultäten wird intensiver und die<br />
Duale Finanzierung mit dem daraus resultierenden<br />
Investitionsstau in zweistelliger Milliardenhöhe bricht<br />
weiter weg.<br />
Dieses und anderes geht zu Lasten der Versorgung<br />
mit dem undurchschaubaren Gewirr von Über-, Unter–<br />
und Fehlversorgung. Dies sind Entwicklungen,<br />
die seit Jahren bekannt sind, aber offenbar durch die<br />
bekannten Gesetzes- und Verordnungsfluten und<br />
überdrehte Stellschrauben, nicht aufgelöst werden<br />
konnten. Erinnert sei stellvertretend an das Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz<br />
(ABAG), das bald darauf<br />
durch das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz<br />
(AABG) mehr oder weniger aufgehoben wurde. Weiterhin<br />
sind zu nennen: das Arzneimittelversorgungs-<br />
Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG), das GKV-Modernisierungsgesetz<br />
(GMG) und jetzt das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz<br />
(GKV-WSG) und die völlig<br />
erfolglosen Anläufe der Bundesländer zur Dualen<br />
Finanzierung.<br />
Das Schlimme: Alles geschieht im Rahmen längst<br />
schon bekannter Regelmechanismen. Dabei wird an<br />
Hand nachprüfbarer Resultate immer klarer, dass innerhalb<br />
dieses aufgewachsenen Wustes bisher keine<br />
nachhaltigen Lösungen entwickelt wurden. Ansätze<br />
außerhalb des Gewohnten werden nicht aufgegriffen.<br />
Die Lösung für alles Auf- und Angestaute kann aber<br />
eben offenbar nicht aus den gewachsenen Interessenstrukturen<br />
heraus entstehen – getreu der bekannten<br />
westfälischen Einsicht: Man darf die Frösche nicht<br />
fragen, wenn man den Teich austrocknen will. Gesundheit<br />
ist schlicht nichts anderes als Teil des gesamtgesellschaftlichen<br />
Ganzen. Lösungen im Teilsektor<br />
Gesundheit zu entwickeln, wenn gesamtgesellschaftliche<br />
Umsteuerungen und neues Nachdenken<br />
fehlen, können nicht gelingen. Es bleibt bei Reparaturen.<br />
Hier kann nur – und auch muss die Politik neu<br />
justieren. Die große Koalition sollte eigentlich – von<br />
den Stimmen im Parlament her – die Kraft dazu aufbringen<br />
können.<br />
„Hidden Agenda des BMG“<br />
Im Zuge der Umsetzung der Paragraphen 73 b,<br />
SGB V (Hausarztzentrierte Versorgung), 73 c<br />
(Fachärztliche Versorgung), 116 a, b (Teilöffnung<br />
der Krankenhäuser), 137 e (DMP-Versorgung),<br />
140 a ff. (Integrierte Versorgung) ist ein Trend zu<br />
beobachten, der in der Tendenz bedeuten könnte:<br />
„Weg mit der doppelten Vertragsarztschiene und<br />
Fokussierung auf hausärztliche und krankenhausbezogene<br />
Versorgungsschienen.“<br />
Dr. Köhler von der KBV hat dies auf einer Tagung<br />
von Zeno am 18.6. 2007 als „Hidden Agenda“ des<br />
BMG bezeichnet.<br />
III. Mut zu neuen Denkansätzen und<br />
Steuerungsmechanismen<br />
Der Beginn einer ehrlichen Diskussion über die Grenzen<br />
und Möglichkeiten unseres Sozialstaats und der<br />
solidarisch paritätischen Finanzierung im Bereich des<br />
Gesundheitswesens ist also längst überfällig. Das ist<br />
ein ebenso sozialdemokratischer wie auch christdemokratischer<br />
und christlich-sozialer Auftrag zum<br />
Wohle insbesondere auch nachfolgender Generationen,<br />
deren Belastungen in den Bereichen Rente, Pflege<br />
und Gesundheitsversorgung so und so groß genug<br />
sein werden.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 45<br />
Statt der vorherrschenden schleichenden Rationierung<br />
im Gesundheitssystem, die in vielen Fällen weder<br />
einer medizinischen Logik noch einem rationalen<br />
Mitteleinsatz folgt, sollte eine ehrliche und transparente<br />
Diskussion über verantwortbare Rationierung im<br />
Sinne eines rationalen Mitteleinsatzes im Gesundheitswesen<br />
plus Priorisierung erfolgen. Das Scheitern<br />
der ständigen Korrekturen auf der Einnahmenseite<br />
zeigt, dass grundlegende Strukturveränderungen unausweichlich<br />
sind.<br />
Hierzu gehören:<br />
● Die Konzeptionierung einer Grundversorgung mit<br />
durch die Beitragszahler zu finanzierenden Zusatzpaketen.<br />
Dies würde auch zur Erhöhung der Eigenverantwortung<br />
gemäß der einschlägigen Paragraphen<br />
des SGB V beitragen.<br />
● Der Start eines echten Wettbewerbs zwischen<br />
den GKV-Kassen durch Reduktion der ständig verfeinerten<br />
Regulierungsmechanismen wie RSA, RSA mit<br />
Koppelung an die DMP, den Wegfall des staatlich<br />
festgelegten Beitragssatzes mit einer Kappungsgrenze<br />
von ein Prozent und des Gesundheitsfonds dessen<br />
Verteilmechanismen erst nach Abbau der Verschuldung<br />
und nach Implantation des Morbi RSA ab dem<br />
Jahre 2009 greifen können.<br />
● Anstatt des dauernden Aufbaus wirklicher Abbau<br />
von Regulierungen und Stärkung der Selbstverwaltung<br />
statt deren schrittweisen Abbaus durch staatliche<br />
Eingriffe oder verpflichtende Versorgungsmodelle<br />
wie das Hausarztmodell, mit dem die oben skizzierten<br />
Grundprobleme und Aufgaben natürlich nicht gelöst<br />
werden können. Durch derartige Maßnahmen wird<br />
allenfalls eine Zeit lang das Spiel des „Schwarzen<br />
Peters Zuschiebens“ bereichert.<br />
Neue Denkansätze entsprächen durchaus auch dem<br />
Koalitionsvertrag: „Das Gesundheitswesen ist eine<br />
dynamische Wirtschaftsbranche mit Innovationskraft<br />
und erheblicher ökonomischer Bedeutung für den<br />
Standort Deutschland. Angesichts großer Herausforderungen,<br />
insbesondere des demografischen Wandels<br />
und des medizinischen und medizinisch-technischen<br />
Fortschritts, muss das Gesundheitswesen jedoch<br />
ständig weiterentwickelt werden.“<br />
Dazu sollte auch der Mut gehören dürfen, über die<br />
derzeitigen und zukünftig anzunehmenden Auswirkungen<br />
etwa von RSA, RSA und DMP-Koppelung und<br />
Morbi RSA im Zusammenhang mit dem völlig unscharfen<br />
Wettbewerbsbegriff im GKV-WSG nachzudenken.<br />
Dass dies nicht vom Wissenschaftlichen Institut der<br />
AOK (WIdO) – etwa durch Klaus Jakobs und Sabine<br />
Schulz mit ihrem Artikel „Der Risikostrukturausgleich<br />
auf dem Weg zur direkten Morbiditätsorientierung“ –<br />
erwartet werden darf, scheint klar. Die AOK brauchte<br />
bisher den ständig verfeinerten RSA, die Koppelung<br />
des RSA an die DMPs und sicher auch den Morbi<br />
RSA, um mit ihren vielen Töchtern in der Fläche<br />
überhaupt überlebensfähig zu bleiben.<br />
Dass Wasem aber – siehe „Die Weiterentwicklung des<br />
Risikostrukturausgleiches ab dem Jahre 2009“ – im<br />
Grunde in das gleiche Horn stößt, verwundert mich<br />
aus mehrerlei Gründen:<br />
1. müsste der Morbi RSA bis Frühjahr 2008 überhaupt<br />
erst für das gesamte Patientenkollektiv der<br />
GKV gerechnet werden können,<br />
2. müsste der Fonds ab 2009 seine volle Wirkung<br />
entfalten. Die Umsetzung in den Versorgungsalltag<br />
mit all seinen ungeklärten Geld-Transfermechanismen<br />
braucht aber sicher noch mehrere Jahre,<br />
3. müssten die Entschuldung bis Ende 2008 tatsächlich<br />
vollzogen sein,<br />
4. müsste der bundesweit einheitliche Beitragssatz<br />
umgesetzt werden können, dessen Sinnhaftigkeit<br />
wegen der Kappungsgrenze von ein Prozent von<br />
Wasem energisch per Gutachten bestritten worden<br />
ist,<br />
5. müssten die Zuführungen des Bundesfinanzministers<br />
bis 2015 ungehindert fließen – im Saldo von<br />
2007 bis 2015 80 Milliarden Euro – und danach mit<br />
14 Milliarden pro Jahr weiter zur Verfügung stehen,<br />
6. dürfte die Duale Finanzierung nicht weiter zusammenbrechen<br />
und dürfte sich die Schere zwischen<br />
grundlohnsummenbezogenen Einnahmen und Ausgaben<br />
nicht weiter öffnen. Genau das geschieht aber.<br />
Man könnte diese Reihung sicher noch ergänzen. All<br />
diese Entwicklungen im realen Versorgungsalltag<br />
werden nicht nur den Morbi RSA, sondern alle mit ihm<br />
zusammenhängenden Mechanismen zentral berühren.<br />
Deshalb werden wie bisher ständige Korrekturmaßnahmen<br />
folgen müssen. Dies sollte man berücksichtigen<br />
und nicht in Sandkastenspielen wie z. B.<br />
Wasem davon ausgehen, dass das auf Basis alter<br />
Denkrituale Ausgedachte auch Realität werden kann.<br />
Denn alle bisherigen Erfahrungen zeigen das Gegenteil.<br />
Deshalb ist es die Verantwortung aller eine Diskussion<br />
über grundlegende Strukturveränderungen<br />
herbeizuführen und die unerledigte, verantwortungsvolle<br />
Aufgabe einer nachhaltigen Reform endlich<br />
anzupacken.<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 46<br />
Deutliche Verbesserung der Qualität<br />
Neue Versorgungsform für Patienten mit Rheumatoider Arthritis<br />
am Beispiel des Integrationsvertrages der AOK Schleswig-Holstein<br />
mit dem Städtischen Krankenhaus Kiel 1<br />
Von Gerhard Kruse und Andreas Hering<br />
1. Ausgangssituation und Ziele<br />
Die Rheumatoide Arthritis ist die häufigste entzündliche<br />
rheumatische Gelenkerkrankung in Deutschland.<br />
Nach Expertenschätzungen liegt die Prävalenz bei<br />
knapp einem Prozent der Bevölkerung. Auf knapp<br />
3.500 erkrankte Patienten allein im Großraum der<br />
Landeshauptstadt Kiel schätzen Experten die Zahl<br />
der Betroffenen. Die Krankheit nimmt einen chronischen<br />
Verlauf und führt unbehandelt zu körperlichen<br />
Behinderungen bis hin zur Vollinvalidität.<br />
Bis vor wenigen Jahren kam es innerhalb von zehn<br />
Jahren bei jedem Zweiten der Betroffenen über die<br />
Arbeitsunfähigkeit zur Erwerbsunfähigkeit. Auf Grund<br />
von Komplikationen der Erkrankung, insbesondere<br />
dem vorzeitigen Auftreten von Herzinfakten und<br />
Schlaganfällen, ist die Lebenserwartung der Patienten<br />
um zehn oder mehr Jahre verkürzt. Erst seit wenigen<br />
Jahren ist es möglich, die zu Grunde liegende<br />
Entzündung vollständig oder teilweise zum Stillstand<br />
zu bringen.<br />
Daten der Versorgungsforschung zeigen, dass nach<br />
wie vor bis zu 50 Prozent der Erkrankten nicht die<br />
optimale medizinische Versorgung erhalten. Diese<br />
Bilanz veranlasste die AOK Schleswig-Holstein gemeinsam<br />
mit dem Städtischen Krankenhaus Kiel Vertragsverhandlungen<br />
über eine Integrierte Versorgung<br />
für Patienten mit Rheumatoider Arthritis (IV-RA) aufzunehmen.<br />
Folgende Ziele einer Integrierten Versorgung<br />
standen dabei im Mittelpunkt:<br />
● Qualitätsverbesserung<br />
– Schnellerer Zugang zum Spezialisten,<br />
– Einhaltung der therapeutischen Standards,<br />
– Koordinierte Übergänge zwischen den Sektoren,<br />
– bessere Krankheitskontrolle durch intensivere<br />
Betreuung.<br />
● Verminderung von Folgekosten<br />
– Abbau von Fehl- und Doppeldiagnostik,<br />
– Reduktion stationärer Aufenthalte,<br />
– Reduktion von Arbeitsunfähigkeitszeiten,<br />
– Reduktion von Erwerbsunfähigkeit.<br />
2. Entwicklungsgeschichte<br />
Die Projektidee einer Integrierten Versorgung für Patienten<br />
mit Rheumatoider Arthritis wurde 2004 von<br />
Prof. Dr. med. Johann Oltmann Schröder (Städtisches<br />
Krankenhaus Kiel) entwickelt.<br />
Nach der Präsentation gegenüber der AOK Schleswig-Holstein<br />
