Gesellschafts- politische Kommentare - Leo Schütze Gmbh
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gpk SONDERAUSGABE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 3/07 – September 2007 – Seite 45<br />
Statt der vorherrschenden schleichenden Rationierung<br />
im Gesundheitssystem, die in vielen Fällen weder<br />
einer medizinischen Logik noch einem rationalen<br />
Mitteleinsatz folgt, sollte eine ehrliche und transparente<br />
Diskussion über verantwortbare Rationierung im<br />
Sinne eines rationalen Mitteleinsatzes im Gesundheitswesen<br />
plus Priorisierung erfolgen. Das Scheitern<br />
der ständigen Korrekturen auf der Einnahmenseite<br />
zeigt, dass grundlegende Strukturveränderungen unausweichlich<br />
sind.<br />
Hierzu gehören:<br />
● Die Konzeptionierung einer Grundversorgung mit<br />
durch die Beitragszahler zu finanzierenden Zusatzpaketen.<br />
Dies würde auch zur Erhöhung der Eigenverantwortung<br />
gemäß der einschlägigen Paragraphen<br />
des SGB V beitragen.<br />
● Der Start eines echten Wettbewerbs zwischen<br />
den GKV-Kassen durch Reduktion der ständig verfeinerten<br />
Regulierungsmechanismen wie RSA, RSA mit<br />
Koppelung an die DMP, den Wegfall des staatlich<br />
festgelegten Beitragssatzes mit einer Kappungsgrenze<br />
von ein Prozent und des Gesundheitsfonds dessen<br />
Verteilmechanismen erst nach Abbau der Verschuldung<br />
und nach Implantation des Morbi RSA ab dem<br />
Jahre 2009 greifen können.<br />
● Anstatt des dauernden Aufbaus wirklicher Abbau<br />
von Regulierungen und Stärkung der Selbstverwaltung<br />
statt deren schrittweisen Abbaus durch staatliche<br />
Eingriffe oder verpflichtende Versorgungsmodelle<br />
wie das Hausarztmodell, mit dem die oben skizzierten<br />
Grundprobleme und Aufgaben natürlich nicht gelöst<br />
werden können. Durch derartige Maßnahmen wird<br />
allenfalls eine Zeit lang das Spiel des „Schwarzen<br />
Peters Zuschiebens“ bereichert.<br />
Neue Denkansätze entsprächen durchaus auch dem<br />
Koalitionsvertrag: „Das Gesundheitswesen ist eine<br />
dynamische Wirtschaftsbranche mit Innovationskraft<br />
und erheblicher ökonomischer Bedeutung für den<br />
Standort Deutschland. Angesichts großer Herausforderungen,<br />
insbesondere des demografischen Wandels<br />
und des medizinischen und medizinisch-technischen<br />
Fortschritts, muss das Gesundheitswesen jedoch<br />
ständig weiterentwickelt werden.“<br />
Dazu sollte auch der Mut gehören dürfen, über die<br />
derzeitigen und zukünftig anzunehmenden Auswirkungen<br />
etwa von RSA, RSA und DMP-Koppelung und<br />
Morbi RSA im Zusammenhang mit dem völlig unscharfen<br />
Wettbewerbsbegriff im GKV-WSG nachzudenken.<br />
Dass dies nicht vom Wissenschaftlichen Institut der<br />
AOK (WIdO) – etwa durch Klaus Jakobs und Sabine<br />
Schulz mit ihrem Artikel „Der Risikostrukturausgleich<br />
auf dem Weg zur direkten Morbiditätsorientierung“ –<br />
erwartet werden darf, scheint klar. Die AOK brauchte<br />
bisher den ständig verfeinerten RSA, die Koppelung<br />
des RSA an die DMPs und sicher auch den Morbi<br />
RSA, um mit ihren vielen Töchtern in der Fläche<br />
überhaupt überlebensfähig zu bleiben.<br />
Dass Wasem aber – siehe „Die Weiterentwicklung des<br />
Risikostrukturausgleiches ab dem Jahre 2009“ – im<br />
Grunde in das gleiche Horn stößt, verwundert mich<br />
aus mehrerlei Gründen:<br />
1. müsste der Morbi RSA bis Frühjahr 2008 überhaupt<br />
erst für das gesamte Patientenkollektiv der<br />
GKV gerechnet werden können,<br />
2. müsste der Fonds ab 2009 seine volle Wirkung<br />
entfalten. Die Umsetzung in den Versorgungsalltag<br />
mit all seinen ungeklärten Geld-Transfermechanismen<br />
braucht aber sicher noch mehrere Jahre,<br />
3. müssten die Entschuldung bis Ende 2008 tatsächlich<br />
vollzogen sein,<br />
4. müsste der bundesweit einheitliche Beitragssatz<br />
umgesetzt werden können, dessen Sinnhaftigkeit<br />
wegen der Kappungsgrenze von ein Prozent von<br />
Wasem energisch per Gutachten bestritten worden<br />
ist,<br />
5. müssten die Zuführungen des Bundesfinanzministers<br />
bis 2015 ungehindert fließen – im Saldo von<br />
2007 bis 2015 80 Milliarden Euro – und danach mit<br />
14 Milliarden pro Jahr weiter zur Verfügung stehen,<br />
6. dürfte die Duale Finanzierung nicht weiter zusammenbrechen<br />
und dürfte sich die Schere zwischen<br />
grundlohnsummenbezogenen Einnahmen und Ausgaben<br />
nicht weiter öffnen. Genau das geschieht aber.<br />
Man könnte diese Reihung sicher noch ergänzen. All<br />
diese Entwicklungen im realen Versorgungsalltag<br />
werden nicht nur den Morbi RSA, sondern alle mit ihm<br />
zusammenhängenden Mechanismen zentral berühren.<br />
Deshalb werden wie bisher ständige Korrekturmaßnahmen<br />
folgen müssen. Dies sollte man berücksichtigen<br />
und nicht in Sandkastenspielen wie z. B.<br />
Wasem davon ausgehen, dass das auf Basis alter<br />
Denkrituale Ausgedachte auch Realität werden kann.<br />
Denn alle bisherigen Erfahrungen zeigen das Gegenteil.<br />
Deshalb ist es die Verantwortung aller eine Diskussion<br />
über grundlegende Strukturveränderungen<br />
herbeizuführen und die unerledigte, verantwortungsvolle<br />
Aufgabe einer nachhaltigen Reform endlich<br />
anzupacken.<br />
© gpk