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Gesellschafts- politische Kommentare - Leo Schütze Gmbh

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G 13550<br />

gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 1<br />

gpk<br />

Sonderausgabe<br />

Nr. 3/07<br />

Rheumatoide<br />

Arthritis<br />

Defizite abbauen und Potenziale nutzen<br />

Die heutigen Möglichkeiten zur Bekämpfung<br />

der rheumatischen Erkrankungen sollten<br />

konsequent genutzt werden<br />

Axel Böhnke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

Epidemiologie und Versorgung<br />

entzündlich-rheumatischer<br />

Erkrankungen in Deutschland<br />

Angela Zink . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

Defizite bei der Rehabilitation<br />

Entzündlich-rheumatische Erkrankungen<br />

in Deutschland aus sozialmedizinischwissenschaftlicher<br />

Sicht<br />

Wilfried Mau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

Deutschland im internationalen Vergleich<br />

Effektive Behandlung der Rheumatoiden Arthritis<br />

Gisela Kobelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

Remission als Ziel<br />

Paradigmenwechsel in der Behandlung der<br />

Rheumatoiden Arthritis<br />

Erika Gromnica-Ihle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

Arbeitsfähig trotz schwerer<br />

Rheumatoider Arthritis<br />

Moderne biologische Wirkstoffe verringern<br />

die Krankheitskosten<br />

Klaus Krüger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />

Volkskrankheit Rheuma<br />

Versorgungsqualität trotz fragwürdiger<br />

ökonomischer Anreize<br />

Herbert Rebscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />

Auf dem Weg zu einer intensiveren<br />

Versorgung von Rheumapatienten<br />

Rheumatische Erkrankungen aus der Sicht des<br />

Wissenschaftlichen Institutes der TK für Nutzen<br />

und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG)<br />

Eva Susanne Dietrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />

<strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong><br />

<strong>Kommentare</strong><br />

Bonn, September 2007<br />

48. Jahrgang, Sonderausgabe Nr. 3<br />

Einzelpreis: EUR 4,00 September<br />

Volkskrankheit Rheuma aus<br />

sozialmedizinischer Sicht<br />

Durch Verbesserung der Versorgung sind<br />

Kosteneinsparungen durchaus möglich<br />

Ina Ueberschär und Hans-Werner Pfeifer . . 39<br />

Rheumatoide Arthritis<br />

Überlegungen aus der Politik zu einer<br />

schweren Krankheit<br />

Eike Hovermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />

Deutliche Verbesserung der Qualität<br />

Neue Versorgungsform für Patienten mit<br />

Rheumatoider Arthritis am Beispiel des<br />

Integrationsvertrages der AOK Schleswig-<br />

Holstein mit dem Städtischen Krankenhaus Kiel<br />

Gerhard Kruse und Andreas Hering . . . . . . 46<br />

Notwendige Integration der Versorgung<br />

im Bereich Rheumatologie und<br />

Lösungsansätze<br />

Konzentration vs. Flächendeckende Versorgung<br />

im Bereich Rheumatologie am Beispiel des<br />

Landes Brandenburg<br />

Lutz Freiberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51<br />

Kostenimplikation und Lebensqualität bei<br />

Rheumatioder Arthritis in Deutschland<br />

Thomas Mittendorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

Erfahrungsbericht einer Betroffenen<br />

Die Versorgung rheumakranker Menschen<br />

hat noch deutliche Defizite<br />

Annelie Heilhecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />

Abbotts Versprechen<br />

Von der Wissenschaft zur Fürsorge<br />

Wulff-Erik von Borcke . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />

Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 2<br />

Zu dieser Ausgabe<br />

Versäumtes lässt sich nicht nachholen. Das trifft, so Axel<br />

Böhnke in seinem einleitenden Beitrag, in ganz besonderem<br />

Maße für die an einer rheumatischen Krankheit leidenden<br />

Menschen zu. Denn eine verzögerte Diagnose und<br />

damit auch eine zu spät einsetzende Therapie lassen sich<br />

nicht mehr wettmachen. Es gehe deshalb darum, die vorhandenen<br />

Defizite in der Behandlung rheumakranker Menschen<br />

abzubauen und die vorhandenen Potenziale, vor<br />

allem durch innovative Medikamente, zu nutzen. So könne<br />

auch viel Leid für die betroffenen Menschen verhindert<br />

werden.<br />

Auf die Defizite bei der rechtzeitigen Versorgung der an<br />

Rheumatoide Arthritis erkrankten Menschen weist Prof. Dr.<br />

Angela Zink hin. Von einer ausreichenden oder gar optimalen<br />

Versorgung mit Rheumatologen seien wir in Deutschland<br />

derzeit weit entfernt. Dabei sei die rechtzeitige Behandlung<br />

von Rheumakranken ganz entscheidend für den<br />

Krankheitsverlauf. Allerdings sei die wohnortnahe, ambulante<br />

Versorgung durch regionale Rheumazentren verbessert<br />

worden.<br />

Unter den Folgen rheumatischer Erkrankungen leiden zunächst<br />

und in erster Linie die betroffenen Menschen. Aber<br />

auch die sozialmedizinischen Folgen sind erheblich. Wie<br />

Prof. Dr. Wilfried Mau darstellt, gibt es belastbare Daten<br />

über die Einschränkungen der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit.<br />

Aus diesem Grunde müsse der Zugang zur Rehabilitation<br />

dringend verbessert werden.<br />

Bei der effektiven Versorgung der Rheumatoiden Arthritis<br />

sind andere Länder Deutschland deutlich voraus. Dies gilt<br />

vor allem für den Einsatz innovativer Arzneimittel. Erforderlich<br />

ist es, so Prof. Dr. Gisela Kobelt, Kosteneffektivitätsanalysen<br />

zu erstellen. So lasse sich eine Aussage darüber<br />

machen, ob die Zusatzkosten einer neuen Behandlung<br />

und die zusätzlichen Effekte auch ökonomisch im<br />

Vergleich zu der Standardbehandlung sinnvoll sind, oder<br />

gar durch Verminderung von Arbeitsausfällen zur Kostensenkung<br />

beitragen.<br />

Da die Rheumatoide Arthritis nicht heilbar ist und ohne<br />

Behandlung schnell fortschreitet, muss es nach Ansicht<br />

von Prof. Dr. Erika Gromnica-Ihle das Ziel sein, das Nachlassen<br />

von Krankheitssymptomen anzustreben. Dazu sei<br />

eine rechtzeitige und wenn nötig auch eine aggressive<br />

Therapie unter Einsatz der vorhandenen Medikamente erforderlich.<br />

Rechtzeitig bedeute dabei, innerhalb von weniger<br />

als drei Monaten nach Symptombeginn.<br />

Moderne biologische Wirkstoffe verringern die Krankheitskosten<br />

bei Rheumatoider Arthritis. Zu diesem Ergebnis<br />

kommt Prof. Dr. Klaus Krüger durch seine Untersuchungen.<br />

Durch eine effektivere Behandlung der Erkrankung<br />

seien Einsparungen sowohl im Bereich der Arztbesuche<br />

und Klinikaufenthalte gegeben als auch hinsichtlich der<br />

Arbeitsproduktivität und der Invalidität. Hinsichtlich der Kosteneinsparung<br />

sei eine zusammenführende Gesamtanalyse<br />

erforderlich.<br />

Um das Defizit in der Behandlung von Patienten mit Rheumatoider<br />

Arthritis – die zu späte Diagnose und Behandlung<br />

– zu beseitigen, setzt die Deutsche Angestellten-Krankenkasse<br />

(DAK) auf Integrationsverträge. Sie sollen, wie Prof.<br />

Dr. Herbert Rebscher darstellt, die prä- und postfachärztliche<br />

Einbindung der hausärztlichen Strukturen möglich<br />

machen. Dies könnte zur Entlastung rheumatologischer<br />

Schwerpunktpraxen führen, damit der Zugang zur fachärztlichen<br />

Behandlung schneller möglich werde. Entsprechende<br />

Schulungsangebote für den hausärztlichen Bereich seien<br />

bereits entwickelt worden.<br />

Nach Erhebungen des Wissenschaftlichen Instituts der<br />

Techniker Krankenkasse für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen<br />

(WINEG), wird die Versorgung der Patienten<br />

mit Rheumatoider Arthritis zunehmend intensiviert. Allerdings<br />

sei diese Entwicklung, so WINEG-Leiterin Dr. Eva<br />

Susanne Dietrich, auch mit höheren Kosten für die Krakenkassen<br />

verbunden. Valide Zahlen zur Versorgung im<br />

hausärztlichen Bereich lägen jedoch nicht vor. Es bleibe<br />

abzuwarten, ob die Therapiehinweise des Gemeinsamen<br />

Bundesausschusses zu einer rationalen und optimierten<br />

Versorgung beitragen würden.<br />

Rheuma sei keineswegs eine Alte-Leute-Krankheit, stellen<br />

Dr. Ina Ueberschär und Hans-Werner Pfeifer fest. Sie<br />

erreiche ihren Gipfel vielmehr zwischen dem 40. und 50.<br />

Lebensjahr und habe deshalb – neben den Folgen für die<br />

Betroffenen selbst – auch erhebliche Auswirkungen auf<br />

Gesellschaft und Wirtschaft. Es mache deshalb Sinn, auch<br />

teure Medikamente einzusetzen, wenn sich dadurch das<br />

Fortschreiten der Erkrankung verzögern lasse und so erhebliche<br />

Kosten wieder eingespart werden könnten. Eine<br />

alle Faktoren einbeziehende Kosten-Nutzen-Analyse spreche<br />

für die hochwirksamen Medikamente.<br />

Falsch ist es nach Ansicht des Gesundheitsexperten der<br />

SPD-Bundestagsfraktion, Eike Hovermann, die Kosten-<br />

Nutzenbewertung immer nur in einem Zeitfenster von einem<br />

Jahr und in erster Linie aus der Sicht der Kostenträger<br />

anzusetzen. Erforderlich sei die Einbeziehung der gesamtgesellschaftlichen<br />

Perspektive mit den insgesamt entstehenden<br />

Kosten durch Fehlzeiten oder Invalidität. Dies gelte<br />

insbesondere im Blick auf Rheumapatienten. Angesichts<br />

der engen Finanzlage fordert er Mut zu neuen Denkansätzen<br />

und Steuerungsmechanismen.<br />

Mit Hilfe eines Vertrages zur Integrierten Versorgung versucht<br />

die AOK Schleswig-Holstein, die Qualität der Versorgung<br />

von Patienten mit Rheumatoider Arthritis zu verbessern.<br />

Ziel einer eigens eingerichteten Koordinationsstelle<br />

ist es, wie Gerd Kruse und Andreas Hering darstellen,<br />

über die sektorübergreifende Versorgung zu informieren.<br />

Für die zusätzlichen Leistungen im Rahmen der Integrierten<br />

Versorgung erhalten die teilnehmenden Vertragsärzte<br />

eine Vergütung. Erste Erfahrungen belegen, dass die angestrebte<br />

Qualitätsverbesserung erreicht wurde.<br />

Fortsetzung auf Seite 3


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 3<br />

Defizite abbauen und Potenziale nutzen<br />

Die heutigen Möglichkeiten zur Bekämpfung der rheumatischen Erkrankungen<br />

sollten konsequent genutzt werden<br />

Von Axel Böhnke<br />

Die Gesundheit nimmt im Wertesystem der Menschen<br />

über die Grenzen von Nationen und Volkswirtschaften<br />

hinweg, einen Spitzenplatz ein. Krankheit<br />

bedeutet neben Schmerzen auch immer Einschränkung<br />

in der Teilhabe am Leben. Und man könne eine<br />

Krankheit nicht dadurch heilen, sagte Yves Montand,<br />

dass man das Fieberthermometer verstecke.<br />

Dies trifft in besonderem Maße auf viele rheumakranke<br />

Menschen zu. In der hier vorliegenden Sonderausgabe<br />

der <strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong>n <strong>Kommentare</strong> (gpk)<br />

widmen sich ausgewiesene Experten aus unterschiedlichen<br />

Fachgebieten und Disziplinen dem immer<br />

wichtigeren Thema: Rheumatoide Arthritis (RA).<br />

Von verschiedenen Seiten beleuchten sie diese Erkrankung<br />

sowie Möglichkeiten eines multimoda-<br />

Fortsetzung von Seite 2<br />

Über das Spannungsverhältnis von einer flächendeckenden<br />

und gleichzeitig medizinisch hoch stehenden Versorgung<br />

in der Konzentration auf Rheumazentren berichtet<br />

Lutz Freiberg am Beispiel Brandenburg. Gerade die Versorgung<br />

von Chronikern führe bei einer Konzentration der<br />

medizinischen Leistungen zu einer Verschlechterung. Entgegenwirken<br />

will man solchen negativen Entwicklungen<br />

durch ein Integriertes Versorgungsmodell, das regelmäßige<br />

Sprechstunden durch Krankenhausärzte und Konsultationsstützpunkte<br />

vorsieht.<br />

Die Kosten einer medizinischen Behandlung und das sich<br />

daraus ergebende Mehr an Lebensqualität stehen angesichts<br />

der angespannten Finanzlage im Gesundheitswesen<br />

in einem Spannungsverhältnis. Allerdings können sie auch<br />

in eine positive Beziehung gebracht werden, wie es<br />

Dr. Thomas Mittendorf am Beispiel der Rheumatoiden<br />

Arthritis belegt. Eine möglichst frühe Behandlung spart<br />

erhebliche Folgekosten, wie sie durch Arbeitsunfähigkeit<br />

bis hin zur Berentung entstehen und trägt gleichzeitig zur<br />

Lebensqualität des Patienten bei. Die Lebensqualität wird<br />

seit Jahren in klinischen Studien und langfristigen Beobachtungsstudien<br />

regelmäßig erhoben und bewertet.<br />

len Ansatzes im Rahmen des interdisziplinären<br />

Diskurses.<br />

RA ist ohne Zweifel eine Volkskrankheit. In Deutschland<br />

leiden rund 800.000 Patienten an dieser chronischen<br />

Erkrankung. Zum Weltrheumatag 2006 sagte<br />

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt: „An<br />

Rheuma erkrankte Menschen haben große Belastungen<br />

zu tragen. Das bedeutet meist ein Leben lang<br />

Einbußen an Lebensqualität und Einschränkungen im<br />

Alltag. Wir brauchen mehr Wissen um diese Krankheit,<br />

mehr Vorbeugung und Gesundheitsförderung,<br />

eine gute medizinische Versorgung und auch mehr<br />

Forschung.“<br />

Eine früh begonnene Therapie erhöht dabei deutlich<br />

die Chance, die körperliche Funktionsfähigkeit und<br />

Aus Sicht einer Betroffenen berichtet Annelie Heilhecker<br />

über den Umgang mit Rheumatoider Arthritis und die Mängel,<br />

die es bei der Behandlung dieser Krankheit noch gibt.<br />

Sie sieht vor allem zu viele Hindernisse beim Einsatz neuer<br />

Medikamente, weil viele Rheumatologen Regressforderungen<br />

der gesetzlichen Krankenkassen befürchten würden.<br />

Zudem sei die kassenärztliche Vergütung für die Rheumatologen<br />

extrem niedrig.<br />

Am Beispiel der Forschung zur Rheumatoiden Arthritis<br />

erläutert Wulff-Erik von Borcke die Philosophie des Pharmaunternehmens<br />

Abbott. Das Engagement, so heißt es<br />

dort, „gilt den Menschen, deren Gesundheit wir uns verpflichtet<br />

fühlen“. Der gesellschaftliche Beitrag, den Abbott<br />

leisten wolle, gehe über die Vermarktung hochinnovativer<br />

Produkte hinaus, wenngleich ein Unternehmen auch Gewinne<br />

machen müsste. Ziel sei es, zukunftsweisende und<br />

ökonomisch sinnvolle Therapiekonzepte zu entwickeln.<br />

Die Redaktion


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 4<br />

damit auch die Lebensqualität zu erhalten. Darüber<br />

hinaus können auch die direkten Krankheitskosten<br />

und die indirekten Kosten, wie z. B. Fehltage oder<br />

Frühverrentung, gesenkt werden. Basis für eine erfolgreiche<br />

Behandlung der Betroffenen ist eine rechtzeitige<br />

und vernetzte Versorgung, für die entsprechende<br />

Rahmenbedingungen erforderlich sind.<br />

Dass hier noch Verbesserungsbedarf besteht, zeigt<br />

der Beitrag von Prof. Dr. Angela Zink, Leiterin des<br />

deutschen Rheumaforschungszentrums. Auch im Zugang<br />

bestehen in Deutschland, verglichen mit anderen<br />

europäischen Staaten, Probleme, wie Prof. Dr.<br />

Gisela Kobelt, Frankreich, in ihren Ausführungen zum<br />

Vergleich in Europa zeigt. Einer Bewertung aus sozialmedizinischer<br />

Sicht widmet sich Prof. Dr. Wilfried<br />

Mau, Institut für Rehabilitationsmedizin der Universität<br />

Halle.<br />

Im Übrigen lassen sich auch Versorgungsunterschiede<br />

in der Verwendung von Biologika feststellen. Jüngere<br />

Patienten werden, im Vergleich zu Älteren, im<br />

Falle vergleichbarer Krankheitsaktivität signifikant<br />

häufiger mit Biologika behandelt. Gegenüber Frauen<br />

scheinen Männer in der Tendenz mehr Biologika zu<br />

erhalten. In Abhängigkeit vom Bildungsstandard und<br />

der sozialen Schicht ließen sich ebenfalls Unterschiede<br />

ausmachen. Wurde die arbeitsrechtliche Stellung<br />

als Angestellter, Selbstständiger oder Beamter angegeben,<br />

hatten diese Patienten eine dreifach höhere<br />

Chance auf den Zugang zu Biologika als der „Arbeiter“.<br />

Erschwerter Zugang zu innovativen<br />

Medikamenten<br />

Trotz dieser Strukturdefizite beschreibt ein kürzlich<br />

vom Institut für empirische Gesundheitsökonomie<br />

veröffentlichtes Gutachten zum Stand der medikamentösen<br />

Versorgung von gesetzlich Versicherten in<br />

Deutschland zudem, dass noch immer eklatante Versorgungslücken<br />

gerade im Hinblick auf die Versorgung<br />

mit und den Zugang zu innovativen Medikamenten<br />

wie den hoch-effektiven TNF-alpha-Inhibitoren<br />

bestehen: nicht selten sei diese Unterversorgung auf<br />

gesundheits<strong>politische</strong> Restriktionen zurückzuführen,<br />

die die Ärzte in eine restriktive Verordnungsweise<br />

trieben und damit den (leitliniengerechten) Zugang<br />

von Patienten erschwerten.<br />

Die wirtschaftliche Verordnung von neuen, effektiven<br />

Arzneimitteln, den Biologika (so werden die TNFalpha-Inhibitoren<br />

bezeichnet) ist Gegenstand in den<br />

Ausführungen von Prof. Dr. Klaus Krüger. Den gesellschaftlichen<br />

Wert – auch geläufig als „societal value“<br />

– innovativer Arzneimittel wie der TNF-alpha-Inhibitoren,<br />

z.B. durch eine verbesserte Lebensqualität, legt<br />

Dr. Thomas Mittendorf, Leiter der Forschungseinheit<br />

Gesundheitsökonomie am Lehrstuhl für Versicherungsbetriebslehre<br />

an der Universität Hannover, dar.<br />

„Je früher eine wirksame Rheumatherapie beginnt,<br />

um so größer ist die Chance, den Entzündungsprozess<br />

günstig zu beeinflussen und die Zerstörung der<br />

Gelenke aufzuhalten“, sagte Bundesgesundheitsministerin<br />

Ulla Schmidt anlässlich des Weltrheumatages<br />

2005. Denn: Nur durch frühzeitige Diagnose und konsequente<br />

Behandlung lassen sich bleibende Folgeschäden<br />

vermeiden – ein enormer societal value.<br />

Diese Facetten beleuchtet Lutz Freiberg, Geschäftsführer<br />

der KV Comm und Leiter Grundsatzfragen und<br />

Strategie der KV Brandenburg, am regionalen Beispiel<br />

für eine KV. Kassenseitig schildern Gerhard Kruse,<br />

Leiter Gesundheitsservice der AOK Schleswig-<br />

Holstein, und Andreas Hering ein eigenes Projekt der<br />

Integrierten Versorgung zur Überwindung von Versorgungsmängeln<br />

und optimierter Versorgung durch Vernetzung.<br />

Aus Sicht des Wissenschaftlichen Instituts für Nutzen<br />

und Effizienz im Gesundheitswesen der Techniker<br />

Krankenkasse (WINEG) schildert dessen Direktorin,<br />

Dr. Eva Susanne Dietrich, eine Einschätzung zum<br />

Thema Rheuma. Für die Deutsche Angestellten-<br />

Krankenkasse (DAK) als großer, innovativer Versorgerkasse,<br />

ordnet der Vorstandsvorsitzende, Prof. Dr.<br />

Herbert Rebscher, dies in die eigene Positionierung<br />

und Philosophie ein.<br />

Erhebliche gesellschaftliche Folgen und Verlust<br />

an Lebensqualität<br />

Was aber ist unter dem „societal value“ zu verstehen?<br />

Nach Prof. Reinhard Rychlik lässt er sich so definieren:<br />

„Die Chronizität und Progression der RA führen<br />

in hohem Maße zu einer individuellen und gesellschaftlichen<br />

Krankheitslast. Individuell ergibt sich die<br />

Krankheitslast aus Einschränkungen des Befindens<br />

durch Schmerz, verringerte Funktionsfähigkeit, Abnahme<br />

der sozialen Teilhabe durch Arbeitsunfähigkeit<br />

und vorzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben<br />

sowie dem Verlust der physischen Unabhängigkeit,<br />

also einer generellen Minderung der Lebensqualität.<br />

Gesellschaftliche Folgen der RA ergeben sich unter<br />

anderem aus den indirekten Kosten, die bei Produk-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 5<br />

tivitätsverlust aufgrund von Arbeitsunfähigkeit bzw.<br />

vorzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben anfallen.“<br />

In zunehmendem Maße tragen Erkrankungen des<br />

rheumatischen Formenkreises zu Fehlzeiten bei den<br />

Berufstätigen bei. Dies impliziert erhebliche wirtschaftliche<br />

Folgen, gerade für Patienten und die Gesellschaft.<br />

Eine – unerlässliche – Einschätzung aus<br />

Patientensicht gibt Annelie Heilhecker. Rheumatische<br />

Erkrankungen sind sehr oft Ursache für die Berentung<br />

wegen verminderter Erwerbstätigkeit. Da die Rheumatoide<br />

Arthritis nicht heilbar ist und ohne Behandlung<br />

schnell fortschreitet, plädiert Prof. Dr. Erika<br />

Gromnica-Ihle für eine rechtzeitige und wenn nötig<br />

auch eine aggressive Therapie unter Einsatz der vorhandenen<br />

Medikamente.<br />

Die Erkrankungsformen sind daher nicht nur ein Problem<br />

des Gesundheitswesens, sondern verursachen<br />

erhebliche Kosten für die Volkswirtschaft. Denn wie<br />

Dr. Ina Ueberschär und Hans-Werner Pfeifer darlegen,<br />

ist RA keineswegs eine Alte-Leute-Krankheit. Sie<br />

erreicht ihren Gipfel vielmehr zwischen dem 40. und<br />

50. Lebensjahr.<br />

Daraus entsteht die Notwendigkeit, RA vor dem Hintergrund<br />

der gesamtgesellschaftlichen Perspektive zu<br />

sehen. Diese Forderungen teilt das Mitglied des Deutschen<br />

Bundestages, Eike Hovermann, in seinem Beitrag<br />

und fordert zur übergreifenden (Nutzen-) Betrachtung<br />

auf. Aus sozialmedizinischer Sicht erfolgt<br />

eine Einschätzung durch Hans-Werner Pfeifer, Generalsekretär<br />

des Berufsverbandes der Sozialversicherungsmediziner<br />

in Deutschland. Eine Studie belegte,<br />

dass Frauen mit einer mindestens zehn Jahre bestehenden<br />

RA eine verminderte Erwerbstätigkeit von<br />

43 Prozent in den alten sowie 47 Prozent in den<br />

jungen Bundesländern gegenüber gesunden Mitbürgerinnen<br />

aufwiesen. So forderte auch Ulla Schmidt<br />

zum Welt-Rheuma-Tag 2005 klar: „Ziel muss sein, die<br />

Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und<br />

deren Erwerbsfähigkeit zu erhalten.“<br />

Im Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung<br />

der Entwicklung im Gesundheitswesen 2000/<br />

2001 wird im Blick auf die Versorgung festgestellt,<br />

dass Unterversorgung vorliegt, wenn bedarfsgerech-<br />

te Leistungen, die in wirtschaftlicher Form zur Verfügung<br />

stehen, nicht erbracht bzw. nicht in erreichbarer<br />

Form zur Verfügung gestellt werden. Fehlversorgung<br />

liegt unter anderem dann vor, wenn ein vermeidbarer<br />

Schaden entsteht, weil eine an sich bedarfsgerechte,<br />

indizierte Leistung im Rahmen einer Behandlung unterlassen<br />

oder nicht rechtzeitig durchgeführt wird.<br />

Somit lässt sich auf Grund des Vorgenannten konstatieren,<br />

dass das deutsche Gesundheitswesen eine<br />

Fehl- und – vor allem – Unterversorgung aufweist.<br />

Versäumtes lässt sich nicht nachholen<br />

Die vorliegende Sonderausgabe der gpk will auf das<br />

immer drängendere Problem rheumatischer Erkrankungen<br />

aufmerksam machen und dabei insbesondere<br />

zu einer intensiveren Beschäftigung mit den Krankheitsbildern<br />

des rheumatischen Formenkreises und<br />

den sich daraus ergebenden Implikationen einladen.<br />

Innovative Optionen sind verfügbar, wichtig ist auch<br />

der Zugang hierzu.<br />

Es gilt, wie einst Paul Henri Spaak (1899–1972),<br />

belgischer Staatsmann, formulierte: „Für verlorene<br />

Gelegenheiten in der (Gesundheits-, der Verf.)Politik<br />

gibt es kein Fundbüro.“ Dies gilt insbesondere für das<br />

Beispiel der Rheumatologie, um letztlich die gesamte<br />

Versorgung zu verbessern. Daher soll diese Sondernummer<br />

beständigem Fortschritt durch Innovation<br />

und Integration dienen. Vor diesem Hintergrund ist<br />

auch die (Früh-)Erkennung, Diagnostik und die Therapie<br />

immer wieder neu zu beurteilen und weiterzuentwickeln.<br />

Diagnosen sollten mit höchster Treffsicherheit, insbesondere<br />

aber früher gestellt werden, so dass die<br />

Richtigen zum richtigen Zeitpunkt an adäquater Versorgung<br />

und „dem allgemein anerkannten Stand der<br />

Wissenschaft“ im Sinne des Sozialgesetzbuches V an<br />

der Versorgung teilhaben können. Dies verbessert die<br />

Qualität und hilft gleichzeitig (vermeidbares) Leid zu<br />

verhindern und Kosten zu sparen. Wichtig ist, zunächst<br />

in allen relevanten Bereichen Defizite abzubauen<br />

und Potenziale für die Rheumatologie zu nutzen,<br />

um letztlich der einzig wesentlichen Verpflichtung<br />

nachzukommen: dem Wohl der Patienten.<br />

© gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 6<br />

Epidemiologie und Versorgung entzündlichrheumatischer<br />

Erkrankungen in Deutschland<br />

Von Angela Zink<br />

1. Einleitung<br />

Die ambulante, wohnortnahe Versorgung Rheumakranker<br />

ist seit mehr als 30 Jahren Gegenstand von<br />

Versorgungsanalysen und Modellversuchen. Bereits<br />

Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts hat die<br />

Bundesregierung Modellvorhaben zur wohnortnahen<br />

Rheumaversorgung gefördert, weil man erkannt hatte,<br />

dass die schwerpunktmäßig stationäre, wohnortferne<br />

rheumatologische Betreuung den Anforderungen<br />

an eine frühzeitige, komprehensive und koordinierte<br />

Betreuung nicht entsprach.<br />

Die von 1993 bis 1999 geförderte Einrichtung regionaler<br />

kooperativer Rheumazentren, die in nunmehr<br />

30 Regionen in Deutschland die Zusammenarbeit<br />

zwischen Hausärzten und Rheumatologen strukturieren,<br />

hat die Versorgungssituation deutlich verbessert.<br />

Dies belegt unter anderem die seit 1993 kontinuierlich<br />

durchgeführte rheumatologische Kerndokumentation<br />

der Rheumazentren (1). Diese Erhebung von Arztund<br />

Patientendaten von jährlich mehr als 20.000 Patienten<br />

mit entzündlich-rheumatischen Krankheiten<br />

erlaubt eine differenzierte Beschreibung des Versorgungsgeschehens<br />

und seiner Entwicklungen.<br />

Im Folgenden wird eine Übersicht über Häufigkeit und<br />

Versorgung entzündlich-rheumatischer Krankheiten<br />

und die zur Verfügung stehenden Versorgungsstrukturen<br />

gegeben.<br />

2. Häufigkeit entzündlich-rheumatischer<br />

Krankheiten<br />

Die Gruppe der entzündlich-rheumatischen Krankheiten<br />

umfasst mehr als 100 verschiedene Krankheitsbilder.<br />

Ihnen ist gemeinsam, dass eine gestörte Immunantwort<br />

zu einem chronisch-entzündlichen Befall unterschiedlicher<br />

Körpergewebe führt. Die Betroffenen<br />

leiden an Schmerzen in den Gelenken oder der Wirbelsäule,<br />

fortschreitenden Funktionseinschränkungen<br />

durch Entzündung und Schädigung der Gelenke<br />

und einer Vielzahl von Allgemeinsymptomen.<br />

Anders als z.B. bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

steht bei diesen Krankheitsbildern nicht das erhöhte<br />

Sterberisiko, sondern die schwerwiegende Beeinträchtigung<br />

der Lebensqualität und der sozialen Teilhabe<br />

im Vordergrund. Neue Therapieoptionen haben<br />

den Verlauf und die Prognose deutlich verbessert,<br />

dennoch ist eine komplette Ausheilung auch heute<br />

noch selten.<br />

Die häufigste entzündlich-rheumatische Krankheit ist<br />

die Rheumatoide Arthritis. Man geht heute von einer<br />

Prävalenz von 0,5 Prozent bis höchstens 0,8 Prozent<br />

gesicherter, behandlungsbedürftiger Fälle in der erwachsenen<br />

Bevölkerung aus (2;3). Etwa dieselbe<br />

Prävalenzannahme gilt für die ankylosierende Spondylitis,<br />

eine entzündliche Erkrankung der Wirbelsäule<br />

(4). Für die ganze Gruppe der Spondyloarthritiden<br />

(undifferenzierte Fälle, Psoriasis-Arthritis usw.) muss<br />

man von einer Häufigkeit von mindestens 1 Prozent<br />

ausgehen, für Kollagenosen und Vaskulitiden von<br />

rund 0,2 Prozent (5). Insgesamt leiden 1,5 bis 2 Prozent<br />

der erwachsenen Bevölkerung (d.h. 1,0 bis 1,4<br />

Millionen Einwohner in Deutschland) an einer entzündlich-rheumatischen<br />

Krankheit.<br />

Von den meisten entzündlich-rheumatischen Krankheitsbildern<br />

sind Frauen häufiger betroffen als Männer:<br />

75 Prozent der Patienten mit Rheumatoider Arthritis<br />

und 90 Prozent derjenigen mit systemischem<br />

Lupus erythematodes (SLE) sind Frauen. Bei den<br />

Spondyloarthritiden beträgt das Verhältnis etwa 1:1,<br />

wobei mehr Männer von der ankylosierenden Spondylitis<br />

und mehr Frauen von sonstigen seronegativen<br />

Spondyloarthritiden und der Psoriasis-Arthritis betroffen<br />

sind.<br />

3. Krankheitslast entzündlich-rheumatischer<br />

Krankheiten<br />

Neben den unmittelbaren Krankheitssymptomen wie<br />

chronischer Schmerz, Morgensteifigkeit, Funktionsverlust,<br />

Veränderung des Körperbildes, Schwäche<br />

und allgemeines Krankheitsgefühl führen entzündlich-rheumatische<br />

Krankheiten auch zu gravierenden<br />

Verlusten im Bereich der sozialen Teilhabe.<br />

Die Erwerbsbeteiligung der Patienten mit entzündlichrheumatischen<br />

Krankheiten liegt um 10 bis 20 Prozent


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 7<br />

unter Bevölkerungsniveau. Besonders ungünstig sind<br />

die Beschäftigungschancen für Rheumakranke, die<br />

einen niedrigen Bildungsstand aufweisen und/oder in<br />

einem neuen Bundesland wohnen (6).<br />

Von den noch erwerbstätigen Personen mit Rheumatoider<br />

Arthritis sind rund ein Drittel mindestens einmal<br />

pro Jahr wegen der Erkrankung arbeitsunfähig mit<br />

einer mittleren Dauer von rund 50 Tagen (7). Ein<br />

ähnliches Bild zeigt die Kerndokumentation auch für<br />

die ankylosierende Spondylitis und den SLE.<br />

Die mittleren jährlichen Kosten für medizinische Behandlung<br />

(Arztbesuche, Medikamentenkosten, ergänzende<br />

Therapien, Krankenhausaufenthalte, Rehabilitationsmaßnahmen)<br />

betragen bei den einzelnen<br />

Krankheitsbildern zwischen 3.100 Euro (Psoriasis-<br />

Arthritis) und 4.700 Euro (Rheumatoide Arthritis) pro<br />

Jahr.<br />

Hinzu kommen mittlere Kosten durch Produktivitätsausfälle<br />

(Arbeitsunfähigkeit und vorzeitige Berentung)<br />

in Höhe von 8.000 bis 11.000 Euro je nach Krankheitsbild.<br />

Wie wichtig Bemühungen um einen möglichst<br />

vollständigen Funktionserhalt sind, zeigen die<br />

bei schlechtem Funktionsstatus um 3- bis 4-fach höheren<br />

Kosten (8).<br />

4. Struktur der rheumatologischen Versorgung<br />

4.1 Versorgungsbedarf<br />

In Deutschland kann die Gebietsbezeichnung Rheumatologie<br />

durch Fachärzte der Inneren Medizin oder<br />

Orthopädie erworben werden. Ihre Aufgaben sind jedoch<br />

deutlich unterschiedlich: Während die Aufgaben<br />

des orthopädischen Rheumatologen vorrangig auf<br />

den Gebieten der Überwachung des Funktionszustandes,<br />

der gezielten Verordnung von Physiotherapie<br />

und Hilfsmitteln sowie der Indikationsstellung zu<br />

operativen Eingriffen liegen, obliegen dem internistischen<br />

Rheumatologen die (Früh-)Diagnose, Einleitung<br />

und Überwachung der Therapie und Bewältigung<br />

von Therapiekomplikationen sowie die Krankheitsbegleitung<br />

in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt.<br />

Die Berechnungen von Anhaltszahlen für eine angemessene<br />

rheumatologische Versorgung beziehen<br />

sich daher auf die internistischen Rheumatologen als<br />

Hauptansprechpartner.<br />

Bereits das Memorandum der Deutschen Gesellschaft<br />

für Rheumatologie von 1994 (9) stellte bei<br />

genauer Berechnung der von einem internistischen<br />

Rheumatologen maximal leistbaren Versorgung einen<br />

Bedarf von mindestens zwei internistischen<br />

Rheumatologen je 100.000 Einwohner fest. Als ideal<br />

wurde eine Versorgung mit drei Rheumatologen je<br />

100.000 Einwohner angesehen. Angesichts der damals<br />

noch deutlich schlechteren Versorgungssituation<br />

wurde als Minimalforderung eine Versorgung mit<br />

einem Rheumatologen je 150.000 Einwohner angenommen.<br />

Diese „Mindestversorgung“ haben wir heute erreicht.<br />

Von einer ausreichenden oder gar optimalen Versorgung<br />

sind wir jedoch noch immer weit entfernt.<br />

4.2 Aktuelle Versorgungsstruktur<br />

Das Arztregister der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />

(KBV) nennt mit Stand vom 31. Dezember 2006<br />

674 berufstätige Internisten mit Schwerpunkt oder<br />

Teilgebiet Rheumatologie und 534 berufstätige Orthopäden<br />

mit Schwerpunkt/Teilgebiet Rheumatologie.<br />

Hiervon sind 426 internistische und 476 orthopädische<br />

Rheumatologen als Vertragsärzte tätig, 153<br />

internistische und 106 orthopädische Rheumatologen<br />

sind an Kliniken zur ambulanten Behandlung<br />

ermächtigt.<br />

Dies ergibt für die gesamte Bundesrepublik eine Zahl<br />

von 0,86 internistischen und 0,79 orthopädischen<br />

Rheumatologen je 100.000 erwachsene Einwohner<br />

oder einen internistischen Rheumatologen je 116.000<br />

erwachsene Einwohner. Die Tabelle (S. 8) gibt die<br />

regionale Verteilung der internistischen Rheumatologen<br />

wieder. Die Zahlen je 100.000 Erwachsene variieren<br />

in den einzelnen Bundesländern zwischen 0,57 im<br />

Saarland und 1,4 in Bremen. Insgesamt haben die<br />

Stadtstaaten eine höhere Dichte an internistischen<br />

Rheumatologen.<br />

5. Prozesse und Prozessqualität der<br />

rheumatologischen Versorgung<br />

Die erste Anlaufstelle bei neu auftretenden muskuloskelettalen<br />

Beschwerden sind in aller Regel Hausärzte<br />

oder Orthopäden. Ihre Aufgabe ist es, Patienten mit<br />

rheumatologischem Versorgungsbedarf früh zu erkennen<br />

und zu überweisen. Dies erfolgt heute deutlich<br />

schneller als noch vor 15 Jahren: Nach den Daten der<br />

rheumatologischen Kerndokumentation hat sich seit<br />

1993 die Zeit bis zur Überweisung bei allen Krankheitsbildern<br />

außer der ankylosierenden Spondylitis<br />

halbiert.<br />

Eine Rheumatoide Arthritis wird heute im Mittel nach<br />

1,1 Jahren überwiesen (7). Rund die Hälfte der im<br />

Jahr 2004 neu zum Rheumatologen zugewiesenen<br />

RA-Patienten hatten nicht länger als sechs Monate<br />

Beschwerden.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 8<br />

Tabelle: Internistische Rheumatologen je 100.000 erwachsene Einwohner in den Bundesländern<br />