im Jahr 2005 starteten die Vertragsverhandlungen.<br />
Für die AOK Schleswig-Holstein war das<br />
Projekt von Beginn an von besonderer Bedeutung.<br />
Durch den hohen Marktanteil verfügt die AOK Schleswig-Holstein<br />
über ein unter Kosten-/Nutzen-Aspekten<br />
ausreichendes Patientenpotenzial. Darüber hinaus<br />
sind der Kasse innovative Versorgungsformen nicht<br />
fremd. In den letzten Jahren ist die AOK Schleswig-<br />
Holstein bundesweit mehrfach von der Zeitschrift FI-<br />
NANZtest als Krankenkasse mit den meisten Zusatzleistungen<br />
ausgezeichnet worden.<br />
Die Vertragsverhandlungen wurden in der Zeit von<br />
Februar 2005 bis März 2006 geführt. Der Schwerpunkt<br />
der Verhandlungen lag bei der Konfektionierung<br />
eines neuen Behandlungspfades für Patienten mit<br />
Rheumatoider Arthritis im Großraum Kiel. Darüber<br />
hinaus wurden Zielsetzung und Ablauforganisation<br />
der neu einzurichtenden Koordinierungsstelle im<br />
Städtischen Krankenhaus Kiel definiert.<br />
1 Informationen über dieses und weitere IV-Modelle können auch dem<br />
vom Bundesverband Managed Care herausgegeben Buch „Leuchtturmprojekte<br />
Integrierter Versorgung und medizinischer Versorgungszentren“ –<br />
Verlag medizinisch wissenschaftliche Verlagsgesellschaft – entnommen<br />
werden.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 47<br />
Die Koordinierungsstelle hat die Aufgabe, alle Behandlungsabläufe<br />
innerhalb der Integrierten Versorgung<br />
zu koordinieren. Darüber hinaus ist sie zuständig<br />
für die gesamte Dokumentation als Grundlage für<br />
die durchzuführende Qualitätssicherung.<br />
Abschließend wurde Einigung über ein Gesamtbudget<br />
pro Jahr für alle Leistungen, die innerhalb der<br />
Integrierten Versorgung erbracht werden, erzielt.<br />
Der Vertrag über die Integrierte Versorgung wurde mit<br />
Wirkung zum 1. April 2006 abgeschlossen. Nach den<br />
notwendigen Vorarbeiten zum Aufbau der Strukturvoraussetzungen<br />
bieten die AOK Schleswig-Holstein<br />
und das Städtische Krankenhaus Kiel den Patienten<br />
seitdem die Integrierte Versorgung an.<br />
Die Integrierte Versorgung ermöglicht eine dauerhaft<br />
neue, effektivere und effizientere sektorübergreifende<br />
Versorgungsstruktur für Patienten mit Rheumatoider<br />
Arthritis. Innerhalb dieses Vertrages strebt die AOK<br />
Schleswig-Holstein gemeinsam mit dem Städtischen<br />
Krankenhaus Kiel eine wirtschaftlichere und optimierte<br />
Behandlung der Patienten an.<br />
Um eine dauerhaft hohe Versorgungsqualität sicher<br />
zu stellen, orientieren sich die Therapiemaßnahmen<br />
3.1 Beteiligte Partner – Integrierte Versorgung bei Rheumatoider Arthritis<br />
ambulant<br />
Orthopäde<br />
Rheumatologe<br />
➤<br />
Physiotherapeut<br />
➤<br />
➤<br />
Hausarzt<br />
PATIENT<br />
Ergotherapeut<br />
Abbildung 1: Partner der Integrierten Versorgung<br />
Quelle: Prof. Dr. med. J. O. Schröder, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
an den jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen.<br />
Durch klar strukturierte Behandlungsketten<br />
wird dem Versorgungsbedürfnis der Patienten Rechnung<br />
getragen und die Lebensqualität der Patienten<br />
signifikant verbessert.<br />
3. Die Konzeption der Versorgung<br />
Im Rahmen der Integrierten Versorgung werden die<br />
folgenden Ziele verfolgt:<br />
a) Die Qualität der Versorgung von Patienten mit<br />
Rheumatoider Arthritis durch eine engere Kooperation<br />
der Leistungserbringer zu erhöhen, unter<br />
anderem durch:<br />
● Case Management durch die Koordinationsstelle<br />
„Integrierte Versorgung Rheumatoide Arthritis<br />
(IV-RA)“ im Städtischen Krankenhaus Kiel,<br />
● Verkürzung der Wartezeiten für Erstvorstellungstermine<br />
beim Facharzt für Rheumatologie,<br />
● Erhöhung des Anteils von Patienten mit adäquater<br />
Basistherapie,<br />
● Verringerung von vermeidbaren Nebenwirkungen<br />
der medikamentösen Therapie,<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
Innere Medizin<br />
➤<br />
Radiologie<br />
Orthopädie<br />
stationär
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 48<br />
● Erhöhung der Quote fachärztlich betreuter Patienten,<br />
● Koordinierte Übergänge zwischen den beteiligten<br />
Sektoren der Behandlungskette,<br />
● Reduktion des Anteils von Patienten mit funktionalem<br />
Endstadium,<br />
● Fort- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Rheumatoiden<br />
Arthritis als Teilnahmevoraussetzung für<br />
Vertragsärzte/innen,<br />
● Kompetente Ansprechpartner für den Hausarzt/<br />
die Hausärztin in der Koordinationsstelle, Unterstützung<br />
zur optimalen Patientenversorgung.<br />
b) Eine Verringerung der Folgekosten der Rheumatoiden<br />
Arthritis durch:<br />
● frühere und genauere Diagnosestellung durch geschulte<br />
Ärzte/innen,<br />
● Abbau von Doppeldiagnostiken (labor- und gerätebasiert)<br />
und Vermeidung unqualifizierter Diagnoseverfahren,<br />
● Reduktion der stationären Aufenthalte von Patienten,<br />
● Reduktion von Arbeitsunfähigkeitszeiten,<br />
● Reduktion der Erwerbsunfähigkeit,<br />
● Reduktion der Arzneimittelkosten durch Festlegung<br />
einer wirtschaftlichen Verordnungsweise und<br />
kontrolliertem Umgang mit neuen (teuren) Medikamenten,<br />
● öffentliche Ausschreibung der Medikamentenversorgung<br />
(Apotheken),<br />
● Abschluss von Rabattverträgen nach § 130 a<br />
Abs. 8 SGB V mit Arzneimittelherstellern,<br />
● Informationsangebote und Schulungsveranstaltungen<br />
für Patienten.<br />
c) Die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen<br />
der AOK Schleswig-Holstein und Leistungserbringern<br />
durch:<br />
● Vereinbarung der Erfüllung und Dokumentation<br />
von Qualitätsstandards (Ziel: Verbesserung des<br />
Disease Activity Score (DAS) der Patienten).<br />
● mehr Transparenz über Behandlungsverlauf, Behandlungserfolg<br />
und Behandlungskosten (Versorgungsdaten).<br />
3.2 Management und Vergütung<br />
Für die Organisation und Dokumentation der Integrierten<br />
Versorgung hat das Städtische Krankenhaus<br />
Kiel eine „Koordinierungsstelle eingerichtet. Die Koordinationsstelle<br />
übernimmt die im Rahmen der Integrierten<br />
Versorgung notwendigen administrativen<br />
Aufgaben der Patientenverwaltung und der Patientensteuerung<br />
und ist zentraler Ansprechpartner für alle<br />
Leistungserbringer und Patienten.<br />
Ziel der Koordinationsstelle ist die Information über<br />
die Integrierte Versorgung und die Gewährleistung<br />
der sektorübergreifenden Versorgung der Patienten.<br />
Sie wählt die teilnehmenden Patienten nach Schweregraden<br />
aus und führt die vierteljährliche und abschließende<br />
Dokumentation des Krankheitszustandes<br />
durch. Auf diese Weise tritt das Städtische Krankenhaus<br />
Kiel in der Rechtsbeziehung gegenüber<br />
der AOK Schleswig-Holstein als Managementgesellschaft<br />
gem. § 140 b Abs. 1 Nr. 4 auf (s. Abbildung 2,<br />
S. 49).<br />
Die Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen für<br />
eingeschriebene Versicherte erfolgt nach Maßgabe<br />
des aktuellen EBM über die Kassenärztliche Vereinigung<br />
Schleswig-Holstein (KVSH), soweit im Vertrag<br />
über die Integrierte Versorgung keine abweichenden<br />
Regelungen vereinbart wurden.<br />
Die Vergütung der stationären Leistungen erfolgt<br />
grundsätzlich nach den entsprechenden DRGs und<br />
der gültigen Entgeltvereinbarung des Städtischen<br />
Krankenhauses Kiel. Darüber hinaus sind außerbudgetäre<br />
Leistungsfälle mit individuellen Konditionen<br />
vereinbart.<br />
Für zusätzliche Leistungen im Rahmen der Integrierten<br />
Versorgung erhalten die teilnehmenden Vertragsärzte<br />
eine Vergütung, die über Pseudoziffern mit der<br />
Koordinationsstelle im Städtischen Krankenhaus Kiel<br />
abgerechnet wird. Auch Praxen für Krankengymnastik,<br />
Ergotherapie und Physikalische Therapie rechnen<br />
ihre Leistungen mit der Koordinationsstelle im<br />
Städtischen Krankenhaus Kiel ab.<br />
Die an diesem Vertrag teilnehmende/n Apotheke/n<br />
stellen die im Rahmen der Integrierten Versorgung<br />
verordneten Arzneimittel direkt der Koordinationsstelle<br />
in Rechnung.<br />
Um die Vergütung der zusätzlichen Leistungen, die im<br />
Rahmen der Integrierten Versorgung erbracht werden,<br />
zu refinanzieren, haben die Vertragspartner die<br />
Arzneimittelversorgung öffentlich ausgeschrieben.<br />
Grundlage hierfür ist § 129 Abs. 5 b SGB V, nach dem
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 49<br />
Abbildung 2<br />
Teilnahmeerklärung<br />
➤<br />
PATIENT<br />
Hausarzt Facharzt Apotheke<br />
öffentliche Apotheken an Verträgen zur Integrierten<br />
Versorgung beteiligt werden können.<br />
Durch dieses Ausschreibungsverfahren wird eine öffentliche<br />
Apotheke an der Arzneimittelversorgung im<br />
Rahmen der Integrierten Versorgung beteiligt, die den<br />
Vertragspartnern günstige Konditionen angeboten<br />
hat. Darüber hinaus wurde ein Rabattvertrag nach<br />
§ 130 a SGB V abgeschlossen. Weitere sollen folgen.<br />
4. Erste Erfahrungen mit der Integrierten<br />
Versorgung Rheumatoider Arthritis<br />
Die Qualitätsverbesserung wurde weitestgehend erreicht.<br />
Die Patienten erhalten einen Vorstellungstermin<br />
innerhalb von 14 Tagen bei einem qualifizierten<br />
Facharzt in der Koordinationsstelle und der Hausarzt<br />
wurde jeweils entsprechend den aktuellen Standards<br />
in der Therapie beraten.<br />
Durch die intensivere Betreuung über eine vierteljährliche<br />
Wiedervorstellung der Patienten in der Koordinationsstelle<br />
mit Messung der Krankheitsaktivität (disease<br />
activity score – DAS 28) und des körperlichen<br />
Funktionsstatus (heath assessment questionaire –<br />
HAQ) des Patienten, konnten Krankheitsschübe früh<br />
erkannt und behandelt werden. Arbeitsunfähigkeits-<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
AOK<br />
Schleswig-Holstein<br />
Hauptvertrag<br />
Städtisches Krankenhaus<br />
Kiel GmbH<br />
Teilnahmeerklärungen<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
➤<br />
Praxen für<br />
Ergotherapie<br />
➤<br />
➤<br />
Praxen für<br />
Krankengymn.<br />
Ggf. weitere<br />
zeiten sowie stationäre Aufenthalte wurden dadurch<br />
nachweislich vermieden – so wurde bereits zu diesem<br />
frühen Zeitpunkt des Versorgungsprojektes zur Verringerung<br />
der Folgekosten beigetragen.<br />
Die Qualität in der Versorgung der Patienten wurde<br />
eindeutig erhöht. Eine ergotherapeutische Sprechstunde<br />
und eine zertifizierte ambulant durchgeführte<br />
und von den Teilnehmern im Schulnotensystem mit<br />
1,5 bewertete Patientenschulung in 6 fachübergreifenden<br />
Modulen wurden eingeführt. Auch im Gesamtverlauf<br />
zeigt die subjektive Einschätzung der Patienten<br />
bzgl. ihrer Krankheitsschwere (Absinken um im<br />
Mittel 2,5 Punkte auf einer Skala von 0 –10) und die<br />
objektive Messung der Krankheitsaktivität durch die<br />
Koordinationsstelle eine signifikante Verbesserung<br />
