Gesellschafts- politische Kommentare - Leo Schütze Gmbh
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gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 42<br />
Rheumatoide Arthritis<br />
Überlegungen aus der Politik zu einer schweren Krankheit<br />
Von Eike Hovermann<br />
I. Eklatante Unterversorgung im Bereich<br />
der Rheumatoiden Arthritis<br />
Die Zahl der an rheumatischen Entzündungen erkrankten<br />
Menschen in Deutschland nimmt auf Grund<br />
der demographischen Veränderungen kontinuierlich<br />
zu. Erkrankt sind nach Angaben der deutschen Rheumaliga<br />
bundesweit rund 9 Millionen Bürger. Unter den<br />
Betroffenen leiden rund 800.000 unter Rheumatoider<br />
Arthritis.<br />
Rechtzeitig diagnostiziert und nach dem Stand der<br />
Wissenschaft therapiert, können die Folgen der Erkrankung<br />
– irreversible Knorpel- und Gelenkschädigungen<br />
– mittlerweile gut unterdrückt werden. Doch<br />
der rechtzeitige Einsatz der neuartigen Arzneimittel,<br />
insbesondere der DMARDs und TNF-alpha-Inhibitoren<br />
ist in Deutschland im Unterschied zu anderen<br />
europäischen Ländern eher eine Ausnahme als die<br />
Regel.<br />
So führen nicht rheumatologisch ausgebildete Ärzte<br />
bei maximal 30 Prozent der Betroffenen eine Basistherapie<br />
mit langwirksamen Antirheumatika durch.<br />
Darüber hinaus erfolgen hierzulande bei 60 bis 70<br />
Prozent der Patienten drei oder mehr Behandlungsversuche<br />
mit konservativen Therapien, bevor die neuen<br />
Biologika eingesetzt werden.<br />
Dies liegt auch daran, dass an Rheumatoider Arthritis<br />
erkrankte Patienten in Deutschland im Durchschnitt<br />
erst nach 18 Monaten an einen Spezialisten überwiesen<br />
werden. Dadurch wird in vielen Fällen eine rasche<br />
Diagnose mit einer sich anschließenden „aggressiven“<br />
Therapie durch TNF-alpha-Inhibitoren verhindert.<br />
Wenn man all die o.g. Faktoren betrachtet, dürften die<br />
Zweifel an den Vorgaben des SGB V, dass das medizinisch<br />
Notwendige nach Stand der Forschung und<br />
unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes bereitgestellt<br />
werden muss, neue Nahrung erhalten.<br />
Die Nichteinhaltung der Leitlinien für Rheumatoide<br />
Arthritis, die einen Therapiebeginn mit den neuartigen<br />
Antirheumatika in den ersten sechs Monaten der Er-<br />
krankung vorschlagen, hat zur Folge, dass die Krankheit<br />
oftmals umgängliche irreversible Schäden im<br />
Gelenkapparat verursacht. Die Lebensqualität der<br />
Betroffenen nimmt deutlich ab, gefolgt von Arbeitszeitausfällen,<br />
Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung.<br />
Gesamtgesellschaftliche Kosten<br />
In der Folge steigen neben den direkten Behandlungskosten,<br />
unnötigerweise auch die gesamtgesellschaftlich<br />
zu tragenden Kosten durch Arbeitsunfähigkeit<br />
(diese liegen nach gängigen Ergebnissen dreifach<br />
höher als die direkten Behandlungskosten). Verschiedene<br />
Studien belegen, dass durch eine Therapie,<br />
auch mit hochpreisigen neuartigen Arzneimitteln,<br />
die Behandlungskosten von an Rheumatoider Arthritis<br />
Erkrankten durch die Vermeidung von Folgekosten<br />
weit fortgeschrittener Krankheitsstadien, reduziert<br />
werden können.<br />
So auch die Professorinnen Gromnica-Ihle und Zink:<br />
Der ungeheure Kostenschub könne vermieden werden,<br />
wenn Behandlungen frühzeitig nach Stand der<br />
Forschung begännen, etwa mit den neuen TNF-alpha-Inhibitoren,<br />
die als Biologika zunehmend in den<br />
Focus von Behandlungen rücken.<br />
Die Gründe für die eklatante Unterversorgung von an<br />
Rheumatoider Arthritis Erkrankter in Deutschland<br />
sind vornehmlich struktureller Natur. Zur Behandlung<br />
dieser „Volkskrankheit“ fehlen in Deutschland nach<br />
Meinung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie<br />
rund 400 Fachärzte, wenn man von einem Rheumatologen<br />
pro 100.000 Einwohner ausgeht. Hausärzte,<br />
die erster Ansprechpartner für die Erkrankten sind,<br />
zögern häufig aufgrund des Regressdrucks lange mit<br />
dem Einsatz hochwirksamer, aber hochpreisiger Medikamente.<br />
In Schweden und anderen europäischen Ländern<br />
werden innovative Arzneien – in Sonderheit die TNFalpha<br />
Inhibitoren – früher als in Deutschland in spezialisierten<br />
Zentren eingesetzt, weil es erstens hierfür<br />
im Unterschied zur ambulanten Versorgung in<br />
Deutschland keine Budgetlimits gibt, und weil zwei-