(Arztregister der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 31. Dezember 2006;<br />

Bevölkerungszahlen vom 31.12.2004 (10))<br />

Es ist gut belegt, dass eine Rheumatoide Arthritis in<br />

der Mehrheit der Fälle zu einer radiologisch feststellbaren<br />

Gelenkschädigung (11) und zu deutlicher<br />

Funktionseinschränkung (12) führt. Durch Frühbehandlung<br />

mit DMARDs (disease-modifying antirheumatic<br />

drugs, z.B. Methotrexat) in den ersten sechs<br />

Monaten, lässt sich das Risiko eines Funktionsverlustes<br />

halbieren (13), die Chance auf vollständige<br />

Symptomfreiheit verdreifachen (14) und insgesamt<br />

die radiologische Progression hemmen (15;16).<br />

Die Zeit bis zum Beginn einer wirksamen Behandlung<br />

ist entscheidend für das Ausmaß der Gelenkzerstörung<br />

(14;17;18). Die bei Rheumatoider Arthritis signifikant<br />

erhöhte Mortalität (19) lässt sich durch effektive<br />

Therapie nahezu auf das Niveau der Normalbevölkerung<br />

bringen (20–22).<br />

Angesichts der oft nicht eindeutigen Symptomatik und<br />

der Überlappung mit anderen Krankheitsbildern ist<br />

eine Frühdiagnose nicht einfach zu stellen. Daher wird<br />

eine Überweisung zum Rheumatologen zur diagnostischen<br />

Abklärung bereits bei mehr als sechs Wochen<br />

bestehenden Gelenkschwellungen in mehr als zwei<br />

Gelenken gefordert.<br />

Vertragsärzte Ermächtigte Erwachsene<br />

ab 18 Jahren<br />

(in 1.000)<br />

Intern. Rheumatologen<br />

je 100.000<br />

erwachsene Einwohner<br />

Baden-Württemberg 51 13 8.652,4 0,74<br />

Bayern 64 18 10.095,1 0,81<br />

Berlin 29 5 2.867,9 1,19<br />

Brandenburg 12 12 2.174,5 1,10<br />

Bremen 4 4 555,3 1,44<br />

Hamburg 15 1 1.459,6 1,10<br />

Hessen 27 8 4.996,4 0,70<br />

Mecklenburg-Vorpommern 8 3 1.454,4 0,76<br />

Niedersachsen 43 16 6.457,9 0,91<br />

Nordrhein-Westfalen 87 43 14.663,8 0,89<br />

Rheinland-Pfalz 22 6 3.298,5 0,85<br />

Saarland 3 2 876,1 0,57<br />

Sachsen 22 6 3.680,7 0,76<br />

Sachsen-Anhalt 14 5 2.132,0 0,89<br />

Schleswig-Holstein 14 6 2.296,3 0,87<br />

Thüringen 14 5 2.011,1 0,94<br />

Bundesgebiet 429 153 67.672,0 0,86<br />

Weitere richtungsweisende Symptome sind ein symmetrischer<br />

Befall und eine Morgensteifigkeit von mindestens<br />

einer Stunde. Entsprechend der überwältigenden<br />

Evidenz für den Nutzen einer intensiven Frühbehandlung<br />

und des gesicherten Wissens über ein<br />

„therapeutisches Fenster“ innerhalb des ersten Jahres<br />

(23), empfiehlt die interdisziplinäre, evidenzbasierte<br />

Leitlinie „Management der frühen Rheumatoiden<br />

Arthritis“ (24) bei gesicherter Diagnose den Beginn<br />

einer Behandlung mit DMARDs (Basistherapeutika<br />

wie Methotrexat) und Glukokortikoiden (so niedrig<br />

dosiert wie möglich) innerhalb von 12 Wochen nach<br />

Beschwerdenbeginn (24).<br />

Dies geschieht bei nicht rheumatologisch mitbetreuten<br />

Patienten eher selten: Von den 2004 neu zugewiesenen<br />

und in der Kerndokumentation erfassten RA-<br />

Patienten mit einer Krankheitsdauer von bis zu einem<br />

Jahr waren nur 25 Prozent innerhalb des letzten Jahres<br />

bereits mit DMARDs und 16 Prozent mit niedrig<br />

dosierten Glukokortikoiden (bis zu 7,5 mg/d) behandelt<br />

worden – gegenüber 55 Prozent (DMARDs) und<br />

44 Prozent (Glukokortikoide) der Patienten mit gleicher<br />

Krankheitsdauer, die sich zum wiederholten Mal<br />

beim Rheumatologen vorstellten. Zum Dokumenta-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 9<br />

tionszeitpunkt erhielten 78 Prozent dieser kurz kranken<br />

Patienten bei Rheumatologen DMARDs und<br />

52 Prozent niedrig dosierte Glukokortikoide.<br />

Dass die unterschiedliche Versorgung bei Hausärzten<br />

und internistischen Rheumatologen Konsequenzen<br />

für die Betroffenen hat, zeigte eine Nachuntersuchung<br />

von Patienten mit RA, die initial in der Kerndokumentation<br />

erfasst worden waren. Von denjenigen,<br />

die über drei Jahre ausschließlich vom Hausarzt<br />

betreut worden waren, standen noch 59 Prozent unter<br />

einer Basistherapie gegenüber 83 Prozent der weiter<br />

rheumatologisch Behandelten.<br />

Hausarztpatienten hatten jedoch nicht etwa die leichteren<br />

Verläufe: Einen signifikanten Funktionsverlust<br />

gegenüber dem Ausgangswert mussten 37 Prozent<br />

von ihnen hinnehmen gegenüber 23 Prozent der<br />

rheumatologisch betreuten Patienten. Der Anteil von<br />

Patienten mit schweren Schmerzen ging nur bei den<br />

Rheumatologen-Patienten zurück (von 33 Prozent auf<br />

19 Prozent gegenüber 34 Prozent auf 31 Prozent).<br />

Von den Hausarztpatienten waren 57 Prozent im vergangenen<br />

Jahr arbeitsunfähig gegenüber 28 Prozent<br />

der rheumatologisch mitbetreuten Patienten (25).<br />

Gründe für die Verzögerungen beim Beginn einer<br />

ausreichenden Versorgung und für diskontinuierliche<br />

Versorgungsverläufe sind zum Einen die nach wie vor<br />

lückenhafte Kenntnis früher Überweisungskritierien,<br />

zum Anderen lange Wartezeiten bei Rheumatologen<br />

und große Entfernungen bis zum nächsten rheumatologischen<br />

Behandlungsangebot. Teilweise spielt auch<br />

Bagatellisierung der Beschwerden seitens der Patienten<br />

eine Rolle.<br />

Nach den Ergebnissen eines aktuellen Bevölkerungssurveys<br />

des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums<br />

kann man davon ausgehen, dass heute die<br />

große Mehrheit der RA-Kranken (>80 Prozent) früher<br />

oder später einen Rheumatologen erreicht – viele<br />

davon allerdings zu spät. Defizite fanden sich insbesondere<br />

bei der Versorgung Rheumafaktor-negativer<br />

RA-Kranker. Darüber hinaus bestätigten sich die auch<br />

aus der Kerndokumentation bekannten Defizite bei<br />

der ambulanten Versorgung mit ergänzenden Maßnahmen<br />

wie Funktionstraining, Patientenschulung<br />

oder Schmerzbewältigung (26).<br />

6. Schlussfolgerungen<br />

In der Versorgung von Kranken mit entzündlich-rheumatischen<br />

Krankheiten hat sich in den vergangenen<br />

20 Jahren einiges bewegt: Die regionalen kooperativen<br />

Rheumazentren haben regionale Kooperationsund<br />

Vernetzungsstrukturen geschaffen und damit die<br />

wohnortnahe, ambulante Versorgung verbessert. Ein<br />

erklärtes Ziel der Fortbildungs- und Aufklärungsarbeit<br />

der Rheumazentren ist es, Hausärzte zu früherer Zuweisung<br />

zur rheumatologischen Mitbetreuung zu motivieren.<br />

Wenn wir heute eine frühere Zuweisung zu rheumatologischer<br />

Diagnostik und Therapie konstatieren können,<br />

so ist dies in erster Linie ein Erfolg der Arbeit der<br />

Rheumazentren und der an ihnen beteiligten Einrichtungen.<br />

Auch die Zahl der vertragsärztlich oder als Ermächtigte<br />

tätigen internistischen Rheumatologen hat sich in<br />

den letzten 20 Jahren verdoppelt. Heute kommen auf<br />

einen internistischen Rheumatologen 116.000 erwachsene<br />

Einwohner. Gemessen an der Bedarfsberechnung<br />

von zwei Rheumatologen je 100.000 Erwachsene<br />

und angesichts der nur begrenzten Teilnahme<br />

ermächtigter Rheumatologen an der ambulanten<br />

Versorgung sind wir von einem befriedigenden<br />

Zustand allerdings noch weit entfernt.<br />

Einer bedarfsentsprechenden Zahl ambulant tätiger<br />

Rheumatologen stehen verschiedene Hinderungsgründe<br />

entgegen:<br />

● So gibt es weiterhin keine gebietsspezifische Bedarfszulassung,<br />

d.h. eine Zulassung für einen internistischen<br />

Rheumatologen kann nur erfolgen, wenn im<br />

jeweiligen Planungsbereich freie Sitze für fachärztliche<br />

Internisten zu vergeben sind. Im Einzelfall kann<br />

ein Sonderbedarf von den Zulassungsausschüssen<br />

anerkannt werden. Dies erfordert den Nachweis, dass<br />

die Besetzung zur Wahrung der besonderen Qualität<br />

der vertragsärztlichen Versorgung in einem Versorgungsbereich<br />

unerlässlich ist. Die Beurteilung wird<br />

durch die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung (KV)<br />

und den jeweiligen Zulassungsausschuss (ohne einheitliche,<br />

definierte Planzahlen) vorgenommen.<br />

● Von 36 medizinischen Fakultäten in Deutschland<br />

haben nur 21 eine selbständige Einheit für Rheumatologie<br />

auf Lehrstuhl- oder sonstiger Hochschullehrerebene.<br />

Dies bedeutet, dass in einem Drittel der<br />

medizinischen Fakultäten Rheumatologie fachfremd<br />

gelehrt wird oder zumindest nicht auf Dauer in der<br />

Fakultät verankert ist. Hieraus entstehen Defizite in<br />

der ärztlichen Ausbildung, die einen Teil der Unsicherheit<br />

nicht spezialisierter Ärzte in der Erkennung und<br />

Behandlung entzündlich-rheumatischer Krankheiten<br />

erklären können.<br />

● Durch den Abbau stationärer rheumatologischer<br />

Kapazitäten werden auch die Weiterbildungsmöglichkeiten<br />

zum Rheumatologen verringert. Der Erhalt einer<br />

ausreichenden Zahl von Ausbildungsstätten ist<br />

dringend erforderlich.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 10<br />

Aus diesen Ausbildungs- und Strukturproblemen folgen<br />

die beschriebenen Defizite auf der Prozessebene:<br />

In vielen Fällen wird die Diagnose zu spät gestellt,<br />

die Patienten erhalten zu spät und nicht kontinuierlich<br />

die notwendigen medikamentösen und ergänzenden<br />

Maßnahmen. Budgetäre Restriktionen mögen eine<br />

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weitere Rolle spielen. Nur eine Minderheit der Kranken<br />

erhält eine leitliniengerechte Versorgung. Daraus<br />

folgen vermeidbare gesundheitliche und soziale<br />

Nachteile für die betroffenen Patienten sowie erhöhte<br />

Kosten für die Gesundheits- und Sozialsysteme.<br />

© gpk<br />

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auf. Hamburg, 35. Kongress der Deutschen<br />

Gesellschaft für Rheumatologie (Abstract) 2007


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 11<br />

Defizite bei der Rehabilitation<br />

Entzündlich-rheumatische Erkrankungen in Deutschland aus sozialmedizinischwissenschaftlicher<br />

Sicht<br />

Von Wilfried Mau<br />

Einführung<br />

Zu den vielfältigen Auswirkungen entzündlich-rheumatischer<br />

Krankheiten zählen neben den körperlichen<br />

Veränderungen häufig unterschätzte sozialmedizinische<br />

Folgen. Um sie zu vermeiden bzw. zu mindern,<br />

sind bei vielen Patienten neben einer frühzeitigen<br />

und wirksamen medikamentösen Behandlung im<br />

Rahmen einer fachrheumatologischen Betreuung, die<br />

an anderen Stellen dieser Sonderausgabe dargestellt<br />

wird, physikalisch-therapeutische und psychosoziale<br />

Interventionen sowie ambulante bzw. stationäre Rehabilitationsmaßnahmen<br />

notwendig.<br />

Aktuelle Daten zu sozialmedizinischen Auswirkungen,<br />

physikalisch-therapeutischen und psychosozialen<br />

Interventionen sowie zur Rehabilitation werden in<br />

diesem Beitrag zusammengefasst.<br />

Sozialmedizinische Folgen<br />

Die sozialmedizinischen Krankheitsfolgen sind nicht<br />

nur für die betroffenen Rheumakranken und ihr unmittelbares<br />

Umfeld von hoher Relevanz, sondern auch<br />

für die Gesellschaft und Volkswirtschaft. Zu ihnen<br />

zählen vor allem Einschränkungen der Erwerbstätigkeit<br />

mit Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsminderung mit<br />

den daraus resultierenden indirekten Kosten sowie<br />

Hilfs- und Pflegebedürftigkeit. Sie sind von nationalen<br />

gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst, z.B. von Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

für Menschen mit Behinderungen,<br />

Verfügbarkeit von Ganztags- und Teilzeitarbeitsplätzen<br />

und Sozialgesetzgebung.<br />

Deshalb können Daten zu sozialmedizinischen Folgen<br />

rheumatischer Krankheiten nicht ohne weiteres<br />

von einem anderen Land auf Deutschland übertragen<br />

werden. Für Deutschland sind vor allem Daten aus<br />

klinischen Studien, aus der Kerndokumentation der<br />

Regionalen Kooperativen Rheumazentren und aus<br />

Statistiken der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung<br />

verfügbar.<br />

Einschränkungen der Erwerbstätigkeit<br />

Arbeitsunfähigkeit<br />

Die Arbeitsunfähigkeit liefert frühe Hinweise auf sozialmedizinische<br />

Folgen im Bereich der Erwerbstätigkeit.<br />

Nach der Krankheitsartenstatistik der AOK (AOK<br />

Bundesverband 2006) ist die Rheumatoide Arthritis<br />

bei Frauen die häufigste Arbeitsunfähigkeitsdiagnose<br />

unter den chronisch entzündlich-rheumatischen<br />

Krankheiten mit besonders langer mittlerer Dauer je<br />

Ereignis von 30 Tagen.<br />

Bei der Untersuchung von Frühfällen, die Mitte der<br />

90er Jahre in rheumatologischen Zentren durchgeführt<br />

wurde, wird deutlich, dass die Arbeitsunfähigkeit<br />

nicht erst mit längerer Krankheitsdauer ein relevantes<br />

Ausmaß erreicht, sondern bereits im ersten Jahr bei<br />

drei Viertel der Patienten besonders ausgeprägt ist<br />

und danach abnimmt (Mau et al., 1997).<br />

Diese Abnahme der Arbeitsunfähigkeit im Verlauf ist<br />

nur teilweise durch eine Selektion von weniger beeinträchtigten<br />

Patienten zu erklären, die im Erwerbsleben<br />

verbleiben, mit entsprechender Verlagerung<br />

der Produktivitätsausfälle in die Kategorie langfristig<br />

zunehmender Erwerbsminderungsrenten (Huscher<br />

et al., 2006; Mau et al., 1997; Merkesdal et al., 2001).<br />

Da die Summe der Produktivitätsausfälle aus allen<br />

Kategorien in den ersten Jahren der untersuchten<br />

chronischen Krankheiten abnimmt, dürfte dafür die<br />

Wirksamkeit der rheumatologischen Behandlung von<br />

Bedeutung sein. Bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis<br />

und einer längeren Krankheitsdauer (70 Prozent<br />

mindestens fünf Jahre) hatte ein Drittel der noch<br />

Erwerbstätigen in den letzten 12 Monaten Arbeitsunfähigkeitsereignisse<br />

mit einer durchschnittlichen Gesamtdauer<br />

von 54 Tagen (Huscher et al., 2006).<br />

Erwerbstätigkeit und Erwerbsminderung<br />

Nach der bundesweiten Statistik der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung ist unter den neuen Erwerbsminderungsrenten<br />

im Jahr 2005 die Rheumatoide Arthri-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 12<br />

tis am häufigsten mit einem mittleren Berentungsalter<br />

von 51 Jahren bei den häufiger betroffenen Frauen,<br />

bzw. 52 Jahren bei den Männern (Deutsche Rentenversicherung<br />

Bund 2006). Die Spondylitis ankylosans<br />

ist bei den Männern die zweithäufigste Frühberentungsdiagnose<br />

unter den entzündlich-rheumatischen<br />

Krankheiten mit Rentenbeginn im mittleren Alter von<br />

49 Jahren. Dagegen ist bei den Frauen die zweithäufigste<br />

Berentungsursache in dieser Krankheitsgruppe<br />

der systemische Lupus erythematodes schon im<br />

Durchschnittsalter von 43 Jahren.<br />

Untersuchungen zum Beginn der Erwerbsminderung<br />

im Krankheitsverlauf von ambulanten und stationären<br />

Patienten aus Kliniken zeigten eine bereits in den<br />

ersten drei Krankheitsjahren besonders rasch zunehmende<br />

Erwerbsunfähigkeit von 20 Prozent (Bräuer et<br />

al., 2002; Mau et al., 1996 a).<br />

Etwas günstigere Daten ergeben sich bei Berücksichtigung<br />

von ausschließlich ambulant betreuten Patienten,<br />

die neben den Kranken aus Klinikambulanzen<br />

Patienten der niedergelassenen Rheumatologen einbeziehen.<br />

Danach sind 12 Prozent der Patienten mit<br />

einer weniger als 5 Jahre dauernden Rheumatoiden<br />

Arthritis erwerbsgemindert, nach 5 bis 10 Jahren 22<br />

Prozent und nach mehr als 10 Jahren 40 Prozent<br />

(Huscher et al., 2006).<br />

Auffällig gering sind die Anteile der Teilrenten und der<br />

Teilzeittätigkeit bei Rheumakranken, die nicht über<br />

dem Bundesdurchschnitt liegen (Huscher et al., 2006;<br />

Mau et al., 2005). Das Ziel, auch Kranke mit gewandeltem<br />

Leistungsvermögen durch die teilweise Erwerbsminderungsrente<br />

im Erwerbsleben zu halten,<br />

ist in Deutschland bisher schwer zu erreichen. Vor<br />

dem Hintergrund des weitgehend verschlossenen<br />

(Teilzeit-)Arbeitsmarktes führt die Bewilligung einer<br />

teilweisen Erwerbsminderung in zahlreichen Fällen<br />

konkret in die Arbeitslosigkeit mit erheblichen finanziellen<br />

Folgen (Arbeitslosengeld II).<br />

Die ursprünglich positive Absicht, mit der Teilrente die<br />

Erwerbstätigkeit zu sichern, wird somit in der Praxis<br />

nicht selten in das Gegenteil verwandelt. Deshalb wird<br />

zum Teil ein regional verschlossener Teilzeitarbeitsmarkt<br />

berücksichtigt und eine volle Erwerbsminderung<br />

bewilligt.<br />

Durch den Vergleich der Kerndokumentationsdaten<br />

der Rheumazentren mit Bevölkerungsdaten werden<br />

die Einflüsse der Erkrankung (Diagnose und Dauer),<br />

des regionalen Arbeitsmarktes, der Schulbildung und<br />

des Geschlechts auf die Beschäftigung von Rheuma-<br />

kranken quantifizierbar. Gegenüber der ohnehin niedrigen<br />

Beschäftigungsquote vergleichbarer Frauen mit<br />

geringer Schulbildung in den neuen Bundesländern<br />

haben dort lebende Frauen durch eine Rheumatoide<br />

Arthritis, einen systemischen Lupus erythematodes<br />

oder eine systemische Sclerose eine um 45 bis 61<br />

Prozent reduzierte Chance der Erwerbstätigkeit (Mau<br />

et al., 2005).<br />

Während diese demografischen Faktoren kaum beeinflussbar<br />

sind, ist die große Bedeutung der grundsätzlich<br />

therapeutisch modifizierbaren oder kompensierbaren<br />

Behinderung im Alltag hervorzuheben: Bei<br />

weniger als 50 Prozent Funktionskapazität nach dem<br />

Funktionsfragebogen Hannover beziehen rund die<br />

Hälfte der Patienten mit rheumatoider Arthritis, ankylosierender<br />

Arthritis oder systemischem Lupus erythematodes<br />

und zwei Drittel der Patienten mit Psoriasisarthritis<br />

eine Erwerbsminderungsrente im Gegensatz<br />

zu nur 7 bis 17 Prozent bei besserer Funktion<br />

(mehr als 70 Prozent Funktionskapazität) (Huscher et<br />

al., 2006).<br />

Indirekte Krankheitskosten<br />

Bereits innerhalb der ersten drei Jahre entstehen bei<br />

erwerbstätigen Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis<br />

hohe indirekte Kosten durch Produktivitätsausfall<br />

(Merkesdal et al., 2001). Dabei ist zunächst der<br />

größte Kostenfaktor die frühe Arbeitsunfähigkeit mit<br />

durchschnittlich 8.400 Euro pro Jahr innerhalb der<br />

ersten zwei Krankheitsjahre. Die Arbeitsunfähigkeitskosten<br />

vermindern sich im Folgejahr, während Kosten<br />

durch Aufgabe der Erwerbstätigkeit in geringerem<br />

Ausmaß ansteigen.<br />

Nach durchschnittlich acht Jahren Krankheitsdauer<br />

wurden bei noch im Erwerbsleben verbliebenen Patienten<br />

mit einer rheumatoiden Arthritis jährliche<br />

Kosten der Arbeitsunfähigkeit von durchschnittlich<br />

2.800 Euro ermittelt (Ruof et al., 2003). Bei den erwerbsunfähig<br />

Berenteten betrugen die indirekten<br />

Kosten im Mittel rund 8.400 Euro.<br />

Entsprechend den Daten der Kerndokumentation<br />

steigen die indirekten Kosten bei der rheumatoiden<br />

Arthritis mit der der Krankheitsdauer auf bis zu 15.700<br />

Euro nach mehr als 10-jähriger Krankheitsdauer (Huscher<br />

et al., 2006). Die Kosten bei ankylosierender<br />

Arthritis, Psoriasisarthritis oder systemischem Lupus<br />

erythematodes liegen in einer ähnlichen Größenordnung.


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Hilfs- und Pflegebedürftigkeit<br />

Vielfach sind Patienten mit entzündlich-rheumatischen<br />

Erkrankungen durch die Einschränkung der<br />

Alltagsfunktion auf die Hilfe anderer Personen bis hin<br />

zur Pflege angewiesen. Im Wesentlichen kommt diese<br />

Unterstützung aus der Familie. In den ersten fünf<br />

Jahren benötigt ein Viertel der Kranken mit rheumatoider<br />

Arthritis Hilfe im Haushalt oder bei der Selbstversorgung<br />

(Westhoff et al., 2000).<br />

Bei mehr als 20-jähriger Krankheitsdauer ist bei mehr<br />

als der Hälfte der Betroffenen mit Hilfebedarf zu rechnen,<br />

einschließlich des Grundpflegebedarfs für Körperpflege,<br />

An- und Ausziehen, Mobilität oder Ernährung,<br />

bei mindestens 15 Prozent.<br />

Physikalisch-therapeutische und psychosoziale<br />

Interventionen<br />

Trotz erheblicher Fortschritte der rheumatologischen<br />

Versorgung und medikamentösen Therapie treten bei<br />

zahlreichen Patienten relevante Einschränkungen der<br />

Alltagsaktivitäten (Zink, 2007) und die beschriebenen<br />

sozialmedizinischen Folgen auf. Sie erfordern vor allem<br />

funktionsorientierte physikalisch-therapeutische<br />

Behandlungen und psychosoziale Interventionen sowie<br />

umfassende Rehabilitationsmaßnahmen, bei denen<br />

in Deutschland verschiedene Defizite festzustellen<br />

sind.<br />

Mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />

(G-BA) seit dem Jahr 2002 und der Budgetierung<br />

der Heilmittelausgaben von Internisten einschließlich<br />

der Rheumatologen auf weniger als 4 Euro<br />

pro Patient und Quartal seit 2006, wurde die ambulante<br />

Heilmittelverordnung auch für Rheumapatienten<br />

erheblich eingeschränkt.<br />

Von 1994 bis 2003 gingen mit Ausnahme der Krankengymnastik<br />

alle Heilmittelverordnungen in den<br />

Rheumazentren deutlich zurück. Sogar in diesen spezialisierten<br />

Zentren erhielten unter den Patienten mit<br />

einer rheumatoiden Arthritis in den letzten 12 Monaten<br />

nur 5 Prozent ambulant ergotherapeutische Maßnahmen<br />

(Zink et al., 2004). Selbst bei erheblichen<br />

Behinderungen im Alltag (Funktionskapazität 50 Prozent<br />

oder weniger im Funktionsfragebogen Hannover)<br />

bekamen im Jahr 2004 nur 55 Prozent Einzelkrankengymnastik,<br />

9 Prozent Ergotherapie, 5 Prozent<br />

Psychotherapie und 2 Prozent eine Patientenschulung<br />

(A. Zink, pers. Mitteilung).<br />

Auch bei den für Rheumakranke wichtigen funktionsorientierten<br />

Gruppenangeboten, dem Funktionstrai-<br />

ning und Rehabilitationssport, wurde trotz der gesetzlichen<br />

Verankerung als Pflichtleistungen der gesetzlichen<br />

Krankenkassen die Leistungsdauer deutlich begrenzt.<br />

Auch in den Akutkrankenhäusern, zu denen in<br />

Deutschland zahlreiche hoch qualifizierte Rheumakliniken<br />

und -abteilungen zählen, wurden die Möglichkeiten<br />

einer intensiven physikalisch-therapeutischen<br />

Behandlung und psychosozialen Unterstützung drastisch<br />

eingeschränkt: u.a. Aufnahme und Aufenthalt<br />

nur für die Dauer der stationär notwendigen Diagnostik<br />

und Therapie, Verweildauerverkürzungen als Folge<br />

der Fallpauschalenabrechnung, Einschränkungen<br />

der Art und des Umfangs der Komplextherapie.<br />

Rehabilitation<br />

Aufgaben<br />

Auch in Anbetracht der Defizite in anderen Versorgungssektoren<br />

hat die Rehabilitation für Patienten mit<br />

entzündlich-rheumatischen Erkrankungen eine besondere<br />

Bedeutung. Sie bietet eine kompetente, interdisziplinäre<br />

und umfassende Versorgung, die in<br />

Deutschland in der Regel ganztägig als medizinische<br />

bzw. berufliche Rehabilitation erfolgt (Jäckel et al.,<br />

1996). Ihre beiden zentralen gesetzlichen Aufträge<br />

sind auf die oben dargestellten sozialmedizinischen<br />

Krankheitsfolgen ausgerichtet:<br />

● die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen oder zu<br />

erhalten („Rehabilitation vor Rente“ – Leistungsträger<br />

vor allem gesetzliche Rentenversicherung<br />

nach Sozialgesetzbuch VI) und<br />

● Behinderung und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden<br />

oder deren Ausmaß zu vermindern („Rehabilitation<br />

vor Pflege“ – Leistungsträger vor allem Gesetzliche<br />

Krankenversicherung nach Sozialgesetzbuch<br />

V).<br />

Die vielfältigen Aufgaben der Rehabilitation erfordern<br />

ein interdisziplinäres Team aus verschiedenen Berufsgruppen.<br />

Im Gegensatz zur begrenzt verfügbaren<br />

ambulanten Versorgung durch diese Therapeuten, die<br />

oft fern von den Verordnern einzeln arbeiten, ist das<br />

interdisziplinäre Rehabilitationsteam, das hinsichtlich<br />

der Rehabilitation von Patienten mit rheumatischen<br />

Erkrankungen speziell geschult und erfahren ist,<br />

durch regelmäßige Abstimmung der Teammitglieder<br />

gekennzeichnet.<br />

Spezifische Kompetenzen der medizinischen Rehabilitation<br />

sind die sozialmedizinische Begutachtung und<br />

die Weichenstellung für eine systematische Rehabili-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 14<br />

tationsnachsorge und für Leistungen zur Teilhabe am<br />

Arbeitsleben (früher als berufliche Rehabilitation bezeichnet).<br />

Die Rehabilitation gilt als fester Bestandteil<br />

des Therapiekonzepts. Sie wurde z.B. für die Spondyloarthritiden<br />

in die internationalen evidenzbasierten<br />

ASAS-/EULAR-Empfehlungen zu Behandlungsstrategien<br />

integriert (Zochling et al., 2006).<br />

Versorgungsdefizite<br />

Für Patienten mit entzündlich-rheumatischen Krankheiten<br />

liegen deutliche Hinweise auf eine Unterinanspruchnahme<br />

rehabilitativer Leistungen vor. Nur<br />

12 Prozent der Patienten mit entzündlich-rheumatischen<br />

Krankheiten in den regionalen Rheumazentren<br />

hatten in den letzten 12 Monaten eine Rehabilitationsmaßnahme<br />

wahrgenommen (Jäckel et al., 2005). Die<br />

Zahl der Rehabilitationsmaßnahmen bei entzündlichen<br />

rheumatischen Krankheiten von unter 10.000<br />

pro Jahr beträgt weniger als 1 Prozent der 1 bis 1,4<br />

Millionen in der Bevölkerung betroffenen Personen<br />

(Zink, 2007).<br />

Trotz zum Teil erheblicher funktioneller Einschränkungen<br />

erreichen viele Patienten das Rehabilitationssystem<br />

(zu) spät oder gar nicht:<br />

● Erst nach durchschnittlich zwei Jahren Krankheitsdauer<br />

findet bei RA-Kranken die erste Rehabilitationsmaßnahme<br />

statt (Bräuer and Mau, 2000).<br />

● Zwischen 30 und 55 Prozent der RA-Patienten<br />

in der Kerndokumentation haben noch nie eine<br />

Rehabilitationsmaßnahme erhalten (Zink et al.,<br />

2001).<br />

● 37 Prozent der schließlich erwerbsunfähig berenteten<br />

RA-Patienten einer Langzeit-Kohortenstudie<br />

von rheumatologisch versorgten Frühfällen hatten<br />

nicht an Rehabilitationsmaßnahmen teilgenommen<br />

(Mau et al., 1996 b).<br />

● 47 Prozent der Frauen und 51 Prozent der Männer,<br />

die wegen entzündlicher Polyarthropathien im Jahr<br />

2005 in Deutschland erstmals Erwerbsminderungsrenten<br />

erhielten, hatten keine Rehabilitationsmaßnahmen<br />

in den vorausgegangenen fünf<br />

Jahren<br />

2006).<br />

(Deutsche Rentenversicherung Bund<br />

Nicht zuletzt im Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung z.B. für (bisher nicht ausreichend<br />

lange erwerbstätige) Hausfrauen und ältere<br />

Rheumakranke mit drohenden oder manifesten Behinderungen<br />

und entsprechend zu erwartender Pflegebedürftigkeit,<br />

finden sich Hinweise auf eine gravierende<br />

rehabilitative Unterversorgung.<br />

Gegenüber 4.117 Reha-Leistungen der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung (Deutsche Rentenversicherung<br />

Bund 2006) wurden von der AOK als größter gesetzlicher<br />

Krankenkasse im Jahr 2005 bundesweit nur 770<br />

stationäre Rehabilitationsmaßnahmen nach § 40<br />

Abs. 2 SGB V wegen rheumatoider Arthritis durchgeführt<br />

(AOK Bundesverband 2006), obwohl bei einem<br />

mittleren Alter der RA-Kranken von 58 Jahren nach<br />

der Kerndokumentation der Rheumazentren und dem<br />

weit überwiegenden Frauenanteil die Krankenversicherung<br />

für die Mehrheit der zuständige Rehabilitationsträger<br />

sein dürfte.<br />

Mit den aktuellen Einschränkungen durch das aufwändige<br />

Verordnungs- und Genehmigungsverfahren<br />

nach den Rehabilitationsrichtlinien des Gemeinsamen<br />

Bundesausschusses ist mit einem weiteren<br />

Rückgang von Rehabilitationsmaßnahmen durch die<br />

Krankenkassen zu rechnen. Bei der vollständigen<br />

Umsetzung der Rehabilitationsrichtlinien am 1. April<br />

2007 waren mit erheblichen regionalen Unterschieden<br />

nur 19,5 Prozent der Vertragsärzte in Deutschland<br />

(1,4 Prozent in Hamburg bis 27,4 Prozent in<br />

Bayern) berechtigt, Leistungen zur medizinischen<br />

Rehabilitation über die Krankenkassen zu verordnen. 1<br />

Damit stellt sich die Frage, wie die vom Gesetzgeber<br />

im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG)<br />

zum 1. April 2007 vorgenommene Umwandlung der<br />

Rehabilitationsleistungen von Kann- in Pflichtleistungen<br />

der gesetzlichen Krankenversicherung die versprochene<br />

Wirkung entfalten soll.<br />

Auch seitens der Patienten sind Hinderungsgründe<br />

für die Beantragung von Rehabilitationsleistungen<br />

festzustellen, u.a. betriebliche Bedingungen und finanzielle<br />

Belastungen wie z.B. eine Eigenbeteiligung<br />

bei der Rehabilitation (Mau et al., 2004). Die stationäre<br />

Rehabilitation wird von Ärzten und Patienten mit<br />

rheumatischen Erkrankungen häufiger als das ambulante<br />

Angebot gewünscht (Kusak et al., 2006; Mau<br />

et al., 2004; Riehemann und Muthny, 1995).<br />

Wenn eine Anschlussheilbehandlung/Anschlussrehabilitation<br />

nach akutstationärem Aufenthalt erfolgen<br />

soll, wird vielfach nicht die von den Akutkliniken vorgeschlagene<br />

qualifizierte Rehabilitationsfachklinik<br />

durch die Rehabilitationsträger genehmigt, sondern<br />

eine nach anderen Gesichtspunkten ausgewählte<br />

Einrichtung.<br />

Rehabilitationskliniken stehen dabei unter erheblichem<br />

Druck zwischen geringer Finanzierung seitens<br />

1 http://dip.bundestag.de/btd/16/053/1605321.pdf


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 15<br />

der Reha-Träger und Sicherung der Struktur-, Prozess-<br />

und Ergebnisqualität. Dazu gehört auch das<br />

Problem der von Leistungsträgern oft abgelehnten<br />

gesonderten Erstattung für kostenintensive laufende<br />

Behandlungen, vor allem mit Biologika während der<br />

Rehabilitationsmaßnahme.<br />

Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass eine<br />

vielfach für Rheumakranke sinnvolle Intensivierung<br />

und Individualsierung (einschließlich Einzeltherapien)<br />

der Rehabilitation nicht immer im gewünschten Ausmaß<br />

erfolgt. Auch die für den Erfolg der Rehabilitation<br />

notwendige Einbettung in die gesamte Versorgungskette<br />

ist zum Teil noch lückenhaft.<br />

Die rückläufigen Patientenzahlen und die zunehmenden<br />

ökonomischen Einschränkungen haben wahrscheinlich<br />

zum Kapazitätsabbau bzw. zu Schließungen<br />

von mehreren kompetenten Rehabilitationskliniken<br />

für Rheumakranke in den letzten Jahren beigetragen.<br />

Im Zusammenhang mit den Defiziten einer umfassenden<br />

Betreuung in anderen Sektoren unseres<br />

Gesundheitssystems sind entsprechende Konsequenzen<br />

für die Versorgung und steigende Folgekosten<br />

zu befürchten.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Diese Zusammenstellung verdeutlicht das Ausmaß<br />

sozialmedizinischer Folgen entzündlich-rheumatischer<br />

Krankheiten in Deutschland. Insbesondere für<br />

Einschränkungen der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit<br />

liegen zahlreiche belastbare Daten vor. Die zum Teil<br />

bereits früh eintretenden gravierenden sozialmedizinischen<br />

Folgen nehmen mit der Krankheitsdauer und<br />

bei verschiedenen Risikofaktoren zu.<br />

Die Ergebnisse bieten nicht nur differenzierte Informationen<br />

über diese nicht immer ausreichend gewürdigten<br />

Aspekte der Krankheitslast. Sie liefern auch<br />

vielfältige Anhaltspunkte sowohl für die Beratung und<br />

Literatur<br />

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2005. Arbeitunfähigkeits-, Krankenhaus- und Rehabilitationsfälle<br />

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Deutschen Rentenversicherung. Rentenzugang 2005. Berlin<br />