der Messwerte im Vergleich zur Visite im Vorquartal<br />
(s. folgende Abbildung 3 auf S. 50).<br />
Für die niedergelassenen Ärzte wurden inzwischen<br />
drei Fortbildungen auf dem Gebiet der Rheumatologie<br />
angeboten, die die Optimierung der Behandlungsverläufe<br />
unterstützen sollen. Die Sondervergütung für<br />
teilnehmende Ärzte wurde vereinfacht. Die Gelder<br />
werden den Ärzten jetzt quartalsweise pauschal überwiesen.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 50<br />
Abbildung 3: Verlauf der Krankheitsaktivität (DAS 28 und HAQ)<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Die Sammlung, Dokumentation und Auswertung der<br />
medizinischen Daten in der Koordinationsstelle, u.a.<br />
mit Hilfe des Expertensystems für rheumatische Erkrankungen<br />
„ARDIS“, lief nach anfänglicher Einarbeitungszeit<br />
unproblematisch. Die Arztbriefe aus der Koordinationsstelle<br />
erstellt das Programm im Anschluss<br />
an die Eingaben zum allergrößten Teil automatisch.<br />
Das Statistik-Modul von ARDIS kann noch erweitert<br />
genutzt und angepasst werden.<br />
Die Abläufe in den Arztpraxen bzgl. der Kennzeichnung<br />
von Medikamenten- und Heilmittelrezepten bedurfte<br />
einer Anlaufzeit von 1 bis 2 Monaten. Nach<br />
wiederholter Information und Einführung einer Mitgliedskarte<br />
im Chipkartenformat für die Patienten mit<br />
wichtigen Informationen über Ansprechpartner und<br />
die Apotheke, wurde die Abrechnungsquote der Arznei-<br />
und Heilmittel deutlich angehoben. Es hat sich<br />
gezeigt, dass nach guten Erfahrungen mit ersten Patienten,<br />
die Praxen dann häufig auch weitere Patienten<br />
in die IV-RA einschreiben.<br />
Die AOK erhält vierteljährlich einen Bericht über den<br />
Verlauf der medizinischen und finanziellen Entwicklung<br />
in der IV-RA. Die AOK Schleswig-Holstein ist mit<br />
Visite 1 Visite 2<br />
DAS 28<br />
+ STD<br />
– STD<br />
HAQ<br />
+ STD<br />
– STD<br />
der Arbeit der Management-Gesellschaft am Städtischen<br />
Krankenhaus Kiel sehr zufrieden. Ein beratender<br />
Vertragsausschuss, zusammengesetzt aus allen<br />
beteiligten Leistungserbringern, tagt halbjährlich,<br />
tauscht Erfahrungen aus und gibt Empfehlungen zur<br />
Weiterentwicklung des Projektes.<br />
Die zögerliche Akzeptanz des IV-Vertrages bei der<br />
Kieler Ärzteschaft hat dazu geführt, dass die Rekrutierungszahlen<br />
zunächst hinter den Erwartungen<br />
zurückgeblieben sind. Für die Refinanzierung der Organisationskosten<br />
(v.a. Personalkosten der Koordinationsstelle)<br />
sind die Einschreibezahlen noch nicht<br />
ausreichend. Eine ansteigende Tendenz ist inzwischen<br />
absehbar. Die Vertragspartner erwarten, dass<br />
2008 eine ausgewogene Bilanz erreicht werden kann.<br />
4. Nächste Schritte<br />
Für das nächste Versorgungsjahr muss ein neues<br />
Budget aufgrund der Erfahrungen aus dem ersten<br />
Projektjahr ausgehandelt werden. Nicht zuletzt sollten<br />
weitere Rabatt-Verträge mit der Pharmaindustrie<br />
folgen.<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 51<br />
Notwendige Integration der Versorgung im<br />
Bereich Rheumatologie und Lösungsansätze<br />
Konzentration vs. Flächendeckende Versorgung im Bereich Rheumatologie<br />
am Beispiel des Landes Brandenburg<br />
Von Lutz Freiberg<br />
Das Gesundheitswesen in Deutschland unterliegt einem<br />
Wandel, der sämtliche Akteure vor neue Herausforderungen<br />
stellt, um auch in Zukunft eine wohnortnahe,<br />
flächendeckende medizinische Versorgung aufrecht<br />
zu erhalten.<br />
Der demografische Wandel, fehlender ärztlicher<br />
Nachwuchs und unattraktive Infrastrukturen, überwiegend<br />
in der Fläche, sowie ein zunehmender Wettbewerb<br />
im ambulanten Bereich lassen die Zahl der niedergelassenen<br />
Ärzte, besonders in den ländlichen<br />
Regionen, langsam aber kontinuierlich sinken. Das<br />
Land Brandenburg ist schon heute das Flächenland<br />
mit der bundesweit geringsten Anzahl von Vertragsärzten<br />
im Verhältnis zur Einwohnerzahl.<br />
Während im Bundesdurchschnitt rund 142 Vertragsärzte<br />
100.000 Einwohner versorgen, liegt die Quote in<br />
Brandenburg bei nur rund 120 Vertragsärzten. [1], [2]<br />
Die Zahl neu zu besetzender Arztsitze liegt gegenwärtig<br />
bei 150, wobei diese Zahl durch die Altersstruktur<br />
der derzeit tätigen Ärzte in den nächsten Jahren weiterhin<br />
steigen wird.<br />
Die Neubesetzung dieser fehlenden Arztsitze wird<br />
jedoch durch die aktuellen gesetzlichen Änderungen<br />
zunehmend erschwert. Der politisch gewollte Wettbewerb<br />
und somit der wachsende Druck zu Kooperation<br />
und Konzentration wird regionale Versorgungslücken,<br />
besonders in den peripheren Gebieten des Landes,<br />
entstehen lassen.<br />
So zeichnen sich bereits heute aufgrund von Selektivverträgen<br />
und neuer Möglichkeiten der Kooperation<br />
Konzentrationseffekte in der ambulanten Versorgung<br />
ab, wie wir sie seit Jahren schon im stationären Bereich<br />
erleben.<br />
Die gesetzliche Öffnung der stationären Einrichtungen<br />
für die Erbringung zusätzlicher ambulanter Versorgungsleistungen,<br />
z.B. durch die Möglichkeit der<br />
Gründung Medizinischer Versorgungszentren sowie<br />
die Schaffung des § 116 b SGB V (Ambulante Behandlung<br />
im Krankenhaus), werden diese Konzentrationseffekte<br />
in Zukunft weiter verschärfen und vor<br />
allem deutliche Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen.<br />
In diesem Wettbewerb um Effizienz und beste<br />
Qualität in der medizinischen Versorgung werden die<br />
Akteure, infolge der gesetzlichen Rahmenbedingungen,<br />
mit ungleich langen Spießen ausgestattet.<br />
In erster Linie werden davon hoch spezialisierte ambulante<br />
Facharztpraxen betroffen sein. So hat ein<br />
niedergelassener Arzt, im Gegensatz zu einem Krankenhaus,<br />
sämtliche Kosten – einschließlich der Praxisinvestitionen<br />
– aus seiner Leistungsvergütung zu<br />
tragen. Stationäre Einrichtungen haben dagegen die<br />
Investitionen, die zur Erbringung ambulanter medizinischer<br />
Leistungen benötigten werden, bereits getätigt<br />
oder diese werden im Rahmen der dualen Finanzierung<br />
durch öffentliche Mittel getragen.<br />
Neben den niedergelassenen Fachärzten sind jedoch<br />
auch kleine Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung<br />
vor Ort von den ungleichen Wettbewerbsbedingungen<br />
betroffen. Die politisch geförderte Konzentration<br />
bestimmter Leistungen auf nur wenige<br />
Schwerpunkt- und Maximalversorgerhäuser führt<br />
dazu, dass kleinere Häuser nicht mehr in der Lage<br />
sind kostendeckend zu arbeiten und somit bestimmte<br />
spezialisierte Leistungen nicht mehr anbieten können.<br />
Schließungen von Abteilungen und ganzen Häusern<br />
sind die Folge.<br />
Gefährdung der wohnortnahen Versorgung<br />
Eine zunehmende Verlagerung besonders aufwendiger<br />
und damit investitions- und vergütungsintensiver<br />
Leistungen an die wenigen Krankenhäuser der Vollversorgung<br />
ist somit zu erwarten. Diese Konzentration<br />
an einigen ausgewählten Standorten sowie der<br />
gleichzeitige Rückgang flächendeckender Angebote
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 52<br />
medizinischer Leistungen sind logische Konsequenzen<br />
dieses politisch gewollten Wettbewerbs und führen<br />
in Flächenländern, wie Brandenburg, zu einer<br />
Gefährdung des schnellen Zugangs von Patienten zu<br />
spezialisierter Behandlung und wohnortnaher medizinischer<br />
Modelle der Akutversorgung.<br />
Im Rahmen dieser neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />
gilt es jetzt, Modelle neuer Versorgungsstrukturen<br />
zu entwickeln, die diesem Trend entgegenwirken<br />
und eine flächendeckende wohnortnahe medizinische<br />
Versorgung bei gleichzeitiger Erhöhung von<br />
Effizienz und Qualität auch in der Zukunft sicherstellen<br />
können.<br />
So ist zum Beispiel die von Politik und Wissenschaft<br />
viel beschworene und als Allheilmittel für die Probleme<br />
im deutschen Gesundheitssystem deklarierte Integrierte<br />
Versorgung nur dann ein möglicher Lösungsansatz,<br />
wenn die bestehenden Versorgungsstrukturen<br />
einbezogen werden. Das mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz<br />
(GKV-WSG) formulierte gesundheits<strong>politische</strong><br />
Ziel der Integrierten Versorgung,<br />
die Ermöglichung einer bevölkerungsbezogenen und<br />
flächendeckenden Versorgung, kann nur erreicht werden,<br />
wenn die medizinischen Leistungen auch wohnortnah<br />
und bedarfsgerecht angeboten werden können.<br />
Die Konzentration auf wenige Standorte wirkt<br />
diesem Ziel entgegen und ist somit in dieser Hinsicht<br />
kontraproduktiv.<br />
Beim Aufbau neuer Versorgungsmodelle sind insofern<br />
die bereits vorhandenen ambulanten Strukturen wesentlich.<br />
Das Augenmerk muss hierbei auf die flächendeckende,<br />
ambulant-zentrierte, interdisziplinäre,<br />
aber auch sektorenübergreifende Kooperationen gelegt<br />
werden. Hierzu bieten sich regional organisierte<br />
Versorgungsstrukturen unter Einbeziehung niedergelassener<br />
Ärzte, Krankenhäuser und weiterer Leistungserbringer<br />
an.<br />
Gerade bei der Versorgung von Chronikern führen die<br />
aktuellen Entwicklungen einer Konzentration medizinischer<br />
Leistungen an nur wenigen Standorten zu<br />
erheblichen Verschlechterungen im Hinblick auf die<br />
Versorgungsqualität. Patienten mit chronischen Erkrankungen,<br />
wie Rheuma, Diabetes mellitus und<br />
Koronarer Herzkrankheit (KHK) sind auf eine kontinuierliche<br />
fachärztliche Betreuung, gerade auch im<br />
Bezug auf die Akutversorgung in Wohnortnähe angewiesen.<br />
Das Fehlen qualifizierter und vertrauter Ansprechpartner<br />
vor Ort und somit oft weite und zeitraubende<br />
Wege zur nächstmöglichen fachärztlichen Versor-<br />
gung stehen einer rechtzeitigen und fehlerfreien Diagnosestellung,<br />
einer fachgerechten ärztlichen Behandlung<br />
sowie der Aufrechterhaltung eines therapiegerechten<br />
und vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses<br />
entgegen. Der Aufbau von chronikerbezogenen<br />
Vollversorgungsstrukturen wird durch eine<br />
übermäßige Konzentration von Versorgungsangeboten<br />
behindert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.<br />
Exemplarisch sollen die aufgezeigten Probleme und<br />
diesbezügliche Lösungsansätze im Bereich der<br />
Rheumatologie dargestellt werden.<br />
Folgen für die rheumatologische Behandlung<br />
Gemäß der Aussagen in Fachkreisen sind Krankheiten<br />
des rheumatischen Formenkreises hinsichtlich<br />
der Belastungen der Betroffenen, aber auch<br />
angesichts der Folgekosten eines der wohl wichtigsten<br />
Krankheitsfelder in Deutschland. Der Deutschen<br />
Rheuma-Liga zufolge leiden schätzungsweise<br />
ca. 15 Prozent der Bevölkerung an rheumatischen<br />
Erkrankungen [3], womit die gesundheits- und sozial<strong>politische</strong><br />
Bedeutung dieser Krankheiten nicht zu<br />