Versorgung einzelner Patienten als auch für gesellschafts-<br />

und gesundheits<strong>politische</strong> Entscheidungsprozesse.<br />

Die Verordnung von physikalisch-therapeutischen<br />

Behandlungen einschließlich Funktionstraining und<br />

Rehabilitationsport sowie psychosozialen Interventionen<br />

durch Rheumatologen muss entsprechend dem<br />

individuellen Bedarf erfolgen.<br />

Der Zugang zu Leistungen zur Rehabilitation ist dringend<br />

zu verbessern. Dazu sind u.a. zu fordern:<br />

● intensivierte Aufklärung der betroffenen Patienten,<br />

der betreuenden Ärzte und der Betriebe über die<br />

Möglichkeiten der Rehabilitation und Unterstützung<br />

bei der Antragstellung,<br />

● Aufhebung inadäquater finanzieller Belastungen,<br />

● Umsetzung des Anspruchs auf Rehabilitation als<br />

Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

in die Praxis mit Abbau bürokratischer Hürden,<br />

● rechtzeitige Ausschöpfung rehabilitativer Leistungen<br />

vor der Meinungsbildung und Entscheidung<br />

bzgl. Erwerbsminderung durch alle Beteiligten,<br />

● Umsetzung des Wunsch- und Wahlrechts in die<br />

Praxis auf Basis der Qualitätssicherung von Rehabilitationseinrichtungen<br />

einschließlich Einbindung<br />

in Kooperationsnetzen.<br />

Für die Optimierung der Rehabilitationsprozesse in<br />

der gesamten Versorgung bedarf es der<br />

● inhaltlichen und zeitlichen Gestaltung und Finanzierung<br />

von qualitätsgesicherten Leistungen zur<br />

Rehabilitation nach individuellem Bedarf,<br />

● besseren Integration von Rehabilitationsleistungen<br />

in die Versorgungskette mit adäquater Vorbereitung<br />

und Nachsorge.<br />

© gpk<br />

Huscher D, Merkesdal S, Thiele K, Zeidler H, Schneider M,<br />

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Deutschland im internationalen Vergleich<br />

Effektive Behandlung der Rheumatoiden Arthritis<br />

Von Gisela Kobelt<br />

Einleitung<br />

Die Behandlung von Patienten mit Rheumatoider Arthritis<br />

(RA) hat sich im letzten Jahrzehnt stark verändert.<br />

Bessere Kenntnis der Krankheit und damit verbundene<br />

bessere Diagnose haben dazu geführt, dass<br />

Patienten im Allgemeinen schon im frühen Stadium<br />

mit krankheitshemmenden Medikamenten (Disease<br />

Modifying Antitheumatic Drugs, DMARDs) behandelt<br />

werden.<br />

Damit will man die mit RA verbundene fortschreitende<br />

und bleibende körperliche Behinderung einschränken<br />

oder verlangsamen. Solche medizinisch gerechtfertigten<br />

Entscheidungen bleiben allerdings nicht ohne<br />

ökonomische Folgen. Im Falle von RA bedeutet dies,<br />

vereinfacht ausgedrückt, dass wir heute so früh als<br />

möglich in die besten Behandlungen investieren<br />

Riehemann W, Muthny FA (1995), Was Ärzte von der Rehabilitation<br />

halten – eine empirische Untersuchung mit Rheumatologen.<br />

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Rheum Dis 65:442-452<br />

müssen, um langfristig die durch Behinderung anfallenden<br />

Kosten zu vermeiden oder zu verringern.<br />

Kosten sind aber nur ein Teil des Bildes. Ein wesentlich<br />

wichtigerer Aspekt ist, dass durch angemessene<br />

Behandlung die Lebensqualität der Betroffenen über<br />

viele Jahre hinweg verbessert wird. Ein nationales<br />

Gesundheitssystem hat die Aufgabe, die Gesundheit<br />

der Bevölkerung zu schützen (Präventivmaßnahmen)<br />

und im Krankheitsfall wieder herzustellen (Behandlung).<br />

Die Rheumatoide Arthritis fällt in beide Gebiete:<br />

Durch Behandlung der Entzündung werden aktuelle<br />

Schmerzen geheilt oder gemindert, aber potentiell<br />

auch spätere mehr oder weniger schwere Behinderungen<br />

vermieden. Die Lebensqualität der Patienten<br />

wird somit sowohl kurzfristig durch Behandlung als<br />

auch langfristig durch Prävention verbessert.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 17<br />

Dies kann am besten mit Studienbeispielen erläutert<br />

werden:<br />

● Eine Analyse der Veränderung der Lebensqualität<br />

schwedischer Patienten mit aktiver Entzündung zeigte<br />

im ersten Jahr der Behandlung mit den neuen<br />

biologischen Medikamenten (TNF-Blocker) eine sehr<br />

signifikante Verbesserung [1]. In dieser Studie wurde<br />

die Lebensqualität auf einer Skala, die üblicherweise<br />

in ökonomischen Studien angewendet wird, zwischen<br />

0 (gleichgesetzt mit Tod) und 1 (gleichgesetzt mit<br />

voller Gesundheit) gemessen (EQ5D, [2]). Die 160<br />

Patienten in der Studie hatten vor der Behandlung<br />

einen Lebensqualitätsindex von 0,28, welcher im Laufe<br />

des Jahres auf 0,65 anstieg. Eine quasi augenblickliche<br />

Verbesserung in einem Ausmaß, das sehr selten<br />

erreicht wird, und die Behandlung trotz des hohen<br />

Preises auch kurzfristig kosteneffektiv 1 machte.<br />

● Eine Anzahl von Studien hat gezeigt, wie sehr sich<br />

die Lebensqualität mit fortschreitender Behinderung<br />

verschlechtert. Als Beispiel soll eine Observationsstudie,<br />

ebenfalls aus Schweden, dienen [3, 4]. Patienten<br />

mit geringer Behinderung hatten einen Lebensqualitätsindex<br />

(EQ5D) von 0,78, verglichen zu 0,03 für<br />

Patienten im Spätstadium der Krankheit und starker<br />

Behinderung. Identische Resultate wurden in einer<br />

französischen Studie gesehen: der Index sank von<br />

0,76 zu 0,06 [5]. Verglichen mit einer alters- und geschlechtsgleichen<br />

Normalbevölkerung verloren diese<br />

Patienten jedes Jahr und in allen Krankheitsstadien<br />

etwa 30 Prozent der Lebensqualität.<br />

● Obwohl wir natürlich zur Zeit nicht messen können,<br />

wie sich die Lebensqualität aufgrund einer Behandlung<br />

mit Biologika über lange Jahre hinweg verändern<br />

wird, liegt es aufgrund dieser Daten auf der<br />

Hand, dass ein langsameres Fortschreiten der Krankheit<br />

langfristig mit besserer Lebensqualität verbunden<br />

ist. Als Beispiel eine schwedische Modellrechnung,<br />

basierend auf einer internationalen klinischen Studie<br />

und der oben erwähnten Observationsstudie [6]: Über<br />

einen Zeitraum von 10 Jahren berechnet, war eine<br />

Behandlung mit Kombinationstherapie Methotrexat/<br />

TNF-Blocker trotz einer mittleren Krankheitsdauer<br />

von fast sieben Jahren kosteneffektiv.<br />

Wir werden im Folgenden die Grundlagen der Kosteneffektivitätsanalyse,<br />

welche Finanzierungsentscheidungen<br />

im Gesundheitssystem zugrunde liegt, ganz<br />

kurz am Beispiel RA erläutern. Danach werden wir auf<br />

Unterschiede in der Versorgung, speziell bezogen auf<br />

die neuen Biologika, eingehen und – soweit überhaupt<br />

möglich – die Kausalität diskutieren.<br />

Ökonomische Studien<br />

Wir unterscheiden generell zwei Typen von ökonomischen<br />

Studien [7, 8]. Krankheitskostenstudien beschreiben<br />

die Kosten, welche durch eine Krankheit<br />

und deren Behandlung anfallen. Diese Studien schließen<br />

keine Analyse des Nutzens von Behandlungen<br />

ein und können daher nicht dazu dienen, Entscheidungen<br />

über die Finanzierung und Anwendung einer<br />

Behandlung zu treffen. Dazu werden Kosteneffektivitätsanalysen<br />

benötigt, welche jedoch oft Krankheitskostenstudien<br />

als Basisdaten verwenden.<br />

Kosteneffektivitätsanalysen dienen ausschließlich<br />

dazu, Entscheidungen für die gesamte Bevölkerung,<br />

nicht für einzelne Krankheiten oder sogar einzelne<br />

Patienten zu unterstützen. Das Ziel dieser Studien ist,<br />

durch adäquate Verteilung der Ressourcen auf die<br />

verschiedenen Krankheiten, und innerhalb dieser<br />

Krankheiten auf verschiedene Behandlungen, das<br />

Wohlbefinden der Gesamtbevölkerung zu verbessern<br />

oder zu erhalten. Also genau das, was mit einer Gesundheitspolitik<br />

und einem effizienten Gesundheitssystem<br />

erreicht werden soll.<br />

In einer Kosteneffektivitätsanalyse berechnet man die<br />

Kostenerhöhung (oder Einsparung), welche durch<br />

eine neue bessere Behandlung verglichen mit Standardbehandlung<br />

entstehen, und vergleicht diese mit<br />

dem zusätzlichen Effekt. Dadurch ergibt sich eine auf<br />

den ersten Blick sehr einfache Ratio:<br />

Kosten (alle) der neuen Behandlung minus Kosten<br />

der Standardbehandlung<br />

Klinischer Effekt der neuen Behandlung minus Effekt<br />

der Standardbehandlung<br />

d.h. Zusatzkosten/Zusatzeffekt (Graphiken 1 und 2,<br />

S. 18).<br />

Die Herausforderung bei dieser an sich einfachen<br />

Ratio liegt darin, erstens einmal alle Kosten und vor<br />

allem Veränderungen der Kostenstruktur zu eruieren,<br />

und zweitens den Effekt so zu berechnen und auszudrücken,<br />

dass er mit allen anderen Krankheiten verglichen<br />

werden kann. Dies deswegen, weil das Gesamtbudget<br />

betrachtet werden muss, wenn man allgemei-<br />

1 ”Kosteneffektiv“, im gesundheitsökonomischen Sinne, bedeutet dass die<br />

Zusatzkosten für eine Behandlung, im Vergleich zu deren zusätzlichem<br />

Effekt, „akzeptable“ sind. Im Allgemeinen wird der Effekt ausgedrückt als<br />

eine Kombination von Lebensdauer und Lebensqualität (quality-adjusted<br />

life-year, QALY), wobei Lebensjahre mit deren Qualität gewichtet werden.<br />

Obwohl es keine offizielle Grenze dafür gibt, was eine Gesellschaft für ein<br />

QALY zu zahlen bereit ist, liegt die inoffizielle Grenze in Europe bei ungefähr<br />

50.000 Euro.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 18<br />

Graphik 1: Grundlagen der ökonomischen Auswertung von Behandlungen<br />

INPUTS<br />

➤<br />

Kosten<br />

Kosten der Behandlung<br />

minus<br />

durch die Behandlung<br />

vermiedene Kosten<br />

➤ THERAPIE ➤ OUTPUTS<br />

Graphik 2: „Inkrementale Analyse“ (Zusatzkosten /Zusatzeffekt)<br />

Kosten<br />

K B<br />

K A<br />

0<br />

➤<br />

●<br />

E A<br />

K B –K A<br />

E B –E A<br />

E B –E A<br />

Behandlung A<br />

Effekt (QALY)<br />

➤<br />

Verbesserung der Gesundheit<br />

– Verringerter Krankheitsdruck<br />

– Verlängerte Lebensdauer<br />

– Verbesserte Lebensqualität<br />

Behandlung B<br />

K B –K A<br />

Inkrementale Analyse bedeutet, dass man die Zusatzkosten (K) einer (neuen) Behandlung (B), verglichen zu<br />

Standardbehandlung (A), und den zusätzlichen Effekt (E) von A verglichen mit B berechnet und als eine Ratio<br />

ausdrückt: Delta K / Delta E.<br />

●<br />

E B<br />


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 19<br />

ne Vergütungs- oder Anwendungsentscheidungen<br />

trifft. Die ganz speziellen Herausforderungen bei<br />

chronisch progredienten Krankheiten wie RA liegen<br />

darin, dass das Endresultat der Behandlung nicht<br />

gemessen werden kann, da es weit in der Zukunft<br />

liegt.<br />

Die meisten europäischen Länder verwenden solche<br />

Studien heute systematisch, wenn neue Behandlungen<br />

eingeführt werden. Denn obwohl mit der medizinischen<br />

Zulassung jedes Produkt auf den Markt<br />

gebracht werden kann, gibt es dafür keineswegs<br />

automatisch eine Rückvergütung durch nationale<br />

Gesundheitsversicherungen. Mit Ausnahme von<br />

Deutschland und Großbritannien muss in allen Ländern<br />

der Einschluss ins Versicherungssystem verhandelt<br />

werden.<br />

In diesem Zusammenhang sind vor allem Pharmahersteller<br />

gezwungen, in den meisten Ländern Kosteneffektivitätsstudien<br />

vorzulegen. Selbstverständlich werden<br />

aber Entscheidungen nicht allein aufgrund der<br />

Resultate solcher Studien getroffen. Aber es kann<br />

vorkommen, dass zum Beispiel ein Produkt nur für<br />

eine ganz bestimmte Patientengruppe vergütet wird,<br />

Graphik 3: Anwendung von Biologika<br />

% of physicians<br />

%<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

5<br />

16<br />

62<br />

16<br />

EU (307)<br />

3<br />

5<br />

66<br />

26<br />

France (65)<br />

31<br />

68<br />

1<br />

Germany (65)<br />

15<br />

11<br />

52<br />

20<br />

1<br />

Italy (65)<br />

für welche es gesundheitsökonomisch gesehen am<br />

vorteilhaftesten ist.<br />

Dies ist häufig der Fall in Großbritannien, denn obwohl,<br />

wie erwähnt, keine Verhandlungen stattfinden,<br />

werden alle Behandlungen von einem „Health Technology<br />

Assessment“ Gremium, NICE, bewertet und<br />

eine Richtlinie zu deren Anwendung erarbeitet. Diese<br />

Richtlinien haben einen unmittelbaren Einfluss auf die<br />

Anwendung, oft nicht nur in Großbritannien, sondern<br />

auch in anderen Ländern. Auch Deutschland hat mit<br />

dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen<br />

(IQWiG) ein ähnliches System geschaffen.<br />

Damit steht fest, dass Kosteneffektivitätsanalysen an<br />

Bedeutung zunehmen, nicht zuletzt deswegen, weil<br />

immer mehr biotechnologische Behandlungen auf<br />

den Markt kommen, welche oft sehr teuer sind. RA ist<br />

ein gutes Beispiel dafür. Die TNF-Blocker sind kostenintensiver<br />

als die früheren „klassischen“ DMARDs,<br />

welche heute auch zu den Generika gehören.<br />

Damit liegt es natürlich für Kostenträger rein aufgrund<br />

von Budgetbetrachtungen auf der Hand, den Gebrauch<br />

dieser Produkte auf Patienten zu beschrän-<br />

4<br />

11<br />

56<br />

28<br />

Spain (57)<br />

25<br />

69<br />

5<br />

UK (55)<br />

Trad. DMARD prescription<br />

not important<br />

Failed on 3+<br />

Failed on 2<br />

Failed on 1<br />

Obwohl in Europa die medizinischen Richtlinien gleich sind (Versagen von 2 DMARDs, davon eines<br />

Methotrexate), ist die Anwendung in verschiedenen Ländern unterschiedlich.<br />

0


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 20<br />

ken, welche mit den klassischen DMARDs einen unzureichenden<br />

Effekt haben. Bei der Einführung war<br />

diese Entscheidung auch medizinisch berechtigt, da<br />

klinische Studien nur für solche Patienten vorlagen.<br />

Wenn man aber weiß, dass eine frühe effektive Intervention<br />

bei dieser Krankheit sehr wichtig ist, muss<br />

man sich die Frage stellen, welche Konsequenzen<br />

eine solche Entscheidung haben wird. Und warum in<br />

einigen Ländern die Biologika oft schon nach Versagen<br />

von ein oder zwei DMARDs angewendet werden<br />

(z.B. Frankreich, Spanien, auch Skandinavien) und<br />

in anderen Ländern erst nach drei oder mehr (z. B.<br />

Großbritannien, Deutschland) ist weder aus medizinischen<br />

noch ökonomischen Gründen verständlich<br />

(Graphik 3, S. 19).<br />

Graphik 4: Entwicklung der Arbeitsbeteiligung mit fortschreitender Krankheit<br />

80 %<br />

70 %<br />

60 %<br />

50 %<br />

40 %<br />

30 %<br />

20 %<br />

10 % %<br />

0 %<br />

% < 60 Jahre<br />

% Angestellte<br />


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 21<br />

so früh wie möglich mit den besten Mitteln behandelt<br />

werden.<br />

Beides hat mit Prävention zu tun: Präventive Behandlungen<br />

müssen oft an große Patientengruppen verabreicht<br />

werden, da man die Zielgruppe nicht genau<br />

identifizieren kann. Dies ist mit hohen Kosten verbunden,<br />

und es ist deshalb vor allem für kostspielige<br />

Behandlungen von sehr hoher Wichtigkeit, die Zielgruppe<br />

rasch zu erkennen. Frühe Behandlung dieser<br />

Gruppe wird dazu beitragen, dass Patienten länger<br />

einem normalen Leben nachgehen können, weitgehend<br />

schmerzfrei und unbehindert.<br />

Ökonomische Auswirkungen hat dies aber vor allem<br />

im Arbeitsmarkt. Studien auf dem Gebiet der RA<br />

haben ausnahmslos gezeigt, dass der Verlust der<br />

Arbeitsfähigkeit und des damit verbundenen gesellschaftlichen<br />

Produktivitätsverlustes den weitaus<br />

größten Anteil der Kosten darstellt. So machen zum<br />

Beispiel indirekte Kosten oder Produktionsausfall bei<br />

Patienten im arbeitsfähigen Alter (30 bis 65 Jahre) in<br />

Deutschland mehr als zwei Drittel der Gesamtkosten<br />

aus [9].<br />

Je nach Land, Arbeitsumgebung und Stichprobe beziehen<br />

nach 10 Jahren Krankheit bis zu 50 Prozent<br />

der Patienten eine Invalidenrente [10-13]. Im späten<br />

Stadium der Krankheit können nur ungefähr 10 Prozent<br />

der Patienten im arbeitsfähigen Alter einem Beruf<br />

nachgehen [5] (Graphik 4, S. 20).<br />

Aber auch kurzfristig, im frühen Krankheitsstadium,<br />

sind Arbeitsausfälle häufig [3], auch wenn sie zu diesem<br />

Zeitpunkt keinen Großteil der indirekten Kosten<br />

ausmachen. Dass auch diese zum Teil verhindert<br />

werden können, hat eine neue Studie gezeigt [14].<br />

Unter TNF-Blocker Behandlung gingen Krankschreibungen<br />

um mehr als 40 Prozent zurück. Eine andere<br />

Studie aus Deutschland zeigte eine Tendenz zu verringerten<br />

indirekten Kosten für RA Patienten im Jahre<br />

2001 verglichen zu 1998 (d.h. bevor die Biologika<br />

angewendet wurden) [15].<br />

Wie werden nun solche Daten in ökonomischen Modellen<br />

zum Berechnen der Kosteneffektivität von RA<br />

Behandlungen angewandt? Vereinfacht dargestellt,<br />

versucht man in diesen Modellen den „normalen“<br />

Krankheitsverlauf darzustellen, mit fortschreitender<br />

Behinderung und dadurch steigenden Kosten und<br />

sinkender Lebensqualität.<br />

Aufgrund der klinischen Resultate analysiert man<br />

dann, wie sich diese Kosten- und Lebensqualitätskurven,<br />

mit einer neuen Behandlung über einen be-<br />

stimmten Zeitraum hinweg, verändern werden (Graphik<br />

5, S. 22).<br />

Das Resultat zeigt dann, ob die Kosten der neuen<br />

Behandlung durch Einsparungen bei den Krankheitskosten<br />

kompensiert werden, und wenn nicht, wie viel<br />

man für die über Jahre hinweg verbesserte Lebensqualität<br />

(QALY) bezahlen muss.<br />

Aus dieser Darstellung ist auch klar ersichtlich, dass<br />

man ökonomische Betrachtungen in RA, und in speziellen<br />

Kosteneffektivitätsanalysen, ausschließlich über<br />

einen längeren Zeitraum hinweg betrachten muss. Es<br />

ist die Prävention, das Verhindern oder Verlangsamen<br />

der Progression der Behinderung, welche die größten<br />

Vorteile bringt. Jedes Jahr, ja sogar jeder Monat, um<br />

welche die schwereren Krankheitsstadien hinausgeschoben<br />

werden, bedeuten eine Kosteneinsparung<br />

und einen Gewinn an Lebensqualität.<br />

Die Gesamtkosten in Schweden steigen um rund<br />

5.000 Euro pro 0.5 HAQ 2 [3], in Deutschland und<br />

Frankreich ungefähr um 6.000 Euro [5, 9]. Daraus<br />

ergibt sich, dass sich Kosten durchschnittlich um fast<br />

1.000 Euro erhöhen für jede klinisch signifikante Verschlechterung.<br />

Oder anders ausgedrückt, um ungefähr<br />

420 Euro pro Jahr.<br />

Im Spiegelbild dazu senkt sich die Lebensqualität um<br />

fast 0.15 (oder 15 Prozent) für jeden halben HAQ<br />

point [3, 5]. Anders ausgedrückt, RA-Patienten verlieren<br />

pro Jahr ungefähr 0.01 QALY 3 , wobei man, wie<br />

bereits erwähnt, zusätzlich bedenken muss, dass die<br />

Lebensqualität dieser Patienten bereits etwa 20 bis<br />

30 Prozent unter derjenigen der Normalbevölkerung<br />

liegt [5].<br />

Die meisten Modellrechnungen haben gezeigt, dass<br />

TNF-Blocker – wenn angewandt für die richtigen Patienten<br />

– vom gesellschaftlichen Standpunkt gesehen<br />

kosteneffektiv sind, das heißt unter dem (inoffiziellen,<br />

im europäisch-gesundheitsökonomischen Raum ak-<br />

2 HAQ (Health Assessment Questionnaire) ist ein Standardinstrument, mit<br />

welchem sowohl in klinischen Studien als auch in klinischer Praxis die<br />

Behinderung von RA-Patienten gemessen wird. Das Instrument misst von 0<br />

(keine Behinderung) bis 3 (schwerste Behinderung). Klinisch gesehen ist<br />

eine Veränderung von 0,22 Punkten signifikant. Im Durchschnitt verschlechtern<br />

sich Patienten um 0,034 Punkte pro Jahr, wobei es natürlich<br />

viele Patienten gibt, bei welchen die Krankheit um vieles schneller fortschreitet.<br />

3 QALY’s werden berechnet durch gewichten der Lebensjahre mit deren<br />

Qualität und können somit für alle Krankheiten gleich berechnet und für<br />

Entscheidungen über Gesamtbudgets verwendet werden. Dies erklärt,<br />

weshalb Resultate von Kosteneffektivitätsanalysen im Allgemeinen als<br />

„Kosten/gewonnenem QALY“ berechnet werden.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 22<br />

Graphik 5: Basis für Kosteneffektivitätsanalyse in RA<br />

Lebensqualität<br />

➤<br />

Lebensqualitätsgewinn<br />

➤<br />

Schweregrad<br />

(auch Zeit)<br />

Die feste Linie illustriert den normalen Krankheitsverlauf, mit sinkender Lebensqualität und steigenden Kosten,<br />

während die gebrochene Linie die durch Behandlung theoretisch herbeigeführte Veränderung darstellt. Die<br />

Flächen zwischen den beiden Kurven sind dann die Verbesserung der Lebensqualität über viele Jahre hinweg, und<br />

die Kosteneinsparungen – welcher letzterer nach längerer Zeit am größten sind.<br />

zeptierten und gebräuchlichen) Schwellenwert von<br />

50.000 Euro pro QALY liegen. Trotzdem werden sie in<br />

einigen Ländern, so vor allem auch in Deutschland,<br />

weiterhin äußerst spärlich angewandt, und nicht alle<br />

Patienten der eng definierten Gruppe, welche damit<br />

behandelt werden sollten, sind es.<br />

Versorgungslage<br />

Wenn man von einer Prävalenz von 0,5 Prozent in der<br />

Bevölkerung ausgeht, gibt es in Deutschland ungefähr<br />

400.000 bis 420.000 Patienten mit RA. Eine internationale<br />

Behandlungsumfrage hat gezeigt, dass in<br />

Deutschland am Anfang dieses Jahrzehnts nur etwa<br />

32 Prozent dieser Patienten mit DMARDs behandelt<br />

wurden (COPQoL Studie, 2002). Die Zahl der mit<br />

Biologika behandelten Patienten wurde auf ganze<br />

2,1 Prozent geschätzt.<br />

➤<br />

Kosteneinsparungen<br />

t Kosten<br />

t<br />

➤<br />

➤ ➤<br />

Schweregrad<br />

(auch Zeit)<br />

Eine neuere Studie des Instituts für empirische Gesundheitsökonomie<br />

hat gezeigt, dass sich die Situation<br />

im Jahre 2006 verbessert hat [16]. Aufgrund einer<br />

Schätzung der gesetzlich versicherten RA-Patienten<br />

und der verschriebenen Tagesdosen der üblichsten<br />

klassischen DMARDs und Biologika wurde die Anzahl<br />

behandelter Patienten auf insgesamt 38 bis 39 Prozent<br />

berechnet. TNF-Blocker werden an etwa 6 Prozent<br />

abgegeben. Aufgrund der deutschen Richtlinien<br />

für diese Präparate hätten etwa 11 Prozent der Patienten<br />

Anspruch darauf.<br />

Diese Unterversorgung hat eine Anzahl Gründe, und<br />

wir erwähnen hier nur die wichtigsten. Laut Schätzungen<br />

des Kompetenznetzes Rheuma fehlen in<br />

Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern 150 bis<br />

300 Rheumatologen, um eine angemessene Versorgung<br />

zu gewährleisten (www.rheumanet.org). Damit


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 23<br />

würde der Zustand wie in anderen Ländern von<br />

1:100.000 je Einwohner in Deutschland erreicht, anstatt<br />

des derzeitigen Verhältnisses von 1:300.000 bis<br />

500.000 je nach Bundesland (Deutsche Gesellschaft<br />

für Rheumatologie, www.dgrh.de). Dadurch dauert es<br />

oft zu lange, bis Patienten einen Rheumatologen sehen,<br />

und eine dauerhafte Betreuung durch den Rheumatologen<br />

ist nicht immer möglich.<br />

Und obwohl jeder Arzt Biologika verschreiben kann,<br />

ist dies doch mit einem relativ großen Papieraufwand<br />

verbunden. Auch die Kosten der Biologika im Vergleich<br />

zu z.B. Methotrexate, dem effektivsten unter<br />

den klassischen DMARDs, spielen natürlich eine Rolle:<br />

Eine Jahrestherapie mit einem TNF-Blocker kostet<br />

15.000 bis 20.000 Euro, verglichen zu 200 bis 300<br />

Euro für Methotrexate.<br />

Graphik 6: Adoption von Biologika<br />

Patientenjahre pro 100.000 EW<br />

120<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Q 0<br />

Q 2<br />

Q 4<br />

Q 6<br />

Q 8<br />

Q 10<br />

Q 12<br />

Q 14<br />

Der Preis ist jedoch, wie oben erläutert, kein adäquater<br />

Vergleichsparameter und führt oft zu Fehlentscheidungen.<br />

Um die Kosteneffektivität eines Produktes zu<br />

berechnen, müssen erstens einmal alle Kosten und<br />

auch potentiellen Einsparungen betrachtet werden,<br />

und zweitens muss dies langfristig geschehen.<br />

In Deutschland erhalten also nur etwas mehr als die<br />

Hälfte der Patienten, die tatsächlich mit Biologika behandelt<br />

werden sollten, diese auch wirklich. Das steht<br />

im krassen Gegensatz zu Ländern wie Norwegen und<br />

Schweden, wo laut einer Studie von IMS Health schätzungsweise<br />

20 bis 30 Prozent der Patienten behandelt<br />

werden (Ärzte Zeitung 31.7.2007).<br />

Ein Grund dafür ist, dass es in diesen Ländern den<br />

Rheumatologen freigestellt ist, welche Patienten be-<br />

Q 16<br />

Q 18<br />

Q 20<br />

Q 22<br />

Q 24<br />

DE R&H<br />

AUT R&H<br />

CH R<br />

F R&H<br />

B R&H<br />

UK H<br />

IRE R<br />

NL R&H<br />

SWE R&H<br />

NOR R&H<br />

FIN R&H<br />

DEN R&H<br />

ITA R&H<br />

ESP H<br />

GRC R<br />

CZR R&H<br />

SLR R<br />

HUN R&H<br />

POL R&H<br />

USA R&H<br />

(R&H – Retail and Hospital Sales)


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 24<br />

handelt werden sollten; Richtlinien sind nicht unbedingt<br />

bindend. Eine Schlussfolgerung, welche man<br />

aus diesen Zahlen jedoch auch ziehen kann, ist, dass<br />

die Richtlinie in Deutschland möglicherweise zu restriktiv<br />

ist. Offenbar betrachtet man zum Beispiel in<br />

Skandinavien, dass wesentlich mehr als 11 Prozent<br />

der Patienten diese Medikamente benötigen.<br />

Das Schlusslicht in Europa bilden Deutschland, Italien<br />

und Österreich (Graphik 6, S. 23). Daraus lässt sich<br />

auch ersehen, dass Preisunterschiede die Unterschiede<br />

in der Anwendung nicht erklären: Obwohl<br />

sich die Preise der Biologika in den europäischen<br />

Ländern in einem relativ schmalen Preisband bewegen,<br />

hat doch Italien das relativ niedrigste Preisniveau<br />

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treatment of rheumatoid arthritis in clinical practice: costs<br />

and outcomes in a follow-up study of patients with RA<br />

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Evaluation. London: Office of Health Economics; 1996.<br />

8. Drummond M, O’Brien B, Stoddart G, Torrance G. Methods<br />

for the economic evaluation of health care. Boston:<br />

Kluwer Academic Publishers; 1997.<br />

in Westeuropa. Die Graphik vergleicht auch das<br />

Wachstum der Biologika in verschiedenen Ländern.<br />

Die Berechnungen beruhen auf IMS-Daten und das<br />

Resultat ist ausgedrückt in Behandlungsjahren (errechnet<br />

aus Umsatz und durchschnittlichen Therapiejahreskosten<br />

aller TNF-Blocker), gemessen vom Zeitpunkt<br />

der Rückvergütung durch die nationalen Versicherungssysteme<br />

(Graphik 6).<br />

Daraus geht nicht nur klar hervor, dass in den anderen<br />

Ländern, mit Ausnahme von Österreich, mehr Patienten<br />

Zugang zu diesen Medikamenten haben, sondern<br />

auch, dass die wirkliche Anwendung in Deutschland<br />

erst etwa vier Jahre nach Einführung begann.<br />

© gpk<br />

9. Huscher D, Merkesdal S, Thiele K, et al. Cost of illness in<br />

rheumatoid arthritis, ankylosing spondylitis, psoriatic arthritis<br />

and systemic lupus erythematosus in Germany.<br />

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10. Fex E, Larsson B-M, Nived K, Eberhardt K. Impact of<br />

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Labour force participation among patients with rheumatoid<br />

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14. VanVollenhoven R, Ferraccioli G, Breedfeld F, et al. Effect<br />

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Ann Rheum Dis 2007;66 Suppl II:EULAR Abstract<br />

THU0216.<br />

15. Merkesdal S, Mittendorf T, Rihi M, et al. Cost of illness in<br />

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introduction in Germany. Ann Rheum Dis 2007;66 Suppl<br />

II:EULAR Abstract THU0462.<br />

16. Rychlik R. Gutachten über die Unterversorgung der Arzneimittel<br />

in Deutschland: Institut für Empirische Gesundheitsökomie;<br />

2007.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 25<br />

Remission als Ziel<br />

Paradigmenwechsel in der Behandlung der Rheumatoiden Arthritis<br />

Von Erika Gromnica-Ihle<br />

Einleitung<br />

Die Rheumatoide Arthritis (RA) ist die wichtigste entzündlich-rheumatische<br />

Gelenkerkrankung. Von ihr<br />

sind 0,8 Prozent der Bevölkerung betroffen (Verhältnis<br />

Männer/Frauen = 1/3). Der durchschnittliche Erkrankungsbeginn<br />

liegt um das 55. Lebensjahr. Eine<br />

chronische Entzündung der Gelenkinnenhaut, die an<br />

den Gelenken von Händen und Füßen beginnt, führt<br />

zur Zerstörung von Gelenkknorpel und angrenzendem<br />

Knochen.<br />

Diese Zerstörungen sind im Röntgenbild sichtbar. Sie<br />

verursachen Schmerzen, Schwellungen und erhebliche<br />

Funktionseinschränkung der befallenen Gelenke.<br />

Bei 15 bis 30 Prozent der RA-Patienten werden<br />

mit konventioneller Röntgentechnik bereits im ersten<br />

Krankheitsjahr Knorpel- und Knochendestruktionen<br />

nachgewiesen. Mit MRT-Technik zeigen sich bei<br />

45 Prozent der RA-Patienten schon bei einer viermonatigen<br />

Krankheitsdauer Erosionen (McQueen et al.<br />

1998).<br />

Dabei ist die Progressionsrate der Gelenkzerstörung<br />

im ersten Erkrankungsjahr deutlich höher als im 2./3.<br />

Erkrankungsjahr (v.d.Heijde et al. 1995). Chronische<br />

Schmerzen und die Einschränkung der Aktivitäten im<br />

Alltag schränken die Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen<br />