unterschätzen ist. Nach einer Studie waren 2004<br />
27,5 Prozent aller Gründe für Arbeitsunfähigkeitstage<br />
und 36 Prozent aller Rehabilitationsmaßnahmen auf<br />
muskuloskelettale Erkrankungen zurückzuführen und<br />
stellen die zweithäufigste Ursache für vorzeitige<br />
Berentung dar.<br />
Dennoch spielten rheumatische Erkrankungen in der<br />
ärztlichen Aus- und Weiterbildung sowie der Forschungsförderung<br />
bis vor wenigen Jahren im Vergleich<br />
zu anderen häufigen Erkrankungen nur eine<br />
geringe Rolle. [4] Gegenwärtig werden hierfür auch<br />
keine DMP-Programme angeboten, was dazu führt,<br />
dass das Interesse vieler gesetzlicher Krankenkassen<br />
(GKV) durch den fehlenden finanziellen Anreiz über<br />
den Risikostrukturausgleich (RSA) faktisch gegen<br />
„Null“ sinken lässt. Natürlich gibt es Ausnahmen, wie<br />
das Beispiel der Deutschen Angestellten-Krankenkasse<br />
(DAK) zeigt.<br />
Das Versorgungsangebot für Rheumapatienten im<br />
Land Brandenburg ist bisher an zwei stationär angebundenen<br />
Rheumazentren in Mitte/West und Süd/<br />
Ost konzentriert und im bisherigen Landesrheumaplan<br />
manifestiert. Für die Patienten bedeutet diese<br />
Konzentration eine Entfernung und einen entsprechenden<br />
Fahrweg von bis zu 300 km. Der damit verbundene<br />
zeitliche und finanzielle Aufwand, aber besonders<br />
die körperliche Belastung, errichten für die
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 53<br />
kontinuierliche Behandlung von Chronikerpatienten<br />
unbestreitbar erhebliche Hürden.<br />
Gemäß dem Landesrheumaplan sollte in diesen<br />
Rheumazentren das diagnostische und therapeutische<br />
Leistungspotenzial gebündelt werden. Um die<br />
damit bestehenden Versorgungslücken in der Fläche<br />
zu schließen, wurde ausgehend von diesen Zentren<br />
ein Integriertes Versorgungsmodell initiiert. Gegenstand<br />
dieses Modells war die Durchführung von regelmäßigen<br />
Sprechstunden durch die Krankenhaus-Ärzte<br />
an verschiedenen Konsultationsstützpunkten im<br />
Land.<br />
Im Ergebnis war durch dieses Modell jedoch vor allem<br />
eine Zunahme stationärer Aufenthalte festzustellen.<br />
Der hier verfolgte stationär-zentrierte Ansatz erreichte<br />
somit keine Lösung des Versorgungsproblems, sondern<br />
führte eher zu einer Gefährdung der bereits<br />
bestehenden ambulanten Versorgungsangebote für<br />
diese Patienten.<br />
Ein möglicher Neuansatz zur Entwicklung Integrierter<br />
Versorgungsmodelle sei am Beispiel einer ambulantzentrierten,<br />
wohnortnahen Versorgung von Rheumapatienten<br />
dargestellt. Dabei stehen ambulante Konsultations-<br />
und Schulungszentren für Rheumapatienten<br />
im Mittelpunkt, die bedarfsgerecht regional angebunden<br />
sind.<br />
Die KV Consult- und Managementgesellschaft mbH,<br />
Tochtergesellschaft der Kassenärztlichen Vereinigung<br />
Brandenburg, und im Land Brandenburg tätige<br />
Rheumatologen haben mit Unterstützung der Abbott<br />
GmbH & Co. KG ein entsprechendes Konzept zur<br />
flächendeckenden, wohnortnahen, ambulant-zentrierten<br />
Rheumaversorgung im Land Brandenburg<br />
entwickelt. Gegenstand dieses flächendeckenden<br />
Modells ist die Früherkennung der Rheumatoiden Arthritis<br />
und deren frühzeitige Behandlung.<br />
Die Rheumatoide Arthritis ist die häufigste der entzündlich<br />
rheumatischen Erkrankungen. Die Prävalenz<br />
liegt bei rund ein Prozent der Gesamtbevölkerung,<br />
wobei Frauen dreimal häufiger betroffen sind als Männer.<br />
Die jährliche Inzidenz wird bundesweit mit 25.000<br />
bis 30.000 Neuerkrankungen angegeben. [3], [4]<br />
Aufgrund der schnell voranschreitenden Gelenkzerstörungen<br />
wird, Expertenmeinungen zufolge, eine<br />
möglichst frühe Diagnose und in Folge dessen eine<br />
frühzeitig einsetzende Therapierung als Ansatzpunkt<br />
für eine erfolgreiche Behandlung gesehen. [5]<br />
Die regionalen Disparitäten in der Versorgungsstruktur<br />
im Land Brandenburg stehen diesem Ansatzpunkt<br />
jedoch entgegen. Die Konzentration auf zwei Rheumazentren<br />
stellt derzeit eher ein Hindernis dar, um<br />
der Erkrankung im Frühstadium flächendeckend entgegenwirken<br />
zu können.<br />
Um eine gezielte und koordinierte Früherkennung und<br />
Behandlung einer Rheumatoiden Arthritis ermöglichen<br />
zu können, ist eine strukturierte Behandlungskette,<br />
ausgehend von der bestehenden flächendekkenden<br />
und wohnortnahen ärztlichen Versorgung der<br />
Patienten, notwendig. Die Einbindung der regional<br />
tätigen Hausärzte bildet an dieser Stelle den Anfang<br />
der Behandlungskette.<br />
Schneller Therapiebeginn entscheidend<br />
Das für den Therapieerfolg entscheidende Zeitfenster<br />
steht für einen optimalen Therapiebeginn, ohne dass<br />
Gelenkschädigungen bereits durch Krankheitsprogression<br />
erfolgt sind, 12 bis 16 Wochen nach Auftreten<br />
der ersten Symptome offen. [6] Aufgrund der<br />
zeitlichen Verzögerung bis zur Erstvisite des Patienten<br />
beim Hausarzt verkürzt sich bereits hier der Zeitraum<br />
für einen rechtzeitigen Therapiebeginn. Selbst<br />
bei frühzeitiger Verdachtsdiagnose durch den Hausarzt<br />
liegen die Wartezeiten eines Patienten für einen<br />
Termin bei einem Rheumatologen im Land Brandenburg<br />
derzeit bei bis zu 6 Monaten.<br />
Das bedeutet, die Gelenkzerstörung setzt schon ein,<br />
ehe der Patient die erste Behandlung durch den<br />
Rheumatologen erhalten kann. Um durch dieses Versorgungskonzept<br />
eine entscheidende Qualitätsverbesserung<br />
in der rheumatologischen Versorgungsstruktur<br />
im Land Brandenburg erreichen zu können,<br />
ist es wichtig, dass der Patient innerhalb seines Therapiefensters<br />
durch den Hausarzt dem Rheumatologen<br />
zugewiesen wird.<br />
Durch die Einrichtung spezieller rheumatologischer<br />
Frühdiagnose-Sprechstunden kann sichergestellt<br />
werden, dass der Patient innerhalb von 14 Tagen dem<br />
Rheumatologen vorgestellt werden kann, damit eine<br />
exakte Diagnose und eine rechtzeitig, vor Einsetzen<br />
der Progression, eingeleitete Therapie erfolgen kann.<br />
Der Hausarzt, als der erste Ansprechpartner für Patienten<br />
mit unklaren Beschwerden, hat die primäre<br />
Möglichkeit, anhand fest definierter Eingangsindikationen,<br />
erste Symptome einer rheumatischen Erkrankung<br />
zu erkennen. Um die Kompetenzen des Hausarztes<br />
im Hinblick auf die Identifizierung derartiger<br />
Symptome zu stärken, ist die Möglichkeit zur Teilnahme<br />
an entsprechenden Fortbildungen eine entschei-
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 54<br />
dende Komponente in diesem Versorgungsmodell.<br />
Die Fortbildungen werden regional von den dort tätigen<br />
Rheumatologen im Kollegenkreis durchgeführt.<br />
Um einen kontinuierlichen interaktiven Verbesserungs-<br />
und Lernprozess des Versorgungsmodells und<br />
seiner Beteiligten zu ermöglichen, sind regelmäßige<br />
Erfahrungs-, Informations- und Ideenaustausche zwischen<br />
den Akteuren eine wichtige Bedingung. Regelmäßige<br />
Qualitätszirkel zwischen den beteiligten<br />
Haus- und Fachärzten bieten hierfür einen optimalen<br />
und bewährten Rahmen.<br />
Der Grundgedanke des erarbeiteten Versorgungsmodells<br />
ist die enge Kooperation und regelmäßige Kommunikation<br />
zwischen Haus- und Facharzt. Um im<br />
Rahmen dessen eine abgestimmte und ganzheitliche<br />
Behandlung des Patienten wohnortnah sicherzustellen,<br />
ist eine koordinierte gemeinsame Betreuung<br />
durch den Hausarzt und den Rheumatologen notwendig.<br />
Die kontinuierliche und regelmäßige (Mit-)Betreuung<br />
durch den Rheumatologen spielt eine entscheidende<br />
Rolle, wenn es beispielsweise um die Unverträglichkeit<br />
einer medikamentösen Therapie und somit der<br />
Notwendigkeit eines Therapiewechsels geht. Rund<br />
drei Viertel der rheumatologisch betreuten Patienten<br />
werden nach Abbruch einer basistherapeutischen Behandlung<br />
mit einem anderen Präparat erfolgreich therapiert,<br />
wogegen bei über der Hälfte der nicht-rheumatologisch<br />
betreuten Patienten die basistherapeutische<br />
Behandlung gänzlich abgebrochen wird, mit den<br />
entsprechenden negativen Folgewirkungen. [4]<br />
Die aktive therapeutische Mitarbeit des Patienten wird<br />
in diesem Versorgungsmodell durch rheumatologische<br />
Patientenschulungen entscheidend erhöht.<br />
Durch umfangreich vermitteltes Wissen über die Erkrankung<br />
sowie den Umgang mit ihr und das Erlernen<br />
praktischer Fähigkeiten wird der Patient in seiner<br />
Krankheitsbewältigung unterstützt und seine Compliance<br />
deutlich gestärkt. Der Patient wird aktiv in den<br />
Behandlungsablauf integriert und trägt somit zum Erfolg<br />
seiner Therapie bei. Er wird sozusagen vom Betroffenen<br />
zum Beteiligten.<br />
Aufgrund der funktionellen Störungen im Bereich des<br />
gesamten Bewegungsapparates, mit denen eine<br />
rheumatische Erkrankung einhergeht, gehört die<br />
krankengymnastische Behandlung ebenfalls zum Versorgungskonzept.<br />
Zielstellung ist hier der Erhalt und<br />
die Verbesserung des Funktionsstatus der Betroffenen.<br />
Fazit<br />
Das ambulant-zentrierte Konzept zur Früherkennung<br />
der Rheumatoiden Arthritis berücksichtigt die regionalen<br />
Gegebenheiten im Land Brandenburg, ermöglicht<br />
somit den flächendeckenden Zugang des Patienten<br />
zum Rheumatologen und kann eine hochwertige<br />
medizinische und bedarfsgerechte Versorgung sicherstellen,<br />
die erheblich zur Verbesserung des Gesundheitszustandes<br />
beiträgt.<br />
Bei der Erarbeitung neuer Versorgungsmodelle muss<br />
ein ausgewogenes Verhältnis von notwendiger Konzentration<br />
zur Angebotsspezialisierung und gleichzeitiger<br />
Wohnortnähe gewährleistet sein.<br />
Die bedarfsgerechte, an den Bedürfnissen der Patienten<br />
orientierte, Integration und Kooperation ambulant<br />
und stationär tätiger Ärzte sowie anderer Leistungserbringer<br />
bilden die Grundvoraussetzungen für den<br />
Erfolg neuer Versorgungsstrukturen.<br />
© gpk<br />
Literatur<br />
(1) Arztregister KVBB, Stand: 01.08.2007<br />
(2) Bundesarztregister der KBV, Stand 31.12.2005<br />
(3) Wolf, D. (2001): Zahlen und Fakten zu Rheuma,<br />
in: Merkblätter Rheuma, Nr. 6.7<br />
(4) Strangfeld, A./Zink, A. (2006): Ambulante Betreuung von<br />
Patienten mit RA durch Hausärzte und Rheumatologen,<br />
in: Kursbuch Versorgungsforschung, S. 140-156<br />
(5) Mau, W. (2004): Bereiche und Kosten der Fehl-, Unterund<br />
Überversorgung von Patientinnen am Beispiel der<br />
rheumatoiden Arthritis<br />
(6) Gurschke E./Langer, H.E. (2005): Versorgungsdefizite<br />
bei Rheuma: Weitreichende Folgen für die Patienten und<br />
die Gesellschaft, in: rheuma-online
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 55<br />
Kostenimplikation und Lebensqualität bei<br />
Rheumatoider Arthritis in Deutschland<br />
Von Thomas Mittendorf<br />
In Beiträgen dieser gpk-Sonderausgabe werden bereits<br />
umfassend der medizinische bzw. therapeutische<br />
Fortschritt im Bereich rheumatischer Erkrankungen<br />
skizziert. In Zeiten der Ökonomisierung des Gesundheitswesens<br />
nicht nur in Deutschland, sondern<br />
weltweit, ist es erforderlich, die für einen Gesundheitsökonomen<br />
relevanten Themen in dieser Indikation,<br />
namentlich die Kosten in ihren Facetten und die Effekte<br />
auf die Lebensqualität der Patienten, näher zu<br />
beleuchten und den derzeitigen Wissensstand abzubilden.<br />
Versorgung der Rheumatoiden Arthritis<br />
in Deutschland<br />
Patienten mit Rheumatoider Arthritis (RA) haben eine<br />
vielschichtige Last zu tragen. Einerseits ist die Erkrankung<br />
mit Schmerzen und in späteren Stadien teils<br />
erheblichen Funktionseinschränkungen verbunden,<br />
andererseits kommen erhebliche finanzielle Belastungen<br />
hinzu. Bis zu 70 Prozent der Patienten erleben<br />
einen progredienten Verlauf der Erkrankung, der zunehmend<br />
zu größeren Schmerzen und steigender<br />
Funktionseinschränkung führt [Zink, Mau, Schneider<br />
2001].<br />
Kosten für die Gesellschaft in Deutschland<br />
Aus gesundheitsökonomischer Sicht ist die RA ein<br />
international sehr breit erforschtes Krankheitsbild.<br />
Dies gilt umso mehr im Vergleich zum Forschungsstand<br />
bei anderen chronischen Erkrankungen. Die<br />
Gesamtkosten rheumatischer Erkrankungen für<br />
Deutschland wurden vom Statistischen Bundesamt<br />
im Jahr 2002 mit 25,2 Milliarden Euro angegeben,<br />
wobei noch zusätzlich 794.000 verlorene Erwerbstätigkeitsjahre<br />
aufgrund vorzeitiger Berentungen pro<br />
Jahr anfallen, die in die Berechnung der genannten<br />
Summe nicht mit eingeflossen sind. Der Bereich der<br />
Rheumatoiden Arthritis zeichnet hierbei für rund drei<br />
Milliarden Euro verantwortlich. 1<br />
Die indirekten Kosten, also die Belastungen durch<br />
Produktivitätsausfall oder auch vorzeitige Berentun-<br />
gen, übersteigen die direkten Kosten bezogen auf den<br />
einzelnen Patienten dabei um das zwei- bis dreifache.<br />
So wurden bei in Deutschland durchgeführten Studien,<br />
in verschiedenen Kohorten indirekte Kosten für<br />
die ersten drei Jahre einer Erkrankung an RA von<br />
rund 12.000 Euro berichtet (Merkesdal, Mau, Ruof et<br />
al. 1998; Ruof, Hülsemann, Mittendorf et al. 2003).<br />
International gehen diese Schätzungen teils noch<br />
höher (Cooper 2000; Magnusson 1996).<br />
In mehreren internationalen wie auch deutschen Studien<br />
konnte gezeigt werden, dass die Kosten (direkte<br />
wie indirekte) mit zunehmender Schwere der Krankheit<br />
ansteigen. International wurde dies z.B. für eine<br />
skandinavische Population gezeigt, bei der die Kosten<br />
für Krankenhausaufenthalte vom leichtesten Schweregrad<br />
bis zu schweren Einschränkungen um das<br />
15fache anstiegen (Kobelt, Eberhardt, Jönsson<br />
1999). Andere Autoren kamen nach Analyse einer<br />
US-amerikanischen Kohorte ebenfalls zu dem<br />
Schluss, dass die direkten Kosten signifikant mit der<br />
Krankheitsschwere, von den Autoren gemessen als<br />
Beeinträchtigung der Funktionskapazität, korreliert<br />
sind (Yelin, Wanke 1999).<br />
Auch in Deutschland wurden mittels Daten der umfassenden<br />
Kerndokumentation in Berlin Untersuchungen<br />
durchgeführt, ob die Krankheitsschwere Auswirkungen<br />
auf die Kosten hat. Hierüber konnten kürzlich<br />
Daten sowohl für die direkten als auch die indirekten<br />
Kosten von über 4.000 Patienten berichtet werden.<br />
Patienten mit den geringsten Einschränkungen kamen<br />
auf jährliche Gesamtkosten von rund 9.000 Euro,<br />
während die Patienten mit den stärksten Einschränkungen<br />
jährliche Kosten von durchschnittlich rund<br />
35.000 Euro aufwiesen (Huscher et al. 2006).<br />
Zusätzlich haben die Patienten durchschnittlich selber<br />
teils erhebliche Zuzahlungen von über 400 Euro pro<br />
Jahr zu tragen, die ihnen von Krankenkassen nicht<br />
erstattet werden, wie eine kürzliche Studie bei RA in<br />
1 Statistisches Bundesamt 2004
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 56<br />
Deutschland ergab (Hülsemann, Mittendorf, Merkesdal<br />
et al. 2005).<br />
Wegen der mit dem Schweregrad ansteigenden Kosten<br />
wird derzeit intensiv nach Faktoren gesucht, die<br />
eine zuverlässige Prädiktion der Krankheitsprognose<br />
für individuelle Patienten ermöglichen könnten. Unterschiedliche<br />
Forschergruppen kommen bei direkten<br />
Kosten zu dem Ergebnis, dass vorrangig die Einschränkung<br />
der Funktionskapazität, der Allgemeinzustand,<br />
die Höhe der Lebensqualität, die Krankheitsaktivität<br />
sowie die Schmerzintensität ein höheres Maß<br />
an zukünftigen direkten Kosten bedingen (Michaud,<br />
Messer, Choi et al. 2003; Verstappen, Verkleij, Bijlsma<br />
et al. 2004).<br />
Bei einer in Deutschland durchgeführten Studie waren<br />
für indirekte Kosten, analog zu den direkten Kosten,<br />
die Krankheitsaktivität, die Krankheitsschwere<br />
und eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit wichtige<br />
Prädiktoren aller Komponenten der Produktivitätskosten.<br />
Zusätzlich konnten ergänzend eine geringere<br />
berufliche Stellung und die Erosivität der Arthritis<br />
identifiziert werden (Merkesdal, Hülsemann, Mittendorf<br />
2006). Hieraus können sich mögliche Interventionsansätze<br />
für die Versorgung ableiten lassen.<br />
Bei einer nicht optimalen frühzeitigen Therapie der<br />
Erkrankung können somit Kosten durch Unterversorgung<br />
entstehen. Wenn die Progression der Krankheit<br />
über eine Basistherapie zumindest verzögert oder<br />
verlangsamt werden kann und die Kosten der Behandlung<br />
mit dem Schweregrad der Behandlung steigen,<br />
könnten die Gesamtkosten langfristig unter Umständen<br />
positiv beeinflusst werden.<br />
Für Nordrhein-Westfalen wird geschätzt, dass bis zu<br />
450 Rheumatologen in der Versorgung fehlen. Durch<br />
die Folgen der Unterversorgung mit Basistherapeutika<br />
werden dadurch über einen Zeitraum von zehn<br />
Jahren eventuell vermeidbare Kosten von 36.000<br />
Euro bis 66.000 Euro pro RA-Patienten geschätzt<br />
(Mau 2004).<br />
Durch die Einführung neuer Wirkstoffe bei der Behandlung<br />
der RA werden nun vor allem positive Auswirkungen<br />
auf die hohen indirekten Kosten der Erkrankung<br />
und auf die erhebliche Einschränkung der<br />
Lebensqualität erwartet. Die indirekten Kosten können<br />
sich zusammensetzen aus vorzeitigen Berentungen,<br />
einem Ausfall an Produktivität durch die Krankheit<br />
oder auch in einer eingeschränkten Produktivität.<br />
Aus Sichtweise der Volkswirtschaft sind diese Kostenbereiche<br />
von hohem Interesse, da durch eine positive<br />
Beeinflussung hierüber eine (Teil-)Finanzierung<br />
von Kosten in anderen Bereichen der Versorgung<br />
geleistet werden könnte. Durch den progressiven<br />
Charakter chronischer degenerativer Erkrankungen<br />
wie der RA steigen diese Kostenbereiche, wie bereits<br />
erwähnt, meist mit zunehmender Schwere und Dauer<br />
der Erkrankung an.<br />
Eine Verlangsamung oder ein Aufhalten der Progression<br />
kann somit unter Berücksichtigung dieser Kosten<br />
auf mittelfristige Sicht zu günstigen Aussagen bezüglich<br />
der Kosten-Nutzen-Relation beitragen. Jüngste<br />
Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass diese<br />
Kostenbereiche unter innovativen Therapien mit Biologika<br />
in Zeitrahmen von drei Jahren entweder positiv<br />
beeinflusst werden können oder zumindest nicht weiter<br />
ansteigen (Mittendorf, Dietz, von der Schulenburg<br />
et al. 2006; Mittendorf, Dietz, Sterz et al. 2007 (Rheumatology).<br />
In Deutschland und Großbritannien können biologische<br />
Wirkstoffe nach aktuellen Richtlinien bei neu<br />
diagnostizierten Patienten beispielsweise nach zwei<br />
gescheiterten Therapieversuchen mit klassischen<br />
Basistherapien, die innerhalb von sechs Monaten<br />
nicht zum Erfolg führen, eingesetzt werden (NICE<br />
2002; Ledingham, Deighton 2005, Manger 2002).<br />
Bei diesen Patientengruppen können durch die Therapie<br />
erhebliche Effekte in der Verlangsamung der<br />
Progression bewirkt werden, was sich in den Ergebnissen<br />
einer Vielzahl durchgeführter Kosten-Effektivitätsstudien<br />
widerspiegelt (Lyseng-Williamson, Plosker<br />
2004; Lyseng-Williamson, Foster 2004; Bansbeck,<br />
Brennan, Ghatnekar 2005; Wong 2004; Emery 2004;<br />
Bansbeck, Regier, Ara et al. 2005)<br />
Kostenbereiche, die erst in jüngerer Zeit in den Fokus<br />
des wissenschaftlichen Interesses gerückt sind, umfassen<br />
z.B. Belastungen von so genannten Caregivern,<br />
also Personen, die sich neben professionellen<br />
Pflegekräften um den erkrankten Menschen kümmern<br />
und dadurch z.B. ihren Arbeitsplatz aufgeben<br />
müssen oder andere Kosten haben (z.B. der Partner<br />
oder Angehörige).<br />
Die Bewertung dieser Last für einzelne Personen und<br />
die Volkswirtschaft insgesamt ist methodisch nicht<br />
einfach, jedoch findet hier eine intensive Forschung<br />
statt, die es in den kommenden Jahren ermöglichen<br />
wird, einen Eindruck von den monetären Implikationen<br />
zu erhalten (van den Berg, Spauwen 2006; van<br />
Exel, Brouwer, van den Berg et al. 2004).<br />
In Langzeitstudien wurde zudem bereits die Übersterblichkeit<br />
dieser Patienten im Krankheitsverlauf,<br />
d.h. eine erhöhte Sterblichkeit im Vergleich mit der
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 57<br />
Normalbevölkerung durch die RA, untersucht. So haben<br />
RA-Patienten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung<br />
nach elf Krankheitsjahren eine um 15 Prozent,<br />
nach 20 Jahren um 42 Prozent, nach 25 Jahren um 60<br />
Prozent und nach 40 Jahren eine um 240 Prozent<br />
erhöhte Wahrscheinlichkeit zu versterben (Minaur,<br />
Jacoby, Cosh et al. 2004).<br />
Insgesamt hat die RA einen erheblichen Einfluss,<br />
sowohl auf die Morbidität im Sinne einer Risikoerhöhung<br />
für das Auftreten weiterer Erkrankungen, als<br />
auch die Mortalität der Betroffenen (Zink, Mau,<br />
Schneider 2001).<br />
Lebensqualität und RA<br />
Die intensive Auseinandersetzung mit der Lebensqualität<br />
in den letzten 20 Jahren hängt mit der Erkenntnis<br />
zusammen, dass chronische Krankheiten<br />
aufgrund des demographischen Wandels in unserer<br />
Gesellschaft einen immer größer werdenden Stellenwert<br />
einnehmen werden. Somit steht die Linderung<br />
von Symptomen und nicht alleine die Lebensverlängerung<br />
im Vordergrund des Interesses, womit der<br />
medizinischen Bewertung einer Maßnahme neben<br />
der quantitativen eine qualitative Dimension gegeben<br />
wird.<br />
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nahm bereits<br />
1948 eine Definition des Gesundheitsbegriffs<br />
vor, indem sie die Gesundheit als „(...) Zustand des<br />
völligen körperlichen, psychischen und sozialen<br />
Wohlbefindens und nicht nur (als) das Freisein von<br />
Krankheit und Gebrechen“ (World Health Organisation<br />
1948) bezeichnete. Diese Definition reicht im<br />