Leben ein. In Deutschland ist bei mindestens<br />

20 Prozent der RA-Patienten bereits innerhalb<br />

der ersten Krankheitsjahre mit einer Frühberentung<br />

zu rechnen. 14 Prozent der Kranken sind pflegebedürftig.<br />

Die Lebenserwartung der RA-Patienten ist um 15 bis<br />

20 Prozent verkürzt, d.h. sie sterben durchschnittlich<br />

5 Jahre früher als Nicht-Erkrankte. Herzkreislauf-Erkrankungen<br />

sind die wichtigste Todesursache. Die<br />

hohen direkten Krankheitskosten der RA, (nach Daten<br />

der deutschen Kerndokumentation durchschnittlich<br />

4.737 Euro/Patient und Jahr) sowie die indirekten<br />

Kosten (nach Humankapitalansatz 9.201 Euro/Patient<br />

und Jahr) zeigen einen engen Bezug zum Funktionsstatus<br />

(Huscher et al. 2006). Eine frühzeitige<br />

hocheffektive Therapie der RA kann heute zu einer<br />

Remission führen.<br />

Wandel in den diagnostischen und<br />

therapeutischen Strategien<br />

In den diagnostischen und therapeutischen Methoden<br />

und Strategien ist bei der RA in den letzten Jahren ein<br />

grundlegender Wandel eingetreten. Sensibilisierung<br />

der Ärzte auf die Früherkennung, bessere Labormethoden<br />

(z.B. Einführung der Antikörper gegen cyclische<br />

citrullinierte Peptide), die Optimierung bildgebender<br />

Verfahren wie Gelenksonografie und MRT-<br />

Technik und die bessere Charakterisierung von Outcome-Parametern<br />

führen sowohl zu einer früheren<br />

Diagnostik und damit Therapieeinleitung als auch zu<br />

individuell angepassten Behandlungen.<br />

Die rechtzeitige Therapie, das heißt, bereits die Behandlung<br />

der Früharthritis, kann Gelenkzerstörungen<br />

und Behinderungen vermeiden.<br />

Therapieziel der RA: Remission<br />

Die Therapieziele bei einer RA waren bisher<br />

Schmerzminderung, Funktionsverbesserung sowie<br />

Progressionshemmung. Da in den letzten Jahren<br />

neue Klassen von Therapeutika zur Verfügung stehen<br />

und sich effektivere Behandlungsstrategien etabliert<br />

haben, ist das heutige Therapieziel bei einer frühen<br />

RA die Remission.<br />

Dabei wird letztere definiert als sehr niedrige Krankheitsaktivität<br />

bei Fortführung einer Therapie mit disease-modifying<br />

antirheumatic drugs (DMARDs).<br />

Rechtzeitige Therapie mit DMARDs<br />

Um eine Remission zu erreichen, muss die Behandlung<br />

der RA mit DMARDs rechtzeitig, am besten innerhalb<br />

der ersten drei Monate nach Auftreten der<br />

ersten Gelenksymptome, beginnen. Der Therapiebeginn<br />

in diesem „Window of opportunity“ kann durch


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 26<br />

Beeinflussung der immunologischen Prozesse zu<br />

einem Stop der Krankheitsprogression führen.<br />

Studien belegen, dass eine rechtzeitige DMARD-Therapie<br />

im Vergleich zu einem verzögerten Behandlungsbeginn<br />

nicht nur eine deutliche Verminderung<br />

der klinischen Aktivität, sondern langfristig vor allem<br />

eine günstigere Beeinflussung der Gelenkzerstörung<br />

und damit der Gelenkfunktion bedingt (Nell et al.<br />

2004).<br />

Kortikosteroide<br />

Kortikosteroide sind in den meisten Fällen bis zum<br />

Eintritt der Wirkung der DMARD-Therapie (in der Regel<br />

6 Wochen) als „Brückenmedikation“ zur Bekämpfung<br />

von Schmerz und Entzündung unverzichtbar. Die<br />

zusätzliche Gabe von Kortikosteroiden zur DMARD-<br />

Therapie kann auch im weiteren Krankheitsverlauf die<br />

Gelenkdestruktion verlangsamen, wie durch randomisierte<br />

Studien der letzten Jahre belegt werden konnte<br />

(z.B. Wassenberg et al. 2005).<br />

Bei hoher Krankheitsaktivität der RA ist daher die<br />

additive niedrig-dosierte Kortikosteroidtherapie auch<br />

im weiteren Verlauf indiziert. Dabei ist eine Osteoporoseprophylaxe<br />

unabdingbar.<br />

Welches DMARD als erstes?<br />

Über die Wahl des DMARD für die Initialtherapie gibt<br />

es keinen Konsens. Sie hängt von der Krankheitsaktivität<br />

und den Prädiktoren einer Gelenkzerstörung ab.<br />

Die zu erwartende Compliance des Patienten, auch<br />

bezüglich des Verabreichungsmodus, die notwendigen<br />

Therapiekontrollen und die Komorbidität des<br />

Kranken müssen berücksichtigt werden.<br />

Bei über 50 Prozent der RA-Patienten wird durch die<br />

deutschen Rheumatologen, wie auch international, in<br />

der Initialtherapie Methotrexat (MTX) eingesetzt.<br />

Alternativ werden Leflunomid, Sulfasalazin oder Hydroxychloroquin<br />

gewählt.<br />

Engmaschige Kontrollen und Therapieeskalation<br />

bei Krankheitsaktivität<br />

Eine engmaschige Kontrolle des Kranken und eine<br />

Therapieeskalation (Dosiserhöhung des DMARD,<br />

Kombinationen von DMARDs, zusätzlich Kortikosteroide<br />

und intraartikuläre Verabfolgung von Kortikosteroiden)<br />

bei weiter bestehender Krankheitsaktivität erhöhen<br />

die Remissionsrate bei früher RA im Vergleich<br />

zu einer Routinekontrolle.<br />

Wie in der TICORA-Studie nachgewiesen, führt eine<br />

monatliche Kontrolle (versus Untersuchung im Vierteljahresabstand)<br />

mit Adaptation der Therapie an die<br />

Krankheitsaktivität zu einer höheren Remissionsrate<br />

und geringerer Röntgenprogression und das sogar<br />

bei geringeren Kosten (Grigor et al. 2004).<br />

Kombinationstherapie<br />

Kontrollierte Studien bei früher RA (COBRA-, FIN-<br />

RACo-, BeSt-Studie) haben gezeigt, dass durch Kombination<br />

von zwei und mehr DMARDs eine deutlich<br />

höhere Effektivität – auch in Bezug auf die Röntgenprogression<br />

– im Vergleich zur Monotherapie zu erzielen<br />

ist (Boers et al. 1997, Landewé et al. 2002, Möttönen<br />

et al. 1999, Korpela et al. 2004). Zahlreiche Studien<br />

bei fortgeschrittener RA bestätigen die Überlegenheit<br />

der Kombinationstherapien, zum Beispiel einer<br />

Dreifachkombination MTX plus Sulfasalazin plus<br />

Hydroxychloroquin gegenüber der Monotherapie.<br />

Die Kombination MTX mit Cyclosporin A übertrifft die<br />

Effektivität der MTX-Monotherapie ebenfalls, ist jedoch<br />

mit höheren Kosten und engmaschigen Überwachungen<br />

verbunden. Die Kombination von MTX und<br />

Leflunomid zeigt bei MTX-Versagern ebenso sehr<br />

gute Effekte (Kremer et al. 2002). Allgemein besteht<br />

heute Übereinstimmung, dass nach Versagen einer<br />

Monotherapie spätestens nach drei Monaten eine<br />

Kombinationstherapie angestrebt werden sollte.<br />

Die Überlegenheit einer Kombinationstherapie entweder<br />

als Kombination von Kortikosteroid, MTX und<br />

Sulfasalazin oder als MTX-Infliximab-Therapie im Vergleich<br />

zu Monotherapien (sequentiell oder additiv) bei<br />

früher RA zeigt erstmals die BeST-Studie (Goekoop-<br />

Ruiterman et al. 2005). Die Kombinationstherapien<br />

waren bezüglich der klinischen Aktivität und der Röntgenprogression<br />

deutlich besser als die beschriebenen<br />

Monotherapien. Daraus lässt sich schlussfolgern,<br />

dass zumindest bei den Krankheitsfällen mit Früherosivität<br />

mit einer Kombinationstherapie begonnen werden<br />

sollte.<br />

Biologika<br />

Bei nicht ausreichendem Effekt einer Kombinationstherapie<br />

mit herkömmlichen DMARDs stehen die Biologika<br />

zur Verfügung, die ihrerseits in Kombination mit<br />

DMARDs verabfolgt werden. Die Deutsche Gesellschaft<br />

für Rheumatologie empfiehlt: „Sollte trotz konsequenter<br />

Therapie mit konventionellen Basistherapeutika<br />

(DMARD) (in der Regel mit zwei Basisthe-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 27<br />

rapeutika – eines davon Methotrexat – alleine oder in<br />

Kombination) nach sechs Monaten weiterhin eine aktive<br />

Erkrankung bestehen, ist der Einsatz von TNF-<br />

Blockern gerechtfertigt. Individuelle Besonderheiten<br />

(z. B. Kontraindikationen gegen Basistherapeutika,<br />

hohe Krankheitsprogression) können einen früheren<br />

(


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 28<br />

Therapiemaßnahmen spielen im Therapieplan eine<br />

gleichwertige Rolle. Eine außerordentliche Bedeutung<br />

kommt jedoch einer guten Kooperation zwischen<br />

Hausarzt und Rheumatologen zu.<br />

Fazit<br />

Das Therapieziel bei einer RA ist heute die Remission.<br />

Eine rechtzeitige und wenn nötig auch aggressive<br />

Therapie unter Nutzung der Biologika innerhalb von<br />

weniger als drei Monaten nach Symptombeginn und<br />

eine an die Aktivität der Erkrankung adaptierte Be-<br />

Literatur<br />

Boers M, Verhoeven AC, Markusse HM et al. Randomised<br />

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Rheum. 2004; 50:2072-81<br />

handlung unter Nutzung valider Messinstrumente entsprechend<br />

der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft<br />

für Rheumatologie „Management der frühen Rheumatoiden<br />

Arthritis“ sind heute unverzichtbar.<br />

Die Leitung der Therapie bei einer RA muss durch<br />

einen Rheumatologen in enger Kooperation mit dem<br />

Hausarzt erfolgen. Früharthritissprechstunden und<br />

entsprechende Versorgungsmodelle müssen den flächendeckenden<br />

Zugang zum Rheumatologen gewährleisten.<br />

© gpk<br />

Kremer JM, Genovese MC, Cannon GW et al. Concomitant<br />

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ist entscheidend für die Prognose. MMW Fortschr<br />

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gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 29<br />

Arbeitsfähig trotz schwerer<br />

Rheumatoider Arthritis<br />

Moderne biologische Wirkstoffe verringern die Krankheitskosten<br />

Von Klaus Krüger<br />

Chronische entzündlich-rheumatische Erkrankungen<br />

wie die Rheumatoide Arthritis (RA) oder die ankylosierende<br />

Spondylitis zählen zu den teuersten Krankheiten<br />

der gesamten Medizin. Hierzu tragen neben<br />

den direkten Kosten (Aufwendungen für Medikamente<br />

und weitere Therapien, Arzt- und Krankenhauskosten<br />

etc.) im Langzeitverlauf zunehmend indirekte<br />

Kosten wie Arbeitsunfähigkeit und Invalidisierung bei.<br />

Berücksichtigt man zusätzlich die relativ hohe Prävalenz<br />

(im Falle der RA rund 0.8 Prozent, d.h. etwa<br />

600.000 Patienten in Deutschland), so lässt sich die<br />

sozialmedizinische Bedeutung dieser Krankheiten<br />

und ihrer Kosten unschwer entnehmen.<br />

Erfreulicherweise haben sich die Behandlungsmöglichkeiten<br />

für die RA und weitere entzündlich-rheumatische<br />

Erkrankungen in den letzten zehn Jahren dramatisch<br />

verbessert, wozu vor allem die Einführung<br />

der TNF-alpha-Hemmstoffe (TNF-Blocker) beigetragen<br />

hat. Es handelt sich hierbei allerdings um ein, im<br />

Vergleich zu früheren, weniger erfolgreichen Therapien,<br />

kostenintensives Behandlungsprinzip.<br />

Im nachfolgenden Beitrag wird am Beispiel der RA,<br />

als häufigster entzündlich-rheumatischer Erkrankung,<br />

aufgezeigt, dass sich hierdurch zwar die Kosten<br />

für die medikamentöse Therapie erhöhen, die Krankheits-Gesamtkosten<br />

jedoch durch den verbesserten<br />

Outcome durchaus deutlich verringert werden<br />

können.<br />

Krankheitslast der Rheumatoiden Arthritis<br />

Die RA ist eine schwere Erkrankung mit einem im<br />

unbehandelten oder schlecht behandelten Status<br />

fortschreitend-zerstörerischen Charakter. Destruierende<br />

Prozesse spielen sich nicht nur an Knorpel und<br />

Knochen, sondern auch am gelenknahen Bindegewebe,<br />

z.B. Sehnen und Sehnenscheide, Gelenkkapsel<br />

und Schleimbeuteln ab.<br />

Funktionsverlust der Gelenke und Fehlstellungen sind<br />

wichtige Folgen. Der systemische Charakter der Er-<br />

krankung bewirkt zusätzlich, dass neben Allgemeinbeschwerden<br />

wie Müdigkeit, Fieber oder Gewichtsverlust<br />

auch Organe angegriffen werden können und<br />

es in einem Teil der Fälle zur Blutgefäßentzündung<br />

(Vaskulitis) mit Durchblutungsstörungen kommt.<br />

Als unmittelbare Folge von Zerstörungen und Fehlstellungen<br />

verschlechtert sich der generelle Funktionsstatus<br />

des Rheumatikers kontinuierlich, was wiederum<br />

zunehmende Immobilisierung und Einschränkung<br />

der Arbeitsfähigkeit im Beruf wie auch im Haushalt<br />

bedingt. Dementsprechend besteht zwischen der<br />

numerischen Einschränkung des Funktionsstatus -<br />

erfasst z.B. in Deutschland durch den Funktionsfragebogen<br />

Hannover (FFbH) oder international durch den<br />

Health Assessment Questionnaire (HAQ) – und dem<br />

Ausmaß der Arbeitsunfähigkeit ein enger Bezug (Zink<br />

2004). Generell weisen RA-Patienten im ersten<br />

Krankheitsjahr bereits eine Arbeitsunfähigkeitsrate<br />

von 20 Prozent auf (Lacaille 2005), nach zwei Jahren<br />

von rund 33 Prozent (Barrett 2000), nach 15 Jahren<br />

sind nur noch rund 25 Prozent der Patienten vollzeitbeschäftigt.<br />

Unter den häufigeren rheumatischen Systemerkrankungen<br />

sind bei RA-Patienten insgesamt in Deutschland<br />

die geringsten Beschäftigungsraten festzustellen<br />

(Mau 2005).Schwerer zu quantifizieren und kaum direkt<br />

auf die Krankheitskosten anzurechnen, aber nicht<br />

minder gravierend für den einzelnen Patienten, ist der<br />

immense Verlust an Lebensqualität, den Rheumatiker<br />

– in Abhängigkeit vom individuellen Schweregrad ihrer<br />

Erkrankung – erleiden.<br />

Nicht zuletzt sorgt der schwere systemische Krankheitsprozess<br />

auch für eine deutlich erhöhte Mortalität.<br />

Die Lebenserwartung von RA-Patienten ist im Vergleich<br />

zur Normalbevölkerung um mehr als zehn Jahre<br />

reduziert (Gabriel 2001, Symmons 2002). Bei hoher<br />

Krankheitsaktivität lag die 5-Jahres-Überlebensrate<br />

im Zeitalter vor Einführung der TNF-Blocker-Therapie<br />

bei 45 bis 55 Prozent. Diese Mortalität ist vergleichbar<br />

mit einer kardialen Dreigefäß-Erkrankung


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 30<br />

oder M. Hodgkin Stadium IV b (Pincus 1994). Auch<br />

hier ist ein direkter Bezug zum Funktionsstatus festzustellen,<br />

parallel zu dessen Verschlechterung nimmt<br />

die Mortalität zu.<br />

Die SMR erreicht bei Patienten mit einem HAQ > 1.8<br />

einen Maximalwert von 5.7, d.h. Patienten mit dieser<br />

massiven Funktionseinschränkung weisen gegenüber<br />

der Normalbevölkerung eine fast sechsfach erhöhte<br />

Mortalität auf (Wolfe 1994). Die wichtigste Todesursache<br />

für RA-Patienten ist nach neueren Erkenntnissen<br />

die deutlich gesteigerte kardiovaskuläre<br />

Komorbidität. So ist z.B. bei seropositiven RA-Patienten<br />

das Risiko für plötzlichen Herztod mehr als doppelt<br />

so hoch als in der Normalbevölkerung (Maradit-<br />

Kremers 2005).<br />

Klinische Wirksamkeit der TNF-Inhibitoren im<br />

Vergleich zu traditionellen Basistherapeutika<br />

Drei TNF-alpha-Hemmstoffe stehen seit einigen Jahren<br />

für die Behandlung der RA zur Verfügung, ihre<br />

wesentlichen Eigenschaften sind in Tabelle 1 zusammengefasst.<br />

Bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit<br />

sind diese drei Wirkstoffe ähnlich zu beurteilen.<br />

Generell bedeutete die Einführung der TNF-Blocker<br />

ein neues Zeitalter für die Behandelbarkeit der RA<br />

und anderer rheumatischer Systemerkrankungen wie<br />

der ankylosierenden Spondylitis (Morbus Bechterew).<br />

Lag das Therapieziel früher in der Epoche der klassischen<br />

Basistherapeutika, z.B. Goldpräparate, darin,<br />

den fortschreitend-zerstörerischen Verlauf zu bremsen,<br />

so ist heute bei rechtzeitig erkannter Diagnose<br />

und frühzeitig begonnener adäquater Therapie die<br />

komplette Remission das Ziel. Hierunter ist einerseits<br />

das Fehlen klinischer Symptome, des Weiteren aber<br />

auch die komplette Verhinderung von Destruktionen<br />

und ein intakter Funktionsstatus zu verstehen.<br />

Tabelle 1: Derzeit zugelassene TNF-Inhibitoren und ihre Eigenschaften<br />

Auch mit herkömmlichen modernen Basistherapeutika,<br />

die nach den gültigen Therapieempfehlungen<br />

(Manger 2007) nach wie vor die Ersttherapie der<br />

gesicherten RA darstellen, ist diese Remission in<br />

einem kleineren Teil der Fälle erreichbar. Mit Methotrexat<br />

(Mtx), welches heute in der Regel als erstes<br />

Basistherapeutikum zum Einsatz kommt, kann bei<br />

früher RA in bis zu 40 Prozent der Fälle eine Remission<br />

erreicht werden (Goekoop-Ruitermans 2005).<br />

Dieser Anteil kann durch die Verwendung einer Kombinationstherapie<br />

mehrerer Basistherapeutika nochmals<br />

gesteigert werden (Grigor 2004), dieser nächste<br />

Schritt ist auch in den Therapieempfehlungen für den<br />

Normalfall vorgesehen. Es verbleibt dann jedoch ein<br />

beträchtlicher Anteil an Patienten, welche mit dieser<br />

Strategie nicht ausreichend einzustellen sind.<br />

TNF-Blocker sind – insbesondere bei Einsatz in Kombination<br />

mit Mtx – in der Lage, den Anteil der Patienten<br />

in Remission erheblich zu vergrößern und bei den<br />

meisten übrigen Patienten zumindest eine befriedigende<br />

Einstellung zu bewirken, so dass letztlich nur<br />

ein kleiner Rest mit hoher Krankheitsaktivität verbleibt.<br />

In zahlreichen kontrollierten Studien konnte gezeigt<br />

werden, dass etwa doppelt so viele Patienten mit<br />

früher RA unter der Kombination TNF-Blocker + Mtx<br />

eine Remission erreichen wie in der jeweiligen Kontrollgruppe<br />

unter Placebo+Mtx. Abbildung 1 (S. 31)<br />

zeigt als typisches Beispiel die Ergebnisse der PRE-<br />

MIER-Studie mit Adalimumab+Mtx (Breedveld 2006).<br />

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Auswertung<br />

von in der rheumatologischen Praxis behandelten<br />

Patienten (deutsches TNF-Blocker-Register<br />

RABBITT), Patienten unter TNF-Blocker besaßen hier<br />

eine doppelt so große Chance auf Remission wie<br />

Patienten unter Basistherapie (Listing 2006).<br />

Wirkstoff Typ Verabreichung Häufigkeit<br />

Adalimumab Vollhumaner monoklonaler<br />

Antikörper<br />

subkutan alle 2 Wochen<br />

Etanercept lösliches Rezeptorfusionsprotein<br />

subkutan 1–2 x wöchentlich<br />

Infliximab Chimärer monoklonaler i.v.- Infusion nach Aufsättigung<br />

Antikörper (enthält auch<br />

Mausproteine)<br />

alle 8 Wochen*<br />

* Häufigere Gabe (z. B. alle 6 Wochen) bei ungenügender Wirksamkeit möglich


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 31<br />

Abb. 1: PREMIER-Studie – Placebo + Mtx vs. Adalimumab+Mtx bei früher RA – Anteil der Patienten<br />

in Remission<br />

%<br />

50<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

Remiss. % 1 Jr. Remiss. % 2 Jr.<br />

799 Patienten mit hoher Krankheitsaktivität, ØKrankheitsdauer 0.7 Jahre<br />

Besonders eindrucksvoll stellt sich der Unterschied<br />

zwischen den Fähigkeiten der Basistherapeutika und<br />

den TNF-Blocker bei der Verhinderung von fortschreitenden<br />

Zerstörungen dar, die im Röntgenstatus erfasst<br />

werden. In allen kontrollierten Studien, bei denen<br />

diese Zielgröße untersucht wurde, zeigte sich,<br />

dass nur die Kombination TNF-Blocker+Mtx eine komplette<br />

Blockierung der krankheitstypischen Progression<br />

knöcherner Zerstörungen bewirkte. Auch hier liefert<br />

die mit Adalimumab durchgeführte PREMIER-<br />

Studie ein typisches Beispiel (Abbildung 2, S. 32). Ein<br />

interessanter Nebenaspekt: Auch bei Patienten mit<br />

nicht so gutem klinischem Ansprechen auf die Kombination<br />

ist vielfach diese Blockierung von Zerstörungen<br />

zu beobachten.<br />

Die oben beschriebene krankheitstypisch gesteigerte<br />

Mortalität wie auch ihre wichtigste Ursache, die kardiovaskuläre<br />

Comorbidität, werden durch den Einsatz<br />

von TNF-Blockern ebenfalls in dramatischer Weise<br />

reduziert. So konnte in einer amerikanischen Langzeit-Kohortenstudie<br />

mit fast 20.000 Patienten gezeigt<br />

werden, dass die mit TNF-Blocker + Mtx behandelten<br />

Patienten eine Reduzierung des relativen Risikos<br />

(RR) für Todesfall auf 0.65 im Vergleich zu Patienten<br />

unter Basistherapie (RR 1.0) aufwiesen (Michaud<br />

2005).<br />

Das Herzinfarkt-Risiko für RA-Patienten war in eine<br />

kürzlich auf dem europäischen Rheumatologie-Kongress<br />

vorgestellten Fall-Kontroll-Studie mit mehr als<br />

Mtx<br />

Mtx+Ada<br />

19.000 Patienten für die Patienten unter TNF-Blocker<br />

+ Mtx im Vergleich zur Mtx-Monotherapie-Gruppe auf<br />

ein Fünftel reduziert (Singh 2007). Zu ähnlichen Resultaten<br />

kommt eine in Schweden durchgeführte Vergleichsstudie<br />

zwischen zwei Kohorten unter Basistherapie<br />

bzw. TNF-Blocker (Jacobsson 2005): Hier lag<br />

die Rate akuter kardiovaskulärer Ereignisse in der<br />

Basistherapie-Gruppe bei 35.4, in der TNF-Blocker-<br />

Gruppe bei 14.0 pro 1.000 Patientenjahre.<br />

Steigerung der Arbeitsproduktivität und weitere<br />

Einsparmöglichkeiten durch TNF-Blocker<br />

Rechnerisch lassen sich Einsparpotentiale durch effektivere<br />

Therapiemaßnahmen am Beispiel reduzierter<br />

Krankenhauskosten und verbesserter Arbeitsproduktivität<br />

besonders gut darstellen. Insbesondere<br />

letztere Größe wurde in jüngster Zeit in einigen Studien<br />

intensiv untersucht. Hierunter ist mit der soeben<br />

auf dem europäischen Rheumatologie-Kongress vorgestellten<br />

PROWD-Studie erstmals eine Untersuchung,<br />

bei der Arbeitsplatz-Verlust der primäre Endpunkt<br />

war (Bejarano 2007).<br />

Kontrolliert wurde hier der Verlauf der Arbeitsproduktivität<br />

über 56 Wochen bei 148 Patienten in den beiden<br />

Behandlungsgruppen Mtx + Adalimumab und<br />

Mtx + Placebo verglichen. Der Anteil der Patienten mit<br />

Arbeitsplatzverlust lag in der Mtx-Gruppe mit<br />

39,7 Prozent mehr als doppelt so hoch als in der


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 32<br />

Abb. 2: PREMIER-Studie – Placebo + Mtx vs. Adalimumab+Mtx bei früherer RA – Fortschreiten der<br />

radiologischen Veränderungen in den beiden Monotherapie-Gruppen (Dreieck: Mtx, Raute Adalimumab)<br />

und in der Kombination (Quadrat)<br />

Veränderung vom<br />

Ausgangswert<br />

Adalimumab-Gruppe mit 18,7 Prozent, ebenso der<br />

mittlere Arbeitsplatzverlust mit 18,4 Prozent vs. 8,6<br />

Prozent.<br />

In einer im Rahmen der oben aufgeführten kontrollierten<br />

PREMIER-Studie durchgeführten Begleituntersuchung<br />

bot die mit Adalimumab + Mtx behandelte<br />

Gruppe eine ähnliche Überlegenheit mit durchschnittlich<br />

11.1 Arbeitsausfallstagen im Vergleich zu 24 Tagen<br />

in der Mtx + Placebo-Gruppe (van Vollenhoven<br />

Anteil der noch im Arbeitsleben<br />

stehenden Patienten in [%]<br />

12<br />

10<br />

8<br />

100<br />

6<br />

5,7<br />

** 5,5<br />

4<br />

2<br />

0<br />

3,5<br />

**<br />

2,1<br />

*<br />

0,8<br />

**<br />

3<br />

*<br />

1,3<br />

* 1,9<br />

0 26 52 78 104<br />

Behandlungszeitraum (Wochen)<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

■<br />

◆<br />

▲<br />

Adalimumab + MTX<br />

Adalimumab<br />

MTX<br />

* p


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 33<br />

als in der Basistherapie-Gruppe. Die Wahrscheinlichkeit<br />

einer Berufsaufgabe lag in der Basistherapie-<br />

Gruppe um 64 Prozent höher.<br />

Alle drei frisch publizierten Studien belegen eindrucksvoll<br />

das Einsparpotential der von den reinen<br />

Medikamentenkosten her „teureren“ Therapie über<br />

die deutlich gesteigerte Arbeitsproduktivität. Dabei ist<br />

zusätzlich zu bedenken, dass hier ein Zeitraum von<br />

maximal zwei Jahren untersucht wurde, sich dieser<br />

Vorteil aber bei einer möglicherweise frühzeitig manifesten<br />

und chronischen Erkrankung über Jahrzehnte<br />

auswirken könnte. Dies ist vorerst allerdings in Anbetracht<br />

des noch jungen Therapieprinzips nur zu vermuten.<br />

Eine Vergleichsstudie zweier RA-Kohorten mit fast<br />

identischen Krankheitsmerkmalen aus den Jahren<br />

1998 (vor Zulassung der TNF-Blocker) und 2001 (hier<br />

waren bereits TNF-Blocker-behandelte Patienten integriert)<br />

mit Berechnung der Krankheitskosten stellte<br />

eine Arbeitsgruppe aus Hannover auf dem jüngsten<br />

europäischen Rheumatologie-Kongress vor (Merkesdal<br />

2007).<br />

Wie zu erwarten, lagen die Medikamentenkosten mit<br />

durchschnittlich 1.020 Euro/Patient doppelt so hoch<br />

wie 1998 (510 Euro). Dem standen jedoch gravierende<br />

Einsparungen u.a. in den Bereichen Arbeitsausfall<br />

(1.260 vs. 1.800 Euro) und Krankenhauskosten (560<br />

vs. 1.240 Euro), dazu auch in den Bereichen Invalidität,<br />

Arztbesuche und Kosten für sonstige medizinische<br />

Aufwendungen, gegenüber. Erstmals wird hier in<br />

einem Real-Modell mit konkreten Zahlen unter den<br />

Gegebenheiten des deutschen Gesundheitssystems<br />

demonstriert, dass bei einer Bilanzierung von (bei<br />

TNF-Blocker-Einsatz erhöhten) Medikamentenkosten<br />

und sonstigen für den RA-Patienten relevanten Kostenfaktoren<br />

in der Endbilanz ein Plus herauskommt:<br />

Die durchschnittlichen Gesamtkosten pro RA-Patient<br />

lagen in der Kohorte von 1998 bei 5.570 Euro, im Jahr<br />

2001 bei 3.850 Euro jährlich!<br />

Literatur<br />

Barrett EM, et al. Rheumatology 2000;39:1403-1409.<br />

Bejarano F et al., Ann Rheum Dis 2007; Suppl.1, Abstr.<br />

THU0167.<br />

Breedveld F et al., Arthritis Rheum 2006; 54: 26 -37.<br />

Gabriel SF, Rheum Dis Clin North Am 2001; 27: 269-281.<br />

Goekoop-Ruiterman YPM et al., Arthritis Rheum 2005; 52:<br />

3381-3390.<br />

Grigor C et al., Lancet 2004; 364: 263-269.<br />

Halpern et al., Ann Rheum Dis 2007; Suppl.1, Abstr. THU0152.<br />

Jacobsson L et al., J Rheumatol 2005; 32: 1213 - 1218.<br />

Lacaille D et al, J Rheumatol 2005; 32 : 42-45.<br />

Listing J et al, Arthritis Res Ther 2006; 8: R66.<br />

Manger B et al., Z Rheumatol 2007; Epub Jan 12.<br />

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen<br />

Bessere Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere<br />

die TNF-Blocker-Therapie, erlauben heute für früher<br />

schwer behandelbare zerstörerische und invalidisierende<br />

rheumatische Erkrankungen wie die RA die<br />

Formulierung neuer ehrgeiziger Therapieziele, so der<br />

kompletten Remission.<br />

Ein deutliches Plus an klinischer Wirksamkeit, Destruktions-Verhinderung,<br />

und Lebensqualität für die<br />

Betroffenen im Vergleich zu den früheren Therapieverfahren,<br />

außerdem die Beseitigung der Mortalitäts-<br />

Steigerung, wird allerdings mit höheren Kosten dieser<br />

Therapie erkauft. Über die reine Registrierung der<br />

klinischen Effektivität hinaus tritt deshalb – im Sinne<br />

einer kompletten Kosten-Nutzen-Analyse – die Frage<br />

in den Vordergrund, ob eine solche effektive Therapie<br />

auch Einsparpotenziale beinhaltet.<br />

Solche Einsparungen sind sowohl im Bereich der<br />

direkten Kosten (Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte,<br />

Begleittherapien), als auch insbesondere im<br />

Bereich der indirekten Kosten (Arbeitsproduktivität,<br />

Invalidisierung) zu erwarten. Da unterschiedliche<br />

Adressaten von den Einsparungen profitieren, während<br />

die höheren Medikamentenkosten in erster Linie<br />

die Krankenversicherungen betreffen, sollte es Aufgabe<br />

der Gesundheitspolitik sein, eine zusammenführende<br />

Gesamtanalyse vorzunehmen und hieraus<br />

Schlüsse zu ziehen.<br />

Die wissenschaftliche Erarbeitung valider Daten zur<br />

Kosten-Nutzen-Analyse speziell in der Therapie mit<br />

TNF-Blockern ist in den letzten Jahren immer mehr in<br />

den Mittelpunkt des Interesses getreten. Speziell zur<br />

Zunahme der Arbeitsproduktivität sind dabei in kontrollierten<br />

Studien bereits Daten erarbeitet worden,<br />

die eine deutliche Verbesserung der Arbeitsfähigkeit<br />

und Reduzierung der – in früherer Zeit fast obligatorischen<br />

– Invalidisierung nachhaltig belegen.<br />

© gpk<br />

Maradit-Kremers HM et al., Arthritis Rheum 2005; 52: 722 -<br />

732.<br />

Mau W et al., J Rheumatol 2005;32:721 - 728.<br />

Merkesdal S et al., Ann Rheum Dis 2007; Suppl.1, Abstr.<br />

THU0462.<br />

Michaud K et al., Arthritis Rheum 2005; 52, Suppl., Abstr. 296.<br />

Pincus T et al., Ann Intern Med 1994; 120: 26-34.<br />

Singh G et al., Ann Rheum Dis 2007; Suppl.1, Abstr. OP0106.<br />

Symmons D et al., Rheumatology 2002; 41: 793-800.<br />

Van Vollenhoven et al., Ann Rheum Dis 2007; Suppl.1,<br />

Abstr.THU0216.<br />

Wolfe F et al., Arthritis Rheum 1994; 37: 481 - 494.<br />

Zink A et al., Bundesgesundheitsblatt 2004; 47: 526 - 532.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 34<br />

Volkskrankheit Rheuma<br />

Versorgungsqualität trotz fragwürdiger ökonomischer Anreize<br />

Von Herbert Rebscher<br />

Unter „Rheuma“ versteht der Volksmund ein Bündel<br />

verschiedener Krankheiten. Dieser Beitrag beschäftigt<br />

sich mit der Rheumatoiden Arthritis (RA) als der<br />

häufigsten chronisch-entzündlichen Gelenkerkrankung.<br />

Auch bei genauerer Definition gehört diese zu<br />

den großen Volkskrankheiten. Etwa ein Prozent der<br />

erwachsenen Bevölkerung leidet unter einer RA, wobei<br />

Frauen im Vergleich zu Männern drei- bis viermal<br />

häufiger betroffen sind. Die Erkrankung beginnt vielfach<br />

bereits zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Ab<br />

dem 55. Lebensjahr steigt die Anzahl der Betroffenen<br />

auf rund zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung.<br />

Die Rheumatoide Arthritis verursacht erhebliche direkte<br />

und indirekte Kosten im Gesundheitswesen mit<br />

den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf<br />

das volkswirtschaftliche Produktivitätsergebnis. So<br />

sind z.B. im Jahr 2006 etwa 3.000 Kunden der Deutschen<br />

Angestellten-Krankenkasse (DAK) mit dieser<br />

Diagnose arbeitsunfähig erkrankt. Gut ein Fünftel<br />

hiervon mit einem derart ausgeprägten Schweregrad,<br />

dass die Kasse Krankengeld in mehrstelliger Millionenhöhe<br />

zahlen musste.<br />

Erschwerend kommt bei einer epidemiologischen<br />

Betrachtung hinzu, dass die Erkrankung unabhängig<br />

vom Alter des betroffenen Patienten einen progredienten<br />

Verlauf nimmt und zu stetig steigenden Einschränkungen,<br />

z.B. in der Organisation des täglichen<br />

Lebens des Betroffenen, führt. Deshalb muss im Zentrum<br />

eines jeden innovativen Versorgungsansatzes<br />

rheumatologischer Erkrankungen die frühzeitige Diagnostik<br />

und nachhaltige Behandlung stehen.<br />

Vor dem Hintergrund, dass heute ein großer Teil der<br />

Patienten gar nicht oder nur unzureichend behandelt<br />

wird, hat die DAK sich entschieden, die Versorgung<br />

der an Rheuma Erkrankten zu verbessern. Moderne<br />

Versorgungsangebote sollen den Menschen das Leben<br />

und den Umgang mit ihrer Krankheit erleichtern.<br />

Ziel muss sein, mehr sektorübergreifende und interdisziplinär-fachübergreifende<br />

Versorgungsformen<br />

aufzubauen, um Betroffene frühzeitig zu identifizieren<br />

und schnell einer adäquaten Behandlung zuzuführen.<br />

Dazu gehört auch eine individuelle Begleitung, orientiert<br />

an qualitätsgesicherten Behandlungspfaden.<br />

Dabei muss allen Beteiligten klar sein, dass sich eine<br />

derartige Behandlung der Rheumapatienten über<br />

neue Versorgungsformen zu einem lebenden System<br />

entwickelt, das ständig an den jeweils aktuellen nationalen<br />

und internationalen Leitlinien der Fachgesellschaften<br />

orientiert sein muss.<br />

In diesem Kontext geht es konkret darum,<br />

● eine Kontinuität der Versorgungsabläufe ohne zeitliche<br />

und inhaltliche Brüche,<br />

● eine signifikante und messbare Verringerung der<br />

Krankheitsaktivität,<br />

● eine anhaltende und messbare Besserung von<br />

Funktionsdefiziten,<br />

● eine Steigerung der Lebensqualität und Leistungsfähigkeit,<br />

● eine Vermeidung bzw. eine Verkürzung von vollstationären<br />

Krankenhausaufenthalten,<br />

● eine Minderung von Arbeitsunfähigkeitszeiten<br />

sowie<br />

● eine Verringerung der Schmerzintensität bzw.<br />

Verlängerung der schmerzfreien Zeiträume<br />

zu erreichen.<br />

Mangel an Rheumatologen<br />

Nach den vom deutschen Rheumaforschungszentrum<br />

Berlin vorgelegten Zahlen betrug die Zeitspanne<br />

zwischen Diagnostik und Einbindung fachärztlicher<br />

Kapazitäten im Jahr 2004 durchschnittlich 1,1 Jahre.<br />

Demnach besteht ein wesentliches Problem zweifelsfrei<br />

in den lediglich begrenzt zur Verfügung stehenden<br />

fachärztlichen Kapazitäten für rheumatologische Erkrankungen.<br />

Von großer Bedeutung ist deshalb, dass im Bereich<br />

der hausärztlichen Versorgung stärker als bisher<br />

durch spezielle Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen<br />

neue Behandlungsressourcen geschaffen werden.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 35<br />

Entsprechende Schulungsangebote wurden bereits<br />

entwickelt, z.B. durch die Deutsche Rheumaliga in<br />

Kooperation mit dem Hausärzteverband, dem Berufsverband<br />

Deutscher Rheumatologen und der Rheumaakademie.<br />

Durch die gezielte prä- und postfachärztliche Einbindung<br />

dieser hausärztlichen Strukturen und damit die<br />

Schaffung eines neuen Versorgungsangebotes im<br />

hausärztlichen Bereich für rheumatische Patienten,<br />

wird eine frühzeitige Diagnostik und eine qualitativ<br />

hochwertige Langzeitbehandlung sichergestellt.<br />

Die DAK geht von der Erkenntnis aus, dass eine<br />

Behandlung, die früher und intensiver einsetzt, den<br />

Krankheitsverlauf deutlich verbessert. Die intensivere<br />

Einbeziehung des hausärztlichen Bereichs in die Versorgung<br />

führt u. a. zu Entlastungen rheumatologischer<br />

Schwerpunktpraxen mit der Folge, dass der<br />

Zugang zur fachärztlichen Behandlung schneller<br />

möglich wird und die bislang üblichen Wartezeiten<br />

erheblich reduziert werden können. Die Patienten der<br />

rheumatologischen Schwerpunktpraxis profitieren<br />

dadurch von einer spürbaren Steigerung der Behandlungsqualität.<br />

Ein weiteres erhebliches Plus: Eine frühe Diagnosestellung<br />

und Basistherapie könnte den Einsatz teurer<br />

Medikation spürbar hinauszögern oder sogar verhindern.<br />

In der heutigen Versorgungssituation mit fehlenden<br />

Basistherapien werden vermehrt teure Biologikals<br />

eingesetzt, deren Jahrestherapiekosten etwa<br />

20.000 Euro je Patient betragen.<br />

Von großer Bedeutung ist dabei die Implementierung<br />

leistungsstarker Netzwerke von medizinischen Einrichtungen,<br />

die für Patienten mit Rheumatoider Arthritis<br />

mit der Wahrnehmung der medizinischen Endpunktverantwortung<br />

betraut werden. Sollte darüber<br />

hinaus auch noch die Einführung eines Rheuma-Registers<br />

realisiert werden, würde dieses die medizinischen<br />

Endpunkte, also die Ergebnisse der Behandlung<br />

vergleichbar machen, was eine hohe Qualitätssteigerung<br />

in der Behandlung dieser Krankheit bedeuten<br />

könnte.<br />

Versorgungsmodelle der geschilderten Art – von denen<br />

die DAK bundesweit in ähnlicher Form Verträge<br />

im Rahmen der Integrierten Versorgung nach den<br />

§§ 140 a ff. SGB V realisiert – waren gerade in der Zeit<br />

seit Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes<br />

(GMG) 2004 ein geeignetes Mittel, das Leistungsportfolio<br />

oberhalb des gesetzlichen Leistungsrahmens<br />

einer gesetzlichen Krankenkasse zu erweitern<br />

und deren Profil zu schärfen.<br />

Insofern bilden Selektivverträge, zu denen neben den<br />

Kontrakten zur Integrierten Versorgung u.a. auch kassenindividuelle<br />

Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung<br />

zählen, eine Möglichkeit der Positionierung<br />

einer Kasse im Wettbewerb. Die DAK hat diese Herausforderung<br />

angenommen und gehört mit derzeit<br />

etwa 330 Verträgen für unterschiedlichste Indikationen<br />

in dieser Hinsicht zu den führenden Krankenkassen<br />

in Deutschland.<br />

Falsche Anreize für Wettbewerb um<br />

Versorgungsqualität<br />

Bei der Betrachtung bestehender Analysen der deutschen<br />

Gesundheitsversorgung stößt man jedoch auf<br />

einen seltsamen Widerspruch, der Auswirkungen auf<br />

den Wettbewerb zwischen den Kassen haben kann:<br />

Nach Angabe des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />

im Gesundheitswesen (IQWiG) bescheinigen<br />

die Patienten dem deutschen Gesundheitssystem<br />

eine hohe Qualität. Gleichzeitig sehen aber auch<br />

85 Prozent der Patienten eine große, wenngleich völlig<br />

unspezifisch fundierte Veränderungsnotwendigkeit<br />

innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

(GKV).<br />

Daraus folgt, dass das deutsche GKV-System kein<br />

Qualitätsproblem, sondern ein Problem der Finanzierung<br />

und der Verteilung dieser Qualität hat. Die gesetzgeberischen<br />

Maßnahmen zur Organisation der<br />

GKV müssen also auf die Sicherung der Finanzierung<br />

und die damit verbundene nachhaltige Sicherung der<br />

Qualität zielen.<br />

Das seit dem 1. April 2007 in Teilen in Kraft getretene<br />

GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) erfüllt<br />

diese Ansprüche nicht, sondern bewirkt vielmehr<br />

das Gegenteil. Durch das GKV-WSG werden die vorhandenen<br />

Defizite der Finanzierung der sozialen<br />

Krankenversicherung nicht gelöst. Die in diesem Zusammenhang<br />

geäußerte heftige Kritik des Sachverständigenrates<br />

zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen<br />

Entwicklung überrascht dementsprechend<br />

wohl niemanden.<br />

Darüber hinaus setzt das GKV-WSG falsche Anreize<br />

für einen funktionierenden, auf Versorgungsqualität<br />

gerichteten Wettbewerb: z.B. mit der Einführung des<br />

Gesundheitsfonds. Dieser Fonds schafft zunächst ein<br />

zentrales Wettbewerbsinstrument ab: nämlich den<br />

unterschiedlichen Preis für ein unterschiedliches Produkt<br />

– und damit den „Preis für Leistung“.<br />

Ebenfalls eliminiert wird das autonome Handeln<br />

des Unternehmens, diesen Preis zu kalkulieren, fest-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 36<br />

zusetzen und im Wettbewerb zu verantworten. Es<br />

werden gesellschaftliche Instanzen und demokratisch<br />

legitimierte Akteure zugunsten staatlicher Vereinheitlichungsbestrebungen<br />

eingeschränkt. Vereinheitlichung<br />

aber widerspricht Wettbewerb. Wettbewerb<br />

ent- und besteht ausschließlich im Pluralismus.<br />

Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz hält somit<br />

nicht das, was sein Name verspricht, sondern<br />

schränkt im Gegenteil einen fairen Wettbewerb um die<br />

beste Qualität ein. Die allgemeine Konsequenz für die<br />

gesetzlichen Krankenkassen: Innovationen werden<br />

behindert, die Versorgungsqualität gerät unter Druck.<br />

Auf dem Weg zu einer intensiveren<br />

Versorgung von Rheumapatienten<br />

Rheumatische Erkrankungen aus der Sicht des Wissenschaftlichen Institutes der TK<br />

für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG)<br />

Von Eva Susanne Dietrich<br />

Geschätzte 0,5 bis 1 % der Bevölkerung, und damit<br />

zwischen 350.000 und 700.000 gesetzlich Versicherte<br />

(GKV), leiden in Deutschland an Rheumatoider<br />

Arthritis (RA). Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass<br />

die Inzidenz der Rheumatoiden Arthritis abgenommen<br />

hat (1). Bei nicht allen Patienten gelingt es, das<br />

Fortschreiten der Gelenkschädigung zu reduzieren<br />

und die eingeschränkte Lebensqualität wiederherzustellen.<br />

Die Gründe werden teils im Fehlen, teils in der<br />

unzureichenden Umsetzung optimaler Therapiekonzepte<br />

gesehen. Der folgende Beitrag möchte letztgenannten<br />

Aspekt näher beleuchten.<br />

Die direkten Kosten der Rheumatoiden Arthritis lagen<br />

pro Patient und Jahr nach Berechnungen von Mittendorf<br />

et al. im Mittel bei 2.300 Euro in 2001 (Median:<br />

850 Euro) (2). Huscher et al. berechneten davon abweichend<br />

– ebenfalls bei Fachärzten – mittlere Kosten<br />

von 4.730 Euro pro Jahr und Patient für 2002 (Median:<br />

2.260 Euro) (3). Die unterschiedlichen Werte resultieren<br />

insbesondere aus fast doppelt so hohen Arzneimittelkosten<br />

und achtfach höheren Krankenhaus-<br />

Die vorgesehene Zusatzprämie wirkt, wie hinreichend<br />

analysiert, wettbewerblich hoch kontraproduktiv und<br />

qualitätsgefährdend.<br />

Davon sind insbesondere chronisch Kranke, wie beispielsweise<br />

Rheumapatienten, betroffen. Die DAK als<br />

Versorgerkasse allerdings wird sich in diesem Zusammenhang<br />

versorgungsorientiert verhalten und auch<br />

weiterhin als Innovationsführer die Versorgung z.B.<br />

rheumatologisch erkrankter Menschen sichern, trotz<br />

der politisch kurzsichtigen Charakterisierung der Zusatzprämie<br />

als Maß für Unwirtschaftlichkeit.<br />

© gpk<br />

kosten in der Analyse von Huscher et al. Während<br />

Mittendorf et al. maßgeblich auf Datensätze der AOK<br />

Niedersachsen und der Kassenärztlichen Vereinigung<br />

Niedersachsen zurückgriffen, bildeten Angaben<br />

von Ärzten und Patienten sowie diverse Annahmen<br />

eine wichtige Grundlage der Berechnungen von Huscher<br />

et al. (Abbildung S. 37).<br />

Der Anteil von Medikamenten an den gesamten direkten<br />

medizinischen Kosten lag in der Untersuchung<br />

von Mittendorf et al. bei 45 %, bei Huscher et al. bei<br />

39 % (3, 4). Der vergleichsweise hohe Anteil im Vergleich<br />

zu älteren Studien liegt nach Aussage der Autoren<br />

im zunehmend breiteren Einsatz von TNF-alfa-<br />

Inhibitoren (2).<br />

Dies bestätigt sich bei einem Blick auf das Verordnungsspektrum<br />

ausgewählter Medikamente, die in<br />

der Therapie der Rheumatoiden Arthritis in Deutschland<br />

eingesetzt werden. Die Zahl der verordneten<br />

Tagestherapiedosen ist bei Methotrexat zwischen<br />

2000 und 2005 um 170 % gestiegen, bei Leflunomid


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 37<br />

Sonstige; 225; 10%<br />

Rehabilitation;<br />

65; 3%<br />

Krankenhaus<br />

(mit OP);<br />

215; 9%<br />

Krankenhaus<br />

(ohne OP);<br />

276; 12%<br />

Heil- und Hilfsmittel;<br />

168; 7%<br />

Diagnostische und<br />

therapeutische<br />

Maßnahmen;<br />

185; 8%<br />

Arztbesuche;<br />

323,5; 14%<br />

Basistherapie;<br />

722,7; 31%<br />

Steroide; 46,9; 2%<br />

NSAR; 84; 4%<br />

Abbildung: Zusammensetzung der direkten<br />

Kosten bei Rheumatoider Arthritis<br />

Angaben in Euro (2)<br />

um 75 %. Bei Etanercept findet sich seit 2003 ein<br />

Zuwachs um über 40 %. Insgesamt wurden in 2005<br />

fünfzehn Millionen Tagestherapiedosen Leflunomid,<br />

Etanercept, Infliximab und Adalimumab verordnet (5).<br />

Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend in<br />

2006 und 2007 fortgesetzt hat.<br />

Auf TNF-alfa-Inhibitoren entfielen fast sieben Millionen<br />

Tagestherapiedosen, mit denen theoretisch<br />

19.000 Patienten ganzjährig therapiert werden könnten.<br />

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)<br />

berechnete vor einigen Jahren den finanziellen Mehrbedarf<br />

für eine leitliniengerechte Therapie der Rheumatoiden<br />

Arthritis und legte dabei für das Jahr 2001<br />

eine Zahl von 27.000 Patienten zugrunde, die von<br />

diesen Präparaten profitieren könnten (6). Sowohl<br />

Firmen als auch KBV gingen damals von unter 5.000<br />

bereits therapierten Patienten aus. Seit 2001 hat sich<br />

die Versorgungssituation hier somit deutlich verändert.<br />

Dieser Trend hin zu einer Therapie nach den Leitlinien<br />

der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie zeichnet<br />

sich auch bei anderen Indikatoren ab, für die<br />

Zeitverläufe vorliegen.<br />

Zwar wurden in 2001 nur 20 % der Patienten beim<br />

Facharzt behandelt (7). Doch die Anzahl der an der<br />

vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Internisten<br />

mit der Zusatzbezeichnung Rheumatologie hat<br />

zwischen 2001 und 2006 von 487 auf 587, und da-<br />

mit um 20 % zugenommen (zum Vergleich: Gesamtentwicklung<br />

Vertragsärzte im gleichen Zeitraum<br />

+3 %) (8).<br />

Die Krankheitsdauer bis zum ersten Besuch eines<br />

Facharztes ist parallel dazu in den letzten Jahren<br />

beständig gesunken. Lag sie 1993 noch bei zwei<br />

Jahren (9), so betrug sie 1998 schon 1,7 (10) und<br />

1999 sogar nur 1,5 Jahre (10).<br />

Auch Basistherapeutika kommen verstärkt zum Einsatz.<br />

Zwar setzten Hausärzte in 2001 nur bei 38 % der<br />

Patienten Basistherapeutika ein (11), doch war die<br />

Rate bei Fachärzten mit 91 % sehr hoch und allein seit<br />

1998 um 4 % gestiegen (12). Während 1995 nur 45 %<br />

der Fachärzte auf Methotrexat zurückgriffen (9), waren<br />

es 1999 bereits 57 % (9), was Zahlen aus den<br />

USA entspricht (13).<br />

Das Gleiche gilt für Glucocorticoide, die 2001 von<br />

60 % der Fachärzte eingesetzt wurden (14) (international:<br />

60 % (13). 1998 wurden sie von 57 % der<br />

Fachärzte und 35,5 % der Hausärzte verordnet (10).<br />

NSAR kamen 2001 nur noch bei 54 % der Fachärzte<br />

(14 ) zum Einsatz im Vergleich zu 61,6 % in 1998<br />

(Hausärzte in 1998: 51,7 %) (12).<br />

Diese Entwicklung fand ungeachtet der hohen Jahrestherapiekosten<br />

(Tabelle) und der nicht zu vernachlässigenden<br />

Risiken eines Einsatzes der Biologika<br />

statt.<br />

Die Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen unter<br />

Biologika liegt bei 22,6 pro 100 Patientenjahre<br />

Tabelle: Jahrestherapiekosten ausgewählter<br />

Arzneimittel<br />

Wirkstoff Jahrestherapiekosten<br />

Methotrexat oral 96–150 Euro<br />

Sulfasalazin 382 Euro<br />

Parenterales Gold 558 Euro<br />

Leflunomid 948–1333 Euro<br />

Ciclosporin 4226 Euro<br />

Infliximab 20.061 1 – 41.415 Euro<br />

Etanercept 22.845 Euro<br />

Adalimumab 22.845 1 –45.690 Euro 2<br />

1 Kombination bei dieser Dosis obligat; Kosten müssen dazu gerechnet werden.<br />

2 Monotherapie<br />

Quelle: Therapiehinweis des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />

(G-BA) zu Leflunomid; Beschluss vom<br />

16.8.2007


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 38<br />

vs. 6,8 unter Kontrollen, die Raten für schwere Ereignisse<br />

bei über 6 vs. 2,3 (15). Die iatrogenen Kosten<br />

durch Nebenwirkungen sind für die Biologika noch<br />

nicht bekannt.<br />

Es bleibt festzuhalten, dass die Versorgung von Patienten<br />

mit Rheumatoider Arthritis zunehmend intensiviert<br />

wird, was jedoch auch mit steigenden Kosten<br />

und einem erhöhten Risiko von unerwünschten Ereignissen,<br />

das für die neueren Präparate noch nicht in<br />

vollem Umfang abzuschätzen ist, verbunden ist.<br />

Valide Zahlen zur Versorgung im hausärztlichen Sektor<br />

sowie replizierbare Erfassungen der tatsächlich<br />

entstehenden Kosten fehlen bisher. Die gegenwärtigen<br />

Zahlen aus Deutschland zu den Ausgaben, die<br />

unmittelbar im Zusammenhang mit der Behandlung<br />

der Rheumatoiden Arthritis stehen, sind widersprüchlich.<br />

Der Einsatz von Arzneimitteln, die auch in der alten<br />

und neuen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für<br />

Rheumatologie empfohlen werden, schreitet jedoch<br />

voran und wird möglicherweise durch das 2005 von<br />

der Fraunhofer Gesellschaft entwickelte IT-Tool weiter<br />

vorangetrieben werden.<br />

Literatur<br />

1 Schneider M. Lelgemann M, Abholz HH, Caratti R et al.<br />

DGRh-Leitlinie: Management der frühen rheumatoiden<br />

Arthritis. Steinkopff Verlag, Darmstadt. 2007<br />

2 Mittendorf T, Graf von der Schulenburg JM. Gesundheitsökonomie<br />

am Beispiel rheumatischer Erkrankungen.<br />

Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz<br />

2006; 49: 40-5<br />

3 Huscher D, Merkesdal S, Thiele K, Zeidler H, Schneider<br />

M, Zink A, for the German Collaborative Arthritis Centres.<br />

Cost of illness in rheumatoid arthritis, ankylosing spondylitis,<br />

psoriatic arthritis and systemic lupus erythematosus<br />

in Germany. Ann Rheum Dis 2006; 65: 1175-83<br />

4 Ruof J, Hülsemann J, Mittendorf T et al. Costs of rheumatoid<br />

arthritis in Germany: a micro-costing approach based<br />

on healthcare payer’s data sources. Ann Rheum Dis<br />

2003; 62: 372-9<br />

5 Schwabe U, Paffrath D. Arzneiverordnungsreport 2006.<br />

Berlin, Heidelberg. Springer Verlag 2006<br />

6 Dietrich ES, Schoop S, Bartmann P, Fuchs B. Arzneimitteltherapie<br />

in Deutschland – Bedarf und Realität. KBV-<br />

Kontext März 2003<br />

7 Zink A. Z Die Kerndokumentation als Instrument der<br />

Erfassung, Steuerung und Qualitätssicherung neuer<br />

Therapien der rheumatoiden Arthritis. Rheumatologie<br />

2001; 60: 469-472<br />

8 http://daris.kbv.de/daris.asp<br />

Eine Bewertung, ob der gegenwärtige Einsatz der<br />

empfohlenen Medikamente tatsächlich den Leitlinien<br />

entspricht und angemessen sowie wirtschaftlich nach<br />

den Vorgaben des SGB V ist, ist ohne eine Betrachtung<br />

des Einzelfalls an dieser Stelle nicht möglich.<br />

Hierzu müssten weitere Faktoren wie der Einsatz von<br />

Kombinations- und Monotherapien, Dosierung und<br />

Dauer des Therapieversuchs mit Berücksichtigung<br />

finden.<br />

Es bleibt abzuwarten, ob die Therapiehinweise des<br />

Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu Adalimumab<br />

vom 21. November 2006, der neue Therapiehinweis<br />

zu Leflunomid oder die Informationen der<br />

KBV nach § 73 Abs. 8 SGB V („Wirkstoff aktuell“), die<br />

sich alle für eine Behandlung durch einen erfahrenen<br />

Facharzt aussprechen, einen Einfluss auf die aktuelle<br />

Entwicklung nehmen und im Zusammenspiel mit den<br />

Leitlinien zu einer rationalen und optimierten Versorgung<br />

der Patienten beitragen werden.<br />

Für die Unterstützung bei der Recherche möchte ich<br />

mich bei Frau Heidrun Tewes und Frau Dr. Susanne<br />

Ahrens bedanken.<br />

© gpk<br />

9 Zink A, Huscher D. Long-term studies in rheumatoid<br />

arthritis – the German experience. J Rheumatol 2004; 31<br />

Suppl. 69: 22-26<br />

10 Zink A, Listing J, Klindworth C, Zeidler H, for the German<br />

Collaborative Arthritis Centres. The national database of<br />

the German Collaborative Arthritis Centres: I. Structure,<br />

aims, and patients. Ann Rheum Dis 2001; 60: 199-206<br />

11 Zink A, Mau W, Schneider M. Epidemiologische und<br />

sozialmedizinische Aspekte entzündlich-rheumatischer<br />

Systemerkrankungen. Internist 2001; 42: 211-222<br />

12 Zink A, Listing J, Niewerth M, Zeidler H, for the German<br />

Collaborative Arthritis Centres. The National Daabase of<br />

the German Collaborative Arthritis Centres. II. Treatment<br />

of patients with rheumatoid arthritis. Ann Rheum Dis<br />

2001; 60: 207-13<br />

13 Sokka T, Pincus T. Contemporary disease modifying antirheumatic<br />

drus (DMARDS) in patients with recent onset<br />

rheumatoid arthritis in a US private practice: methotrexate<br />

as the anchor drug in 90% and DMARD in 30% of<br />

patients. J Rheumatol 2002; 29: 2521-4<br />

14 Thiele K, Buttgereit F, Huscher D, Zink A fort he German<br />

Collaborative Arthritis Centres. Current use of glucocorticoids<br />

in patients with rheumatoid arthritis in Germany.<br />

Arthritis & Rheumatism 2005; 53: 740-7<br />

15 Listing J, Strangfeld A, Kary S, Rau R et al. Infections in<br />

patients with rheumatoid arthritis treated with biologic<br />

agents. Arthritis & Rheumatism 2005; 52: 3403-3412


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 39<br />

Volkskrankheit Rheuma aus sozialmedizinischer<br />

Sicht<br />

Durch Verbesserung der Versorgung sind Kosteneinsparungen durchaus möglich<br />

Von Ina Ueberschär und Hans-Werner Pfeifer<br />

Entzündlich-rheumatische Erkrankungen besitzen im<br />

Vergleich zu anderen, ähnlich häufigen und chronisch<br />

verlaufenden Erkrankungen eine besonders hohe<br />

sozialmedizinische Relevanz. Dies liegt vor allem<br />

auch in der Tatsache begründet, dass die Betroffenen<br />

meist noch relativ jung sind und mitten im Erwerbsleben<br />

oder sogar noch vor ihrem Start ins Berufsleben<br />

stehen. Bei den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen<br />

handelt es sich nicht um Krankheiten des<br />

älteren Menschen.<br />

Rheuma ist keine Alte-Leute-Krankheit<br />

Das Manifestationsalter der Rheumatoiden Arthritis<br />

(RA) liegt bei einem Gipfel zwischen dem 40. bis 50.<br />

Lebensjahr und betrifft immerhin ein Prozent der Bevölkerung,<br />

wobei Frauen bekanntermaßen zwei- bis<br />

dreimal häufiger als Männer betroffen sind. Die Spondylitis<br />

ankylosans, der Morbus Bechterew, manifestiert<br />

sich bei jüngeren Männern zwischen dem 17.<br />

und 35. Lebensjahr mit einer Inzidenz von 1 zu 1.000.<br />

Die juvenilen Arthritiden treten sogar bereits im Kindes-<br />

und Jugendalter auf. Immerhin sind in Deutschland<br />

12.000 bis 15.000 Kinder pro Jahr betroffen.<br />

Jedes Jahr erkranken damit ebenso viele Kinder an<br />

chronisch-entzündlichem Rheuma wie an Leukämie.<br />

Neben dem individuellen Krankheitsschicksal mit Einschränkungen<br />

bezüglich Lebensqualität, Teilhabe<br />

und Lebenserwartung entstehen auch für die Solidargemeinschaft<br />

und die Volkswirtschaft durch diese<br />

Krankheitsgruppe erhebliche Kosten. Als Beispiele<br />

seien hier nur die Fehlzeiten am Arbeitsplatz infolge<br />

von häufiger und längerer Arbeitsunfähigkeit, die Arztkosten,<br />

die Kosten für stationäre Aufenthalte, die nicht<br />

unerheblichen Kosten für Medikamente, Krankengeld,<br />

Heil- und Hilfsmittel sowie für Leistungen zur<br />

medizinischen Rehabilitation und für Leistungen zur<br />

Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) bis hin zu Erwerbsminderungsrenten<br />

und Pflegegeld erwähnt.<br />

Trotz bzw. durch teure Medikamente Kosteneinsparungen<br />

durchaus möglich<br />

Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen,<br />

an der Spitze die Rheumatoide Arthritis, gehören<br />

zu den teuersten Patienten überhaupt. Die Kosten<br />

belaufen sich in Deutschland, aber auch in anderen<br />

vergleichbaren entwickelten Industrieländern, wie in<br />

Schweden oder in den USA, bereits unter der bisherigen<br />

Standardtherapie auf mehr als 5.000 Euro direkter<br />

Krankheitskosten pro Patient und Jahr und auf<br />

mehr als 10.000 Euro indirekter Krankheitskosten<br />

(Arbeitslosengeld, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,<br />

Frühberentung usw.).<br />

Doch hier ist durchaus ein Kosteneinsparungspotenzial<br />

gegeben. Bei einer konsequenten fachärztlichen<br />

Behandlung bei einem internistischen Rheumatologen<br />

ließen sich durch eine Verzögerung der Progredienz<br />

Folgeschäden vermeiden oder zumindest<br />

verzögern. Profitieren würden sowohl der Rheumapatient<br />

als auch die Solidargemeinschaft: eine klassische<br />

Win-Win-Situation.<br />

Oft vergeht auch im Vorfeld der Diagnosestellung<br />

noch zu viel wertvolle Zeit. Die notwendige Therapie<br />

beginnt damit zu spät. Ein schneller Termin<br />

beim Rheumatologen garantiert Patienten mit Frühformen<br />

entzündlich-rheumatischer Erkrankungen eine<br />

schnelle Diagnose und die bestmögliche Therapie und<br />

vermeidet damit Folgeschäden und somit Kosten.<br />

Unter- und Fehlversorgung beenden<br />

Leider finden in Deutschland viele Patienten mit entzündlich-rheumatischen<br />

Erkrankungen erst sehr spät<br />

oder gar nicht zum Rheumatologen. So sind in<br />

Deutschland von den betroffenen Patienten tatsächlich<br />

nur 10 bis 20 Prozent bei einem internistischen<br />

Rheumatologen in Behandlung. Mehr als die Hälfte<br />

der Patienten mit einer Rheumatoiden Arthritis erreichen<br />

bislang den Rheumatologen während des ge-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 40<br />

samten Krankheitsverlaufs nicht. Ein Großteil der Patienten<br />

mit RA, Morbus Bechterew oder einer Psoriasarthritis<br />

befinden sich nach wie vor ausschließlich in<br />

hausärztlicher Betreuung.<br />

Hier ist die Zusammenarbeit zwischen den Hausärzten<br />

und den Rheumatologen im Interesse der betroffenen<br />

Rheumapatienten weiter zu verbessern und zu<br />

vernetzen. Integrierte Versorgungsmodelle sind der<br />

Weg in die richtige Richtung. Dabei darf nicht übersehen<br />

werden, dass neben den beschriebenen kurativen<br />

Versorgungsmängeln weiterhin auch die rehabilitative<br />

Versorgung der Rheumapatienten defizitär ist.<br />

Die dazu in einer Studie des Instituts für Sozialmedizin<br />

der Universität Schleswig-Holstein Lübeck beschriebene<br />

geringe Rehabilitationsbereitschaft auf<br />

Patientenseite mit einem Respons von nur 31,3 Prozent<br />

nach Rehabilitationsangebot muss durch eine<br />

Verbesserung der Patienteninformation angehoben<br />

werden. Die von Sozialmedizinern seit Jahren immer<br />

wieder erhobene Forderung, die in Deutschland bekannte<br />

Unter- und Fehlversorgung von Patienten mit<br />

entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zu beseitigen,<br />

bleibt aktuell.<br />

Kosten-Nutzen der neuen hochwirksamen<br />

Rheumamedikamente<br />

Die Therapiemöglichkeiten der entzündlich-rheumatischen<br />

Erkrankungen haben sich gerade in den letzten<br />

Jahren durch die innovative Entwicklungen neuer<br />

hochwirksamer Medikamente (Biologika bzw. TNF-<br />

Blocker) weiter deutlich verbessert, allerdings profitieren<br />

noch längst nicht alle Patienten von diesen neuen<br />

Möglichkeiten.<br />

Obwohl die neuen hochwirksamen Medikamente<br />

deutlich teurer sind, dürfte sich der Einsatz nicht nur<br />

für den Patienten durch Verbesserung seiner Lebensqualität,<br />

sondern auch für die Kostenträger lohnen<br />

und damit „rechnen“. Studien konnten belegen, dass<br />

durch den frühzeitigen Einsatz der TNF-alpha-Blocker<br />

die Remissionsrate deutlich erhöht werden konnte.<br />

Remission und damit Krankheitsstillstand in einer solchen<br />

frühen Krankheitsphase bedeutet, dass der Patient<br />

sein normales Leben einschließlich seiner bisherigen<br />

Berufstätigkeit uneingeschränkt auf Dauer<br />

oder zumindest für einen längeren Zeitraum weiterführen<br />

kann.<br />

Bei Patienten, die dagegen unzureichend behandelt<br />

werden oder gar unbehandelt bleiben, kommt es infolge<br />

der Progredienz rasch zu Gelenkzerstörungen<br />

und -deformierungen mit entsprechenden negativen<br />

Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens<br />

und auf das Berufsleben. Längere Arbeitsunfä-<br />

higkeitszeiten mit entsprechenden volkswirtschaftlichen<br />

Produktionsausfällen sind die Folge. Die gesetzlichen<br />

Krankenkassen werden durch Kosten für Krankengeld<br />

und für gehäufte ambulante und stationäre<br />

Behandlungen belastet.<br />

Häufig ist infolge der eingetretenen Behinderungen<br />

ein Verbleib am bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr<br />

möglich. Arbeitslosigkeit infolge des Verlusts des Arbeitsplatzes<br />

und entsprechende Kosten für Arbeitslosengeld<br />

oder andere Lohnersatzleistungen sind die<br />

Folge. Für den einmal arbeitslos gewordenen Rheumatiker<br />

dürfte es nicht selten sehr schwer sein, wieder<br />

ins Arbeitsleben zurückzukehren. In vielen Regionen<br />

Deutschlands sind nicht einmal für gesunde und voll<br />

belastbare Arbeitssuchende ausreichend Arbeitsplätze<br />

vorhanden.<br />

Selbst bei einer entsprechenden großzügigen Gewährung<br />

von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben<br />

im Rahmen einer beruflichen Rehabilitation<br />

ist die Reintegration ins Arbeitsleben bei Patienten<br />

mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen nicht<br />

leicht. Gerade bei jüngeren Menschen wird häufig<br />

eine berufliche Neuorientierung mit einer Umschulung<br />

in einen für den Rheumatiker geeigneten Beruf<br />

angezeigt sein.<br />

Solche Umschulungen verursachen nicht selten Kosten<br />

in sechsstelligen Eurobeträgen, die von der Deutschen<br />

Rentenversicherung oder der Bundesagentur<br />

für Arbeit, als dem zuständigen Rehabilitationsträger,<br />

aus Beiträgen der Solidargemeinschaft zu begleichen<br />

sind. Neben den Kosten für eine berufliche Rehabilitation<br />

fallen zusätzlich Kosten für medizinische Rehabilitationen<br />

sowie für Heil- und Hilfsmittel an. Bei einem<br />

rasch progredienten Verlauf können Leistungen zur<br />

Rehabilitation auch in kürzeren Intervallen notwendig<br />

werden.<br />

Bisher nehmen aber nur 12 bis 13 Prozent der rheumatologisch<br />

betreuten Patienten stationäre Rehabilitationsleistungen<br />

in Anspruch – ein erheblicher Teil<br />

der Patienten, wie Studien von Raspe et al. nachwiesen,<br />

nie. Andererseits werden einem Teil der Patienten<br />

erst in einer Rehabilitationsklinik wichtige ergänzende<br />

Maßnahmen wie Ergotherapie und Patientenschulungen<br />

zugänglich gemacht.<br />

Ist die Krankheit erst einmal so weit fortgeschritten,<br />

dass eine Leistungsfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt<br />

und damit eine volle Erwerbsfähigkeit nicht<br />

mehr gegeben sind bzw. durch Rehabilitation nicht<br />

wieder erreicht werden können, entstehen hohe Kosten<br />

im Zusammenhang mit der zu zahlenden Erwerbsminderungsrente.<br />

Eine prospektive multizentrische<br />

Langzeitstudie des Rehabilitationswissenschaftlichen<br />

Forschungsverbundes Niedersachsen/Bremen


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 41<br />

über einen Zeitraum von acht Jahren zeigte, dass bei<br />

jedem vierten Patienten innerhalb der ersten sechseinhalb<br />

Krankheitsjahre mit der Frühberentung zu<br />

rechnen ist. Auch hier ist im Durchschnitt von Geldleistungen<br />

von 100.000 Euro pro Rentenfall auszugehen.<br />

Gegebenenfalls sind noch Leistungen aus der<br />

Pflegeversicherung notwendig.<br />

Immer auch Folgekosten und ethische Aspekte<br />

beachten<br />

Bei einer Kosten-Nutzen-Analyse und der Betrachtung<br />

der hohen Therapiekosten ist immer die Betrachtung<br />

der Folgekosten notwendig. Dies muss auch<br />

dann gelten, wenn für die Folgekosten infolge des<br />

gegliederten deutschen Sozialversicherungssystems<br />

ein anderer Sozialleistungsträger zuständig ist. Eine<br />

Kosten-Nutzen-Analyse muss immer die volkswirt-<br />

Literatur<br />

Bräuer W, Merkesdal S, Mau W: Langzeitverlauf und Prognose<br />

der Erwerbsfähigkeit im Frühstadium der chronischen Polyarthritis.<br />

Z. Rheumatol 2002; 61: 426-434<br />

Mau W: Wissenschaftliches Gutachten für die Enquetekommission<br />

„Zukunft einer frauengerechten Gesundheitsversorgung<br />

in NRW“ des Landtages von Nordrhein-Westfalen, 2004<br />

Mau W, Bornmann M, Weber H et al.: Die Prognose der frühen<br />

chronischen Polyarthritis und ihre beruflich-sozialen Folgen.<br />

Z. Rheumatol 1998; 57: 251-354<br />

Schneider M et al: DGRh-Leitlinie zum Management der frühen<br />

rheumatoiden Arthritis, 2. überarbeitete Auflage, Steinkopff,<br />

Darmstadt, 2007<br />

Leitlinien zur Rehabilitationsbedürftigkeit bei Erkrankungen<br />

des Stütz- und Bewegungsapparates, Stand 2003, unter<br />

www.deutsche-rentenversicherung-bund.de<br />

<strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong><br />

gpk<br />

<strong>Kommentare</strong><br />

ISSN: 0016–9102<br />

Herausgeber: <strong>Leo</strong> <strong>Schütze</strong> und<br />

Erich Schwaiger<br />

Redaktion: <strong>Leo</strong> <strong>Schütze</strong> (Chefredakteur),<br />

Dr. Rudolf Hammerschmidt (verantwortlich),<br />

Dr. Franz-Josef Bohle, Günther Sauerbrey,<br />

Erich Schwaiger<br />

Umbruch: Wolfgang Laack<br />

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Zu wichtigen Themen erscheinen Sonderausgaben.<br />

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Die mit Verfassernamen oder Abkürzungen gekennzeichneten<br />

Artikel geben nicht in jedem Fall<br />

die Auffassung der Redaktion wieder.<br />

Die mit gpk gekennzeichneten Anmerkungen<br />

stammen von der Redaktion, nicht vom Verfasser.<br />

Nachdruck zu den üblichen Honorarbedingungen<br />

nur nach Zustimmung durch die Redaktion.<br />

Zitierung nur mit Quellenangabe.<br />

schaftlichen Gesamtkosten im Fokus haben und nicht<br />

nur die Kosten des den Sozialmediziner befragenden<br />

Sozialleistungsträgers.<br />

Heute eingesparte Medikamenten- oder Rehabilitationskosten<br />

können uns allen morgen teuer zu stehen<br />

kommen. Die gegenwärtige Praxis der sektoralen<br />

Budgetbetrachtung beeinträchtigt die mögliche hohe<br />

Qualität der Patientenversorgung. Ärzten verbietet<br />

sich aus ethischen Gesichtspunkten eine rein betriebswirtschaftliche<br />

Kosten-Nutzen-Analyse ohnehin,<br />

sozialmedizinisch sind alle Kofaktoren des Einzelfalles<br />

in eine Entscheidung einzubeziehen.<br />

In einem nach wie vor so reichen Land wie der Bundesrepublik<br />

Deutschland sollte für jeden Patienten<br />

eine optimale Therapie, auch wenn diese mit kurzzeitig<br />

höheren Kosten verbunden ist, möglich sein.<br />

© gpk<br />

Edelmann E: Rheumatoide Arthritis – Keine Alte-Leute-Krankheit.<br />

Notfallmedizin 2003; 29: 340-346<br />

Merkesdal S, Ruof J, Bernitt K et al.: Indirect medical costs in<br />

early rheumatoid arthritis. Composition and changes in indirect<br />

costs within the first three years of RA. Arhritis and<br />

Rheumatism 2001; 44: 528-534<br />

Schlademann S, Hüppe A, Raspe H: Ergebnisse einer randomisierten<br />

kontrollierten Studie zur Akzeptanz und zu Outcomes<br />

einer Beratung auf stationäre medizinische Rehabilitation<br />

unter erwerbstätigen GKV-Versicherten mit rheumatoider Arthritis<br />

(clinicaltrials.gov identifier NCT00229541). Gesundheitswesen<br />

2007;69: 325-335<br />

Blosze J, Josenhans G, Raspe H: Versorgung von cP-Patienten.<br />

Überweisung zum Rheumatologen und Zugang zu Reha-<br />

Maßnahmen mangelhaft. Mobil 1998; 3: 26-29<br />

Beirat:<br />

Dr. Franz Altherr MdL (Mittelbrunn), Erwin<br />

Aymann (Kleve), Wolf-Michael Catenhusen<br />

(Münster), Dr. Paul Hoffacker (Essen), Peter<br />

Keller (Zellingen), Monika Knoche MdB<br />

(Hannover), Prof. Paul Krupp (Kempten/Allgäu),<br />

Alfred Kugler † (München), Karl-Josef<br />

Laumann (Hörstel-Riesenbeck), Dr. Volker<br />

Leienbach (Köln), Dr. Rolf Linkohr (Stuttgart),<br />

Dr. Bruno Menzel † (Dessau), Friedrich<br />

Merz MdB (Brilon), Dr. Gerd Müller MdB<br />

(München), Dr. Helga Otto (Claßnitz), Prof.<br />

Dr. Martin Pfaff (Stadtbergen), Dr. Godelieve<br />

Quisthoudt-Rowohl MdEP (Hildesheim),<br />

Willi Rothley (Rockenhausen), Gudrun<br />

Schaich-Walch (Frankfurt a.M.), Regina<br />

Schmidt-Zadel (Ratingen), Theo Starzner<br />

M. A. (München), Dr. Dieter Thomae (Sinzig-<br />

Bad Bodendorf), Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim),<br />

Josef Vosen (Düren).