wörtlichen Sinne zwar sehr, wenn nicht gar zu weit,<br />
doch prägte sie die Forschung dadurch, dass der<br />
Lebensqualität ab da verschiedene Dimensionen und<br />
damit Teilbereiche zugeordnet wurden.<br />
Lebensqualität in Bezug auf gesundheitliche Probleme<br />
wird in ihren Facetten daher zumindest in die vier<br />
Dimensionen psychisches Befinden, soziale Beziehungen,<br />
die funktionale Kompetenz und die körperliche<br />
Verfassung unterteilt (von der Schulenburg, Mittendorf,<br />
Vollmer et al. 2005).<br />
Instrumente, die zur Messung von Lebensqualität<br />
genutzt werden, setzen an diesen, aber auch anderen<br />
Aspekten des körperlichen oder psychischen Wohlbefindens<br />
an. Neben dem klassischen Bereich der<br />
körperlichen Verfassung, umfasst der Bereich der sozialen<br />
Beziehungen z.B. die Art und Anzahl sozialer<br />
Kontakte zur Familie, zu Freunden und Verwandten.<br />
Ein anderer Aspekt der Lebensqualität ist das psychi-<br />
sche Befinden der Patienten (z.B. Angst- oder Niedergeschlagenheitsgefühle,<br />
Freude, Zufriedenheit). Die<br />
funktionale Kompetenz, z.B. Ermüdung, ist eine zusätzliche<br />
wichtige Dimension, vor allem im Bereich<br />
der RA.<br />
Verschiedene Dimensionen haben bei einzelnen<br />
chronischen Erkrankungen naturgemäß eine unterschiedliche<br />
Stellung oder einen unterschiedlichen<br />
Grad der Beeinträchtigung. Patienten mit RA haben<br />
dabei im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen,<br />
wie Diabetes oder auch koronaren Problemen,<br />
in fast allen Facetten der Lebensqualität höhere<br />
Einschränkungen zu ertragen (Arnold, Ranchor,<br />
Sandermann et al. 2004).<br />
Die Lebensqualitätsforschung ist im Bereich der RA<br />
weit vorangeschritten. So werden vor allem bei der<br />
Therapie mit Biologika einzelne Facetten, die eine<br />
hohe Relevanz für die Patienten haben, wie z. B. „Fatigue“<br />
(also Erschöpfungszustände), in Langzeitstudien<br />
verfolgt (Mittendorf, Sterz, von der Schulenburg<br />
2005).<br />
Gerade in jüngerer Zeit konnte in solchen Studien<br />
gezeigt werden, dass nicht nur spezielle Teilbereiche<br />
der Lebensqualität, sondern die gesamte gesundheitsbezogene<br />
Lebensqualität durch eine Basistherapie<br />
mit Biologika (hier am Beispiel Adalimumab) auch<br />
über längere Zeiträume von drei Jahren zunächst<br />
signifikant gesteigert wird und dieser Effekt auch gehalten<br />
werden kann (Mittendorf, Sterz, von der Schulenburg<br />
2005; Mittendorf, Dietz, Sterz et al. 2007 (J<br />
Rheumatol). Aufgrund des progressiven Charakters<br />
der Erkrankung ist dies umso bemerkenswerter.<br />
Das Konstrukt der Lebensqualität wird in der modernen<br />
rheumatologischen Therapie dabei zukünftig zu<br />
einem Forschungsfeld, mit dem gesicherte Kenntnisse<br />
über die Einschränkungen gesammelt werden können,<br />
die es Rheumatologen ermöglichen, eine zielgerichtete,<br />
auf die Situation des einzelnen Patienten<br />
bezogene Therapie, einzuleiten (Hülsemann, Mattussek,<br />
Henning et al. 2003).<br />
In klinischen Studien und langfristigen Beobachtungsstudien<br />
wird die Lebensqualität bei RA seit Jahren<br />
regelmäßig erhoben und bewertet. Es gibt ausreichend<br />
Literatur darüber, dass solche Instrumente<br />
auch in der ambulanten Praxis eingesetzt werden<br />
können, um die vielschichtigen Probleme von RA-<br />
Patienten zu erfassen und die Therapie entsprechend<br />
einzustellen (Hülsemann, Mattussek, Henning et al.<br />
2003).<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 58<br />
Literatur<br />
Arnold, R., Ranchor, A., Sandermann, R. et al. The relative<br />
contribution of domains of quality of life to overall quality of life<br />
for different chronic diseases. Qual Life Res 2004; 13: 883-96.<br />
Bansback, N., Brennan, A., Ghatnekar, O. Cost effectiveness<br />
of adalimumab in the treatment of patients with moderate to<br />
severe rheumatoid arthritis in Sweden. Ann Rheum Dis 2005;<br />
64.<br />
Bansback, N., Regier, D., Ara, R. et al. An overview of economic<br />
evaluations for drugs used in rheumatoid arthritis: focus on<br />
tumour necrosis factor-alpha antagonists. Drugs 2005; 65(4).<br />
Cooper NJ. Economic burden of rheumatoid arthritis: a systematic<br />
review. Rheumatology 2000; 39:28-33.<br />
Emery, P. Review of health economics modelling in rheumatoid<br />
arthritis. Pharmacoeconomics 2004; 22(Suppl 1).<br />
Hülsemann, J., Mattussek, S., Henning, H. et al. Das Qualitätsmanagement<br />
der Therapie der chronischen Polyarthritis in der<br />
rheumatologischen Praxis. Z ärztl Fortb Qualsich 2003; 97:<br />
383-90.<br />
Hülsemann, J., Mittendorf, T., Merkesdal, S. et al. Direct costs<br />
related to rheumatoid arthritis: the patient perspective. Ann<br />
Rheum Dis. 2005 Oct;64(10):1456-61<br />
Huscher D, Merkesdal S, Thiele K, Zeidler H, Schneider M,<br />
Zink A; German Collaborative Arthritis Centres. Cost of illness<br />
in rheumatoid arthritis, ankylosing spondylitis, psoriatic arthritis<br />
and systemic lupus erythematosus in Germany. Ann Rheum<br />
Dis. 2006 Sep;65(9):1175-83.<br />
Kobelt, G., Eberhardt, K., Jönsson, L. Economic consequences<br />
of the progression of rheumatoid arthritis in Sweden.<br />
Arthritis Rheum 1999; 42: 354-5.<br />
Ledingham, J., Deighton, C. Update on the British Society for<br />
Rheumatology guidelines for prescribing TNF? blockers in<br />
adults with rheumatoid arthritis (update of previous guidelines<br />
of April 2001). Rheumatology 2005; 44: 157.<br />
Lyseng-Williamson, K., Foster, R. Infliximab. A pharmacoeconomic<br />
review of its use in rheumatoid arthritis. Pharmacoeconomics<br />
2004; 22(2).<br />
Lyseng-Williamson, K., Plosker, G. Etanercept. A pharmacoeconomic<br />
review of its use in rheumatoid arthritis. Pharmacoeconomics<br />
2004; 22(16).<br />
Magnusson, S. Treatment of rheumatoid arthritis – Does it<br />
affect society’s cost for the disease? Br J Rheumatol 1996; 35:<br />
791-5.<br />
Manger, B. Überarbeitete Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft<br />
für Rheumatologie zur Therapie mit Tumornekrosefaktor-hemmenden<br />
Wirkstoffen bei entzündlichen rheumatischen<br />
Erkrankungen. Z Rheumatol 2002; 61: 694.<br />
Mau, W. Bereiche und Kosten der Fehl-, Unter- und Überversorgung<br />
von Patientinnen am Beispiel der rheumatoiden Arthritis.<br />
Wissenschaftliches Gutachten für die Enquetekommission<br />
„Zukunft einer frauengerechten Gesundheitsversorgung<br />
in NRW“ des Landtags von Nordrhein-Westfalen, Halle, 2004.<br />
Merkesdal S, Hülsemann JL, Mittendorf T, Zeh S, Zeidler H,<br />
Ruof J. Produktivitätskosten der rheumatoiden Arthritis in<br />
Deutschland: Kostenzusammensetzung und Prädiktion der<br />
Hauptkostenkomponenten. Z Rheumatol. 2006 Oct;65(6):527-<br />
534.<br />
Merkesdal, S., Mau, W., Ruof, J. et al. Indirekte Kosten in den<br />
ersten drei Krankheitsjahren bei Patienten mit chronischer<br />
Polyarthritis. Z Rheumatol 1998; 57(Suppl): 32.<br />
Michaud, K., Messer, J., Choi, H. et al. Direct medical costs<br />
and their predictors in patients with rheumatoid arthritis: a<br />
three year study of 7.527 patients. Arthritis Rheum 2003; 48:<br />
2750.<br />
Minaur, N., Jacoby, R., Cosh, J. et al. Outcome after 40 years<br />
with rheumatoid arthritis: a prospective study of function,<br />
disease activity, and mortality. J Rheumatol 2004; 31(Suppl<br />
69): 3.<br />
Mittendorf, T., Sterz, R., von der Schulenburg, JM. et al. Effects<br />
of long-term adalimumab therapy on health utility and fatigue<br />
in patients with long-standing, severe rheumatoid arthritis<br />
(RA): results from a 3-year follow-up study. Value Health 2005;<br />
8:A30<br />
Mittendorf, T., Dietz, B., von der Schulenburg, JM. et al. Decreased<br />
resource utilization during long-term treatment with<br />
adalimumab in patients with long-standing RA. Arthritis Rheum<br />
2006; 54(Suppl):S115<br />
Mittendorf, T., Dietz, B., Sterz, R., Kupper, H. et al. Improvement<br />
and long-term maintenance of quality of life during treatment<br />
with adalimumab in severe rheumatoid arthritis. J Rheumatol,<br />
2007, accepted<br />
Mittendorf, T., Dietz, B., Sterz, R. et al. Personal and economic<br />
burden of late-stage rheumatoid arthritis among patients treated<br />
with adalimumab: An evaluation from the patient’s perspective.<br />
Rheumatology; 2007, in review<br />
NICE. Guidance on the use of etanercept and Infliximab for the<br />
treatment of rheumatoid arthritis. Technological Appraisal<br />
Guidance 36, Mar 2002: 1.<br />
Ruof, J., Hülsemann, J., Mittendorf, T. et al. Costs of rheumatoid<br />
arthritis in Germany: a micro-costing approach based on<br />
healthcare payer’s data sources. Ann Rheum Dis 2003; 62:<br />
547.<br />
Schulenburg, J.-M. Graf von der, Mittendorf, T., Volmer, T. et al.<br />
Praktisches Lexikon der Gesundheitsökonomie, Adis, Unterschleißheim,<br />
Adis, 2005<br />
Statistisches Bundesamt. Gesundheit. Krankheitskosten<br />
2002. Presseexemplar. Wiesbaden, 2004: 39 und 49.<br />
van den Berg, B., Spauwen, P. Measurement of informal care:<br />
an empirical study into the valid measurement of time spent on<br />
informal caregiving. Health Econ 2006; 15:447–460<br />
van Exel, N., Brouwer, W., van den Berg, B. et al. What really<br />
matters: an inquiry into the relative importance of dimensions<br />
of informal caregiver burden. Clin Rehabil 2004; 18:683–693<br />
Verstappen, S., Verkleij, H., Bijlsma, J. et al. Determinants of<br />
direct costs in Dutch rheumatoid arthritis patients. Ann Rheum<br />
Dis 2004; 63: 817.<br />
Wong, J. Cost-effectiveness of anti-tumor necrosis factor<br />
agents. Clin Exp Rheumatol 2004; 22(Suppl 35).<br />
World Health Organisation Constitution of the Wold Health<br />
Organisation. Genf, 1948: 1.<br />
Yelin, E., Wanke, L. An assessment of the annual and longterm<br />
direct costs of rheumatoid arthritis: the impact of poor<br />
function and functional decline. Arthritis Rheum 1999; 42:<br />
1216-7.<br />
Zink, A., Mau, W., Schneider, M. Epidemiologische und sozialmedizinische<br />
Aspekte entzündlich-rheumatischer Systemerkrankungen.<br />
Internist 2001; 42: 211-22.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 59<br />
Erfahrungsbericht einer Betroffenen<br />
Die Versorgung rheumakranker Menschen hat noch deutliche Defizite<br />
Von Annelie Heilhecker<br />
Rheuma ist nicht gleich Rheuma: Hinter diesem Begriff<br />
verbergen sich viele Krankheiten, die prinzipiell in<br />
jedem Lebensalter auftreten können. Mit Hilfe einer<br />
frühzeitigen Diagnostik und Behandlungsplanung<br />
durch einen rheumatologisch erfahrenen Facharzt<br />
lässt sich der Krankheitsverlauf meist positiv beeinflussen.<br />
Rheumatische Erkrankungen umfassen Krankheiten<br />
des Bewegungsapparates, die mit Schmerzen<br />
und Bewegungseinschränkung einhergehen können,<br />
so die Definition der Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO). Zum Bewegungsapparat zählen die Wirbelsäule,<br />