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 42<br />

Rheumatoide Arthritis<br />

Überlegungen aus der Politik zu einer schweren Krankheit<br />

Von Eike Hovermann<br />

I. Eklatante Unterversorgung im Bereich<br />

der Rheumatoiden Arthritis<br />

Die Zahl der an rheumatischen Entzündungen erkrankten<br />

Menschen in Deutschland nimmt auf Grund<br />

der demographischen Veränderungen kontinuierlich<br />

zu. Erkrankt sind nach Angaben der deutschen Rheumaliga<br />

bundesweit rund 9 Millionen Bürger. Unter den<br />

Betroffenen leiden rund 800.000 unter Rheumatoider<br />

Arthritis.<br />

Rechtzeitig diagnostiziert und nach dem Stand der<br />

Wissenschaft therapiert, können die Folgen der Erkrankung<br />

– irreversible Knorpel- und Gelenkschädigungen<br />

– mittlerweile gut unterdrückt werden. Doch<br />

der rechtzeitige Einsatz der neuartigen Arzneimittel,<br />

insbesondere der DMARDs und TNF-alpha-Inhibitoren<br />

ist in Deutschland im Unterschied zu anderen<br />

europäischen Ländern eher eine Ausnahme als die<br />

Regel.<br />

So führen nicht rheumatologisch ausgebildete Ärzte<br />

bei maximal 30 Prozent der Betroffenen eine Basistherapie<br />

mit langwirksamen Antirheumatika durch.<br />

Darüber hinaus erfolgen hierzulande bei 60 bis 70<br />

Prozent der Patienten drei oder mehr Behandlungsversuche<br />

mit konservativen Therapien, bevor die neuen<br />

Biologika eingesetzt werden.<br />

Dies liegt auch daran, dass an Rheumatoider Arthritis<br />

erkrankte Patienten in Deutschland im Durchschnitt<br />

erst nach 18 Monaten an einen Spezialisten überwiesen<br />

werden. Dadurch wird in vielen Fällen eine rasche<br />

Diagnose mit einer sich anschließenden „aggressiven“<br />

Therapie durch TNF-alpha-Inhibitoren verhindert.<br />

Wenn man all die o.g. Faktoren betrachtet, dürften die<br />

Zweifel an den Vorgaben des SGB V, dass das medizinisch<br />

Notwendige nach Stand der Forschung und<br />

unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes bereitgestellt<br />

werden muss, neue Nahrung erhalten.<br />

Die Nichteinhaltung der Leitlinien für Rheumatoide<br />

Arthritis, die einen Therapiebeginn mit den neuartigen<br />

Antirheumatika in den ersten sechs Monaten der Er-<br />

krankung vorschlagen, hat zur Folge, dass die Krankheit<br />

oftmals umgängliche irreversible Schäden im<br />

Gelenkapparat verursacht. Die Lebensqualität der<br />

Betroffenen nimmt deutlich ab, gefolgt von Arbeitszeitausfällen,<br />

Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung.<br />

Gesamtgesellschaftliche Kosten<br />

In der Folge steigen neben den direkten Behandlungskosten,<br />

unnötigerweise auch die gesamtgesellschaftlich<br />

zu tragenden Kosten durch Arbeitsunfähigkeit<br />

(diese liegen nach gängigen Ergebnissen dreifach<br />

höher als die direkten Behandlungskosten). Verschiedene<br />

Studien belegen, dass durch eine Therapie,<br />

auch mit hochpreisigen neuartigen Arzneimitteln,<br />

die Behandlungskosten von an Rheumatoider Arthritis<br />

Erkrankten durch die Vermeidung von Folgekosten<br />

weit fortgeschrittener Krankheitsstadien, reduziert<br />

werden können.<br />

So auch die Professorinnen Gromnica-Ihle und Zink:<br />

Der ungeheure Kostenschub könne vermieden werden,<br />

wenn Behandlungen frühzeitig nach Stand der<br />

Forschung begännen, etwa mit den neuen TNF-alpha-Inhibitoren,<br />

die als Biologika zunehmend in den<br />

Focus von Behandlungen rücken.<br />

Die Gründe für die eklatante Unterversorgung von an<br />

Rheumatoider Arthritis Erkrankter in Deutschland<br />

sind vornehmlich struktureller Natur. Zur Behandlung<br />

dieser „Volkskrankheit“ fehlen in Deutschland nach<br />

Meinung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie<br />

rund 400 Fachärzte, wenn man von einem Rheumatologen<br />

pro 100.000 Einwohner ausgeht. Hausärzte,<br />

die erster Ansprechpartner für die Erkrankten sind,<br />

zögern häufig aufgrund des Regressdrucks lange mit<br />

dem Einsatz hochwirksamer, aber hochpreisiger Medikamente.<br />

In Schweden und anderen europäischen Ländern<br />

werden innovative Arzneien – in Sonderheit die TNFalpha<br />

Inhibitoren – früher als in Deutschland in spezialisierten<br />

Zentren eingesetzt, weil es erstens hierfür<br />

im Unterschied zur ambulanten Versorgung in<br />

Deutschland keine Budgetlimits gibt, und weil zwei-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 43<br />

tens die Kosten-/Nutzeneffekte dort nicht nur in einem<br />

engen Zeitfenster von etwa einem Jahr betrachtet<br />

werden (Kostenträgerperspektive), sondern von der<br />

ersten Intervention bis zum Lebensende (gesamtgesellschaftliche<br />

Perspektive).<br />

Mit Recht scheint Prof. Dr. Jürgen Wasem dafür zu<br />

plädieren, dass im Unterschied zu den durchaus<br />

bedenklichen methodischen Eingrenzungen seitens<br />

des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen<br />

(IQWiG), Studiendaten aus kontrollierten<br />

klinischen Studien durch Ergebnisse aus der<br />

Versorgungsforschung und durch Expertenschätzungen<br />

ergänzt werden müssten, um auf diesem Weg<br />

längerfristige Modelle für Kosten und Outcomes zu<br />

entwickeln.<br />

Damit könnte gesichert werden, dass sich die Kostenüberlegungen<br />

der gesetzlichen Krankenkassen nicht<br />

nur auf die Jahreshaushaltsperspektive zurückziehen,<br />

sondern die gesamtgesellschaftlichen Kosten-<br />

Nutzen-Perspektiven – also den social value – berücksichtigen<br />

und einfließen lassen. Interessante Überlegungen<br />

hierzu offeriert auch das Gutachten von<br />

Prof. Wilfried Mau vom 18. Februar 2004, das im<br />

Auftrag des Landtages von Nordrhein-Westfalen erstellt<br />

wurde.<br />

In diesem Gutachten „Bereiche und Kosten der<br />

Fehl-, Unter- und Überversorgung von Patientinnen<br />

am Beispiel der Rheumatoiden Arthritis“ werden insbesondere<br />

in Bezug auf Frauen die Kosten der Basistherapeutika<br />

mit denen moderner Therapieformen mit<br />

TNF-alpha-Inhibitoren verglichen.<br />

Beispiel Integrationsverträge<br />

Dass es ganz abgesehen von Lebensqualität und<br />

indirekten Folgekosten wirtschaftlicher ist, im Falle<br />

des Krankheitsbildes der Rheumatoiden Arthritis sich<br />

am aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung<br />

zu orientieren, zeigen auch die vielfältigen<br />

Bemühungen der Krankenkassen im Rahmen einzelvertraglicher<br />

Regelungen. Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse<br />

(DAK) will offenbar mittels Integrationsverträgen<br />

– derzeit fünf mit rund 1.500 Patienten<br />

– dazu beitragen, dass schwer Rheumakranke möglichst<br />

schnell zum Spezialisten gelotst werden, indem<br />

z.B. Hausärzte und nicht spezialisierte Orthopäden<br />

Kriterien an die Hand bekommen, wann der Patient<br />

zum Spezialisten überwiesen werden muss.<br />

Dazu werden den Hausärzten Schulungen über ein<br />

rheumatologisches Partnernetzwerk angeboten. Auf<br />

diese Weise soll der Erkenntnis begegnet werden,<br />

dass die Erkrankungen von Hausärzten, Internisten<br />

und Orthopäden vielfach zu spät erkannt werden bzw.<br />

das Wissen um neue Behandlungsmethoden in vielen<br />

Fällen fehlt. Auf ähnlichen Wegen wie die DAK scheint<br />

die AOK Schleswig Holstein gehen zu wollen. Hier<br />

sollen die Kliniken zunehmend verpflichtet werden,<br />

eng mit den ambulanten Ärzten und Physiotherapeuten<br />

zu kooperieren, um auf diese Weise echte integrierte<br />

Versorgungsformen zu schaffen, mit denen<br />

unter anderem unnötige Doppeluntersuchungen vermieden<br />

und frühzeitigerer Therapiebeginn garantiert<br />

werden sollen.<br />

Die AOK Bayern wiederum will mit dem Klinikum<br />

München und dem Rheumazentrum Oberammergau<br />

durch einen Vertrag über Integrierte Versorgung unter<br />

anderem erreichen, dass bei einer vom Hausarzt vermuteten<br />

entzündlichen Rheumaerkrankung innerhalb<br />

von 14 Tagen die Möglichkeit eröffnet wird, einen<br />

Spezialisten aufzusuchen.<br />

All diese Maßnahmen setzen integrierte Fortbildung<br />

und Kooperationswillen innerhalb der Ärzteschaft voraus.<br />

Die einzelvertraglichen Regelungen von Kassen<br />

mit Leistungserbringern zur Integrierten Versorgung<br />

werden allerdings durch Verteilungskämpfe in den<br />

Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und der Kassenärztlichen<br />

Bundesvereinigung (KBV) sowie zwischen<br />

ambulanten Ärzten und Krankenhäusern nicht<br />

gemildert, sondern eher verstärkt werden.<br />

Im Rahmen dieser und anderer Entwicklungen soll<br />

nun auch das Regressrisiko für Hausärzte bei einer<br />

Verschreibung von Biologika durch ein Zweitmeinungsverfahren<br />

gemindert werden. So auch der Vorsitzende<br />

des Gemeinsamen Bundesausschusses<br />

(G-BA), der überdies in Übereinstimmung mit der<br />

Deutschen Rheumaliga darüber nachdenkt, ob nicht<br />

auch für Rheuma ein strukturiertes Behandlungsprogramm<br />

(DMP) Sinn machen könnte.<br />

Es wurde nicht deutlich, ob dies seiner Meinung nach<br />

auch wieder in Anbindung an den Risikostrukturausgleich<br />

(RSA) konstruiert werden soll, oder wie es wohl<br />

in den neuen morbiditätsorientierten RSA (Morbi-<br />

RSA) einzupassen ist.<br />

II. Was bei diesen und anderen Diskussionen<br />

oftmals noch zu fehlen scheint<br />

Nicht nur bei Rheuma nimmt wegen demografischer<br />

Veränderungen und anderer Faktoren die Fallhäufigkeit<br />

extrem zu, selbiges gilt auch für die jetzigen und<br />

kommenden Volkskrankheiten wie etwa Diabetes,<br />

COPD, KHK, Brustkrebs, Skeletterkrankungen und


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 44<br />

Depressionen. Für jede dieser Indikationen wird ununterbrochen<br />

geforscht, werden fast kontinuierlich<br />

Fortschritte in Diagnostik und Therapie entwickelt.<br />

Jeder Indikationsbereich kann mühelos Zahlen vorlegen,<br />

mit denen für die Kostenträger wie auch aus<br />

gesamtgesellschaftlichen Erwägungen heraus nachgewiesen<br />

werden kann, dass mit innovativen Behandlungen<br />

Kosten eingespart werden können und dass<br />

die Lebensqualität verbessert wird. Die Begründungen<br />

sind zahllos und in sich oft nachvollziehbar.<br />

Parallel dazu wird die Erwartungshaltung der Beitragszahler<br />

und Patienten – durch täglich laufende<br />

und abrufbare Gesundheitsmagazine in Schrift und<br />

Bild – ständig vergrößert. Egal ob es an einem Tag<br />

um Defibrillatoren geht, am anderen um die neue<br />

Generation von Insulinpumpen, um neue Hörgeräte,<br />

neue Operationstechniken, neue Arzneien und so fort.<br />

Die so ständig wachsenden Ausgaben haben alle eins<br />

gemeinsam: Sie können nach Addition der Einzelsummen<br />

weder vom gegenwärtigen Solidarsystem<br />

der GKV noch alleine durch Reformen der Einnahmenseite,<br />

sei es über eine Bürgerversicherung, eine<br />

Kopfpauschale, noch durch Mischmodelle bezahlt<br />

werden.<br />

Denn trotz aller Regulierungsversuche gibt es auf der<br />

Ausgabenseite weiterhin intransparente Geldflüsse,<br />

innerhalb derer Geld nicht einer wirklich qualitätsvollen<br />

Leistung folgt. Es gibt die offenbar interaktionsresistente<br />

Sektorenversorgung und der Streit innerhalb<br />

von Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und<br />

den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) mit ihren<br />

unterschiedlichen Fakultäten wird intensiver und die<br />

Duale Finanzierung mit dem daraus resultierenden<br />

Investitionsstau in zweistelliger Milliardenhöhe bricht<br />

weiter weg.<br />

Dieses und anderes geht zu Lasten der Versorgung<br />

mit dem undurchschaubaren Gewirr von Über-, Unter–<br />

und Fehlversorgung. Dies sind Entwicklungen,<br />

die seit Jahren bekannt sind, aber offenbar durch die<br />

bekannten Gesetzes- und Verordnungsfluten und<br />

überdrehte Stellschrauben, nicht aufgelöst werden<br />

konnten. Erinnert sei stellvertretend an das Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz<br />

(ABAG), das bald darauf<br />

durch das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz<br />

(AABG) mehr oder weniger aufgehoben wurde. Weiterhin<br />

sind zu nennen: das Arzneimittelversorgungs-<br />

Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG), das GKV-Modernisierungsgesetz<br />

(GMG) und jetzt das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz<br />

(GKV-WSG) und die völlig<br />

erfolglosen Anläufe der Bundesländer zur Dualen<br />

Finanzierung.<br />

Das Schlimme: Alles geschieht im Rahmen längst<br />

schon bekannter Regelmechanismen. Dabei wird an<br />

Hand nachprüfbarer Resultate immer klarer, dass innerhalb<br />

dieses aufgewachsenen Wustes bisher keine<br />

nachhaltigen Lösungen entwickelt wurden. Ansätze<br />

außerhalb des Gewohnten werden nicht aufgegriffen.<br />

Die Lösung für alles Auf- und Angestaute kann aber<br />

eben offenbar nicht aus den gewachsenen Interessenstrukturen<br />

heraus entstehen – getreu der bekannten<br />

westfälischen Einsicht: Man darf die Frösche nicht<br />

fragen, wenn man den Teich austrocknen will. Gesundheit<br />

ist schlicht nichts anderes als Teil des gesamtgesellschaftlichen<br />

Ganzen. Lösungen im Teilsektor<br />

Gesundheit zu entwickeln, wenn gesamtgesellschaftliche<br />

Umsteuerungen und neues Nachdenken<br />

fehlen, können nicht gelingen. Es bleibt bei Reparaturen.<br />

Hier kann nur – und auch muss die Politik neu<br />

justieren. Die große Koalition sollte eigentlich – von<br />

den Stimmen im Parlament her – die Kraft dazu aufbringen<br />

können.<br />

„Hidden Agenda des BMG“<br />

Im Zuge der Umsetzung der Paragraphen 73 b,<br />

SGB V (Hausarztzentrierte Versorgung), 73 c<br />

(Fachärztliche Versorgung), 116 a, b (Teilöffnung<br />

der Krankenhäuser), 137 e (DMP-Versorgung),<br />

140 a ff. (Integrierte Versorgung) ist ein Trend zu<br />

beobachten, der in der Tendenz bedeuten könnte:<br />

„Weg mit der doppelten Vertragsarztschiene und<br />

Fokussierung auf hausärztliche und krankenhausbezogene<br />

Versorgungsschienen.“<br />

Dr. Köhler von der KBV hat dies auf einer Tagung<br />

von Zeno am 18.6. 2007 als „Hidden Agenda“ des<br />

BMG bezeichnet.<br />

III. Mut zu neuen Denkansätzen und<br />

Steuerungsmechanismen<br />

Der Beginn einer ehrlichen Diskussion über die Grenzen<br />

und Möglichkeiten unseres Sozialstaats und der<br />

solidarisch paritätischen Finanzierung im Bereich des<br />

Gesundheitswesens ist also längst überfällig. Das ist<br />

ein ebenso sozialdemokratischer wie auch christdemokratischer<br />

und christlich-sozialer Auftrag zum<br />

Wohle insbesondere auch nachfolgender Generationen,<br />

deren Belastungen in den Bereichen Rente, Pflege<br />

und Gesundheitsversorgung so und so groß genug<br />

sein werden.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 45<br />

Statt der vorherrschenden schleichenden Rationierung<br />

im Gesundheitssystem, die in vielen Fällen weder<br />

einer medizinischen Logik noch einem rationalen<br />

Mitteleinsatz folgt, sollte eine ehrliche und transparente<br />

Diskussion über verantwortbare Rationierung im<br />

Sinne eines rationalen Mitteleinsatzes im Gesundheitswesen<br />

plus Priorisierung erfolgen. Das Scheitern<br />

der ständigen Korrekturen auf der Einnahmenseite<br />

zeigt, dass grundlegende Strukturveränderungen unausweichlich<br />

sind.<br />

Hierzu gehören:<br />

● Die Konzeptionierung einer Grundversorgung mit<br />

durch die Beitragszahler zu finanzierenden Zusatzpaketen.<br />

Dies würde auch zur Erhöhung der Eigenverantwortung<br />

gemäß der einschlägigen Paragraphen<br />

des SGB V beitragen.<br />

● Der Start eines echten Wettbewerbs zwischen<br />

den GKV-Kassen durch Reduktion der ständig verfeinerten<br />

Regulierungsmechanismen wie RSA, RSA mit<br />

Koppelung an die DMP, den Wegfall des staatlich<br />

festgelegten Beitragssatzes mit einer Kappungsgrenze<br />

von ein Prozent und des Gesundheitsfonds dessen<br />

Verteilmechanismen erst nach Abbau der Verschuldung<br />

und nach Implantation des Morbi RSA ab dem<br />

Jahre 2009 greifen können.<br />

● Anstatt des dauernden Aufbaus wirklicher Abbau<br />

von Regulierungen und Stärkung der Selbstverwaltung<br />

statt deren schrittweisen Abbaus durch staatliche<br />

Eingriffe oder verpflichtende Versorgungsmodelle<br />

wie das Hausarztmodell, mit dem die oben skizzierten<br />

Grundprobleme und Aufgaben natürlich nicht gelöst<br />

werden können. Durch derartige Maßnahmen wird<br />

allenfalls eine Zeit lang das Spiel des „Schwarzen<br />

Peters Zuschiebens“ bereichert.<br />

Neue Denkansätze entsprächen durchaus auch dem<br />

Koalitionsvertrag: „Das Gesundheitswesen ist eine<br />

dynamische Wirtschaftsbranche mit Innovationskraft<br />

und erheblicher ökonomischer Bedeutung für den<br />

Standort Deutschland. Angesichts großer Herausforderungen,<br />

insbesondere des demografischen Wandels<br />

und des medizinischen und medizinisch-technischen<br />

Fortschritts, muss das Gesundheitswesen jedoch<br />

ständig weiterentwickelt werden.“<br />

Dazu sollte auch der Mut gehören dürfen, über die<br />

derzeitigen und zukünftig anzunehmenden Auswirkungen<br />

etwa von RSA, RSA und DMP-Koppelung und<br />

Morbi RSA im Zusammenhang mit dem völlig unscharfen<br />

Wettbewerbsbegriff im GKV-WSG nachzudenken.<br />

Dass dies nicht vom Wissenschaftlichen Institut der<br />

AOK (WIdO) – etwa durch Klaus Jakobs und Sabine<br />

Schulz mit ihrem Artikel „Der Risikostrukturausgleich<br />

auf dem Weg zur direkten Morbiditätsorientierung“ –<br />

erwartet werden darf, scheint klar. Die AOK brauchte<br />

bisher den ständig verfeinerten RSA, die Koppelung<br />

des RSA an die DMPs und sicher auch den Morbi<br />

RSA, um mit ihren vielen Töchtern in der Fläche<br />

überhaupt überlebensfähig zu bleiben.<br />

Dass Wasem aber – siehe „Die Weiterentwicklung des<br />

Risikostrukturausgleiches ab dem Jahre 2009“ – im<br />

Grunde in das gleiche Horn stößt, verwundert mich<br />

aus mehrerlei Gründen:<br />

1. müsste der Morbi RSA bis Frühjahr 2008 überhaupt<br />

erst für das gesamte Patientenkollektiv der<br />

GKV gerechnet werden können,<br />

2. müsste der Fonds ab 2009 seine volle Wirkung<br />

entfalten. Die Umsetzung in den Versorgungsalltag<br />

mit all seinen ungeklärten Geld-Transfermechanismen<br />

braucht aber sicher noch mehrere Jahre,<br />

3. müssten die Entschuldung bis Ende 2008 tatsächlich<br />

vollzogen sein,<br />

4. müsste der bundesweit einheitliche Beitragssatz<br />

umgesetzt werden können, dessen Sinnhaftigkeit<br />

wegen der Kappungsgrenze von ein Prozent von<br />

Wasem energisch per Gutachten bestritten worden<br />

ist,<br />

5. müssten die Zuführungen des Bundesfinanzministers<br />

bis 2015 ungehindert fließen – im Saldo von<br />

2007 bis 2015 80 Milliarden Euro – und danach mit<br />

14 Milliarden pro Jahr weiter zur Verfügung stehen,<br />

6. dürfte die Duale Finanzierung nicht weiter zusammenbrechen<br />

und dürfte sich die Schere zwischen<br />

grundlohnsummenbezogenen Einnahmen und Ausgaben<br />

nicht weiter öffnen. Genau das geschieht aber.<br />

Man könnte diese Reihung sicher noch ergänzen. All<br />

diese Entwicklungen im realen Versorgungsalltag<br />

werden nicht nur den Morbi RSA, sondern alle mit ihm<br />

zusammenhängenden Mechanismen zentral berühren.<br />

Deshalb werden wie bisher ständige Korrekturmaßnahmen<br />

folgen müssen. Dies sollte man berücksichtigen<br />

und nicht in Sandkastenspielen wie z. B.<br />

Wasem davon ausgehen, dass das auf Basis alter<br />

Denkrituale Ausgedachte auch Realität werden kann.<br />

Denn alle bisherigen Erfahrungen zeigen das Gegenteil.<br />

Deshalb ist es die Verantwortung aller eine Diskussion<br />

über grundlegende Strukturveränderungen<br />

herbeizuführen und die unerledigte, verantwortungsvolle<br />

Aufgabe einer nachhaltigen Reform endlich<br />

anzupacken.<br />

© gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 46<br />

Deutliche Verbesserung der Qualität<br />

Neue Versorgungsform für Patienten mit Rheumatoider Arthritis<br />

am Beispiel des Integrationsvertrages der AOK Schleswig-Holstein<br />

mit dem Städtischen Krankenhaus Kiel 1<br />

Von Gerhard Kruse und Andreas Hering<br />

1. Ausgangssituation und Ziele<br />

Die Rheumatoide Arthritis ist die häufigste entzündliche<br />

rheumatische Gelenkerkrankung in Deutschland.<br />

Nach Expertenschätzungen liegt die Prävalenz bei<br />

knapp einem Prozent der Bevölkerung. Auf knapp<br />

3.500 erkrankte Patienten allein im Großraum der<br />

Landeshauptstadt Kiel schätzen Experten die Zahl<br />

der Betroffenen. Die Krankheit nimmt einen chronischen<br />

Verlauf und führt unbehandelt zu körperlichen<br />

Behinderungen bis hin zur Vollinvalidität.<br />

Bis vor wenigen Jahren kam es innerhalb von zehn<br />

Jahren bei jedem Zweiten der Betroffenen über die<br />

Arbeitsunfähigkeit zur Erwerbsunfähigkeit. Auf Grund<br />

von Komplikationen der Erkrankung, insbesondere<br />

dem vorzeitigen Auftreten von Herzinfakten und<br />

Schlaganfällen, ist die Lebenserwartung der Patienten<br />

um zehn oder mehr Jahre verkürzt. Erst seit wenigen<br />

Jahren ist es möglich, die zu Grunde liegende<br />

Entzündung vollständig oder teilweise zum Stillstand<br />

zu bringen.<br />

Daten der Versorgungsforschung zeigen, dass nach<br />

wie vor bis zu 50 Prozent der Erkrankten nicht die<br />

optimale medizinische Versorgung erhalten. Diese<br />

Bilanz veranlasste die AOK Schleswig-Holstein gemeinsam<br />

mit dem Städtischen Krankenhaus Kiel Vertragsverhandlungen<br />

über eine Integrierte Versorgung<br />

für Patienten mit Rheumatoider Arthritis (IV-RA) aufzunehmen.<br />

Folgende Ziele einer Integrierten Versorgung<br />

standen dabei im Mittelpunkt:<br />

● Qualitätsverbesserung<br />

– Schnellerer Zugang zum Spezialisten,<br />

– Einhaltung der therapeutischen Standards,<br />

– Koordinierte Übergänge zwischen den Sektoren,<br />

– bessere Krankheitskontrolle durch intensivere<br />

Betreuung.<br />

● Verminderung von Folgekosten<br />

– Abbau von Fehl- und Doppeldiagnostik,<br />

– Reduktion stationärer Aufenthalte,<br />

– Reduktion von Arbeitsunfähigkeitszeiten,<br />

– Reduktion von Erwerbsunfähigkeit.<br />

2. Entwicklungsgeschichte<br />

Die Projektidee einer Integrierten Versorgung für Patienten<br />

mit Rheumatoider Arthritis wurde 2004 von<br />

Prof. Dr. med. Johann Oltmann Schröder (Städtisches<br />

Krankenhaus Kiel) entwickelt.<br />

Nach der Präsentation gegenüber der AOK Schleswig-Holstein<br />

im Jahr 2005 starteten die Vertragsverhandlungen.<br />

Für die AOK Schleswig-Holstein war das<br />

Projekt von Beginn an von besonderer Bedeutung.<br />

Durch den hohen Marktanteil verfügt die AOK Schleswig-Holstein<br />

über ein unter Kosten-/Nutzen-Aspekten<br />

ausreichendes Patientenpotenzial. Darüber hinaus<br />

sind der Kasse innovative Versorgungsformen nicht<br />

fremd. In den letzten Jahren ist die AOK Schleswig-<br />

Holstein bundesweit mehrfach von der Zeitschrift FI-<br />

NANZtest als Krankenkasse mit den meisten Zusatzleistungen<br />

ausgezeichnet worden.<br />

Die Vertragsverhandlungen wurden in der Zeit von<br />

Februar 2005 bis März 2006 geführt. Der Schwerpunkt<br />

der Verhandlungen lag bei der Konfektionierung<br />

eines neuen Behandlungspfades für Patienten mit<br />

Rheumatoider Arthritis im Großraum Kiel. Darüber<br />

hinaus wurden Zielsetzung und Ablauforganisation<br />

der neu einzurichtenden Koordinierungsstelle im<br />

Städtischen Krankenhaus Kiel definiert.<br />

1 Informationen über dieses und weitere IV-Modelle können auch dem<br />

vom Bundesverband Managed Care herausgegeben Buch „Leuchtturmprojekte<br />

Integrierter Versorgung und medizinischer Versorgungszentren“ –<br />

Verlag medizinisch wissenschaftliche Verlagsgesellschaft – entnommen<br />

werden.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 47<br />

Die Koordinierungsstelle hat die Aufgabe, alle Behandlungsabläufe<br />

innerhalb der Integrierten Versorgung<br />

zu koordinieren. Darüber hinaus ist sie zuständig<br />

für die gesamte Dokumentation als Grundlage für<br />

die durchzuführende Qualitätssicherung.<br />

Abschließend wurde Einigung über ein Gesamtbudget<br />

pro Jahr für alle Leistungen, die innerhalb der<br />

Integrierten Versorgung erbracht werden, erzielt.<br />

Der Vertrag über die Integrierte Versorgung wurde mit<br />

Wirkung zum 1. April 2006 abgeschlossen. Nach den<br />

notwendigen Vorarbeiten zum Aufbau der Strukturvoraussetzungen<br />

bieten die AOK Schleswig-Holstein<br />

und das Städtische Krankenhaus Kiel den Patienten<br />

seitdem die Integrierte Versorgung an.<br />

Die Integrierte Versorgung ermöglicht eine dauerhaft<br />

neue, effektivere und effizientere sektorübergreifende<br />

Versorgungsstruktur für Patienten mit Rheumatoider<br />

Arthritis. Innerhalb dieses Vertrages strebt die AOK<br />

Schleswig-Holstein gemeinsam mit dem Städtischen<br />

Krankenhaus Kiel eine wirtschaftlichere und optimierte<br />

Behandlung der Patienten an.<br />

Um eine dauerhaft hohe Versorgungsqualität sicher<br />

zu stellen, orientieren sich die Therapiemaßnahmen<br />

3.1 Beteiligte Partner – Integrierte Versorgung bei Rheumatoider Arthritis<br />

ambulant<br />

Orthopäde<br />

Rheumatologe<br />

➤<br />

Physiotherapeut<br />

➤<br />

➤<br />

Hausarzt<br />

PATIENT<br />

Ergotherapeut<br />

Abbildung 1: Partner der Integrierten Versorgung<br />

Quelle: Prof. Dr. med. J. O. Schröder, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

an den jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen.<br />

Durch klar strukturierte Behandlungsketten<br />

wird dem Versorgungsbedürfnis der Patienten Rechnung<br />

getragen und die Lebensqualität der Patienten<br />

signifikant verbessert.<br />

3. Die Konzeption der Versorgung<br />

Im Rahmen der Integrierten Versorgung werden die<br />

folgenden Ziele verfolgt:<br />

a) Die Qualität der Versorgung von Patienten mit<br />

Rheumatoider Arthritis durch eine engere Kooperation<br />

der Leistungserbringer zu erhöhen, unter<br />

anderem durch:<br />

● Case Management durch die Koordinationsstelle<br />

„Integrierte Versorgung Rheumatoide Arthritis<br />

(IV-RA)“ im Städtischen Krankenhaus Kiel,<br />

● Verkürzung der Wartezeiten für Erstvorstellungstermine<br />

beim Facharzt für Rheumatologie,<br />

● Erhöhung des Anteils von Patienten mit adäquater<br />

Basistherapie,<br />

● Verringerung von vermeidbaren Nebenwirkungen<br />

der medikamentösen Therapie,<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

Innere Medizin<br />

➤<br />

Radiologie<br />

Orthopädie<br />

stationär


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 48<br />

● Erhöhung der Quote fachärztlich betreuter Patienten,<br />

● Koordinierte Übergänge zwischen den beteiligten<br />

Sektoren der Behandlungskette,<br />

● Reduktion des Anteils von Patienten mit funktionalem<br />

Endstadium,<br />

● Fort- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Rheumatoiden<br />

Arthritis als Teilnahmevoraussetzung für<br />

Vertragsärzte/innen,<br />

● Kompetente Ansprechpartner für den Hausarzt/<br />

die Hausärztin in der Koordinationsstelle, Unterstützung<br />

zur optimalen Patientenversorgung.<br />

b) Eine Verringerung der Folgekosten der Rheumatoiden<br />

Arthritis durch:<br />

● frühere und genauere Diagnosestellung durch geschulte<br />

Ärzte/innen,<br />

● Abbau von Doppeldiagnostiken (labor- und gerätebasiert)<br />

und Vermeidung unqualifizierter Diagnoseverfahren,<br />

● Reduktion der stationären Aufenthalte von Patienten,<br />

● Reduktion von Arbeitsunfähigkeitszeiten,<br />

● Reduktion der Erwerbsunfähigkeit,<br />

● Reduktion der Arzneimittelkosten durch Festlegung<br />

einer wirtschaftlichen Verordnungsweise und<br />

kontrolliertem Umgang mit neuen (teuren) Medikamenten,<br />

● öffentliche Ausschreibung der Medikamentenversorgung<br />

(Apotheken),<br />

● Abschluss von Rabattverträgen nach § 130 a<br />

Abs. 8 SGB V mit Arzneimittelherstellern,<br />

● Informationsangebote und Schulungsveranstaltungen<br />

für Patienten.<br />

c) Die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen<br />

der AOK Schleswig-Holstein und Leistungserbringern<br />

durch:<br />

● Vereinbarung der Erfüllung und Dokumentation<br />

von Qualitätsstandards (Ziel: Verbesserung des<br />

Disease Activity Score (DAS) der Patienten).<br />

● mehr Transparenz über Behandlungsverlauf, Behandlungserfolg<br />

und Behandlungskosten (Versorgungsdaten).<br />

3.2 Management und Vergütung<br />

Für die Organisation und Dokumentation der Integrierten<br />

Versorgung hat das Städtische Krankenhaus<br />

Kiel eine „Koordinierungsstelle eingerichtet. Die Koordinationsstelle<br />

übernimmt die im Rahmen der Integrierten<br />

Versorgung notwendigen administrativen<br />

Aufgaben der Patientenverwaltung und der Patientensteuerung<br />

und ist zentraler Ansprechpartner für alle<br />

Leistungserbringer und Patienten.<br />

Ziel der Koordinationsstelle ist die Information über<br />

die Integrierte Versorgung und die Gewährleistung<br />

der sektorübergreifenden Versorgung der Patienten.<br />

Sie wählt die teilnehmenden Patienten nach Schweregraden<br />

aus und führt die vierteljährliche und abschließende<br />

Dokumentation des Krankheitszustandes<br />

durch. Auf diese Weise tritt das Städtische Krankenhaus<br />

Kiel in der Rechtsbeziehung gegenüber<br />

der AOK Schleswig-Holstein als Managementgesellschaft<br />

gem. § 140 b Abs. 1 Nr. 4 auf (s. Abbildung 2,<br />

S. 49).<br />

Die Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen für<br />

eingeschriebene Versicherte erfolgt nach Maßgabe<br />

des aktuellen EBM über die Kassenärztliche Vereinigung<br />

Schleswig-Holstein (KVSH), soweit im Vertrag<br />

über die Integrierte Versorgung keine abweichenden<br />

Regelungen vereinbart wurden.<br />

Die Vergütung der stationären Leistungen erfolgt<br />

grundsätzlich nach den entsprechenden DRGs und<br />

der gültigen Entgeltvereinbarung des Städtischen<br />

Krankenhauses Kiel. Darüber hinaus sind außerbudgetäre<br />

Leistungsfälle mit individuellen Konditionen<br />

vereinbart.<br />

Für zusätzliche Leistungen im Rahmen der Integrierten<br />

Versorgung erhalten die teilnehmenden Vertragsärzte<br />

eine Vergütung, die über Pseudoziffern mit der<br />

Koordinationsstelle im Städtischen Krankenhaus Kiel<br />

abgerechnet wird. Auch Praxen für Krankengymnastik,<br />

Ergotherapie und Physikalische Therapie rechnen<br />

ihre Leistungen mit der Koordinationsstelle im<br />

Städtischen Krankenhaus Kiel ab.<br />

Die an diesem Vertrag teilnehmende/n Apotheke/n<br />

stellen die im Rahmen der Integrierten Versorgung<br />

verordneten Arzneimittel direkt der Koordinationsstelle<br />

in Rechnung.<br />

Um die Vergütung der zusätzlichen Leistungen, die im<br />

Rahmen der Integrierten Versorgung erbracht werden,<br />

zu refinanzieren, haben die Vertragspartner die<br />

Arzneimittelversorgung öffentlich ausgeschrieben.<br />

Grundlage hierfür ist § 129 Abs. 5 b SGB V, nach dem


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 49<br />

Abbildung 2<br />

Teilnahmeerklärung<br />

➤<br />

PATIENT<br />

Hausarzt Facharzt Apotheke<br />

öffentliche Apotheken an Verträgen zur Integrierten<br />

Versorgung beteiligt werden können.<br />

Durch dieses Ausschreibungsverfahren wird eine öffentliche<br />

Apotheke an der Arzneimittelversorgung im<br />

Rahmen der Integrierten Versorgung beteiligt, die den<br />

Vertragspartnern günstige Konditionen angeboten<br />

hat. Darüber hinaus wurde ein Rabattvertrag nach<br />

§ 130 a SGB V abgeschlossen. Weitere sollen folgen.<br />

4. Erste Erfahrungen mit der Integrierten<br />

Versorgung Rheumatoider Arthritis<br />

Die Qualitätsverbesserung wurde weitestgehend erreicht.<br />

Die Patienten erhalten einen Vorstellungstermin<br />

innerhalb von 14 Tagen bei einem qualifizierten<br />

Facharzt in der Koordinationsstelle und der Hausarzt<br />

wurde jeweils entsprechend den aktuellen Standards<br />

in der Therapie beraten.<br />

Durch die intensivere Betreuung über eine vierteljährliche<br />

Wiedervorstellung der Patienten in der Koordinationsstelle<br />

mit Messung der Krankheitsaktivität (disease<br />

activity score – DAS 28) und des körperlichen<br />

Funktionsstatus (heath assessment questionaire –<br />

HAQ) des Patienten, konnten Krankheitsschübe früh<br />

erkannt und behandelt werden. Arbeitsunfähigkeits-<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

AOK<br />

Schleswig-Holstein<br />

Hauptvertrag<br />

Städtisches Krankenhaus<br />

Kiel GmbH<br />

Teilnahmeerklärungen<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

➤<br />

Praxen für<br />

Ergotherapie<br />

➤<br />

➤<br />

Praxen für<br />

Krankengymn.<br />

Ggf. weitere<br />

zeiten sowie stationäre Aufenthalte wurden dadurch<br />

nachweislich vermieden – so wurde bereits zu diesem<br />

frühen Zeitpunkt des Versorgungsprojektes zur Verringerung<br />

der Folgekosten beigetragen.<br />

Die Qualität in der Versorgung der Patienten wurde<br />

eindeutig erhöht. Eine ergotherapeutische Sprechstunde<br />

und eine zertifizierte ambulant durchgeführte<br />

und von den Teilnehmern im Schulnotensystem mit<br />

1,5 bewertete Patientenschulung in 6 fachübergreifenden<br />

Modulen wurden eingeführt. Auch im Gesamtverlauf<br />

zeigt die subjektive Einschätzung der Patienten<br />

bzgl. ihrer Krankheitsschwere (Absinken um im<br />

Mittel 2,5 Punkte auf einer Skala von 0 –10) und die<br />

objektive Messung der Krankheitsaktivität durch die<br />

Koordinationsstelle eine signifikante Verbesserung<br />

der Messwerte im Vergleich zur Visite im Vorquartal<br />

(s. folgende Abbildung 3 auf S. 50).<br />

Für die niedergelassenen Ärzte wurden inzwischen<br />

drei Fortbildungen auf dem Gebiet der Rheumatologie<br />

angeboten, die die Optimierung der Behandlungsverläufe<br />

unterstützen sollen. Die Sondervergütung für<br />

teilnehmende Ärzte wurde vereinfacht. Die Gelder<br />

werden den Ärzten jetzt quartalsweise pauschal überwiesen.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 50<br />

Abbildung 3: Verlauf der Krankheitsaktivität (DAS 28 und HAQ)<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