Knochen, Gelenke und die sie umgebenden<br />
Weichteile, wie z.B. die Muskulatur und die Sehnen.<br />
Bei einem Teil der Erkrankungen besteht die Gefahr,<br />
dass weitere Organe (u.a. Herz, Lunge, Niere, Auge)<br />
erkranken.<br />
In allen Altersgruppen – vom Kind bis zum älteren<br />
Menschen – können rheumatische Erkrankungen auftreten.<br />
Die Ursachen für ihre Entstehung sind vielfältig,<br />
zu einem Teil noch unbekannt.<br />
Mein Leidensweg: Im Alter von 13 Jahren bekam ich<br />
Schmerzen, vor allem in den Händen und um das<br />
Gesäß herum. Damals behandelte mich ein Orthopäde<br />
mit Verordnungen von Massagen und Funktionstraining.<br />
Die Schmerzen hatte ich soweit im Griff bis<br />
nach der zweiten Schwangerschaft die Rückenschmerzen<br />
und die Schmerzen in den Armen unerträglich<br />
wurden. Ich stellte mich mit meinen jungen<br />
Jahren einem Handchirurgen in den Städtischen Kliniken<br />
in Wiesbaden vor. Der Arzt sagte mir wortwörtlich:<br />
„Mädchen, du bist noch zu jung für eine Handoperation.“<br />
Damals ging ich betrübt nach Hause und habe meine<br />
Schmerzen weiterhin mit Medikamenten unterdrückt.<br />
Vor sieben Jahren mussten dann beide Hände unters<br />
Messer; seitdem fühle ich mich wie neugeboren. Bedingt<br />
durch ein Meningiom, 1 das im Frühjahr 2006<br />
entfernt wurde, muss ich weiterhin Cortison und<br />
Schmerzmittel einnehmen.<br />
Unsere älteste Tochter Nicole ist mit acht Jahren an<br />
einer juvenilen rheumatischen Arthritis erkrankt. Zu-<br />
erst verbrachte Nicole vier Wochen in der Uni Mainz<br />
und dann wurde sie dank unserer Kinderärztin nach<br />
Garmisch-Partenkirchen in die Kinder-Rheuma Klinik<br />
eingewiesen. In der Klinik wurden wir aufgenommen<br />
wie in einer Großfamilie. Nicole fühlte sich wohl und<br />
sie lernte mit ihrer Krankheit umzugehen.<br />
Durch die Erkrankung unserer Tochter und dem Aufenthalt<br />
in Garmisch-Partenkirchen wurden wir Mitglied<br />
in der Rheuma-Liga, und nach dem ersten Elternseminar<br />
in Hessen wurden mir von Herta Seebaß<br />
und Rosita Winkler die Arbeit für Eltern mit rheumatischen<br />
Erkrankungen in die Hände gelegt.<br />
Vor 13 Jahren übergab ich meine Arbeit an jüngere<br />
Eltern und unsere Tochter begann mit einer Gruppe<br />
für junge Rheumatiker. Seitdem ist auch sie aktiv im<br />
Landesverband und im Bundesverband Bundesarbeitskreis<br />
Junger Rheumatiker (BAK).<br />
Der BAK bemüht sich, in einzelnen Aktionen und<br />
Projekten junge Rheumatiker auf Bundesebene zu<br />
unterstützen. Er setzt sich aus sechs Betroffenen im<br />
Alter von 18 bis 35 Jahren zusammen. Der BAK wird<br />
alle vier Jahre auf der Bundeskonferenz gewählt. Er<br />
berät den Bundesvorstand in allen Dingen, die Young<br />
Rheumis betreffen, und arbeitet eng mit den Eltern<br />
rheumakranker Kinder zusammen.<br />
Er versteht sich als Anlaufpartner für alle Jungen<br />
Rheumatiker und unterstützt deren Anliegen auf Landes-<br />
und Bundesebene, um die Arbeit für junge Menschen<br />
mit Rheuma vor Ort voran zu bringen.<br />
Es wird am falschen Ende gespart<br />
Was mich persönlich am meisten ärgert, dass die<br />
Gesundheitspolitik am falschen Ende spart. Die meisten<br />
der über einhundert rheumatischen Erkrankungen<br />
sind chronisch, eine Heilung ist nicht zu erwarten. Die<br />
Krankheiten betreffen nicht nur ältere Menschen, wie<br />
dies oft noch gedacht wird. Alle Generationen, ja<br />
selbst Babys werden von dieser tückischen Krankheit<br />
befallen. Betroffen sind oft die Gelenke.<br />
1 Gutartiger Hirntumor (d. Red.)
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 60<br />
Da es keine Heilungsmöglichkeiten gibt, kann nur<br />
versucht werden, die Beweglichkeit möglichst lange<br />
zu erhalten. Die Rheuma-Liga Hessen organisiert für<br />
ihre Mitglieder krankengymnastische Übungen, die<br />
von speziell ausgebildeten Therapeuten geleitet werden.<br />
Die Kosten werden von den Krankenkassen<br />
übernommen, da es sich um eine kostengünstige<br />
Prävention handelt. Ohne diese Maßnahmen würden<br />
auf die Krankenkassen noch mehr Kosten für ambulante<br />
und stationäre Behandlung sowie Arzneien und<br />
Hilfsmitteln zukommen.<br />
Obwohl das im Juli 2001 in Kraft getretene SGB IX die<br />
Kostenübernahme des Funktionstrainings sogar als<br />
Pflichtleistung festschreibt, gibt es in der Praxis erhebliche<br />
Schwierigkeiten. Einige Krankenkassen vertreten,<br />
gegen alle medizinischen und wirtschaftlichen<br />
Erkenntnisse die Meinung, Patienten könnten diese<br />
krankengymnastischen Übungen selbst erlernen und<br />
Zuhause durchführen.<br />
Aber nicht nur bei der Warmwassergymnastik in der<br />
eigenen Badewanne treten Schwierigkeiten auf. Der<br />
Zustand der Gelenke und damit ihre Belastbarkeit<br />
können sich von Woche zu Woche dramatisch ändern.<br />
Eine Übung, die man ohne Schwierigkeiten durchführen<br />
konnte, kann innerhalb kurzer Zeit nicht mehr<br />
möglich sein und sogar irreparable Schäden herbeiführen.<br />
Es reicht eben nicht aus, nur für einen bestimmten<br />
Zeitraum Behandlungen zu bekommen, und es reicht<br />
auch nicht aus, nach erfolgter Anleitung zu Hause<br />
allein weiterzumachen. Durch die Schmerzeinwirkungen<br />
werden zu Hause die Übungen verfälscht, da<br />
man immer eine Schonhaltung einnimmt und somit<br />
mehr Schaden angerichtet wird.<br />
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass<br />
hier ein Versuch unternommen wird, am falschen<br />
Ende zu sparen. Die Kosten die auf die Krankenkassen<br />
zukommen, wenn sie ihre Haltung nicht ändert,<br />
sind bedeutend höher. Das Funktionstraining kostet<br />
durchschnittlich rund 300 Euro jährlich. Man kann sich<br />
leicht ausrechnen, dass die Folgen von nicht oder<br />
unsachgemäßen Übungen bedeutend höher sind.<br />
Bereits ein Tag stationäre Behandlung frisst den „Einspareffekt“<br />
wieder auf. Ganz zu schweigen von dem<br />
angerichteten Image-Schaden in der Politik.<br />
So können bei den Betroffenen Schmerzen gelindert,<br />
die Beweglichkeit verbessert sowie der fortschreitende<br />
Krankheitsprozess aufgehalten oder sogar gehemmt<br />
werden. Zur Behandlung stehen Medikamente,<br />
Krankengymnastik und psychologische Therapieformen<br />
zur Verfügung.<br />
Einsatz neuer Medikamente sinnvoll<br />
Eine Behandlung mit den modernen, hochwirksamen<br />
biologischen Medikamenten aus der Gruppe der TNFalpha-Blocker<br />
oder auch dem IL-1-Rezeptor-Antagonist<br />
(Interleukin-1-Blocker) Anakinra ist immer dann<br />
medizinisch gerechtfertigt, wenn eine Behandlung mit<br />
den herkömmlichen langwirksamen Antirheumatika<br />
unwirksam war oder diese Therapie aus anderen<br />
Gründen, z.B. wegen Nebenwirkungen, nicht oder<br />
nicht mehr durchgeführt werden kann.<br />
Der Einsatz dieser neuen Medikamente ist insbesondere<br />
dann sinnvoll und notwendig, wenn trotz einer<br />
ausreichend langen und in ausreichend hoher Dosierung<br />
durchgeführten konventionellen Behandlung mit<br />
langwirksamen Antirheumatika eine hohe Krankheitsaktivität<br />
besteht.<br />
Allerdings sieht es in der Tat so aus, dass die Verordnung<br />
dieser hochwirksamen Substanzen für den behandelnden<br />
Rheumatologen mit ganz erheblichen<br />
Problemen verbunden ist. Viele Rheumatologen<br />
fürchten drohende Regressforderungen der Krankenkassen.<br />
Obwohl die medikamentöse Behandlung von<br />
Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises in<br />
jedem KV-Gebiet Deutschlands als Praxisbesonderheit<br />
zur Anerkennung durch den Prüfungsausschuss<br />
vorgeschlagen wird, entsteht bei der Verordnung von<br />
biologischen Medikamenten oftmals Unsicherheit auf<br />
Grund mangelhafter oder falscher Information der<br />
Ärzte, was nicht einer leitliniengerechten Behandlung<br />
förderlich ist und damit den Patienten schaden kann.<br />
Man kann daher nur hoffen, dass das Zweitmeinungsverfahren<br />
so ausgestaltet wird, dass es hilft, Regressängsten<br />
und Unterversorgung Abhilfe zu schaffen –<br />
also als Chance, die leitliniengerechte Verordnung<br />
hocheffektiver Präparate im Sinne der Patienten zu<br />
sichern. Hierin liegt eine Chance der neuen Gesundheitsgesetzgebung,<br />
deren Verantwortung sich der<br />
Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zwingend<br />
annehmen und dies förderlich für die Patienten lösen<br />
sollte. Da die kassenärztliche Vergütung für die Rheumatologen<br />
gegenwärtig gleichzeitig extrem niedrig<br />
ist, in Hessen für alle Leistungen über ein gesamtes<br />
Quartal bei 35 Euro liegt, ist die Verordnung von<br />
Biologika und den notwendigen, zugleich wichtigen<br />
ärztlichen Leistungen leider nicht adäquat ausgestaltet.<br />
Es stellt sich die Frage, wo die optimale medizinische<br />
Versorgung von Rheumakranken bleibt. Zu wünschen<br />
ist eine aktive und produktive Zusammenarbeit<br />
von den Kassenärztlichen Vereinigungen und den<br />
rheumakranken Patienten in unserem Land. Rheumakranke<br />
Menschen brauchen eine bessere Lobby in<br />
der Politik.<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 61<br />
Axel Böhnke (Jahrg. 1975), Leiter der Abteilung<br />
Gesundheitspolitik bei Abbott. Studium<br />
der Gesundheitsökonomie an der<br />
Universität Köln mit Abschluss Diplom-Gesundheitsökonom.<br />
Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten.<br />
Wulff-Erik von Borcke (Jahrg. 1967), General<br />
Manager Deutschland des Pharmaunternehmens<br />
Abbott. Zuvor in verschiedenen<br />
Positionen bei Abbott in den USA<br />
tätig.<br />
Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich (Jahrg.<br />
1970), Apothekerin, seit 2006 Direktorin<br />
des Wissenschaftlichen Instituts der Techniker<br />
Krankenkasse (TK) für Nutzen und<br />
Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG).<br />
Seit 2000 Lehrauftrag für Pharmakoökonomie<br />
Lehrstuhl „Klinische Pharmazie“ der<br />
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität<br />
Bonn. Von 1996 bis 2000 Aufbau und<br />
Leitung der Forschungsgruppe Pharmakoökonomie<br />
Institut für Umweltmedizin und<br />
Krankenhaushygiene der Albert-Ludwigs-<br />
Universität Freiburg. Forschungsinhalt:<br />
Durchführung von pharmakoökonomischen<br />
Studien, Anwendungsbeobachtungen<br />
und Metaanalysen.<br />
Lutz Freiberg (Jahrg. 1965), Naturwissenschaftler<br />
(Staatsexamen Mathematik/Physik),<br />
seit 12 Jahren im Gesundheitswesen<br />
tätig. Geschäftsbereichsleiter Grundsatzfragen<br />
in der Kassenärztlichen Vereinigung<br />
Brandenburg und Geschäftsführer der KV<br />
Consult- und Managementgesellschaft<br />
mbH und für die Kassenärztliche Bundesvereinigung<br />
tätig.<br />
Prof. Dr. Erika Gromnica-Ihle (Jahrg.<br />
1940), niedergelassene Rheumatologin,<br />
zuvor Chefärztin der Rheumaklinik Berlin-<br />
Buch.Wissenschaftliche Leiterin der Rheumatologischen<br />
Fortbildungsakademie. Mitglied<br />
der Kommission Versorgung der<br />
DGRh. Wissenschaftliche Schwerpunkte:<br />
entzündlich-rheumatische Systemerkrankungen,<br />
Antiphospholipidsyndrom.<br />
Annelie Heilhecker (Jahrg. 1951), gelernte<br />
Metzgereifachverkäuferin, seit 1985<br />
selbstständig im Bereich Abfluß-, Rohr-<br />
Kanal-Technik. Mitarbeit in zahlreichen sozialen<br />
Einrichtungen wie Behindertenkommission,<br />
Rheuma-Liga Hessen, Diagnosegruppe<br />
Fibromyalgie Gesamt Hessen.<br />
Stadtverordnete der Stadt Taunusstein.<br />
Andreas Hering (Jahrg. 1969), Krankenkassenfachwirt,<br />
seit 2004 Referent für Integrierte<br />
Versorgung der AOK Schleswig-<br />
Holstein. Mitglied in Projektgruppen beim<br />
AOK Bundesverband, Dozent an der Fachhochschule<br />
Flensburg und ehrenamtlich in<br />
Autoren dieser Ausgabe<br />
der Gesundheitspolitik auf Landesebene<br />
tätig.<br />
Eike Hovermann MdB (Jahrg. 1946),<br />
Gymnasiallehrer a.D., seit 1995 Mitglied<br />
des Deutschen Bundestages (SPD), Mitglied<br />
im Ausschuss für Gesundheit, stellv.<br />
Mitglied im Ausschuss für Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Verbraucherschutz,<br />
Mitglied in der Arbeitsgruppe Gesundheit<br />
der SPD-Bundestagsfraktion.<br />
Dr. Gisela Kobelt (Jahrg. 1950), Geschäftsführerin<br />
der European Health Economics,<br />
eines Consulting-Unternehmens,<br />
das auf die ökonomische Bewertung gesundheitlicher<br />
Interventionen und Trainingskurse<br />
im Bereich Gesundheitsökonomie<br />
spezialisiert ist. Master-Abschluss der<br />
Universität Straßburg und einen MBA-Abschluss<br />
des Institute for Management Development<br />
in Lausanne. Promotion in Gesundheitsökonomie<br />
am Karolinska-Institut<br />
in Stockholm. Autorin von mehr als 40 Publikationen<br />
im Bereich Gesundheitsökonomie.<br />
Prof. Dr. Klaus Krüger (Jahrg. 1948), Internist<br />
und Rheumatologe, Leiter des Praxiszentrums<br />
St. Bonifatius. Außerplanmäßiger<br />
Professor an der an der Ludwig-Maximilians<br />
Universität München. Wissenschaftliche<br />
Schwerpunkte: Experimentelle<br />
Therapieformen der rheumatoiden Arthritis,<br />
Pharmaökonomie der antirheumatischen<br />
Therapie, Sjögren-Syndrom.<br />
Gerhard Kruse (Jahrg. 1951), seit 1997<br />
Bereichsleiter Gesundheitspartnerservice<br />
der AOK Schleswig-Holstein. Mitglied in<br />
diversen Fachausschüssen der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung auf Bundesund<br />
Landesebene, ehrenamtlicher Sozialrichter,<br />
Dozent an der Fachhochschule<br />
Flensburg und im AOK-Bildungszentrum.<br />
Ein Arbeitsschwerpunkt ist die Entwicklung<br />
neuer Versorgungsformen.<br />
Prof. Dr. med. Wilfried Mau (Jahrg. 1956),<br />
seit 2003 Direktor des Instituts für Rehabilitationsmedizin<br />
der Universität Halle-Wittenberg.<br />
Facharzt für Innere Medizin,<br />
Rheumatologie. Sprecher der Kommission<br />
Rehabilitation und Sozialmedizin der Deutschen<br />
Gesellschaft für Rheumatologie.<br />
Leiter der Initiativgruppe Versorgungsforschung<br />
der Deutschen Gesellschaft für<br />
Physikalische Medizin und Rehabilitation.<br />
Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft<br />
für Rehabilitationswissenschaften.<br />
Dr. Thomas Mittendorf (Jahrg. 1972), seit<br />
2000 wissenschaftlicher Forschungsassistent<br />
an der Forschungsstelle für Gesund-<br />
heitsökonomie und Gesundheitssystemforschung,<br />
einer Gemeinschaftseinrichtung<br />
der Leibniz Universität Hannover und<br />
der Medizinischen Hochschule Hannover<br />
(MHH). Autor zahlreicher Zeitschriftenartikel<br />
vorrangig im Bereich der ökonomischen<br />
Betrachtung von Zusammenhängen<br />
in der Rheumatologie. Wissenschaftliche<br />
Schwerpunkte im Bereich der Evaluation<br />
von Gesundheitsleistungen, Kosten-Effektivitätsanalysen,<br />
Entscheidungsanalysen<br />
sowie der Gesundheitssystemforschung.<br />
Gastdozent an den Universitäten Berlin<br />
und Bielefeld.<br />
Dipl.-Med. Hans-Werner Pfeifer (Jahrg.<br />
1952), Chirurg und Sozialmediziner. Fachreferent<br />
in einem großen Beratungsunternehmen<br />
für Krankenversicherungen (Berlin).<br />
Vizepräsident der Vereinigung der<br />
Sozialversicherungsärzte Europas (EU-<br />
MASS) und Generalsekretär des Berufsverbandes<br />
der Sozialversicherungsärzte<br />
Deutschlands.<br />
Prof. Dr. rer. pol. h. c. Herbert Rebscher<br />
(Jahrg. 1954), Vorsitzender des Vorstandes<br />
der Deutschen Angestellten-Krankenkasse<br />
(DAK). Honorarprofessor für Gesundheitsökonomie<br />
an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Fakultät der<br />
Universität Bayreuth. Studium der Wirtschafts-<br />
und Organisationswissenschaften<br />
an der Universität der Bundeswehr München.<br />
Von 1996 bis 2003 Vorsitzender des<br />
Vorstandes des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen<br />
e.V. (VdAK) und des<br />
AEV – Arbeiter-Ersatzkassen-Verbandes<br />
e.V. (AEV).<br />
Dr. med. Ina Ueberschär (Jahrg. 1952),<br />
Sozialmedizinerin, Leitende Ärztin einer<br />
großen deutschen Rentenversicherung.<br />
Vorsitzende des Berufsverbandes der Sozialversicherungsärzte<br />
Deutschlands und<br />
Mitglied des Vorstandes der Vereinigung<br />
der Sozialversicherungsärzte Europas<br />
(EUMASS). Autorin zahlreicher medizinischer<br />
Publikationen.<br />
Prof. Dr. Angela Zink (Jahrg. 1953), Leiterin<br />
des Forschungsbereichs Epidemiologie<br />
am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum<br />
Berlin (DRFZ) und Hochschullehrerin<br />
an der Klinik für Rheumatologie und Klinische<br />
Immunologie der Charité Universitätsmedizin<br />
Berlin. Stellvertretende Direktorin<br />
des DRFZ und Sprecherin des Kompetenznetzes<br />
Rheuma. Wissenschaftliche<br />
Schwerpunkte: Versorgungsepidemiologie,<br />
Sicherheit und Wirksamkeit neuer Therapien<br />
unter Praxisbedingungen, Prognosestudien.