Die Sammlung, Dokumentation und Auswertung der<br />

medizinischen Daten in der Koordinationsstelle, u.a.<br />

mit Hilfe des Expertensystems für rheumatische Erkrankungen<br />

„ARDIS“, lief nach anfänglicher Einarbeitungszeit<br />

unproblematisch. Die Arztbriefe aus der Koordinationsstelle<br />

erstellt das Programm im Anschluss<br />

an die Eingaben zum allergrößten Teil automatisch.<br />

Das Statistik-Modul von ARDIS kann noch erweitert<br />

genutzt und angepasst werden.<br />

Die Abläufe in den Arztpraxen bzgl. der Kennzeichnung<br />

von Medikamenten- und Heilmittelrezepten bedurfte<br />

einer Anlaufzeit von 1 bis 2 Monaten. Nach<br />

wiederholter Information und Einführung einer Mitgliedskarte<br />

im Chipkartenformat für die Patienten mit<br />

wichtigen Informationen über Ansprechpartner und<br />

die Apotheke, wurde die Abrechnungsquote der Arznei-<br />

und Heilmittel deutlich angehoben. Es hat sich<br />

gezeigt, dass nach guten Erfahrungen mit ersten Patienten,<br />

die Praxen dann häufig auch weitere Patienten<br />

in die IV-RA einschreiben.<br />

Die AOK erhält vierteljährlich einen Bericht über den<br />

Verlauf der medizinischen und finanziellen Entwicklung<br />

in der IV-RA. Die AOK Schleswig-Holstein ist mit<br />

Visite 1 Visite 2<br />

DAS 28<br />

+ STD<br />

– STD<br />

HAQ<br />

+ STD<br />

– STD<br />

der Arbeit der Management-Gesellschaft am Städtischen<br />

Krankenhaus Kiel sehr zufrieden. Ein beratender<br />

Vertragsausschuss, zusammengesetzt aus allen<br />

beteiligten Leistungserbringern, tagt halbjährlich,<br />

tauscht Erfahrungen aus und gibt Empfehlungen zur<br />

Weiterentwicklung des Projektes.<br />

Die zögerliche Akzeptanz des IV-Vertrages bei der<br />

Kieler Ärzteschaft hat dazu geführt, dass die Rekrutierungszahlen<br />

zunächst hinter den Erwartungen<br />

zurückgeblieben sind. Für die Refinanzierung der Organisationskosten<br />

(v.a. Personalkosten der Koordinationsstelle)<br />

sind die Einschreibezahlen noch nicht<br />

ausreichend. Eine ansteigende Tendenz ist inzwischen<br />

absehbar. Die Vertragspartner erwarten, dass<br />

2008 eine ausgewogene Bilanz erreicht werden kann.<br />

4. Nächste Schritte<br />

Für das nächste Versorgungsjahr muss ein neues<br />

Budget aufgrund der Erfahrungen aus dem ersten<br />

Projektjahr ausgehandelt werden. Nicht zuletzt sollten<br />

weitere Rabatt-Verträge mit der Pharmaindustrie<br />

folgen.<br />

© gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 51<br />

Notwendige Integration der Versorgung im<br />

Bereich Rheumatologie und Lösungsansätze<br />

Konzentration vs. Flächendeckende Versorgung im Bereich Rheumatologie<br />

am Beispiel des Landes Brandenburg<br />

Von Lutz Freiberg<br />

Das Gesundheitswesen in Deutschland unterliegt einem<br />

Wandel, der sämtliche Akteure vor neue Herausforderungen<br />

stellt, um auch in Zukunft eine wohnortnahe,<br />

flächendeckende medizinische Versorgung aufrecht<br />

zu erhalten.<br />

Der demografische Wandel, fehlender ärztlicher<br />

Nachwuchs und unattraktive Infrastrukturen, überwiegend<br />

in der Fläche, sowie ein zunehmender Wettbewerb<br />

im ambulanten Bereich lassen die Zahl der niedergelassenen<br />

Ärzte, besonders in den ländlichen<br />

Regionen, langsam aber kontinuierlich sinken. Das<br />

Land Brandenburg ist schon heute das Flächenland<br />

mit der bundesweit geringsten Anzahl von Vertragsärzten<br />

im Verhältnis zur Einwohnerzahl.<br />

Während im Bundesdurchschnitt rund 142 Vertragsärzte<br />

100.000 Einwohner versorgen, liegt die Quote in<br />

Brandenburg bei nur rund 120 Vertragsärzten. [1], [2]<br />

Die Zahl neu zu besetzender Arztsitze liegt gegenwärtig<br />

bei 150, wobei diese Zahl durch die Altersstruktur<br />

der derzeit tätigen Ärzte in den nächsten Jahren weiterhin<br />

steigen wird.<br />

Die Neubesetzung dieser fehlenden Arztsitze wird<br />

jedoch durch die aktuellen gesetzlichen Änderungen<br />

zunehmend erschwert. Der politisch gewollte Wettbewerb<br />

und somit der wachsende Druck zu Kooperation<br />

und Konzentration wird regionale Versorgungslücken,<br />

besonders in den peripheren Gebieten des Landes,<br />

entstehen lassen.<br />

So zeichnen sich bereits heute aufgrund von Selektivverträgen<br />

und neuer Möglichkeiten der Kooperation<br />

Konzentrationseffekte in der ambulanten Versorgung<br />

ab, wie wir sie seit Jahren schon im stationären Bereich<br />

erleben.<br />

Die gesetzliche Öffnung der stationären Einrichtungen<br />

für die Erbringung zusätzlicher ambulanter Versorgungsleistungen,<br />

z.B. durch die Möglichkeit der<br />

Gründung Medizinischer Versorgungszentren sowie<br />

die Schaffung des § 116 b SGB V (Ambulante Behandlung<br />

im Krankenhaus), werden diese Konzentrationseffekte<br />

in Zukunft weiter verschärfen und vor<br />

allem deutliche Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen.<br />

In diesem Wettbewerb um Effizienz und beste<br />

Qualität in der medizinischen Versorgung werden die<br />

Akteure, infolge der gesetzlichen Rahmenbedingungen,<br />

mit ungleich langen Spießen ausgestattet.<br />

In erster Linie werden davon hoch spezialisierte ambulante<br />

Facharztpraxen betroffen sein. So hat ein<br />

niedergelassener Arzt, im Gegensatz zu einem Krankenhaus,<br />

sämtliche Kosten – einschließlich der Praxisinvestitionen<br />

– aus seiner Leistungsvergütung zu<br />

tragen. Stationäre Einrichtungen haben dagegen die<br />

Investitionen, die zur Erbringung ambulanter medizinischer<br />

Leistungen benötigten werden, bereits getätigt<br />

oder diese werden im Rahmen der dualen Finanzierung<br />

durch öffentliche Mittel getragen.<br />

Neben den niedergelassenen Fachärzten sind jedoch<br />

auch kleine Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung<br />

vor Ort von den ungleichen Wettbewerbsbedingungen<br />

betroffen. Die politisch geförderte Konzentration<br />

bestimmter Leistungen auf nur wenige<br />

Schwerpunkt- und Maximalversorgerhäuser führt<br />

dazu, dass kleinere Häuser nicht mehr in der Lage<br />

sind kostendeckend zu arbeiten und somit bestimmte<br />

spezialisierte Leistungen nicht mehr anbieten können.<br />

Schließungen von Abteilungen und ganzen Häusern<br />

sind die Folge.<br />

Gefährdung der wohnortnahen Versorgung<br />

Eine zunehmende Verlagerung besonders aufwendiger<br />

und damit investitions- und vergütungsintensiver<br />

Leistungen an die wenigen Krankenhäuser der Vollversorgung<br />

ist somit zu erwarten. Diese Konzentration<br />

an einigen ausgewählten Standorten sowie der<br />

gleichzeitige Rückgang flächendeckender Angebote


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 52<br />

medizinischer Leistungen sind logische Konsequenzen<br />

dieses politisch gewollten Wettbewerbs und führen<br />

in Flächenländern, wie Brandenburg, zu einer<br />

Gefährdung des schnellen Zugangs von Patienten zu<br />

spezialisierter Behandlung und wohnortnaher medizinischer<br />

Modelle der Akutversorgung.<br />

Im Rahmen dieser neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />

gilt es jetzt, Modelle neuer Versorgungsstrukturen<br />

zu entwickeln, die diesem Trend entgegenwirken<br />

und eine flächendeckende wohnortnahe medizinische<br />

Versorgung bei gleichzeitiger Erhöhung von<br />

Effizienz und Qualität auch in der Zukunft sicherstellen<br />

können.<br />

So ist zum Beispiel die von Politik und Wissenschaft<br />

viel beschworene und als Allheilmittel für die Probleme<br />

im deutschen Gesundheitssystem deklarierte Integrierte<br />

Versorgung nur dann ein möglicher Lösungsansatz,<br />

wenn die bestehenden Versorgungsstrukturen<br />

einbezogen werden. Das mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz<br />

(GKV-WSG) formulierte gesundheits<strong>politische</strong><br />

Ziel der Integrierten Versorgung,<br />

die Ermöglichung einer bevölkerungsbezogenen und<br />

flächendeckenden Versorgung, kann nur erreicht werden,<br />

wenn die medizinischen Leistungen auch wohnortnah<br />

und bedarfsgerecht angeboten werden können.<br />

Die Konzentration auf wenige Standorte wirkt<br />

diesem Ziel entgegen und ist somit in dieser Hinsicht<br />

kontraproduktiv.<br />

Beim Aufbau neuer Versorgungsmodelle sind insofern<br />

die bereits vorhandenen ambulanten Strukturen wesentlich.<br />

Das Augenmerk muss hierbei auf die flächendeckende,<br />

ambulant-zentrierte, interdisziplinäre,<br />

aber auch sektorenübergreifende Kooperationen gelegt<br />

werden. Hierzu bieten sich regional organisierte<br />

Versorgungsstrukturen unter Einbeziehung niedergelassener<br />

Ärzte, Krankenhäuser und weiterer Leistungserbringer<br />

an.<br />

Gerade bei der Versorgung von Chronikern führen die<br />

aktuellen Entwicklungen einer Konzentration medizinischer<br />

Leistungen an nur wenigen Standorten zu<br />

erheblichen Verschlechterungen im Hinblick auf die<br />

Versorgungsqualität. Patienten mit chronischen Erkrankungen,<br />

wie Rheuma, Diabetes mellitus und<br />

Koronarer Herzkrankheit (KHK) sind auf eine kontinuierliche<br />

fachärztliche Betreuung, gerade auch im<br />

Bezug auf die Akutversorgung in Wohnortnähe angewiesen.<br />

Das Fehlen qualifizierter und vertrauter Ansprechpartner<br />

vor Ort und somit oft weite und zeitraubende<br />

Wege zur nächstmöglichen fachärztlichen Versor-<br />

gung stehen einer rechtzeitigen und fehlerfreien Diagnosestellung,<br />

einer fachgerechten ärztlichen Behandlung<br />

sowie der Aufrechterhaltung eines therapiegerechten<br />

und vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses<br />

entgegen. Der Aufbau von chronikerbezogenen<br />

Vollversorgungsstrukturen wird durch eine<br />

übermäßige Konzentration von Versorgungsangeboten<br />

behindert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.<br />

Exemplarisch sollen die aufgezeigten Probleme und<br />

diesbezügliche Lösungsansätze im Bereich der<br />

Rheumatologie dargestellt werden.<br />

Folgen für die rheumatologische Behandlung<br />

Gemäß der Aussagen in Fachkreisen sind Krankheiten<br />

des rheumatischen Formenkreises hinsichtlich<br />

der Belastungen der Betroffenen, aber auch<br />

angesichts der Folgekosten eines der wohl wichtigsten<br />

Krankheitsfelder in Deutschland. Der Deutschen<br />

Rheuma-Liga zufolge leiden schätzungsweise<br />

ca. 15 Prozent der Bevölkerung an rheumatischen<br />

Erkrankungen [3], womit die gesundheits- und sozial<strong>politische</strong><br />

Bedeutung dieser Krankheiten nicht zu<br />

unterschätzen ist. Nach einer Studie waren 2004<br />

27,5 Prozent aller Gründe für Arbeitsunfähigkeitstage<br />

und 36 Prozent aller Rehabilitationsmaßnahmen auf<br />

muskuloskelettale Erkrankungen zurückzuführen und<br />

stellen die zweithäufigste Ursache für vorzeitige<br />

Berentung dar.<br />

Dennoch spielten rheumatische Erkrankungen in der<br />

ärztlichen Aus- und Weiterbildung sowie der Forschungsförderung<br />

bis vor wenigen Jahren im Vergleich<br />

zu anderen häufigen Erkrankungen nur eine<br />

geringe Rolle. [4] Gegenwärtig werden hierfür auch<br />

keine DMP-Programme angeboten, was dazu führt,<br />

dass das Interesse vieler gesetzlicher Krankenkassen<br />

(GKV) durch den fehlenden finanziellen Anreiz über<br />

den Risikostrukturausgleich (RSA) faktisch gegen<br />

„Null“ sinken lässt. Natürlich gibt es Ausnahmen, wie<br />

das Beispiel der Deutschen Angestellten-Krankenkasse<br />

(DAK) zeigt.<br />

Das Versorgungsangebot für Rheumapatienten im<br />

Land Brandenburg ist bisher an zwei stationär angebundenen<br />

Rheumazentren in Mitte/West und Süd/<br />

Ost konzentriert und im bisherigen Landesrheumaplan<br />

manifestiert. Für die Patienten bedeutet diese<br />

Konzentration eine Entfernung und einen entsprechenden<br />

Fahrweg von bis zu 300 km. Der damit verbundene<br />

zeitliche und finanzielle Aufwand, aber besonders<br />

die körperliche Belastung, errichten für die


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 53<br />

kontinuierliche Behandlung von Chronikerpatienten<br />

unbestreitbar erhebliche Hürden.<br />

Gemäß dem Landesrheumaplan sollte in diesen<br />

Rheumazentren das diagnostische und therapeutische<br />

Leistungspotenzial gebündelt werden. Um die<br />

damit bestehenden Versorgungslücken in der Fläche<br />

zu schließen, wurde ausgehend von diesen Zentren<br />

ein Integriertes Versorgungsmodell initiiert. Gegenstand<br />

dieses Modells war die Durchführung von regelmäßigen<br />

Sprechstunden durch die Krankenhaus-Ärzte<br />

an verschiedenen Konsultationsstützpunkten im<br />

Land.<br />

Im Ergebnis war durch dieses Modell jedoch vor allem<br />

eine Zunahme stationärer Aufenthalte festzustellen.<br />

Der hier verfolgte stationär-zentrierte Ansatz erreichte<br />

somit keine Lösung des Versorgungsproblems, sondern<br />

führte eher zu einer Gefährdung der bereits<br />

bestehenden ambulanten Versorgungsangebote für<br />

diese Patienten.<br />

Ein möglicher Neuansatz zur Entwicklung Integrierter<br />

Versorgungsmodelle sei am Beispiel einer ambulantzentrierten,<br />

wohnortnahen Versorgung von Rheumapatienten<br />

dargestellt. Dabei stehen ambulante Konsultations-<br />

und Schulungszentren für Rheumapatienten<br />

im Mittelpunkt, die bedarfsgerecht regional angebunden<br />

sind.<br />

Die KV Consult- und Managementgesellschaft mbH,<br />

Tochtergesellschaft der Kassenärztlichen Vereinigung<br />

Brandenburg, und im Land Brandenburg tätige<br />

Rheumatologen haben mit Unterstützung der Abbott<br />

GmbH & Co. KG ein entsprechendes Konzept zur<br />

flächendeckenden, wohnortnahen, ambulant-zentrierten<br />

Rheumaversorgung im Land Brandenburg<br />

entwickelt. Gegenstand dieses flächendeckenden<br />

Modells ist die Früherkennung der Rheumatoiden Arthritis<br />

und deren frühzeitige Behandlung.<br />

Die Rheumatoide Arthritis ist die häufigste der entzündlich<br />

rheumatischen Erkrankungen. Die Prävalenz<br />

liegt bei rund ein Prozent der Gesamtbevölkerung,<br />

wobei Frauen dreimal häufiger betroffen sind als Männer.<br />

Die jährliche Inzidenz wird bundesweit mit 25.000<br />

bis 30.000 Neuerkrankungen angegeben. [3], [4]<br />

Aufgrund der schnell voranschreitenden Gelenkzerstörungen<br />

wird, Expertenmeinungen zufolge, eine<br />

möglichst frühe Diagnose und in Folge dessen eine<br />

frühzeitig einsetzende Therapierung als Ansatzpunkt<br />

für eine erfolgreiche Behandlung gesehen. [5]<br />

Die regionalen Disparitäten in der Versorgungsstruktur<br />

im Land Brandenburg stehen diesem Ansatzpunkt<br />

jedoch entgegen. Die Konzentration auf zwei Rheumazentren<br />

stellt derzeit eher ein Hindernis dar, um<br />

der Erkrankung im Frühstadium flächendeckend entgegenwirken<br />

zu können.<br />

Um eine gezielte und koordinierte Früherkennung und<br />

Behandlung einer Rheumatoiden Arthritis ermöglichen<br />

zu können, ist eine strukturierte Behandlungskette,<br />

ausgehend von der bestehenden flächendekkenden<br />

und wohnortnahen ärztlichen Versorgung der<br />

Patienten, notwendig. Die Einbindung der regional<br />

tätigen Hausärzte bildet an dieser Stelle den Anfang<br />

der Behandlungskette.<br />

Schneller Therapiebeginn entscheidend<br />

Das für den Therapieerfolg entscheidende Zeitfenster<br />

steht für einen optimalen Therapiebeginn, ohne dass<br />

Gelenkschädigungen bereits durch Krankheitsprogression<br />

erfolgt sind, 12 bis 16 Wochen nach Auftreten<br />

der ersten Symptome offen. [6] Aufgrund der<br />

zeitlichen Verzögerung bis zur Erstvisite des Patienten<br />

beim Hausarzt verkürzt sich bereits hier der Zeitraum<br />

für einen rechtzeitigen Therapiebeginn. Selbst<br />

bei frühzeitiger Verdachtsdiagnose durch den Hausarzt<br />

liegen die Wartezeiten eines Patienten für einen<br />

Termin bei einem Rheumatologen im Land Brandenburg<br />

derzeit bei bis zu 6 Monaten.<br />

Das bedeutet, die Gelenkzerstörung setzt schon ein,<br />

ehe der Patient die erste Behandlung durch den<br />

Rheumatologen erhalten kann. Um durch dieses Versorgungskonzept<br />

eine entscheidende Qualitätsverbesserung<br />

in der rheumatologischen Versorgungsstruktur<br />

im Land Brandenburg erreichen zu können,<br />

ist es wichtig, dass der Patient innerhalb seines Therapiefensters<br />

durch den Hausarzt dem Rheumatologen<br />

zugewiesen wird.<br />

Durch die Einrichtung spezieller rheumatologischer<br />

Frühdiagnose-Sprechstunden kann sichergestellt<br />

werden, dass der Patient innerhalb von 14 Tagen dem<br />

Rheumatologen vorgestellt werden kann, damit eine<br />

exakte Diagnose und eine rechtzeitig, vor Einsetzen<br />

der Progression, eingeleitete Therapie erfolgen kann.<br />

Der Hausarzt, als der erste Ansprechpartner für Patienten<br />

mit unklaren Beschwerden, hat die primäre<br />

Möglichkeit, anhand fest definierter Eingangsindikationen,<br />

erste Symptome einer rheumatischen Erkrankung<br />

zu erkennen. Um die Kompetenzen des Hausarztes<br />

im Hinblick auf die Identifizierung derartiger<br />

Symptome zu stärken, ist die Möglichkeit zur Teilnahme<br />

an entsprechenden Fortbildungen eine entschei-


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 54<br />

dende Komponente in diesem Versorgungsmodell.<br />

Die Fortbildungen werden regional von den dort tätigen<br />

Rheumatologen im Kollegenkreis durchgeführt.<br />

Um einen kontinuierlichen interaktiven Verbesserungs-<br />

und Lernprozess des Versorgungsmodells und<br />

seiner Beteiligten zu ermöglichen, sind regelmäßige<br />

Erfahrungs-, Informations- und Ideenaustausche zwischen<br />

den Akteuren eine wichtige Bedingung. Regelmäßige<br />

Qualitätszirkel zwischen den beteiligten<br />

Haus- und Fachärzten bieten hierfür einen optimalen<br />

und bewährten Rahmen.<br />

Der Grundgedanke des erarbeiteten Versorgungsmodells<br />

ist die enge Kooperation und regelmäßige Kommunikation<br />

zwischen Haus- und Facharzt. Um im<br />

Rahmen dessen eine abgestimmte und ganzheitliche<br />

Behandlung des Patienten wohnortnah sicherzustellen,<br />

ist eine koordinierte gemeinsame Betreuung<br />

durch den Hausarzt und den Rheumatologen notwendig.<br />

Die kontinuierliche und regelmäßige (Mit-)Betreuung<br />

durch den Rheumatologen spielt eine entscheidende<br />

Rolle, wenn es beispielsweise um die Unverträglichkeit<br />

einer medikamentösen Therapie und somit der<br />

Notwendigkeit eines Therapiewechsels geht. Rund<br />

drei Viertel der rheumatologisch betreuten Patienten<br />

werden nach Abbruch einer basistherapeutischen Behandlung<br />

mit einem anderen Präparat erfolgreich therapiert,<br />

wogegen bei über der Hälfte der nicht-rheumatologisch<br />

betreuten Patienten die basistherapeutische<br />

Behandlung gänzlich abgebrochen wird, mit den<br />

entsprechenden negativen Folgewirkungen. [4]<br />

Die aktive therapeutische Mitarbeit des Patienten wird<br />

in diesem Versorgungsmodell durch rheumatologische<br />

Patientenschulungen entscheidend erhöht.<br />

Durch umfangreich vermitteltes Wissen über die Erkrankung<br />

sowie den Umgang mit ihr und das Erlernen<br />

praktischer Fähigkeiten wird der Patient in seiner<br />

Krankheitsbewältigung unterstützt und seine Compliance<br />

deutlich gestärkt. Der Patient wird aktiv in den<br />

Behandlungsablauf integriert und trägt somit zum Erfolg<br />

seiner Therapie bei. Er wird sozusagen vom Betroffenen<br />

zum Beteiligten.<br />

Aufgrund der funktionellen Störungen im Bereich des<br />

gesamten Bewegungsapparates, mit denen eine<br />

rheumatische Erkrankung einhergeht, gehört die<br />

krankengymnastische Behandlung ebenfalls zum Versorgungskonzept.<br />

Zielstellung ist hier der Erhalt und<br />

die Verbesserung des Funktionsstatus der Betroffenen.<br />

Fazit<br />

Das ambulant-zentrierte Konzept zur Früherkennung<br />

der Rheumatoiden Arthritis berücksichtigt die regionalen<br />

Gegebenheiten im Land Brandenburg, ermöglicht<br />

somit den flächendeckenden Zugang des Patienten<br />

zum Rheumatologen und kann eine hochwertige<br />

medizinische und bedarfsgerechte Versorgung sicherstellen,<br />

die erheblich zur Verbesserung des Gesundheitszustandes<br />

beiträgt.<br />

Bei der Erarbeitung neuer Versorgungsmodelle muss<br />

ein ausgewogenes Verhältnis von notwendiger Konzentration<br />

zur Angebotsspezialisierung und gleichzeitiger<br />

Wohnortnähe gewährleistet sein.<br />

Die bedarfsgerechte, an den Bedürfnissen der Patienten<br />

orientierte, Integration und Kooperation ambulant<br />

und stationär tätiger Ärzte sowie anderer Leistungserbringer<br />

bilden die Grundvoraussetzungen für den<br />

Erfolg neuer Versorgungsstrukturen.<br />

© gpk<br />

Literatur<br />

(1) Arztregister KVBB, Stand: 01.08.2007<br />

(2) Bundesarztregister der KBV, Stand 31.12.2005<br />

(3) Wolf, D. (2001): Zahlen und Fakten zu Rheuma,<br />

in: Merkblätter Rheuma, Nr. 6.7<br />

(4) Strangfeld, A./Zink, A. (2006): Ambulante Betreuung von<br />

Patienten mit RA durch Hausärzte und Rheumatologen,<br />

in: Kursbuch Versorgungsforschung, S. 140-156<br />

(5) Mau, W. (2004): Bereiche und Kosten der Fehl-, Unterund<br />

Überversorgung von Patientinnen am Beispiel der<br />

rheumatoiden Arthritis<br />

(6) Gurschke E./Langer, H.E. (2005): Versorgungsdefizite<br />

bei Rheuma: Weitreichende Folgen für die Patienten und<br />

die Gesellschaft, in: rheuma-online


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 55<br />

Kostenimplikation und Lebensqualität bei<br />

Rheumatoider Arthritis in Deutschland<br />

Von Thomas Mittendorf<br />

In Beiträgen dieser gpk-Sonderausgabe werden bereits<br />

umfassend der medizinische bzw. therapeutische<br />

Fortschritt im Bereich rheumatischer Erkrankungen<br />

skizziert. In Zeiten der Ökonomisierung des Gesundheitswesens<br />

nicht nur in Deutschland, sondern<br />

weltweit, ist es erforderlich, die für einen Gesundheitsökonomen<br />

relevanten Themen in dieser Indikation,<br />

namentlich die Kosten in ihren Facetten und die Effekte<br />

auf die Lebensqualität der Patienten, näher zu<br />

beleuchten und den derzeitigen Wissensstand abzubilden.<br />

Versorgung der Rheumatoiden Arthritis<br />

in Deutschland<br />

Patienten mit Rheumatoider Arthritis (RA) haben eine<br />

vielschichtige Last zu tragen. Einerseits ist die Erkrankung<br />

mit Schmerzen und in späteren Stadien teils<br />

erheblichen Funktionseinschränkungen verbunden,<br />

andererseits kommen erhebliche finanzielle Belastungen<br />

hinzu. Bis zu 70 Prozent der Patienten erleben<br />

einen progredienten Verlauf der Erkrankung, der zunehmend<br />

zu größeren Schmerzen und steigender<br />

Funktionseinschränkung führt [Zink, Mau, Schneider<br />

2001].<br />

Kosten für die Gesellschaft in Deutschland<br />

Aus gesundheitsökonomischer Sicht ist die RA ein<br />

international sehr breit erforschtes Krankheitsbild.<br />

Dies gilt umso mehr im Vergleich zum Forschungsstand<br />

bei anderen chronischen Erkrankungen. Die<br />

Gesamtkosten rheumatischer Erkrankungen für<br />

Deutschland wurden vom Statistischen Bundesamt<br />

im Jahr 2002 mit 25,2 Milliarden Euro angegeben,<br />

wobei noch zusätzlich 794.000 verlorene Erwerbstätigkeitsjahre<br />

aufgrund vorzeitiger Berentungen pro<br />

Jahr anfallen, die in die Berechnung der genannten<br />

Summe nicht mit eingeflossen sind. Der Bereich der<br />

Rheumatoiden Arthritis zeichnet hierbei für rund drei<br />

Milliarden Euro verantwortlich. 1<br />

Die indirekten Kosten, also die Belastungen durch<br />

Produktivitätsausfall oder auch vorzeitige Berentun-<br />

gen, übersteigen die direkten Kosten bezogen auf den<br />

einzelnen Patienten dabei um das zwei- bis dreifache.<br />

So wurden bei in Deutschland durchgeführten Studien,<br />

in verschiedenen Kohorten indirekte Kosten für<br />

die ersten drei Jahre einer Erkrankung an RA von<br />

rund 12.000 Euro berichtet (Merkesdal, Mau, Ruof et<br />

al. 1998; Ruof, Hülsemann, Mittendorf et al. 2003).<br />

International gehen diese Schätzungen teils noch<br />

höher (Cooper 2000; Magnusson 1996).<br />

In mehreren internationalen wie auch deutschen Studien<br />

konnte gezeigt werden, dass die Kosten (direkte<br />

wie indirekte) mit zunehmender Schwere der Krankheit<br />

ansteigen. International wurde dies z.B. für eine<br />

skandinavische Population gezeigt, bei der die Kosten<br />

für Krankenhausaufenthalte vom leichtesten Schweregrad<br />

bis zu schweren Einschränkungen um das<br />

15fache anstiegen (Kobelt, Eberhardt, Jönsson<br />

1999). Andere Autoren kamen nach Analyse einer<br />

US-amerikanischen Kohorte ebenfalls zu dem<br />

Schluss, dass die direkten Kosten signifikant mit der<br />

Krankheitsschwere, von den Autoren gemessen als<br />

Beeinträchtigung der Funktionskapazität, korreliert<br />

sind (Yelin, Wanke 1999).<br />

Auch in Deutschland wurden mittels Daten der umfassenden<br />

Kerndokumentation in Berlin Untersuchungen<br />

durchgeführt, ob die Krankheitsschwere Auswirkungen<br />

auf die Kosten hat. Hierüber konnten kürzlich<br />

Daten sowohl für die direkten als auch die indirekten<br />

Kosten von über 4.000 Patienten berichtet werden.<br />

Patienten mit den geringsten Einschränkungen kamen<br />

auf jährliche Gesamtkosten von rund 9.000 Euro,<br />

während die Patienten mit den stärksten Einschränkungen<br />

jährliche Kosten von durchschnittlich rund<br />

35.000 Euro aufwiesen (Huscher et al. 2006).<br />

Zusätzlich haben die Patienten durchschnittlich selber<br />

teils erhebliche Zuzahlungen von über 400 Euro pro<br />

Jahr zu tragen, die ihnen von Krankenkassen nicht<br />

erstattet werden, wie eine kürzliche Studie bei RA in<br />

1 Statistisches Bundesamt 2004


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 56<br />

Deutschland ergab (Hülsemann, Mittendorf, Merkesdal<br />

et al. 2005).<br />

Wegen der mit dem Schweregrad ansteigenden Kosten<br />

wird derzeit intensiv nach Faktoren gesucht, die<br />

eine zuverlässige Prädiktion der Krankheitsprognose<br />

für individuelle Patienten ermöglichen könnten. Unterschiedliche<br />

Forschergruppen kommen bei direkten<br />

Kosten zu dem Ergebnis, dass vorrangig die Einschränkung<br />

der Funktionskapazität, der Allgemeinzustand,<br />

die Höhe der Lebensqualität, die Krankheitsaktivität<br />

sowie die Schmerzintensität ein höheres Maß<br />

an zukünftigen direkten Kosten bedingen (Michaud,<br />

Messer, Choi et al. 2003; Verstappen, Verkleij, Bijlsma<br />

et al. 2004).<br />

Bei einer in Deutschland durchgeführten Studie waren<br />

für indirekte Kosten, analog zu den direkten Kosten,<br />

die Krankheitsaktivität, die Krankheitsschwere<br />

und eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit wichtige<br />

Prädiktoren aller Komponenten der Produktivitätskosten.<br />

Zusätzlich konnten ergänzend eine geringere<br />

berufliche Stellung und die Erosivität der Arthritis<br />

identifiziert werden (Merkesdal, Hülsemann, Mittendorf<br />

2006). Hieraus können sich mögliche Interventionsansätze<br />

für die Versorgung ableiten lassen.<br />

Bei einer nicht optimalen frühzeitigen Therapie der<br />

Erkrankung können somit Kosten durch Unterversorgung<br />

entstehen. Wenn die Progression der Krankheit<br />

über eine Basistherapie zumindest verzögert oder<br />

verlangsamt werden kann und die Kosten der Behandlung<br />

mit dem Schweregrad der Behandlung steigen,<br />

könnten die Gesamtkosten langfristig unter Umständen<br />

positiv beeinflusst werden.<br />

Für Nordrhein-Westfalen wird geschätzt, dass bis zu<br />

450 Rheumatologen in der Versorgung fehlen. Durch<br />

die Folgen der Unterversorgung mit Basistherapeutika<br />

werden dadurch über einen Zeitraum von zehn<br />

Jahren eventuell vermeidbare Kosten von 36.000<br />

Euro bis 66.000 Euro pro RA-Patienten geschätzt<br />

(Mau 2004).<br />

Durch die Einführung neuer Wirkstoffe bei der Behandlung<br />

der RA werden nun vor allem positive Auswirkungen<br />

auf die hohen indirekten Kosten der Erkrankung<br />

und auf die erhebliche Einschränkung der<br />

Lebensqualität erwartet. Die indirekten Kosten können<br />

sich zusammensetzen aus vorzeitigen Berentungen,<br />

einem Ausfall an Produktivität durch die Krankheit<br />

oder auch in einer eingeschränkten Produktivität.<br />

Aus Sichtweise der Volkswirtschaft sind diese Kostenbereiche<br />

von hohem Interesse, da durch eine positive<br />

Beeinflussung hierüber eine (Teil-)Finanzierung<br />

von Kosten in anderen Bereichen der Versorgung<br />

geleistet werden könnte. Durch den progressiven<br />

Charakter chronischer degenerativer Erkrankungen<br />

wie der RA steigen diese Kostenbereiche, wie bereits<br />

erwähnt, meist mit zunehmender Schwere und Dauer<br />

der Erkrankung an.<br />

Eine Verlangsamung oder ein Aufhalten der Progression<br />

kann somit unter Berücksichtigung dieser Kosten<br />

auf mittelfristige Sicht zu günstigen Aussagen bezüglich<br />

der Kosten-Nutzen-Relation beitragen. Jüngste<br />

Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass diese<br />

Kostenbereiche unter innovativen Therapien mit Biologika<br />

in Zeitrahmen von drei Jahren entweder positiv<br />

beeinflusst werden können oder zumindest nicht weiter<br />

ansteigen (Mittendorf, Dietz, von der Schulenburg<br />

et al. 2006; Mittendorf, Dietz, Sterz et al. 2007 (Rheumatology).<br />

In Deutschland und Großbritannien können biologische<br />

Wirkstoffe nach aktuellen Richtlinien bei neu<br />

diagnostizierten Patienten beispielsweise nach zwei<br />

gescheiterten Therapieversuchen mit klassischen<br />

Basistherapien, die innerhalb von sechs Monaten<br />

nicht zum Erfolg führen, eingesetzt werden (NICE<br />

2002; Ledingham, Deighton 2005, Manger 2002).<br />

Bei diesen Patientengruppen können durch die Therapie<br />

erhebliche Effekte in der Verlangsamung der<br />

Progression bewirkt werden, was sich in den Ergebnissen<br />

einer Vielzahl durchgeführter Kosten-Effektivitätsstudien<br />

widerspiegelt (Lyseng-Williamson, Plosker<br />

2004; Lyseng-Williamson, Foster 2004; Bansbeck,<br />

Brennan, Ghatnekar 2005; Wong 2004; Emery 2004;<br />

Bansbeck, Regier, Ara et al. 2005)<br />

Kostenbereiche, die erst in jüngerer Zeit in den Fokus<br />

des wissenschaftlichen Interesses gerückt sind, umfassen<br />

z.B. Belastungen von so genannten Caregivern,<br />

also Personen, die sich neben professionellen<br />

Pflegekräften um den erkrankten Menschen kümmern<br />

und dadurch z.B. ihren Arbeitsplatz aufgeben<br />

müssen oder andere Kosten haben (z.B. der Partner<br />

oder Angehörige).<br />

Die Bewertung dieser Last für einzelne Personen und<br />

die Volkswirtschaft insgesamt ist methodisch nicht<br />

einfach, jedoch findet hier eine intensive Forschung<br />

statt, die es in den kommenden Jahren ermöglichen<br />

wird, einen Eindruck von den monetären Implikationen<br />

zu erhalten (van den Berg, Spauwen 2006; van<br />

Exel, Brouwer, van den Berg et al. 2004).<br />

In Langzeitstudien wurde zudem bereits die Übersterblichkeit<br />

dieser Patienten im Krankheitsverlauf,<br />

d.h. eine erhöhte Sterblichkeit im Vergleich mit der


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 57<br />

Normalbevölkerung durch die RA, untersucht. So haben<br />

RA-Patienten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung<br />

nach elf Krankheitsjahren eine um 15 Prozent,<br />

nach 20 Jahren um 42 Prozent, nach 25 Jahren um 60<br />

Prozent und nach 40 Jahren eine um 240 Prozent<br />

erhöhte Wahrscheinlichkeit zu versterben (Minaur,<br />

Jacoby, Cosh et al. 2004).<br />

Insgesamt hat die RA einen erheblichen Einfluss,<br />

sowohl auf die Morbidität im Sinne einer Risikoerhöhung<br />

für das Auftreten weiterer Erkrankungen, als<br />

auch die Mortalität der Betroffenen (Zink, Mau,<br />

Schneider 2001).<br />

Lebensqualität und RA<br />

Die intensive Auseinandersetzung mit der Lebensqualität<br />

in den letzten 20 Jahren hängt mit der Erkenntnis<br />

zusammen, dass chronische Krankheiten<br />

aufgrund des demographischen Wandels in unserer<br />

Gesellschaft einen immer größer werdenden Stellenwert<br />

einnehmen werden. Somit steht die Linderung<br />

von Symptomen und nicht alleine die Lebensverlängerung<br />

im Vordergrund des Interesses, womit der<br />

medizinischen Bewertung einer Maßnahme neben<br />

der quantitativen eine qualitative Dimension gegeben<br />

wird.<br />

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nahm bereits<br />

1948 eine Definition des Gesundheitsbegriffs<br />

vor, indem sie die Gesundheit als „(...) Zustand des<br />

völligen körperlichen, psychischen und sozialen<br />

Wohlbefindens und nicht nur (als) das Freisein von<br />

Krankheit und Gebrechen“ (World Health Organisation<br />

1948) bezeichnete. Diese Definition reicht im<br />

wörtlichen Sinne zwar sehr, wenn nicht gar zu weit,<br />

doch prägte sie die Forschung dadurch, dass der<br />

Lebensqualität ab da verschiedene Dimensionen und<br />

damit Teilbereiche zugeordnet wurden.<br />

Lebensqualität in Bezug auf gesundheitliche Probleme<br />

wird in ihren Facetten daher zumindest in die vier<br />

Dimensionen psychisches Befinden, soziale Beziehungen,<br />

die funktionale Kompetenz und die körperliche<br />

Verfassung unterteilt (von der Schulenburg, Mittendorf,<br />

Vollmer et al. 2005).<br />

Instrumente, die zur Messung von Lebensqualität<br />

genutzt werden, setzen an diesen, aber auch anderen<br />

Aspekten des körperlichen oder psychischen Wohlbefindens<br />

an. Neben dem klassischen Bereich der<br />

körperlichen Verfassung, umfasst der Bereich der sozialen<br />

Beziehungen z.B. die Art und Anzahl sozialer<br />

Kontakte zur Familie, zu Freunden und Verwandten.<br />

Ein anderer Aspekt der Lebensqualität ist das psychi-<br />

sche Befinden der Patienten (z.B. Angst- oder Niedergeschlagenheitsgefühle,<br />

Freude, Zufriedenheit). Die<br />

funktionale Kompetenz, z.B. Ermüdung, ist eine zusätzliche<br />

wichtige Dimension, vor allem im Bereich<br />

der RA.<br />

Verschiedene Dimensionen haben bei einzelnen<br />

chronischen Erkrankungen naturgemäß eine unterschiedliche<br />

Stellung oder einen unterschiedlichen<br />

Grad der Beeinträchtigung. Patienten mit RA haben<br />

dabei im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen,<br />

wie Diabetes oder auch koronaren Problemen,<br />

in fast allen Facetten der Lebensqualität höhere<br />

Einschränkungen zu ertragen (Arnold, Ranchor,<br />

Sandermann et al. 2004).<br />

Die Lebensqualitätsforschung ist im Bereich der RA<br />

weit vorangeschritten. So werden vor allem bei der<br />

Therapie mit Biologika einzelne Facetten, die eine<br />

hohe Relevanz für die Patienten haben, wie z. B. „Fatigue“<br />

(also Erschöpfungszustände), in Langzeitstudien<br />

verfolgt (Mittendorf, Sterz, von der Schulenburg<br />

2005).<br />

Gerade in jüngerer Zeit konnte in solchen Studien<br />

gezeigt werden, dass nicht nur spezielle Teilbereiche<br />

der Lebensqualität, sondern die gesamte gesundheitsbezogene<br />

Lebensqualität durch eine Basistherapie<br />

mit Biologika (hier am Beispiel Adalimumab) auch<br />

über längere Zeiträume von drei Jahren zunächst<br />

signifikant gesteigert wird und dieser Effekt auch gehalten<br />

werden kann (Mittendorf, Sterz, von der Schulenburg<br />

2005; Mittendorf, Dietz, Sterz et al. 2007 (J<br />

Rheumatol). Aufgrund des progressiven Charakters<br />

der Erkrankung ist dies umso bemerkenswerter.<br />

Das Konstrukt der Lebensqualität wird in der modernen<br />

rheumatologischen Therapie dabei zukünftig zu<br />

einem Forschungsfeld, mit dem gesicherte Kenntnisse<br />

über die Einschränkungen gesammelt werden können,<br />

die es Rheumatologen ermöglichen, eine zielgerichtete,<br />

auf die Situation des einzelnen Patienten<br />

bezogene Therapie, einzuleiten (Hülsemann, Mattussek,<br />

Henning et al. 2003).<br />

In klinischen Studien und langfristigen Beobachtungsstudien<br />

wird die Lebensqualität bei RA seit Jahren<br />

regelmäßig erhoben und bewertet. Es gibt ausreichend<br />

Literatur darüber, dass solche Instrumente<br />

auch in der ambulanten Praxis eingesetzt werden<br />

können, um die vielschichtigen Probleme von RA-<br />

Patienten zu erfassen und die Therapie entsprechend<br />

einzustellen (Hülsemann, Mattussek, Henning et al.<br />

2003).<br />

© gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 58<br />

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gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 59<br />

Erfahrungsbericht einer Betroffenen<br />

Die Versorgung rheumakranker Menschen hat noch deutliche Defizite<br />

Von Annelie Heilhecker<br />

Rheuma ist nicht gleich Rheuma: Hinter diesem Begriff<br />

verbergen sich viele Krankheiten, die prinzipiell in<br />

jedem Lebensalter auftreten können. Mit Hilfe einer<br />

frühzeitigen Diagnostik und Behandlungsplanung<br />

durch einen rheumatologisch erfahrenen Facharzt<br />

lässt sich der Krankheitsverlauf meist positiv beeinflussen.<br />

Rheumatische Erkrankungen umfassen Krankheiten<br />

des Bewegungsapparates, die mit Schmerzen<br />

und Bewegungseinschränkung einhergehen können,<br />

so die Definition der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO). Zum Bewegungsapparat zählen die Wirbelsäule,<br />

Knochen, Gelenke und die sie umgebenden<br />

Weichteile, wie z.B. die Muskulatur und die Sehnen.<br />

Bei einem Teil der Erkrankungen besteht die Gefahr,<br />

dass weitere Organe (u.a. Herz, Lunge, Niere, Auge)<br />

erkranken.<br />

In allen Altersgruppen – vom Kind bis zum älteren<br />

Menschen – können rheumatische Erkrankungen auftreten.<br />

Die Ursachen für ihre Entstehung sind vielfältig,<br />

zu einem Teil noch unbekannt.<br />

Mein Leidensweg: Im Alter von 13 Jahren bekam ich<br />

Schmerzen, vor allem in den Händen und um das<br />

Gesäß herum. Damals behandelte mich ein Orthopäde<br />

mit Verordnungen von Massagen und Funktionstraining.<br />

Die Schmerzen hatte ich soweit im Griff bis<br />

nach der zweiten Schwangerschaft die Rückenschmerzen<br />

und die Schmerzen in den Armen unerträglich<br />

wurden. Ich stellte mich mit meinen jungen<br />

Jahren einem Handchirurgen in den Städtischen Kliniken<br />

in Wiesbaden vor. Der Arzt sagte mir wortwörtlich:<br />

„Mädchen, du bist noch zu jung für eine Handoperation.“<br />

Damals ging ich betrübt nach Hause und habe meine<br />

Schmerzen weiterhin mit Medikamenten unterdrückt.<br />

Vor sieben Jahren mussten dann beide Hände unters<br />

Messer; seitdem fühle ich mich wie neugeboren. Bedingt<br />

durch ein Meningiom, 1 das im Frühjahr 2006<br />

entfernt wurde, muss ich weiterhin Cortison und<br />

Schmerzmittel einnehmen.<br />

Unsere älteste Tochter Nicole ist mit acht Jahren an<br />

einer juvenilen rheumatischen Arthritis erkrankt. Zu-<br />

erst verbrachte Nicole vier Wochen in der Uni Mainz<br />

und dann wurde sie dank unserer Kinderärztin nach<br />

Garmisch-Partenkirchen in die Kinder-Rheuma Klinik<br />

eingewiesen. In der Klinik wurden wir aufgenommen<br />

wie in einer Großfamilie. Nicole fühlte sich wohl und<br />

sie lernte mit ihrer Krankheit umzugehen.<br />

Durch die Erkrankung unserer Tochter und dem Aufenthalt<br />

in Garmisch-Partenkirchen wurden wir Mitglied<br />

in der Rheuma-Liga, und nach dem ersten Elternseminar<br />

in Hessen wurden mir von Herta Seebaß<br />

und Rosita Winkler die Arbeit für Eltern mit rheumatischen<br />

Erkrankungen in die Hände gelegt.<br />

Vor 13 Jahren übergab ich meine Arbeit an jüngere<br />

Eltern und unsere Tochter begann mit einer Gruppe<br />

für junge Rheumatiker. Seitdem ist auch sie aktiv im<br />

Landesverband und im Bundesverband Bundesarbeitskreis<br />

Junger Rheumatiker (BAK).<br />

Der BAK bemüht sich, in einzelnen Aktionen und<br />

Projekten junge Rheumatiker auf Bundesebene zu<br />

unterstützen. Er setzt sich aus sechs Betroffenen im<br />

Alter von 18 bis 35 Jahren zusammen. Der BAK wird<br />

alle vier Jahre auf der Bundeskonferenz gewählt. Er<br />

berät den Bundesvorstand in allen Dingen, die Young<br />

Rheumis betreffen, und arbeitet eng mit den Eltern<br />

rheumakranker Kinder zusammen.<br />

Er versteht sich als Anlaufpartner für alle Jungen<br />

Rheumatiker und unterstützt deren Anliegen auf Landes-<br />

und Bundesebene, um die Arbeit für junge Menschen<br />

mit Rheuma vor Ort voran zu bringen.<br />

Es wird am falschen Ende gespart<br />

Was mich persönlich am meisten ärgert, dass die<br />

Gesundheitspolitik am falschen Ende spart. Die meisten<br />

der über einhundert rheumatischen Erkrankungen<br />

sind chronisch, eine Heilung ist nicht zu erwarten. Die<br />

Krankheiten betreffen nicht nur ältere Menschen, wie<br />

dies oft noch gedacht wird. Alle Generationen, ja<br />

selbst Babys werden von dieser tückischen Krankheit<br />

befallen. Betroffen sind oft die Gelenke.<br />

1 Gutartiger Hirntumor (d. Red.)


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 60<br />

Da es keine Heilungsmöglichkeiten gibt, kann nur<br />

versucht werden, die Beweglichkeit möglichst lange<br />

zu erhalten. Die Rheuma-Liga Hessen organisiert für<br />

ihre Mitglieder krankengymnastische Übungen, die<br />

von speziell ausgebildeten Therapeuten geleitet werden.<br />

Die Kosten werden von den Krankenkassen<br />

übernommen, da es sich um eine kostengünstige<br />

Prävention handelt. Ohne diese Maßnahmen würden<br />

auf die Krankenkassen noch mehr Kosten für ambulante<br />

und stationäre Behandlung sowie Arzneien und<br />

Hilfsmitteln zukommen.<br />

Obwohl das im Juli 2001 in Kraft getretene SGB IX die<br />

Kostenübernahme des Funktionstrainings sogar als<br />

Pflichtleistung festschreibt, gibt es in der Praxis erhebliche<br />

Schwierigkeiten. Einige Krankenkassen vertreten,<br />

gegen alle medizinischen und wirtschaftlichen<br />

Erkenntnisse die Meinung, Patienten könnten diese<br />

krankengymnastischen Übungen selbst erlernen und<br />

Zuhause durchführen.<br />

Aber nicht nur bei der Warmwassergymnastik in der<br />

eigenen Badewanne treten Schwierigkeiten auf. Der<br />

Zustand der Gelenke und damit ihre Belastbarkeit<br />

können sich von Woche zu Woche dramatisch ändern.<br />

Eine Übung, die man ohne Schwierigkeiten durchführen<br />

konnte, kann innerhalb kurzer Zeit nicht mehr<br />

möglich sein und sogar irreparable Schäden herbeiführen.<br />

Es reicht eben nicht aus, nur für einen bestimmten<br />

Zeitraum Behandlungen zu bekommen, und es reicht<br />

auch nicht aus, nach erfolgter Anleitung zu Hause<br />

allein weiterzumachen. Durch die Schmerzeinwirkungen<br />

werden zu Hause die Übungen verfälscht, da<br />

man immer eine Schonhaltung einnimmt und somit<br />

mehr Schaden angerichtet wird.<br />

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass<br />

hier ein Versuch unternommen wird, am falschen<br />

Ende zu sparen. Die Kosten die auf die Krankenkassen<br />

zukommen, wenn sie ihre Haltung nicht ändert,<br />

sind bedeutend höher. Das Funktionstraining kostet<br />

durchschnittlich rund 300 Euro jährlich. Man kann sich<br />

leicht ausrechnen, dass die Folgen von nicht oder<br />

unsachgemäßen Übungen bedeutend höher sind.<br />

Bereits ein Tag stationäre Behandlung frisst den „Einspareffekt“<br />

wieder auf. Ganz zu schweigen von dem<br />

angerichteten Image-Schaden in der Politik.<br />

So können bei den Betroffenen Schmerzen gelindert,<br />

die Beweglichkeit verbessert sowie der fortschreitende<br />

Krankheitsprozess aufgehalten oder sogar gehemmt<br />

werden. Zur Behandlung stehen Medikamente,<br />

Krankengymnastik und psychologische Therapieformen<br />

zur Verfügung.<br />

Einsatz neuer Medikamente sinnvoll<br />

Eine Behandlung mit den modernen, hochwirksamen<br />

biologischen Medikamenten aus der Gruppe der TNFalpha-Blocker<br />

oder auch dem IL-1-Rezeptor-Antagonist<br />

(Interleukin-1-Blocker) Anakinra ist immer dann<br />

medizinisch gerechtfertigt, wenn eine Behandlung mit<br />

den herkömmlichen langwirksamen Antirheumatika<br />

unwirksam war oder diese Therapie aus anderen<br />

Gründen, z.B. wegen Nebenwirkungen, nicht oder<br />

nicht mehr durchgeführt werden kann.<br />

Der Einsatz dieser neuen Medikamente ist insbesondere<br />

dann sinnvoll und notwendig, wenn trotz einer<br />

ausreichend langen und in ausreichend hoher Dosierung<br />

durchgeführten konventionellen Behandlung mit<br />

langwirksamen Antirheumatika eine hohe Krankheitsaktivität<br />

besteht.<br />

Allerdings sieht es in der Tat so aus, dass die Verordnung<br />

dieser hochwirksamen Substanzen für den behandelnden<br />

Rheumatologen mit ganz erheblichen<br />

Problemen verbunden ist. Viele Rheumatologen<br />

fürchten drohende Regressforderungen der Krankenkassen.<br />

Obwohl die medikamentöse Behandlung von<br />

Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises in<br />

jedem KV-Gebiet Deutschlands als Praxisbesonderheit<br />

zur Anerkennung durch den Prüfungsausschuss<br />

vorgeschlagen wird, entsteht bei der Verordnung von<br />

biologischen Medikamenten oftmals Unsicherheit auf<br />

Grund mangelhafter oder falscher Information der<br />

Ärzte, was nicht einer leitliniengerechten Behandlung<br />

förderlich ist und damit den Patienten schaden kann.<br />

Man kann daher nur hoffen, dass das Zweitmeinungsverfahren<br />

so ausgestaltet wird, dass es hilft, Regressängsten<br />

und Unterversorgung Abhilfe zu schaffen –<br />

also als Chance, die leitliniengerechte Verordnung<br />

hocheffektiver Präparate im Sinne der Patienten zu<br />

sichern. Hierin liegt eine Chance der neuen Gesundheitsgesetzgebung,<br />

deren Verantwortung sich der<br />

Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zwingend<br />

annehmen und dies förderlich für die Patienten lösen<br />

sollte. Da die kassenärztliche Vergütung für die Rheumatologen<br />

gegenwärtig gleichzeitig extrem niedrig<br />

ist, in Hessen für alle Leistungen über ein gesamtes<br />

Quartal bei 35 Euro liegt, ist die Verordnung von<br />

Biologika und den notwendigen, zugleich wichtigen<br />

ärztlichen Leistungen leider nicht adäquat ausgestaltet.<br />

Es stellt sich die Frage, wo die optimale medizinische<br />

Versorgung von Rheumakranken bleibt. Zu wünschen<br />

ist eine aktive und produktive Zusammenarbeit<br />

von den Kassenärztlichen Vereinigungen und den<br />

rheumakranken Patienten in unserem Land. Rheumakranke<br />

Menschen brauchen eine bessere Lobby in<br />

der Politik.<br />

© gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 61<br />

Axel Böhnke (Jahrg. 1975), Leiter der Abteilung<br />

Gesundheitspolitik bei Abbott. Studium<br />

der Gesundheitsökonomie an der<br />

Universität Köln mit Abschluss Diplom-Gesundheitsökonom.<br />

Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten.<br />

Wulff-Erik von Borcke (Jahrg. 1967), General<br />

Manager Deutschland des Pharmaunternehmens<br />

Abbott. Zuvor in verschiedenen<br />

Positionen bei Abbott in den USA<br />

tätig.<br />

Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich (Jahrg.<br />

1970), Apothekerin, seit 2006 Direktorin<br />

des Wissenschaftlichen Instituts der Techniker<br />

Krankenkasse (TK) für Nutzen und<br />

Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG).<br />

Seit 2000 Lehrauftrag für Pharmakoökonomie<br />

Lehrstuhl „Klinische Pharmazie“ der<br />

Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität<br />

Bonn. Von 1996 bis 2000 Aufbau und<br />

Leitung der Forschungsgruppe Pharmakoökonomie<br />

Institut für Umweltmedizin und<br />

Krankenhaushygiene der Albert-Ludwigs-<br />

Universität Freiburg. Forschungsinhalt:<br />

Durchführung von pharmakoökonomischen<br />

Studien, Anwendungsbeobachtungen<br />

und Metaanalysen.<br />

Lutz Freiberg (Jahrg. 1965), Naturwissenschaftler<br />

(Staatsexamen Mathematik/Physik),<br />

seit 12 Jahren im Gesundheitswesen<br />

tätig. Geschäftsbereichsleiter Grundsatzfragen<br />

in der Kassenärztlichen Vereinigung<br />

Brandenburg und Geschäftsführer der KV<br />

Consult- und Managementgesellschaft<br />

mbH und für die Kassenärztliche Bundesvereinigung<br />

tätig.<br />

Prof. Dr. Erika Gromnica-Ihle (Jahrg.<br />

1940), niedergelassene Rheumatologin,<br />

zuvor Chefärztin der Rheumaklinik Berlin-<br />

Buch.Wissenschaftliche Leiterin der Rheumatologischen<br />

Fortbildungsakademie. Mitglied<br />

der Kommission Versorgung der<br />

DGRh. Wissenschaftliche Schwerpunkte:<br />

entzündlich-rheumatische Systemerkrankungen,<br />

Antiphospholipidsyndrom.<br />

Annelie Heilhecker (Jahrg. 1951), gelernte<br />

Metzgereifachverkäuferin, seit 1985<br />

selbstständig im Bereich Abfluß-, Rohr-<br />

Kanal-Technik. Mitarbeit in zahlreichen sozialen<br />

Einrichtungen wie Behindertenkommission,<br />

Rheuma-Liga Hessen, Diagnosegruppe<br />

Fibromyalgie Gesamt Hessen.<br />

Stadtverordnete der Stadt Taunusstein.<br />

Andreas Hering (Jahrg. 1969), Krankenkassenfachwirt,<br />

seit 2004 Referent für Integrierte<br />

Versorgung der AOK Schleswig-<br />

Holstein. Mitglied in Projektgruppen beim<br />

AOK Bundesverband, Dozent an der Fachhochschule<br />

Flensburg und ehrenamtlich in<br />

Autoren dieser Ausgabe<br />

der Gesundheitspolitik auf Landesebene<br />

tätig.<br />

Eike Hovermann MdB (Jahrg. 1946),<br />

Gymnasiallehrer a.D., seit 1995 Mitglied<br />

des Deutschen Bundestages (SPD), Mitglied<br />

im Ausschuss für Gesundheit, stellv.<br />

Mitglied im Ausschuss für Ernährung,<br />

Landwirtschaft und Verbraucherschutz,<br />

Mitglied in der Arbeitsgruppe Gesundheit<br />

der SPD-Bundestagsfraktion.<br />

Dr. Gisela Kobelt (Jahrg. 1950), Geschäftsführerin<br />

der European Health Economics,<br />

eines Consulting-Unternehmens,<br />

das auf die ökonomische Bewertung gesundheitlicher<br />

Interventionen und Trainingskurse<br />

im Bereich Gesundheitsökonomie<br />

spezialisiert ist. Master-Abschluss der<br />

Universität Straßburg und einen MBA-Abschluss<br />

des Institute for Management Development<br />

in Lausanne. Promotion in Gesundheitsökonomie<br />

am Karolinska-Institut<br />

in Stockholm. Autorin von mehr als 40 Publikationen<br />

im Bereich Gesundheitsökonomie.<br />

Prof. Dr. Klaus Krüger (Jahrg. 1948), Internist<br />

und Rheumatologe, Leiter des Praxiszentrums<br />

St. Bonifatius. Außerplanmäßiger<br />

Professor an der an der Ludwig-Maximilians<br />

Universität München. Wissenschaftliche<br />

Schwerpunkte: Experimentelle<br />

Therapieformen der rheumatoiden Arthritis,<br />

Pharmaökonomie der antirheumatischen<br />

Therapie, Sjögren-Syndrom.<br />

Gerhard Kruse (Jahrg. 1951), seit 1997<br />

Bereichsleiter Gesundheitspartnerservice<br />

der AOK Schleswig-Holstein. Mitglied in<br />

diversen Fachausschüssen der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung auf Bundesund<br />

Landesebene, ehrenamtlicher Sozialrichter,<br />

Dozent an der Fachhochschule<br />

Flensburg und im AOK-Bildungszentrum.<br />

Ein Arbeitsschwerpunkt ist die Entwicklung<br />

neuer Versorgungsformen.<br />

Prof. Dr. med. Wilfried Mau (Jahrg. 1956),<br />

seit 2003 Direktor des Instituts für Rehabilitationsmedizin<br />

der Universität Halle-Wittenberg.<br />

Facharzt für Innere Medizin,<br />

Rheumatologie. Sprecher der Kommission<br />

Rehabilitation und Sozialmedizin der Deutschen<br />

Gesellschaft für Rheumatologie.<br />

Leiter der Initiativgruppe Versorgungsforschung<br />

der Deutschen Gesellschaft für<br />

Physikalische Medizin und Rehabilitation.<br />

Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft<br />

für Rehabilitationswissenschaften.<br />

Dr. Thomas Mittendorf (Jahrg. 1972), seit<br />

2000 wissenschaftlicher Forschungsassistent<br />

an der Forschungsstelle für Gesund-<br />

heitsökonomie und Gesundheitssystemforschung,<br />

einer Gemeinschaftseinrichtung<br />

der Leibniz Universität Hannover und<br />

der Medizinischen Hochschule Hannover<br />

(MHH). Autor zahlreicher Zeitschriftenartikel<br />

vorrangig im Bereich der ökonomischen<br />

Betrachtung von Zusammenhängen<br />

in der Rheumatologie. Wissenschaftliche<br />

Schwerpunkte im Bereich der Evaluation<br />

von Gesundheitsleistungen, Kosten-Effektivitätsanalysen,<br />

Entscheidungsanalysen<br />

sowie der Gesundheitssystemforschung.<br />

Gastdozent an den Universitäten Berlin<br />

und Bielefeld.<br />

Dipl.-Med. Hans-Werner Pfeifer (Jahrg.<br />

1952), Chirurg und Sozialmediziner. Fachreferent<br />

in einem großen Beratungsunternehmen<br />

für Krankenversicherungen (Berlin).<br />

Vizepräsident der Vereinigung der<br />

Sozialversicherungsärzte Europas (EU-<br />

MASS) und Generalsekretär des Berufsverbandes<br />

der Sozialversicherungsärzte<br />

Deutschlands.<br />

Prof. Dr. rer. pol. h. c. Herbert Rebscher<br />

(Jahrg. 1954), Vorsitzender des Vorstandes<br />

der Deutschen Angestellten-Krankenkasse<br />

(DAK). Honorarprofessor für Gesundheitsökonomie<br />

an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Fakultät der<br />

Universität Bayreuth. Studium der Wirtschafts-<br />

und Organisationswissenschaften<br />

an der Universität der Bundeswehr München.<br />

Von 1996 bis 2003 Vorsitzender des<br />

Vorstandes des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen<br />

e.V. (VdAK) und des<br />

AEV – Arbeiter-Ersatzkassen-Verbandes<br />

e.V. (AEV).<br />

Dr. med. Ina Ueberschär (Jahrg. 1952),<br />

Sozialmedizinerin, Leitende Ärztin einer<br />

großen deutschen Rentenversicherung.<br />

Vorsitzende des Berufsverbandes der Sozialversicherungsärzte<br />

Deutschlands und<br />

Mitglied des Vorstandes der Vereinigung<br />

der Sozialversicherungsärzte Europas<br />

(EUMASS). Autorin zahlreicher medizinischer<br />

Publikationen.<br />

Prof. Dr. Angela Zink (Jahrg. 1953), Leiterin<br />

des Forschungsbereichs Epidemiologie<br />

am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum<br />

Berlin (DRFZ) und Hochschullehrerin<br />

an der Klinik für Rheumatologie und Klinische<br />

Immunologie der Charité Universitätsmedizin<br />

Berlin. Stellvertretende Direktorin<br />

des DRFZ und Sprecherin des Kompetenznetzes<br />

Rheuma. Wissenschaftliche<br />

Schwerpunkte: Versorgungsepidemiologie,<br />

Sicherheit und Wirksamkeit neuer Therapien<br />

unter Praxisbedingungen, Prognosestudien.


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 62<br />

Abbotts Versprechen<br />

Von der Wissenschaft zur Fürsorge<br />

Von Wulff-Erik von Borcke<br />

Ständig wachsende Anforderungen in der modernen<br />

Medizin und das Auftreten neuer Erkrankungen erfordern<br />

immer präzisere Diagnostik, Therapien und Medizintechnik.<br />

Das Unternehmen Abbott hat sich als<br />

Ziel gesetzt, diesen Ansprüchen nachzukommen und<br />

sich damit als einer der führenden Hersteller von<br />

Produkten im Gesundheitswesen zu positionieren.<br />

Wer ist Abbott?<br />

Abbott ist ein weltweit tätiges Unternehmen im Gesundheitswesen<br />

mit einem breit aufgestellten Produktportfolio.<br />

Nicht nur in der Arzneimitteltherapie bietet<br />

Abbott innovative Lösungen an, sondern auch in<br />

den Bereichen Diagnostik, medizinische Ernährung<br />

und minimal invasiver Herz- und Gefäßchirurgie/<br />

-therapie. Der Ursprung der Firma geht auf das Jahr<br />

1888 zurück. Heute existiert Abbott als Unternehmung<br />

weit mehr als 100 Jahre und hat immer noch<br />

seinen Firmensitz nördlich von Chicago in den USA.<br />

Im Jahre 2007 wurde ein Umsatz von über 22 Milliarden<br />

Dollar weltweit erwirtschaftet, mit 65.000 Mitarbeitern<br />

in mehr als 130 Ländern. Basierend auf den<br />

Unternehmenswerten Pioniergeist, Fürsorge, Erfolgsorientierung<br />

und Durchhaltevermögen ist es Abbotts<br />

Anspruch, Innovationen zum Leben zu bringen.<br />

Abbott Deutschland ist das größte Tochterunternehmen<br />

außerhalb der USA, mit rund 4.000 Mitarbeitern<br />

an den Standorten Wiesbaden, Ludwigshafen, Wetzlar<br />

und Rangendingen. In Deutschland betreibt Abbott<br />

sowohl Forschung & Entwicklung als auch Produktion,<br />

Marketing und Vertrieb.<br />

Abbotts Versprechen<br />

Abbott gibt als Leitlinie für seine Mitarbeiter ein Versprechen<br />

ab, ein Versprechen, wissenschaftliche Erkenntnisse<br />

in Fürsorge für den Patienten zu transferieren.<br />

Abbotts Versprechen hierzu lautet wie folgt:<br />

„Unser Engagement gilt den Menschen, deren Gesundheit<br />

wir uns verpflichtet fühlen. Diesen Weg verfolgt<br />

Abbott seit mehr als einem Jahrhundert – mit<br />

Einsatzfreude und Verantwortungsbewusstsein werden<br />

wissenschaftliche Erkenntnisse in langlebige Beiträge<br />

für die Gesundheit umgesetzt. Unsere Produkte,<br />

von der Ernährung über die Medizintechnik bis hin zur<br />

pharmazeutischen Therapie, umfassen alle Lebensabschnitte,<br />

vom Neugeborenen bis ins hohe Alter. Die<br />

Fürsorge ist ein zentraler Punkt unserer Arbeit und<br />

definiert unsere Verantwortung gegenüber den Mitmenschen.<br />

Abbott fördert bahnbrechende wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse und Technologien, die das<br />

Potenzial für signifikante Verbesserungen im Bereich<br />

der Gesundheit und der medizinischen Versorgung<br />

haben. Wir schätzen unsere Vielfalt – die unserer Produkte,<br />

Technologien, Märkte und Mitarbeiter – und<br />

glauben, dass unterschiedliche Perspektiven in Kombination<br />

mit gemeinsamen Zielen die Inspirationsquelle<br />

für neue Ideen und bessere Wege sind, den<br />

Herausforderungen im Gesundheitswesen zu begegnen.<br />

Wir legen Wert auf außergewöhnliche Leistung –<br />

ein Markenzeichen von Abbott-Mitarbeitern auf der<br />

ganzen Welt –, die wir von uns und unseren Mitarbeitern<br />

fordern, da unsere Arbeit die Lebensqualität erhält.<br />

Es ist unser Ziel, das Vertrauen der Menschen zu<br />

erlangen, indem wir uns den höchsten Qualitätsstandards,<br />

guten persönlichen Beziehungen und einem<br />

Verhalten verpflichtet fühlen, das von Ehrlichkeit, Fairness<br />

und Integrität gekennzeichnet ist. Wir sichern<br />

unseren Erfolg – für unser Unternehmen und unsere<br />

Mitmenschen – indem wir den maßgeblichen Zielen<br />

treu bleiben, auf deren Grundlage unser Unternehmen<br />

vor über einem Jahrhundert gegründet wurde:<br />

die innovative Versorgung und der Wunsch, bei allen<br />

unseren Aktivitäten deutliche Zeichen zu setzen. Das<br />

Versprechen unseres Unternehmens ist auch eine<br />

Zusage, uns in unserer täglichen Arbeit für die Gesundheit<br />

und das Leben einzusetzen.“<br />

Was haben die oben genannten Worte mit einem<br />

profit-orientierten Unternehmen zu tun? Zumal das<br />

Unternehmen auch noch in der Pharmaindustrie tätig<br />

ist und seinen Ursprung und Hauptsitz in den USA<br />

hat, wo angeblich doch dem „Shareholder Value“ alles<br />

andere untergeordnet wird?<br />

Unternehmen müssen Gewinne erzielen, wenn diese<br />

langfristig existieren wollen. Anders geht es nicht.<br />

Dabei ist die Höhe und die Nachhaltigkeit der Unternehmensgewinne<br />

ein Indiz für die Bedeutung der<br />

produzierten Innovation. In dieser Hinsicht ist Abbott


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 63<br />

sehr stolz darauf, seit Jahrzehnten zu existieren, seit<br />

Jahrzehnten steigende Gewinne zu erwirtschaften<br />

und Dividenden auszuzahlen sowie sich auch seit<br />

Jahrzehnten als eine starke, solide Aktie auf dem<br />

internationalen Finanzmarkt positioniert und behauptet<br />

zu haben.<br />

Das oben genannte Versprechen und die Gewinnorientierung<br />

einer Unternehmung sind voll miteinander<br />

vereinbar. Man kann sogar noch einen Schritt<br />

weiter gehen und behaupten, dass diese beiden<br />

Aspekte voneinander abhängen, zumindest langfristig<br />

betrachtet. Natürlich gibt es Situationen – wie auch<br />

im persönlichen Leben eines jeden einzelnen Menschen<br />

– in denen manches nicht so klar aussieht oder<br />

Entwicklungen sich als sehr komplex erweisen. Gerade<br />

in diesen Fällen ist ein klares unternehmerisches<br />

Leitbild – wie das Abbott Versprechen – von Bedeutung<br />

und unterstützt Mitarbeiter und Führungskräfte,<br />

die richtigen Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen<br />

umzusetzen.<br />

Am Beispiel der Erkrankung „Rheumatoide Arthritis“<br />

soll Abbotts Ansatz mit seinem Unternehmensversprechen<br />

kurz und anschaulich dargestellt werden.<br />

Abbotts Einstieg in die Erkrankung Rheumatoide Arthritis<br />

(RA) fing mit einer wissenschaftlichen Innovation<br />

an: der Entwicklung und Zulassung des ersten<br />

rein humanen monoklonalen Antikörpers, was seit<br />

2003 den Rheumatologen bekannt ist.<br />

Das damalige Ziel war, eine Therapie zu entwickeln,<br />

die folgende Aspekte einer effektiven RA-Behandlung<br />

gut abdeckt:<br />

● Selektive Inhibierung des Botenstoffs TNF, welcher<br />

eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Krankheit<br />

RA spielt.<br />

● Nachhaltige Wirksamkeit der Therapie.<br />

● Wenige allergische Reaktionen.<br />

● Nicht unterscheidbar von humanem Immunglobulin<br />

G, mit einer Halbwertszeit von rund 2 Wochen,<br />

was wiederum eine seltene Therapieeinnahme<br />

ermöglicht.<br />

Durch Spitzenforschung und -ingenieurleistung ist es<br />

Abbott nicht nur gelungen, dieses Molekül zu entwikkeln,<br />

sondern bei stetig steigendem Bedarf die Therapie<br />

immer in gleicher Qualität den Patienten zur Verfügung<br />

zu stellen. Ein wichtiger Aspekt, der nicht immer<br />

bei der Herstellung von hoch-komplexen biologischen<br />

1 Gerät zur Selbstinjektion<br />

Präparaten in der Vergangenheit gewährleistet werden<br />

konnte.<br />

Als Anekdote sei angemerkt, dass Abbotts F&E-<br />

Standort in Ludwigshafen einen maßgeblichen Anteil<br />

an der Entwicklung des ersten rein humanen, biotechnologisch<br />

hergestellten monoklonalen Antikörpers<br />

hatte. Doch die in den 90er Jahren restriktiven gesetzlichen<br />

Regelungen von biotechnologischen Vorhaben<br />

in Deutschland, leitete in dieser Sache einen aus<br />

heutiger Sicht bedauernswerten Export von Wissen,<br />

Experten, Arbeitsplätzen, Kapital und Zukunftschancen<br />

aus Deutschland in die USA ein. Eine Entwicklung,<br />

die leider nicht voll rückgängig gemacht werden<br />

kann.<br />

Neben der Bereitstellung unserer Medikamente wollen<br />

wir uns auch mit unseren Aktivitäten nachhaltig<br />

zur Stärkung der rheumatologischen Versorgung zum<br />

Wohle der Patienten einsetzen. So haben wir unsere<br />

Innovationskraft und Patientenorientierung erst kürzlich<br />

durch die Einführung eines PENs1 zur nahezu<br />

schmerzfreien Selbst-Applikation unter Beweis gestellt,<br />

der Patienten kostenneutral im Vergleich zur<br />

bisherigen Applikationsform zur Verfügung steht.<br />

Der gesellschaftliche Beitrag, den Abbott leisten will,<br />

geht allerdings über die Vermarktung hochinnovativer<br />

Produkte hinaus. So unterstützen wir Konzepte und<br />

wissenschaftliche Fortbildungen, die dazu führen,<br />

dass Patienten rechtzeitig diagnostiziert und interdisziplinär<br />

sowie sektorübergreifend leitlinienkonform<br />

therapiert werden können.<br />

Auch möchten wir für zukunftsweisende und ökonomisch<br />

sinnvolle Therapiekonzepte stehen, die durch<br />

verantwortungsvollen Umgang mit begrenzten Ressourcen<br />

auch in Zukunft ermöglichen, dass Patienten<br />

die Therapie erhalten, die sie benötigen. So unterstützen<br />

wir Forschungsaktivitäten, die eine gezielte Identifikation<br />

der Patienten ermöglichen sollen, die ein<br />

hohes Risiko für Folgeschäden und Invalidisierung<br />

haben (Risiko-Stratifizierung) und somit im medizinischen<br />

und gesellschaftlichen Sinn am meisten von<br />

einer innovativen Therapie profitieren. Auch deswegen<br />

bietet Abbotts Diagnostik Division seit kurzem<br />

den Anti-CCP Test mit in ihrem Leistungsspektrum an.<br />

Abbott Deutschland möchte jetzt und in Zukunft ein<br />

verlässlicher und verantwortungsvoller Partner für<br />

alle Beteiligten im deutschen Gesundheitswesen und<br />

insbesondere der Rheumatologie sein, um unseren<br />

Beitrag zu einer nachhaltigen Stärkung der Patientenversorgung<br />

und dem Technologiestandort Deutschland<br />

zu leisten. Ganz im Sinne des Abbott Versprechens:<br />

„Von der Wissenschaft zur Fürsorge“.<br />

© gpk


gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 64<br />

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gpk<br />

8/2007<br />

Veränderte Rahmenbedingungen<br />

Die Gesundheitsreform aus Sicht der Landespolitik<br />

Karl-Josef Laumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

Eine kartellrechtliche Beurteilung<br />

Streitfall § 69 SGB V – Bleibt die Qualität<br />

der Versorgung auf der Strecke?<br />

Wernhard Möschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

Verzerrter Wettbewerb<br />

Versorgung der Patienten mit orthopädietechnischen<br />

Hilfsmitteln nach dem GKV-WSG<br />

Frank Jüttner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

Auf dem Weg zu neuen Ufern<br />

Der Marburger Bund im Jahre 2007<br />

Armin Ehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

Ende der Freiberuflichkeit?<br />

Ambivalenz des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes<br />

Jörg-Peter Husemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

Honorarreform Ärzte<br />

Umfangreiche Vergütungsreform startet<br />

mit erneuter EBM-Überarbeitung<br />

Martin Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

„Hartnäckige Traditionen“<br />

Das Gesundheitssystem muss von unten<br />

neu aufgebaut werden<br />

Konrad Schily MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

Pflegeversicherung<br />

Große Koalition versagt bei der Reform<br />

Biggi Bender MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

Ständig steigende Zuzahlung<br />

Härtefälle brauchen (wieder) eine Härtefallregelung<br />

Frank Spieth MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

<strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong> <strong>Kommentare</strong> (gpk)<br />

Postfach 10 17 · 54614 Schönecken<br />

Tel.: (0 65 53) 9 21 10 · Fax: 9 21 13<br />

E-Mail: Schuetze-Eifel@t-online.de<br />

<strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong><br />

<strong>Kommentare</strong><br />

Bonn, August 2007<br />

48. Jahrgang, Nr. 8<br />

Einzelpreis: EUR 4,00 August<br />

Reinhardtstraße 18 · 10117 Berlin<br />

Tel.: (0 30) 20 65 87-0 · Fax: 20 65 87-29<br />

E-Mail: berlin@leoschuetze-eurogroup.de<br />

Aus dem Europäischen Parlament<br />

• Aktuelle Termine und Themen<br />

Markus Ferber MdEP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

• Aus dem Ausschuss für Umweltfragen,<br />

Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit<br />

Horst Schnellhardt MdEP . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

Korrektur zur Sondernummer 2/2007<br />

„Krebs(früh)erkennung ohne Mythos“ . . . . . . 34<br />

AG Zukunft des Gesundheitswesens<br />

• Schlusswort der Veranstaltung am 27. Juni<br />

2007 in Mainz von Eike Hovermann MdB<br />

„Schnittstelle ambulant-stationär. Welche<br />

Chancen bietet das GKV-WSG für die<br />

Überwindung der Sektorengrenzen?“ . . . . . . . 35<br />

• Veranstaltungshinweis 5. September 2007<br />

Die Gesundheitsberufe im Spannungsfeld<br />

von europäischen Richtlinien – EuGH-Urteilen<br />

–, freien Waren- und Dienstleistungsverkehren<br />

und nationalen Sonderwünschen . . . . 37<br />

• Veranstaltungshinweis 26. September 2007<br />

Die Versorgung chronisch Kranker –<br />

Was ändert sich durch das GKV-WSG? . . . . . 38<br />

• Veranstaltungshinweis 17. Oktober 2007<br />

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit –<br />

Psychiatrische Versorgung 2007 . . . . . . . . . . 39<br />

Gesundheit wird teurer<br />

Überlegungen zum Thema<br />

„Kosten-Nutzen-Bewertung“<br />

Eike Hovermann MdB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />

Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

<strong>Gesellschafts</strong><strong>politische</strong><br />

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