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 62<br />
Abbotts Versprechen<br />
Von der Wissenschaft zur Fürsorge<br />
Von Wulff-Erik von Borcke<br />
Ständig wachsende Anforderungen in der modernen<br />
Medizin und das Auftreten neuer Erkrankungen erfordern<br />
immer präzisere Diagnostik, Therapien und Medizintechnik.<br />
Das Unternehmen Abbott hat sich als<br />
Ziel gesetzt, diesen Ansprüchen nachzukommen und<br />
sich damit als einer der führenden Hersteller von<br />
Produkten im Gesundheitswesen zu positionieren.<br />
Wer ist Abbott?<br />
Abbott ist ein weltweit tätiges Unternehmen im Gesundheitswesen<br />
mit einem breit aufgestellten Produktportfolio.<br />
Nicht nur in der Arzneimitteltherapie bietet<br />
Abbott innovative Lösungen an, sondern auch in<br />
den Bereichen Diagnostik, medizinische Ernährung<br />
und minimal invasiver Herz- und Gefäßchirurgie/<br />
-therapie. Der Ursprung der Firma geht auf das Jahr<br />
1888 zurück. Heute existiert Abbott als Unternehmung<br />
weit mehr als 100 Jahre und hat immer noch<br />
seinen Firmensitz nördlich von Chicago in den USA.<br />
Im Jahre 2007 wurde ein Umsatz von über 22 Milliarden<br />
Dollar weltweit erwirtschaftet, mit 65.000 Mitarbeitern<br />
in mehr als 130 Ländern. Basierend auf den<br />
Unternehmenswerten Pioniergeist, Fürsorge, Erfolgsorientierung<br />
und Durchhaltevermögen ist es Abbotts<br />
Anspruch, Innovationen zum Leben zu bringen.<br />
Abbott Deutschland ist das größte Tochterunternehmen<br />
außerhalb der USA, mit rund 4.000 Mitarbeitern<br />
an den Standorten Wiesbaden, Ludwigshafen, Wetzlar<br />
und Rangendingen. In Deutschland betreibt Abbott<br />
sowohl Forschung & Entwicklung als auch Produktion,<br />
Marketing und Vertrieb.<br />
Abbotts Versprechen<br />
Abbott gibt als Leitlinie für seine Mitarbeiter ein Versprechen<br />
ab, ein Versprechen, wissenschaftliche Erkenntnisse<br />
in Fürsorge für den Patienten zu transferieren.<br />
Abbotts Versprechen hierzu lautet wie folgt:<br />
„Unser Engagement gilt den Menschen, deren Gesundheit<br />
wir uns verpflichtet fühlen. Diesen Weg verfolgt<br />
Abbott seit mehr als einem Jahrhundert – mit<br />
Einsatzfreude und Verantwortungsbewusstsein werden<br />
wissenschaftliche Erkenntnisse in langlebige Beiträge<br />
für die Gesundheit umgesetzt. Unsere Produkte,<br />
von der Ernährung über die Medizintechnik bis hin zur<br />
pharmazeutischen Therapie, umfassen alle Lebensabschnitte,<br />
vom Neugeborenen bis ins hohe Alter. Die<br />
Fürsorge ist ein zentraler Punkt unserer Arbeit und<br />
definiert unsere Verantwortung gegenüber den Mitmenschen.<br />
Abbott fördert bahnbrechende wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse und Technologien, die das<br />
Potenzial für signifikante Verbesserungen im Bereich<br />
der Gesundheit und der medizinischen Versorgung<br />
haben. Wir schätzen unsere Vielfalt – die unserer Produkte,<br />
Technologien, Märkte und Mitarbeiter – und<br />
glauben, dass unterschiedliche Perspektiven in Kombination<br />
mit gemeinsamen Zielen die Inspirationsquelle<br />
für neue Ideen und bessere Wege sind, den<br />
Herausforderungen im Gesundheitswesen zu begegnen.<br />
Wir legen Wert auf außergewöhnliche Leistung –<br />
ein Markenzeichen von Abbott-Mitarbeitern auf der<br />
ganzen Welt –, die wir von uns und unseren Mitarbeitern<br />
fordern, da unsere Arbeit die Lebensqualität erhält.<br />
Es ist unser Ziel, das Vertrauen der Menschen zu<br />
erlangen, indem wir uns den höchsten Qualitätsstandards,<br />
guten persönlichen Beziehungen und einem<br />
Verhalten verpflichtet fühlen, das von Ehrlichkeit, Fairness<br />
und Integrität gekennzeichnet ist. Wir sichern<br />
unseren Erfolg – für unser Unternehmen und unsere<br />
Mitmenschen – indem wir den maßgeblichen Zielen<br />
treu bleiben, auf deren Grundlage unser Unternehmen<br />
vor über einem Jahrhundert gegründet wurde:<br />
die innovative Versorgung und der Wunsch, bei allen<br />
unseren Aktivitäten deutliche Zeichen zu setzen. Das<br />
Versprechen unseres Unternehmens ist auch eine<br />
Zusage, uns in unserer täglichen Arbeit für die Gesundheit<br />
und das Leben einzusetzen.“<br />
Was haben die oben genannten Worte mit einem<br />
profit-orientierten Unternehmen zu tun? Zumal das<br />
Unternehmen auch noch in der Pharmaindustrie tätig<br />
ist und seinen Ursprung und Hauptsitz in den USA<br />
hat, wo angeblich doch dem „Shareholder Value“ alles<br />
andere untergeordnet wird?<br />
Unternehmen müssen Gewinne erzielen, wenn diese<br />
langfristig existieren wollen. Anders geht es nicht.<br />
Dabei ist die Höhe und die Nachhaltigkeit der Unternehmensgewinne<br />
ein Indiz für die Bedeutung der<br />
produzierten Innovation. In dieser Hinsicht ist Abbott
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 63<br />
sehr stolz darauf, seit Jahrzehnten zu existieren, seit<br />
Jahrzehnten steigende Gewinne zu erwirtschaften<br />
und Dividenden auszuzahlen sowie sich auch seit<br />
Jahrzehnten als eine starke, solide Aktie auf dem<br />
internationalen Finanzmarkt positioniert und behauptet<br />
zu haben.<br />
Das oben genannte Versprechen und die Gewinnorientierung<br />
einer Unternehmung sind voll miteinander<br />
vereinbar. Man kann sogar noch einen Schritt<br />
weiter gehen und behaupten, dass diese beiden<br />
Aspekte voneinander abhängen, zumindest langfristig<br />
betrachtet. Natürlich gibt es Situationen – wie auch<br />
im persönlichen Leben eines jeden einzelnen Menschen<br />
– in denen manches nicht so klar aussieht oder<br />
Entwicklungen sich als sehr komplex erweisen. Gerade<br />
in diesen Fällen ist ein klares unternehmerisches<br />
Leitbild – wie das Abbott Versprechen – von Bedeutung<br />
und unterstützt Mitarbeiter und Führungskräfte,<br />
die richtigen Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen<br />
umzusetzen.<br />
Am Beispiel der Erkrankung „Rheumatoide Arthritis“<br />
soll Abbotts Ansatz mit seinem Unternehmensversprechen<br />
kurz und anschaulich dargestellt werden.<br />
Abbotts Einstieg in die Erkrankung Rheumatoide Arthritis<br />
(RA) fing mit einer wissenschaftlichen Innovation<br />
an: der Entwicklung und Zulassung des ersten<br />
rein humanen monoklonalen Antikörpers, was seit<br />
2003 den Rheumatologen bekannt ist.<br />
Das damalige Ziel war, eine Therapie zu entwickeln,<br />
die folgende Aspekte einer effektiven RA-Behandlung<br />
gut abdeckt:<br />
● Selektive Inhibierung des Botenstoffs TNF, welcher<br />
eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Krankheit<br />
RA spielt.<br />
● Nachhaltige Wirksamkeit der Therapie.<br />
● Wenige allergische Reaktionen.<br />
● Nicht unterscheidbar von humanem Immunglobulin<br />
G, mit einer Halbwertszeit von rund 2 Wochen,<br />
was wiederum eine seltene Therapieeinnahme<br />
ermöglicht.<br />
Durch Spitzenforschung und -ingenieurleistung ist es<br />
Abbott nicht nur gelungen, dieses Molekül zu entwikkeln,<br />
sondern bei stetig steigendem Bedarf die Therapie<br />
immer in gleicher Qualität den Patienten zur Verfügung<br />
zu stellen. Ein wichtiger Aspekt, der nicht immer<br />
bei der Herstellung von hoch-komplexen biologischen<br />
1 Gerät zur Selbstinjektion<br />
Präparaten in der Vergangenheit gewährleistet werden<br />
konnte.<br />
Als Anekdote sei angemerkt, dass Abbotts F&E-<br />
Standort in Ludwigshafen einen maßgeblichen Anteil<br />
an der Entwicklung des ersten rein humanen, biotechnologisch<br />
hergestellten monoklonalen Antikörpers<br />
hatte. Doch die in den 90er Jahren restriktiven gesetzlichen<br />
Regelungen von biotechnologischen Vorhaben<br />
in Deutschland, leitete in dieser Sache einen aus<br />
heutiger Sicht bedauernswerten Export von Wissen,<br />
Experten, Arbeitsplätzen, Kapital und Zukunftschancen<br />
aus Deutschland in die USA ein. Eine Entwicklung,<br />
die leider nicht voll rückgängig gemacht werden<br />
kann.<br />
Neben der Bereitstellung unserer Medikamente wollen<br />
wir uns auch mit unseren Aktivitäten nachhaltig<br />
zur Stärkung der rheumatologischen Versorgung zum<br />
Wohle der Patienten einsetzen. So haben wir unsere<br />
Innovationskraft und Patientenorientierung erst kürzlich<br />
durch die Einführung eines PENs1 zur nahezu<br />
schmerzfreien Selbst-Applikation unter Beweis gestellt,<br />
der Patienten kostenneutral im Vergleich zur<br />
bisherigen Applikationsform zur Verfügung steht.<br />
Der gesellschaftliche Beitrag, den Abbott leisten will,<br />
geht allerdings über die Vermarktung hochinnovativer<br />
Produkte hinaus. So unterstützen wir Konzepte und<br />
wissenschaftliche Fortbildungen, die dazu führen,<br />
dass Patienten rechtzeitig diagnostiziert und interdisziplinär<br />
sowie sektorübergreifend leitlinienkonform<br />
therapiert werden können.<br />
Auch möchten wir für zukunftsweisende und ökonomisch<br />
sinnvolle Therapiekonzepte stehen, die durch<br />
verantwortungsvollen Umgang mit begrenzten Ressourcen<br />
auch in Zukunft ermöglichen, dass Patienten<br />
die Therapie erhalten, die sie benötigen. So unterstützen<br />
wir Forschungsaktivitäten, die eine gezielte Identifikation<br />
der Patienten ermöglichen sollen, die ein<br />
hohes Risiko für Folgeschäden und Invalidisierung<br />
haben (Risiko-Stratifizierung) und somit im medizinischen<br />
und gesellschaftlichen Sinn am meisten von<br />
einer innovativen Therapie profitieren. Auch deswegen<br />
bietet Abbotts Diagnostik Division seit kurzem<br />
den Anti-CCP Test mit in ihrem Leistungsspektrum an.<br />
Abbott Deutschland möchte jetzt und in Zukunft ein<br />
verlässlicher und verantwortungsvoller Partner für<br />
alle Beteiligten im deutschen Gesundheitswesen und<br />
insbesondere der Rheumatologie sein, um unseren<br />
Beitrag zu einer nachhaltigen Stärkung der Patientenversorgung<br />
und dem Technologiestandort Deutschland<br />
zu leisten. Ganz im Sinne des Abbott Versprechens:<br />
„Von der Wissenschaft zur Fürsorge“.<br />
© gpk
gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 64<br />
ANZEIGE<br />
gpk<br />
8/2007<br />
Veränderte Rahmenbedingungen<br />
Die Gesundheitsreform aus Sicht der Landespolitik<br />
Karl-Josef Laumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />
Eine kartellrechtliche Beurteilung<br />
Streitfall § 69 SGB V – Bleibt die Qualität<br />
der Versorgung auf der Strecke?<br />
Wernhard Möschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
Verzerrter Wettbewerb<br />
Versorgung der Patienten mit orthopädietechnischen<br />
Hilfsmitteln nach dem GKV-WSG<br />
Frank Jüttner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
Auf dem Weg zu neuen Ufern<br />
Der Marburger Bund im Jahre 2007<br />
Armin Ehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
Ende der Freiberuflichkeit?<br />
Ambivalenz des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes<br />
Jörg-Peter Husemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />
Honorarreform Ärzte<br />
Umfangreiche Vergütungsreform startet<br />
mit erneuter EBM-Überarbeitung<br />
Martin Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />
„Hartnäckige Traditionen“<br />
Das Gesundheitssystem muss von unten<br />
neu aufgebaut werden<br />
Konrad Schily MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
Pflegeversicherung<br />
Große Koalition versagt bei der Reform<br />
Biggi Bender MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />
Ständig steigende Zuzahlung<br />
Härtefälle brauchen (wieder) eine Härtefallregelung<br />
Frank Spieth MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
<strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong> <strong>Kommentare</strong> (gpk)<br />
Postfach 10 17 · 54614 Schönecken<br />
Tel.: (0 65 53) 9 21 10 · Fax: 9 21 13<br />
E-Mail: Schuetze-Eifel@t-online.de<br />
<strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong><br />
<strong>Kommentare</strong><br />
Bonn, August 2007<br />
48. Jahrgang, Nr. 8<br />
Einzelpreis: EUR 4,00 August<br />
Reinhardtstraße 18 · 10117 Berlin<br />
Tel.: (0 30) 20 65 87-0 · Fax: 20 65 87-29<br />
E-Mail: berlin@leoschuetze-eurogroup.de<br />
Aus dem Europäischen Parlament<br />
• Aktuelle Termine und Themen<br />
Markus Ferber MdEP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />
• Aus dem Ausschuss für Umweltfragen,<br />
Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit<br />
Horst Schnellhardt MdEP . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
Korrektur zur Sondernummer 2/2007<br />
„Krebs(früh)erkennung ohne Mythos“ . . . . . . 34<br />
AG Zukunft des Gesundheitswesens<br />
• Schlusswort der Veranstaltung am 27. Juni<br />
2007 in Mainz von Eike Hovermann MdB<br />
„Schnittstelle ambulant-stationär. Welche<br />
Chancen bietet das GKV-WSG für die<br />
Überwindung der Sektorengrenzen?“ . . . . . . . 35<br />
• Veranstaltungshinweis 5. September 2007<br />
Die Gesundheitsberufe im Spannungsfeld<br />
von europäischen Richtlinien – EuGH-Urteilen<br />
–, freien Waren- und Dienstleistungsverkehren<br />
und nationalen Sonderwünschen . . . . 37<br />
• Veranstaltungshinweis 26. September 2007<br />
Die Versorgung chronisch Kranker –<br />
Was ändert sich durch das GKV-WSG? . . . . . 38<br />
• Veranstaltungshinweis 17. Oktober 2007<br />
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit –<br />
Psychiatrische Versorgung 2007 . . . . . . . . . . 39<br />
Gesundheit wird teurer<br />
Überlegungen zum Thema<br />
„Kosten-Nutzen-Bewertung“<br />
Eike Hovermann MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />
Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />
<strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong><br />
<strong>Kommentare</strong>